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Unterdessen sprachen im Klub von Beachborough alle Leute von der bevorstehenden Ankunft des Herrn Gervis senior. Wer die Engländer kennt, der weiß auch schon ganz genau, was sie von einem Landsmanne sprachen, der fast sein ganzes Leben im Auslande zugebracht und deswegen mit einem Schleier des Geheimnisses umhüllt war. Der Mann war ja von vornherein verdächtig, höchst verdächtig, und man konnte es seinen ehrenwerten Landsleuten kaum übelnehmen, wenn sie ihn gehörig »vermöbelten«, als er jetzt, nach Gott weiß wie vielen Jahren, wieder den englischen Boden betreten wollte.
»Ja, meine Herren,« sagte der alte taube General Blair, »dieser Gervis ist ein Teufelskerl, ein wahrer Satan von einem Kerl. Na, mir ist's gleich, wie man ihn hier behandeln will, ganz gleich, aber das sage ich Ihnen, den Kerl läßt man in Paris in kein anständiges Haus mehr herein. Nicht mehr herein läßt man ihn, sage ich Ihnen, und wenn er Berge Goldes zahlen wollte. Solch ein Kerl! Heiratet zwei Erbinnen; die erste hat er vergiftet, von der zweiten hat er sich getrennt, aber das Geld hat er von beiden. Schlauer Hund nebenbei, die Kunden im auswärtigen Amt waren verzweifelt, als er aus dem diplomatischen Dienst austrat. Lange Jahre Diplomat gewesen, Legationsrat, Ministerresident, Gesandter, Italien, Türkei, Amerika, was weiß ich wo … aber stets feiner Kopf, geriebener Kerl. Aber Schurke, Giftmischer, alles mögliche, neulich erfuhr ich die ganze Geschichte vom Oberst Allonby.«
»Der Oberst Allonby ist der unverschämteste Lügner auf dem ganzen Erdenrund,« antwortete der alte Admiral Bagshawe.
»Oberst Allonby von den Gardeschützen, ganz richtig,« entgegnete der alte taube General, der die Bemerkung seines Gegners nicht verstanden hatte. »Allonby weiß alles, er kennt alle Welt und alle Verhältnisse. Auf jeden Fall will ich mich noch einmal genau bei ihm erkundigen, ehe ich mich entschließe, ob ich bei Gervis Besuch mache oder nicht.«
»Hm,« sagte nachdenklich Oberst Davis, »mit dem Besuch, das ist eine eigene Geschichte. Gervis erwidert niemals Besuche und empfängt auch keine. Als er noch in Paris lebte, haben zahlreiche Landsleute ihm Besuch gemacht; er lebte damals ausschließlich in der allerfeinsten Gesellschaft und hätte einem sehr nützlich sein können, wissen Sie, mit Einladungen und dergleichen. Aber der hochnäsige Esel empfing einen nicht und wenn man zehnmal zu ihm kam. Ekelhafter Kerl! Aber ich weiß ganz genau, wie es mit der Sache steht, und auch, was es mit seinem Austritt aus dem diplomatischen Dienst auf sich hat: die Gervis werden alle mit einem gewissen Zeitpunkte verrückt und unser Gervis ist schon seit mehreren Jahren so gestört, wie nur ein Mensch sein kann.«
»Ach was, Unsinn!« rief der Admiral.
»Ich muß sehr bitten,« sagte würdevoll Oberst Davis. »Ich sagte nur, was ich aus guter Quelle gehört habe. Die Gervis sind alle verrückt, der kürzlich Verstorbene war sogar völlig toll.«
»Ha … ha …« lachte der unverbesserliche Admiral. »Er war ganz vernünftig, ein sehr kluger Mann sogar. Und der jetzige Gervis war – das habe ich aus guter Quelle – ein ausgezeichneter Diplomat und ein sehr geachteter und beliebter Kavalier an allen Höfen, wo er gelebt hat. Das einzig Geheimnisvolle an ihm ist, daß er nicht nach England gekommen ist all die langen Jahre. Aber das ist doch kein Verbrechen! Wer weiß … er hat keine Zeit gehabt, oder keine Lust. Und dann waren seine Frauen Ausländerinnen, die erste eine Perserin oder eine Hindu oder sonst eine Feueranbeterin, und die zweite eine Ungarin oder so etwas, und die dritte …«
»Na, hören Sie auf, Admiral,« sagte Herr Pender – ein magerer, schwindsüchtig aussehender Mann, der immer in melancholischem Tone sprach, als erzähle er Mordgeschichten, sich aber daneben große Hochachtung verschafft hatte durch die glänzenden Feste, die er veranstaltete – »Gervis war überhaupt nur zweimal verheiratet, seine erste Frau war eine Italienerin und die zweite, ja … was war die doch, eine russische Fürstin glaub' ich … daran liegt's nicht. Ich kenne die ganze Geschichte ganz genau, aber ich spreche nicht gern davon. Nein, nein, lieber nicht.«
»Na, reden Sie doch, schießen Sie los!« rief der Admiral.
»Lieber nicht,« sagte Pender, und setzte dann mit einem Tone hinzu, als erzähle er die Vergiftung einer ganzen Familie, einschließlich Dienstboten und Haustiere: »Haben Sie Gladstones Rede gelesen?«
»Ach was, Unsinn,« entgegnete grob der Admiral. »Ich lese Gladstones Reden nie. Seit zwanzig Jahren nicht mehr. Wenn ich etwas auf der Welt nicht leiden kann, so ist es solch ein alter Kerl, der nie sagt, was er meint. Also, wie steht's mit Gervis? Heraus damit, Pender! Na, so legen Sie doch los!«
»Heraus damit! Wie ist's?« riefen auch General Blair und Oberst Davis.
»Hm,« sagte Pender und schaute sich vorsichtig um, »die Sache liegt so: der Mann säuft, er ist ein unverbesserlicher Trunkenbold. Unter acht bis neun Flaschen Cognak den Tag thut er's nicht.«
»Ach was!« sagte General Blair.
»Den Teufel auch! Ich dachte es selbst schon,« murmelte Oberst Davis.
»Alte Geschichte! Die Gervis saufen alle,« schrie ein alter pensionierter Major, der bis dahin stumm zugehört hatte.
»Dummes Zeug! Acht Flaschen Cognak verträgt kein Kamel, das kenne ich,« entgegnete der alte Admiral. »Und so erzählt etwas anderes, wenn Ihr nichts Besseres wißt.«
»Ich versichere Sie, die Sache verhält sich so, wie ich gesagt habe,« wiederholte Herr Pender nochmals feierlich. Seine Festigkeit machte Eindruck auf die Versammlung; man neigte sich allgemein der Ueberzeugung zu, daß Gervis ein unverbesserlicher Gewohnheitssäufer sei. Daneben konnte die Thatsache ja ganz gut bestehen bleiben, daß er sein Weib, oder sogar mehrere Weiber vergiftet hatte, daß er wegen allerlei geheimnisvoller, jedenfalls höchst unsauberer Vorkommnisse aus dem diplomatischen Dienste entlassen worden war, daß er mit einem Worte ein Mann war, der seine guten Gründe hatte, den heimatlichen Boden zu meiden, ein Mann ferner, der schon längst zum Tode verurteilt worden wäre, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, reich und vornehm zu sein und deswegen vor der Schlinge bewahrt zu bleiben, die die Gerechtigkeit den Verbrechern legt.
Während diese interessanten Forschungen über Herrn Gervis den älteren und seine Vergangenheit unsere »Gesellschaft« Tag aus Tag ein beschäftigten, hatte ich während der ersten Tage von Claud Gervis' Aufenthalt in seiner neuen Heimat viel mit ihm zu thun gehabt. Der junge Mann brauchte jemanden, den er bei seinen Vorbereitungen für die Ankunft seines Vaters zu Rate ziehen konnte. Vielleicht war ich ihm dabei hier und da von Nutzen, wenigstens behauptete er, hoch in meiner Schuld zu stehen. Die Zeit war zu kurz, als daß wir Clauds sämtliche Absichten zur Ausführung bringen konnten; dennoch brachten wir dem alten Hause durch unsere Bemühungen einen Eindruck des Wohnlichen und Bewohnten bei. Ich befand mich eines Tages also auch wieder auf dem Wege nach Southlands, wo noch einige Einzelheiten meiner Entscheidung bedurften und wo ich das Vergnügen haben sollte, Frau Lambert nebst Tochter zu sehen, die durch Freddy Croft ihren Wunsch, die lange unzugänglich gewesene Besitzung zu besichtigen, noch einmal geäußert hatten.
Ich glaube nun freilich, daß die Vorliebe für das Malerische mit Frau Lamberts Wunsch, Southlands in Augenschein zu nehmen, nichts zu schaffen hatte. Thatsache aber war es, daß die Schmuckanlagen dieser nicht sehr ausgedehnten Besitzung an Schönheit auch die berühmtesten und anspruchsvollsten der Grafschaft weit übertrafen, dank der Leidenschaft für landschaftliche Gärtnerei, der der verstorbene Besitzer von Southlands gehuldigt hatte.
Mitten durch die herrlichste landschaftliche Umgebung konnte man auf einem dem Publikum nicht zugänglichen Wege in kürzester Frist nach dem Wohnhause gelangen. Diesen Weg benutzte ich, und mitten in meiner Freude über die mich umgebende Schönheit freute ich mich auch darüber, daß Frau Lambert und ihre Tochter diesen Pfad jedenfalls nicht finden, sondern sich auf der gewöhnlichen, viel weiteren Straße durch Staub und Sonnenbrand hindurcharbeiten würden.
Diese angenehme Täuschung wurde mir leider bald zerstört. Ich vernahm die lauten Töne einer mir nur zu wohl bekannten menschlichen Stimme, und gleich darauf erschien hinter den Bäumen hervor eine umfangreiche menschliche Gestalt in kostspieliger Toilette.
»O, Sie Bösewicht!« rief Frau Lambert und drohte mir liebenswürdig scherzend mit ihrem Sonnenschirm. »Sie kannten also diesen entzückenden Weg und sagten uns nicht ein Wort davon? Ich glaube beinahe, Sie wollten unsere Gesellschaft nicht haben!«
Habe ich schon erwähnt, daß Frau Lambert, sobald sie ersehen, daß ich von guter Familie, wohlhabend, also mit einem Worte »sehr achtbar« war, eine mehr als schmeichelhafte Freundlichkeit gegen mich angenommen hatte – eine Freundlichkeit, die mich ernstlich um meine persönliche Sicherheit besorgt machte?
»Katie und Fred – Sir Frederick,« verbesserte sie sich mit schalkhaftem Lächeln, – »sind schon vorangegangen,« erzählte sie. »Ich setzte mich ein paar Minuten, um diese köstliche Aussicht zu genießen. Sitzen Sie nicht auch zur Sommerszeit gern im Walde, Herr Knowles?«
»Ja; aber ich fürchte, die Mücken werden Ihnen hier zu sehr zusetzen; wir sollten lieber nach dem Hause zu gelangen suchen.«
Damit setzten wir unter gemütlichem Plaudern unseren Weg fort. Ich besitze nämlich leider die Gabe meiner Großmutter nicht, unangenehme Menschen nach Herzenslust anzufahren. Und wenn es mein Leben kostete, so könnte ich auch gegen die langweiligste Person nicht anders als höflich sein.
Da, wo unser Waldpfad die Grenze des Gartens berührte, stießen wir auf Freddy Croft, der Miß Lambert behilflich war, ihre Handschuhe zuzuknöpfen. An der Weise, wie die junge Dame die Augen hob und wieder senkte, bemerkte ich, daß sie sich große Mühe gab, zu erröten. »Wäre es möglich,« dachte ich, »daß Freddy ein solcher Esel sein könnte – – –!«
Während ich darüber meine Betrachtungen anstellte und wir uns langsam zwischen einem sonnigen Rasenplatz und wundervollen Blumenbeeten dem Hause zu bewegten, trat vor einer Gruppe von Blumen Claud Gervis entgegen, auf dessen Arm sich ein älterer Herr lehnte.
»Wie geht es Ihnen, Frau Lambert? Was machst du, Croft? Erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen Vater vorstelle, der heute morgen unerwartet angekommen ist.«
Der Fremde nahm den Hut ab und behielt ihn in der Hand, während er sich vor jedem von uns höflich verbeugte. Er war ein Mann etwas unter Mittelgröße, ging sehr gebückt und bewegte sich ganz wie ein Invalide. Seine Hände und Füße waren so zierlich, wie ich solche noch nie an einem männlichen Individuum gesehen hatte. Sein zierlicher Schnurrbart mit zwei steifen Spitzen und sein Haupthaar waren schwarz; doch schien es wahrscheinlich, daß künstliche Mittel angewandt worden waren, um diese Schwärze zu erzielen. Ich durchforschte seine Gesichtszüge nach einem etwaigen Ausdruck von Charakter hinter diesen gesenkten Augenlidern oder in den feinen Linien um seinen Mund; allein ich mußte den Versuch aufgeben, denn es war – gar kein Ausdruck vorhanden. Sein Gesicht war eine farblose Wachsmaske, die, wenn sie etwa Geheimnisse zu erzählen hatte, diese jedenfalls nicht dem ersten besten Späherauge verriet. Der Eindruck, den ich von ihm empfing, ließ sich in drei Sätzen zusammenfassen: Erstens, er war ein Gentleman; zweitens, nach Aussehen und Lebensart war er ein Franzose; drittens, er mußte entweder viel älter sein, als er aussah, oder viel älter aussehen, als er war.
Als er zu sprechen begann, geschah es mit einer etwas eigentümlichen, aber nicht ungefälligen Stimme, langsam und leidend, aber so klar wie eine Glocke. »Ich schätze mich sehr glücklich, zeitig genug angekommen zu sein, um diese Damen hier bewillkommnen zu können. Ich selbst hätte gar nicht gewagt, Sie in unsere Junggesellenwirtschaft einzuladen. In Dreistigkeit ist aber Claud mir immer voraus gewesen. Fräulein Lambert wird verstehen, daß es Anziehungskräfte gibt, die einen Sohn kühner machen als seinen Vater, und ich hoffe, Frau Lambert wird berücksichtigen, daß für den Koch keiner von uns verantwortlich gemacht werden kann.«
Nach dieser etwas zweideutigen Begrüßung schloß Herr Gervis die Augen fast ganz, legte den Kopf ein wenig nach einer Seite und betrachtete uns scharf – eine Pause entstand, in der wir alle uns wer weiß wieweit weg wünschten.
Vielleicht hatte Frau Lambert einen unbestimmten Eindruck, als habe man sie im Verdacht der Leckerhaftigkeit, denn sie brach das Schweigen, indem sie bemerkte, zwischen den Essenszeiten rühre sie fast nie etwas an. »Ich wünschte, man könnte ganz ohne zu essen leben,« setzte sie hinzu. »Sie nicht auch, Herr Gervis?«
Herr Gervis verneinte die Frage und sagte mit großem Ernste, er würde recht gern oft essen, wenn er nur immer etwas Gutes bekommen könnte. So wurde die Unterhaltung allgemein, und endlich erreichten wir das Haus, wo ich indessen die Beobachtung machte, daß Frau Lambert den ihr vorgesetzten Leckerbissen volle Würdigung widerfahren ließ.
Die unerwartete Vergrößerung unserer Gesellschaft wurde von uns allen als eine Art Zwang empfunden, außer von Freddy Croft, der in seinem Leben noch kein Zeichen von Schüchternheit entfaltet hatte, und dessen Zunge nicht weniger geschäftig war, als seine Messer und Gabeln.
»Was das für ein gemütliches altes Haus ist! Gerade so eine Art von Haus würde ich mit Vorliebe bewohnen. Groß genug, um so viele Menschen zu beherbergen, wie man gern einmal um sich sehen würde, und doch nicht so groß, daß man sich gleich aufhängen möchte, wenn man einmal ein paar Tage allein darin zubringen muß. Hat auch eine hübsche Lage. Aus Häusern mit einer weiten Aussicht mache ich mir nichts. Aber wissen Sie, was ihm noch fehlt? Ein Stückchen Fläche, worauf man Spiele arrangieren kann. Die habe ich weder im Park, noch im Garten bemerkt. Es ist doch natürlich Ihre Absicht, sich hier für immer niederzulassen, Herr Gervis?«
»Nun, das weiß ich noch nicht recht.«
»O, das müssen Sie. Der Kontinent ist ja für eine Zeitlang recht schön; aber England ist doch das einzige Land, worin sich leben läßt, nicht wahr, Frau Lambert?«
»O, das einzige Land!«
»Nun,« bemerkte die Tochter, »wir haben doch lange Jahre im Auslande gelebt, und ich muß sagen, es hat mir ungeheuer gefallen.«
»Ah, ja; aber Sie sind eine Dame, und das macht den Unterschied,« versetzte Freddy. »Was soll ein Mann den ganzen Tag mit sich anfangen, wenn er sich in fremden Ländern aufhält? Ich meine solche ungelehrte Kunden wie ich, die sich aus Kirchen und Gemälden und dergleichen nicht viel machen.«
»Manche Leute lieben aber Kirchen und Gemälde,« warf Claud dazwischen.
»Du, zum Beispiel, ja, das glaube ich. Aber die meisten Menschen thun es nicht, die stellen sich nur so. Nein, ich bin der Ansicht: einmal im Jahre, vielleicht im April, fremde Länder zu bereisen, ist sehr nützlich. Eine Woche in Paris und vierzehn Tage in Nizza und Monaco sagt mir recht sehr zu; aber mehr kann ich nicht brauchen. Und dann steht einem ja noch immer seine Hochzeitsreise bevor. Da werde ich mich wohl darein schicken müssen, einen ganzen Monat an den italienischen Seen oder einem anderen Höllenpfuhl zuzubringen.«
»Ich bin ganz sicher, daß, wenn die Zeit kommt, Sie sich auch ganz nach Ihrem Gefallen damit einrichten können,« sagte Frau Lambert mit großer Liebenswürdigkeit.
»Niemand kann sich nach seinem Gefallen einrichten, wenn er erst einmal verheiratet ist,« meinte Freddy weisheitsvoll.
Claud lachte, und Fräulein Lambert erwiderte: »Natürlich nicht. Warum sollten die Männer das Recht haben, ihr ganzes Leben hindurch selbstsüchtig zu sein?«
»Katie! mein Kind!« rief die ältere Dame. »Du mußt nicht solche Reden führen. Es ist die Pflicht der Frau, ihres Mannes Wünsche über ihre eigenen zu stellen.«
»Ach, Fräulein Lambert!« seufzte Freddy. »Wenn Sie nur daran festhalten wollten, wie glücklich könnte sich Ihr Leben gestalten!«
»Das wird sie, Sir Frederick, verlassen Sie sich darauf, das wird sie!« versicherte die zärtliche Mutter. »Ich kenne sie besser, als daß ich den Unsinn glauben sollte, den sie manchmal zusammenspricht. Und wenn sie noch so viel schwatzt; aber wenn es jemals ein selbstloses Mädchen gegeben hat, so ist es Katie.«
Herr Gervis der ältere war bis zu diesem Augenblick vollkommen schweigsam und teilnahmslos geblieben. Ob er überhaupt zuhörte oder nicht, war schwer zu sagen. Jetzt senkte er den Kopf auf eine Seite und musterte Frau Lambert mit ironischem Interesse, worauf er den Kopf auf die andere Serie legte und Freddy Croft einem kurzen Studium unterzog. Das war aber auch, soweit ich es beobachten konnte, das einzige Lebenszeichen, das er im Laufe einer Stunde von sich gab, während welcher er sich in seinem Stuhle zurücklehnte, ohne zu essen oder zu trinken oder auch nur eine Miene bewegen.
Er bot uns seine Begleitung nicht an, als wir durch die offenen französischen Fenster unseres Speisezimmers uns auf die Veranda begaben und die Besichtigung der Gärten und Parkanlagen in Muße unternahmen. Wahrscheinlich konnte er sich denken, daß wir uns ohne ihn wohler fühlen würden, und ohne Zweifel war er in seiner eigenen Gesellschaft weniger gelangweilt als in unserer. Wir thaten denn unsere Schuldigkeit, besichtigten sowohl die im Freien als die in den Treibhäusern aufgestellten Blumen, machten dem Obergärtner die wohlverdienten Komplimente und dergleichen mehr. Einer aber aus der Gesellschaft, dessen Temperament ihn an Sommernachmittagen zum Müßiggang zwingt, schlenderte hinten nach, bis er sich ein freundliches Dickicht zu nutze machte, unbemerkt zur Seite schlüpfte und sich auf einer Art Rasenbank zur Ruhe legte, um recht gemütlich zu schlafen.
Als ich die Augen wieder aufschlug, waren die Schatten lang und dunkel geworden, und Claud Gervis stand vor mir, die Hände in den Taschen, und lachte.
»Ei der Tausend!« sagte ich, mir die Augen reibend, »ich glaube gar, ich bin eingeschlafen.«
»Das glaube ich auch. Wissen Sie, daß es stark auf sechs Uhr geht?«
»O, Sie scherzen! Was haben Sie denn mit den Damen angefangen?«
»Es wird Ihnen Schmerz verursachen, zu hören, daß sie haben weggehen müssen, ohne Ihnen Lebewohl zu sagen. Vor einer Viertelstunde hat Croft sie nach Hause gefahren. Ich soll sie bei Ihnen und meinem Vater entschuldigen, denn den haben wir auch nicht auffinden können. Wir suchten jedes Zimmer nach ihm durch, bis auf das eine, wo ich ihn sicher wußte, was vielleicht eine Erklärung dieses Umstandes bietet. Sind Sie geneigt, nach der Stadt hinunter zu wandern? Wenn ja, so will ich mit Ihnen gehen; nur muß ich erst nach meinem Vater sehen und ihm mitteilen, daß er getrost herausgehen kann, ohne befürchten zu müssen, daß ihm wieder fremde Damen in den Weg kommen.«
Wir fanden Herrn Gervis im Bibliothekzimmer mit einem Buche beschäftigt, in welchem ich nachher ein stark benutztes Exemplar eines französischen philosophischen Werkes entdeckte.
»Die Luft ist rein, Vater,« sagte Claud. »Frau Lambert läßt sich dir tausendmal empfehlen und ist untröstlich, daß sie dir nicht zum Abschied hat die Hand drücken können.«
»So sind sie also fort – deine Freunde? Ist Frau Lambert aus Beachborough gebürtig?«
»Nein, sie ist, glaube ich, hier nur zum Besuche.«
»Das ist ja eine ganz unmögliche Person. Beabsichtigt der junge Croft, die Tochter zu heiraten?«
»Ich hoffe es nicht,« lachte Claud.
Herr Gervis schien sich aber nicht so ungeheuer für den Gegenstand zu interessieren, denn er wandte sich nach einer Pause an mich und sagte: »Ich fühle, daß ich Sie alle um Verzeihung bitten muß, weil ich so unvorbereitet auf der Scene erschienen bin und Ihr Frühstück gestört habe. Aber es war wirklich nicht meine Schuld, sondern die meines Kammerdieners. Dem nämlich überlasse ich alle Einzelheiten dieser Art, wie ich die oberste Leitung des Haushalts meinem Sohne überlasse. Uebrigens, Claud, hast du keine Nachrichten aus Paris?«
»Heute morgen habe ich einen Brief aus Paris bekommen,« antwortete der junge Mann und sah seinen Vater verständnisvoll an. »Varinka und Gen reden davon, daß sie übermorgen hier sein wollen. Du wirst doch nicht weggehen?«
»Mein lieber Junge, was für eine Frage? Du vergißt, daß wir uns in England befinden und hier zum Landadel gehören. Da wir uns einmal in diese Lage begeben haben, müssen wir uns auch mit ihr abzufinden wissen. Solange also die Prinzessin mich mit ihrer Gesellschaft beehren will, werde ich auf meinem Posten ausharren. Ich setze jedoch voraus, daß vierzehn Tage in Southlands das Aeußerste sein wird, was sie zu leisten imstande ist.«
»Das wollen wir doch erst abwarten,« antwortete Claud vergnügt. »Jedenfalls wollen wir das Beste hoffen.«
»Nun ja, das wollen wir thun.« Aus dem Tone, mit dem Herr Gervis das sagte, entnahm ich, daß das, was für ihn das Beste schien, nicht identisch war mit der Ansicht seines Sohnes.
Bald danach machten Claud und ich uns auf den Weg nach Beachborough. Als wir den Waldpfad entlang wanderten, vertraute mir mein Begleiter an, daß sein Vater nicht im besten Einverständnis mit der Stiefmutter lebe, und daß ihm viel daran liege, eine Versöhnung zwischen den beiden zu bewerkstelligen.
»Es liegt kein eigentlicher Streit vor,« sagte er, »sondern nur eine Art Mißverständnis. Beide sind gute Menschen; aber beide sind eigentümlich, und sie verstehen sich gegenseitig nicht.«
»Je nun, wenn es weiter nichts ist,« sagte ich, und liebte den Jüngling nicht weniger um seines unschuldigen Selbstvertrauens willen.