Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.
Mütterliche Anstrengungen

Lady Croft war zu dieser Zeit eine glücklichere Frau, als sie es seit Jahren gewesen war. Sie war von einer Reihe von Besuchen bei befreundeten Gutsnachbarn zurückgekehrt, und die Gerüchte, die ihr von allen Seiten entgegengebracht worden, hatten in ihrem mütterlichen Herzen die freudige Hoffnung erweckt, daß ihre liebsten Projekte sich verwirklichen sollten.

Die Kinder der armen Dame hatten ihr bis jetzt nicht zur Freude gereicht. Die sorgfältigste Erziehung hatte sie nicht vor wilden, wenn nicht bösen Streichen bewahren können, und einen direkten Einfluß, wie sie wohl wußte, hatte sie nicht über sie. Florry schien ihr mehr Grund zur Mißbilligung, als zu wirklicher Beunruhigung zu geben. Sie würde eines Tages schon noch einen passenden Gatten finden, denn wenn die Bewunderer männlich gearteter Frauen auch nicht gerade häufig sind, so sind sie heutzutage doch auch nicht gerade selten, – und war er nur, einmal gefunden, so war es seine Sache, sie nach seinem Geschmack zu modeln. Daß aber Freddy, solange er unverheiratet war, von den allerschlimmsten Gefahren umgeben war, mußte jedem in die Augen springen. Irgend eine befreundete Seele hatte der armen Lady einmal gesagt: »Dieser Ihr Sohn ist nur dazu geboren, eine Beute der Frauen zu werden. Das Ende vom Liede wird sein, daß er sein Stubenmädchen heiratet.« Dieser leichtsinnige, unbedachte Ausspruch hatte die besorgte Mutter verfolgt, als er selbst von seinem Urheber längst vergessen war. Sie that alles, was sie konnte. Die Warnung buchstäblich nehmend, gab sie der Hausverwalterin die Weisung, daß kein Dienstmädchen von irgend ansprechendem Aeußeren in Croft Manor engagiert werden durfte. Ganz Lynshire durchstöberte sie nach einer Braut; an ihre sämtlichen Freunde wandte sie sich mit der Bitte, ihr ein Mädchen zu schicken – irgend ein Mädchen von anständiger Verwandtschaft – das geneigt und geeignet wäre, an ihrer Stelle zu herrschen; durch hundert durchsichtige Winkelzüge versuchte sie es, ihren Sohn in die ihm gestellten Netze zu locken. Alles aber erwies sich als verlorene Liebesmüh. Die jungen Damen allerdings waren in genügend starker Zahl erschienen; Freddy jedoch hatte sich gesträubt, sich von irgend einer fangen zu lassen. Einigen hatte er den Hof gemacht, einige hatte er gänzlich ignoriert; bei keiner war er so weit gegangen, ihr einen ernsten Antrag zu machen, während er andererseits seine Mutter oft zu Tode erschreckt hatte, indem er nahe daran schien, eine so vollkommen unannehmbare Person zu heiraten, wie Fräulein Katie Lambert zum Beispiel es gewesen war.

Jetzt aber flüsterte einer dem anderen zu, daß der Wankelmütige nach so vielen und großen Gefahren eine weise Wahl getroffen habe und daß in nicht langer Zeit Genoveva Gervis an der Tafel zu Croft Manor präsidieren werde. Genoveva mit ihrer melancholischen Miene, ihrer Leidenschaft für die Musik und ihrer völligen Unkenntnis des englischen Lebens war freilich nicht ganz die Art Dame, welche die Natur zur Gattin eines sportpflegenden Baronets bestimmt zu haben schien. Es war wieder einmal ein Fall, wo die alte Regel von der Anziehung entgegengesetzter Temperamente brillant eintraf. Alle Leute stimmten auch darin überein, daß bisher Sir Frederick weit mehr zu ausartender Lustigkeit als zu seiner Sitte hingeneigt hatte, und daß ein Einfluß nach der entgegengesetzten Seite nur wohlthätig sein könne. Uebrigens fügten die Klatschschwestern in ihrer gutmütigen Manier hinzu, sei das Mädchen offenbar sehr von ihm eingenommen und würde solche Fehler, die sie nicht selber heilen könne, mit Nachsicht übersehen.

Als die mitgeteilten freundnachbarlichen Bemerkungen Lady Crofts Ohr erreichten, da wurde sie von heller Freude völlig übermannt. Hätte sie einem anderen Zweige der »allgemeinen christlichen Kirche« angehört, so hätte sie ohne Zweifel ihre Gefühle dadurch erleichtert, daß sie ihrem Schutzheiligen ansehnliche Weihegeschenke versprochen hätte für den Fall, daß er die Sache zustande brächte; da sie aber ohne einen himmlischen Vertrauten dastand, so ließ sie anspannen und fuhr hinüber nach Beachborough zu Frau Knowles.

»So sind Sie also gekommen, um mich auszuforschen,« sagte diese kurz angebundene Dame. »Das letzte Mal, als Sie mich mit einem Besuche beehrten, es war vor ungefähr einem Jahre, da wollten Sie von mir wissen, ob Ihr Sohn Nina Flemyng heiraten würde oder nicht. Ich denke wohl, Sie erinnern sich noch, was ich Ihnen damals sagte.«

»O, aber Frau Knowles, ich versichere Sie, daß ich Sie seitdem sehr oft besucht habe. Sie müssen es vergessen haben.«

»Haben Sie mich seitdem besucht? Dann bin ich wahrscheinlich nicht zu Hause gewesen, oder ich hatte keine Lust, Sie zu empfangen. Jedenfalls werden Sie schwerlich leugnen, daß es eine sehr ähnliche Angelegenheit ist, die Sie heute hierherführt, und ich kann Ihnen nur die nämliche Antwort geben: Ich weiß es nicht.«

Lady Croft murmelte etwas von der großen Freundschaft zwischen Frau Knowles und den Gervis, von der wunderbar passenden Partie, von ihrer eigenen mütterlichen Besorgnis und ihrer festen Ueberzeugung, daß es ihrem Sohne diesmal wirklich Ernst sei.

»Nun, wenn Sie mich denn um meine Meinung fragen« – was, nebenbei bemerkt, durchaus nicht geschehen war – »so will ich Ihnen offen sagen, daß ich eine solche Verbindung durchaus für keine passende halte. Ich will nicht sagen, daß das Mädchen zu gut für ihn sei, denn ich habe immer eine Vorliebe für Ihren Bruder Liederlich gehabt, wie Sie wissen; aber ihr Standpunkt ist ihm zu hoch, und wenn sie sich jetzt heiraten, würde er in kurzer Zeit ihr Herz brechen. ›Das geht Sie nichts an,‹ werden Sie sagen; ›wenn er nur eine Lady zur Frau bekommt, die sich zu benehmen weiß und sich nicht mit anderen Männern einläßt, ist es Ihnen sehr gleichgültig, ob ihr Herz ganz oder gebrochen ist.‹ Mir ist das aber zufällig durchaus nicht gleichgültig, und aus diesem Grunde bin ich nichts weniger als traurig darüber, daß Ihnen eine gründliche Enttäuschung bevorsteht.«

»O, denken Sie das wirklich?« Lady Croft brach fast in Thränen aus. Daß sie angeklagt wurde, Mitschuldige an dem voraussichtlichen Brechen von Genovevas Herzen zu sein, schmerzte sie nicht sehr, da Sorglosigkeit im Anklagen anderer ein Vorrecht ihrer alten Freundin war. Daß aber eine so kluge Beobachterin eine Sache in Zweifel zog, die jeder andere für so ziemlich unbestreitbar gehalten hatte, das war ein schwerer Schlag.

»Ich hatte so sehr gehofft, daß es diesmal sein ganzer Ernst sei,« seufzte sie.

»Zum Heiraten gehören zwei,« bemerkte Frau Knowles trocken.

»Sie können doch gewiß nicht meinen, daß sie mit ihm spielt?! O – das wäre zu – zu gräßlich von ihr! Frau Knowles, ich flehe Sie an, mir nichts zu verbergen. Wenn ich irrtümliche Berichte erhalten habe, so möchte ich wenigstens sogleich aus meinem Irrtum gerissen werden.«

»Ich sage Ihnen ja, daß ich nicht das mindeste davon weiß. Wie kann eine alte Frau die Tiefen junger Mädchen- und Männer-Seelen ergründen, die sich ihr gegenüber immer nur im besten Lichte zeigen? Wenn ich mich an Ihrer Stelle befände und nicht geduldig und vernünftig genug wäre, mich nicht in Dinge zu mischen, bei denen ich doch nichts nutzen, aber viel schaden könnte, in diesem Falle, sage ich, würde ich mich direkt nach dem Hauptquartier bemühen, um die gewünschte Aufklärung zu erhalten – ein Schritt, den ich Ihnen aber nicht im entferntesten anraten möchte.«

Man sagt, es falle nie ein Wort von den Lippen eines Menschen, das nicht sogleich oder später Ergebnisse nach sich ziehe. Der soeben erwähnten vorsichtigen Aeußerung meiner Großmutter entsprang ein Phänomen, welches in den Annalen von Lynshire vereinzelt dasteht – das war nämlich das Erscheinen von Lady Crofts dunkelgrünem Wagen bei dem Wettrennen von Lynshire.

Es besteht unter der Aristokratie der Gegend ein gewisser Widerwille, sich bei dem harmlosen, durchaus anständigen Wettrennen von Lynshire blicken zu lassen. Fällt es auch vielleicht den Herren einmal ein, sich dazu einzufinden, so lassen sie doch ihre Frauen und Töchter gewiß zu Hause.

Freilich gibt es bei uns wie anderwärts einige starke Geister, die sich durch keine Gesetze binden lassen, sofern ihr Verstand denselben nicht zustimmen muß. Fräulein Florry Croft z. B. ist regelmäßig an einem in die Augen fallenden Platze auf dem Rennen zu sehen, und Nina Flemyng hat sich mehr als einmal überreden lassen, ihr Gesellschaft zu leisten; auch stellt sich immer eine Anzahl schöner Fremden ein, denen die ungeschriebenen Gesetze Lynshires nicht bekannt sind. Die Familie Gervis gehörte in mancher Beziehung noch zu der letztgenannten Kategorie und zögerte nicht, sich bereit zu erklären, als Freddy Croft ihr anbot, sie nach Higsam Down hinüberzufahren.

Und sie hatten eine sehr vergnügte Fahrt. In dem von vier prächtigen Rossen gezogenen Wagen befanden sich Herr Gervis und Herr Flemyng, Nina und Claud, Florry Croft mit einem Freunde ihres Bruders, endlich Genoveva und Freddy, und alle diese verschiedenen Paare vergnügten sich, jedes auf seine Weise, ganz vortrefflich.

Am Ziele angelangt, fand die Gesellschaft gerade eine Pause in dem Rennen, die sie dazu benutzte, sich die Lokalität, die Scenerie, die Pferde und die Zuschauer, kurz, das ganze Leben und Treiben anzusehen. Danach lagerte man sich zu einem gemütlichen, soliden Frühstück, bei dem Herr Flemyng eine lange, höchst schwungvolle Rede über die Vorzüge des englischen Vollblutpferdes hielt, dabei aber so viel Außergewöhnliches über die Pferdezucht anführte, daß die darin sehr bewanderten drei jungen Männer alles aufwenden mußten, um nicht ihrer Heiterkeit einen unziemlichen Ausbruch zu gestatten.

Als Herr Flemyng seine hochtönende Rede mit einem Toast auf das Pferderennen schloß, war es Freddy, der alle Anwesenden aufs höchste erschreckte, indem er sein Glas fallen ließ und laut ausrief: »Gott behüte uns in allen Gnaden!«

»Was ist denn geschehen,« fragte Nina aufgeregt, denn die Blößen, die ihr Vater sich gegeben, ärgerten sie, und sie haßte es, erschreckt zu werden.

»O nichts, nur daß die Welt ihrem Ende nahe ist, wie ich vermute, und meine Mutter ist herübergekommen, es uns anzukündigen. Ja, ja, es ist kein Zweifel, dort kommt meine Mutter, und ich gebe Ihnen mein Wort, ich wäre nicht so überrascht, wenn ich den Erzbischof von Canterbury beim Wettrennen sähe.«

Lady Croft, die sich mit einem Diener durch die Menge drängte, war sich dessen, daß sie nicht hierher paßte, offenbar bewußt. Es ist indessen bekannt, daß die furchtsamsten Wesen in der Schöpfung kühn werden, wenn der mütterliche Instinkt sie leitet. Nun wurde aber, wie wir wissen, diese zärtliche Mutter von den quälendsten Sorgen zerrissen, die zu beschwichtigen sie auch weit fürchterlichere Dinge als das Schreien, Laufen und Anstarren einer erregten Menschenmenge nicht gescheut hätte

Nachdem Lady Croft sich gegen jedes Glied der kleinen Gesellschaft anmutig verbeugt hatte, wandte sie sich lächelnd an Genoveva.

»Ich bin gekommen, um Sie zu entführen. Sie äußerten neulich, daß Sie so besonders gern einmal dem Gottesdienst in der Kathedrale beiwohnen möchten. Nun muß ich diesen Nachmittag nach Lynchester fahren, und da ich Sie hier wußte, wollte ich die gute Gelegenheit nicht unbenutzt lassen – zumal, da es heute einen ganz ungewöhnlich schönen Wechselgesang geben wird – Sie wissen, es ist der Tag des heiligen – des heiligen – nun, irgend eines Heiligen. Wenn wir sogleich abfahren, werden wir gerade recht kommen, und der Diakon hat mir freundlich versprochen, uns einige Plätze zu reservieren.«

»Aber ich bitte dich um alles in der Welt, Mutter,« rief jetzt Freddy aus, »Fräulein Gervis ist doch heute zu einem Wettrennen hier und verlangt durchaus nicht nach der Kirche.«

»Mein lieber Sohn, meinst du nicht, daß Fräulein Gervis von diesem schrecklichen Lärm und Tumult längst genug hat? Du vergißt, daß ihr Geschmack nicht ganz mit dem deinen übereinstimmt. Sagen Sie selbst, bestes Fräulein, würden Sie nicht viel lieber einmal eine schöne Musik mit anhören, als bleiben, wo Sie sind? Ich bin ganz gewiß, daß Ihnen das lieber ist.«

Genoveva war dessen nicht so gewiß; allein, was konnte sie thun?

»Es ist sehr gütig von Ihnen, daß Sie sich so viele Umstände gemacht haben,« sagte sie und rüstete sich zum Mitgehen, ohne die Frage direkt zu beantworten.

»Durchaus nicht, ich bin nur zu entzückt darüber,« triumphierte Lady Croft. Dann fiel ihr ein, daß dem armen Freddy wohl auch ein Wort des Trostes zukam, und sie sagte: »Ich bringe sie der Gesellschaft zurück, lange, ehe es Zeit zur Abfahrt ist.« Damit empfahl sie sich und führte den Preis mit sich fort.

Genoveva war ihr ganzes lebenlang daran gewöhnt gewesen, sich den Launen anderer zu unterwerfen; sie ließ sich also auch ohne Murren in Lady Crofts Wagen davonführen. Trotzdem konnte sie nicht umhin, diese Verkürzung ihrer Festfreude zu bedauern. Auch entschädigte die Musik, die sie in der Kathedrale zu hören bekam, sie nicht für das gebrachte Opfer. Der Heilige, dessen Name Lady Croft entfallen war, mußte wohl kein »rotgedruckter« sein, denn es gab ihm zu Ehren weder ein Vorspiel noch ein Nachspiel, und der celebrierende Geistliche stimmte mit dem Chor nur in der Bemühung überein, so schnell wie möglich die Ceremonie zu Ende zu bringen.

Genovevas Gedanken wanderten denn auch während des Gottesdienstes weit umher und konnten zu keiner Andacht kommen. Lady Croft war gesammelter. Sie kniete noch im Gebet, als die kleine Prozession der Geistlichen und Kirchendiener schon verschwunden war. Wer weiß, ob das junge Mädchen, hätte sie die Bitten ihrer Gefährtin belauschen können, nicht häufig ihren eigenen Namen darin gehört hätte.

Der Diakonus gesellte sich bald wieder zu den beiden Damen und lud sie zum Thee und zur Besichtigung der Kathedrale ein. Lady Croft aber lehnte beide Einladungen mit Dank ab, weil ihr Wagen warte, um sie und ihre junge Freundin einer Verabredung gemäß auf das Land zu führen. (Daß es nach Higham Down zum Wettrennen gehen sollte, hielt sie nicht für nötig, dem geistlichen Herrn anzuvertrauen.) Ein andermal hoffte sie das Vergnügen zu haben, den alten Herrn und seine Frau in deren Wohnung zu besuchen.

Die Zeit wurde knapp, Lady Croft durfte keine mehr verschwenden. Sie setzte sich mit Genoveva auf eine Steinbank vor einem Rasenfleck und eröffnete den Angriff.

»Wie freut es mich, daß ich den Gedanken hatte, Sie heute nachmittag hierher zu führen. Die Musik war nicht ganz so gut wie gewöhnlich, und ich vermute, daß man aus irgend einem Grunde den Chorgesang verändert hatte. – Dennoch war es wert, darum herzukommen – finden Sie nicht auch? – jedenfalls viel hübscher, als den ganzen Tag bei jenem abscheulichen Wettrennen zu verbringen. Und mir war es eine solche Freude, mit Ihnen zusammen zu sein. Ich hoffte schon neulich, als ich bei Ihnen vorsprach, Sie zu sehen; aber Sie waren ausgegangen!«

Genoveva sprach ihr Bedauern darüber aus.

»Ja, mein liebes Fräulein, es war mir ein empfindlicher Strich durch die Rechnung. Mir liegt jetzt sehr selten etwas daran, neue Bekanntschaften zu machen, aber Sie sind ja ein solcher Schatz für die Nachbarschaft, und wenn ich nicht von Hause fort gewesen wäre, so hätte ich Sie recht oft sehen müssen. Indessen habe ich wenigstens viel von Ihnen gehört durch meinen Sohn, der mir beständig über alle Ihre Güte und Freundlichkeit Bericht erstattet hat. Sie können sich gar nicht denken, was für eine Erleichterung es für mich ist, ihn unter dem Einfluß solcher Freunde zu wissen. Der arme Junge! Ich kann mich oftmals nicht ernster Besorgnisse seinetwegen entschlagen. Er ist so warmherzig und so arglos, und wenn er nun so mit allen Arten von Menschen Verkehr hat, so ist er allen erdenklichen Gefahren ausgesetzt, die ich wohl sehe, aber er nicht. Die Mädchen von heutzutage scheinen ein anderer Schlag zu sein, als wir waren. Wir hielten es für eine Schande, zu kokettieren und uns den Hof machen zu lassen, sie sehen geradezu eine Ehre darin. Ich hoffe, mein teures Kind, daß Sie es nicht so machen.«

Lady Croft blickte forschend in die Augen ihrer Zuhörerin, als sie diesen Pfeil abschoß. Wenn sie jedoch erwartete, dort ein verräterisches Erglühen zu sehen, so täuschte sie sich sehr. Die Tochter von Vincent Gervis und der Marchesa Santinetti hatte eine Konstitution geerbt, die solchen unbequemen Neigungen nicht unterworfen war.

»O nein,« antwortete sie lachend. »Aber Sie redeten ja von Ihrem Sohn.«

»Ja, ich fürchte für ihn. Er selbst ist so treu und fest wie Stahl, er weiß gar nicht, was solche Liebeleien sind. (Oh, oh, Lady Croft!) Unglücklicherweise gibt es aber viele Mädchen, die eine wahre Leidenschaft dafür haben, einen Mann in sich verliebt zu machen, während sie nur an ihr eigenes Amüsement denken. Ich halte das für sehr unrecht und unweiblich.«

»Meinen Sie Fräulein Lambert?« fragte Genoveva.

»Das greuliche, ordinäre Geschöpf! O nein, bei Leibe nicht, von der Seite war nie die leiseste Gefahr. Freddy würde nie daran gedacht haben, dazu ist sein Geschmack viel zu gut. Nein, ich meine Leute von seiner Stellung, die ansprechend und passend wären, und die imstande sein dürften, ihn zu ermutigen, ohne vielleicht ernstlich darüber nachzudenken, was sie damit thun.«

»So daß die Unrechten ihn zu heiraten wünschen und die Rechten nicht? Das trifft sich unglücklich.«

Diese ernst gesprochenen Worte des jungen Mädchens drückten gerade nicht den Eindruck aus, den Lady Croft hatte hervorbringen wollen. Sie seufzte.

»Es gibt nur leider so wenig ›Rechte‹, das ist das Schlimmste daran. Und wenn Sie meinen Sohn so genau verständen, wie ich es thue, so würden Sie einsehen, wie absolut wesentlich es für ihn ist, daß er eine heiratet, die für ihn die Rechte ist.«

»Jemand von heiterer Disposition?« schlug Genoveva vor, weil sie nichts Besseres zu sagen wußte.

»Nun nicht gerade das. Natürlich dürfte seine Frau nicht schmollen und den Kopf hängen lassen.«

»Freddys Frau würde wohl nicht viel Gelegenheit dazu haben,« lächelte Genoveva.

»Nein, schwerlich. Aber das wollte ich auch nicht sagen. Die Wahrheit ist, daß Freddy werden wird, was seine Frau aus ihm machen will. Manche Männer sind so, wie Sie wissen; die Crofts sind immer so gewesen; es liegt im Blut. Und so viele von ihnen sind irre gegangen und werden jetzt als schlechte Männer bezeichnet, während sie es in Wirklichkeit durchaus nicht waren, sondern nur gedankenlos und unbefriedigt; die Schuld hatte dann an den Frauen gelegen, die zu feige oder zu selbstsüchtig waren, ihren Einfluß auf sie auszuüben. Ich denke, daß, wenn die Zeit kommt, wo wir über unser Leben Rechenschaft ablegen müssen, wir uns selbst verantwortlich finden werden für viele Sünden anderer, die wir hätten verhindern können, wenn wir gewollt hätten.«

Lady Croft hielt inne. Sie hatte die letzten Worte ruhig, ohne ihre gewöhnliche Emphase gesprochen, und in ihren Augen erglänzten Thronen. Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was die Fama sich von dem verstorbenen Sir Montagu, ihrem Gatten, erzählt, so ist nicht anzunehmen, daß der Einfluß einer Frau ihn hätte retten können; aber in der Erinnerung dieser armen Lady mochte der früh gestorbene Mann vielleicht noch von einem anderen Lichte verklärt sein. Wie man sagt, hatten sich die beiden aus Liebe geheiratet und waren als ein sehr schönes Paar gefeiert worden.

»Sie sehen also,« nahm die Witwe den verlorenen Faden wieder auf, »daß ich nicht die erste beste als Freddys Gattin willkommen heißen könnte. Ich weiß sehr wohl, wie das Mädchen sein müßte, das er heiraten dürfte. Sie müßte ruhig und von seinem Geschmack sein; sie müßte die Musik sehr lieben, weil das seine Leidenschaft ist; sie müßte mit seinen Vergnügungen sympathisieren, ohne sich daran zu beteiligen, denn dadurch würde sie sich in seiner Achtung herabsetzen. Wenn möglich, sollte sie sich ein winziges Stück über ihm halten. Auch muß sie eine gewisse Entschiedenheit haben. Eine solche Frau würde ihn sein lebenlang glücklich machen, und ich weiß, daß er sie auch glücklich machen würde.«

Wie konnte Genoveva anders, als die Person erkennen, welche in dieser scharfen Skizze porträtiert werden sollte? Die Anwendung war schmeichelhaft, setzte aber in Verlegenheit, und es war schwer zu sehen, welche Antwort die Dame auf so allgemeine Bemerkungen erwartete. Plötzlich aber, als sie so schweigend dasaß und die Spitze ihres Sonnenschirmes zwischen die Ritzen der Steinfliesen bohrte, fühlte sie sich warm in die Arme geschlossen.

Nach diesem Herzenserguß hatte Lady Croft Zartgefühl genug, nichts mehr zu sagen. Auf der Heimfahrt plauderte sie lebhaft über verschiedene Themata, spielte aber nicht wieder auf ihres Sohnes Geschicke und Eigentümlichkeiten an. Sie fühlte sich erleichtert in ihrem Herzen, denn sie hatte ja den Zweck ihrer Exkursion erreicht, und es blieb nun Freddy überlassen, mit seiner Liebeserklärung hervorzutreten. Und doch hatte Genoveva nichts gesagt noch gethan, um eine so schnelle Beruhigung zu rechtfertigen, außer, daß sie sich hatte küssen lassen, was sie, um die Wahrheit zu gestehen, auch schwer hätte verhindern können.

Freddy hatte, als er die Gesellschaft nach Hause fuhr, eine etwas schweigsame, zerstreute Nachbarin. Dies bedeutete jedoch nicht viel, da er selber immer in Hülle und Fülle zu sprechen hatte. Unter den sieben unaufhörlich thätigen Zungen im Wagen war die achte glücklich genug, sich der Beachtung entziehen zu können.



 << zurück weiter >>