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Zwanzigstes Kapitel.
Port St. Marie

Als Claud mit seiner Jacht vor Port St. Marie landete, war er entzückt, unter dem Haufen von Gaffern, die sich angesammelt hatten, auch nicht einen einzigen wohlgekleideten Menschen, geschweige denn einen Engländer zu bemerken. Es war ihm ein Trost, zu hören, daß der Vertreter Ihrer Britischen Majestät kein Engländer war.

» M. le consul anglais?« sagte der glattrasierte Kellner im Hotel auf seine Erkundigung. »Das muß Herr l'Hérisson sein. Er vertritt alle Ausländer. Sie können ihn leicht finden, wenn Sie die erste Straße zur Linken einschlagen. Es ist Nr. 16, Sie werden schon am Thorwege die Wappenschilder sehen.«

Dieser Anweisung folgend, gelangte Claud bald zu dem mit allen möglichen Wappen geschmückten Thorweg. Der Allerweltskonsul wohnte im zweiten Stockwerk, und als Claud die schmutzige, knarrende Treppe hinaufgeklettert war, wurde er in ein sehr kahl aussehendes Bureau gewiesen, wo er noch eine halbe Stunde warten mußte, weil der Herr Konsul beim Frühstück saß.

Endlich erschien der sehr wohlbeleibte Herr l'Hérisson langsam und sich den Mund wischend im Bureau. Augenscheinlich hatte er einen Fremden von so vornehmem Aussehen nicht erwartet. Er geriet in einige Verlegenheit, suchte diese aber dadurch zu beseitigen, daß er sofort kategorisch erklärte: »Wenn Sie etwa die Erlaubnis nachsuchen wollen, die Festungswerke zu besichtigen, so bin ich nicht imstande, Ihnen diese zu verschaffen. Die Behörden –«

Claud sagte ihm, daß eine persönliche Angelegenheit ihn hierher führe. »Ich glaube, wenn britische Unterthanen außerhalb Englands eine Ehe schließen, so ist dabei die Gegenwart des britischen Konsuls nötig. Haben Sie schon einer solchen Ceremonie beigewohnt, Herr Konsul?«

»O, hundert wenigstens,« lächelte der Beamte. »Wir haben hier eine ordentliche englische Bevölkerung, die sich im Laufe der Zeit verheiratet, Kinder bekommt und sich hier naturalisieren läßt, um den vielen Abgaben zu entgehen. Haben Sie mit einer solchen Verehelichung etwas zu thun?«

Claud hatte sich seine Rede gründlich einstudiert und fing also an: »Es ist meine eigene Verheiratung, zu der ich Ihre Gegenwart wünsche. Hier ist meine Karte. Aus Gründen, die ich Ihnen nicht auseinanderzusetzen brauche, wünschen meine Braut und ich in einem entlegenen Orte in aller Stille getraut zu werden. Wir haben dazu Ihr Port St. Marie gewählt. Ich hoffe, daß Sie uns bei Befriedigung dieser – kleinen Laune keine Schwierigkeiten machen werden.«

Der Konsul setzte sich eine silberne Brille auf und studierte durch dieselbe den Sprecher in aller Gemächlichkeit. Dabei strich er mit der Hand sein fleischiges Kinn, bis er sich endlich zur Antwort rüstete.

»Vorausgesetzt, daß Sie gewisse Bedingungen erfüllt haben, so habe ich kein Recht, Schwierigkeiten dagegen zu erheben. Ich bitte Sie, zu bemerken, daß ich keine Information begehre. Ich thue auf Ihr Ersuchen meine Pflicht als Konsul, verantwortlich kann ich aber für nichts gemacht werden. Wenn Sie zum Beispiel – nehmen Sie mir die Illustration nicht übel – sich's in den Kopf gesetzt hätten, Ihre Haushälterin zu heiraten, so könnte mich keine Schuld dafür treffen, wenn Ihre Familie nachher nicht damit einverstanden wäre.«

»Das versteht sich, und ich kann Sie ganz darüber beruhigen, daß Ihnen keine Unannehmlichkeiten daraus erwachsen werden. Uebrigens versichere ich Sie, daß ich nicht meine Haushälterin heiraten will, sondern eine Dame von meinem eigenen Rang. Was sind das nun für Bedingungen, von denen Sie redeten?«

»Ich bin bevollmächtigt, eine Heiratserlaubnis zu erteilen und eine Ehe zu schließen acht Tage nach geschehener Anzeige und wenn eine der zu vermählenden Personen mindestens vierzehn Tage in dem Distrikt gewohnt hat, für den ich zum Konsul bestellt bin.«

»Drei Wochen!« murmelte Claud. »Das trifft sich verzweifelt schlecht.«

Der Konsul fuhr fort, ohne die Seitenbemerkung zu beachten: »Diese Anzeige muß eine feierliche Erklärung enthalten, daß kein gesetzliches Hindernis der zu schließenden Ehe in den Weg tritt. Dies ist der Gang der Sache.«

»Nun, ich danke Ihnen. Große Schwierigkeiten scheinen ja dabei nicht aufzutreten. Ich habe doch wohl recht verstanden, daß ich mich auf drei Wochen in Port St. Marie niederlassen muß? Ueber diese Verpflichtung kann man auf keine Weise hinweggelangen?«

Der Konsul schüttelte feierlich den Kopf.

»Hm, ja, es ist lästig; aber es muß durchgemacht werden. Ich bin Ihnen für Ihre gütige Auskunft sehr verbunden und wenn die Zeit kommt, werde ich die geforderte Anzeige machen. Für die kirchliche Ceremonie hält sich ja wohl hier ein englischer Geistlicher auf.«

»Gewiß, Reverend Higgins, Rue du Temple Nr. 3, ein ausgezeichneter Mann. Besuchen Sie diesen guten Higgins, er wird Ihnen väterlichen Rat erteilen. Wenn ich als alter Mann Ihnen auch ein Wort der Vorsicht zurufen darf, so lautet es: ›Nehmen Sie sich in acht, junger Herr! Es gibt nichts, was man so leicht erlangen und so schwer loswerden kann, als eine Frau!‹«

Damit komplimentierte Herr l'Hérisson seinen Besuch zur Thür hinaus.

Lachend stieg Claud die Treppe hinunter und suchte den ihm empfohlenen Geistlichen auf.

Herr Higgins befand sich nicht zu Hause, sondern auf Krankenbesuchen. Claud ging ihm nach und fand ihn nach langem Suchen, wie er von Haus zu Haus ging mit einem Bündel Bibeln unter dem einen Arm und einem Päckchen Thee unter dem anderen. Er war ein kleiner Mann mit einem häßlichen, aber gutmütigen Gesicht, der auf Claud den Eindruck machte, als dürfte er ihm wohl mehr Weitläufigkeiten in den Weg legen. Dadurch aber, daß Claud eine halbe Stunde lang geduldig alle Leiden der Pfarrkinder mit anhörte und schließlich eine Zehnpfundnote zur Restauration der Kirche opferte, schmeichelte er sich bei dem geistlichen Herrn so ein, daß dieser sich leicht überzeugen ließ, das junge Brautpaar wünsche nur seinen Freunden einen Streich zu spielen und den in England so langweiligen Hochzeitsfeierlichkeiten zu entgehen.

An diesem Abend fanden sich Herr und Frau Higgins mit dem Konsul an Bord der Jacht zu einem exquisiten Diner zusammen, und am folgenden Morgen fuhr Claud nach England zurück mit dem angenehmen Gefühl, nur wohlwollende Freunde in Port St. Marie zurückzulassen.

In Southlands wurde ihm nicht mehr Auskunft über seine Fahrt abverlangt, als er freiwillig gab. Alle Glieder des Haushaltes kamen stillschweigend darin überein, daß er unter einer schweren Last seufze, die er sich nach eigenem Ermessen erleichtern müsse, so gut es ginge. Unter gewöhnlichen Umständen hätte vielleicht Genoveva sich nach Näherem erkundigt, so aber war sie mit ihrem eigenen Geschick zu lebhaft beschäftigt, und Lady Croft sowohl als Freddy Croft trugen Sorge, daß sie immer von neuem daran erinnert wurde. Der wunderbare Einfluß, den die junge Violinistin auf den warmherzigen Baronet gewonnen hatte, fiel selbst Claud in die Augen, als er von seiner Fahrt zurückkam.

Als Claud sich seinem Vater gegenüber sah, wurden die Gewissensbisse über den Betrug so gewaltig, daß er sich nicht enthalten konnte, sich gegen seine Braut darüber auszusprechen.

»Ich sehe nicht,« sagte die junge Dame, »daß du gegen deinen Vater anders als vollkommen ehrlich gewesen bist. Du hast ihm klar und deutlich gesagt, daß du mich unter allen Umständen heiraten willst, und um seinetwillen laufen wir ja auch nicht davon. Wenn denn einer Ursache hat, sich zu beklagen, so ist es mein Vater, nicht der deine. Aber was hat das überhaupt auf sich? Beide werden vermutlich zuerst großen Lärm machen; aber sie werden sich zufrieden geben und in Zeit von einem Jahre werden sie vergessen haben, daß sie sich unserer Heirat jemals widersetzt haben.«

Claud hatte wenig Vertrauen auf die Erfüllung dieser Prophezeiung, wenigstens soweit sein Vater dabei beteiligt war. Indessen war die Zeit zu kostbar, um mit Klagen über das Unvermeidliche verschwendet zu werden. Mancherlei wichtige Fragen mußten entschieden werden, und doch gebot die Klugheit, daß sie ihre verstohlene Zusammenkunft möglichst abkürzten. Sie kamen also überein, daß Claud am nächsten Tage wieder nach Frankreich zurückkehren und daß nach Verlauf von drei Wochen Nina in Begleitung einer zuverlässigen Jungfer ihm folgen sollte. Die Verbindung zwischen Port St. Marie und Beachborough wurde zweimal wöchentlich durch einen kleinen Dampfer vermittelt, den dann auch Nina zu ihrer Flucht benutzen wollte.

»Nun darfst du dir aber nicht einfallen lassen, mich etwa von hier abholen zu wollen,« sagte sie. »Ich werde schon allein fertig werden und freue mich über alle Maßen auf die Abwechselung. Und du darfst auch nicht schreiben, damit brächten wir uns in unnötige Gefahr. Das einzige Abscheuliche daran ist, daß ich buchstäblich keine Garderobe haben werde, außer die ich trage oder die ich in eine Handtasche stopfen kann. Indessen werde ich mir ja die unerläßliche Ausstaffierung beschaffen können, sobald wir Paris erreicht haben. Nun gehe! Wenn man uns bei einander fände, oder wenn unser Plan entdeckt und verhindert würde, so würde ich vor Aerger sterben.«

Claud hat mir später erklärt, daß keine Macht der Welt ihn dazu bewegen könne, die drei Wochen Exil in Port St. Marie noch einmal durchzuleben. Die ersten vierzehn Tage regnete es unaufhörlich, und er hatte absolut nichts, womit er seine Zeit hinbringen konnte. Es ist auch etwas völlig anderes, in einem Moment der Erregung sich zu einer unklugen Handlung hinreißen zu lassen, als einundzwanzig Tage mit Vorbereitungen auf die Katastrophe ausfüllen zu sollen. Endlich jedoch kam ein frischer Nordwind mit Frost und Sonnenschein und der Aussicht auf einen heiteren Hochzeitsmorgen.

Kaum war an diesem verhängnisvollen Tage die Sonne am Horizont erschienen, als Claud auch schon am Hafendamm stand und ängstlich die Ankunft des bewußten kleinen Dampfers erwartete. Lange, lange mußte er warten, fröstelnd, nervös und von trüben Ahnungen gequält. Gegen acht Uhr fing sein scharfes Ohr endlich das Plätschern und Schaufeln des herannahenden Dampfers auf.

Nina hatte ihm streng eingeschärft, sie unter keinen Umständen auf dem Quai zu erwarten. Der Kapitän und die Mannschaft waren aus Beachborough; sie hätten ihn natürlich erkannt und sich die unvermeidlichen Schlüsse schnell gezogen. So mußte er denn nach dem Hotel zurückkehren und eine weitere, scheinbar endlose Wartefrist aushalten. Soeben war er mit sich eins geworden, daß nur ein schauerlicher Unfall Nina so lange habe zurückhalten können, als die Hotelglocke weithin schallend die Ankunft von Reisenden anzeigte. Lächelnd, unverschleiert, mit aller Seelenruhe trat wenige Minuten darauf Nina in Clauds Zimmer, gefolgt von ihrer Jungfer und einem Manne, der zwei mächtige Koffer in den Gasthof beförderte. Sie war so kühl und ertrug die neugierigen Blicke des Wirtes und seiner Leute mit solcher Gleichgültigkeit, daß Claud sich seiner eigenen Aufgeregtheit schämte.

»Ich habe es durchgesetzt, mir doch einiges mitzubringen, wie du siehst,« erklärte sie munter und wies laut lachend mit der Hand auf die beiden riesigen Koffer. »Als die Entscheidung sich näherte, schien es mir doch so gräßlich unpassend, gar nichts an Toilette zu haben, daß ich beschloß, manches von meinen Sachen mitzunehmen. Ich sagte Papa, ich wolle einer Freundin einen längeren Besuch machen, fuhr mit all meinem Gepäck nach dem Bahnhof, schickte den Wagen nach Hause und ging zu Fuße nach dem Dampfboot, wohin zwei Matrosen meine Koffer nachholten. Wir hatten eine köstliche Ueberfahrt, nur daß ich vor Hunger halb tot bin. Kann ich nicht hier ein Frühstück bekommen? Ja? O bitte, dann bestelle, daß etwas zugerichtet wird, während ich mich umkleide. Wenn ich wieder herunterkomme, können wir ja unsere Neuigkeiten austauschen. Um jetzt zu schwatzen, bin ich zu hungrig, durstig und angegriffen.«

Ihre Selbstbeherrschung verfehlte nicht, auf Claud Eindruck zu machen. Er sah ein, daß man sich vor den Augen so vieler neugieriger Zuschauer keine Blöße geben dürfte. Es gelang ihm, ihr gegenüber mit gutem Appetit zu frühstücken, wobei er sie leise mit den getroffenen Einrichtungen und der ihr zufallenden Rolle bekannt machte.

Vielleicht ist nie eine so romantische Vermählung in einer so geschäftsmäßigen Weise geschlossen worden. Nach dem Frühstück gingen Braut und Bräutigam zusammen nach dem Konsulat. In Gegenwart des Herrn l'Hérisson erklärten Claud Gervis, Junggeselle, und Georgine Flemyng, Jungfrau, daß ihnen kein Hindernis bekannt sei, welches sich ihrer ehelichen Verbindung in den Weg stellen könne; nachdem dann die beiden mitanwesenden Schreiber zu Zeugen aufgerufen worden, wurden Claud und Nina als Gatte und Gattin zusammengesprochen – so fest und bindend, wie das Gesetz es nur zu thun vermochte. Alles ging glatt ab. Nur als die kleine Prozession in die Kirche trat und der würdige Pfarrer Higgins wahrnahm, daß weder Vater noch Mutter noch Vormund zugegen war, um die Braut fortzugeben, da wurde dem Geistlichen das Herz schwer, und er merkte, daß doch nicht alles ganz so war, als es sein sollte. Da er aber nun einmal den Talar anhatte und die beiden vor dem Gesetz nun doch schon Mann und Frau waren, so fand er es ratsam, ihnen den Segen der Kirche nicht vorzuenthalten. Er begnügte sich damit, leise und erregt gegen Claud zu äußern, daß ja niemand zugegen sei, um die Braut fortzugeben. Der Konsul l'Hérisson bot sich darauf galant zu dieser Aufgabe an, und seine Frau vergoß über ihrem Gebetbuch ein paar teilnehmende Thränen.

Noch am selben Nachmittag – das neuvermählte Paar befand sich schon auf der Reise nach Paris – gelangte das folgende Telegramm an seine Adresse:

»J. Flemyng, Beachborough, England. Heute morgen Claud Gervis geheiratet. Bedauere, daß es nicht anders ging. Laß die Nachricht in die Zeitung setzen, um den Schein zu wahren, als seiest du einverstanden. Morgen ausführlichere Nachrichten.

Nina.«



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