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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Das Publikum als Richter

An einem sonnigen Maimorgen verkündeten die gelben Zettel am Eingange des Colisée-Theaters (und gleichzeitig einige fünfzig mehr oder weniger einflußreiche Zeitungen) die Aufführung eines neuen, höchst interessanten Dramas unter dem Titel: »Liebe und Freundschaft.« Verschiedene Zeitungen hatten schon vorher ihre Leser auf dieses Ereignis hingewiesen und dabei das Talent und die Geschicklichkeit des Verfassers um so mehr gepriesen, als der junge Claud Gervis kein Franzose, sondern ein Engländer sei und dennoch die französische Sprache wie Emilie Augier zu handhaben verstehe. Sie hatten mehr oder minder pikante Auszüge aus der Handlung des Stückes verraten, hatten die kostbaren Toiletten eingehend beschrieben, die sich Frau Toméry, der die Hauptrolle zufiel, für diese Gelegenheit bestellt hatte, hatten kurzum alles gethan, um von vornherein den Boden für die Aufführung günstig zu gestalten. Poinsot war es, der die Feuilleton-Redakteure aller Blätter, zu denen er in freundschaftlicher Beziehung stand, zu diesem Liebesdienst gewonnen hatte. Und alle hatten sich bereitwillig gezeigt – da Poinsot ihnen fest versichert hatte, daß eintretenden Falles auch er bereit sein werde, die Schützlinge seiner Kollegen in derselben Weise zu begünstigen. So war es denn auf natürliche Weise gekommen, daß man sich in weitern Kreisen für das Stück weit mehr interessierte, als dies Dramen von unbekannten Verfassern im allgemeinen passiert. Der Umstand, daß ein französisches Stück, ein Stück, welches zur Aufführung im Colisée-Theater angenommen war, von einem Engländer herrührte, hatte auch nicht wenig dazu beigetragen, daß man der Aufführung neugierig entgegenkam und daß am Abend, als Clauds Drama die Feuerprobe bestehen sollte, das geräumige Haus bis auf den letzten Platz ausverkauft war, daß »tout Paris« sich hingedrängt hatte, um ein Billet zu bekommen. Alle freuten sich auf die Aufführung – nur der Verfasser selbst sah ihr mit Furcht und Zagen entgegen. Die Wochen, welche zwischen der Annahme seines Werkes und der Aufführung verflossen waren, bildeten für ihn nichts anderes, als eine fortgesetzte Tortur. Erlöst von der Arbeit des Schaffens, die monatelang seine Zeit und seine Gedanken völlig in Anspruch genommen hatte, gab er in dieser Zwischenzeit sich abwechselnd goldenen Hoffnungsträumen und schwarzen Verzweiflungsanfällen hin und kämpfte alle Phasen des »Langen und Bangen in schwebender Pein« bis zum Ende durch. Es war ja wahr; sein Stück war von den Gästen der Prinzessin begeistert aufgenommen worden, und dieses Zeugnis der Teilnahme hatte Clauds Mut tagelang aufrecht erhalten. Aber ein Gespräch mit dem Theaterdirektor Leroux riß ihn bald wieder aus allen Himmeln.

»Vergessen Sie nicht, Herr Gervis,« hatte ihm der kluge Fachmann gesagt, »daß weder ich, noch Sie selbst, noch unser gemeinschaftlicher Freund Poinsot, noch die Prinzessin und ihre Gäste das Urteil über Ihr Stück fällen werden. Das Publikum allein spricht das Urteil, und ich, der ich diesem häßlichen, vielköpfigen Tiere fünfundzwanzig Jahre gedient habe, ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß das Publikum eine unberechenbare Bestie ist. Ich habe gesehen, wie es Werke vom höchsten Verdienst in die Rumpelkammer warf, ich habe auch erlebt, wie es frenetisch Beifall klatschte bei Stücken, von denen ich mich eigentlich schämte, daß ich sie für meine Bühne angenommen hatte. Was mich betrifft, so denke ich günstig über das Erzeugnis Ihres Geistes und ich habe Ihnen dies dadurch gezeigt, daß ich Ihr Stück annahm. Trotzdem möchte ich mich nicht für den Erfolg verbürgen. Seien Sie deshalb nicht zu froh, wenn man Ihrem Stücke Beifall klatscht, fühlen Sie sich auch nicht entmutigt, wenn man es auszischt. Alles kommt darauf an, wie das Publikum am Abend der Aufführung gelaunt ist!«

Diese Worte zitterten wieder und wieder in Clauds Ohren und nahmen allen beifälligen Aeußerungen, die er in der Zwischenzeit erhielt, einen großen Teil ihres Zaubers weg. Es kamen Tage für unseren jungen Schriftsteller, an denen es ihm einen körperlichen Schmerz verursachte, auch nur den Titel seines Stückes zu hören, Tage, an denen er wie ein Verzweifelter durch die Straßen rannte, und mehr als einmal den Theaterdirektor flehentlich beschwor, er möge ihm das Stück wieder zurückgeben. Leroux lachte ihn aus und wies ihm schließlich in halb wirklichem, halb gemachtem Zorn ernstlich die Thür mit dem Rate, er möge sich vor der Aufführung nicht mehr auf dem Theaterbureau sehen lassen. Dann kamen auch wieder Tage, in denen sein Herz einer gewissen Hoffnung auf Erfolg zugänglicher war, und als schließlich Frau Toméry, die Vertreterin der Hauptrolle, verschiedene Aenderungen in der Ausdrucksweise ihrer Heldin von ihm verlangte, da gab's für ihn neue Arbeit und damit auch das beste Gegengift für seine trostlosen Gedanken.

So kam denn endlich der ereignisvolle Abend heran. Claud stand an einer Ecke der zum Theater führenden Straße und schaute mit laut klopfendem Herzen den dichten Reihen lebhaft redender Menschen zu, die sich um die Pforten des Kunsttempels drängten. Wie im Traum sah er einen Wagen nach dem anderen vorfahren, sah, wie die galonierten Diener ihre Herrschaften, Herren im Gesellschaftsanzuge und Damen in prächtiger Toilette, zu den teppichbelegten Stufen geleiteten, sah, wie das Gas die Fenster des umfangreichen Raumes erhellte und fand dann endlich auch so viel Mut, sich selbst der Thüre zu nähern und sich in die Loge zu begeben, in der die Prinzessin, Genoveva, Nina und Fräulein Potts bereits Platz genommen hatten. Der Dichter drückte sich in den tiefsten Hintergrund seiner Loge und warf einen ängstlichen Blick auf das von dem Parkett bis zu den Galerieen dicht gedrängte Haus: auf die Damen der Aristokratie im ersten Rang, deren Diamanten in dem blendenden Lichtschein glitzerten und flimmerten; auf die Kritiker, deren scharf geschnittene Köpfe er im Parkett rechts und links bemerkte und die er sich im Geiste schon vorstellte, wie sie zu später Abendstunde auf ihrem Redaktionszimmer mit Gift und Galle über ihn herfallen würden; auf die Angehörigen der Jeunesse dorée, geschniegelt wie es sich gehört; auf die Angehörigen der verschiedenen Botschaften, die lachend und scherzend untereinander plauderten, als ob es heute gar keine Staatsgeheimnisse mehr gäbe, sondern nur noch der Inhalt von »Liebe und Freundschaft« in diplomatischen Zirkeln zur Erörterung gelangen könnte. Und als unser Claud so das gefüllte Haus betrachtete, da schien es ihm, daß er nicht, wie Leroux gesagt, auf ein vielköpfiges, gräßliches Tier schaute, sondern auf ein Heer von wilden, bitteren Feinden, deren Beifall erst durch einen förmlichen Krieg gewonnen werden könnte, in deren Gegenwart ihm seine eigene Kühnheit und seine eigene Schwäche vollständig klar wurden. Was war es für alle diese gleichgültigen Fremden, die nur ins Theater gekommen waren, um sich zu amüsieren, und von denen einige vielleicht schon die Phrasen im Kopfe hatten, mit denen sie denselben Abend das neue Werk in sein Nichts zurückzuschleudern gedachten, was war es für alle die, das Werk, an dem Claud die langen Winternächte hindurch gesessen; was lag ihnen, den gleichgültigen Zuschauern daran, daß die Zukunft zweier Menschenleben an ihrer Entscheidung hing? Clauds erhitzter Phantasie kam allmählich das gut gelaunte, heiter plaudernde und freundlich lachende Publikum wie ein grausamer, menschenverschlingender Drache vor, gegen den er, der arme Zwerg, jetzt in mehreren Akten kämpfen mußte, mit keiner anderen Waffe in der Hand, als seine Feder. Aus dieser traurigen Betrachtung entriß ihn plötzlich die freundliche Begrüßung Poinsots, der von seinem Platz im Parkett in die Loge gekommen war, um den Dichter zu begrüßen und ihm Mut zu machen.

»Ach mein verehrter Gönner, wäre doch nur alles vorbei! was bin ich unglücklich!«

»Ja, Sie sind in der That zu bedauern,« sagte der große Mann. »Es ist wirklich furchtbar traurig, daß ganz Paris gekommen ist, um Ihr erstes Stück zu hören, daß das ganze Haus ausverkauft ist. Nehmen Sie mir es nicht übel, aber Sie sind ein ganz thörichter junger Mensch! Sehen Sie nicht ein, daß Sie am schönsten Augenblick Ihres ganzen Lebens angekommen sind? Wann werden Sie wieder diesen psychologisch interessanten Moment des nervösen Zitterns erleben, unter dem Sie jetzt beben? Wann wird die berauschende Wirkung, die sich gleich einstellen wird, wenn die ersten Hände zusammenklatschen, wieder über Sie kommen? Glauben Sie nicht, daß man mit der Zeit an den Beifall des Publikums sich ebenso schnell gewöhnt, als an andere Dinge?«

»Ach lieber Poinsot, Sie haben leicht gut reden, Sie sind ein berühmter Autor!«

»Und Sie sind auf dem Punkte, es zu werden. Ich würde mich glücklich schätzen, lieber Freund, Ihren Platz heute einnehmen zu können.«

Claud faßte etwas Mut. Er schaute auf die Uhr. Die Zeit schien ihm stillzustehen: noch fehlten einige Minuten an acht Uhr.

»Wo ist Glymno hingekommen?« fragte Genoveva in diesem Augenblick.

»Er ist ausgerissen,« antwortete die Prinzessin, »wahrscheinlich treibt er sich hinter der Scene umher. Aber was sind das für Leute dort in der Parkettloge, uns gerade gegenüber? Herr Poinsot, Sie kennen ja alle Welt, sagen Sie mir doch, wer ist das?«

»Landsleute von Ihnen, Prinzessin: General Karakow und Frau,« antwortete der große Kritiker. »Sind Sie ihm niemals begegnet? Er ist der hartnäckigste Spieler in ganz Europa.«

»Nein, ich habe ihn noch nie gesehen; es interessiert mich aber sehr, daß er spielt, bringen Sie ihn doch einen Abend zu uns.«

In diesem Augenblick ertönten die drei dumpfen Schläge, die in den französischen Theatern den Anfang verkündigen. Das Plaudern verstummte, ein allgemeines Stillschweigen legte sich über die auserlesene Versammlung. Man hörte Stühle zurechtrücken, eine Reihe von Operngläsern erhob sich und der Vorhang ging in die Höhe.

Im ersten Akte von »Liebe und Freundschaft« zeigte sich kein Erfolg, der für das Endschicksal des Stückes von Vorbedeutung hätte sein können. In der That war auch der erste Akt nicht viel mehr als ein Vorspiel, das die eigentliche Handlung noch im ungewissen Lichte ließ. Die Exposition fand eine wohlwollende, wenn auch nicht gerade warme Aufnahme, und das war alles, was man vernünftigerweise hatte erwarten dürfen. Der Beifall, der sich an einzelnen Stellen erhob, kam, das war nicht zu verkennen, von der Claque und fand keinen Wiederhall in den anderen Teilen des Theaters. Aber die Zuhörerschaft war aufmerksam und allem Anscheine nach nicht enttäuscht. Claud, der bei den ersten Worten, die auf der Bühne gesprochen wurden, von nervösem Zittern befallen worden war, erholte sich allmählich wieder und fand selbst Fassung genug, um die Aufnahme zu beobachten, die sein Stück bei den Nächstsitzenden fand: er erkannte mit Vergnügen, daß diese keine mißfällige war. Mit klopfendem Herzen beobachtete er die gefürchteten Theater-Recensenten und glaubte zu seiner Freude wahrzunehmen, daß einzelne derselben verschiedene Male nickten.

Im Zwischenakte kam der Theaterdirektor in die Loge und ließ sich den Damen vorstellen, die ihn so huldvoll aufnahmen, und deren Blicke solche zuversichtliche Hoffnung verrieten, daß er sich bewogen fühlte, ein paar dämpfende Worte an sie zu richten.

»Ich habe das meinige gethan, meine Damen,« sagte er, »der Rest liegt in den Händen Fortunas und des Publikums, alles, was ich sagen kann, ist, daß wir weder Mühe noch Kosten gescheut haben. Wie Sie sehen, ist es uns auch gelungen, ein volles Haus zu machen; immerhin schon ein großer Erfolg, und was den jetzt verflossenen ersten Akt betrifft, so bin ich vollständig zufrieden.« Der Theaterdirektor war eine Idee weniger schwarzseherisch, als sonst. Verschiedene Kritiker hatten des Verfassers Stil und Auffassung gelobt und so sah denn alles mit Zuversicht dem Beginn des zweiten Aufzuges entgegen.

Im zweiten Akt betrat Frau Toméry die Bühne und wurde mit dem lebhaften Beifall begrüßt, den die beliebte Schauspielerin gewöhnt ist. Sie sah wunderbar aus in ihrem neuen herrlichen Kostüm und spielte ihre Rolle vortrefflich. Eine vollständige Veränderung kam über das Haus während der langen und packenden Scene, in der sie aufzutreten hatte. Bei verschiedenen Stellen hörte man das Murmeln der Befriedigung, bei einzelnen Stellen wurde laut und lebhaft geklatscht.

»Sehen Sie, mein Freund,« sagte Poinsot zu Claud, »sie wachen auf, sie beginnen in Ihnen einen aufgehenden Stern zu sehen.«

»Nein,« entgegnete prosaisch der Theaterdirektor, »es ist nur das Kostüm.« Und in der That, Frau Tomérys neue Toilette (welche von ihr zu diesem Zweck besonders gewählt worden war, weil sie die Absicht hatte, eine neue Sommermode für Promenadentoilette einzuführen) hatte große Bewunderung unter den Damen der ganzen und der halben Welt erregt. Zog man aber den Beifall, den die Toilette gefunden, von dem allgemeinen Beifall ab, der sich brausend geltend machte, als der Vorhang fiel, so konnte Claud immer noch einen hübschen Teil für sich zurückbehalten. Im Zwischenakt kamen zahlreiche Freunde in die Loge und während zehn Minuten war Claud der Mittelpunkt lebhafter Aeußerungen von Beifall, Hochachtung und Bewunderung. Dann machte er sich auf und ging hinter die Scene, um Frau Toméry, die er in prächtiger Laune fand, seine wärmste Anerkennung kundzugeben. Ein ähnlicher Austausch von Gefühlen fand auch zwischen ihm und den übrigen Mitgliedern der darstellenden Künstlerschaft statt. Alles war in bester Laune, alles war befriedigt und zuversichtlich und unter diesen freundlichen Empfindungen von allen Seiten ging der Vorhang zum dritten Akte auf.

O, dieser schlimme dritte Akt! In ihm zeigte sich so recht die Wahrheit des alten Spruches, daß zwischen Lippe und Kelchesrand die finstern Mächte nicht selten ihren ungünstigen Einfluß auszuüben lieben. Nur zu bald wurde es klar, daß die Rolle, in der die gefeierte Toméry auftrat, die einzige war, die das Publikum zu interessieren vermochte. Nur die Toméry wurde noch mit Beifall und Teilnahme begrüßt. Alle anderen Scenen wurden sehr kühl aufgenommen. Wenn auch nicht gerade gezischt wurde, so merkte man doch bald, daß das Publikum nicht mehr voll bei der Sache war. Man hörte laut sprechen, hier und da unterdrücktes Murmeln, die Schauspieler wurden entmutigt: ein leichter Schleier des Unheils schien sich über den glänzend erleuchteten Kunsttempel zu legen. Als nun gar am Schlusse eine der Darstellerinnen durch eine ungeschickte Bewegung den Mantel ihres Gegenparts an sich zog, da rief ein böser Spaßvogel von der Galerie herab: »Ganz wie Joseph und Potiphar!« und diese überall vernommenen Worte hatten einen für den Dichter höchst unangenehm zündenden Effekt. Die ganze Zuhörerschaft brach in Gelächter aus und inmitten dieses Ausbruches von Heiterkeit ging der Vorhang nieder.

Im letzten Akt wurde die Sache noch schlimmer. Sobald der unglückliche Darsteller sich zeigte, dessen Spiel im dritten Akt das Mißgeschick herbeigeführt hatte, fanden die großen Geister des Olymp sich zu immer neuen Scherzen aufgelegt. Der unglückliche Schauspieler konnte schließlich nicht mehr die Lippen aufthun, ohne allerlei mehr oder minder witzige Zurufe zu veranlassen. Er wurde dadurch schließlich aus der Fassung gebracht und murmelte seine Aeußerungen nur noch unverständlich vor sich hin. Das Publikum lachte nicht mehr, es gähnte. Einige Personen standen auf, um sich zu entfernen und ließen dabei ihre Sitze mit unnötig lautem, störendem Geräusche niederfallen. Weder Frau Toméry und ihre wundervolle Sprache, noch das Meisterstück der Schneiderkunst, welches sie in Gestalt eines weißen, blumenbestickten Ballkleides trug, noch die Entwickelung der Scene, noch der Dialog, der unseren armen Claud so manche schlaflose Nacht gekostet hatte, vermochten das Stück zu retten. Der Vorhang ging unter Zischen und Hohnrufen nieder und niemand konnte daran zweifeln, daß »Liebe und Freundschaft« einen Mißerfolg gehabt hatte.

Claud sah den Vorhang fallen und wußte, daß die Arbeit so vieler Nächte unwiderruflich verloren war. Für ihn brauchte es nicht mehr das plötzliche Verschwinden aller Freunde, die ihn eben noch so warm beglückwünscht hatten, für ihn nicht das mitleidige Lächeln, mit dem Varinka ihn besah; er wußte, daß er einen Mißerfolg gehabt, und als Genoveva ihm zuflüsterte, daß einige Aenderungen dem Stücke vielleicht noch eine glückliche Zukunft verschaffen könnten, da sagte er ganz ruhig und gelassen: »Nein, es ist vollständig durchgefallen und kein König kann ihm helfen. Das Beste, was wir thun können, ist, kein Wort mehr von der Sache zu reden.« Plötzlich war eine merkwürdige Ruhe über ihn gekommen. Die Aufregung, die ihn die letzten Wochen hindurch geradezu krank gemacht, sie war mit einemmal von ihm gewichen. Er hatte sein ganzes Glück auf eine Karte gesetzt und hatte verloren. Das wußte er und daraus schöpfte er Kraft und Mut, äußerlich ganz gelassen und ruhig dem prächtigen Souper beizuwohnen, welches die Prinzessin bestellt hatte, um seinen Triumph zu feiern und all den Worten von Mitleid und Tröstung freundlich zuzuhören, die die anwesenden Gäste ihm zu spenden sich bemüßigt fanden. Er erhielt ein Dutzend alberner Kritiken seines Stückes und ein Dutzend freundliche Ratschläge für später, lächelte zu allem höflich und dankte jedem einzelnen für seine freundliche Teilnahme.

Poinsot hatte sich taktvoll von dem so gescheiterten Triumphessen fern gehalten. Der große Kritiker haßte den Anblick des Unglücks in jeglicher Form. Gleich dem kleinen Männchen in den altmodischen Wettergläsern war er nur dann sichtbar, wenn der Himmel heiter erschien; bei dem ersten Anzeichen eines herannahenden Sturmes verschwand er, und da er wohl wußte, daß alles, was er auch sagen und thun möchte, dem armen Dichter keinen Trost gewähren könnte, so war es vielleicht am besten, sich von dem Essen fern zu halten. Claud verstand es und würdigte die Gründe, die den von ihm verehrten Freund bewegten, dennoch machte es ihm Schmerz, als er mehrmals unwillkürlich über die Tafel spähte, das runde, freundliche, glatt rasierte Gesicht des Mannes zu vermissen, der durch seinen Einfluß auf den Theaterdirektor sein Stück zur Aufführung gebracht, der durch seine Bekanntschaften in der Presse die ersten freundlichen Besprechungen bewerkstelligt, der in den langen vergangenen Monaten ihm täglich Trost und Rat und Hilfe gespendet hatte. Ein Wort der Teilnahme von Poinsot hätte ihm mehr Vergnügen gemacht, als alle die faden Redensarten, die er diesen Abend hören mußte und unter denen sein Herz nur einmal gerührt wurde, da nämlich, als bei dem Abschied in der Hausflur Glymno seine Hand ergriff und ihm in warmem Tone sagte: »Lassen Sie den Kopf nicht hängen! In meinem harten Leben bin ich nicht einmal, sondern zehnmal und auch hundertmal durch schlimmere Prüfungen hindurch gekommen, als diejenige es ist, die Sie heute erfahren haben. Und ich lebe doch noch. Werden Sie dickfellig, Herr Gervis, werden Sie dickfellig! Ein dickes Fell ist das beste Geschenk, was der Schöpfer uns armen Staubgeborenen bescheren kann, und Unglück das beste Mittel, es sich anzuschaffen.«

Das waren die letzten Worte, die Claud hörte, als er seiner Frau die Treppe herunter folgte zum Thorwege, wo der Prinzessin Wagen sie erwartete, um sie nach Hause zu fahren.

Dachte Nina ähnlich wie Poinsot? Und war es Taktgefühl, das sie verhinderte, ihr Stillschweigen zu brechen, als sie in ihrer prächtigen Toilette sich bequem in die Ecke des eleganten Wagens legte, der sie mit seinen Gummirädern lautlos durch die langen Straßen trug? Seit dem Verlassen des Theaters hatte sie mit ihrem Manne auch nicht ein Wort gesprochen und ihn ebensowenig gesehen. Im Salon der Prinzessin hatten beide den Mittelpunkt verschiedener Gruppen gebildet und sich deswegen nicht sprechen können. Hier aber waren sie allein – und doch schienen sie sich nichts zu sagen zu haben. Es war eine eigentümliche Entfremdung, die zwischen den Gatten in der letzten Zeit stattgefunden hatte, eine Entfremdung, die der eine Teil schon lange bemerkt hatte, die dem anderen aber erst jetzt fühlbar wurde, eine Entfremdung, die nicht etwa aus einer Meinungsverschiedenheit entsprang, die später wieder ausgeglichen werden konnte, sondern aus dem geheimnisvollen Wirken geistigen Lebens, dessen Quellen zu tief liegen, um leicht aufgefunden werden zu können. Und so war es denn auch nicht leicht, die unbewußten und geheimnisvollen Gründe zu erklären, die die beiden sprachlos Seite an Seite sitzen machten – jeder in der Erwartung, daß der andere das erste Wort sprechen würde. Zuletzt, als der Wagen schon die Place du Havre gekreuzt hatte und nun rasch in die Rue d'Amsterdam einbog, brach Claud das Stillschweigen mit einem erzwungenen Gelächter: »So ist es denn eine Enttäuschung geworden.«

Ihre Antwort frappierte ihn. »Ja,« sagte sie, »es ist der Anfang.«

»Von was der Anfang, Nina? ich verstehe dich nicht!«

»Sage nichts darüber, heute!« rief sie. »Sprechen thut nicht gut und ich bin furchtbar müde.«

»Nina, mein liebes Kind, was ist?«

»Nichts!« murmelte sie unzusammenhängend. »Ich bin so traurig … ich wollte es dir schon lange sagen … aber ich fürchtete mich!« …

»Worüber, du Gänschen?«

»Ich weiß es nicht! Morgen früh wird alles wieder recht sein,« sagte sie und fuhr sich über die Augen.

Claud war sehr bewegt. Ohne eigentlich zu wissen weshalb, hatte er niemals auf viel Sympathie von Nina gerechnet und nun – auch ohne zu wissen, weshalb – machte er sich Vorwürfe.

»Wir müssen Mut haben,« sagte er, »dann verwandelt sich unser Unglück in Glück. Was mich betrifft, so ist mir alles gleich, solange du mich liebst!« Und so gingen beide Arm in Arm die langen Treppen hinauf, die zu ihrer Wohnung führten.



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