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Begreiflicherweise betrachtete Lady Jane die Angelegenheit durchaus nicht von demselben Gesichtspunkte aus. Ein Mädchen mag noch so innig lieben, und es wird doch nur selten so zur Hochzeit drängen, wie das – wenn kein großes Opfer damit verbunden ist – dem stärkeren Geschlecht eigen ist. Das Mädchen liebt, mit dem Glücke zu spielen, die süße Zeit zu verlängern, wo es ohne mit seinen Gewohnheiten zu brechen, selbst ohne den Namen zu wechseln, sich dieser neuen, in sein Leben getretenen Herrlichkeit erfreuen kann. Lady Jane geleitete Winton durch die schweigenden großen Räume mit dem Bewußtsein vollkommenen, ruhigen Glücks, das mit dem Sommermorgen, der frischen, weichen Luft im Einklange stand, die nicht von Sonnenschein, aber von einer Flut gedämpften Lichtes erfüllt war, und worin jeder Ton einen zauberischen Klang besaß, der aber doch keine Musik war. Eine solche Atmosphäre ruhiger, reiner und inniger Freude, die nicht durch offenkundige Thatsachen zur Alltäglichkeit herabgezogen wurde, entsprach ganz ihrer vornehmen Natur. Sie war enttäuscht, weil er weniger zufrieden, weniger glücklich war, und er würde ärgerlich gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß sie so selig war. So verschieden sind oft die Empfindungen derer, die sich am nächsten stehen. Er küßte die Rosenknospe und ihre Hand, als sie diese mit dem Gefühl, eine That zu begehen, für deren Kühnheit es keine Worte gab, ihm ins Knopfloch steckte, aber er verlangte etwas mehr. Ja, er hätte ärgerlich auf sie sein können, er fühlte den Drang, etwas Unfreundliches zu sagen. »Wie kannst du dich damit zufrieden geben, deinen Vater zu täuschen?« fragte er. »Solche Heimlichkeiten –« Er besaß wirklich die Grausamkeit, das zu sagen, aber im nächsten Augenblick war er entsetzt darüber und bat sie, bildlich gesprochen, fußfällig um Verzeihung.
»Heimlichkeiten!« sagte sie etwas überrascht – sie hatte Nachsicht für die rauhe Sprechweise der Männer – »o nein, mein Vater hat mit der Sache noch gar nichts zu thun, und wenn meine Mutter zustimmt ...«
»Aber,« rief Winton in seinem Ungestüm, »nimm 'ma an, er verweigere schließlich seine Einwilligung, wie das deine Mutter glaubt, wirst du den Mut haben, ihm Widerstand zu leisten, oder wirst du mir den Laufpaß geben?«
»O, das nie!« entgegnete Lady Jane, ihn mit ihren weichen Augen anblickend. Es waren keine glänzenden Augen, aber als sie ihn jetzt so anschaute, erschien ein gewisses feuchtes Leuchten darin, ein weicher Strahlenglanz, den keine Worte beschreiben können. Das war das Leuchten der Liebe, und es hat schon manchen unscheinbaren Augenstern verschönert. Es machte die ihrigen so herrlich, daß sie den blendeten, der sie sah, ganz besonders den Glücklichen, der wußte, daß das Leuchten ihm galt. Aber selbst damit war er noch nicht zufrieden.
»Nehmen wir einmal an,« fuhr er fort, »dein Vater öffnete jene Thüre und träte hier ein – wozu er doch das Recht hat – was würde dann geschehen? Würdest du deine Hand aus der meinigen ziehen und dich von mir verabschieden wie von einem Fremden?«
Wirklich zuckte bei diesen Worten ihre Hand aus der seinen zurück, und ein leises Zittern überlief ihre Gestalt, aber gleich darauf erhob sie das Haupt und legte ihre Hand leicht auf seinen Arm. »Denkst du, ich habe keinen Mut!« sagte sie – und fügte dann lächelnd hinzu: »Wenn es nötig ist, aber jetzt ist es ja nicht nötig.«
»Du wirst mich also nicht aufgeben, was auch kommen mag? Selbst nicht, wenn die Erde in ihren Grundfesten wankt; selbst nicht, wenn der Herzog ›Nein‹ sagt?« rief er, halb heftig, halb spöttisch, die Hand ergreifend, die auf seinem Arm lag.
Seine Heftigkeit verursachte ihr einen kleinen Schreck, und der bittere Spott des Tones, womit er von ihrem Vater sprach, that ihr weh. »So darfst du nicht sprechen,« sagte sie in ihrer ruhigen Würde, »der Herzog ist mein Vater. Aber wenn du meinst, daß mich irgend etwas ändern könne, dann kennst du mich schlecht.« Nun schämte sich Winton in der That etwas, und es stieg die Ahnung in ihm auf, daß in diesem zarten Geschöpf, das sein Weib werden sollte, noch viel stecke, wovon er nichts wußte. An der Thür des Vorzimmers trennte sie sich von ihm und kehrte durch ihrer Mutter Boudoir in ihr eigenes Zimmer zurück. Alleinsein ist nächst dem Zusammensein mit dem objet aimé das reinste Glück dieser Zeit. Im Vorbeigehen küßte sie ihre Mutter, die noch an ihrem Schreibtisch beschäftigt war. Diese unterbrach sich nur einen Augenblick, um ihr Kind aus die Wange zu klopfen und Betrachtungen darüber anzustellen, wie verschönernd die Liebe wirke, die in der Jugend so voll von Zauber und süßen Einbildungen ist, und wandte sich dann wieder ihren Rechnungen zu. Es muß zugegeben werden, daß Jane, eigentlich nicht jung genug war, aber ihre Reife erhöhte nur die Fülle ihres Glücks. In einem späten Erwachen liegt etwas Süßes, es verlängert den Morgenschlaf, und dessen glänzende Träume schweben länger vor dem Auge. Selbst das Unerfüllte hat einen eigenen Glanz, den Leute, die blind an die Gesetze des Romantischen glauben, selten wahrnehmen. Das war es, was Jane in einem Alter, wo sie sonst dahin zu sein pflegen, die vollendete Frische und den Reiz eines jungen Mädchens bewahrt hatte.
Bald aber verlor sich die süße Unklarheit ihrer Erwartungen in andern Gedanken. Infolge ihrer vornehmen Erziehung und der Ueberlieferungen, die, wie sie fühlte, sich in ihr verkörperten, ging ihr eigentliche Weltkenntnis vollständig ab. Sie wußte mit Geldangelegenheiten wenig Bescheid, und die Macht des Geldes, gesellschaftliche Verschiedenheiten auszugleichen, war ihr unbekannt. Wenn sie in dem Zuge ihres Herzens zu Winton die Stimme ihres Schicksals erkannte, dann that sie das mit der vollkommensten Ueberzeugung, daß die Erfüllung dieses Schicksals nicht nur ein Herabsteigen von ihrem hohen Rang, sondern auch ein Opfer an den feinen Genüssen des Lebens von ihr heischen werde. Sie würde, so meinte sie, die Krone vom Haupt nehmen, vieles zu thun und vieles zu entbehren lernen müssen. Sie hatte etwas von Winton House, das eine kleine Besitzung war, und wahrscheinlich auch von dem Hause in der Stadt gehört. Aber dies war ihrem Gedächtnis entfallen, und sie wußte, daß das kleine Wohnhaus eines Grundbesitzers von Schloß Billings sehr verschieden sei und von seiner Herrin Pflichten verlange, für die sie in ihren bisherigen Erfahrungen keinen Maßstab fand. Sie würde ihren Haushalt selbst führen müssen, und wenn sie ihre Mädchen auch nicht gerade unter ihrer Aufsicht spinnen zu lassen brauchte, wie es in alten Zeiten Brauch war, so mußte sie doch wenigstens die Dienstboten anweisen und wissen, wie die Arbeit zu verrichten sei. Obgleich ihr Vater in Wahrheit viel weniger reich war, als der Mann, den sie sich zum Gatten erkoren hatte, befand sie sich darüber vollkommen im dunkeln, und ihr Geist beschäftigte sich mit hundert Anforderungen, wovon sie in der That nichts Bestimmtes wußte. Wie ein Stern hatte sie fern von der Welt ihre Kreise gezogen (wenn dies Bild in Beziehung auf eine junge Dame des neunzehnten Jahrhunderts statthaft ist). Jetzt aber forderten Liebe und Pflicht von ihr, von dieser stolzen Höhe herabzusteigen und zu lernen, wie die Leute auf gemeinen Wegen wandeln. Ohne Murren und mit freudiger Bereitwilligkeit widmete sie sich dieser Aufgabe, aber es muß zugegeben werden, sie wußte nicht recht, wie sie beginnen sollte. Die erste Person, an die sie sich wandte (denn Lady Jane scheute sich natürlich, ihre Beweggründe zu verraten oder es bekannt werden zu lassen, daß sie ihre Studien im eigenen Interesse mache), war ihre Kammerjungfer, ein höheres Wesen und einer Hofdame so ähnlich, wie nur möglich. Lady Jane wußte natürlich, daß Arabellas (denn dies war der vornehme Name, den sie führte) Familie nicht dieselbe Stellung einnehme, wie Mr. Winton. Aber bei den verschrobenen Anschauungen, die wir schon als einen der Nachteile hohen Rangs erwähnt haben, hielt sie es für möglich, daß Arabellas Kenntnisse, wie ein Haushalt an ihrem Ende der gesellschaftlichen Stufenleiter geführt werde, für die zukünftige Frau Winton nützlicher seien, als ihre eigenen. Sie brachte die Sache eines Abends in einer ganz unverfänglichen und ungekünstelten Weise zur Sprache, während Arabella teilweise in dem großen Spiegel, vor dem Lady Jane saß, sichtbar, hinter ihr stand und ihr langes, üppiges Haar ausbürstete. Es war sehr fein und weich wie Seide, und wenn es glatt um ihren Hinterkopf gewunden war, sah es nicht nach sehr viel aus, aber wenn es offen war und ausgekämmt wurde, breitete es sich wie ein Schleier, weich, träumerisch und unbegrenzt, wie eine Wolke, beinahe soweit aus, als es der Kämmenden beliebte. Einer Kammerjungfer, der es gleichgültig ist, ob ihre Gebieterin schönes Haar hat, fehlt es an dem wahren Geiste ihres Berufes. Gewöhnlich ist es das, worauf sie am stolzesten ist. Und Arabella empfand in dieser Beziehung sehr warm. Ihre Verachtung für Chignons und Brenneisen kannte keine Grenzen. »Ihr solltet Myladys Haar nur 'mal sehen, wenn's aufgelöst ist,« sagte sie, beinahe weinend über die nicht wegzuleugnende Thatsache, daß das Haar vieler andern Damen, wenn es aufgesteckt war, die weichen Locken Lady Janes an Masse scheinbar übertraf. Während also Arabella so beschäftigt war, sagte ihre Herrin plötzlich, sie im Spiegel ansehend: »Wenn du im Begriff wärest, zu heiraten, Arabella, was würdest du thun, um dich darauf vorzubereiten? Das möchte ich gern wissen.«
»Gnädiges Fräulein!« rief das Mädchen, heftig zusammenfahrend. Es ließ die Bürste vor Schrecken über die Frage zu Boden fallen und fing dann ohne weitere Vorbereitungen an, zu weinen. »Wirklich, wirklich ich könnte mich nie entschließen, Ihre Herrlichkeit zu verlassen – nicht so rasch, wie er es gern haben möchte – nie! nie! Wenigstens nicht, bis Sie Ersatz gefunden haben,« sagte Arabella.
»O!« rief Lady Jane, sich umwendend, »also denkst du wirklich daran. Das wußte ich nicht, ich versichere dich, ich habe nie daran gedacht. Also du bist wirklich im Begriffe zu heiraten, Arabella?«
»O, ich will ja gar nicht,« entgegnete das Mädchen, »wirklich, ich habe ihm gesagt, ich könne mich nicht entschließen, fortzugehen, aber er sagt – Sie wissen ja, gnädiges Fräulein, die Männer haben immer so viel zu sagen ...«
»So?« fragte Lady Jane mit einem leisen Lachen des Verständnisses. Ja, es ist wahr – sie haben immer allerhand zu sagen, und manchmal, wenn sie stille sind, sagen sie noch viel mehr. Sie verweilte bei dieser Erinnerung, die sie wie eine Woge süßer Freude überströmte, und dann sagte sie, – vielleicht nicht so sehr daraus bedacht, Arabella zu verstehen, als ihre eigenen Gedanken weiter zu verfolgen: »Sag mir, wenn du von mir fortgehst, Arabella,– von Schloß Billings und von Grosvenor Square, in ein kleines Häuschen, wie ist dir dann zu Mute? Ist es dir sehr unangenehm? Kommt's dir nicht erbärmlich vor? Ich möchte gar zu gern wissen, was du dabei fühlst. Den einen Tag hier in diesen großen, hohen Räumen – und den nächsten in einem winzigen Häuschen, ohne Dienstboten, ohne jede Bequemlichkeit. Ich habe erst in der letzten Zeit darüber nachgedacht, aber ich möcht's so gern wissen. Niemand kann mir so gut darüber Auskunft geben, wie du.«
»O, gnädiges Fräulein,« rief Arabella, »wissen Sie denn das nicht. Es ist ja das eigene Heim, und das ist die Hauptsache. Das Häuschen mag noch so klein sein, wenn's nur der eigene Herd ist.«
Obgleich Lady Jane sagte: »Ja, allerdings,« verrieten ihre Augen, daß sie noch nicht befriedigt war. »Allerdings,« wiederholte sie, »aber hier wird doch alles für dich gethan, und alles ist so nett, das kannst du doch zu Hause nicht so haben.«
»Nein, gnädiges Fräulein, aber es ist so hübsch und frisch da, keine Teppiche und so was, wo sich der Staub sammelt – ausgenommen in der guten Stube, und die ist nur für den Sonntag. Die Fußböden sind alle so weiß und frisch, die Teller und Schüsseln blinken nur so, und das Feuer ist so lustig. Ich leugne nicht,« fuhr Arabella fort, und ihr bisheriger Ton des Entzückens verwandelte sich in den offenen Eingeständnisses, »daß die gute Stube – nun ja, gnädiges Fräulein, es ist ein schrecklich kleines Ding, aber meine arme Mutter ist so furchtbar stolz darauf. – Sie ist nicht einmal so hübsch, wie das Zimmer, wo die Hausmädchen ihren Thee trinken. Ich habe immer das Gefühl, als ob ich ein gewöhnliches Dienstmädchen wäre, wenn ich darin sitze. Aber die Küche! Wenn Ihre Herrlichkeit 'mal Lust kriegten, armes Mädchen zu spielen – wissen Sie, wie's die Königin von Frankreich that, der die schlechten Menschen nachher den Kopf abgeschlagen haben – dann wäre sie hübsch genug, selbst für Sie.«
»Armes Mädchen will ich nicht spielen, Arabella,« entgegnete Lady Jane, »aber vielleicht ... Nach dem, was du mir über euer Haus gesagt hast, habe ich gar nicht gefragt. Ich wollte wissen, was du thun würdest, wenn du im Begriff wärest, zu heiraten? Du könntest keine Dienstboten halten, du müßtest alles mögliche selbst thun. Meinst du nicht, daß das ein schreckliches Opfer wäre?«
Arabella zauste das Haar ihrer Herrin einige Mal, vielleicht unbewußt, um eine kleine Erregung zu verbergen, vielleicht auch, weil sie etwas entrüstet darüber war, daß diese eine so geringe Meinung von ihren Aussichten hatte. »O, es ist nicht so schlimm, als Sie denken, gnädiges Fräulein,« sagte sie. »Er ist ein sehr ordentlicher Mensch, der ein bißchen gespart hat, und er kann mir eine hübsche Wohnung mieten und ein Mädchen halten. Schmutzige Arbeit brauche ich nicht zu thun. Er meint, wie Ihre Herrlichkeit, es wäre ein großes Opfer, aber was kann ein Mädchen besser verlangen, sagt meine Mutter, als einen guten, ordentlichen Mann und ein nettes Heim, und so denke ich auch.«
Lady Jane lächelte mit freundlicher Teilnahme. »Ich auch, Arabella, aber danach habe ich nicht gefragt. Es wird wohl ein sehr kleines Haus sein, und ein einziges Mädchen? Da wirst du wohl mancherlei selbst thun müssen, und –« Sie hielt inne, und errötete über ihren Mangel an Verständnis. »Du bist doch so ziemlich ebenso gewöhnt, wie ich,« fuhr sie leise fort, »und wirst den Unterschied fühlen. Wie wirst du dich darein finden, oder meinst du, daß es dir nicht unangenehm sein wird, nur ein paar kleine Zimmer zu bewohnen und –«
»O, gnädiges Fräulein, ein paar!« rief Arabella. »Wir werden ein kleines Zimmer haben, wo ich nachmittags sitzen kann. Was kann man denn mehr wünschen? Ihre Herrlichkeit oder sogar die Frau Herzogin können doch in nicht mehr als einem Zimmer zur selben Zeit sitzen, obgleich Sie ein ganzes großes Schloß haben. Und ich habe mich oft gewundert, gnädiges Fräulein, daß Ihre Herrlichkeit und die Frau Herzogin ein kleines Zimmerchen all den großen Salons mit ihren schönen Möbeln vorziehen. Denken Sie nur an das Wohnzimmer im Schloß! Und Ihrer Durchlaucht Boudoir hier ist doch auch im Vergleich zu den andern Zimmern sehr klein. Der Unterschied wird also für mich nicht so gewaltig sein.«
»Sehr richtig bemerkt, Arabella,« sagte Lady Jane. »Es wundert mich, daß ich nicht schon von selbst auf den Gedanken gekommen bin. Niemand kann gleichzeitig in mehr als einem Zimmer sitzen. Sehr wahr, das ist alles, was man braucht. Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir das so klar gemacht hast.«
»Bitte, gnädiges Fräulein,« entgegnete Arabella mit einem Knicks. Es freute sie, aber sie war nicht so überrascht, als man hätte erwarten sollen. Sie liebte ihre Herrin und hatte in ihrer Art große Ehrfurcht vor ihr, aber sie wußte sehr wohl, daß sie in allen Fragen, die das wirkliche Leben betrafen, mehr Erfahrung besaß, als Lady Jane. Sie fuhr nun fort, aus eigenem Antrieb viele Einzelheiten mitzuteilen, die für sie selbst sehr wichtig waren und die auch ihre Herrin interessierten, aber kein neues Licht auf die Frage warfen, die diese hauptsächlich beschäftigte. Nachher mußte sie bei dem Gedanken, daß Arabella auch heiraten wolle, mit einer Mischung von Teilnahme und Belustigung lachen. Inzwischen aber that ihr diese neue Ansicht über die Anzahl der Zimmer, die zum Leben unentbehrlich seien, sehr gut und warf viel Licht auf den Gegenstand, womit sich ihre Gedanken hauptsächlich beschäftigten.
Ihre nächsten Fragen waren an eine von der ersten sehr verschiedene Ratgeberin gerichtet. Es war ein Glück für Lady Jane, daß sie nicht auf sehr vertrautem Fuße mit ihrer Schwägerin stand, sonst würde es sehr schwierig gewesen sein, dieser scharfen Beobachterin das Geheimnis ihrer Liebe zu verbergen. Susannes Neugier wurde schon ohnedies durch einige ihrer Fragen aufs lebhafteste erregt. »Was thun Mädchen andrer Klassen, wenn sie sich auf ihre Verheiratung vorbereiten?« fragte sie. Lady Jane mochte nicht sagen, »der unteren Klassen«, teils aus Besorgnis, Lady Hungerford zu beleidigen, teils weil sich ihr Zartgefühl dagegen sträubte, den Nachteil, worunter diese ohnehin litten, noch besonders hervorzuheben. Sie besaß eben die echte Höflichkeit des Herzens, und wenn sie sich unter Blinden befunden hätte, würde sie es für recht gehalten haben, sich so zu benehmen, als ob Blindheit der ordnungsmäßige Zustand der Menschheit sei, und alles zu vermeiden, woraus man hätte schließen können, daß sie den Besitz der Sehkraft als einen beneidenswerten Vorzug ansehe.
»Was sie thun, wenn sie sich aus ihre Verheiratung vorbereiten? Nun, meine Liebe, sie verwenden den größten Teil ihrer Zeit und vielzuviel von ihren Gedanken darauf, ihre Aussteuer zu kaufen.«
»Das ist in allen Klassen so,« erwiderte Lady Jane, »aber das kann doch nicht alles sein. Manche müssen doch wohl darauf bedacht sein, sich in dem neuen Leben tüchtig anzustrengen; die zum Beispiel, die kein, großes Vermögen besitzen.«
»Ich kann dir, fürchte ich, darüber keine Auskunft geben,« antwortete Susanne, »denn ich war nie in der schwierigen Lage. Meine Angehörigen waren, wie du weißt, geringe Leute, und ich bin natürlich durch die Heirat mit Lord Hungerford sehr emporgekommen.«
»Ich glaube nicht, daß du immer so gedacht hast,« sprach Lady Jane.
»Meinst du? Nun, dann hätte ich so denken sollen. Es war eine große Erhöhung, aber meine Familie war niemals arm. Ein gutes Mädchen, das einen Buchhalter oder so was heiratet, kauft sich, glaube ich, ein Kochbuch und wärmt seines Gatten Pantoffeln, wenn er nach Haus kommt. Sie sucht alle billigen Läden auf und schreibt jeden Tag ihre Ausgaben aus. Das ist alles, was ich weiß.«
»An eine Buchhaltersfrau habe ich nicht gerade gedacht. Ich habe eher an einen Gentleman gedacht – zum Beispiel auf dem Lande – keine großen Leute, aber vollkommen anständig und so – so gut, wie wir, weißt du. Wenn ein Mädchen in einem solchen Falle so recht seine Pflicht erfüllen möchte, was würde es dann wohl thun?«
»Das würde sehr darauf ankommen, was ihr Mann verlangt, sollt' ich denken. Wäre er ein Fuchsjäger, dann würde sie sehr viel reiten und sich Verständnis für Pferde und Hunde anzueignen suchen; wäre er zum Studieren geneigt, dann müßte sie sich etwas um Bücher bekümmern. All das hört aber bald auf,« sagte Lady Hungerford. »Im Anfang aber, solange der jungen Frau die neuen Verhältnisse noch, ungewohnt sind und sie sich erst einleben muß, nimmt sie alle Liebhabereien ihres Mannes auf und versucht ihm zu gefallen. Nach und nach natürlich findet sie ihren richtigen Standpunkt, läßt ihn in Frieden und geht ihren eigenen Weg.«
»Du meinst also, es wäre ziemlich einerlei, was man thut?« entgegnete Lady Jane.
»Was man thut? Du sprichst doch nicht etwa von dir selbst? Erbprinzessinnen sind über alles dies erhaben, sie sind viel zu großartig für das Alltagsleben der Menschheit. Wenn die Zeit kommt, wirst du wohl durch Stellvertretung in der Westminster Abtei getraut werden.«
»Das heißt also mit andern Worten, ich werde überhaupt nicht heiraten,« meinte Lady Jane mit unterdrückter Heiterkeit und einem entzückenden Bewußtsein ihres eigenen, besseren Wissens. Ein so süßes Lächeln umspielte dabei ihre Lippen, daß ihre Schwägerin, die, wenn auch nicht gerade aus sehr feinem Thon geformt, doch einer guten Regung fähig und klug genug war, die Ueberlegenheit des unvergleichlichen Geschöpfs neben ihr zu empfinden, einen Augenblick Scham und Reue fühlte.
»Wenn du es nicht thust, so wird das für irgend jemand sehr schlimm sein,« sagte sie. »Nach meiner Verheiratung versuchte ich Hungerford zu beobachten, um herauszufinden, was er von mir erwarte; ich wurde das aber bald müde, denn er erwartete gar nichts von mir. Die meisten Männer haben es am liebsten, wenn man seinem eigenen Weg folgt und sich gar nicht um sie kümmert. Das meine ich damit, wenn ich sage, man findet seinen richtigen Standpunkt. Das Schrecklichste auf der Welt ist eine Frau, die immerzu daran denkt, wie sie ihre Pflicht am besten erfüllt und ihren Mann beobachtet, um seinen Wünschen zuvorzukommen. Sie lieben's gar nicht, wenn man ihren Wünschen zuvorkommt. Sie sprechen gern ihre Wünsche offen aus, um die Genugthuung zu haben, sie befolgt zu sehen. Es sind sonderbare Geschöpfe, die Männer. Am besten fährt man, wenn man seinen eigenen Weg geht und niemals den ihrigen kreuzt. Damit kommt man am weitesten.«
Lady Jane gab keine Antwort aus diese Bemerkungen, ausgenommen durch einen leisen Seufzer, worin Lady Hungerford zu ihrem großen Erstaunen einen ungeduldigen Ton entdeckte. »Was möchtest du denn eigentlich wissen?« fragte sie, »warum stellst du so sonderbare Fragen?« Aber Lady Jane antwortete nicht. Von Arabella hatte sie wenigstens etwas Belehrung empfangen, von dieser Dame von Welt dagegen gar keine. Wie sie ihren Mann behandeln solle, das war nicht die Frage, die ihr am Herzen lag. Die Buchhaltersfrau, die das Kochbuch studierte, gefiel ihr besser, als die Dame, die anfangs versuchte, sich ihres Mannes Liebhabereien anzupassen, und dann ihren eigenen Weg ging. Die Schilderung einer solchen Person ließ keine verwandten Saiten in ihr erklingen, während sie sich zu der andern hingezogen fühlte. Und im Grunde genommen war es nicht der Standpunkt des Ehemanns, von dem aus sie das neue Leben betrachtete. Sie wollte sich damit in Uebereinstimmung bringen und die Forderungen, die es an sie und an ihn stellte, zu verstehen suchen. So zog sie sich in ihr eigenes Zimmer zurück und beschäftigte sich in der dort herrschenden Stille mit der Frage. Lady Jane stellte sich vor, sie werde in eine Welt voll Lärm und Unruhe hinabsteigen und sich vor Pflichten gestellt sehen, die ihr bis dahin ganz unbekannt waren. Ihr eigenes und das Leben ihres Gatten harmonisch zu gestalten, das war ihre Aufgabe; nicht die Guillotine zu besteigen, wie sie einst geglaubt hatte, sondern vielleicht noch etwas Schwereres: das Kleinliche, Engherzige, vielleicht sogar das Niedrige zu überwinden und zu zeigen, wessen ihre Klasse fähig sei, und was es heiße, ein Weib zu sein. Eine stille Begeisterung für diese unbekannten, demütigen Pflichten erfüllte sie. Und was gab sie denn dafür auf? Arabellas Lebensweisheit hatte den Gedanken, daß sie etwas aufgäbe, beseitigt. Man kann nicht in mehr als einem Zimmer auf einmal sitzen, selbst wenn man unter Hunderten zu wählen hat. Wunderbar, daß ein solches Mädchen die wahre Lösung des Rätsels fand, wovon es nichts wußte und worüber die Weisesten den Kopf schütteln! Nach dieser Erleuchtung empfand Jane keine Furcht mehr. Das nächste Mal, wo sie ohne Begleitung ausging, fuhr sie zu einem Buchhändler und kaufte alle Bücher über sparsame Haushaltsführung, die sie finden konnte. »Wie man mit dreihundert Pfund jährlich auskommen kann,« war eins davon betitelt. Es gefiel ihr nicht besonders, denn sie hatte das Gefühl, als ob alles zu gekünstelt sei und auf die Wahrung des äußeren Scheins zu viel Wert gelegt werde. Ihr Instinkt sagte ihr, daß häusliche Sparsamkeit, wenn sie schön sein solle, ehrlich und offen auftreten müsse, nicht versteckt, und einige der aufgestellten Regeln waren auf den Schein berechnet, andre filzig. Sie meinte, ein französischer Koch werde für den Anfang das beste sein, denn französische Köche gelten für sehr sparsam: auch dachte sie, Silbergeschirr werde für den Gebrauch am billigsten sein, weil es nicht zerbricht. Mit einigen andern Fehlern ähnlicher Art, die in ihrer Lage unvermeidlich waren und die durch die Erfahrungen der ersten drei Monate schon richtig gestellt werden würden, entwarf sich Lady Jane einen schönen Plan für ihr Verhalten als eines armen Mannes Frau. Sie fühlte sich sehr gehoben, daß sie wenigstens etwas thun und sich tüchtig machen könne, ein heldenhaftes Geschick zu erfüllen. Daß damit ein Herabsteigen oder eine Demütigung verbunden sei, kam ihr nie in den Sinn.