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In Sanssouci schnarren die galonierten Diener. Sie schnarren schon durch die Eingangstür: »In diesem Zimmer, meine Herrschaften, wohnte der große Dichter Voltaire.« Aber sie schnarren vergeblich. Noch einmal taucht, indes die Engländer und Amerikanerinnen, die Ausländer alle und die neugierigen Provinzler sich zu Eintritt und Rundgang um ihren Führer scharen, die Erinnerung dieser Schloßfront auf. Aber die Pläne Knobelsdorffs sind jetzt erledigt. Und man vergißt auch die Zwistigkeiten, die um Unterkellerung, um Grundmauerhöhe und ähnliche Dinge zwischen dem Baron und dem König gingen, verschollen sind die Datenschreiber und Fensterzähler, der gute Boumann und der abgesetzte Dietrich und nur die Melodik der Wände, der Zusammenklang von Dach und Kuppel und Flügel bleibt, der aus der letzten Vollendung quillt. Die Karyatiden halten den First empor, Waldgötter und die Gespielinnen Pans, die über Früchten, über Blumen mühelos ihre Arbeit tun. Sie wachsen aus den schlanken Hermen zur Höhe, die halb als Säulen die Wände teilen, aus den schlanken vierlinigen, prunklosen, im Ansatze schmächtigen Hermen, die unten im Park überall die Cäsaren, die Philosophen, die Dichter, die Mohren tragen. Sparsam umkränzt die niedere Balustrade über den Göttern den Sims, und die Vasen, bunt in den Formen, bald sonderbare Hüte, bald Urnen, bald Amphoren eilen von rechts, von links dieser offenen Kuppel zu, wo die Kinder tändeln. Aus grünem Rasenparterre heben zwei Stufen im Rundlauf das Schloß, heben es unmittelbar mit den hohen Fenstern empor, aus denen die Heimlichkeiten eines Liebhabers verräterisch ins Freie blitzen. Und an das Nischenhalbrund, wo das matte Gelb der Wände verklingt, wo ein junger Bacchus, ein schmächtiger verträumter Römerjüngling lehnt, drängen rasch die Treillagen. Es sind die verspielten Lauben, durch die die vergoldeten Sonnen leuchten, um allerlei Früchte, allerlei Blumen im Nagelwerk zu reifen, die Abirrung einer Zeit kapriziösen Geschmackes, die in keinem Garten des Rokoko fehlt. Man verläßt sie, strebt dem nahen Säulengang zu und wird griechisch gesinnt, griechisch voll französischer Emphase … Und ein Ungetüm guckt plötzlich von rechts herüber, über die Säulen her. Riesige Querbalken durchschwirren die Luft. Eine dunkle Kapuze, doch eckig und spitz, ragt in die Luft. Man sagt, dies wäre die »historische Mühle« drüben am Berghang. In all der Zierlichkeit ringsum wirkt sie wie der Soldatendreispitz des Alten Fritz …
Aber die Amerikanerinnen und die Provinzler haben sich um ihren Führer geschart. Sie haben die Reihenfolge, die Ordnung des Genießens jetzt gefunden, und hinter einem Fenster der Rückfront, so weiß und so spiegelnd wie die andern, die vorn in den Garten grüßen, verkauft ein eifriger Mann noch immer Billetts an Bewunderer Friedrichs des Großen. Und die Zahl wird übergroß, man muß sich sputen: In diesem Zimmer, meine Herrschaften, wohnte der große Dichter Voltaire …
Und er wohnte recht hübsch. Von einem Spiegeltisch blickt die Büste, nach Friedrichs Entwurf gearbeitet, noch immer ganz vergnügt auf das helle Getäfel des Salons, wo die Blumen niederranken, auf das Blumengewinde auf weißer Decke. Sie blickt auf Madame Pompadours kostbare braungoldene Standuhr, die Friedrich dem Dichter in das Zimmer stellte, auf die geschweiften Stühle mit den seither verblaßten und ersetzten Gobelins, auf die Leuchter aus Meißner Blumenporzellan (verblaßte Rosen), auf das Schreibzeug mit wundervoll, wiederum in Porzellan herausgearbeitetem Fuchs: auf vielerlei noch … Nur daß der Blick des Herrn von Voltaire ein wenig scharf und blitzend, vor schlecht verhaltenem Ärger boshaft wird, da er an den Wänden die Affen, die Papageien, die Reiher und Störche trifft. Von einem entzückenden Papierkorb schielen die Affen zu dem Franzosen am Spiegeltisch auf, aus allen Nischen, von allen Ecken grüßen sie, sie wiegen sich in Zweigen, naschen an Trauben, Melonen und Äpfeln, sie hüpfen an die Decke, sie kauern und setzen zu Kapriolen an, und gravitätisch halten dazu die Störche, die Reiher die langen Schnäbel still. Und die Äffchen sind mit drolliger Schärfe geschnitzt, mokant sind die Grimassen, possierlich ist jede Bewegung, allen gibt die braune, dunkle Übermalung des sehr geschickt behandelten Holzes das wahrhaftige Kolorit der Heimat und so erhöhte Täuschungsfähigkeit. Man weiß ja, wie sehr Friedrich all die grotesken Tierchen wärmerer Himmel liebte, die lebenden und die toten, wie gern er sie immer in seiner Nähe wußte. Einer der Sanssoucikenner meint, daß er nicht nur seine Windspiele feierlich zur Gruft bestattete, wenn er sie verlor: die Rasengruft gegenüber den Windspielen birgt unter verwitterten Sandsteinplatten die Kadaver zahmer Affen. Im Schloß erheitern sie nur im Zimmer Voltaires. Im Park trifft man sie am japanischen Teehaus wieder, einmal sogar als perspektivischen Scherz verwendet, – der Affe, der dem sich Nähernden, man mag von welcher Seite immer kommen, ins Gesicht springen möchte.
Die Affen und am Teehaus die musizierenden Chinesen dazu: auch sie hat Friedrich aus Frankreich geholt. Sie beherrschen die Malerspäße des »Grand siècle«, die elegante Dekorationskunst dieses Jahrhunderts, wie sie im siebzehnten schon zu mutwilligerem Scherz, zu gröberer Laune die Niederländer verwendet hatten. Der jüngere Teniers vor allen andern schickt die lustige Gesellschaft nach Frankreich, und ein Mann wie Claude Gillot, den seine »Panneaux décoratifs« berühmt gemacht, Gillot, der in die Ornamentengeometrie der starren, sonnenköniglichen Epoche geschwungene Linien flicht und endlich der Akademie angehört: er nimmt mit hundert willigen Kollegen die muntern niederländischen Affen auf. Man trifft sie an Wandschirmen, an Wänden und Decken. Man verwandelt die Zimmer in zierliche Käfige. Edmond de Goncourt spricht von den Affenzimmern des Herzogs von Aumale, Goncourt ist entzückt und meint, Watteau sei der Meister. Und es ist das sorglose Getändel nur der Heiterkeit zugekehrter Zeit, die an Gewitter nicht denkt, nicht denken will, der großen verbrämten, lässigen Zeit der großen rücksichtslosen Herren und Damen von Frankreich, die manchmal noch der Laszivität vergißt und sich's an der harmloseren Zerstreuung mit ein paar Äffchen, mit krächzenden Papageien, mit allerlei fremdländischem Tier begnügt oder gerade die Kapriolen all des Fremdländischen braucht, weil die Langeweile genießerischen Einerleis erdrückend wird. Es ist die Mode, das Entzücken, das Verspieltsein, das Verwöhntsein, die Überschwänglichkeit der Epoche, die Grimassen kennt, Grimassen zeigt, Grimassen wünscht. Watteau nimmt die Affen auf und gibt ihnen Grazie. Er weiß, daß sie derber in Vlamland sind, woher er kam, und er übersetzt sie ins Französische. Es kommt die Mischung der Komik mit der lachenden Sentimentalität. Die Affen sind Bildhauer, Maler, Doktoren, sie tragen Schlafröcke, Talare und hundert Kostüme, und man sieht sie jetzt an den Ofenschirmen, an den Wänden und Decken in den Zimmern aller Galanten, die ihre Schöne zu entzücken wünschen, schon wenn sie durch die Tür schlüpft. Unzählig sind zuletzt die Nachahmer Watteaus, sie alle wollen Affen malen, wie er; die Affen und die Sinesen. Oben am Dach des Japanischen Hauses zu Sanssouci sitzt solch ein »Sinese«, den diese Richtung gebar. Schräg hält er seinen Sonnenschirm über dem Kopf, kauert und blinzelt in den Himmel. In exotischem Kreis wechseln dann unten noch chinesische Männer und Frauen, in Gruppen zu drei oder vier, manche lehnen an einer Säule, manche hocken am Boden nieder, sie schlürfen Tee an niederen Tischchen, und alle musizieren. Wunderlich sind die Instrumente, die Lauten und die Flöten, wunderlich das Ganze, das Haus mit dem schräg sinkenden Giebel, die Leute mit den spitzen, hohen Tatarenhüten, wunderlich, wenn man in der Dämmerung vorüberschreitet. Diese »Sinesen« (Chinesen) haben freilich das Reich der Mitte nie geschaut. Ihr Haus heißt »japanisch« im Wirrsal abenteuerlicher Begriffe, und sie selbst könnten Tataren, Malayen oder Inder sein. Man malt in Frankreich in all den Tagen die Söhne des Konfuzius mit freier Phantastik: als vages Phantasiebild ostländisch märchenhafter Menschheit. Und vielleicht holt man die Modelle aus Tausend-und-einer-Nacht, vielleicht nur aus den tollen Berichten eines weitgereisten Bramarbas. Selbst Watteau hat kaum ein Vorbild, das ihn die Echtheit der Rasse betrachten hieße. Zur Göttin Ki-Mâ-Sâo läßt er zwei Fromme beten. Französische Anmut hat die Göttin mit Schirm und Wedel, Mönchzüge des Abendlandes hat einer der Beter. Der andere verbirgt recht klug das Antlitz. Besser noch trifft Watteau den Chinesen T'Sao: mongolischer ist die Eintönigkeit der Züge, allzu zierlich dann wieder Gestalt und Haltung. Und flüchtig sind die Plastiken, flüchtig die Schnitzereien, flüchtig sind alle Chinoiserien, die in Frankreich überlegen den Osten bespötteln: auch an Friedrichs Teehaus hat sie nur Mode gestellt.
Aber man stand ja im Zimmer Voltaires … Und noch ein prachtvoller, alter Gobelin, noch ein Blick auf die rote kostbare Carneoluhr, auf den Marmorkamin mit dem reichen Meißner und dann an dem japanischen Lacktischchen vorbei, das Landschaft, Japanerhäuschen und Figuren in goldenen Einlagen auf schwarzem Grunde strahlen läßt, und man geht weiter. Friedrich Wilhelm IV., der fast ein halbes Jahrhundert nach dem großen Fritz im Schloß mit seiner Königin wohnte, hat hier das meiste nach eigenem Geschmack, nach späteren Bedürfnissen geändert. An den Wänden der Zimmerflucht, die bis an den Marmorsaal der Tafelrunde reicht, hängen nur noch Canalettos Venetianer Ansichten, der Dogenpalast, der Canal Grande. Paninis weite und nicht erschütternde Ansicht Roms hängt noch da, Detroy wartet mit seinem geleckten Griechengöttermythos auf, mit einem Apoll, mit Iphigeniens Opfer oder der Geburt der Venus. Knobelsdorff gibt einen Potsdamer Prospekt und halb versteckt zuletzt zwei kleine Bildchen von Pater. Nur die Bilder blieben da. Aber der Toilettentisch der Königin Elisabeth, ihr Bildnis, das irgendwo auf einer Staffelei stehen blieb, ein prunkendes rotes Malachitschreibzeug, verschiedene Vasen, verschiedene Uhren – eine wird im Gedächtnis haften: unten am Fuße des Gehwerkhäuschens eine ruhende Äthiopierin, verführerisch im rosa Porzellan, mit hellem durchsichtig feinem Schleier über dem Antlitz – allerlei Nippes, allerlei Uniformstücke, gar eine Kanonenkugel von den Düppeler Schanzen, dann wieder ein Geschenk des Zaren: all das verwirrt, all das ernüchtert, – die kühle Hoheit von Friedrichs Marmorsaal, der drüben nach des Königs Wohngemächern führt, fängt erst die Stimmung wieder ein.
Es ist der Menzelsaal, der die neun tafelnden Kavaliere um den heiteren König reiht, die neun Kavaliere, die plaudern und scherzen, die Spötter und Haudegen, empfindsame Seelen und Philosophen sind. Sie sitzen auf schweren, geschweiften, vergoldeten, mit Schnitzereien sparsam verzierten Stühlen, vor breiten, bequemen, behaglichen Lehnen, auf den großen, braunen Lederkissen, auf die sie des Gastgebers Laune oft stundenlang ohne Unterlaß bannte. Und an den hohen Marmorwänden muß schimmernd das Licht sich brechen, das schon der blitzende, funkelnde Lüstre aus Kristall in der Höhe zerbrach und das reiche Gold der Merkschen Kuppelstukkatur, das Goldkapitäl von Knobelsdorffs korinthischen Marmorsäulen noch einmal in blendenden Fluten zurückwirft. Das Gelächter schallt über das Blumenmosaik zu Füßen der Gäste. Gaspar Adams Apoll lauscht in der Nische still, und seine Venus Urania lauscht, die vergeblich dabei mit der Bronce des gleichen Karl XII. kokettiert, den Frauenschönheit so sehr entzückte, daß er einst sogar die Gräfin Königsmarck, die schönste der Frauen seiner Tage, ohne sie zu sehen, aus dem Kriegslager schickte, als die Abgesandte glaubte, daß es zu allzu zärtlichen Schmeicheleien kommen würde … Der Alte Fritz hat die Büste des schwedischen Heros dicht an den weißen Leib der Göttin gerückt. Er liebte die witzigen, kecken Beziehungen, die geistreichen Anzüglichkeiten, und ließ auch für sich im Buch der Venus von der Göttin die Stelle mit den Worten aufschlagen:
»Te socium studium scribundis versibus esse –
Quos ego do rerum natura pangere conor …«
Und durch einen kleinen Empfangssalon in das Musikzimmer … Hier sind noch alle Reminiszenzen wahr. Zwischen den hohen Spiegeln, zwischen den hohen geschwungenen Rahmen mit dem verschwenderischen Goldstuckwerk tanzt die Barbarina noch die vier Szenen Pesnes als leichtgeschürzte antike Göttin: Signora Barbara de Campanini, genannt Barbarina, der Star des Balletts, der drüben in der Galerie neben Rubens und Van der Werfft im stickereiübersäten Theaterkleid einmal auch die Tanzpose von Lancrets Camargo kopiert. Sie ist die Dame, die Friedrichs Spott verschont. Sie ist die Dame, deren Grazie er Komplimente ohne Vorbehalt sagt. Man kann über sie ein wenig plaudern. Aus Venedig holt sie 1744 der preußische Resident. In Paris, in London hat Bielfeld sie gesehen und hat Friedrich von ihrem Reiz, ihrer Kunst, von ihrer Schönheit erzählt. Komödie ist dann der Kampf um die Tänzerin, fast Leidenschaft auf Friedrichs Seite, der mit Barbarina selbst ein zartes Verhältnis anknüpft, ein Liebesverhältnis, das doch platonisch bleibt. In Venedig hat sie ihren schottischen Geliebten davongejagt, in Venedig hat sie sich wieder mit ihm versöhnt, und sie bricht den Kontrakt, der sie nach Berlin gehen heißt. Der König verklagt die Tänzerin beim Senat, der Senat meint, Preußen sei etwas weit, er behandelt die Sache etwas flau, – der Alte Fritz läßt Ritter Campellos Gepäck kassieren, der als Gesandter Venedigs nach London soll. Und Vehse, der sächsische Hofhistoriograph, der auch in Preußen die Geheimnisse aller Könige weiß, der brave, versierte Vehse versichert, daß jetzt die erschreckte Republik die Barbarina mit guter Bewachung schickte. Man gibt ihr eine Eskorte durch Österreich mit, man hütet sie sorglich in Sachsen, – Mackenzie, der schottische Liebhaber, der dann Lord Bute, seinen Vetter, aus Rache »mit dem unsterblichen Hasse« gegen Friedrich erfüllt, Mackenzie folgt ihr nach Berlin. Auch Barbarinas Mutter ist da. Beide sind überflüssig: Barbarina ist sehr beschäftigt. Mackenzie geht bald nach London zurück, die Mutter aber will's auch in Berlin nicht hindern, daß die Tochter sich einige Herzen ertanzt. Und sie ertanzt sie gründlich, ertanzt sie unter allerlei Grotesken, die ihr keinesfalls das Vergnügen schmälern. »Bei Hofmaskenbällen hatte der König mit ihr sein Tête-à-tête in ihrem verschlossenen Kabinett und trank mit ihr den Tee … Friedrich schrieb ihr zärtliche Briefe, worin er sie Charmante Barbarina nannte und ihre schönen Augen erhob. Aber die Barbarina hatte noch eine Menge mehr oder minder begünstigte Verehrer, Graf Rothenburg, Graf Algarotti, Ritter Chazot und viele andere Franzosen, Engländer, Italiener, Russen und Polen … Einer ihrer leidenschaftlichsten Verehrer war ihr späterer Gemahl, der Sohn des Großkanzlers Baron von Cocceji; dieser Cocceji war ein baumlanger und fast riesenstarker Mann, von sehr heftigem Temperament. So oft Signora Barbarina tanzte, wußte er sich einen Platz dicht an der Bühne zu verschaffen. Seine Leidenschaft für die schöne Tänzerin ging sehr weit. Einmal, als sie einem neben ihm sitzenden Rivalen, wie er glaubte, freundlichere Blicke als ihm zuwarf, übermannte ihn die Eifersucht dergestalt, daß er den Nachbar plötzlich ergriff, ihn wie ein Kind in die Höhe hob und der Signora auf die Bühne hinabwarf. Der König war in seiner Loge. Er ließ ruhig fortspielen. Am andern Morgen fuhr der alte Großkanzler in höchster Bestürzung zum König. Friedrich begnügte sich, den jungen Brausekopf nach der Festung Glogau zu schicken.« Er schickte ihn als Geheimen Justizrat fort und hörte ohne Groll ein Jahr darauf, daß die Tänzerin Baronin würde. Vier Jahrzehnte lebt sie mit Cocceji. Und der König schwärmt sie weiter an.
Im Musikzimmer hörte ihr Bildnis die besten Adagios des Flötenspielers. Hier ruht das halbvergilbte Notenmanuskript eines Konzerts von Quanz mit dem roten Schildpattpult, dessen Rückseite in glattem Mosaik die gelblichen Elfenbeinrhomboide so minutiös zwischen die eleganten Rhomben von Silber setzt. Und man hat als Reliquie auch das alte, hellfarbige, im Holz sanft abgedämpfte Spinett stehen lassen, an dem vielleicht Quanz oder Benda und Graun, die beiden stets gnädig empfangenen Kapellmeister von des Königs Oper, dem Flötenbläser akkompagnierten. Um die Abendstunden hat Friedrich die Teilnehmer an seinem Konzert in diesen Musiksalon beschieden. Er selbst wies jedem Instrument und Noten zu: man hörte dann Violinen, Bratsche, Violoncell, Fortepiano und Fagott, überdies des Königs Flöte. Sein Spiel scheint im ersten Präludieren nicht immer ganz sicher gewesen zu sein. Der König schloß sich ein, er übte unaufhörlich Läufe und Triller und fing – Lord Malnesbury berichtet's – »doch nie an, ohne Zittern zu blasen: eine so außerordentliche Scheu hatte er, falsch zu spielen«. Dennoch konnte sein Spiel ergreifen: der Zartheit einer Melodie gab er den Ausdruck hingerissener Vollendung. Und man liest, daß er selbst nicht selten Melodien fand. Zu Katte, seinem Vorleser, spricht er einmal von »hundertzwanzig Stücken«, die er in Musik gesetzt: »Ist das nicht ganz anständig für einen armen Musikerkönig? …«
Der Musiksalon hat nicht allzuviel Interieur. Ungebrochen soll jeder Klang verschweben, jede Elegie in schwermütigem Ausklang verhauchen. Aber die Decke hat reicheren Goldschmuck als die früheren Zimmer. Eine riesige Spinne zieht zwei Fliegen ins schimmernde, tötliche Netz. Und Anekdote erklärt den Einfall des Königs: »Als einst nach dem schlesischen Kriege Friedrich, wie gewöhnlich, seine Morgenschokolade zu sich nehmen wollte, hatte sich von der Decke eine große Spinne in dieselbe gelassen; der König goß daher das Getränk für seine beiden Windspiele in einen Napf, aber gleich nach dem Genuß desselben verschieden jene unter allen Symptomen der Vergiftung; als man den Koch zur Rechenschaft ziehen wollte, erschoß er sich, und man sagt, er hätte in österreichischen Diensten gestanden.« Die Uhr mit dem Titusbild, die wiederum Legende mit dem Abschied des Königs rasten läßt, die weiße Marmoruhr, die dann Napoleon nach Sankt Helena mitnahm, will für Friedrichs Tod ein späteres Datum. Übrigens hat die Uhr schon ausgesprochenes Empire. Ob sie wirklich 1786 schon rastete …
Im schweren ledergepolsterten Lehnstuhl, in dem auch der dritte Friedrich ausrang, dicht neben dem Raum, wo die Flöte klang, verstarb der König. Den Lehnstuhl und des Königs Schreibtisch hat man von Friedrichs Eigen auch jetzt im Wohn- und Sterbezimmer geduldet: indes darf Harro Magnussens sterbender Fritz, so scharf dies Antlitz, so leuchtend des Sterbenden sinkende Größe, so ergreifend der Augenblick, so geschickt des Künstlers Technik, ein wenig den Besucher verstimmen, der hier das Leben, diese Kunst zu leben bei dem Philosophen von Sanssouci sucht. Und man hält sich lieber an das Bild von Pesne –, der König, der sechsundfünfzig zählt: noch immer mit blitzenden Augen …
Und man grüßt ihn und schlüpft unter der Tür hindurch … ein Korridor … man öffnet: das Bibliothekzimmer von Sanssouci …
Helles Zederngetäfel umkleidet ein weiches, verborgenes, traumhaftes Rund. Man schließt noch die Tür, die jetzt plötzlich als Bücherschrank das Oval vollendet und ist völlig gefangen in diesem Bijou von Braun und Gold. Hier ein schräges Tischchen, wo man Notizen verzeichnete, vor dem Kamin ein Panneau, wie Gillot ihn entwarf, ein kleiner versteckter, wohliger Diwan, wo die Windspiele, diese verwöhnten Lieblinge, wenn der Philosoph von Sanssouci in seinen Franzosen blättert, still manche Weile warten müssen. Und vom herben Einschlag, von Brandenburgs Herbheit, die Friedrich oft noch im Rokoko hat, ist jetzt die letzte Nüance flüchtig. Rings klingt das Braun wie ein Geigenklang Mozarts, entfesselt ranken und gaukeln und fließen die Blumen, jede Schranklinie, jede Biegung, jede Unterbrechung ist Rhythmus, jede Kante ist Reim. Und sorglos ist alles, verschwiegen und heiter, in zierlicher Ordnung eilen die Bände, wieder Braun und Gold, hinter blinkenden Scheiben zu klaren, gemessenen Symmetrien. Von weißer Decke leuchtet die Sonne. Symbole grüßen: die Wissenschaft, Künste. Vier Köpfe, weiß auf braunen Konsolen, hat später ein hübscher Einfall noch beigefügt: Homer, Aristides, Sokrates, Apollo blicken jetzt auf die achtzehnhundert Bücher und Schriften, die Friedrichs Lektüre im Sommerschloß waren. Franzosen, Franzosen, – kein Deutscher ist da – und Griechen und Römer mit französischem Wort. Und wir halten noch still vor prunklosem Pult, das in all die Harmonie mit seiner Härte kaum mehr paßt, und besinnen uns, daß hier Bonaparte nach Jena stand. »Ich konnte mich eines schwer zu schildernden Gefühls nicht erwehren, als ich die Stufen zum Schlosse Friedrichs erstieg und in Sanssouci alle Räume besichtigte, welche durch den großen König unsterblich geworden sind. Er hatte sieben Jahre dem halben Europa Widerstand geleistet; in vierzehn Tagen ist seine Monarchie vor unseren Adlern in den Staub gesunken. Ich fand in seinem Kabinett ein Pult mit Musikalien und ein anderes, auf dem sich die ›Kriegskunst von Puysegur‹ befand; das Buch war bei dem Kapitel über ›Das Tragen des Degens‹ aufgeschlagen. Es war ohne Zweifel nicht dasjenige, welches Friedrich las. Ich war außerordentlich erstaunt, als ich hier auch den Ringkragen, den Degen, die Schärpe und das große Band seines Ordens fand, welche er während des siebenjährigen Krieges getragen hatte. Dergleichen Trophäen wiegen hundert Fahnen auf.« Und er schickte sie fort nach Paris.