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Eine Erbprinzessin ist stets eine interessante Persönlichkeit. Schon der Titel an sich ist reizend – es liegt eine Hinweisung auf ein stolzes Erbteil darin, wenn auch nicht gerade die Aussicht auf wirkliche Herrschaft, so doch zum mindesten die auf deren schöneren Teil: die Herrschaft des ewig Weiblichen, das Reich der Herzen und Empfindungen. Selbst wenn sie altert, bleibt dem Titel sein süßer und weitreichender Einfluß, und so lange sie jung ist, stellen schwärmerische Gemüter die Trägerin auf eine strahlende Höhe, zu der die Gemeinheit nicht hinanreicht. Lady Jane war die Erbprinzessin des Hauses ihres Vaters. In seinem Stolz lag Poesie genug, um zu empfinden, daß der verschönernde Einfluß edler Weiblichkeit den Wert seines herzoglichen Ranges noch erhöhe (wenn eine Erhöhung überhaupt möglich war). Und sie war in dem Glauben erzogen worden, daß sie andern Mädchen nicht gleich sei, nicht einmal gleich den kleinen Lady Marys und Lady Augustas, die in den Augen der Welt auf gleicher Höhe standen. Sie stand allein – das Blut der Altamonts hatte in ihren Adern die Quintessenz der Süßigkeit und Feinheit erreicht. Hungerford war ja in seiner Art ganz gut. Wenn die Zeit kam, wurde er Herzog; der ganze Besitz, Ländereien und Titel, gingen auf ihn über, allein auf so glänzender Höhe, wie seine Schwester stand er nicht. Das wußte er auch sehr wohl; er lachte darüber und war froh, der mit einer so erhabenen Stellung verbundenen Pflicht der Wahrung einer höheren äußeren Würde enthoben zu sein, allein er erkannte vollständig an, daß Jane nicht als eine gewöhnliche Sterbliche betrachtet werden dürfe, daß sie die Krone und Blüte vieler Generationen, die Verkörperung der höchsten Vollendung sei, die das Geschlecht erreichen konnte. Und mit unendlicher Bescheidenheit und Demut des Gemüts erkannte auch Jane ihre Sendung. Sehr früh wurde sie sich ihrer bewußt, in einem Alter, wo andre Mädchen noch mit dem Springseil spielen. Eine große Ehre war auf ihr noch so junges Haupt gefallen. Wenn sie in den prächtigen Wäldern von Billings umherwanderte und, wie das der Mädchen Art ist, von der Welt träumte, die sie umgab, verließ sie nicht einen Augenblick das Bewußtsein ihres Ranges, und es erschien ihr unmöglich, vorauszusehen, welchen Einfluß er auf die Gestaltung ihres Lebens ausüben werde. Sie hörte oft vom schlimmen Zustand der Welt sprechen – dem Verfall Englands, dem Anwachsen demokratischer Gesinnungen, dem nahenden Zusammensturz, der alles, was groß und edel war, unter Trümmern begraben werde; und Lady Jane nahm das alles ganz ernsthaft und hielt es für sehr möglich, daß ihr Geschick das einer auf dem Altar der Revolution geopferten jungfräulichen Märtyrerin sein werde. Eine Zeitlang bildeten ihre Lieblingslektüre die Erinnerungen jener großen und edlen, erbarmungsvollen und schwärmerischen Damen, die das Ende des alten régime in Frankreich mit einem so rührenden Glanz umgeben, und die für Verbrechen starben, woran sie ganz unschuldig waren, und mit ihrem Leben für Bedrückungen büßten, die zu mildern sie alles gethan hatten, was in ihren Kräften stand. Jane nahm, wie das natürlich war, die politischen Jeremiaden ihres Vaters und seiner Freunde mit dem blinden Glauben der Jugend hin und hielt selbst die Guillotine nicht für unmöglich. Wenn es ihr Los sein sollte – wie es ihr nach allem, was sie hörte, wahrscheinlich schien – für die Sache des Adels ihr Leben einzusetzen, dann war sie bereit, wie Marie Antoinette das Schafott zu besteigen, erhobenen Hauptes und mit einem Lächeln für ihre Mörder; oder, wenn es möglich war, das Vaterland durch eine Art der Selbsthingabe zu retten, dann war sie bereit, wenn auch mit Zittern, die Nation zu begeistern oder sich an die Spitze einer Armee zu stellen. Das waren die Träume, die sie erfüllten, als sie fünfzehn Jahre alt war, das Alter, worin junge Mädchen für die Ansprüche der Vaterlandsliebe am zugänglichsten sind und fühlen, daß auch in ihnen vielleicht eine Heldin steckt. Mit zunehmenden Jahren ward sie etwas unsicher. Sie lernte beobachten, und ihre Beobachtungen erschütterten den Glauben an ihre alten Einbildungen. Sie konnte keines der Anzeichen entdecken, die ihre Bücher ihr als die Vorläufer der Revolution in Frankreich bezeichnet hatten. Alles war sehr friedlich; wo sie sich zeigte, begegnete man ihr mit der größten Ehrerbietung. Die geringen Leute sahen staunend zu ihr empor, wenn sie mit ihrer Mama einmal durch belebte Straßen fuhr; jedermann schien bereit, ihren Rang anzuerkennen. Man grüßte sie mit freundlichem Lächeln, nicht mit mißvergnügtem Murren, kurz, Heldenmut erschien durchaus überflüssig.
Dann kam eine Zeit, wo Lady Jane es für wahrscheinlich hielt, ihre Sendung werde, wenn nicht die einer Märtyrerin, die einer Wohlthäterin der Welt sein. Es würde ihre Aufgabe sein, halb fürstlich, halb engelhaft, durch die Höhlen des Elends zu schweben und Behagen und Ueberfluß hinter sich zurückzulassen. Sie malte sich Bilder aus, wie die Zeit der großen Pest, oder der Hungersnot und des Fiebers, wo ihre plötzliche Erscheinung mit Hilfeleistungen jeder Art eine sofortige Veränderung der Sachlage herbeiführen und Finsternis in Licht verwandeln werde. Was Unsauberkeit und Elend seien, wußte sie nicht, – woher sollte sie es wissen? – und in ihren Gedanken beschmutzte sie sich bei der erfolgreichen Erfüllung ihrer großen Aufgabe niemals das Kleid im geringsten, und diese hatte durchaus nichts Abscheu Erregendes oder Abstoßendes für sie. Aber nach und nach trat auch in dieser Auffassung ihrer irdischen Sendung eine Aenderung ein. Eine Erbprinzessin hat stets das Vertrauen, daß in ihren eigenen Handreichungen ein geheimer Zauber liegen müsse, aber sie konnte ihre Augen nicht gegen die Thatsache verschließen, daß bei ihrer Mutter Mildthätigkeit nicht immer alles ganz glatt verlief. Ebenso wurde es ihr mit einem beträchtlichen Schreck klar, daß es viele Dinge gebe, die die Herzogin zu thun wünschte, ohne indes die Mittel dazu zu besitzen. Das übte eine sehr peinliche Wirkung auf Lady Janes Träume und machte ihnen ein Ende. Es verwirrte ihren ganzen Gesichtskreis und lähmte ihre Einbildungskraft. Nun hielt sie in großer Verwirrung inne und vermochte nicht gleich zu erkennen, welche Sendung ihr hoher Rang ihr zuwies. Er mußte ihr bestimmte Pflichten auferlegen, in einem Wirkungskreis, der hoch über den gewöhnlichen Geschehnissen des Lebens erhaben war. Aber was für Pflichten waren das? Lady Jane war verblüfft und sah nicht mehr, wo der ihr vorgezeichnete Weg lag. Berührung mit der gemeinen Welt war unmöglich für sie; von der Beteiligung an der geordneten öffentlichen Wohlthätigkeit schrak sie zurück. Gewiß gab es etwas andres, etwas von hochherzigerer Art, für sie zu thun. Inzwischen wußte sie nicht, was das war, und sie stand sozusagen auf den Zinnen ihres Schlosses und schaute aus, etwas verwirrt, aber erfüllt von den edelsten Empfindungen und dem Verlangen, die schönsten Thaten zum Nutzen der Welt zu verrichten.
Dies war die Form, die der Stolz aus ihre hohe Geburt in der reinen und hochgestimmten Seele der Herzogstochter annahm. Ohne zu zweifeln, nahm sie den Glaubenssatz ihres Geschlechts an, und die Thatsache, daß sie etwas der großen Menge durchaus Fernstehendes, über der Schicht der gewöhnlichen Menschheit hoch Erhabenes sei, war für sie unfraglich. Die Herzogin besaß wenig von dieser angeborenen Ueberzeugung, aber eine Herzogin ist eine Herzogin, und wenn sie nicht einen ganz ungewöhnlichen Verstand hat, wird sie sich nur schwer von den Vorurteilen ihres Ranges freimachen können. Thatsächlich sind die Glieder eines herzoglichen Haushalts auch keine gewöhnlichen Sterblichen. Beschränkungen, die uns ganz natürlich erscheinen, sind für sie nicht vorhanden. Es bedarf für sie einer ganz hervorragenden Freiheit der Auffassung und geistigen Kraft, wenn sie sich klar machen sollen, daß sie von demselben Fleisch und Blut sind, wie die Spülmagd und der Schuhputzerjunge – nein, das sind übertriebene Beispiele, die ihnen viel zu fern stehen – selbst wie der Kammerdiener und die Haushälterin, die zu ihrer näheren Umgebung gehören und ganz ihrem persönlichen Dienst gewidmet sind. In dieser Hinsicht kamen demnach Lady Jane niemals Zweifel in den Sinn, aber alles, was persönlichem Stolze glich, lag ihr gänzlich fern. Sie wußte gar nicht, was das hieß. Es gibt gar kein schöneres Feld für reine Demut des Geistes, als die Seele eines auf einen so eingebildet erhabenen Standpunkt gestellten Geschöpfes. Der Gedanke, daß ihre eigene Vorzüglichkeit ihr diese Stellung gab, kam ihr niemals in den Sinn. In jeder Schätzung ihrer selbst war sie aufrichtig bescheiden, lenksam, bereit, sich führen zu lassen, rücksichtsvoll gegen jedermann. Niemals hat es ein Kind gegeben, das gehorsamer gegen Kindermädchen und Erzieherinnen war, noch eins, das Tadel so freundlich hinnahm, oder eins, das so anmutig besorgt war, sich Lob zu verdienen. Es war überhaupt schwierig, sie zum Gebrauch ihrer eigenen Urteilskraft zu bringen. »Meinen Sie?« sagte sie wohl zu der geringsten Persönlichkeit ihrer Umgebung mit dem aufrichtigen Wunsche, die betreffende Person durch Annahme ihrer Ansicht statt der eigenen zu erfreuen. Manche Leute dachten, sie habe überhaupt keine eigene Meinung; das war indes ein Irrtum – obgleich der Schmerz, den es ihr verursachte, wenn sie jemand verdrießen, oder ihm zuwiderhandeln oder widersprechen mußte (thatsächlich machte sie sich einer solchen Lieblosigkeit mit Worten niemals schuldig), sie nur in der äußersten Not dazu brachte, ihrer eigenen Meinung gemäß zu handeln. Aber als ihr zarter Fuß an die Grenzsteine des Kreises stieß, den sie bis dahin für unbegrenzt gehalten hatte, war Lady Jane lange Zeit verblüfft, verwirrt und wußte nicht, was der Zweck sei, den sie im Leben zu erfüllen habe. Das war die Zeit, wo ihre Wange, noch so jung, die ganz schwache Abweichung vom reinen Eirund zu zeigen begann. Sie war vielleicht nur wie der leise Eindruck eines Fingers – aber sie war vorhanden. Zur selben Zeit erschien eine feine Linie über Lady Janes Augen. Sie war sorgenvoll, beinahe traurig, verwirrt und betroffen. Was sollte sie aus ihrem Leben machen? England (obgleich, wie alle sagten, dem Untergang entgegengehend) ließ durchaus keine Anzeichen nahe bevorstehenden Verfalls wahrnehmen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Guillotine zu Lady Janes Lebzeiten nicht aufgerichtet, und sie würde keine Gelegenheit finden, sich zu opfern. Sie sah sich in der Welt um und entdeckte nirgends Verhältnisse, wo sie sich hätte nützlich machen können. Freilich schreckte sie auch, trotz aller Träume und ihrer Ueberzeugung, daß ihrer eine große Aufgabe harre, vor jedem wirklichen Heraustreten aus ihrer Abgeschiedenheit zurück, denn sie wußte sehr wohl, daß, wenn sie einen solchen Schritt versuchte, der Herzog und die Herzogin, Hungerford, Susan und alle Verwandten und Bekannten bis zum hundertsten Grade, erschreckt herbeieilen würden, um sie zurückzuhalten. War es möglich, daß sie alles that, was zu thun sie berufen war, wenn sie ruhig, je nachdem es die Gelegenheit verlangte, lächelnd oder stirnrunzelnd (soweit sie das überhaupt konnte) auf ihrem erhabenen Throne saß? Wenn das der Fall war, dann war es, wie Lady Jane sich seufzend eingestand, kaum der Mühe wert, eine Erbprinzessin zu sein.
Der Leser wird es für sonderbar halten, daß ihr während dieser ganzen Zeit niemals der Gedanke an eine Verheiratung oder an das große Vorspiel der Heirat in den Sinn kam. Vielleicht wäre es voreilig, das so ohne weiteres anzunehmen. Allein es war ihr von ihrer Jugend an bekannt, daß es nur wenige Menschen in der Welt gebe, die um Lady Janes Hand werben konnten. Als ihr vorgeschlagen worden war, den Marquis von Wodensville zu heiraten, hatte sie gelacht: »O nein, Papa, danke schön,« hatte sie gesagt.
»Wir haben schon früher mit seiner Familie Verbindungen geschlossen. In seinen Adern fließt etwas vom besten Blut in England.«
»O nein, Papa, danke bestens,« entgegnete Lady Jane. Sie hatte niemand in der Angelegenheit um Rat gefragt. Während der Unterhandlungen mit Mr. Roundel von Bischofs Roundel hatte sie mehr Interesse an den Tag gelegt, aber doch nicht genug, um aus dem Gleichgewicht zu kommen, als er sie ärgerlich abgebrochen und die Erzieherin seiner Schwester geheiratet hatte. »Ich dachte mir gleich, daß er nicht von reinem Geblüt sei,« sagte der Herzog. Lady Jane lächelte und dachte, fürchte ich, dasselbe. Die schlimmste Folge hohen Ranges ist die, daß er den Blick trübt. Die Abstufungen in der gesellschaftlichen Stellung der Menschen unter ihr zu erkennen, war sie ganz außer stände. Es war ihr klar, was für ein Unterschied zwischen dem Rang ihres Vaters und dem eines Prinzen von Geblüt bestand, sie wußte genau, wem bei der Tischordnung der Vorrang gebührte, Marquisen oder Gräfinnen, aber von dem Unterschied zwischen Erzieherinnen und Haushälterinnen und andern »Dienstboten« wußte sie nur wenig. Die einen standen ihrem Lebenskreis gerade so fern als die andern. Ihre eigene alte Erzieherin, deren Name Strangford war, hatte sie immer Strangchen genannt und sehr gern gehabt – aber sie hatte alle ihre »Dienstboten« gern und sie dachte an alle ziemlich in derselben Weise. Dann hatte sich Lord Rushbrook, der Minister, um sie beworben. Sie fühlte zwar keine Neigung, ihn zu heiraten, aber sie empfand, daß es etwas gab, was nicht Rang war (denn er war nur Freiherr) und doch dem Range gleichstand. Es war dies fast das erste Aufflammen dieser Erkenntnis, das in ihre Seele fiel.
Um diese Zeit jedoch begann die Ueberzeugung in Lady Janes Geist zu dämmern, daß es ziemlich allgemein gebräuchlich sei, zu heiraten, und daß die meisten Frauen auf diese Weise das Rätsel ihres Lebens lösen. Vielleicht war das die Folge der Anträge, die ihr gemacht worden waren, vielleicht auch die des Zufalls, daß sie bei Lady Germaine bei einer der häufigen Gelegenheiten, die sie zu dieser Dame führten, eine Bekanntschaft gemacht hatte, die eines – Herrn. Sie hatte schon früher dort und anderswo viele Herren kennen gelernt, zu dieser Gesellschaft jedoch war sie ganz zufällig gegangen, ohne Absicht und ohne zu erwarten, dort jemand zu treffen. So lauert das Schicksal uns auf, wenn wir es am wenigsten ahnen. Der Herr war in keiner Weise hervorragend. Er hatte niemals daran gedacht, die Herzogstochter kennen zu lernen. Hätte Lady Germaine die geringste Ahnung gehabt, was die Folgen dieser Begegnung sein sollten, dann hätte sie ihn eher in einen Wandschrank eingeschlossen oder in den Fluß gestoßen, als daß sie zugegeben hätte, daß so etwas in ihrem Hause vorfiel. Sie wußte aber von der Zukunft nicht mehr als andre Sterbliche auch, und die Falle wurde von den Schicksalsschwestern ohne Beihilfe irgend eines menschlichen Geschöpfs gestellt. Sie alle gingen blind, bethört, zufällig in das Netz.
Wie gesagt, es war vielleicht zu der Zeit, wo Lady Jane, entweder aus eigenem Entschluß, oder ihres Vaters Willen folgend, ihre andern Anträge abgelehnt hatte, als diese hochgeborene und phantastische Jungfrau das zuerst in Erwägung zog, was im Leben der meisten Frauen das wichtigste Ereignis ist, das Ereignis, das die Frage entscheidet, ob ihr Leben einsam und in hohem Maße verfehlt, oder bewegt und voll Interesse und Thätigkeit sein soll. In der Regel treten junge Mädchen ziemlich frühe an diese Frage heran. Aber Lady Jane war schon in ihrer Wiege eine sehr erhabene kleine Person gewesen. Sich küssen und liebkosen zu lassen, wie es die meisten Kinder so gern haben, war nie nach ihrem Geschmack gewesen. In ihren Backfischjahren waren vornehmer Stolz und Zurückhaltung ihre bemerkenswertesten Eigenschaften, und als junges Mädchen hatte sie keine gleichalterigen Vertrauten besessen, die ihrer Seele solche Gedanken hätten einhauchen können – keine Freundin, die, im Begriffe sich zu verheiraten, sie in die freudige Unruhe, die wichtigen Geschäfte, die Glückwünsche der Verwandten, die Geschenke und die allgemeine Aufregung, die jeder Hochzeit vorherzugehen pflegen, eingeweiht hätte. Allerdings war sie einmal bei einer Hochzeit zugegen gewesen, aber niemals bei einer, die ihren engeren Kreis betraf. So war Lady Jane beinahe achtundzwanzig Jahre alt geworden, als ihr die Möglichkeit vor die Seele trat, daß auch sie heiraten und das allgemeine Los der Frauen auf sich nehmen könne. Zuerst war sie bei diesem Gedanken ganz erschreckt über sich selbst gewesen und hatte ihn mit einer Schamhaftigkeit, die nicht anders als falsch genannt werden kann, obgleich sie sich dessen nicht bewußt war, aus ihrer Seele verbannt. Aber der Gedanke kehrte wieder, er überfiel sie in unbewachten Augenblicken und erfüllte sie manchmal mit süßen Ahnungen. Wenn sie einer jungen Mutter mit ihren Kindern begegnete, dann stieg ein Seufzer, linde wie der Westwind, aus ihrem Herzen empor. Wie glücklich war die Frau! Wie reizend alle die Sorgen, die sie umgaben, wie beseligend die Anforderungen, die beständig von allen ihren Angehörigen an sie gestellt wurden! Sie hatte keine Zeit, sich zu fragen, was ihr Leben wert sei, keine Muße, darüber nachzugrübeln, wie sie ihre Sendung in der Welt am besten erfüllen könne; diese und viele andre Fragen waren für sie gelöst. Lady Jane beobachtete die glückliche Mutter mit einem Interesse, das an Neid grenzte. Und es gab auch noch andre Gedanken, die ihr in den Sinn kamen und vieles erweckten, was bis dahin geschlummert hatte. Einmal, als sie bei ihrer Mutter saß, fiel es ihr plötzlich ein, das Leben der Herzogin mit ihrem eigenen zu vergleichen. Sie richtete einen nachdenklichen Blick auf das liebe und freundliche Antlitz Ihrer Durchlaucht und beobachtete sie, wie sie ihre Rechnungen durchsah und die Angelegenheiten des großen Haushalts ordnete. Der Herzogin Stirn zeigte viele Linien. Sie war eine ausgezeichnete Hausfrau in großem Maßstab, wie das ihrem Rang entsprach, aber die verschwenderischen Neigungen ihres Herrn Gemahls bereiteten ihr von allen Seiten Schwierigkeiten. Der Augenblick war nicht glücklich gewählt, und doch sah sich Lady Jane, als sie ihre Mutter betrachtete, plötzlich zu der stillen Frage veranlaßt, ob die Herzogin wohl glücklicher wäre, wenn sie nie geheiratet hätte und keine Einflüsse das Gleichgewicht zwischen ihren Einnahmen und Ausgaben gestört hätten. Die Frage erscheint vielleicht spaßhaft, aber Lady Jane war nun einmal zu derartigen Grübeleien geneigt. Sie malte sich im Geiste ein Bild aus, auf dem sie diese Dame in einem Hause sah, wo niemand ihr Schwierigkeiten machte, für keine Familie zu sorgen, keine Susan vorhanden war, die ihr Thun mit wachsamem Auge beobachtete, keine Jane, die sie als ein Vorbild des Geschicks betrachtete. Sie mußte leise über die Unmöglichkeit dieses Phantasiegebildes lachen.
»Worüber lachst du?« fragte die Herzogin, mit ihrer Feder innehaltend und mit einem Blick aufsehend, der eher von allem andern, als in einem sorgenfreien Gemüt sprach. »Ich dachte – wie es wohl wäre, wenn du nie geheiratet hättest, Mama.«
Die Herzogin wandte sich mit vor Erstaunen weit geöffneten Augen um. »Wenn ich nie geheiratet hätte? Hast du den Verstand verloren?« entgegnete sie. Und wirklich, der Gedanke war zu albern, denn wenn sie nie geheiratet hätte, wo wäre Jane gewesen? Jane lachte wieder leise, und eine Blutwelle stieg ihr plötzlich ins Gesicht. Sie dachte, ihre Mutter sei nicht sehr glücklich, aber daß es besser wäre, in dieser Lage weniger glücklich als bei größerem Glück einsam zu sein. Hätte sie keine Sorgen gehabt – so schien es ihr – dann wäre Ihre Durchlaucht weniger anziehend gewesen – und dann wandte sich ihr Geist ganz unmerklich von dieser Gedankenreihe ab, und sie ward sich plötzlich ihrer selbst bewußt. Im Grunde genommen hatte sie ja ihr ganzes Leben an sich selbst gedacht: was sie thun, wie sie sich beschäftigen wolle, welche Richtung sie ihrem Leben am besten gäbe. Aber die junge Frau mit den Kindern, die sie getroffen, hatte das Rätsel für sie gelöst; die hatte keine Zeit, an sich selbst zu denken, sie hatte so vielen Ansprüchen zu genügen, weiche Aermchen legten sich um ihren Hals, feine Stimmchen zirpten in ihre Ohren und auch lautere und deutlichere Forderungen wurden an sie gestellt, und es war hundert gegen eins zu wetten, daß sie vom Morgen bis zum Abend keinen Augenblick der Muße fand, worin sie darüber hätte nachsinnen können, was für sie am besten sei. Die Herzogin, obgleich eine große Dame, war ja genau in derselben Lage. Selbst die Anspruchslosesten, deren Hände frei sind, denken mehr an sich, als die Selbstsüchtigen, deren Zeit und Gedanken von andern Angelegenheiten in Anspruch genommen werden, an sich denken können. Diese Vorstellung machte einen großen Eindruck auf Lady Jane. Vielleicht wäre sie weniger davon bewegt worden, wenn nicht die Begegnung bei Lady Germaine gerade in dieser Zeit stattgefunden hätte – aber es dauerte lange, ehe sie das sich selbst eingestand. Sie hatte die Frage geraume Zeit abstrakt behandelt, bevor sie dazu kam, sie auf den konkreten Fall anzuwenden. So gelangte sie zu dem Schluß und der Erkenntnis, daß der schönste Beruf des Weibes der ist, Gattin und Mutter zu sein. Es war das eine ganz neue Vorstellung für Lady Jane, aber sie war zu wahr, um sich gegen etwas zu sträuben, was sie einmal als richtig erkannt hatte. Sie sah ein, daß es gut sei, wenn sie heirate, und dann traf sie bei Lady Germaine – einen Herrn. Wer dieser Herr war, soll im nächsten Kapitel erzählt werden.