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Der Herzog war, wie seine Gemahlin, viel zu vornehm, um seine Besorgnis merken zu lassen, aber er war trotzdem sehr beunruhigt, war ihm doch etwas Aehnliches in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Freilich hatte er schon oft mit Leuten zu thun gehabt, die gesellschaftlich noch tiefer standen, als Winton. Allein mit einem Menschen, der eine vollständige Null ist, kann man stets leichter fertig werden, als mit einem, der, ohne bis zu der Höhe heranzureichen, auf der man ihn als seinesgleichen betrachten kann, durch die unseligen und alles gleich machenden Anschauungen der englischen Gesellschaft für ebenso gut gehalten wird, wie selbst ein Herzog, während doch in Wirklichkeit eben niemand als ein Herzog so gut sein kann, wie ein Herzog, obgleich ein Standesherr, dessen Familie schon vor langer Zeit zu dieser Würde erhoben worden ist, ihm für manche gesellschaftliche Zwecke nahe genug kommt. Aber ein Mr. Winton! Derartige Leute sind gerade die, deren Stellung am verblüffendsten und unangenehmsten für den großen Mann ist, der mit Rücksicht auf die Thorheit der Gesellschaft zuzugeben genötigt ist, daß es nichts Höheres geben kann, als einen englischen Gentleman, und daß selbst Fürsten ihr Recht auf diese Bezeichnung als ihre stolzeste Eigenschaft ansehen müssen. Es gibt wirklich Bürgerliche, mit denen selbst ein Herzog eine Verbindung eingehen kann, ohne an Würde einzubüßen. Aber daß ein kleiner Grundbesitzer mit einem kleinen Haus irgendwo in den mittleren Grafschaften – ein Mann, den nur eine zufällige Erbschaft der Notwendigkeit enthoben hatte, für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, und dessen Vorfahren nichts Besseres gewesen waren; ein Mann, der ein Herr Niemand von Nirgendher war, daß ein solcher Mann sich unterfangen konnte, ganz gelassen vor den Herzog unter dessen eigenem Dache zu treten und Lady Janes Hand von ihm zu fordern – das war unerhört! Er wagte es gar nicht, bei dem Gedanken zu verweilen. Wenn er daran dachte, begann sein Blut von neuem zu kochen; sein Kopf wurde heiß, seine Adern traten hervor, sein Atmen wurde beengt. Sich durch eine solche Kanaille in Wut bringen zu lassen, war seiner unwürdig, und deshalb that sich der Herzog Gewalt an, und wenn die Erinnerung sich ihm aufdrängte, war er so weise, ihr zu entfliehen. Er wollte sich bei einer so gemeinen Veranlassung keiner Gefahr aussetzen. Einem Mr. Winton zu gestatten, ihn krank zu machen, wäre fast ebenso schlimm gewesen, wie seine Werbung um Lady Jane anzunehmen. Deshalb ließ er seinen Rentmeister kommen, oder hielt eine Besprechung mit seinem Stallmeister, oder griff nach irgend einer andern äußern Hilfe, um sich vor seinen Gedanken zu schützen. Während des Abends war er noch vornehmer als gewöhnlich und ließ den Mann der Klubs abfallen, der vorher durch seine Schmiegsamkeit und das Interesse, das er für das Haus der Billings an den Tag legte, des Herzogs Gunst gewonnen hatte. Dieser wandte ihm den Rücken inmitten einer Beschreibung einiger Entdeckungen, die er gemacht haben wollte – Entdeckungen, für die ihm das ganze Geschlecht der Altamonts, wie er glaubte, auf ewig zu Dank verpflichtet war – als ob das Haus Altamont durch irgend welche Entdeckung, die ein Niemand machte, gefördert werden könnte, oder überhaupt weiterer Verherrlichung bedürftig wäre. Der Herzog wandte sich inmitten der Erzählung ab, drehte dem Entdecker die Schulter zu und begann eine Unterhaltung mit einem vornehmeren Gast. Dieser unverblümte Nasenstüber fiel jedermann auf, und brachte das Opfer für den Abend zur Ruhe. Es bereitete Seiner Durchlaucht eine gewisse Genugthuung, jemand zu ärgern, aber es war doch schließlich kein Balsam für seine eigenen Wunden. Und man kann sich denken, daß des Herzogs Erwachen nicht angenehm war, als das boshafte Gedächtnis ihm die Erinnerung an Winton bescherte, fast noch ehe er sich von der Wirkung seiner schlimmen Träume frei gemacht hatte. Himmel und Erde! Ein kleiner Landjunker! Ein Niemand! Er stand hastig auf – wenn man überhaupt annehmen darf, daß ein Herzog etwas hastig thut – kleidete sich rasch an und stürzte sich in die Geschäfte. Sich wegen eines so verächtlichen Angreifers die Gelbsucht an den Hals zu ärgern, das war unter seiner Würde. Seine Durchlaucht war mit der Prüfung der Rechnungen seines Rentmeisters sehr beschäftigt und hatte gerade, wie er glaubte, einen Fehler in der Schlußrechnung entdeckt, dessen Ursprung er nun nachforschte – denn es machte ihm ein besonderes Vergnügen, sich für betrogen zu halten, und seinen Verwaltern einen Irrtum um einen Groschen nachweisen zu können, war ihm immer eine große Genugthuung – als plötzlich ein leises und etwas zaghaftes Klopfen an seiner Thür hörbar wurde. Er wußte sofort, daß ihm ein neuer Aerger bevorstehe, und brachte ihn mit Wintons Angelegenheit in Verbindung, obgleich er keine Ahnung hatte, wer es sein könne, der so bescheiden um Eintritt bat. Sein erster Gedanke war so wenig klug, daß er ihn veranlaßte, so zu thun, als ob er nichts gehört habe. Aber er hörte sehr wohl, mit jeder Faser hörte er. Als er nun wartete und sich sehr still verhielt, vielleicht in der Hoffnung, daß die Störung vorübergehen werde, wurde das Klopfen etwas lauter wiederholt. Der Herzog war sehr ärgerlich. Er wußte so genau, als ob er bei allen Beratungen zugegen gewesen wäre, um was es sich handelte, aber er wußte nicht, wer klopfte. Als es zum drittenmal wiederholt ward, schritt er durchs Zimmer und riß mit eigener Hand die Thüre auf. »Nun!« sagte er grollend, und wich dann erschreckt zurück. Denn da stand in ihrem weißen Morgengewand, und noch weißer als ihr Kleid, ausgenommen, wenn tiefes Rot in ihre Wangen stieg, die weichen Züge von einem Etwas erfüllt, das ihr Vater noch nie darin wahrgenommen hatte, ihre Augen fest auf die seinigen gerichtet, mit einem leisen Zittern, das den Ausdruck der Entschlossenheit eher vermehrte, als verminderte – da stand Lady Jane.
Der Herzog war so erregt, daß er einen Augenblick die der Erbprinzessin schuldige Höflichkeit vergaß. »Du!« rief er mit dem Ton höchster Ueberraschung, demselben Ton, womit er ihren Geliebten »Herrrr« genannt hatte. Allein er hielt inne, und es kamen ihm bessere Gedanken. Eine Art krampfhaften Lächelns verzerrte sein Gesicht. »Ach, Jane!« sagte er, und bot ihr die Hand. »Du willst mich sprechen? Das ist ja ein ungewöhnlicher Besuch – und vielleicht ist der Augenblick nicht sehr glücklich gewählt, wenn du mir viel zu sagen hast.«
»Nicht sehr viel, Papa,« antwortete Jane mit einem unruhigen Lächeln. Sie ergriff seine Hand, obgleich er das gar nicht gewollt hatte, und hielt sie fest, als sie die Thür hinter sich schloß. Er würde nicht gelitten haben, daß sie das selbst that, wenn er ihre Absicht gemerkt hätte, aber er war ebenfalls sehr aufgeregt. Er sammelte sich indes, führte seine Tochter zu einem Stuhle und ließ sie Platz nehmen. Es war – was er jedoch erst bemerkte, als es nicht wieder gut zu machen war – derselbe Stuhl, worin gestern ihr unverschämter Bewerber gesessen hatte. Der Herzog blieb vor ihr am Kamin stehen, gerade wie er es gestern mit Winton gemacht hatte. Auch dies Zusammentreffen beunruhigte ihn, aber er konnte es nun nicht mehr ändern.
»Nun, liebes Kind?« hob er an. Er nahm eine heitere und leichtherzige Miene an, die falsche Heiterkeit, womit ein Mann einer unbekannten Gefahr entgegengeht. »Nun, mein Kind, ich habe gerade Whitaker bei einigen falschen Rechnungen ertappt. Ich werde nach allen Richtungen von meinen Beamten bestohlen, das ist eine der Bußen, die wir für unsre Stellung zu bezahlen haben. Aber ich muß dir vorher sagen, daß mir der Kopf davon brummt und daß ich ein schlechter Zuhörer sein werde. Siehst du, Whitaker ...«
»Was ich dir zu sagen habe, wird nicht viel Zeit kosten, Papa. Aber es ist für mich sehr wichtig.«
»Aha!« sagte der Herzog lachend. »Toilettenangelegenheiten, wie? Brauchst du Geld? Das mußt du mit deiner Mutter abmachen. Ich bin nicht reich, aber was meine Jane verlangt, und wäre es mein halbes Reich ...«
Mit einem Lächeln, worin mehr Zärtlichkeit lag, als Seine Durchlaucht irgend einem andern Geschöpf gegenüber zu zeigen fähig war, machte er ihr eine Verbeugung voll der fast ehrfurchtsvollen Achtung, womit seine Tochter umgeben zu haben, einer der besten Züge des Herzogs war. Er liebte und verehrte sie als eine Art Blüte der Menschheit und der Altamonts, die das Beste waren, das die Menschheit hervorbringen konnte. »So viel verlange ich nicht,« entgegnete Lady Jane zitternd und doch fest, »allein ich muß doch etwas von dir erbitten, Vater. Ich bin älter als andre Mädchen gewöhnlich sind, wenn sie – heiraten.«
»Aelter? Unsinn! Wer hat dir das vorgeredet?« erwiderte der Herzog, dessen Adern zu schwellen und dessen Herz vor Aufregung zu schlagen anfing. »Du stehst in der Blüte der Jugend. Ich habe niemals ein Mädchen lieblicher oder hübscher und, ja, auch jünger aussehend gefunden, als meine Tochter. Wer hat dir eine solche Thorheit in den Kopf gesetzt?«
»Es ist keine Thorheit, es ist wirklich so, doch liegt nichts daran – das macht nichts, es soll dir nur zeigen, daß ich im Ernst spreche. Ich bin kein junges Mädchen mehr, Papa. Ach, unterbrich mich nicht, ich werde ja doch immer dein Kind bleiben. Ich bin ein Weib. Ich habe viel nachgedacht, ehe ich hierher gekommen bin, um – für mich selbst zu sprechen. Das ist ein schwerer Schritt, es ist so viel leichter, wenn man andre für sich sprechen läßt. Aber endlich muß es geschehen, ich bin gekommen, um für mich selbst zu sprechen.«
»Jane, halte ein und denke nach; es wäre besser,« versetzte der Herzog mit drohenden Blicken. »Was kannst du für dich zu sagen haben? Schmälere meine Achtung vor meiner Tochter nicht. In den meisten Fällen wird uns die Achtung vor den Frauen schon früh im Leben ausgetrieben, aber die Mehrzahl der Männer hat ein Vorurteil zu Gunsten ihrer Töchter. Zwing mich nicht dazu, zu denken, daß du ebenso seiest, wie die übrigen.«
Sie sah ihn erstaunt an, aber mit Augen, worin kein Zurückweichen zu lesen war. »Meine Mutter hat gewiß keines Menschen Achtung verscherzt,« antwortete sie leise, »und ich werde das hoffentlich auch nicht thun. Ich muß mit dir über mein eigenes Leben reden, Vater. O!« rief sie, die Hände faltend, wobei eine lebhafte Farbe in ihre Wangen stieg, »sprich du für mich, nötige mich nicht, es selbst zu thun. Es gibt Dinge, die sich nur aussprechen lassen, wenn der Fall verzweifelt ist, und sicherlich – sicherlich kann es so weit zwischen dir und mir nie kommen. Sprich für mich, mein Vater, sprich zu deinem eigenen Herzen.«
»Das wird ja förmlich dramatisch!« entgegnete der Herzog mit einem schwachen, erregten Lächeln, das beinahe wie ein Grinsen aussah, denn seine Lippen waren trocken. »Was soll ich sagen? Ist es denn nötig, deutlich zu werden? Daß Lady Jane Altamont wie eine arme Putzmacherin anfängt, zu fürchten ...«
Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, aber sie sagte nichts, sondern sah ihren Vater nur noch fester an, und ihre ganze Seele lauschte gespannt auf das, was er noch sprechen würde.
»Zu fürchten,« fuhr er mit einem widerlichen Kichern fort, »weil sie achtundzwanzig alt ist, und ihre Wange beginnt hohl zu werden – daß sie eine alte Jungfer wird und nie einen Mann bekommt? Nichts natürlicher, als das,« schloß er, in ein höhnisches Gelächter ausbrechend.
Lady Jane erhob sich von ihrem Stuhle. Ein tiefes Rot stieg in ihre Wangen empor, das gleich wieder einer geisterhaften Blässe wich. Erstaunen, Bestürzung, Schmerz – unbeschreiblicher Schmerz, eine Art von Entsetzen und Zorn sprachen aus ihren Augen. Sie öffnete ihre Lippen, aber nur ein mißtönender Laut drang daraus hervor. Nicht einen Augenblick wandte sie ihre Augen ab, aber allmählich dämmerte in ihnen, außer dem namenlosen Leid eines beschimpften und mißhandelten Geschöpfs, ein Blitz der Entrüstung, ein Leuchten der Verachtung empor. Wenn ein Mann, und wäre es ein Herzog, den ersten verhängnisvollen Schritt über die Grenze zwischen Zorn und Wut, zwischen dem Zulässigen und dem Unzulässigen gethan hat, dann folgen die weiteren Schritte ohne Schwierigkeit. Ihr Vater vergaß, daß sie Lady Jane war, die erste des weiblichen Geschlechts, und er ließ seiner Leidenschaft die Zügel schießen. Je mehr er sie geliebt und hoch gehalten hatte, um so tiefer trat er jetzt ihre Erhabenheit unter die Füße.
»Aha, du dachtest, ich würde etwas Hübsches, etwas Angenehmeres sagen,« schrie er. »Poetisch! Aber ich bin nicht poetisch, das ist der langen Rede kurzer Sinn. Also du fürchtest, alle Aussichten zu verlieren, und willst unter allen Umständen einen Mann haben, darauf läuft die Geschichte hinaus. Jetzt weiß ich doch auch, weshalb der Mensch nach Billings gebracht worden ist. Der letzte Versuch für Jane! Nun wird mir alles klar.«
Lady Jane trafen diese Worte wie Steinwürfe. Sie legte die Hände über der Brust zusammen, als ob sie sich dagegen schützen wolle. Dann und wann wich sie mit einem schwachen Stöhnen etwas zurück, ihre Augen wurden größer, mehr und mehr um Erbarmen flehend, feucht, Himmel und Erde beschwörend, aber sie wandte sie nie von ihres Vaters Gesicht ab. Und jetzt, wo er einmal losgelassen war, raste er weiter und machte seiner ganzen Wut Luft, sich mit jedem Worte mehr und mehr ins Unrecht setzend und, leider, den Beweis liefernd, daß niemand, kein Packträger, gemeiner sein kann, als ein Herzog, der sich nicht zu beherrschen weiß. Lady Jane stand stumm vor ihm und sprach nicht ein Wort. Dies war weit schlimmer als die Guillotine. In ihren Träumen hatte sie sich wohl den Beschimpfungen eines Pöbelhaufens ausgesetzt gesehen, niemals aber den Beleidigungen ihres Vaters. Sie mußte fast lächeln, als sie daran dachte, wie unbedeutend die schrecklichen Scenen, die sie in der Einbildung erlebt hatte, im Vergleich zur Wirklichkeit waren. Die Verfassung hätte gebrochen, die Guillotine aufgerichtet werden können, ohne daß das Vertrauen in ihre Klasse erschüttert oder ihre erhabene Ueberlegenheit über alles, was das Gewürm thun konnte, gestört worden wäre, – aber ihr Vater ... daran hatte sie nie gedacht. Ach, das Gewürm ist es nicht, was die Grundfesten der Erde erschüttern kann, aber wenn dein Vater, wenn die, die dir am teuersten sind, die Hand an die Säulen des Hauses legen ... So stand sie da, und sah ihn mit einem so festen Blick an, daß der Herzog außer sich geriet. Er sagte – wer möchte das bezweifeln? – tausenderlei, was er nie zu sagen beabsichtigt hatte, er kehrte sein Innerstes vor ihr nach außen und zeigte Schwächen, von denen selbst seine Frau keine Ahnung hatte. Aber endlich erschöpfte sich auch sein Zorn. Er fing an zu stottern und zu zögern und hielt dann plötzlich mit dem Bewußtsein, daß er sich verraten habe, inne. Ein augenblickliches Schweigen folgte, während dessen sie sich ansahen, ohne ein Wort zu sprechen – und dann trat er ihr einen Schritt näher und fragte: »Was wolltest du mir sagen?«
»Nichts,« antwortete Lady Jane. Ihre Augen waren thränenfeucht und glänzten nur um so mehr, aber sie hatte nicht wirklich geweint, noch fühlte sie den Drang danach. »O, nichts – jetzt nichts.«
»Du bist also überzeugt?« sagte er hastig und versuchte seine gewöhnliche Haltung anzunehmen. »So, das ist gut. Vielleicht habe ich mich ein wenig übereilt, aber du weißt, das ist gerade der Punkt, wo ich am verwundbarsten bin. Vor allem habe ich dich zum Bewußtsein deines Ranges erzogen. Was haben wir denn sonst? Alles andre läßt uns im Stich, überall drängen sich die Massen ein – sie haben das Königtum zu Grunde gerichtet, sie haben Hand an die Kirche gelegt, aber,« fuhr er langsam fort, »sie sollen niemals das Haus der Altamonts anrühren, das soll unversehrt bleiben, was auch sonst in Trümmer falle. Verzeih mir, meine Liebe, wenn ich es an der gebührenden Achtung für die letzte Tochter dieses Hauses habe fehlen lassen. Ich weiß, daß meine Jane mich nicht im Stiche lassen wird.«
Aber Jane gab noch immer keine Antwort. Sie stand da, als ob sie stumm geworden sei, und betrachtete ihn mit einer Art ernster Verwunderung, die ihn mehr in Verwirrung setzte, als er sagen konnte. Das Verlangen, sich zu erklären, seine Einwilligung zu erbitten, seine Teilnahme zu erwecken, schien in ihr erstorben zu sein. War sie betäubt oder überzeugt, oder was hatte er gethan? Endlich wurde der Herzog besorgt. Er wartete noch einen Augenblick. »Ich habe mich übereilt,« fügte er dann hinzu. »Was es auch sein mag, meine Liebe, es wäre besser, wenn du aussprächest, was du sagen wolltest.«
Sie schüttelte den Kopf, ihn noch immer fest ansehend. »Nein – nein – das kann jetzt nichts mehr nützen.« »Was soll das heißen, ›jetzt‹? – Vielleicht habe ich mich geirrt. Komm, sag mir, was es war,« rief der Herzog, mit großer Liebenswürdigkeit alles Vorausgegangene übersehend.
»Vater,« antwortete Lady Jane mit einer gewissen Feierlichkeit, »ich hatte dir sehr viel zu sagen – aber jetzt nicht mehr. Gewisse Dinge beschäftigen alle meine Gedanken, und ich glaubte, mein Vater würde mich anhören und, wenn er sie auch nicht billigte, mir doch seine Teilnahme nicht vorenthalten. Aber jetzt wünsche ich das nicht mehr. Es ist nichts – es ist vorbei ...«
Sie preßte ihre Hände auf die Brust, als ob sie einen Seufzer zurückdrängen wolle. Ihre Augen, die feucht waren, wenn sie gleich nicht weinte, hatten einen rührenden Ausdruck, und es lag eine Entsagung darin, die er begreiflicherweise zu seinen Gunsten auslegte. Liebkosend legte er die Hand aus ihren Arm.
»Mein gutes Kind, wenn es sich so verhält, darfst du versichert sein, daß es so am besten ist. Ich wußte, daß etwas in meiner Jane steckt, was meinen Worten Gehör verschaffen mußte. Und ich danke dir, meine Liebe, nicht nur für mich selbst, sondern im Namen unsres Hauses.«
Wieder sah sie ihn mit durchdringendem Blick an. »Das Haus geht dir also über alles,« sagte sie.
»Ueber alles, meine Liebe, über alles! Ich habe gar keinen andern Gedanken.«
»Es ehrenhaft und wahr zu erhalten – erhaben über unwürdige Gedanken, über Unehrenhaftigkeit und Unwahrheit,« sagte sie langsam, jedes Wort scharf betonend.
»Das ist es, was ich erstrebe,« versetzte der Herzog. »Unsern alten Stammbaum in voller Reinheit zu erhalten, unsern Namen durch keine Mißheirat zu beflecken. Dein Bruder hat meine Wünsche unbeachtet gelassen, und obgleich ich es niemals billigen werde, hat er sich einen andern Vorteil gesichert, und ich habe wohl kein Recht, zu klagen. Aber du, meine Jane, dich darf nichts Niedriges berühren, du bleibst der Stolz deiner Familie. Und,« fügte er beruhigend hinzu, »verliere den Mut nicht. Lady Jane Altamont wird es an Gelegenheiten nicht fehlen. Du darfst aus dem, was ich gesagt habe, nicht schließen, daß irgend jemand dich für passée hält, oder daß eine gute Verbindung weniger wahrscheinlich ist, als früher. So weit ist es mit uns doch noch nicht gekommen, daß wir uns mit dem ersten besten begnügen müßten, verlaß dich darauf, meine Liebe.«
Lady Janes Blässe machte einer tiefen Röte Platz. Sie wandte sich ab, seine Hand beinahe von ihrer Schulter abschüttelnd. »In diesem Falle,« entgegnete sie mit erstickter Stimme, in der eine Bewegung lag, die er nicht verstand, die ihm aber ein unbehagliches Gefühl verursachte, – »in diesem Falle ist ganz gewiß nichts weiter zu sagen.«
Und ohne eine jener kleinen Höflichkeiten, die, wenn auch nicht unentbehrlich, doch so hübsch auch zwischen den nächsten Verwandten sind, ohne Nicken oder Lächeln oder einen Blick freundlichen Einverständnisses, wandte sie sich ab und verließ das Zimmer plötzlich und geräuschlos. Dem Herzog gefiel das nicht, er fühlte, daß etwas darin lag, was er nicht begriff. Er stand an der Stelle, wo sie ihn verlassen, die Hand noch so ausgestreckt, wie sie sie abgeschüttelt hatte, Mund und Augen weit aufgerissen, seine Seele von einer unbestimmten, aber tiefen Besorgnis erfüllt. Was hatte sie vor? Lag mehr als eine Bedeutung in diesen so einfach scheinenden Worten? War das wirkliche Unterwerfung, wie er hoffte, oder etwas andres? Er konnte es nicht sagen. Aber es überlief ihn kalt und er wußte nicht, was er daraus machen solle. Nach einer Weile jedoch überdachte er die ganze Sache noch einmal und fand seine Ruhe wieder. Jane, die stets so fügsam gewesen war, so bereit, sich seinen Ansichten zu unterwerfen, warum sollte sie sich jetzt auf einmal gegen ihn wenden und mit allen Ueberlieferungen brechen?