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Die Tafelrunde

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Im Bavardsorden zu Rheinsberg, wo kein Trauerspiel mehr aus der Kindheit droht, hat Friedrich mitunter die Tollheit geliebt. In Sanssouci liebt er die Schwänke. Merkwürdig ist die Schar der Ritter, die hier aus allen Ländern der König sich zur Tafel holt, die Schar der Hochverdienten, Vielgereisten, Vielgelehrten, die stets ein wenig von Don Quijote, ein Stückchen von Sancho Pansa zeigen, die Schar der Tapferen, Treuen, Perfiden und Feigen, die mit Pose und Schrullen das Lachen bringen. Sie alle, die Verwöhnten mit den Puderperücken: sie leben voll Schnurren, sie sterben mit ihnen, und manchmal ist ihr Abgang auch Farce. Die Größe mischt sich mit der Groteske, der Geist mit der Komik, die Laune fast täglich mit Travestie. Sie alle tragen die Würde so, daß sie erschütternd plötzlich das Zwerchfell trifft.

Und man stelle vor: Marquis d'Argens … Ihn hat sein Schicksal früh der sanften Heiterkeit der Provence entführt, sein Schicksal ist bewegt und so erfüllt von Abenteuern, als wäre er Gascogner. Baptiste de Boyer war Offizier und hatte die Abenteuer bei lässigem Blut. Ihm spielt die Liebe jeden Streich, und die Liebe, die ihn öfter flüchten heißt, zwingt ihm verschiedenerlei Beruf auf. Mit einer kleinen Dame vom Theater, die weniger den Präsidenten in Aix, d'Argens' Papa, entzückt, will er in Spanien Idylle leben: man holt ihn mit Bedeckung heim. Den Degen gab er längst zurück, jetzt will er sittsam reisen, er geht nach Tunis, Algier, Tripolis, hält in Konstantinopel Standquartier. Bevor er noch nach Aix zurückkehrt, hat er sich irgendwie rasch auf türkisch vermählt, in Aix vergißt er's, wird Advokat, und seine Neigung gilt den Künsten. Weil auch die Künste ihn bald wieder mit den Schauspielerinnen, mit den Tänzerinnen tief bedrängen, entrinnt er schleunigst nach Marseille, und eine freilich nimmt er mit … Jetzt denkt er tapfer an die Ehe. Er denkt an sie, weil ihm, dem Enterbten, die Louisdors schwinden. Drei Damen locken seine Wahl: d'Argens eilt nach Paris, die Damen heißt er warten, denn er vermählt sich der Roulette, vermählt sich glücklich und trägt die neuen Louisdors nach Italien. Vor Italiens Mädchen reißt er aus: sie bedrohten ihn, der allzuvielen viel versprach. Man trifft ihn dann in Holland wieder, trifft, ihn aufs neue in Marseille, der Kavalier erbittet des Königs Degen zurück: 1733 zieht er gegen Österreich. Bei Kehl stürzt sein Pferd, und er empfängt die Wunde, die ihn bestimmt, nach Paris zurückzukehren und Bücher zu schreiben, was er übrigens schon früher begann.

Von dem verliebten »Direktor der philosophischen Klasse der Akademie zu Berlin« hat man allerlei. Der Mann der Wissenschaft packt all die galanten Dinge, die seine Jugend schmerzlich verwirrt, in lockeren Memoiren aus. In Frankreich haßt ihn die Geistlichkeit: vor ihr kreuzt er, wenn er die »Philosophie de bon sens« verficht, die Waffen der Aufklärung mit Eleganz. Friedrich hört von den »Lettres juives«. Friedrich hört den Causeur 1741: über Kunst, über Dichter, über Bilder plaudert er geistreich. Friedrich behält ihn bei sich. Zu den »Lettres cabalistiques«, die er im gleichen Jahr im Haag drucken ließ, wird er eine »Historie de l'esprit humain« noch schreiben, zwischendurch schlägt er sich mit der Übersetzung von Fragmenten herum, die Julian einst gegen die Christen verfaßte. Und er ist ein milder Geist, der die Toleranz, die er für sich erbittet, allen Brüdern, allen Religionen gibt, ein Vielerfahrener, ein witziger Briefschreiber, ein zarter Stilist, ein Romancier und Skeptiker, der an Gott, an den Dingen, an sich selbst ein wenig zweifelt, der die scharfen Konturen, die dezidierten Erklärungen nicht liebt und die Systeme halb als Liebhaber baut …

Aber der König liebte den Menschen d'Argens. Vor ihm entdeckt er den Gram der Gefahren, vor ihm Verzweiflung und Kriegsnot, d'Argens ist der Heitere, der bei Tisch entzückt, d'Argens der Ehrliche, der Gutmütige, der die Treue noch kennt, d'Argens mit seinen Schwächen der unfreiwillige Spaßvogel, der immer wieder die Lustigkeit schafft. Denn der Heitere ist meist ein Melancholiker. Seine Sehnsucht denkt an die warme Provence, und er trägt drei Schlafröcke und einige Mützen aus Wolle, die den Armen vor Erkältung schützen. Er haßt das trübe Wetter des Nordens. Sein Nebel, sein Regen, sein Frühling, sein Sommer: im Norden birgt alles bedenkliche Krankheit. Und der König lacht. Den Verängsteten lockt er des Nachts aus dem Bette, mit falschem Alarm, dem Verstörten bringt er's mühelos bei, daß dies den Tod in Kürze bedeute. D'Argens ist abergläubisch. Manchmal kreuzt seinen Weg eine Herde von Schweinen, manchmal kommen drei schwarzgekleidete Menschen vorbei, auch stößt er mitunter ein Salzfaß um. Dies sind die Hiobsposten schweren Unglücks, dies bringt die Schwermut, die ihn durch Wochen verstimmt. Sie wird so heftig, daß ihn Friedrich dreimal nach der Heimat ziehen läßt. Und der »Beau soleil de Provence« erfrischt den Marquis. Er denkt jetzt nicht mehr an den Norden, er möchte für immer im Süden bleiben. Aber er kennt noch Friedrichs Schlauheit nicht ganz: der König weiß sich zu helfen. Ein »Hirtenbrief« wird aufgesetzt. Der Erzbischof von Aix warnt seine Provencalen vor dem Ketzer d'Argens. Der Marquis wittert Vergiftung oder ähnliches. Und kommt zurück … In Sanssouci umgibt ihn der König mit Artigkeit. Zwar sieht er's nicht gern, daß d'Argens für Theaterdamen noch immer Sympathien verspürt, und er protestiert, da der Marquis eines Tages Mademoiselle Cochois, die »seit 1742 in der französischen Komödie Furore macht«, sogar zur Frau nehmen will, aber er gestattet dann doch, daß die Schauspielerin mit dem Gatten im Schloß wohne. Und aus Meißen, da er den Freund wiedersehen will: »Bringen Sie die gute Babet nur mit« … Er lädt sich bei den Zweien zum Tee. Drei Dezennien treibt er Scherz mit d'Argens und liebt ihn ernsthaft. Und baut ihm, da er ihn endlich verlieren muß, ein Mausoleum zu Aix unter dem »beau Soleil« …

Unter allen Kavalieren der Tafelrunde, namentlich unter den Ausländern, stand Friedrich II. keiner so nahe, wie der gute d'Argens, der die Ergebenheit für seinen Herrn gern bis zur Rührung und von da bis hart zur Beschränktheit trieb. Sein Landsmann Maupertius weiß weniger von bescheidener Tugend. Er wird nie ganz so sehr des Königs Freund, dieser Pierre Louis de Maupertius aus Saint-Malo, der Präsident der Akademie, der Mathematiker, der Weltreisende und Philosoph, der eitel wie ein Pfau war, verbissen in seine Systeme und verrückt wie der Herr von Astarac, der Held bei Anatole France in der Bratküche der Königin Pedauque. Maupertius hat eine Reise nach Lappland gemacht – die Reise war sein größter Ruhm – und Newtons Ideen noch einmal verkündet. Er schreibt »sur les lois de l'attraction«, schreibt »sur la figure des astres«, und auf den verschraubten Wegen eines »Essai de cosmologie« wird gegen die Gottesbeweise, die von Wundern berichten, eine Religion der ruhigen Vernunft eingetauscht, die einen notwendigen »Stoffbeweger« in Allmacht und Allwissenheit preist. Maupertius kommt 1740 nach Berlin, hier hat er Muße, sich für eine Moral ohne Zwang zu entscheiden, für die übliche Moral der Aufklärungsepoche: »Essai de philosophie morale« … In Berlin hat er seine Laboratorien. Er ist halb Kauz, halb Philosoph, teils Sonderling, teils Forscher und sammelt d'Argens Schlafröcke, so sammelt Maupertius Katzen und Hunde, Papageien und Affen, die er als Menagerie in sein Haus sperrt. An ihr versucht er die Rassenkreuzung, und er »hatte ein Buch über die Zeugung unter dem Titel ›Vénus physique‹ herausgegeben, das von den Weltleuten stark gelesen ward«. Als Präsident der Berliner Akademie war er der Repräsentant offizieller Gelehrsamkeit, in Friedrichs Kreis. Er ist's knapp achtzehn Jahre, davon die letzten nur ein matter Abglanz seines Einst. Voltaire glaubt eines Tages sich schwer durch ihn beleidigt. Und der Verletzte schwört Rache, und seine Rache trifft so scharf, daß der lächerlich gewordene Maupertius, der den Niedergang seines Sterns nicht mehr verwinden kann, zu kränkeln beginnt, die Eitelkeit in Melancholie umstimmt und im Gram auf einer Reise in Frankreich verstirbt.

Voltaire … »Il est malicieux comme un vieux singe«, meint Herr d'Argens nicht eben höflich. Und ahnt vielleicht, daß dem verabschiedeten Dichter ein Intermezzo à la Frankfurt in absehbarer Nähe droht. Schon die Reise Voltaires nach Sanssouci war halb Verstimmung. Man weiß, daß Friedrich die Verschwendung nicht kannte, indes für den größten der Dichter dürfte im Hofbudget schon einmal generöse Ausnahme gelten. Voltaire soll zwanzigtausend Franken Pension im Jahr erhalten, er wird des Königs Kammerherr sein, wird des Königs beste Orden tragen. Und tausend Louisdors für die Reise. Vor solchen Schätzen bleibt Voltaire nicht ungerührt: er setzt sich hin und fordert abermals tausend Louisdors. Madame Denis, die Nichte, so wenig Liebhabern sie eroberungswürdig dünkt, in der Fremde nicht entbehren. Der König schreibt: »Ich habe mir nicht die Ehre von Madames Gesellschaft erbeten.« Macauley zitiert den Beweis, daß Herr von Voltaire »in einen Anfall kindischer Wut« geriet: auf alle Fälle versucht er den Streik. Und Friedrich bleibt kühl. Er faßt gern alle bei ihren Schwächen und triumphiert dann bald. Er hat den abspenstigen d'Argens mit der Furcht um sein Wohl schnell aus der Provence zurückgelockt, Herrn von Voltaire ergrimmt, verletzt, beleidigt er tötlich, da er Baculard d'Arnaud, Voltaires Protegé den Schreiber empfindsamer Romanmoral und vielgerührter Schauerstücke, dem Meister plötzlich vorzuziehen scheint. Doch Friedrich hilft sich noch mit Versen: d'Arnaud ist jetzt die »aufgehende Sonne«, indes die Leuchte Voltaire verlöscht. Man sorgt dafür auch in Paris, daß der Sänger der »Henriade« die Verse liest. Und jetzt vergißt er ganz die weiteren tausend Louisdor, er läßt die Koffer packen, Madame Denis kann später reisen: 1750 zieht er in Sanssouci ein.

Und das erste Verstimmtsein verblaßt im Entzücken, daß König und Dichter sich täglich jetzt nahe. »Ich habe von meinem Kabinett nur drei Schritte, um bei einem Manne zu sein, der voller Geist, Grazie und Phantasie ist. Ich habe das Vergnügen, ihm bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten nützlich zu sein, und ich gewinne dabei neue Kräfte zu meinen eigenen … Alle meine Stunden sind köstlich hier, und ich habe an meinen Rosen keine Dornen gefunden, kurz, unser Philosophenparadies ist über alle Beschreibung erhaben.« Voltaire berichtet's für Freunde, für die Feinde geschmeichelt nach Paris. Und die Bonmots blitzen auf, die schillernden, witzigen Antithesen, der geistreiche Spott, die Einfälle schwirren, verblüffen, erstaunen: an der Tafel, auf den Spaziergängen im Park mag der König gestehen, daß er zu wenig noch an Voltaire bewundert, daß ihn der Gast niemals enttäuscht. Keine Idee dieses Jahrhunderts bleibt beiden fern, kein Wunder der Kunst, das nicht beide vergleichen. Voltaire, dem hier ein Souverain ohne Rückhalt huldigt, der eitle Voltaire läßt die Kritik, und auch er bewundert und preist und schwärmt, wenn Friedrich ihm neue Verse vorliest. Und eins nur ist der Herr von Voltaire: oft indiskret und nie zufrieden. Die ganze Welt weiß schließlich, daß er diese königlichen Verse korrigiert, natürlich findet die Taktlosigkeit den Weg zu Friedrich zurück. Und schon beginnen die Pariser Stimmungsberichte in leisen Andeutungen: »Die Abendgesellschaften sind entzückend. Der König ist die Seele der Unterhaltung. Aber – ich habe Opern, Komödien, Revuen und Konzerte, meine Studien und meine Bücher. Aber – aber – Berlin ist schön, die Prinzessinnen sind reizend, die Hofdamen sehr hübsch … Aber –« Schon in den ersten Wochen wird dies Aber täglich lauter. Die Uneinigkeit beginnt für uns ergötzlich, dann wird sie schrill. Voltaire verbraucht zuviel Schokolade. Der König befiehlt, ihn knapp zu halten. Der Dichter ist um eine kleine Bosheit nicht verlegen, die überdies in seine Habgier ohne Grenzen paßt: jetzt trägt er heimlich Wachskerzen aus allen Zimmern fort. Dann wird die Bosheit, die Eitelkeit, noch manches andere von Friedrich rasch illustriert: die Affen, die Pfauen setzt er ihm an die Wände seines Salons und die prächtigen Stühle des Dichters zeigen Szenen aus den Tierfabeln von Lafontaine. Voltaire hat spitze Waffen der Entgegnung: »Man sehe einmal, welch eine Menge seiner schmutzigen Wäsche mir der König da zum Waschen geschickt hat!« Er meint des Königs Verse, die er korrigieren soll, und Maupertius überbringt das Wort. Voltaire wenigstens verdächtigt den Rivalen um Friedrichs Gunst, daß er die Keckheit weitergab und er beschließt, sich ausgiebig zu revanchieren. Es ist willkommen, daß Maupertius eine Serie wissenschaftlicher Briefe der Öffentlichkeit überliefert, phantastische Briefe eines Gelehrten, die voll der absurdesten Tollheit sind. Und die »Diatribe des Doktor Akakia« entsteht. Mehr als Friedrich hat keiner über den beißenden Witz gelacht, der in Voltaires Schrift Maupertius' lateinische Stadt, das große Erdloch und die armen Patagonier auf die Nachwelt bringt, die sich das Gehirn müssen aufschneiden lassen, um bessere Möglichkeit zur künftigen Erforschung, zu Seelenanalysen zu bieten. Friedrich lachte über die Satyre ohne Ende: aber er verbot Voltaire den Druck. Vielleicht dachte er weniger daran, den konsternierten Präsidenten zu schonen, als er an die bedrohte Würde seiner jungen Akademie und an sich selbst dachte. Voltaire aber hörte nicht: heimlich wird das Pasquil gedruckt. Jetzt ist des Königs Zorn ohne Maß. Voltaire hat sich vor kurzer Zeit erst um einen guten Teil der königlichen Huld durch einen schmutzigen Handel gebracht, den seine Geldgier mit verbotenen Spekulationen und überdies mit einem geriebenen Juwelenhändler anfing. Die Veröffentlichung der Diatribe soll das letzte Zerwürfnis sein. Voltaire möchte beschwichtigen und sucht nach Ausflüchten. Der Drucker wäre an allem Schuld. Oder der Kopist. »Über Ihre Unverschämtheit erstaune ich. Nach dem, was Sie getan haben und was sonnenklar ist, leugnen Sie hartnäckig, anstatt Ihre Schuld einzugestehen. Bilden Sie sich nicht ein, mir einreden zu können, schwarz sei weiß: man sieht nicht, weil man nicht alles sehen will. Wenn Sie aber die Sache zum Äußersten treiben, werde ich alles drucken lassen, und man wird sehen, daß Sie, wenn Sie Statuen für Ihre Werke verdienen, für Ihr Betragen Ketten verdient hätten. P.S. Der Verleger ist gefragt; er hat alles gestanden.« Die Auflage der in Potsdam gedruckten Bände wird vernichtet. Voltaire steht dabei und sieht zu, wie sie im Kaminfeuer zerflattern. Dem König gelobt er schriftlich »Respekt gegen gelehrte wie politische Würdenträger«, und eine Kopie der Satire schickt er nach Dresden, wo sie – zum Scheine ist der Druckort Leiden – zum zweitenmal veröffentlicht wird. Abermals leugnet Voltaire. Er ist so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. »O, mein Gott, Sire; in dem Zustande, in dem ich mich befinde. Ich schwöre Ihnen bei meinem Leben, auf das ich nicht gern verzichte, daß dies eine schreckliche Verleumdung. Ich beschwöre Sie, alle meine Leute verhören zu lassen. Wie, Sie könnten mich verurteilen, ohne mich vorher gehört zu haben. Ich verlange Gerechtigkeit und Tod.« Aber der Zorn hat Friedrich fast die Überlegung geraubt. Es folgt ein mittelalterlicher Akt: die feierliche Verbrennung des Voltaireschen Buches auf offenem Markt durch Henkershand. Und Voltaire wird der Boden unter den Füßen heiß. Aus Preußen will er schleunigst fort. Er schickt den Kammerherrnschlüssel, den Orden an Friedrich zurück, dazu die Elegie:

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Blatt 4: Babette und D'Argens.

»Je les reçus avec tendresse,
Je vous les rends avec douleur,
C'est ainsi qu'un amant, dans son extrême ardeur,
Rend ce portrait de sa maîtresse …

Noch einmal mildert der Poet an dem Menschen. Die Elegie stimmt Friedrich zu verzeihender Sanftheit: da er sich vielleicht auch des literarischen Hochgerichts heimlich schämt, bittet er herzlich, der Dichter möge bleiben. Aber Voltaire ist leidend, Voltaire ist schwermütig, Voltaire ist totkrank: nur die Bäder von Plombières können Genesung bringen. Im Herbst, verspricht er, wiederzukommen. Mit sechsspänniger Karrosse, die galonnierten Diener auf dem Bock, reist er davon.

Schon in Leipzig läßt sein Leiden nach. Maupertius, der den Verhaßten endlich an der Tafelrunde mißt, begeht die Dummheit, zum Überfluß noch Drohungen auszustoßen. Erneute Attacken des kranken Voltaire. Strauß zitiert den »Steckbrief«, der dem Präsidenten von Leipzig aus an die Perrücke fliegt: »Ein Quidam hat an einen Inwohner von Leipzig einen Brief geschrieben, worin er besagtem Inwohner droht, ihn zu ermorden. Maßen nun Mordanschläge sichtbarlich den Meßprivilegien zuwiderlaufen, so ersucht man jedermänniglich, von besagtem Quidam Nachricht zu geben, falls er sich an den Toren von Leipzig blicken ließe. Derselbe ist ein Philosoph, von zerstreutem Wesen und hastigem Gange, Augen klein und rund, Perrücke desgleichen, Nase platt, Gesicht voll, Gesichtsausdruck schlimm und selbstgefällig; trägt beständig ein Skalpell in der Tasche, um Leute von hoher Statur zu sezieren. Wer Nachrichten von ihm geben kann, erhält tausend Dukaten Belohnung, angewiesen auf die lateinische Stadt, welche besagter Quidam erbauen läßt, oder auf den ersten Kometen von Gold oder Diamant, der notwendig auf die Erde fallen muß, gemäß der Vorherverkündigung des besagten Quidam.« In Frankfurt indes vergeht Voltaire die Heiterkeit. Aus Sanssouci hatte er einen Band von des Königs Gedichten mitgenommen. Vielleicht war's auch wirklich nur Vergeßlichkeit, daß er ihn bei der Abreise nicht zurückerstattete. In Frankfurt geschieht das betrübliche Nachspiel: Voltaire arretiert, Madame Denis, die Nichte, die aus Straßburg ankommt, von der Soldateska durch die Straßen gezerrt. Man behält Voltaires Gepäck zurück, der Gedichtband wird hervorgeholt, überdies eine Summe Geld, um »Unkosten« zu decken. Madame Denis hat Ohnmachten, Voltaire bleibt mehr als vier Wochen Gefangener. Man weiß nicht, wie groß an all den Vorgängen Friedrichs Schuld, man weiß indes, daß Voltaires »Vie privée« sie mit Genugtuung in seinem Sinne berichtet. Und die Gastfahrt schließt so als derbe Farce: Sanssouci hat Voltaire nie wiedergesehen …

Sanssouci bleibt freilich an Gästen nicht arm. Sie kommen auch fortan zur Tafel des Königs. Sie haben nicht das blendende Genie Voltaires, nicht die sprühende Schärfe dieser nie versagenden Dialektik, aber man trifft auch jetzt noch die liebenswürdigen, amüsanten Gesellschafter, trifft noch jetzt die Feingebildeten, die Weltleute und Kavaliere, die von allen Dingen mit Anmut zu reden verstehen, und mitten unter ihnen die Absonderlichen, die Schelme und Originale, die den Kreis um Friedrich so deutlich karrikaturistisch schließen. Aus Friedrich Wilhelms Tagen ist noch das Erbstück Pöllnitz da, Carl Ludwig Baron von Pöllnitz, der Witze mit dem König macht: »Voilá les dindons, Sire«, und in Ergebenheit die Antwort einsteckt: »Voilá le bœuf, Pöllnitz«. Er ist ein weitgereister Herr, hat sich an allen Höfen umgeschaut und von den meisten vieles ausgeplaudert, war dreimal Katholik und zweimal Protestant, nach dem fünften Glauben glaubt er nur mehr an die Kunst. Er wird Theaterdirektor und streitet ab, daß er schon früher literarisch-anzügliche Allüren hatte. Die »Saxe galante« dürfte sich dennoch seiner Autorschaft rühmen können und Georgs I. Gattin Sophie, die Königin von England und Oberst Königsmarks Geliebte hätte ihm sicherlich, wenn ihr Unglück dies gestattet hätte, hinter Schloß und Riegel gesetzt, hätte sie seine »Histoire secrète de la Duchesse d'Hanovre« noch erlebt, zu der er sich gleichfalls nicht bekannte. Drei Bände »Memoires« gab er zu und Friedrich meint, da Pöllnitz ihm das Manuskript überbringt, mit höflich verbrämter Abwehr: »Ou écrivez gravement et mettez plus d'étoffe dans votre ouvrage ou tenez vous en aux anecdotes que vous ornerez par votre style naturel qui est badin et enjoué.« Nicht immer behandelte der König den Baron mit gleicher Höflichkeit. Der Anekdotenerzähler Nikolai berichtet, daß Friedrich oft zur Belustigung aller nachahmte, wie Pöllnitz sprach, welche Gesten er hatte. Alles an Pöllnitz ist von unwiderstehlicher Komik: sein Wandern durch die Welt, durch die er auf Landsknechtsart im Dienst Österreichs, Italiens, Spaniens zieht, seine schnelle Geschicklichkeit, sich überall mit förderlichen Überzeugungen abzufinden, seine stets hochgespannten Erwartungen, die immer Enttäuschungen brachten, zuletzt seine Schulden. Stets von neuem springt der König für ihn ein, der vielleicht so ein wenig begütigen will, daß er Pöllnitz hauptsächlich als Hofnarren nimmt. Die würdigsten Momente im vielbewegten Erdenwallen dieses alten Kavaliers hat Friedrich niemals ernst genommen, selbst schriftlich gibt er ihm das Zeugnis eines Narren mit, als Pöllnitz – aus Finanzrücksichten wieder einmal frischgebackener Katholik – auf die Freite geht und um Abschied aus Friedrichs Dienst ersucht:

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Blatt 5: Barbarina und Cocceji.

»Wir, Friedrich etc., thun kund und zu wissen, daß der Baron von Pöllnitz, aus Berlin gebürtig und so viel Uns bekannt, von ehrlichen Eltern abstammend, Unserm hochseligen Großvater, preiswürdigen Andenkens, als Kammerjunker, der Herzogin von Orleans in eben diesem Charakter, dem König von Spanien als Oberster, dem letztverstorbenen Kaiser als Rittmeister, dem Papste als Kämmerer, dem Herzoge von Braunschweig als Kammerherr, dem Herzoge von Weimar als Fähndrich, Unserm in Gott ruhenden Herrn Vater als Kammerherr und zuletzt uns als Ceremonienmeister bedient, da er sich, von dem Strome der ehrenvollsten Militairbedienungen und der eminentesten Hofchargen, die nach und nach auf seine Person ausgeschüttet worden, ganz überschwemmt gesehen, dadurch der Welt müde geworden und verführt durch das schlechte Beispiel des Kammerherrn Montaulieu, der kurz vor ihm vom Hofe entwichen, bei Uns, nämlich besagter Baron von Pöllnitz, nachgesucht und unterthänigst gebeten hat, ihm zur Aufrechterhaltung seines guten Rufs und Namens, einen ehrlichen Abschied in Gnaden zu ertheilen.

Da Wir nun mit der Berücksichtigung seiner Bitte es nicht für gut finden, seiner guten Aufführung das Zeugnis zu versagen, um das er Uns gebeten hat, angesehen die höchst wichtigen Dienste, welche er Unserm königlichen Hofe durch seine Schwänke geleistet, und die Kurzweile, die er Unserm seligen Herrn Vater in die neun Jahre zu Wege gebracht hat: so nehmen Wir keinen Anstand, zu erklären: daß während der ganzen Zeit, die der Baron rühmlich in Unsern Diensten gestanden, er weder Straßenraub begangen, noch Beutelschneider, noch Giftmischer gewesen ist, daß er weder Jungfrauen geraubt, noch ihnen Gewalt angethan, noch jemandes Ehre an Unserm Hofe gröblich verletzt, sondern sich stets wie ein Galanthomme, und seiner Geburt gemäß betragen und stets von den Gaben, welche ihm der Himmel verliehen, einen honneten Gebrauch gemacht hat, nämlich den Zweck zu erreichen, der bei den Schauspielen zum Grunde liegt und der darin besteht: das Lächerliche der Menschen auf eine lustige und heitere Art darzustellen, um solche dadurch zu bessern.

Desgleichen hat er den Rath des Bacchus im Punkte der Mäßigkeit und Enthaltsamkeit stets sehr treulich befolgt und die christliche Liebe so weit getrieben, daß er sogar die Bauern überwogen hatte, die Vorschrift des Evangeliums: »Geben ist seliger, denn nehmen«, zu befolgen. Er weiß noch ganz genau die Anecdoten von unsern Schlössern und Lustgärten, besonders aber hat er ein vollständiges Verzeichnis Unsers alten Hausgeräths sich ins Gedächtnis geprägt; übrigens verstand er es, sich durch seine Meriten bei denen angenehm und brauchbar zu machen, welche zugleich sein böses Gemüth und gutes Herz kennen gelernt hatten.

Wir geben auch dem besagten Baron das Zeugniß, daß er Uns nie zum Zorne gereizt hat, ausgenommen, wenn er durch seine feige Unverschämtheit (lache importunité) alle Grenzen der Ehrfurcht überschreitend, auf eine unwürdige und unverträgliche Weise die Asche Unsrer glorreichen Vorfahren zu entweihen und zu entehren versuchte.

Da man aber in den schönsten Gegenden unfruchtbare und wüste Stellen findet, da die schönsten Körper ihre Gebrechen und die Gemälde der größten Meister ihre Fehler haben, so wollen Wir auch mehr besagtem Baron seine Fehler und Gebrechen zu gute halten und ertheilen ihm durch Gegenwärtiges, obgleich ungern, den von ihm begehrten Abschied; Wir wollen übrigens das ihm anvertraute Amt gänzlich aufheben und abschaffen, um dadurch das Andenken daran für immer unter den Menschen zu vertilgen, dafür haltend, daß nach besagtem Baron Niemand würdig sei, es weiter zu bekleiden.

Potsdam, den 1. April 1744.

Friedrich.

 

Aber drei Monate später meldet sich Herr von Pöllnitz selbst wieder und zwar als sein eigener Nachfolger. Er will auch gern wieder protestantisch werden, da die Braut in Nürnberg ihm einen Korb bescherte. Der König ist entrüstet, lacht und nimmt ihn auf. »Ein infamer Kerl, dem man nicht trauen muß, divertissant beim Essen, hernach einsperren.« Wäre Pöllnitz nicht maßlos indiskret und bereitete so ab und zu Verlegenheiten, bliebe nur das humoristische Motiv. Man muß ihm verbieten, die Salons der Gesandten zu besuchen, ja, nur in Salons sich zu zeigen, wo Botschafter als Gäste verkehren. Gegen seine Schulden gibt es vielleicht noch einen Ausweg: in Berlin wird öffentlich verkündet, daß jeder ein Darlehen an Pöllnitz mit hundert Dukaten Strafe büßen soll. Aber Friedrich bessert den Alten nicht mehr. An Voltaire im August 1775 ein lapidarer Bericht: »Der alte Pöllnitz ist gestorben, wie er gelebt hat; das heißt: er hat noch am Tage vor seinem Tode einen Gaunerstreich gemacht. Kein Mensch bedauert ihn, außer seine Gläubiger.« Das Original fand an Friedrichs Hof keinen Ersatz. Ein letzter, tragikomischer Begriff bankrotter Romantik sank ins Grab.

Nach dem deutschen Intermezzo wird man in Friedrichs Tafelkreis zu den Ausländern rasch wieder zurückkehren müssen. Briten und Italiener sind da und noch immer Franzosen. Francesco Algarotti, mit dem der König Briefe wechselt, wie mit d'Alembert, mit Voltaire und d'Argens: Algarotti kommt aus Venedig. Schon in Rheinsberg taucht er auf, nachdem er in Paris viel mit Literaten verkehrte, Voltaire fast zum Freunde gewann und der Marquise du Châtelet als Gast mit Ausdauer gehuldigt hatte. Klassische Philologie kann Algarotti ohne Trockenheit treiben, er stutzt Philosophie für den Salon zurecht, zwanzigjährig wird er durch ein Thema über Newton berühmt. Aus Frankreich hat er die Manieren und als Schriftsteller den Stil. Seine Gespräche sind von verbindlicher Leichtigkeit und außer Friedrich II. hört sie in Dresden auch August III. gern, den Friedrich verachtet. Und der Philosoph von Sanssouci macht den Kaufmannssohn Algarotti zum Grafen, aber Nikolai meint, daß Algarotti Friedrich nicht sonderlich liebte und dies dem König zuletzt nicht mehr verborgen blieb. So läßt er den »Cygne de Padoue« wieder scheiden. Der Graf geht nach Venedig zurück, man trifft ihn später in Bologna, 1746 stirbt er zu Pisa. Und kriegt dort von Friedrich ein Denkmal auf dem Camposanto.

Aber man darf die Engländer nicht vergessen. Dem »guten Mylord«, Georg Keith, Lord Marishal und Jakob Keith, dem Bruder, hatten die Wirren der Stuart das Leben bedroht. Sie zogen aus Schottland fort. 1715 entfliehen sie, dann dienen sie in Spanien, dann kämpft Georg unter Frankreichs Fahnen gegen die Schotten, indes sich Jakob Keith in Rußlands Armeen mit Schweden und Türken schlägt. Fast gleichzeitig nimmt sie Friedrich auf. Und beide bleiben wohlgelitten: Lord Marishal weiß oft klugen Rat und Jakob Keith pflegt durch Feinheit des Geistes zu entzücken. Formey muß Jakob, der für Friedrich in den Schlachten bleibt, die Lobrede halten: »Er war neun Sprachen mächtig, verstand schottisch, englisch, französisch, spanisch, russisch, schwedisch, deutsch und lateinisch und las die griechischen Schriftsteller. Er hatte alle großen und kleinen Höfe Europas, von dem des Viciligaten von Avignon bis zur Residenz des Tartar-Chans gesehen, und überall hatte er gefallen. Der General, der Minister, der Hofmann, der Gelehrte waren in einer Person vereinigt, und er verstand es vortrefflich, alle diese verschiedenen Eigenschaften zu repräsentieren. Man hat die hochgebildetsten Leute wie in Extase von einer Unterredung mit ihm zurückkehren sehen, sie wollte ihren Ohren kaum trauen.« Der gute Mylord scheint stiller gewesen zu sein. Sein König sieht ihn als Patriarchen sterben, ein knappes Jahr, bevor er selbst aus Sanssouci scheidet, und rührend ist, wie der greise, schon selbst recht gebrechliche Alte Fritz im Park neben dem Müden im Rollstuhl schreitet, da er seine Unterhaltung nicht entbehren mag. Lord Marishal wird dreiundneunzig alt: dem König hat er »den Glauben an die Tugend« erhalten …

Dann zählt de la Mettrie den Spaßvögeln bei. Man lacht über ihn. Und dort vielleicht am besten, wo er selbst nicht allzuviel zu lachen hatte. Saint-Malo, die kleine Stadt in der Bretagne, die den berühmten Maupertius zeugte, hat aus dem Kaufmannsstand auch ihn geboren, aber man weiß nicht, ob die Soldaten, die zu kurieren er sich lieber entschloß, dies später mehr priesen oder beweinten … Herr de la Mettrie schreibt Bücher, wie alle Welt um diese Zeit, schreibt Philosophien, um derentwillen er verketzert wird und fliehen muß, nach Leyden, wohin d'Argens schon floh. Die gute Laune hat's ihm nicht gestört: »Herr de la Mettrie war mit einer unerschöpflichen Heiterkeit geboren, seine Einbildungskraft war so fruchtbar, daß sie auch in dem trockenen Erdreich der Arzneiwissenschaft Blumen hervorbrachte.« Dennoch war er ein Märtyrer. Man schaffte ihm Verdruß, wenn er in Berlin das Beste von der Tafel des Königs ausplauderte, wie dies nur noch Pöllnitz tat. Und Martyrium vor allem war sein zarter Gaumen, seine raffinierten Soupers, sein früher Tod. Die angeborene Heiterkeit hat Tyreconels Trüffelpastete geknickt. Als er vom Besuche dieses Gesandten Frankreichs heimkehrte und die üble Affaire ahnte, nahm er Bäder und schritt selbst zu einem Aderlaß. Vielleicht hatte er doch noch besser die Soldaten kuriert. In seiner Angst entfährt ihm ein Schmerzschrei: »Jesus Marie« … Über den Atheisten lächelt der Priester am Bett: »Ah! vous voilà enfin retourné à ces noms consolateurs!« Aber der kranke Herr de la Mettrie kehrt sich ab: »Mon Père, ce n'est qu'une façon de parler« … Dann stirbt er.

Und die Tafelrunde lachte zur Trauer.

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