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Herr Vehse weiß alles. Er spürt den Anekdoten über den Philosophen von Sanssouci nach, er bringt die historischen Worte aus den Schlachten, verzeichnet den Eintritt, den Abschied jedes Kavaliers, der um Friedrich weilen darf, und guckt in alle Töpfe der königlichen Küche, die hinter dem rechten Schloßflügel steht. Alle Historiographen, alle Anekdotenerzähler, Tagebuchschreiber und Vorleserberichte steuern bei. Der König steht des Morgens auf, des Abends geht er schlafen. Legion sind die Notizen, die ein Programm ergeben, was zwischendurch geschah.
Der Frühling lockt Friedrich aus Potsdam. Sechs Stunden gönnt er sich täglich Schlaf, da er altert, werden es neun. Alle Diener stehen bereit: Winke, knappe, befehlende Worte, die immer die gleiche Formel haben. Seinen Zopf flicht täglich der gleiche Lakai, indes liest er Briefe. Nur die Korrespondenzen der Barone, der Herrschaften von Adel haben Zutritt. Zwei Räte plagen sich mit genauen Auszügen, die das Wichtigste von bürgerlichen Wünschen nennen, Auszüge über die mannigfachsten Dinge der Welt, auf die dann Fritz ab und zu eine seiner Grobheiten schreibt: Erstes Frühstück: Kaffee. Gleich danach: frisches Obst. Man weiß, dies verträgt sich nicht immer mit nüchternem Magen, aber Friedrich hat Ähnlichkeit mit de la Mettrie, weshalb er den Armen herzlich bedauert. Das Obst kommt aus den Spalieren von Sanssouci. Die Sparsamkeit, die sonst empfindlich in allen Punkten ist, hat mit dem Obstgenuß nichts zu schaffen. »Du wirst schmälen« (schreibt Friedrich an Fredersdorf), daß gestern vohr 180 Thaler Kirschen gegessen worden, ich werde mich eine liederliche Reputation machen.« Er wußte auch noch andere Auskunft, sich unmittelbar nach dem Kaffee zu beschäftigen: er spielte Flöte. Dann erst kamen die Staatsgeschäfte. Aber sie halten ihn nicht lange auf. Er läßt die Kabinettsräte um sich stehen und diktiert, was geschehen soll. Dann Audienzen. Oder man trifft ihn um diese Zeit im Park mit den Windspielen. Täglich nimmt er Parade ab. Und kehrt vom Militär zu französischen Schriftstellern zurück, indes man die Gäste zur Tafel bestellt. Man speist um zwölf, später um zwei. Aber immer ist die Mahlzeit reichlich.
»Den 5. August, Mittags, Sr. Majestät Tafel:
Stets muß er die Namen der Köche wissen. Man findet sie bis zuletzt vor ihren Gerichten, verantwortliche Minister, die nach der Sitzung an Kreuzchen hinter den Leckerbissen sehen, ob der Beifall ihres Souverains ihnen gewiß. Sieur Nœl gehörte zu Friedrichs letzten Köchen. Er hat den König oft beglückt und der König beglückte ihn einmal mit Versen, die seiner Künstlerschaft galten. Seinen Verlust hätte Friedrich nie verschmerzt: er hatte die »Bombe à la Sardanapale« erfunden.
Man saß drei Stunden bei Tisch, manchmal auch fünf. Die französischen Weine und die Gespräche flossen. Man spricht über Gott, über Kunst, über die Philosophen in Frankreich, über seines Königs Maitressen, über Le Kain und die Komödie, über die wahrhaftigen Begriffe von Moral und alle Skandale der Fürstinnen und der Opernsängerinnen. So geht's fast bis zuletzt fort. Marchese Lucchesini darf dann unter den fremden Gelehrten, den Dichtern, den fürstlichen Besuchern, den Marschällen sitzen, die manchmal auch der König zu schwachem Ersatz für längst verschollene Freunde an die Tafel bittet, aber lieber schreibt er Notizen aus engerem Zirkel nieder:
»Der König ist nach Sanssouci gegangen. Die Mittagstafel dauerte etwa vier Stunden. Man ließ sämtliche alte Fürsten des Reiches Revue passieren, um sich über sie lustig zu machen.«
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»Abends. Das Gespräch hin- und herspringend. Er hat Aristophanes gelesen, findet ihn aber langweilig, weil die griechischen und lateinischen Lustspiele keinen inneren Zusammenhang haben und man genötigt ist, eine lange Reihe mittelmäßiger Sachen hinunterzuschlucken, um irgend eine Schönheit aufzufinden.«
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»Abends. Ich erfuhr, daß der Sohn der Königin von Schweden einen gewissen Munck, einen Reitknecht des Königs, zum Vater hat. Der Mann mit der eisernen Maske war ein Sohn der Mutter Ludwigs XIV. und sah ihm sehr ähnlich. – – –«
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»Es wurde im chinesischen Palast zu Mittag gespeist. Er machte sich über die Stiftung der Orden vom Goldenen Vließ, vom Heiligen Geist, vom Elefanten usw. lustig, und tat das mit außerordentlicher Anmut. Er schlug eine Neugestaltung des Ordenswesens vor. Für das Haus Österreich einen donnernden Jupiter; für England den Piratenkapitän Merkur; für Frankreich den Stern der Venus; und »für uns einen Affen; denn wir äffen die Großmächte nach, ohne es zu sein.«
Abends sagte er mir unter anderen schönen Sachen, daß Holland sieben Pfeile im Wappen führt: es fehlt ihm aber die Hand, die sie herausziehen könnte.«
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Noch immer flattern die Scherze auf, noch immer liebt man die Medisancen, noch immer blendet Esprit … Dennoch war's einmal anders: als Voltaires Kichern noch den Herrn von Maupertuis reizte, als die Gelehrten entbrannten und de la Mettrie über die Rezepte der königlichen Küche staunte. Einsilbig werden die Notizen des geschwätzigen Marchese und ein Bericht kehrt endlich immer wieder: Der König hat allein gespeist … Er aß allein zu Mittag …
Und man trifft ihn manchmal einsam auch im Park. Aber sein Gang ist schwer geworden, die Haltung gebeugt, sein blaues Soldatenkleid ist abgenützt und voll Tabak. Er schüttelt ihn nicht ab. Längst hat er verboten, daß man einen Rock für ihn anschaffe. Vor den verlassenen Bosketts, vor den stummen Bassins, die ihm endlich gleichgültig geworden sind, in den stillen Rondels, wo die Statuen seiner Jugend noch immer weiß und schimmernd stehen, hält er im Wandern inne. Aber kein d'Argens ist mehr da, auch Algarotti nicht, der am besten von allen über Statuen zu plaudern verstand. Und Friedrich will keine neuen Gefährten mehr. Oben im Schloß müssen die Diener auf den Zehen durch die Zimmer schleichen, und der König sinnt im Lehnstuhl vor sich hin, wortlos und stundenlang. Oft trifft man ihn unter Tränen: auch das Lieblingswindspiel hat er verloren … Und dann geht's schnell dem Ende zu. Unten in Potsdam zählt man die Tage, stumm hört man's in Preußen. Der Staat steht ruhig, den Friedrich schuf, seine Feinde sind tot. Nichts mehr zu erkämpfen, nichts könnte größeren Ruhm noch schenken, als das Vollbrachte. Der Kammerhusar, auf den der Kranke sich stützt, wenn der letzte Husten sich löst, sucht das Nötigste an Wäsche zusammen. Die Schränke sind leer. Die Königin weilt nicht im Schloß. Den Toten bringt ein einfacher Zug hinunter nach Potsdam, fort von der Gruft, die er selbst sich erbaut hat. Kein Pomp, kein Schluchzen. Den »französischen« König hat zuletzt keiner geliebt, er hat sie alle verachtet und man hat ihn gefürchtet. »Alles war totenstill. Aber keiner war traurig.« Es ist die Meldung Mirabeaus. Nur die Augustsonne mochte in jenen Tagen mit stillem Glänzen über Sanssouci stehen, und der Park horchte.