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»Auf mein Wort, Gervis, es ist zum Verrücktwerden freundlich von dir, und ich freue mich auf die Fahrt wie ein kleines Kind,« sagte Freddy Croft am nächsten Nachmittage, nachdem Claud in sein Zimmer getreten war und sich mit dem jungen Baron, der gedankenvoll und offenbar in unbehaglichster Stimmung auf dem teppichbelegten Boden ruhelos auf und ab wanderte, besprochen hatte. »Aber sag einmal, ist es denn wirklich notwendig, daß ich an die alte Frau schreibe?«
»Ich denke, es würde besser aussehen.«
»Aber die Männer vom Gesetz sagen doch immer, man kann keinen größeren Mißgriff begehen, als wenn man sich durch etwas Schriftliches kompromittiert. Und ich bin so unbehilflich, wenn ich so etwas ausdrücken will. Ich werde ganz gewiß einen schönen Unsinn anrichten. Was soll man da bloß sagen? Mir wär's am liebsten, du diktiertest mir das Schriftstück.«
»Nun, das will ich schon thun, wenn du es gern hast. Ich würde es etwa so machen: ›Meine hochverehrte Frau Lambert!‹ Hast du das geschrieben?«
»Jawohl. Fahre fort.«
»Meine hochverehrte Frau Lambert!
Claud Gervis hat mich soeben aufgesucht und mich zu einer ziemlich langen Vergnügungsfahrt auf seines Vaters Jacht eingeladen. Nun müssen wir aber, wie er sagt, mit der nächsten Flut aus dem Hafen laufen; daher werde ich kaum Zeit haben, meine Sachen zusammenzupacken, und fürchte, daß ich es schwerlich noch möglich machen kann, mich von Ihnen und Fräulein Lambert persönlich zu verabschieden. Meine Pläne sind immer sehr ungewisse, und Sie werden Beachborough längst verlassen haben, ehe ich zurückkehre. Aber die Welt ist so klein, daß wir sicher darauf rechnen können, uns früher oder später wieder einmal zu begegnen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich einer Erneuerung unserer Bekanntschaft mit dem größten Vergnügen entgegensehe.«
»Aber das ist Schwindel!« schaltete der willfährige Schreiber ein.
»Dann laß es weg, wenn du willst; aber es bedeutet nichts und klingt höflich. Ich denke nicht, daß du noch etwas zu sagen brauchst, außer, daß du in großer Eile schreibst und daß du dich Fräulein Lambert empfehlen lässest.«
»Hochachtungsvoll F. Croft,« murmelte der junge Baron, das Billet unterzeichnend und faltend. »Ja, ich denke, das wird so ungefähr genügen. Aber wie ein Esel komme ich mir doch vor.«
»Das Gefühl des Weglaufens gefällt dir nicht,« bemerkte Claud. »Das gefällt niemandem. Manchmal aber bleibt einem nur die Wahl zwischen dem Weglaufen und dem Verzehrtwerden!«
»Was du für ein hartherziger Mensch bist! Du hast gut lachen. Aber Fräulein Lambert ist gar kein so übles Mädchen, wie du denkst. Wollte der Himmel, es existierte so ein Ding, wie der Ehestand, gar nicht! Soll ich jetzt meinen Diener mit dem Liebesbrief wegschicken?«
»Wenn du Frau Lambert in einer Viertelstunde hier zu sehen wünschest, ja. Ich denke, er darf ihr erst überbracht werden, wenn wir schon ein gutes Stück unterwegs sind. Sie kann nicht daran denken, uns zu verfolgen, wenn sie nicht gerade ein Dampfboot aufzutreiben für gut findet.«
»Uebrigens, Gervis, du hast mir noch gar nicht gesagt, wer unsere Gesellschaft bilden wird.«
»Es ist gar keine Gesellschaft. Erst als ich gestern abend nach Hause ging, entschloß ich mich, meinen Vater um seine Jacht zu bitten. Ich wollte nur gern meine Schwester auf einige Zeit entführen, wegen – nun, wegen Familienrücksichten, und da war natürlich keine Zeit, erst noch andere einzuladen. O, du brauchst dir keine Sorge zu machen, ich werde dich nicht in neue Gefahren bringen. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß du dich in Gen verlieben solltest, und außerdem kann ich dir, wenn du willst, eine schriftliche Bürgschaft dafür geben, daß sie sich in dich nicht verlieben wird – wenn du es nicht übelnimmst. Auch wird Fräulein Potts dabei sein, um den schützenden Drachen zu spielen.«
»Mein lieber Junge, ich habe mir noch gar keine Sorgen gemacht und brauche auch einen schützenden Drachen nicht. Wer ist Fräulein Potts?«
»Fräulein Potts? Nun sie ist eine, ja … sie ist eben Fräulein Potts – ihre Persönlichkeit wird keine verführende Macht auf dich ausüben. Sie war früher die Erzieherin meiner Schwester. Was sie jetzt ist, kann ich nicht so genau sagen – Ihr würdet sie vielleicht Gesellschafterin nennen. Ich fürchte, du wirst es alles ziemlich langweilig finden, Croft; aber dagegen läßt sich nun nichts machen. Ich habe ein Billet an den alten Knowles geschickt, ob er sich vielleicht an der Fahrt beteiligen will.«
Und von glaubwürdiger Seite habe ich erfahren, daß die Antwort des jungen Barons auf diese Ankündigung war: »O, der Teufel hole den alten Knowles!«
Aber das sind persönliche Angelegenheiten und haben auf die vorliegende Geschichte keinerlei Einfluß. Thatsache ist, daß ich mich bald darauf sehr vergnügt mit den übrigen auf dem Schiffe zusammenfand und mit ihrer Gesellschaft so zufrieden war, wie ich glaube, daß sie mit der meinigen waren.
Die ersten Klänge des Konzerts drangen zu uns herüber, als wir an den Pfeilern des Hafendammes vorbeiglitten. Die Matrosen in ihren blauen Jacken und roten Mützen zogen das Hauptsegel auf, wobei Claud und Freddy hilfreiche Hand anlegten.
Drei müßige Zuschauer saßen dicht neben der Treppe und duckten sich nur, wenn das schwere Segel ihnen um die Ohren zu klappen drohte. Das unbedeutendste Mitglied dieses Trios ist dem Leser schon bekannt, ich meine mich selbst, Herrn Knowles – der alte Knowles, sagen die jungen Leute –, den Erzähler dieser Geschichte. Das zweite, Fräulein Potts, ist jedem leicht anschaulich zu machen, der die gebräuchliche französische Karikatur der vieille miss anglaise gesehen hat. Sie hatte die vorstehenden Zähne, die flachsblonden Locken, das steife Kreuz und die eckigen Umrisse, wie sie in jedem Roman der englischen Gesellschafterin zugeschrieben werden. Auf den ersten Blick sah ich ihr an, daß sie übermäßig prüde war, viel aß, wenig sprach und ihre Mußezeit zur Fabrikation von wässerigen Aquarellen anwandte. Nähere Bekanntschaft mit dieser sehr achtungswerten Dame bestätigte meine erste Ansicht von ihr in jedem Zuge und offenbarte mir nur, daß ihr Leben von zwei Leidenschaften regiert wurde – Anbetung ihres Zöglings und Verabscheuung des Vaters desselben.
Fräulein Genoveva Gervis ist weniger leicht zu beschreiben. Sie war groß und schlank, hatte ein ernstes, vornehmes Gesicht, weiches dunkles Haar, einfach in einen griechischen Knoten geschürzt, dazu wunderschöne tiefblaue Augen, die, wenn sie einen Gegenstand aufmerksam betrachtete, fast schwarz leuchteten, und auffällig lange Wimpern. Der Umstand, daß sie einen Bruder hatte, dem sie zum Verwechseln ähnlich sah, nur daß er regelmäßigere Züge besaß, fiel beim großen Publikum zu ihren Ungunsten in die Wage. Unabänderlich wurde die Bemerkung ausgesprochen, daß er viel schöner als sie sei. Für mich aber hatte Genoveva vom ersten Augenblicke an etwas unbeschreiblich Anziehendes, sowohl in dem ernsten, in die Ferne gehenden Blick ihrer großen schönen Augen und in ihrem nicht häufigen, darum aber um so lieblicheren Lächeln, als auch in ihren anmutig gemessenen Bewegungen und dem allgemeinen Eindruck einer Gedrücktheit, der bei einem so jungen Mädchen förmlich schmerzvoll berührte. Als sie da auf dem Deck der Jacht saß und gedankenvoll nach dem fernen Horizont blickte, erregte sie mein Interesse und meine Bewunderung in hohem Grade, denn ich fühlte, daß sie eine »Geschichte« haben mußte.
Nach und nach waren alle Segel aufgezogen, ein beständiger Landwind trieb die »Sirene« schnell genug durch das Wasser; die beiden jungen Männer gesellten sich zu uns, Freddy Croft, um die Geschichte seiner Abenteuer in mein sympathisches Ohr zu schütten, Claud Gervis, um Fräulein Potts zu beruhigen, die auf dem Meere nervös wurde. Wir hatten von unserer Reise schon ein gutes Stück zurückgelegt, und noch keinem war es eingefallen zu fragen, wohin die Fahrt gehen sollte. Die Frage nach dem Wohin war uns von untergeordneter Bedeutung. Claud hatte ohne Zweifel seine Pläne, aber er mochte sie ebensogut für sich behalten. Solange wir frei waren, ein gutes Schiff unter uns und einen guten Wind hinter uns, was scherten uns die Einzelheiten? Wir gingen zu Tische, als die Küste von Sussex sich erst wie ein Wolkenstreifen am Rande des Horizonts zeigte; als wir wieder auf Deck kamen, lag die Insel dicht neben uns, und wir beschlossen, im Hafen von Portsmouth die Nacht zuzubringen – ein Entschluß, der Fräulein Potts einen Seufzer der Erleichterung erpreßte.
»Es ist so sehr gefährlich, in der Dunkelheit zu segeln,« murmelte sie. »Das scheint ja hier ein hübscher, geschützter Fleck zu sein. Ich hoffe, wir werden ihn zu unserem Nachtquartier machen und jeden Abend von unseren Ausflügen hierher zurückkehren.«
»Nun, das weiß ich nicht so ganz sicher,« sagte Freddy in vertraulichem Tone. »Ich hörte so etwas, daß wir noch vor Tage auf dem Wege nach Amerika sein werden.«
»Nach Amerika?« rief die Dame entsetzt. »Unmöglich!«
»O doch. Es ist ja jetzt ganz an der Tagesordnung, daß man in einer Jacht den Atlantischen Ocean durchschifft. Und man hört eigentlich nicht oft, daß Schiffbrüche dabei vorkommen – wenigstens nicht sehr oft. Die große Gefahr dabei ist nur, daß man mit widrigen Winden zu kämpfen hat und lange aufgehalten wird. Da können einem denn natürlich die Lebensmittel ausgehen und man muß von unglaublichen Dingen leben. Aber das müßte eben sehr spaßhaft sein, finden Sie nicht? Eine Gesellschaft existierte einmal eine ganze Woche lang von Lichtern, nachdem das Biskuit ausgegangen war. Dann aßen sie ihre Stiefeln, und danach fielen sie über das Takelwerk her –«
»Genoveva, mein teures Kind,« unterbrach ihn Fräulein Potts, »lassen Sie uns sogleich ans Land gehen. Ihr Bruder mag thun, was er will; aber für Sie bin ich verantwortlich. Herr Claud, es thut mir leid, Ihnen Umstände machen zu müssen; aber ich muß bitten, daß Sie in einer halben Stunde das Schiffsboot bereit machen lassen.«
»Ja, davon kann gar nicht die Rede sein, Fräulein,« antwortete Claud ernsthaft. »Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß das Boot ein Leck bekommen hat und in dieser Nacht nicht mehr ausgebessert werden kann.«
Fräulein Potts seufzte, ließ sich aber von ihrem Vorhaben nicht abbringen, »Ehe ich es wage, mich morgen früh auf dem Ocean zu finden, will ich mich lieber dem lecken Boote anvertrauen,« sagte sie.
»Davon kann ich Ihnen nur auf das entschiedenste abraten,« bemerkte Freddy. »Wenn Sie darauf bestehen, so werden Sie alle beide ums Leben kommen und die Sie begleitenden Matrosen dazu; denn ich weiß zufällig, daß kein Mann von der Schiffsmannschaft schwimmen kann.«
»Antworten Sie ihm gar nicht, Fräulein Potts,« sagte Genoveva. »Er spricht nur Unsinn und würde sich ebensosehr ängstigen wie Sie, wenn er dächte, wir sollten wirklich über den Ocean fahren.«
Aus dieser Unterhaltung sieht man, daß sich schon gemütliche Vertraulichkeit zwischen uns eingestellt hatte. Und in der That, fünf Personen, die an Bord einer Jacht aufeinander angewiesen sind, können nicht lange auf bloß höflichem Fuße zu einander bleiben. Diese weise Betrachtung stellte ich mit Claud Gervis an, der denselben Grundsatz auf die anwandte, die er zurückgelassen hatte – auf Herrn Gervis und seine geheimnisvolle zweite Frau, die Prinzessin Uranow – und darauf seine Hoffnung setzte.
»Ich war entschlossen,« sagte er, »ihnen eine Gelegenheit zu geben. Ich mag einen vollkommenen Mißgriff gethan haben; aber es schien mir der Mühe wert, es zu versuchen. Solange ich mich erinnern kann, sind sie nie einen Tag lang allein beisammen gewesen, und jetzt werden sie vierzehn Tage oder noch länger allein sein. Wenn sie sich nicht verständigen, nun, so sind wir nicht schlimmer daran als bisher. Aber halten Sie es nicht auch für wahrscheinlich, daß sie ihr Mißverständnis einsehen und sich die Hand reichen werden?«
Ich antwortete mit einem der gewöhnlichen Gemeinplätze über Zwistigkeiten zwischen Mann und Weib und über das sprichwörtliche Schicksal derer, die sich dareinmischen wollen.
»Ah, aber Sie verstehen die Sache nicht,« bemerkte Claud. »Und wie könnten Sie das auch, da ich selbst sie nicht verstehe, noch auch sonst jemand, wie mir's vorkommt. Es beruht alles auf Mißverständnissen. Varinka sagt, sie werde mißverstanden. Der Vater sagt nichts; aber glücklich ist er durchaus nicht, wie Sie wohl bemerkt haben. Und er hat ein weicheres Herz, als man es ihm zutraut. Auch hat er ein zu scharfes Gefühl für das Lächerliche, um nicht die Thorheit einzusehen, die darin läge, daß zwei Menschen zusammen in einem Landhause eingeschlossen sind, alle Tagen ein dutzendmal aneinander vorbeigehen und weiter nichts als eine Verbeugung füreinander haben. Ich denke, Varinka wird den ersten Schritt thun – sie wird sich so entsetzlich langweilen, daß sie es nicht wird ertragen können, und wenn er ihr nicht auf halbem Weg entgegenkommt, so wird er ihr wenigstens Gehör schenken. Auf diese Weise werden sie in eine Unterhaltung kommen, und schließlich wird er sie so reizend finden wie jeder sonst.«
»Und sie wird ihn ebenso reizend finden?«
»Das wird sie, wenn ihm etwas daran liegt. Kein Mensch kann liebenswürdiger sein als mein Vater, wenn er nur will. Gewiß, er will nicht oft; aber das kommt daher, weil es ihm selten der Mühe wert scheint, sich um anderer Leute willen Zwang anzuthun. Und ich nehme an, daß niemand mit ganz Fremden fertig werden kann, ohne sich einigen Zwang anzuthun.«
»Das hängt vom Temperament ab,« bemerkte Clauds beobachtender Zuhörer mit einem Blick nach der anderen Seite des Decks.
Ich glaube allerdings nicht, daß der günstige Eindruck, den Freddy Croft auf alle Leute, auf Männer und Frauen aller Stellungen hervorbrachte, die Wirkung eines Zwanges war, den er seinerseits sich anthat, noch auch, daß, indem er sich Fräulein Gervis zu Füßen warf, er etwas anderes that, als seinem Instinkt zu folgen, der ihn unabänderlich zu der schönsten und jüngsten Dame zog, die in seinem Bereich war. Ich konnte nicht verstehen, wovon er und Genoveva sich unterhielten; nach den häufigen Ausbrüchen von Lustigkeit auf beiden Seiten zu urteilen, mußten sie sich jedoch gegenseitig höchst unterhaltend finden. Und als ich sah, wie sorgfältig Freddy seinen Regenmantel um die Schultern seiner Nachbarin ordnete, so daß sie vor dem spritzenden Schaum geschützt war, da wußte ich, daß Fräulein Lamberts Herrschaft über den leichtfertigen jungen Aristokraten in die graue Vergangenheit gehörte.
Als wir Ventnor in Sicht hatten (es war am Morgen nach unserer Abfahrt), erschien Fräulein Potts, bleich und etwas verstört. Sie hatte den größten Teil der Nacht ohne Schlaf mit ihrem Gebetbuch und einem Riechfläschchen zugebracht, war aber sogleich wieder wohlauf, als sie hörte, daß unser Programm für den Tag nichts Ehrgeizigeres enthielt, als eine Fahrt um die Insel, und daß wir vor dem Essen wohl schon wieder in unserem sicheren Hafen Anker werfen würden.
»Das ist bei weitem das Beste und Sicherste,« sagte sie. »Ich weiß nicht, ob Ihre Erfahrung mit der meinigen übereinstimmt, Herr Knowles, aber ich habe mich, so sehr ich nachgerade der Jachtfahrten gewohnt worden bin, mit den wackelnden und schaukelnden Tischen noch nicht aussöhnen können. Die Illusion von Stabilität, die sie einem unserer Sinne einflößen, während die anderen nichts als unaufhaltsame Bewegung um sich her wahrnehmen, scheint mir immer die Aufrechterhaltung des persönlichen Gleichgewichts zu einer doppelt schwierigen Aufgabe zu machen.«
In diesem gewichtigen Stile liebte es Fräulein Potts sich auszudrücken, wenn sie Zeit hatte, ihre Worte mit Bedacht zu wählen. Claud aber bemerkte trocken: »Freilich, wenn Sie darauf bestehen, sich an den Tischkanten festhalten zu wollen, so oft das Schiff eine Schwingung macht, so können Sie seine Stabilität eine Illusion, und Ihr persönliches Gleichgewicht nirgends finden.«
Von dieser Zeit an war es ein stehender Spaß bei uns, daß wir uns jeden Morgen nach Fräulein Potts persönlichem Gleichgewicht erkundigten.
Wenn man aus diesem Pröbchen erkennen kann, daß unsere Scherze sich durch besonders glänzenden Witz nicht auszeichneten, so hatten wir doch während unserer zehntägigen Kreuz- und Querfahrten so viele miteinander, daß wir kaum aus dem Lachen herauskamen. Was mir, als unbeteiligtem Zuschauer, eigentlich die Sache so lustig machte, kann ich selbst nicht sagen, denn es trug sich während der ganzen Lustfahrt nichts Erzählenswertes zu, außer etwa, daß uns in Torbay eine Windsbraut erfaßte und unseren Haupttopmast hinwegriß, was aber eigentlich nur für Fräulein Potts ein wichtiges Ereignis war.
In der Hauptkajüte stand ein Piano, ein alter Klapperkasten, dem die Feuchtigkeit und rücksichtslose Benutzung übel mitgespielt hatte. Ein paarmal hatte sich Claud darauf an einem Walzer versucht, oder Freddy, der, wenn er nicht sprach, immerfort sang oder pfiff, hatte zu seinen Liederchen eine Begleitung gespielt; aber das alte Ding war so schlecht, daß es keinem von uns eingefallen war, Fräulein Gervis zu bitten, sie möchte uns etwas darauf vorspielen.
Eines Abends jedoch bequemte sie sich uneingeladen dazu, und in dem Augenblick, wo sie die Tasten berührte, wußte ich für meine Person sogleich, daß wir eine Künstlerin unter uns hatten.
Ich äußerte das gegen Fräulein Potts, die dazu nickte und mir zuflüsterte: »Wir haben viel in der musikalischen Welt von Paris gelebt, und da haben die besten Kritiker Genovevas Spiel sehr hoch geschätzt; wenn Sie aber die Musik lieben, so müßten Sie sie auf der Violine hören. Meine Liebe,« fügte sie laut hinzu, »wollen Sie nicht Ihre Violine hervorholen? Herr Knowles hegt den Wunsch –«
»Wenn ich es thäte, so würde Herr Knowles bald den Wunsch hegen, daß ich sie wieder wegsteckte,« versetzte das schöne Mädchen. »Für diese enge Kajüte würde ich viel zu viel Lärm verursachen.«
»Sie will nur genötigt werden,« sagte Claud. »Warum hast du die Violine mit an Bord gebracht, Gen, wenn du keinen Gebrauch davon machen wolltest?«
Auf diese Frage gab Fräulein Gervis keine Erwiderung; wahrscheinlich aber, um zu zeigen, daß ihr Zögern die untergeschobene Bedeutung nicht gehabt hatte, stand sie sogleich auf und ging nach ihrer Kajüte, von wo sie mit dem Instrumente zurückkam, es so sorgsam im Arme tragend wie ein geliebtes Wesen. Sobald sie es nach ihrer Zufriedenheit gestimmt hatte, was Zeit und Mühe erforderte, fing sie an zu spielen.
Zu beschreiben, was wir hörten, das unternehme ich nicht. Ich bin kein musikalischer Kritiker und würde dem Leser nur falsche Begriffe über ihr Talent beibringen. Was sie spielte, weiß ich nicht mehr, doch war es eine klagende Melodie. Der Reiz lag aber auch nicht im Gegenstand, sondern in der Art und Weise der Ausführung. Nur dadurch, daß sie uns allen gemeinsame sympathische Gefühle erweckte, war es möglich, daß sie uns so lange und so stark in verzaubertes Schweigen bannen konnte.
Daß Freddy Croft im innersten Herzen getroffen wurde, bewies sein offener Mund und die förmlich entsetzten blauen Augen. Ich hege auch nicht den leisesten Zweifel, daß Genovevas Herrschaft über diesen empfänglichen jungen Mann sich seit dieser Stunde datiert. Als die Schlußaccorde verklungen waren, machte er sich durch einen unterdrückten Ausruf Luft, der für ein verständnisvolles Ohr ganze Bände enthielt. Was er sagte, war nur: » Beim Zeus!« – aber es lag alles darin.
Von diesem Augenblick ab spielte Fräulein Gervis uns jeden Abend etwas vor, und ihre Melodieen waren immer von derselben Art, alte italienische Balladen oder wehmütige französische Bauerngesänge, wahrscheinlich, wie sie es für die Fähigkeiten der Zuhörerschaft am passendsten hielt, denn Fräulein Potts erklärte eifrig, ihr Zögling habe unter den ersten Meistern studiert und könne sehr viel schwerere Stücke spielen, als wir sie hörten.
Die Schiffsmannschaft stahl sich nach oben und lauschte unter dem offenen Sternenhimmel. Der Diener machte sich in den Kajüten zu schaffen und ließ die Thür halb offen. Der Kapitän pflegte sich auf der Schiffstreppe einzufinden und scheinbar das Wetterglas zu prüfen. Die ganze Schiffsgesellschaft befand sich zu dieser Stunde in der Gewalt der Zauberin.
Freddy Croft war nicht dazu geschaffen, seine Gefühle zu verbergen. Ueberzeugt, wie er war, daß Genoveva seine erste und letzte Liebe sei, folgte er ihr auf Schritt und Tritt, wie ein Hündchen, sodaß ich oft fürchtete, Claud möchte eine Bemerkung darüber machen und die Harmonie unserer Gesellschaft dadurch gestört werden. Aber kein Mensch legte so viel Gewicht auf Freddy Croft, nicht einmal Fräulein Potts, so altjüngferlich strenge sie sonst über diese Dinge dachte, noch auch der Gegenstand dieser unbegrenzten Verehrung, die mit aller Anmut entgegengenommen wurde, aber eher als ein Scherz, denn als Wirklichkeit.
So gingen die Tage vergnüglich dahin, bis Claud und ich ans Land stiegen, um unsere Briefe vom Postamte zu Torbay abzuholen. Für mich war ein hübscher Haufen Briefe eingelaufen, von denen mehr als einer es ratsam machte, daß ich mit dem ersten Expreßzug nach London fuhr.
»Alles Schöne muß ein Ende haben,« sagte ich und sah meinen Gefährten an, der mit niedergeschlagener Miene die Augen von seiner Korrespondenz aufhob.
»Es muß wohl so sein,« seufzte er. »Das Unglück ist, daß die Dinge nicht immer so ablaufen, wie man es wünschte. Lesen Sie dies. Es klingt nicht sehr hoffnungsvoll, wie ich fürchte.«
Damit überreichte er mir folgenden charakteristischen Brief.
Southlands, 15. Juli 187–.
»Mein lieber Claud!
»Dein Schreiben von heute Morgen war mir eine rechte Erleichterung, denn ich fing an, mir die unbehagliche Lage zu vergegenwärtigen, die sich entwickeln müßte, falls Ihr alle ertrunken wäret. Es ist mir peinlich, Eurer, wie es scheint, sehr angenehmen Lustfahrt ein Ende machen zu müssen; aber ich kann leider nicht umhin, Dich zu bitten, daß Ihr so schnell wie möglich zurückkehrt. Wir, die Prinzessin und ich, haben unsere Schuldigkeit gethan, soweit unsere Kräfte reichten. Der hohe und der niedere Adel der Umgegend hat uns seine Besuche abgestattet und wir haben dieselben erwidert. Ich glaube von mir sagen zu dürfen, daß ich keine Taktlosigkeiten begangen habe; die Prinzessin ihrerseits hat den ganzen Erfolg errungen, zu dem ihre vielen liebenswürdigen Eigenschaften sie berechtigen. Jetzt aber erinnert sie mich, daß die Villa, die sie in Trouville für die Saison genommen hat, schon seit mehreren Wochen ihrer wartet, und daß, wenn Genoveva sie dorthin begleiten soll, sie keine Zeit mehr verlieren darf, sondern ihre Kleider einpacken und die notwendigen neuen kaufen soll.
»Unser hiesiges Leben ist der Gesundheit zuträglich und für beschauliche Naturen außerordentlich geeignet. Es fehlt ihm aber jenes Element der Aufregung, wie es Damen, die an die Pariser Gesellschaft gewöhnt sind, naturgemäß fordern. Wirklich, wenn nicht ein naher Nachbar, Namens Flemyng, und die alte Frau Knowles wären – beide in ihrer Weise prächtige Charaktere – so ist es wohl möglich, daß ich selber es ein wenig langweilig finden dürfte.
»Ich hoffe, die Ruhe des jungen Croft ist durch die Angst um das von ihm zurückgelassene Mädchen nicht gestört worden. Zwei Tage nach Eurer Abreise kam die Mutter hierher, verlangte mich zu sprechen und verübte einen solchen Lärm, daß die Dienerschaft auf falsche Schlüsse geraten sein muß. Ich wartete, bis sie sich müde geschrieen hatte, dann gab ich ihr ein Glas Wein und versicherte ihr, daß ich nicht die entfernteste Ahnung hätte, was aus ihrem treulosen Liebhaber geworden sei. Ich habe mich vergewissert, daß sie und ihre Tochter nunmehr die Gegend verlassen haben; Croft kann also ungefährdet zurückkommen.
»Du wirst mich zu Dank verpflichten, wenn Du mir nach Empfang dieses Briefes eine Depesche schickst, des Inhalts, daß Du im Laufe von drei Tagen zurück sein wirst. Wenn der Wind Euch entgegen ist, so laß die Eisenbahn Euch zu Eurer sehnsüchtig wartenden Familie zurückfahren. In Liebe
Dein treuer Vater.«
Es war so, wie Claud sagte: sehr hoffnungsvoll klang das nicht. Ich schluckte aber großmütig die Bemerkung hinunter, daß ich mir das von Anfang an gedacht hätte, und sagte nur, daß ich noch an diesem Abend nach London abfahren müsse, vielleicht könnten wir die Fahrt zusammen machen. Bei einem steigenden Barometer und einer schönen westlichen Brise wollte aber Claud von Eisenbahnen nichts hören. So mußte ich denn nach einigen Stunden von meinen neuen Freunden Abschied nehmen, die mir schon wie recht alte vorkamen und die ich nicht wieder für immer aus dem Gesicht verlieren wollte.
Sie alle begleiteten mich noch nach dem Bahnhofe, und Fräulein Potts vergaß das »Dekorum« so weit, daß sie mir mit dem Taschentuch winkte, als sich der Zug in Bewegung setzte.