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In den grünen Bosketts, über Terrassen und Hecken, in allen Rondels klingt das Lachen fort. Auch hier will alles nur Heiterkeit. Die rauschenden Haine, die heute im Rund das Parterre umdrängen, fangen die schweifenden Blicke noch nicht, die Fernen gaukeln noch, die Dörfer blinken und der Spiegel der Havel blitzt. »La vue y est charmant« … Auf der obersten Terrasse, dicht vor dem Schloß, steht Herr von Bielfeld und beginnt zu schwärmen. Diese Lauben und Gänge, diese Labyrinthe, die Grotten und die Kabinette: all das darf Herrn von Bielfeld noch entzücken und Lenôtre selbst hätte vertraulicher, feiner den »Lustgarten« nicht zu ersinnen vermocht. Lenôtres Manier ist frei behandelt. Unmerklich und nur fernher sieht man die Hecken hinter Lärchen und Buchen schimmern. Man sieht sie, wie ein Saum zuletzt ein schillerndes Prunkkleid umstreift, ganz leise den Rand der Terrassen umspannen. Im Tal erst trifft man sie Schritt um Schritt. Dann sind sie die künstlichen, schattigen Wände, über die sich die Kronen versteckter Baumstände zu kühlen, schwebenden Hallen wölben, dann sind sie die Nischen, Durchblicke und Tore, durch die die Vasen, die Nymphen, die Gruppen und Statuen leuchten. Und sorgsam sind alle Wege gestutzt, die oft der breiten Allee entschlüpften, der Allee zwischen Obelisk im Osten und dem »Neuen Palais«, die völlig den Park durchquert. Sie führt an den stummen Fontainen vorbei, an den Rondels und den Sternen, wo neue Wege in achtfachem Strahl in neue, vergessene Winkel führen. Und sie verlieren die strengen, starrlinigen Rhythmen, sie werden mutwillig und beginnen sich plötzlich zu schlängeln, oft geht man im Bogen, oft wird es Zickzack: die grünen Kabinette, die Salons im Freien, die Rondeaus, die hier die Laune verbarg, gestatten die artigsten Träumereien …
Um den Springbrunn standen die rauschenden Haine noch nicht. Man hat in allen drei Hauptteilen von Friedrichs Park französischer Zierkunst geschmeichelt: im Lustgarten, wo alle Statuen vor den gestützten Pyramiden aus dunklem Taxus standen und auch die Terrassen den Taxus zur Höhe trugen, im runden Parkteil um das Neue Palais, wo die Laubwand antike Plastik belebte oder die Hecken ein grünes Theater erbauten und im Rehgarten selbst, wo erst die Heckentore bald da, bald dort an hoch gesäumtem Weg gestatteten, in Wald und völlige Freiheit zu eilen. Aber der Rehgarten beweist auch schon allein, daß Friedrich die Art Lenôtres nur mit Beschränkung aufnahm. Er liebt die freien, sonnglänzenden Rasen, die vor dem Anstieg der Terrassen das Blumenparterre mit dem Springbrunn umkränzen, er liebt das Waldidyll dämmernder Lichtungen, die die Formen nicht zirkeln, und überdies – selbst wenn das Spiel der murmelnden, plätschernden, sprühenden Brunnen glückte – die langsamen, spiegelnden, versponnenen Wasser, die ohne Zwang, kaum merklich, an grünen Ufern, unter hängenden Weiden, an Wiesen vorbei durch die Landschaft gleiten. Im Rehgarten, den rings die hohen Hecken umstellen, wird der Stil nicht bekämpft, den die Natur ersann, und man horcht ganz gern auch nach England hinüber, wo die Gartenkünstler die Architektur der grünen Schnörkel, Lenôtres Schüler und Lenôtre selbst verschmähen. Gutmütig hat der alte Nikolai uns eine Stimmung hinterlassen: »Nun gehet der sogenannte Reh- oder Fasanengarten an: ein Wald, der nur durch die Kunst etwas gelüftet und geordnet ist und eine Menge Fasanen enthält. Durch diesen angenehmen Park, der voll vortrefflicher Partien ist, läuft erstlich der oft genannte Hauptgang gerade aus, und dann links und rechts sehr geschlängelte Gänge, die sich durch Wälder von den schönsten Bäumen winden, oft unerwartet zu großen und reizenden Anlagen bringen und hin und wieder vortreffliche Aussichten auf Wiesen, Wasser, Hügel und andere Anlagen gewähren.« Und überall in Park und Garten von Sanssouci hat Friedrich mehr das Anschmiegen an frische Natürlichkeit erleichtert: die letzten Tollheiten französischer Rokokogärtner bleiben verbannt. Das grüne Heckenquadrat vor der Bildergalerie darf spielerisch sein. Vor den prunkvollen Meißner Vasen, vor den vergoldeten Vasen aus Blei, über denen die Orangezweige schatten, flimmern im Halbrund die Glaskorallen bunter Arabeskenbeete. Es sind die »Luststücke« dieses holländischen Gartens. Und wer den Absonderlichkeiten entthronten Geschmackes gern nachgeht, mag in verwunderter Betrachtung eine Weile auch heute noch vor dem Mosaik farbiger Scherben und Muscheln verbringen, die die niedere Terrassentreppe in sorgfältig gesäumten Feldern birgt. Aber dann wird das Heckenquadrat gegen den Park zu rasch abgegrenzt. Die Marmorwand ist kühl und ernst, die das holländische Stück nach außen versteckt, nur ihr First mahnt wieder an Heiterkeit. Über der strengen Ruhe des ungeschmückten, roten, schlesischen Marmors, oben am Mauerrand tanzen und ringen, balgen und necken sich die kleinen, dicken, possierlichen Putten von Schneck, zwischen allerlei Vasen immer ein Paar, dicke Putten, wie sie Rubens malt, kecke, lachende, sorglose Schelme, die man bei den Sphinxen schon traf, die über Friedrichs Kuppeldach gaukeln, die überall zwischen Göttern und Göttinnen, zwischen Heroen und Philosophen das Parkland bevölkern.
Die Götter und Göttinnen im Parkland, der Reichtum an Plastiken in Sanssouci hat nicht die Kostbarkeit der Marmorschätze von Versailles. Man hat für Ludwig XIV. sicherlich kritischer, hat auch mit unbedenklicheren Mitteln gesucht: die Beweglichkeit der Wahl, der Reflex von des Sammlers Persönlichkeit, dem nicht immer eine Absicht gelang, gewinnt doch für Sanssouci. An der Glockenfontäne kann man den alten Vertumnus, der den Reigen der Jahreszeiten nicht eben mit Leichtigkeit kündet, kann man Proserpinas Raub durch Pluto, den Raub der Helena durch Paris, auch die derbe Ariadne vergessen, die ein schwerfälliger Bacchus entführt, diese ganze gutmütige, ein wenig plumpe Göttergesellschaft, die ein Stückchen am Wege weiter auch das mythologische Entführungsquartett Ebenhechts an Formreiz nicht überholt. Aber man wird ganz gern einen Augenblick schon unter dem Baumrund an der Froschfontäne verweilen wollen, wo ein flötenblasender Knabe seine Schalmei mit stiller Verträumtheit in den Abend schickt, und sich vor Papenhovens weißer Venus der Verse Ewalds von Kleist besinnen, deren Überschwang nur freilich die Nachwelt abdämpft:
Bezaubernd Bild, des Meisters Meisterstück.
Ach! Schlüge Deine Brust! Ach! Wär Dein Auge helle!
Ein jeder, der Dich sieht, wünscht Dir Elisens Glück
Und sich an Amors Stelle! …
Vor der Bildergalerie haben die Plastiker, die der König wählt, die reichste Arbeit verrichtet. Nicht die wertvollste Arbeit: Benkert und Heymüller, Girola und Cocci schaffen pflichtgetreu voll sauberen Anstandes mit dem überkommenen, symbolischen Apparat ihrer Zeit. Von den Kragsteinen der Galeriefenster blicken Jenners phantastisch-unbedrückt ersonnenen Künstlerköpfe, blickt eine ganze Kunstgeschichte, mit Anton van Dyk, mit Rubens und Michelangelo, mit einigen anderen flüchtig aufgeblättert, auf die achtzehn Statuen nieder, die die vier vor die breite, prunklose Front gestellt. Benkert ergrübelt die Bildhauerkunst, einen schlanken Jüngling, auf dessen Werk ein modellierter Frauenkopf deutet. Er ergrübelt auch noch die Kupferstecherei, die Geographie mit Globus und Zirkel, indes sein Gefährte Heymüller Bücher und Eulen aus Sandstein holt, um den Geist des »Studiums« zu rufen. Weit feiner in der Wahl der Themen sind Girola und Cocci, die nach plastischem Ausdruck für überraschendere Begriffe suchen: zwischen »Naturwahrheit« und »Nachahmung« hat Coccis »Künstlertorheit« milde Ironie. Und man muß jetzt kreuz und quer nach Plastiken den ganzen Park durchstreifen. Irgendwo taucht noch einmal eine Reminiszenz an Knobelsdorff auf: auch der Entwurf der Grotte Neptuns ist von ihm, wo Benkerts Wassergott den Dreizack mit Wichtigkeit führt und Heymüllers Nymphen die Kaskaden mit Verführerneigung plätschern lassen. Und man kommt an einem Faun vorbei, dessen Lüsternheit so harmlos dünkt, daß er keine Unschuld schrecken könnte, ganz abgesehen davon, daß Gaspar Adam den Schelm in Fesseln an seine Brücke setzte, und darf dann bald darauf ein wenig sich in Sentiments ergehen, wenn am Wegrand eine Marmorgruppe Caude de Cocks von »Mütterlicher Liebe« berichtet. Erträglicher noch ist die versüßte Plastik Gaspar Adams, wenn er oben vor dem Schloß Kleopatra auf dem Marmorlager sterben heißt, an zierlicher Schlange und mit emphatischem Seufzer, oder eine tändelnde, ruhende Flora drüben am anderen Terrassenrand zeigt, wo der Alte Fritz seine Windspiele begrub, Flora mit Amor im Boudoirgeschmack. Oben vor dem Schlosse, hinter Flora und der Ägypterin im Halbrund, werden lebhafter die Köpfe, die Büsten und Hermen gefallen: die Stücke aus der Sammlung Kardinals Polignac. Früh ist die Sammlung in Friedrichs Besitz gelangt. An Voltaire im Oktober 1742: »Ich erwarte täglich die Ankunft der schönen Polignacschen Antiken.
Die Polignac, der hochgelahrte,
In Rom einst weggekapert,
Und die wir zu der Welt Erstaunen
Paris nun abgeluchset.«
Und dann im November mit den üblichen Komplimenten für Voltaire: »Die Polignacsche Antikensammlung ist wohlbehalten angelangt, ohne daß an den Statuen das Geringste zerbrochen ist.
Wozu so kostbar hierher führen
Getrümmer von dem alten Rom,
Den Marmor und antiken Stein?
Wozu sie holen, jene Bilder
Virgils, Horazens und Homers?
Ihr Geist und ihre schönen Gaben,
Mehr wert als ihres Antlitz' Züge,
Sind alle in Voltaire vereint.
Der apostolische Kardinal, welcher sie besitzen konnte, hatte also sehr unrecht, die Büsten zu sammeln; aber ich, der ich diese Ehre nicht habe, bedarf ihrer Schriften in meiner Bibliothek und dieser Antiken in meiner Galerie.« Aber man begegnet den Antiken im ganzen Park. Sie sind eine Reihe nachdenklicher Akademiker. Sie sind Cäsar und Vespasian. Sie sind die prahlerischen, tollen Tyrannen Roms und ihre Kourtisanen. Julia Mammaea kann ein Kunststück: sie nimmt den Haarputz ab und bleibt doch Julia. Aus weißen Marmorburnussen ragen braune Mohrenköpfe. Man trifft sie an den Lehnen einsamer Bänke, oft unvermutet an abgelegenen, stillen Wegen, an Ballustraden, im Bildersaal und vor den Gemälden der Galerie. Und im Rasenparterre vor der untersten Terrasse das kostbarste Stück: Jordanzios Porphyrbüste Paolo Giordanos, des Herzogs von Bracciano. Ein Kopf voll skrupelloser Sinnlichkeit. Voll wirbelt der Schnurrbart über der Fliege empor. Fast Henry IV. Und Venedigs Genießertum, Venedigs Selbstbewußtsein hebt den Blick. Der Herzog kann galant sein und lieben ohne Rücksicht. Er hieß Paolo Giordano und war ein Condottiere. Vor Venedigs Feinden. Bei allen Frauen.
Aber Braccianos Abenteuertum verblaßt. Man hat den Knebelbart, die venetianische Republik, Kardinal Polignac und die besungene Sammlung vergessen, da man das Rondel der Musen betritt. Niemand wird auch nur eine der acht Schwestern Glumes, die Urania verbannen, mit Polignacs Antiken ernsthaft vergleichen wollen. Aber wunderlich ist die Stimmung, die sie alle umfängt. Es sind nicht die hellenischen Töchter Apolls. Feierlich hat sie Glume hier aufgestellt, weiß leuchtet der karrarische Marmor, und sie alle haben große Gesten und Pomp der Haltung, ein heroisches Pathos unbeweglicher Masken. Verlassen und schweigsam ruht das Rondel. Die Flöte und die Lyra Euterpes ist stumm, das zierliche Tamburin klingt nicht, das Terpsichore mit versteinerter Grazie hält, und Thalias Kastagnetten schlagen nicht, aber sie alle spielen doch heimlich eine Szene. Heimlich hebt ein gleicher Rhythmus die schlanken Beine zu gemessenem Schritt, ein gleicher Rhythmus stimmt die Falten loser Gewänder, das Heben der Arme, das Neigen der Häupter ab, stimmt die Wirkung der Gruppe zu vollem Tableau. Und es ist die Vorstellung der Künste, ihre Allegorie mit dem Prunk der Gebärden, gespielt auf dem französischen Theater. So sah sie schon der Sonnenkönig. Sie wiederholt in Sanssouci noch einmal ihre Gloriole.
Um den großen Springbrunnen haben die weißen Marmorstatuen vom französischen Theater nicht viel. Aber die französischen Attribute wird man auch hier nicht entlassen dürfen. Überdies ist's der Kreis der Brüder Adam. Eine Verwechslung hat Friedrich vielleicht bedauert. »Der König irrete sich zuweilen in der Person der Leute, welche er verschrieb oder zu einem gewissen Zwecke brauchen wollte; zuweilen bekam er auch den rechten Namen, aber nicht die rechte Person. Er wollte den berühmten Pariser Bildhauer Lambert Sigisbert Adam haben, und bekam seinen Bruder Kaspar Balthasar, der ein guter Künstler war, aber bey weitem so gut nicht wie sein Bruder.« Und mühelos wird man unterscheiden, was Sigisbert Adam, was sein Bruder Gaspar schuf. Eine Athene erstaunt, die den Kampf mit Mars aufnimmt, Athene, die einen Grenzstein schleudert, mehr Amazone als Göttin, mehr Jungfrau von Orleans als Tochter des Zeus, kühn in der biegsamen Schlankheit des Körpers, kühn in der Kampfhitze des zarten Gesichtes: Athene aus den Büchern französischer Epik, Athene, die mit Waffen, Enthusiasmus und Anmut siegt. Mars wehrt sich, den Wolf an der Seite, mit Schwert und Speer: auch Mars sprang aus dem Epos. Und die feine Ziselierung, dies gründliche Herausarbeiten aller Details, ein Schwertgriff, ein Gürtel, ein Helm, Sandalen fallen auf. Die Sorgfalt im Kleinen trifft man bei beiden Adam, auch bei Gaspar, dem »nicht so guten Künstler«, der die glänzenden, überraschenden Linien des Körpers, die Einfälle des Körperlichen nicht gleich dem Bruder verschwendet. Aber voll peinlichster Genauigkeit knüpft der eine die Maschen von Netzen, wenn er fischende Nymphen bildet, die Hummern und Krebse, das merkwürdigste Seezeug zappelt darin mit ergötzlicher Buntheit, mit ergötzlicher Echtheit und dann wieder schmückt der andere Adam die Werkstatt des Hephaestos mit klaren Symbolen, formt mit wichtigem Eifer bald Dianas Schwamm, einen Pflug, Erdfrüchte, einen Pfauenfuß, bald Blattwerk, bald Faltenwürfe, bald Knöpfe. Was beide symbolisch oder in strenger Mythologie um das Becken der großen Fontäne stellen: die vier Elemente, ein Jupiter, ein Apoll, allerlei Göttinnen. In ihrer Mitte schnallt auch ein Merkur den Flügelschuh fest, und eine schimmernde Venus blickt schnäbelnden Tauben zu. Merkur und Venus bescherte hier Pigalle, aber man wird die süß abgetönte, milde Harmonie der Leiber, den sanften Klang der Linien an den Kopien nur halb bewundern können. Aber stünden auch heute noch die Originale da: vielleicht sähe man dennoch an dieser Venus Pigalles vorbei, sähe stets von neuem entzückt zu anderen, nahen Göttinnen hinüber, zu den leichten Symbolen der Luft, des Wassers, der bezauberndsten, neckendsten Elemente, die nicht aus dem Mythos stiegen. Denn an ihnen ist nichts mehr klassisches Altertum. Keck sitzen die Köpfe auf den nackten, leuchtenden, zärtlichen Schultern, und man zeigt die weißen, schlanken, verführerischen Beine mit koketter, heiterer, wissender Wirkung. Leicht flattern im Winde die bauschenden Röckchen, mutwillig das Lächeln, das Schmachten, das Werben, das Spotten, Gewähren. Und die Göttinnen der Luft, des Wassers sind verliebt und galant, wie die Zeit ihrer Schöpfung. Alles ist Laune mit Leichtigkeit, kapriziöse Verwöhntheit. Vielleicht sind es die vergnügtesten Damen von Paris. Diese kleinen Maitressen des Rokoko …