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XV. Der letzte Kampf

Unruhig und angstvoll gingen die Kavaliere des Königs in dem Vorsaal auf und ab, immer die Augen wieder hinwendend auf die Tür, welche in des Königs Studierzimmer führte, und welche sich seit gestern vormittag nicht geöffnet hatte. In vierundzwanzig Stunden hatte der König dieses Zimmer nicht verlassen, und vergeblich war es gewesen, daß der General Rothenburg und dann der Graf Algarotti an diese Tür geklopft und um Einlaß gebeten hatten. Der König hatte ihnen gar nicht geantwortet, aber er hatte Fredersdorf gerufen und ihm den strengen Befehl gegeben, niemand zu ihm einzulassen und selber nicht eher wiederzukommen, als bis er ihn rufen werde. Er wolle nicht zur Nacht speisen und werde sich selber entkleiden, er bedürfe also gar keiner Hilfe weiter, hatte der König gesagt, und man solle ihn nicht stören in der wichtigen Arbeit, welche er zu vollenden habe.

Aber dieses fürchterliche, ungewohnte Schweigen und Verschließen ängstigte und entsetzte die Freunde und Diener des Königs. Mit bangem, beklommenem Herzen standen sie vor der Tür und lauschten auf jedes Geräusch, welches sich hinter derselben vernehmen ließ, viele Stunden lang hörten sie das langsame, eintönige Auf- und Abgehen des Königs, zuweilen auch einige schnelle, hastige Worte, ein unterdrücktes Stöhnen, – nichts weiter. Die Nacht brach an, und mit erbleichendem, traurigem Gesicht fragte Rothenburg den Grafen Algarotti, ob es jetzt nicht Pflicht sei, mit Gewalt diese Tür zu öffnen und zu sehen, ob dem König wirklich kein Unglück zugestoßen sei.

Hüten Sie sich wohl dies zu tun, sagte Fredersdorf kopfschüttelnd. Der König hat gemessene Befehle gegeben, er will ganz allein und ganz ungestört sein.

Und ahnen Sie gar nicht, was die Veranlassung dieses ungewöhnlichen Trübsinns des Königs sein mag? fragte der Graf Algarotti.

Der König war schon seit einigen Tagen gedankenvoll and mißmutig, erwiderte Fredersdorf, und aus einigen Äußerungen vermute ich, daß Seine Majestät durch irgendeinen seiner näheren Freunde sich verletzt und gekränkt fühlen müsse.

General Rothenburg neigte sich an das Ohr des Grafen Algarotti. Die Barbarina hat ihn gekränkt, flüsterte er. Sie war seit einiger Zeit launisch und herrisch. Diese beiden gewaltigen Naturen führten seit einiger Zeit einen unsichtbaren Krieg miteinander, in dem es sich um die Souveränität handelte.

Und bei dem, wie ich nicht zweifle, die schöne Barbarina unterliegen wird, sagte Algarotti zuversichtlich. Der Mensch und der Mann werden bei Friedrich dem Einzigen immer von dem König besiegt und müssen sich ihm unterordnen. Wenn der König erst erkannt hat, daß der Mann sich von dieser Zauberin Barbarina besiegen ließ, so wird er, wie Alexander, den gordischen Knoten durchhauen und den Mann von den Fesseln der Knechtschaft und der Liebe befreien.

Aber ich fürchte, daß diese Fesseln sehr stark sind, und der gordische Knoten dieser Diebesbande vielleicht dem Schwerte des Königs widerstehen könnte. Der König, sonst so unantastbar und unverletzbar in seiner Autorität und Selbstherrschaft, duldete mit einer seltenen Langmut das stolze, herrische Wesen der Barbarina, und selbst gestern abend, als mir Seine Majestät die Ehre erzeigte, bei mir in Gesellschaft der Barbarina zu soupieren, blieb er, trotz ihrer Launen und Tracasserien, doch immer der zuvorkommende, aufmerksame Kavalier.

Und Sie wissen, daß der König die Signora seitdem nicht wieder gesehen?

Das weiß ich nicht, vermute es aber. Fragen wir indessen den Türsteher.

Die bekümmerten Herren erfuhren von dem Türsteher, daß Barbarina am Morgen dieses Tages leichenblaß und mit verweinten Augen die Zimmer des Königs verlassen habe.

Sie sehen also, daß ich recht hatte, sagte Algarotti. Dieses Verhältnis liegt in einer Krisis.

Bei welcher, wie ich fürchte, der König sehr bittere Schmerzen erleiden wird, seufzte der General. Denn glauben Sie mir, der König hat die Barbarina sehr geliebt.

Nein, nicht der König, sondern der Mann. Aber hörten Sie nicht ein Geräusch in dem Zimmer da?

Es war ein Flötenton, sagte Fredersdorf. Lassen Sie uns näher an die Tür gehen.

Leise und vorsichtig auf den Zehen schlichen die drei der Tür zu, hinter welcher der König seine einsame Geisterschlacht kämpfte, bei welcher kein anderes Blut als das seines eigenen Herzens vergossen ward.

Wieder erklangen jetzt Flötentöne, mächtiger und schwellender wie die Seufzer der Liebe und des Glückes durchzitterten sie die Luft, bald sich erhebend zu stürmischen Wehelauten, dann wieder flüsternd und klagend und verklingend in Seufzern und Tränen. – Niemals in seinen heitersten und glücklichsten Tagen hatte der König mit so vollendeter Meisterschaft, so tiefer Glut des Gefühls gespielt, als heute an dem Tage seiner Schmerzen. Alles was er empfand an Pein und Seelenleid, an Liebe, Schmerz und Sehnsucht, strömte er aus in den Tönen dieses Adagios, mit welchem er, wie es unsere Väter auf den weißen Blättern der Bibel getan, die trauervollen Begebenheiten dieses Tages aufzeichnete in dem heiligen Legendenbuche seiner Schmerzen.

Tief gerührt, mit von Tränen verdunkelten Augen, standen die drei und horchten diesen wunderbaren Offenbarungen des Genius. Als der König jetzt mit einem vollen, mächtigen Wehelaut seine Musik geendet hatte, neigte sich Algarotti zu Rothenburg. Freund, sagte er mit einem traurigen Lächeln, das war der Schwanengesang seiner Liebe.

Gebe Gott, daß nur diese Liebe, nicht aber sein edles königliches Herz im Sterben liegt. Man reißt, fürchte ich, keine Liebe aus, ohne zugleich ein Stück des Herzens, in dem sie wurzelte, mit fortzureißen.

Sehen wir zu, ob wir irgend etwas tun können, seine Schmerzen so sänftigen. Lassen Sie uns morgen zur Barbarina gehen und von ihr zu erforschen suchen, was sich begeben hat.

Und Sie meinen, fragte General Rothenburg, daß wir heute gar nicht mehr versuchen sollten, den König seiner schmerzlichen Einsamkeit zu entreißen?

Ich meine, sagte Graf Algarotti, der König ist ein so starker Held, daß er allein imstande ist, sich selber zu bezwingen!

Während der König so einsam und ungesehen, und von niemandem, außer von seinem eigenen Genius, getröstet, mit seiner Liebe rang, hatte Barbarinas leidenschaftliches und stürmisches Naturell alle Folterqualen der Leiden und des Jammers zu bestehen.

Sie indessen war nicht allein und nicht ohne eine Trösterin, sie hatte ihre Schwester neben sich, welche mit ihr weinte und mit mildem Hoffnungswort ihre Schmerzen zu sänftigen suchte.

Der König wird zu dir zurückkehren, sagte sie. Deine Schönheit hält ihn mit unsichtbaren Zauberfäden gefesselt, deine Liebenswürdigkeit und Anmut wird ihm in der Erinnerung mit so holdem fächeln zuwinken, daß er besiegt und demütig zu dir heimkehren wird.

Barbarina schüttelte traurig das Haupt. Ich habe ihn verloren, sagte sie. Der Adler hat die Bande abgestreift, mit denen ich ihm die Flügel gebunden hatte, er ist jetzt wieder frei, er wird wieder seine Flügel entfalten und sich aufschwingen in die Gifte, und im Vollgenuß seiner Freiheit wird er vergessen, daß er in der Gefangenschaft glücklich gewesen. Nein, ich habe ihn auf immer verloren!

Sie schlug ihre Hände vor ihr Angesicht und weinte bitterlich. Dann aber, von einem andern, entsetzensvollen Gedanken emporgeschnellt, richtete sie sich wieder auf mit flammenden Augen und zorngeröteten Wangen.

Oh, und zu denken, daß ich ihn und er mich verloren hat! Zu denken, daß es auf dieser Welt einen Mann gibt, welcher mich verlassen hat! Das ist eine Schmach und eine Demütigung, an der ich sterben werde.

Dieser Mann aber ist wenigstens ein König, bemerkte ihre Schwester leise und schüchtern.

Barbarina schüttelte wild ihr Haupt, daß ihr aufgelöstes schwarzes Haar wie Schlangen sie umringelte, was kümmert es mich, ob er ein König ist. Sein Zepter ist nicht so mächtig und groß, als das der Barbarina. Wenn er ein König ist, so bin ich eine Königin, und mein Reich dehnt sich aus über die ganze Welt, so weit die Menschen Augen haben, um zu sehen, und ein Herz, um zu empfinden. Nein, daß er ein König ist, macht diese Schmach nicht kleiner, diese Demütigung nicht weniger grausam. Oh, Barbarina ist verlassen, aufgegeben, verschmäht, und sie lebt noch, und der Blitz solcher Qual hat sie nicht zerschmettert, sie nicht zu Staub zermalmt! Aber da ich lebe, werde ich Rache nehmen, Rache an diesem ungeheuren Frevel, Rache an diesem Mord meines Herzens!

So unter Verwünschungen, Klagen und Racheschwüren verging der Tag, und lange noch, als Barbarina, dem Flehen ihrer Schwester nachgebend, sich auf ihr Lager hingestreckt hatte, hörte ihre Schwester sie klagen und jammern, sah sie, wie Barbarina, das Haupt in die Kissen des Bettes bohrend, bitterlich weinte.

Bleich und mit geröteten Augen erhob sich Barbarina am andern Morgen. Sie war noch immer tief traurig, aber nicht mehr hoffnungslos, ihre Eitelkeit, ihre Schönheit, an deren Zauber sie glaubte, hatte ihr goldene Trostesworte zugeflüstert. Sie war jetzt fest überzeugt, daß der König sie nicht aufgeben werde.

Er hat mich gestern verstoßen, sagte sie mit leuchtenden Augen, heute wird er mich beschwören, zu ihm zurückzukehren.

Es überraschte sie daher gar nicht, als der Kammerdiener kam und ihr meldete, daß der General Rothenburg und der Graf Algarotti im Salon seien und der Signora ihren Besuch zu machen wünschten.

Siehst du, sagte sie mit einem köstlichen Ausdruck, sich an ihre Schwester wendend, siehst du, daß mein Herz richtig geahnt hat. Der König sendet mir seine beiden vertrautesten Freunde, damit sie mich zu ihm führen sollen. Oh, mein Gott, gib, daß mein Herz, welches dem Kummer widerstanden hat, jetzt nicht von dem Glück gebrochen wird. Ich werde ihn wiedersehen, und seine schönen Augen werden diese fürchterlichen Blicke, mit denen er mich gestern zuletzt angeschaut, aus meinem Herzen verwischen. Lebe wohl, Sorella, lebe wohl, ich gehe zum König!

Aber doch nicht so, in diesem Negligee, nicht mit diesem verwilderten Haar? fragte ihre Schwester, die ungestüm vorwärts Drängende zurückhaltend.

So wie ich bin, sagte Barbarin«. Ich habe mir um seinetwillen das Haar zerrauft, um seinetwillen die Augen rot geweint; mein armes entstelltes Aussehen soll ihm von meiner Verzweiflung erzählen und ihn mit Reue erfüllen.

Stolz und mit triumphierendem Angesicht trat Barbarina in den Salon, und mit einem unmerklichen Neigen des Kopfes erwiderte sie die ehrerbietigen Grüße der beiden Herren.

Sie bringen mir eine Botschaft von Seiner Majestät? fragte sie hastig.

Der König hat uns mit dem Auftrag beehrt, nach dem Befinden der Signora zu fragen, sagte Graf Algarotti mit einem feinen Lächeln.

Barbarina lächelte auch. Er hat sie gesandt, mich auszuhorchen, dachte sie, er will von ihnen erfahren, ob ich bereit bin, wieder zu ihm zu kommen. Ich will ihnen entgegenkommen und ihnen das Spionieren leicht machen.

Sagen Sie Seiner Majestät, sagte sie laut, daß ich die Nacht unter Tränen und Seufzern hingebracht habe, und daß mein Herz voll Reue und Schmerz über mich selber ist.

Die beiden Herren warfen sich einen Blick des Einverständnisses zu. Sie wußten jetzt, was sie wissen wollten: die Barbarina hatte einen Zwist mit dem König gehabt, und der König hatte sich im Zorn von ihr getrennt. Deshalb war sie heute so demütig.

Barbarina blickte erwartungsvoll die Herren an. Sie war überzeugt, daß sie jetzt im Namen des Königs die Bitte aussprechen würden, die Signora möge sie nach dem Schlosse begleiten.

Aber nichts von dem allen erfolgte.

Die Reue muß in der Tat ein sehr giftiger Wurm sein, sagte General Rothenburg, auf das Antlitz der Signora deutend. Er hat da die blühende Rose von vorgestern abend in eine weiße Rose verwandelt.

Vielleicht ist das ein Glück, sagte Algarotti lächelnd, denn bekanntlich haben die weißen Rosen weniger Dornen, als die roten, und man wird sich von nun an weniger der Gefahr einer Verwundung aussetzen, wenn man in Ihrer Nähe ist, Signora.

Barbarina zuckte zusammen und ihre Augen schossen Blitze. Wollen Sie damit andeuten, daß meine Kraft gebrochen ist und man mich so sehr gedemütigt hat, daß ich mich nicht wieder aufrichten kann? Wollen Sie sagen, daß Barbarina, welche der König so schmachvoll verläßt, so grausam gedemütigt hat, nun wie ein Schmetterling ist, dem man den Blütenstaub seiner Flügel abgestreift hat, und den niemand mehr schön findet, weil eine rauhe Hand ihn zu verletzen wagte?

Ich wollte damit sagen, Signora, daß es für den König ein Glück wäre, wenn die Erfahrungen des gestrigen Tages Sie weicher und milder gestimmt hätten, sagte Algarotti, indem er, dem verabredeten Plan mit Rothenburg gemäß, um die Wahrheit zu erforschen, sich den Anschein gab, als habe der König ihnen alles gesagt.

Der König litt vorgestern abend sichtlich durch die scharfen Dornen, mit denen die rote Rose ihn wund ritzte, sagte Rothenburg.

Und hat er sich dafür nicht grausam gerächt? fragte Barbarina glühend. Hat er mich nicht dafür stundenlang mit gerungenen Händen flehend und jammernd an seiner Tür knien lassen, ohne zu öffnen, ohne Gnade zu üben? Aber jetzt ist das alles überwunden und vergessen. Jetzt haben diese Schmerzen ausgeblutet, und das Glück soll wieder einziehen in mein armes zermartertes Herz. Oh, erzählen Sie nur dem König, wie demütig ich geworden bin, ich bettele um das Glück und betrachte es nicht als mein Recht, sondern als eine Gottesgabe, die man auf seinen Knien empfängt und zu der man anbetungsvoll und durchschauert von Dank die Hände erhebt. Aber nein, nein, Sie sollen das dem König nicht sagen, sondern ich will es selber tun! Kommen Sie, Signori, der König erwartet uns! Eilen wir also!

Aber die Herren eilten nicht, ihre ausgestreckten Hände anzunehmen und sie zum Wagen zu führen.

Wir hatten nur den Befehl, nach dem Befinden der Signora zu fragen, sagte Algarotti.

Und da die Signora uns gesagt hat, daß sie die Nacht geweint und von Reue gequält durchbracht hat, so wollen wir das dem König sagen, vielleicht wird das seine eigenen Leiden besänftigen, bemerkte General Rothenburg.

Barbarina blickte staunend von einem zum andern hin, und allmählich röteten sich ihre Wangen und ihre Augen flammten.

Sie sind nicht gekommen, um mich zum König abzuholen? fragte sie atemlos.

Nein, Signora, der König hat uns nicht diesen Auftrag gegeben.

Ah, er will also, daß ich mich freiwillig dazu entschließe? Nun wohl denn, ich bitte Sie, führen Sie mich zu Seiner Majestät.

Das ist eine Bitte, die wir leider nicht imstande sind zu erfüllen. Der König hat den strengsten Befehl gegeben, niemand vorzulassen.

Niemand?

Niemand, ohne Ausnahme der Person, Signora, sagte Graf Algarotti, sich ehrfurchtsvoll verneigend.

Barbarina preßte die Lippen fest aufeinander, um den Schrei zurückzudrängen, der ihre Brust beklemmte, sie mußte ihre Hand auf den Tisch neben ihr stützen, um nicht umzusinken.

Sie sind also nur gekommen, um mir zu sagen, daß der König mich nicht sehen will, daß er heute wie gestern seine Türe verschlossen hat? Nun wohl denn, Signori, Ihr Auftrag ist beendet! Gehen Sie und sagen Sie Seiner Majestät, daß ich seinen Befehl empfangen habe und ihn befolgen werde! Gehen Sie!

Sie blieb stolz und aufgerichtet stehen, sie erwiderte die ehrerbietigen Grüße der beiden Kavaliere nur mit einem spöttischen Lächeln, und die Hand immer noch auf den Tisch gestützt, blickte sie mit großen, tränenlosen Augen den beiden Herren nach, wie sie den glänzenden blumengeschmückten Salon durchschritten. Als aber die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, als sie sicher war, von ihnen nicht mehr gehört zu werden, stieß Barbarina einen so gellenden, wilden Schrei aus, daß Marietta entsetzt hereinstürzte und zu ihrer Schwester hineilte, welche wie vom Blitz zerschmettert zu Boden gesunken war und mit gerungenen Händen zum Himmel emporstarrte.

Ich bin entehrt, verraten, verstoßen, jammerte sie. Oh, mein Gott, gib, daß ich sterbe, daß ich diese Schmach nicht überlebe!

Bald aber verstummten die Gebete der Verzweiflung auf ihren Lippen und verwandelten sich in Gebete des Zorns und der Verwünschung. Barbarina wollte nicht mehr sterben, sie wollte sich rächen! Sie erhob sich von ihren Knien und ging hastigen Schrittes auf und ab, ganz Aufregung und Glut, ganz erfüllt von dem brennenden Durst, diese Beleidigung von sich abzuwehren und vor der Welt mindestens einen Schleier über die Schmach zu breiten, welche man ihr angetan.

Marietta, hilf mir ein Mittel ersinnen, sagte sie atemlos, ein Mittel, welches schnell und auf einen Schlag mir Genugtuung gewährt, ein Mittel, welches dem König beweist, daß ich nicht, wie er glauben wird, vergehe in Verzweiflung und Schmerz, sondern daß ich noch immer Barbarina, die siegreiche, gefeierte, triumphierende Künstlerin bin, ein Mittel, welches der ganzen Welt beweist, daß nicht ich es bin, die man verlassen und aufgegeben hat, sondern daß ich es bin, welche verlassen hat. Oh, wo finde ich dieses Mittel, das mich triumphierend wieder aus dieser Erniedrigung emporheben soll! Wo –

Still, Schwester, still, sagte Marietta. Man kommt! Laß den Diener deine Aufregung nicht sehen.

Der eintretende Kammerdiener meldete, daß draußen der Theaterdiener sei, um im Auftrage des Theaterdirektors Baron von Sweerts zu fragen, ob die Signora heute abend in dem angesetzten Ballett tanzen werde?

Ich werde tanzen! Melden Sie das dem Diener, befahl Barbarina, und als Marietta, nachdem sie wieder allein waren, sie beschwor, ihre Aufregung nicht noch zu vergrößern und heute nicht zu tanzen, sagte Barbarina glühend: Du siehst also nicht, daß sich schon das Gerücht meiner Erniedrigung beim Theater verbreitet hat, du fühlst also nicht die Bosheit, welche in dieser Anfrage liegt? Oh, sie denken, daß Barbarina so zerschmettert, so zerbrochen von der Ungnade des Königs ist, daß sie heute abend nicht tanzen kann! Sie sollen sich alle getäuscht haben! Ich werde tanzen! Es ist möglich, daß ich davon wahnsinnig werde, aber ich werde doch vorher die Verleumdung getötet und die Schmach einer Niederlage vernichtet haben!

Wieder erschien jetzt der Diener und meldete den Herrn von Cocceji. 1

Du kannst ihn nicht annehmen, Schwester, flüsterte Marietta. Sage, daß du mit dem Studieren deiner Rolle, daß du mit deiner Toilette beschäftigt bist. Sage, was du willst, nur weise ihn ab!

Barbarina blickte gedankenvoll vor sich hin. Nein, sagte sie dann rasch, ich werde ihn nicht abweisen. Führen Sie den Herrn von Cocceji in mein Boudoir, und bitten Sie ihn, mich dort zu erwarten.

Als der Diener sie verlassen, ergriff Barbarina heftig ihrer Schwester Hand. Ich habe zu Gott gefleht um ein Mittel mich zu rächen, sagte sie, Gott hat mir dieses Mittel gesandt. Du weißt, Cocceji liebt mich und hat lange vergeblich um mich geworben. Nun denn, heute will ich ihn nicht vergeblich bitten lassen, heute will ich ihm meine Liebe versprechen, aber ich werde meine Bedingungen machen. Komm, Schwester!

Und stolz aufgerichtet, glühend vor Erregung, begab sich Barbarina in das Boudoir, wo der junge Herr Regierungsrat von Cocceji, der Sohn des Ministers, sie erwartete.

Mit einem köstlichen Lächeln schritt sie ihm entgegen, und ihm mit ihren großen brennenden Augen ins Antlitz sehend, fragte sie: Sind Sie immer noch nicht geheilt von Ihrer Liebe zu mir?

Der junge Mann trat verwundert und erblassend einen Schritt zurück, aber Barbarina stand vor ihm in so wunderbarer Schönheit, mit einem so seltsamen, zauberhaften Lächeln, in ihren Augen lag so viel Ermutigendes und süß verlockendes, daß er wohl fühlte, es sei nicht ihre Absicht, ihn zu verhöhnen und seiner zu spotten.

Diese Liebe ist eine Krankheit, von der ich niemals geheilt werden kann, sagte er innig, eine Krankheit, welche allen Mitteln widersteht.

Auch dem meiner Gegenliebe? fragte sie leise.

Das Antlitz des Herrn von Cocceji leuchtete vor Freude und Entzücken. Barbarina, sagte er hastig und ganz bewältigt von diesem neuen ungeahnten Glück, Barbarina, wenn ich jetzt träume und nachtwandle, so wecken Sie mich nicht. Wenn ich jetzt nur im Wahnsinn glaube Ihre Stimme gehört zu haben, so enttäuschen Sie mich nicht. Lassen Sie mich weiter träumen und weiter phantasieren, oder töten Sie mich, wenn Sie wollen, nur sagen Sie nicht, daß ich falsch gehört habe.

Ich sage es auch nicht, flüsterte sie fast zärtlich. Sie haben mir ein ganzes Jahr lang geschworen, daß Sie mich lieben!

Und Sie haben immer die Grausamkeit gehabt, mich zu verhöhnen und meiner zu spotten.

Von heute ab will ich an Ihre Liebe glauben, aber Sie müssen mir einen Beweis derselben geben. Wollen Sie das?

Ich will es!

Nun denn, ich fordere keine Riesentaten, keine herkulischen Arbeiten, es ist da kein Nebenbuhler, den Sie zu ermorden haben. Aber ich verlange von Ihnen, daß Sie mit Ihrer Liebe zu mir vor der ganzen Welt Eklat machen, ich fordere, daß Sie mit erhobenem Haupt und klarem offenem Auge vor jedermann ein Zeugnis ablegen von dieser Liebe. Ich will nicht, daß derjenige, welcher mich liebt, vermeint, diese Liebe unter den Schleiern des Geheimnisses und des Schweigens verhüllen zu müssen. Ich will, daß er den Mut habe, die Sonne des Himmels und das Auge der Menschen auf sein Herz fallen zu lassen, und daß seine Wimper dabei nicht zucke und nicht der Schatten eines Zagens sein Antlitz verdüstere. Ich will, daß morgen ganz Berlin es sage und wisse: der junge Regierungsrat von Cocceji, der Sohn des Ministers, der Liebling des Königs, der liebt die Barbarina und sie liebt ihn, und es ist keine dieser kalten nordischen deutschen Zuneigungen, bei denen einem das Blut in den Adern erstarrt und das Herz unter Eisblöcken einfriert, es ist ein volles, heißblütiges, inbrünstiges Gefühl, das sie beide durchglüht! Es ist keine deutsche Zuneigung, es ist eine italienische Liebe, eine Liebe voll Sonnenschein, Wetterleuchten und Glut!

Sie sah wundervoll aus in dieser herausfordernden, stolzen, kühnen Haltung, mit diesen leuchtenden Blicken, diesem von Energie und Begeisterung durchflammten Angesicht. Selbst ein sanfteres, weniger leidenschaftlicheres Naturell als das des Herrn von Cocceji würde von dieser Glut sich entflammt, von dieser Energie sich mit fortgerissen gefühlt haben. Außer sich, ganz Leidenschaft und Entschlossenheit, kniete der junge feurige Cocceji zu Barbarinas Füßen nieder.

Gebieten Sie über mich, meinen Namen, mein Leben und meine Hand, sagte er. Wenn Sie mich lieben, werde ich stolz sein, der ganzen Welt zu zeigen, wie ich Sie liebe, der ganzen Welt zu sagen: das ist meine Gemahlin, und ich fühle mich geehrt und glücklich, daß sie meine Hand angenommen hat!

Davon ein anderes Mal, sagte Barbarina lächelnd. Zuerst beweisen Sie der Welt, daß Sie mich lieben. Machen Sie heute abend im Theater einen Eklat, daß ganz Berlin davon zu reden hat! Dann –

Dann? fragte Cocceji, und sein schönes, energievolles, frisches Angesicht war rosig und glühend, wie von einem Sonnenstrahl angeleuchtet.

Dann, sagte sie leise, dann wird sich alles übrige finden!


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