Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI. Die Schlacht bei Sohr

Tiefe Stille herrschte im Lager, welches die Preußen bei dem böhmischen Dorfe Sohr aufgeschlagen hatten. Ermattet ruhten die tapfern Soldaten aus vom langen Marsche, von den täglich sich erneuernden Anstrengungen. Ruhig lagerten sie in ihren Zelten, obwohl sie alle wußten, daß das österreichische Heer, ihnen doppelt überlegen an Zahl, mit Sturmesschritten herangezogen und ganz bereit war, am nächsten Morgen sie anzugreifen. Aber was kümmerte das die tapfern preußischen Soldaten? Sie hatten den Erzherzog Karl von Lothringen mit seinen Österreichern, Böhmen und Sachsen bei Hohenfriedberg geschlagen, warum sollte ihnen das nicht auch bei Sohr gelingen können, obwohl der Erzherzog Karl von Lothringen eine Armee von sechsundvierzigtausend Trenck in seinen Memoiren spricht von sechsundachtzigtausend Mann. I, S. 53. Mann führte, und König Friedrichs Armee, verringert durch die vielen Korps, die er nach Sachsen und Schlesien entsandt, nur aus zwanzigtausend Mann bestand. Aber die preußischen Soldaten vertrauten auf das Glück und die Kriegskunst ihres Königs, sie wußten, daß sie ruhig schlafen konnten, denn Friedrich wachte und sorgte für sie. – Die Wachtfeuer waren also erloschen, die Lichter in den Zelten der Offiziere ausgelöscht. Alles lag in tiefer Ruhe; hier und da nur hörte man den langen Schritt einer auf und ab wandelnden Schildwache, oder das Wiehern eines Pferdes, oder den lauten Aufschrei eines Soldaten, der vielleicht von seiner fernen Heimat, von der verlassenen Braut träumte. Sonst war alles still; das ganze Lager, wie gesagt, lag in tiefem Schlaf, und über diesen dunklen Massen breitete sich sternenlos und kalt der dunkle, wolkenbehangene Himmel aus. Es war eine trübe feuchte Septembernacht, trübe und glanzlos wie eine Nacht der Schmerzen, feucht wie der kalte Schweiß eines Sterbenden. Wie viele von denen, welche jetzt da mit rosigen Wangen und ruhiger Stirn liegen und schlafen, wie viele von ihnen mögen eben ihren letzten Schlaf tun, ihre letzte Nacht durchatmen, wie viele von ihnen werden morgen schon mit klaffenden Wunden auf dem Felde der Ehre schlummern mit offenen Augen, den gebrochenen Blick gen Himmel gewandt, und niemand neben ihnen, der ihnen den Todesschweiß von der Stirn trocknet. Sie wissen's nicht, sie fragen's nicht, sie genießen die köstliche Gegenwart, sie schlafen!

Keine Gefahr ist vorhanden, denn der König ist mitten unter ihnen, die Lichter auch in seinem Zelt sind erloschen. Er schläft mit seiner ganzen Armee!

Es ist Mitternacht. Die Stunde der irrenden Geister, der ruhelosen Gespenster! Wie? Ist das ein Gespenst, welches da geräuschlos und leise aus dem Zelte des Königs hervorschlüpft und ganz scheu und still in dem dicht daneben befindlichen Zelt der königlichen Adjutanten verschwindet? Nein, nicht verschwindet! denn es ist schon wieder vor dem Zelt erschienen, aber es hat sich vervielfacht, und jetzt sind es drei dunkle Schatten, welche sich an den weißen Zelten der Offiziere hin bewegen, und an jedem Zelt verschwinden und dann wieder erscheinen und weiterschlüpfen. Aber wo sie gewesen, da hört man jetzt ein leises Flüstern und Rauschen, da zeigt sich an den Zelten bald wieder ein anderer dunkler Schatten und schleicht vorwärts, hinüber nach den Zelten der Soldaten, in denen er verschwindet, und auch dort regt es sich dann und flüstert leise, und wie ein murmelnder Bach wälzt sich dieses Geräusch weiter durch das ganze Lager, immer den drei ersten Schatten nach, welche das Lager durchziehen, geräuschlos wie der Wind, machtvoll, mit geflügelter Eile, wie er. Was wollen diese drei Schatten, warum verscheuchen sie den Schlaf von allen Lagern und aus allen gelten und jagen ihn sogar von den Pferden fort, welche in der Dunkelheit gesattelt und gezäumt werden, und wiehernd und stampfend sich sträuben gegen diese Unterbrechung ihrer Ruhe? Aber kein Reiter schwingt sich auf ihren Rücken, kein Vorwärts! donnert durch das Lager, und wären nicht die dunklen Schatten, welche überall herumschlüpfen, und hier in schwarzen Massen zusammenfließen, dort vereinzelt dahinschlüpfen, wäre nicht dieses leise Flüstern und Wandern, so sollte man meinen, das Lager schlafe immer noch. Wer es, wie die Österreicher dort drüben in ihrem Defilee, nur von ferne beobachten kann, der muß es glauben, daß die preußische Armee sich der Ruhe überläßt, einer sorglosen Ruhe, daß sogar die Vorposten eingezogen und in das Lager zurückgegangen sind, um zu schlafen.

Jetzt indessen wird dieses unterdrückte Geräusch, welches das Lager durchzieht, ein wenig lauter, wie das dumpfe Rollen des fernen Donners durchfliegt es die Zelte, doch rührt sich niemand, und nur die Schatten eilen sorglos weiter von Zelt zu Zelt. Das Rollen kommt näher und näher, und wenn der Mond jetzt durch die Wolken hervorbräche, würde er diese acht Feldstücke mit ihren glänzend polierten Läufen beleuchten, welche man eben vorsichtig und leise heranfährt, und hinter diesem kleinen Hügel gegen das österreichische Defilee zu aufstellt.

Nun wieder wird alles still und lautlos, und allmählich beginnt es zu dämmern am Horizont, und einzelne rötliche Wolken flattern wie Engelsfittiche über den Himmel hin, allmählich heben sich die Schleier der Nacht, und die Sterne erbleichen, und der Tag beginnt seine Morgentoilette mit Purpurgluten und Goldesglanz. Der Morgen dämmert, und jetzt laßt uns wieder hinschauen auf dieses Lager der preußischen Krieger! – Schlafen sie noch immer? – Nein, nein, alles wacht, alles lebt, die Pferde sind gesattelt, und ihre Reiter stehen daneben, bereit aufzusitzen, die Infanteristen haben die Patronentasche umgeschnallt, das Gewehr im Arm, die Offiziere stehen ihnen zur Seite, alles lebt, alles atmet, und doch ist alles lautlos und still, wie von einem Zauber gebannt. Und dort steht der Zauberer, welcher alle diese Tausende zum Leben erweckt und doch wieder zum starren Schweigen gebannt hat, da steht er neben diesen acht Kanonen dem österreichischen Defilee gegenüber. Sein Antlitz ist klar und hell, wie der Morgen, seine Augen, welche wie die Sterne leuchten und blitzen, scheinen diesen Hügel, welcher ihn von den Österreichern trennt, durchbohren zu wollen. Er hört mit den Augen, mit jedem Zug seines jungen, schönen Angesichts. Da steht er, dessen Wille alle die Tausende beherrscht, dessen Wort sie jetzt dem Tode, den Schmerzen, einer siechen Zukunft, einem ruhmvollen Siege oder einer schmachvollen Niederlage entgegenführen wird, – er, der König!

Ruhig ist seine Seele, wie sein Angesicht, welches leuchtet in kühnem Mute, in freudigem Hoffen. Er weiß, daß der Feind sie in wenigen Minuten schon angreifen wird, aber dennoch zagt er nicht. Die Österreicher glauben einen schlafenden Feind zu überfallen, aber die Preußen wachen, der König selber hat sie geweckt, der König selber ist mit seinen zwei Adjutanten von Trenck und von Staudnitz von Zelt zu Zelt gegangen und hat die Offiziere geweckt, der König selber hat diese acht Feldstücke hinter den Hügel fahren lassen, denn er weiß wohl, daß von hier aus der erste Angriff erfolgen wird, daß der Feind mit seiner Kavallerie hier zuerst aus seinem Defilee sich auf die schlafenden Preußen zu stürzen gedenkt Trenck, Memoiren. I, S. 54..

Und der König hatte sich nicht geirrt, hört ihr's heranbrausen und traben, seht ihr die Schlünde der Kanonen, welche ringsum auf den Höhen ihre feuersprühenden Rachen öffnen?

Das ist die österreichische Kavallerie, welche durch das Defilee hereinstürzt!

Das sind die österreichischen Kanonen, welche von den okkupierten Anhöhen Tod und Verderben herniederschleudern in das Lager der »schlafenden« Preußen!

Nein, sie schlafen nicht, die Preußen, denn ihr König hatte sie geweckt! Nein, sie schlafen nicht, die Preußen, wenn die Österreicher ihnen feindlich gegenüberstehen, denn Friedrich der Einzige hat niemals der österreichischen Freundschaft getraut, Friedrich hat gewacht über Preußens Ehre!

Der König hebt den Degen. Das Zeichen ist gegeben. Laßt die österreichische Kavallerie nur herankommen mit lautem Geschrei, die preußische Kavallerie hat aufgesessen und stürmt ihnen entgegen, stürmt vorwärts mit verhängtem Zügel, vorwärts in das Defilee hinein, vor dem soeben der Feind sich erst ganz gravitätisch, stolz und siegesgewiß zu formieren beginnt, und nicht auf eine Schlacht rechnet, denn die Preußen, meint er, schlafen ja, und im Schlaf wollte er sie überfallen. Nein, auf keine Schlacht hat er gerechnet, sondern auf ein widerstandsloses Schlachten! Und jetzt wachen die Preußen, jetzt leisten sie nicht bloß Widerstand, sondern sie greifen an, mutig, unaufhaltsam. Sie drängen die Kavallerie zurück, in das vollgestopfte Defilee, in die verwirrten, entsetzten, von panischem Schrecken ergriffenen Massen.

Laßt nur die Kanonen auf den Anhöhen ihre donnernde Todesbotschaft brüllen, der König antwortet ihnen, der König, welcher mit ruhigem und stolzem Angesicht neben diesen acht Feldstücken hält, und jetzt den Kanonieren das Zeichen gibt, hineinzufeuern in diese verwirrten durcheinandergeknäulten Massen.

Die Kanonen brüllen, und in die feindlichen Reihen tragen sie die zerschmetternde Nachricht, daß die Preußen nicht schlafen, daß die Preußen wachen, wenn der Österreicher sie bedroht.

Karl von Lothringen, du hättest besser denken sollen von den Preußen! Haben sie dich vor zwei Monden nicht auch überlistet, wie sie es heute wieder tun? Hat der König damals nicht anscheinend durch furchtsames Zurückweichen dich vorwärts und herausgetrieben aus deiner vorteilhaften Stellung und dich, just wie du bei Hohenfriedberg in ungünstiger Stellung warst, überfallen, und in fünf Morgenstunden einen glänzenden Sieg über dich errungen? Preuß, Friedrich der Große. I, S. 211. War's nicht eine Schlacht so denkwürdig und groß, daß noch die spätesten Enkel davon erzählen werden, und nach Jahrhunderten noch das Baireuthische Dragonerregiment zur Erinnerung daran die Grenadierflammen auf den Patrontaschen tragen wird und den königlichen Gnadenbrief und das Ehrendiplom, das ihm der König »als ewiges Zeichen der Dankbarkeit« verliehen, wird aufweisen können?

Karl von Lothringen, du hättest an Hohenfriedberg denken und nicht vermeinen sollen, daß die Preußen schlafen, wenn ihnen die Österreicher gegenüberstehen!

Nein, die Preußen wachen! Höre nur, wie ihr Jubelgeschrei zum Morgenhimmel aufjauchzt, höre nur, wie ihre Kanonen brüllen und ihre blinkenden Schwerter die Luft durchsausen!

Karl von Lothringen, wo sind deine Scharen, welche bestimmt waren, den Feind im Rücken anzugreifen? Wo ist der Trenck mit seinen Panduren, wo der General Nadasti mit seinen wohldisziplinierten Regimentern?

Wenn du auf diesen hoffst, dann verzweifle und stecke dein Schwert in die Scheide! Die Preußen haben ihr Lager verlassen, sie sind weit, weit vorgerückt, denn vor ihnen war der Feind. Alles haben sie hinter sich gelassen, ihr ganzes Hab' und Gut ist im Lager geblieben. Wie durften sie denken an irdische Narretei, wenn es sich handelte um Ehre und Sieg!

Alles ist im Lager geblieben, auch des Königs ganzes Feldgepäck, auch die Kriegskasse!

Karl von Lothringen, hoffe nicht auf Trenck und seine Panduren, nicht auf Nadasti mit seinen wohldisziplinierten Regimentern!

Sie haben wohl deinen Befehl befolgt, sie sind von jenseits in das feindliche Lager eingedrungen, dort machen sie Beute, dort plündern sie mit gieriger Lust. Was kümmert sie jetzt die Schlacht, welche vor ihnen donnert und brüllt, bis zu ihnen her dringt keine Kanonenkugel, sie können ganz ungestört sich bereichern und im Lager der Preußen aufräumen, während diese auf dem Schlachtfelde sich den Sieg erkämpfen!

Noch ist der Sieg nicht entschieden, noch nicht! »Wenn der Trenck und Nadasti uns in den Rücken fallen, denkt der König, dann sind wir verloren!«

Da sprengt ein Adjutant heran und meldet, daß Trenck und Nadasti das preußische Lager plündern.

Des Königs Antlitz leuchtet auf in Entzücken. Mögen sie plündern, sagt er freudenvoll. Dann haben sie dort zu tun, und werden uns nicht verhindern, hier unser wichtiges Werk zu Ende zu bringen. Während sie plündern, werden wir siegen! Des Königs eigene Worte. Siehe Trenck I, 55.

Ja, während die Österreicher plündern, siegen die Preußen! Entschieden ist die Schlacht! Die Kanonen schweigen; geschlagen, gramvoll, verzweifelnd zieht sich Karl von Lothringen mit seiner Armee zurück. Die Preußen haben gesiegt, aber es ist ein blutiger Sieg gewesen! Schaut nur hin, wie sich jetzt der Pulverdampf in weißen lustigen Wolken emporhebt, wie er in durchsichtigen Nebelgestalten sich zum Himmel aufschwingt. Es ist wirklich Pulverdampf oder sind es die entflatternden Geister dieser Tausende, welche da mit klaffenden Wunden, mit gebrochenen Augen, winselnd vor Schmerz oder ächzend in dem letzten Todeskampf, auf der Erde liegen, welche nichts mehr zu bieten hat, nichts als ein Grab!

Ja, es ist ein blutiger Sieg gewesen, ein mörderischer Bruderkampf! Der Deutsche hat gegen den Deutschen gekämpft, der Bruder gegen den Bruder! An des Königs Seite ist sein Schwager, der Herzog Albrecht von Braunschweig, gefallen, und drüben bei den Österreichern liegt dessen Bruder, der Herzog Ludwig von Braunschweig, an schweren Wunden darnieder.

Arme Königin Elisabeth Christine! Dein Gemahl hat gesiegt!

Aber ihr beide habt den Sieg teuer bezahlt! Dem König kostet er sein Feldgerät, sein Zelt und seine Kriegskasse mit achtzigtausend Dukaten, der ganzen Armee kostete er ihre Bagage Rödenbeck, Tagebuch. S. 125.. Dir kostet er das Leben eines Bruders, und der andere liegt darnieder an blutenden Wunden!

Der König hat den Sieg gewonnen! Sein ist der Ruhm und die Ehre!

Du, arme Königin, du hast nur neuen Kummer gewonnen! Dein sind die Tränen und der Schmerz!


 << zurück weiter >>