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Präludium

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Vor dem Stadtschloß zu Potsdam, wo die langen Kerle aus aller Herren Länder straffbeinig im Parademarsch stapften, vertönt der letzte Ruf aus Weltstadtnähe. Die Züge am Bahnstrang drüben, jenseits der Havel, die nur lässig gleitet, rollen unaufhörlich weiter, die Räder rattern fort, die Pfeifen der Maschinen eilen durch die Ebene, und manchmal braust ein Expreß vorbei. Aber man hört sie nicht mehr. Vor dem Stadtschloß taucht die Historie empor. Droben hinter den Fenstern späht der Soldatenkönig, der die Groschen für Preußens Größe sparte, die Flötenbläser und Schwärmer haßte, ob in den Straßen nicht ein paar Bürger zu verprügeln wären. Der steife Hut sitzt fest im Nacken, bisweilen fliegt grimmig der Zopf nach vorn, dann röten sich die dicken Backen: die Hand mit dem Rohrstock fährt jäh in die Höhe. Und man lächelt ein wenig über diesen Guten, dessen Leben so abwechslungsreich zwischen Ökonomie und Marotte, zwischen Marotte und Tobsucht hinging, lächelt in ruhiger Entfernung und schlendert weiter. Hinein in die Straßen der kleinen Stadt, wo die Gesandten der Souveräne Europas die Köpfe schüttelten und später Intrigen witterten, an einstöckigen niedrigen Fronten entlang, die sich einmal gar holländisch maskieren, über alte Plätze, wo all die Häuser, die man den Kavalieren baute, und die Paläste Italiens Palazzi kopieren oder mit bescheidenem Prunk die Formen ihres Jahrhunderts üben. Und dann grüßt vom Ende der Zeile noch ein Tor herauf, von Spitztürmen flankiert, – das Ganze ein wenig plump. Der Herr der langen Kerle hat es hingebaut. Der Herr der langen Kerle gibt heute noch Potsdam, dem Klang und Ort das Kolorit. Aber man hat ihn schon wieder vergessen, da man seines Sohnes Sommersitz zustrebt.

Durch eine Allee behäbiger Linden. Ein Romantiker hat am Eingang in süßer Versonnenheit die Kirche des Friedens errichtet. Und ein Mausoleum birgt dort des neuen Deutschen Reiches zweiten müden Kaiser. Aber Mausoleum und Friedenskirche locken nicht. Ihre Stimmung verblaßt. Scharf biegt die Allee ein. Noch ein paar Wohnhäuser, halb schon im Park … und dann die zwei Sphinxe.

Sie haben schon all die Grazie der Zeit, die wählerisch hier ein König einfing. In einem Rokokoschloß der Pfalz ist's der anekdotische Reiz, der die Gäste nicht wundert, daß die Statuen, die Büsten und Göttinnen, die im Buschwerk, in den Hecken, an den Tempelstufen die weiße Nacktheit nur halb verhüllen, die Züge galanter Marquisen behielten, die einer Durchlaucht heimlich die Nächte verkürzten. Im Sommersitz bei Potsdam wurden die willigen Nymphen, die seufzenden Göttinnen von Hofdamen freilich nie gemimt. Aber die Zärtlichkeit nahen Gewährens, die Glut verborgener Wünsche, die selbst die Erfüllung begehrt, die gallische Anmut der Epoche, die sich in Abenteuern hinter den Vorhängen höfischer Feste erschöpft, hat auch den Sphinxen am Eingang die Rätselstrenge Ägyptens verdrängt. Man tändelt auf den weißen Marmorlagern, man gibt die Pose, die die Liebhaber berückt, kokett sind die Köpfe mit den Puderfrisuren, die ein fächelndes Blatt, eine Agraffe noch hebt, kokett die verspielten, tänzelnden Putten, die Bengel der Unschuld, die so bewußt die Gruppe mit schmiegender Haltung vollenden. Und vielleicht harren sie, diese Sphinxe in Frankreichs Régencemanier, noch immer des heiteren Rätsellösers, für den sie gern vom Lager glitten. Harren des Galans im Spitzenjabot und Escarpins, mit zierlichem Stöckchen, mit zierlichen Worten, des Chevaliers der großen Nation vom Witze Voltaires. In den Rondels, vor den Nischen, in den Lauben könnte mit den marmornen Schwestern Gesellschaft im Freien sein. Sie alle plaudern am liebsten Französisch, sie alle haben die Gesten der vergnügten Herzoginnen von Saint Cloud, sie alle die Klassizität des Esprits, des Charmes und begehrlicher Träume. Sie sind die Hofdamen von Sanssouci. Aber kein Chevalier will vom Parkweg schreiten. Manchmal kommt langsam nur ein Alter vorbei. Sein Körper ist leicht vorgebeugt, und mit kurzen, scharfen Stößen setzt er den Krückstock auf den Kies. Seine Mundwinkel zucken, da sein Blick die Sphinxe trifft, belustigt im Spott. Oft bleibt der Alte stehen und holt die Dose mit Spaniol hervor. Und er schnupft. Der braune Tabak stäubt durch die Luft, stäubt auf die Sphinxe, stäubt auf das blaue Soldatenkleid. Die Hofdamen aus Stein bleiben unerlöst. Vom Rasen schießt ein Windspiel her. Der alte Fritz geht weiter.

Und die Musik der Terrassen beginnt. In schwebenden Rhythmen, in sechs melodischen Takten steigt es empor. Im weiten Becken singt heute längst die große Fontäne das rauschende, blitzende, schimmernde Lied, das Friedrichs Mühen vergeblich ersehnte. Doch die stillere Anmut, dies seltene Versspiel von Stufen und Beeten, übersprüht kein Glanz. Und oben ein Lusthaus … Gelassen und heiter, verschwiegen, befehlend. Matt leuchten die gelben Farben auf. Sie leuchten wie Herbstreife in die blinkende Sonne und sind die melancholische, fröstelnde Einsamkeit des Erbauers, wenn von grauem, unbeweglichem Himmel die Monotonie eines Regens summt. Es ist kein Prunkschloß. Fast niedrig das Dach. Hier halten nicht drei Herrscherinnen die Krone Preußens, die drüben am Neuen Palais die Botschafter Rußlands, Frankreichs und Österreichs verletzen. Vasen nur kränzen den First. Und fernher zeichnet ein schmales, feines Kuppeloval die berückende Symmetrie der Front. Noch bleibt aller nahe Reiz entrückt. Schlanke Fenster bis hart an den Boden. Das mittlere scheint zugleich Gartentür, die vom Saal sogleich ins Freie führt. Und sie könnte in erneutem Phantasiespiel sich öffnen: am Rand des Plateaus eine hagere Gestalt. Wieder im blauen Soldatenkleid, wieder mit dem Krückstock. Unter schiefem Dreispitz bleibt das Haupt gesenkt, die Hand hält ein Buch. Jetzt liest er die »Pucelle«.

Er hat sie freilich nicht im gleichen Park gelesen, den schnell nach ihm ein klügeres Jahrhundert umschuf. Man weiß, daß mancherlei an Sanssouci verändert ward. Weiß, daß die Hofgäste zu Potsdam erst vor wenig mehr als sechs Jahrzehnten am feierlichen Schauspiel geglückten Hochstrahls sich ergötzen durften. Und daß erst später die Künste bezwungenen Wassers den Schwung von Glocken nachahmten, indes zwei Dutzend Frösche in flachem Bassinrund harmlose Späße vollführten. Und seither mag man überdies einen sizilianischen Garten bestaunen, Friedrich Wilhelms IV. sorgfältig saubere Spielerei, worin jetzt Wilhelms II. Kolossalbogenschütze mit ungeheurem Wurfpfeil droht. Mag da und dort im englisch erweiterten Park vor stolzen, glatten Marmorbänken, vor stolzen, hohen Marmorsäulen, vor Ballustraden und äthiopischen Löwen stehen, mit denen in überreicher Fülle der sizilianische Gärtner des Ahnherrn Erbe besäte.

Und dennoch ist bis heute im Park von Sanssouci eins unbezwinglich geblieben: der Geist des Alten Fritz. Wenn die Fontänen schweigen, als stünden sie seit dem Mißglücken still, wenn alle Wege einsam liegen, muß man die verlassenen Rondels durchstreifen, in denen nur Pigalle und Gaspar Adam mit ihren Statuen in lautloser Festlichkeit harren. Und muß an dem großen, toten Springbrunnen rasten, der wieder das alte, bescheidenere Becken hat, mit dem spiegelnden Wasser ohne Regung, darin noch eine von den vergoldeten Bleifiguren, von den Bleigruppen steht, die in der Rauheit nordischen Himmels krankten. Mit den sparsamen Taxushecken, mit Bosketts und Berceaus, mit den holländischen Capriccios vor der Galerie wird's dann noch einmal der Park von Friedrichs »Vigne« sein. Und vielleicht wird man an mancherlei Vorbild denken. Lenôtre baut König Ludwig den Prunkpark zu Versailles. Die Majestät des Roi Soleil ist starr wie die Strophen Racines. Für Leopolds I. Lustschloß Schönbrunn entwirft Fischer von Erlach die Pläne, die später Valmagini für Friedrichs beste Feindin ausführt. Schönbrunn ist fließender im Rhythmus als Versailles, weicher im Ton, aber immer noch ist's unerschöpftes Verschwendertum, das die Sommerresidenz habsburgisch-kaiserlicher Macht ausschmückt. Und Schönbrunn und Versailles haben so Sanssouci nie beschämt: ein heimlicher Duft, des Erbauers Hauch, schafft selbst hier die Schätze. Mit schweigsamen Gästen schreitet er durch Schloß und Park, ein seltsamer Schirmherr sterbender Zeit, die ihm noch einmal die letzte Vollendung in zärtlichster, kosender Hingabe schenkt.

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