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Die Herzogin war eine sehr verständige Frau, das wurde allgemein anerkannt. Sie war vielleicht keine so glänzende Persönlichkeit, wie eine Herzogin eigentlich sein sollte. Schön war sie nie gewesen, ebensowenig war sie, was man gewöhnlich klug nennt, aber sie war, in vollem Sinne des Wortes, verständig. Und sie hatte, das kann nicht bezweifelt werden, diese schätzbare Eigenschaft auf ihrem Wege durchs Leben sehr nötig. Es war kein Feiertagsdasein, ungeachtet ihrer hohen Stellung an der Spitze eines der stolzesten Häuser und einer der vornehmsten Familien Englands. Der Glaube, daß ihr Reichtum und ihre bevorzugte Stellung den Großen dieser Welt wenig nützen, ist für uns eine Art von Entschädigung für ihre Größe.
»Voll Ehrfurcht grüßt die Bauerndirne tief,
Mit Staunen sieht sie mein Gewand von Seide,
Es wacht der Neid, der ihr im Busen schlief:
Ach, eine Gräfin! Sie weiß nichts von Leide!
So denkst du wohl! Es ist dir unbekannt,
Daß auch den Großen Leid bringt oft das Leben,
Und daß Zufriedenheit in jedem Stand
Das höchste Glück ist, das du kannst erstreben.«
Das möchten wir gern alle glauben. Aber schließlich ist es doch in hohem Grade zweifelhaft, ob, wie sich die Sittenlehrer des achtzehnten Jahrhunderts einbildeten, in einer Hütte größere Zufriedenheit waltet, als in einem Palast, und der Palast hat doch in vieler Beziehung große Vorzüge. Die Herzogin hatte mancherlei Verdrießlichkeiten im Leben gehabt, aber nicht mehr, als uns allen zu teil werden, noch waren sie schlimmer gewesen, und dafür hatte sie ihre Krone, ihren Staat, ihre schönen herzoglichen Schlösser und die Unterwürfigkeit ihrer Umgebung. Wenn wir also keinen Grund zum Neide haben, so fehlt es anderseits an Veranlassung, uns mit den Vorzügen unsrer bescheidenen Lebensstellung zu brüsten. Allein Herzogin oder nicht, diese Dame hatte Verstand, fürwahr eine kostbare Gabe. Und sie hatte ihn sehr nötig, wie die nachstehende Erzählung darthun wird.
Denn der Herzog besaß diese unschätzbare Gabe nicht. Er war viel stolzer, als es ein Herzog zu sein Veranlassung hat. Ein Mann, der einen so hohen Rang einnimmt, kann sich am ehesten gestatten, bescheiden von seiner Stellung zu denken und seine Größe nicht zu überschätzen. Aber der Herzog von Billingsgate war sehr stolz, und er glaubte mit fast religiöser Inbrunst, daß er selbst, sein Stammbaum und die Erdbeerblätter, die an dessen Wipfel wuchsen, die ganze Welt beschatteten. Er meinte, selbst der Sonnenschein werde wahrnehmbar dadurch beeinflußt, und was die Grafschaft anlangt, die in seinem Schatten lag, so hatte er dieser gegenüber etwa die Empfindung, wie die alten Götter den Ländern gegenüber, deren besondere Schutzgeister sie waren. Er erwartete, daß ihm an allen Altären Weihrauch geopfert und eine Art von ewiger Anbetung gewidmet werde. Es wäre ihm eine große Befriedigung gewesen, wenn die Menschen bei ihm geschworen und ihm Kirchen geweiht hätten. Entsprächen diese Dinge unsern modernen Anschauungen, dann würde er sie nur für natürlich gehalten haben. Er liebte es, wenn die Leute sich ihm mit Scheu und Ehrfurcht nahten, und obgleich er entgegenkommend und herablassend leutselig war, wie es ein englischer Gentleman heutzutage sein muß, und obschon er mit gewöhnlichen Menschen fast so sprach, als ob er übersähe, daß sie unter ihm standen, vergaß er diese Thatsache doch niemals, und es verletzte ihn tief, wenn sie sie in Wort oder Handlung außer acht ließen. Hielt er sich auf dem Lande auf, und die Damen der Grafschaft wurden zum Diner nach Schloß Billingsgate eingeladen, dann war er sehr liebenswürdig gegen sie; aber im stillen wunderte er sich, daß sie den Mut hatten, ihre kleine zitternde Hand in seinen herzoglichen Arm zu legen, und diejenigen, die wirklich zitterten und von der ihnen widerfahrenen Ehre überwältigt schienen, mochte er am liebsten. In seiner Jugend hatte er ungeheure Summen ausgegeben, um den Glanz aufrecht zu erhalten, der, wie er glaubte, für seinen Rang unerläßlich sei, und den er noch immer für notwendig hielt, trotzdem daß seine Mittel jetzt beschränkt waren. Es darf nicht verschwiegen werden, daß er der Welt zürnte, weil seine Mittel beschränkt waren, und daß er es für eine Schande für das Land hielt, daß eins der ältesten Herzogtümer sich in die demütigende Notwendigkeit versetzt sah, überflüssige Bediente zu entlassen und die Zahl der Pferde in den Ställen zu verringern. Wie viele andre Uebel, schrieb er dies dem Radikalismus der Zeit zu. Wenn die Dinge so wären, wie sie sein müßten, und eine kräftige, angesehene Regierung die Zügel in Händen hielte, dann dürften Herzöge nicht nötig haben, sich einzuschränken. Der Herzog that dies indes so wenig als möglich, und stets unter Verwahrung. Wenn die dringenden Vorstellungen seiner Sachwalter und Rechtsbeistände ihn gegen seinen Willen nötigten, eine Ausgabequelle zu verstopfen, hatte er große Neigung, bei einer ganz unerwarteten Veranlassung und in einer ganz neuen Richtung eine frische zu erschließen – eine Neigung, die es sehr schwierig machte, ihn zu behandeln, und allen, die mit ihm zu thun hatten, eine große Last war.
Dies war in der That das schwerste Kreuz im Leben der Herzogin, aber selbst ihm unterwarf sie sich in sehr verständiger Weise, indem sie sich nicht mehr Sorgen darüber machte, als unbedingt nötig war, und in dem Gedanken Trost fand, daß Hungerfords, ihres ältesten Sohns, Fähigkeiten sehr stark in der entgegengesetzten Richtung entwickelt seien. Der war ganz der Mann dazu, den Reichtum der Familie wieder auf festem Grunde aufzubauen. Er hatte schon dadurch viel in dieser Hinsicht gethan, daß er dem thörichten Widerspruch seines Vaters zum Trotze eine reiche Erbin geheiratet hatte. Der Herzog war der Meinung gewesen, sein Sohn und Erbe sei gut genug für eine Prinzessin, und er war einem Wutanfall so nahe gekommen, wie es für einen Herzog anständigerweise möglich ist, als er dieses eigensinnigen jungen Mannes Entschluß erfuhr, eine Dame zu heiraten, deren Vermögen in der City verdient worden war; allein Hungerford war dreißig, und sein Vater hatte ihm nichts mehr zu sagen. Etwas war ihm indes geblieben, und das hatte er ganz in der Hand, seine Tochter – Lady Jane. Sie besaß alle die Eigenschaften, die der Herzog in seinem Geschlecht am höchsten schätzte. Sie glich jener berühmten Herzogin, die das Glück hatte, Charles II. zu gefallen, aber sie verband damit ein stolzes, kühles und würdevolles Wesen, das jene berühmte Schönheit nicht auszeichnete. Eine so vornehme Ruhe findet man nur in den höchsten Kreisen der Gesellschaft. Tagelang blieb der Ausdruck ihres Angesichts unverändert, und ebensolange blieb die Luft, die sie umgab, ungestört durch irgend etwas, was gemeiner Sprache auch nur entfernt glich. Sie war ein Kind nach ihres Vaters Herzen. Obgleich sich das Ansehen einer Familie mindert, wenn sie sich nur in der weiblichen Linie fortsetzt, würde Seine Durchlaucht sich darein gefunden haben, wenn es möglich gewesen wäre, die Nachfolge von Hungerford und seiner plebejischen Frau auf dieses ruhige, schöne und vornehme Mädchen zu übertragen. »Jane, Herzogin von Billingsgate (aus eigenein Recht)«: der Gedanke gefiel ihm. Er hatte das Gefühl, als ob es sehr passend sei, selbst wenn das Geschlecht nach diesem letzten würdigen und ehrenvollen Aufblühen ausstürbe. Aber kein wacher Traum, das wußte er, konnte nichtiger sein, denn die Citydame hatte schon drei Jungen zur Fortsetzung des Geschlechts zur Welt gebracht, und wie viele noch folgen würden, konnte niemand voraussagen. Hungerford machte kein Hehl daraus, daß sie Geschäftsleute werden sollten, wenn sie aufwuchsen, und daß seines Großvaters Geschäft Bobbys Erbe sein werde. Bobby! Der Junge war nach jenem Großvater genannt worden. Ein solcher Name war unter den Altamonts ganz unerhört. Der Herzog kümmerte sich blutwenig um seine Enkel, und ganz und gar nicht um diesen Citybalg. Aber, leider, was konnte er thun? Nicht eine einzige der ihnen zukommenden Ehren konnte er ihnen vorenthalten. Bobby würde, er mochte machen, was er wollte, einst Lord Robert sein, selbst an der Spitze der Firma seines Citygroßvaters.
Aber Lady Janes Verheiratung war eine Angelegenheit, die sich noch in die richtigen Wege leiten ließ, und ihr Vater war entschlossen, in dieser Hinsicht seinen Willen durchzusetzen. Man hätte erwarten sollen, daß eine sehr lebhafte Werbung um ihre schöne Hand stattfinden werde, das war indes nicht der Fall. Herzöge sind immer dünn gesäet, und es traf sich so, daß gerade zur Zeit kein heiratsfähiger Herzog, der eine Hand zu vergeben hatte, vorhanden war, und geringere Leute wurden durch die Großartigkeit ihrer Umgebung, den Charakter ihres Herrn Papa und die erhabene Würde ihres eigenen Wesens eingeschüchtert. Einige wenige gab es wohl, die sich an den äußern Grenzen des glänzenden Kreises bewegten, worin allein es Lady Jane gestattet war, zu erscheinen. Sie warfen bedeutungsvoll sehnsüchtige Blicke auf sie, wagten aber nicht, näher zu kommen. Der Marquis von Wodensville machte ihr einen Antrag, allein er war sechzig Jahre alt, und diese Verbindung erschien dem Herzog nicht verlockend genug, um ihn zu veranlassen, ein väterliches Machtwort zu sprechen. Auch Mr. Roundel, von Bischofs Roundel, ließ ernstliche Absichten durchblicken. Hätte Familienstellung allein genügt, den Sieg zu erringen, dann wären die Ansprüche dieses Herrn unanfechtbar gewesen, und der Herzog wies diesen großen Bürgerlichen, einen Mann, der keinen Titel angenommen haben würde, und wenn ihn die Königin fußfällig darum gebeten hätte, nicht ohne weiteres ab. Aber er zeigte eine gewisse Neigung, mit diesem großen Fisch zu spielen, die Entscheidung hinauszuschieben und ihn in Spannung zu erhalten, und das war eine Behandlung, die sich ein Roundel nicht gefallen läßt. Andre Anträge von geringerer Bedeutung kamen niemals so weit, daß sie Lady Janes Ohr erreichten, und der Herzog widmete ihnen kaum einen Gedanken. Allerdings hatte Lady Hungerford ein- oder zweimal spöttische Bemerkungen über Janes Verheiratung gemacht, eine Unverschämtheit, die bei ihrer niedrigen Herkunft nicht überraschen konnte. Allein der Herzog that nichts weiter, als daß er einen feierlichen Blick aus seinen großen grünen Augen auf sie richtete, wenn sie sich herausnahm, einen solchen Angriff gegen ein so hoch über ihr stehendes Geschlecht zu richten. Ungefähr dasselbe that er, als die Herzogin einmal seufzend eine ähnliche Bemerkung machte. Er wandte seinen Kopf und richtete seine Augen auf sie, aber die Herzogin war an ihn gewöhnt und nicht so leicht einzuschüchtern. »Ich verstehe nicht, was du meinst,« sagte er dabei.
»Das ist doch nicht so schwer zu begreifen. Ich bilde mir nicht ein, unsterblich zu sein, und ich gestehe, es wäre mir lieb, wenn ich Jane versorgt wüßte.«
»Versorgt!« entgegnete Seine Durchlaucht – schon das Wort erschien ihm, auf seine Tochter angewandt, erniedrigend.
»Nun, auf das Wort kommt's nicht an. Sie ist sehr weichherzig und einer Stütze bedürftig, wenn das die Leute auch nicht glauben. Ich wüßte sie gern unter guter Obhut, wenn ich sterbe.«
»Du kannst dich beruhigen,« antwortete der Herzog. »Jane wird niemand brauchen, der sie in Obhut nimmt, wie du dich ausdrückst. Ein solches Wort, wie ›einer Stütze bedürftig‹, wünsche ich in Beziehung auf meine Tochter nicht wieder zu hören. Ich bin hoffentlich sehr wohl im stande, für sie zu sorgen.«
»Aber, lieber Gus, du bist doch ebensowenig unsterblich, als ich,« erwiderte seine Frau. Unter keinen Umständen hörte er sich gern beim Vornamen nennen, aber »Gus« hatte ihn immer wütend gemacht, und wir fürchteten, die Herzogin wußte das sehr wohl. Auch sie war ärgerlich, sonst würde sie ihn nicht so angeredet haben.
Der Herzog blickte sie noch einmal an, gab aber keine Antwort. Gegen die Behauptung konnte er nichts einwenden; wenn es aber etwas Besseres, als Unsterblichkeit gegeben hätte, dann würde er Anspruch darauf erhoben haben, allein, da es ein Glaubenssatz ist, daß alle Menschen sterblich sind, so war er klug genug, nichts zu sagen. Solche Zwischenfälle, wie dieser, reizten ihn jedoch etwas. Die einzige Wirkung, die seiner Gattin Einmischung hatte, war die, daß er Jane mit etwas prüfenderen Blicken betrachtete. Als er dies das erste Mal that, entdeckte er nichts, was ihn beunruhigt hätte. Sie war eben von einem Spaziergange zurückgekehrt und erzählte ihrer Mutter, was sie gesehen und gehört hatte. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Erscheinung war eher zu lebhaft und jugendlich, als das Gegenteil. Sie war der großen Dame, Lady Germaine, begegnet, die mit einer zahlreichen Gesellschaft gekommen war, um das schöne Thal in der Nähe von Schloß Billings zu besuchen. Der Herzog liebte es nicht, wenn Fremde seinen Besitz betraten, aber einer Dame wie Lady Germaine, einem der ersten Sterne der Gesellschaft, konnte er die Erlaubnis nicht verweigern. »Alle Germaines waren natürlich da, und Mary Plantagenet, und – Mr. Winton,« sagte Lady Jane. Vor dem letzten Namen machte sie eine kaum wahrnehmbare Pause. Der Herzog bemerkte das nicht, er hörte überhaupt kaum auf ihre Worte. »Nicht mehr jung, sie ist zu jung!« sprach er bei sich, und verbannte Lady Hungerfords Sticheleien und den Seufzer der Herzogin mit Entrüstung aus seinen Gedanken. Sie kamen ihm nicht einmal wieder in Erinnerung, bis zur nächsten Saison, als Jane eines Morgens nach einem großen Ball spät zum Frühstück erschien und auf eine Frage ihrer Mutter in etwas müdem Tone antwortete. »Es war fast niemand da,« sagte sie mit etwas, das halb ein Seufzer, halb ein Gähnen war. Halb London war dagewesen, aber nicht, was seine Tochter gesagt, hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Als er sie anblickte, bemerkte er eine schwache, eine ganz schwache Einbiegung in dem zarten Oval von Lady Janes Wange. Die bisherige vollendete Schönheitslinie war gestört. Es hätte ein Grübchen sein können, aber sie war nicht in der Stimmung, die Grübchen zu Tage treten läßt. Bei dem Anblick war es dem Herzog, als ob eine kalte Hand an sein Herz gerührt hätte. Passée? Unmöglich, noch Jahre mußten vergehen, ehe dies Wort auf seine Tochter angewendet werden konnte; und doch fühlte er, daß auch Lady Hungerford es bemerkt haben müsse. Nein, eine Höhlung war es nicht, aber mit ihrem den unteren Klassen eigenen scharfen Blick hatte sie es ohne Zweifel wahrgenommen, und nun würde sie überall sagen, die liebe Jane sei auf dem Abmarsch. Anscheinend nahm der Herzog niemals Notiz von diesen Ausfällen seiner Schwiegertochter, aber in Wirklichkeit gab es nichts, was er so fürchtete.
Der Herzogin war diese Einbiegung nur zu wohl bekannt. Es war wirklich eine Einbiegung, sehr gering, manchmal gar nicht wahrnehmbar, aber sie war nicht wegzuleugnen. Ihr Vorhandensein war ihr eines Tages ganz plötzlich zum Bewußtsein gekommen, obgleich sie sich lange dagegen gesträubt hatte. Und seitdem war sie ihr selten aus dem Sinne geschwunden. Sie zweifelte nicht daran, daß auch andre Leute dieselbe Entdeckung und boshafte Bemerkungen darüber gemacht hatten; denn wenn sie, die so daraus bedacht war, ihr Kind im besten Lichte zu sehen, sie wahrgenommen hatte, was konnte man von denen erwarten, deren Streben entgegengesetzt war? Aber was lag daran, was irgend jemand sagte? Sie war da, das war das Schlimme. Sie redete mit einer Stimme, die niemand zum Schweigen bringen konnte, von Janes dahinschwindender Jugend, von vergehender Frische, verwelkender Blüte. Sollte sie sitzen bleiben und alt werden, während ihr Vater hochfliegende Pläne für sie spann? Sie hatte der Herzogin viel zu denken gegeben, denn diese wußte sehr wohl, was das Ende dieser fürstlichen Haushaltsführung sein mußte. Hungerford konnte nicht sehr davon betroffen werden; er besaß das Vermögen seiner Frau als Rückhalt und er würde es vielleicht nicht für seine Pflicht halten, seines Vaters Schulden zu übernehmen, wenn dieser das Zeitliche gesegnet hatte. Was aber dem Herzog, wenn er am Leben blieb, und seiner Familie bevorstand, das wußte die Herzogin, die mit klarem Blick in die Zukunft sah, ganz genau. Ihr Rang konnte sie nicht retten. Er vermochte vielleicht den Bankerott bis zum letzten Augenblick hinausschieben, aber ganz abwenden konnte er ihn nicht. Sonach mußte ein Zeitpunkt kommen, der alles änderte, eine Art von anständiger Verbannung, oder wenigstens Abgeschlossenheit auf dem Lande, wenn nicht Schlimmeres, würde ihr Los sein. Und Jane? Wenn es ihrem Vater überlassen blieb, für ihre Zukunft zu sorgen, was würde aus Jane werden? Sie würde von ihrer Höhe herniedersteigen und lernen müssen, arm zu sein – das heißt, soweit Herzogstöchter überhaupt arm sein können. Die Großartigkeit und Fülle, worin sie jetzt lebte, würden von ihr abfallen, kein neuer Abschnitt konnte die Einförmigkeit ihres Daseins unterbrechen, eines Daseins, in dem jede Veränderung eher eine Verbesserung als eine Verschlechterung bedeuten würde. Die Herzogin durfte sich sagen, daß sie ihrem Gatten niemals entgegengearbeitet hatte, aber jede Pflicht hat ihre Grenzen. Sie konnte nicht ruhig dabei stehen und zusehen, wie Jane geopfert wurde. Das war die Frage, die die Herzogin zu lösen hatte. Zu dieser Ueberzeugung wurde sie ganz allmählich gedrängt, ihre Augen wurden nach und nach auch für andre Dinge geöffnet, als für die Veränderung in dem vollendeten Oval von Janes Wange. Sie fand heraus, weshalb ihre Tochter gegähnt, geseufzt und gesagt hatte: »es war niemand da,« auf einem Balle, wo sich halb London um Einladungen gerissen hatte. Am nächsten Abend machte Lady Jane einer alten Dame, die keine besondere Stellung einnahm, einen ganz gewöhnlichen Besuch, kehrte mit einem hübsch geröteten Antlitz und ohne sichtbare Einbiegung zurück, und erzählte, sie habe eine reizende kleine Gesellschaft dort getroffen und sich nie so gut unterhalten. Die Herzogin fühlte, daß sie hier vor einem Geheimnis stehe. Zum Teil war es die »Morning Post«, die ihr auf die Sprünge half, zum Teil die unbewußten Enthüllungen, die Jane in ihrer gehobenen Stimmung machte. Aus der »Morning Post« ersah sie, daß ein gewisser Name im Verzeichnis der feinen Leute fehlte, die Lady Germaines Ball durch ihre Anwesenheit verschönert hatten, und Lady Jane verriet durch hundert unbewußte kleine Bemerkungen, daß der Träger dieses Namens bei der andern kleinen Gesellschaft zugegen gewesen sei. Die Herzogin fügte dies und das zusammen. Auch sie würde es zweifellos gern gesehen haben, wenn ihre Tochter eine Herzogin geworden wäre, wie sie selbst: allein wenn sich das nicht erreichen ließ, dann wünschte sie, daß Jane auf ihre eigene Art glücklich würde. Aber hatte Jane Mut genug, ihren eigenen Weg zu gehen? Das war die Frage. Sie hatte, wie man dachte, in ihrem Leben alles erhalten, was sie sich wünschte, und war mit jeder Rücksicht umgeben worden, allein thatsächlich hatte Jane alles erhalten, was andre Leute wünschten, und war im stillen ganz zufrieden gewesen, daß es so war. Würde sie wohl einmal im Leben dahin zu bringen sein, um ihres Glückes willen ihrem Vater und der ganzen Welt Trotz zu bieten? Das war es, was die Herzogin nicht wußte.