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I. Die Schauspieler in Halle

Unmutig ging der Herr Professor Gotthilf August Franke in seinem Studierzimmer auf und ab. Seine Stirn war dicht umwölkt, und ein heiliger Zorn blitzte aus seinen Augen. Und doch war der Herr Professor Franke ein sehr heiliger Mann, und die frommen Leute in Halle nannten ihn ihren Herrn und Meister, und die Pietisten zählten ihn zu ihren eifrigsten Streitern und zu ihren gelehrtesten Vorkämpfern. Es mußte daher etwas sehr Wichtiges, sehr Verderbliches sein, was den frommen Professor so in Harnisch gesetzt und ihn so ganz und gar seiner christlichen Freundseligkeit und seines gewohnten gottseligen Lächelns vergessen ließ.

Selbst als die Tür sich jetzt öffnete und zwei seiner Herren Kollegen zu dem würdigen Professor eintraten, erheiterte sich sein Antlitz nicht, und die düstere Wolke wich nicht von seiner Stirn. Aber auch die Gesichter der beiden Kollegen waren trübe und sorgenvoll, auch ihre Stirnen waren bewölkt und zeugten von dem tiefen Unmut, der ihr Inneres erfüllte.

Seufzend und mit einem vielsagenden Kopfschütteln reichte Franke den beiden Herren seine Hand dar.

Ich danke Ihnen, würdige Freunde und Amtsgenossen, daß Sie meiner Einladung Folge geleistet und die Güte gehabt haben, zu mir zu kommen, sagte Franke feierlich. Es ist eine schlimme traurige Zeit, in der die Gerechten und Frommen einig und treulich zueinander halten müssen, um der Sünde und dem Übermut der üppigen Weltkinder widerstehen zu können. Oh, Freunde, wie verderbt ist unsere Zeit, und wie wenig verdienen die Menschen im Grunde, daß wir uns ihrer erbarmen und sie zu erlösen trachten von der Sünde. Aber Gott hat uns zu dieser Aufgabe berufen, und so müssen wir als getreue Knechte die Befehle unsers Herrn erfüllen. Die Antwort des Generaldirektoriums auf unsere Supplik ist heute bei mir, als dem zeitigen Rektor unserer Universität, eingetroffen.

Ah, endlich also, rief Herr Professor Biermann. Endlich stehen wir am Ziele, und dieses Ärgernis, das uns seit Wochen heimsucht, wird aufhören.

Und der Teufel wird heulend entweichen müssen von dem heiligen Kreuze, das wir ihm entgegenhalten wollen! rief Herr Professor Heinrich mit näselndem Ton.

Professor Franke seufzte tief. Meine würdigen Freunde, sagte er, nicht immer lohnt der Beifall der Könige das gerechte Wollen der würdigen Diener des Herrn. Der König Friedrich der Zweite, an welchen das Generaldirektorium Bericht über unsere Eingabe gesandt hatte, der König hat unser Gesuch abgeschlagen.

Abgeschlagen! riefen beide Professoren mit dem Ausdruck staunenden Entsetzens.

Abgeschlagen, ja! Der König läßt uns durch das Generaldirektorium zu wissen tun, daß die Bitte des Senats der Universität Halle, es möchten die Schauspieler aus unserem Musensitz entfernt werden, nicht berücksichtigt werden könne, daß man vielmehr, um in dieser Sache weiter zu entscheiden, erst abwarten müsse, ob dieses Komödiantenvolk hier in Halle wirklich zu Unordnungen Veranlassung gebe, und daß nur erst, wenn wirklich ein derartiger Fall vorliege, wir uns wieder mit einer Beschwerde an das geistliche Departement wenden dürften Büsching, Charakter Friedrichs des Zweiten. S. 55..

Das ist eine unerhörte Ungerechtigkeit, rief der Professor Biermann.

Ein neues Zeichen von der Gottlosigkeit und Freigeisterei des Königs, seufzte Professor Heinrich. Wahrlich, dieser König hat es darauf abgesehen, die heilige Kirche zu stürzen und die frommen Diener des Herrn zu Märtyrern ihres Glaubens zu machen. Haben doch sogar die drei frommen Geistlichen, welche in Königsberg gegen die Komödie predigten, vom König eigenhändig einen derben Verweis bekommen, ebenso die frommen und pflichtgetreuen Seelsorger dort, welche in echt christlicher Entrüstung über solch gottloses Gewerbe einem Schauspieler auf seinem Sterbebett das Abendmahl versagten. Mein Bruder ist einer von diesen vier Geistlichen, und er hat mir gestern in einem Briefe ausführlichen Bericht über diese Sache gegeben. Der König hat den vier frommen Dienern Gottes durch das Generaldirektorium eine höchst unziemliche und unehrerbietige Antwort erteilt, er ist sogar so weit gegangen, ihnen mit sofortiger Absetzung zu drohen, wenn sie nicht zu jedermann, er sei wer er sei, gleichviel welchem Stande er angehöre, sich hinbegeben, sobald er ihren Zuspruch verlange und ihren Beistand vonnöten habe. Ja, der König hat sogar befohlen, daß die Komödianten, als seien sie ehrliche Menschen, auf den christlichen Kirchhöfen begraben werden dürfen Preuß, Friedrich der Große III. 368..

Das ist unerhört, seufzte Professor Franke.

Das ist eine Gotteslästerung! stöhnte Professor Biermann. Eine Gotteslästerung, für welche der Herr der Heerscharen den König eines Tages strafen und zur Rechenschaft ziehen wird.

Vergessen wir indes nicht, daß wir von unserm angestammten Herrn und König sprechen, sagte Professor Franke ängstlich.

Vergißt er denn nicht, daß selbst ein König den Dienern Gottes Ehrfurcht schuldig ist? fragte Biermann. Verfolgt er nicht ganz systematisch die heilige Kirche und uns, ihre frommen und untadelhaften Diener?

Ja, ja, es ist seine Absicht, uns alle zu vernichten, stöhnte Heinrich. Es ist seine Absicht, die Kirche zu zertrümmern, und aus den Trümmern derselben sich unheilige Tempel der Freude und heidnische Gotteshäuser aufzurichten. Schaut nur um Euch, und Ihr werdet sehen, wie er allerorten das wahre Christentum und die frommen Priester des Herrn verfolgt, schaut um Euch und seht, wie er mit all seinen neuen Gesetzen der guten alten Zeit, der Zucht und Ordnung, der Ehrbarkeit und Frömmigkeit Hohn spricht und es ganz und gar darauf angelegt hat, der ganzen Welt zu zeigen, daß er die Kirche und deren Priester verachtet. Nicht ein einziges Mal seit seiner Thronbesteigung ist er zum heiligen Abendmahl gegangen, einer Predigt hat er nur dann und wann und nur pro forma beigewohnt. Überall hat er die Einkünfte der Kirchen beschränkt, und statt dem Unwesen der Sekten zu steuern und ihre frevelhaften Neuerungen mit einem gerechten Bannstrahl zu belegen, hat er ihnen erlaubt, frei sich zu entwickeln und frei und offen ihre Lehre zu verkünden. Den Katholiken hat er freie Ausübung ihrer Religion erlaubt, ja, es geht sogar das Gerücht, daß er ihnen gestatten wolle, in Berlin, dem Herzen des protestantischen Preußens, sich eine Kirche zu bauen. Der Brüderunität in Schlesien hat er eine Generalkonzession erteilt und ihnen volle Freiheit zur Übung ihres Gottesdienstes gewährt Büsching, Charakter Friedrich des Großen S. 132 fg.. Dagegen hat er die häuslichen Religionsandachten, die Abendpredigten in den Kirchen untersagt, den Priestern das Proselytenmachen verboten, und um der christlichen Religion die größte Gefahr zu bereiten, den Freidenkern und sogenannten Philosophen die Erlaubnis gegeben, frei und sonder Scheu ihre gottesleugnerischen Meinungen zu äußern. Wolf, den der fromme König Friedrich Wilhelm des Landes verwiesen, hat er zurückgerufen und dabei noch vermeint, daß dies ein rechter Vorkämpfer der Wahrheit sei Über den Philosophen Wolf schrieb der König an den Probst Reinbeck: Ich bitte Ihn, sich um des Wolf willen Mühe zu geben. Ein Mensch, der die Wahrheit sucht und sie liebt, muß unter aller menschlichen Gesellschaft wert gehalten werden, und glaube ich, daß Er eine Conquête im Lande der Wahrheit gemacht hat, wenn Er den Wolf hierher persuadiert. Büsching, S. 42.. Als ob die Wahrheit anderswo wurzeln könne als in dem strengen, orthodoxen Christentume, welches nicht philosophiert, sondern glaubt, und sich einfach und schlicht an die heilige Schrift und die frommen Kirchenväter hält.

Die beiden Professoren hatten der langen, atemlosen Rede ihres Kollegen mit einiger Ungeduld zugehört und ließen ihn jetzt, als er schwieg und sie beide triumphierend anblickte, nicht die Zeichen des Beifalls und der Bewunderung sehen, welche er erwartet hatte.

Das alles ist wahr, sagte Franke, aber diese Erörterungen führen uns ein wenig zu weit von dem eigentlichen Zweck unseres Gespräches ab. Es handelt sich hier um einen speziellen Fall, es handelt sich um die abweisende Antwort, welche der König auf das Gesuch unseres Senats erteilt hat, um die Verweigerung unserer einfachen und gerechten Bitte: das fernere Spielen dieser Komödienbande, dieses hergelaufenen Gesindels, zu verbieten. Der König hat uns dies Gesuch abgeschlagen, das ist allerdings der ganzen Stadt, der ganzen Studentenschaft gegenüber eine große Niederlage für unsern Senat, denn wir hatten die Erfüllung unserer Bitte für ganz gewiß erachtet. Wir hatten davon wie von einer ausgemachten Sache gesprochen, und nun werden wir es dulden müssen, daß man uns verlacht und verhöhnt.

Möchte man das immerhin, sagte Biermann, was kümmert uns das Gespötte der kleinen unwissenden Menschen, deren erbärmliche Schwäche doch gar nicht imstande ist, den Thron wankend zu machen, den wir uns auf der Höhe der Wissenschaft, des Glaubens und der Erkenntnis aufgerichtet haben, und deren Gespött ungehört zu unsern Füßen verklingt. Aber der Glaube, die Kirche, die Wissenschaft ist durch dieses Ereignis gefährdet, und das ist es, was mich traurig und besorgt macht.

Und das ist auch das Traurige, seufzte Professor Heinrich. Die Studenten haben gar nicht mehr Sinn und Gedanken für etwas anderes als für dieses triviale Schauspiel. Sie vernachlässigen ihre Studien, sie versäumen ihre Collegia, und statt, wie sich das gebührt, ihr Geld für ihr Studium zu verwenden und die Collegia zu belegen, geben sie es für Theaterbilletts aus und für Blumen und Kränze, mit denen sie, oh, unerhörter Skandal! die Frauenzimmer auf der Bühne bewerfen.

Ich habe in meinem Kollegium nur drei zahlende Zuhörer in diesem Semester, seufzte Professor Biermann.

Ich, welcher sonst immer ein überfülltes Auditorium hatte, habe diesmal kaum so viel Zuhörer, um mit Anstand lesen zu können, sagte Professor Franke, und von diesen Zuhörern hat kein einziger gezahlt, sondern es ist allen das Honorar gestundet.

Aber das geht nicht, das kann nicht gehen! wimmerten alle drei. Was soll aus der Wissenschaft werden, wenn ein solcher Unfug einreißt, und die Professoren entweder vor leeren Bänken oder nur vor zahlungsunfähigen Schülern lesen müssen.

Ich hatte ein Privatissimum angekündigt über die Mysterienspiele des Mittelalters, sagte Professor Biermann. Bei der allgemeinen Begeisterung für das Theater hoffte ich damit etwas zu machen und die Studenten anzuziehen. Umsonst, kein einziger hat belegt, sie tragen ihr Geld abends zur Theaterkasse, statt morgens auf die Universitätsquästur. Sie –

Eben öffnete sich die Tür, und die eintretende Magd meldete, daß unten ein Herr stehe, welcher sich Eckhof nenne, und durchaus den Herrn Professor Franke zu sprechen verlange.

Eckhof! riefen alle drei entsetzt, und die Augen der beiden Freunde richteten sich mit mißtrauischen Blicken auf Franke, welcher indes diese Blicke mit stolzer Ruhe ertrug.

Eckhof! Sie verkehren mit Eckhof?

Dieser Schauspieler darf es wagen, Ihre Schwelle zu betreten?

Er wagt es wenigstens, rief Franke mit edlem Zorn. «Er hat den frechen Mut, sich zu mir zu drängen. Nun wohl, hören wir, was ihn dazu berechtigt, fassen wir ihn eintreten.

Er nickte der Magd zu, und diese ging hinaus, den Herrn Eckhof zu benachrichtigen.

Die drei Professoren nahmen eine ernste und strenge Miene an und setzten sich auf die hohen, mit schwarzem Leder bezogenen Stühle, mit denen das Studierzimmer des gelehrten Herrn geschmückt war. Die Tür öffnete sich jetzt, und mit lächelndem Antlitz und strahlenden Augen trat Eckhof herein. Seine hohe, kraftvolle Gestalt, seine edle, freie und ungezwungene Haltung, sein offenes schönes Angesicht, das alles kontrastierte seltsam zu diesen steifen, zusammengenommenen, ernsten Männern, deren Stirnen dicht bewölkt, deren Blicke düster und unfreundlich waren.

Nicht einer von ihnen stand auf, den Eintretenden willkommen zu heißen. Wie die drei Männer des heiligen Vehmgerichts saßen sie da. Eckhof war in ihren Augen nur der Delinquent, den sie zu verhören und zu verurteilen hatten.

Eckhof ging gerade auf Franke hin, und indem er sich tief vor ihm verneigte, reichte er ihm die Hand dar.

Erlauben mir Eure Magnifizenz, sagte er, daß ich Ihre Hand berühre. Es ist ein Gruß, welchen die Kunst durch mich, ihren unwürdigen Vertreter, der Wissenschaft in Ihnen, ihrer erhabenen und ruhmwürdigen Leuchte, darbringen möchte.

Aber Herr Professor Franke nahm diese Hand nicht an, er erhob sich nur von seinem Sitz und sagte: Darf ich fragen, welchem seltsamen Zufall ich die Ehre Ihres Besuches zu danken habe?

Eckhof sah ihn befremdet an und ließ mit einem schmerzlichen Erstaunen seine Hand sinken. Ah, Magnifizenz nennen das einen Zufall, daß ich hier bin? sagte er. Es befremdet Sie, daß der Schauspieler zu dem erhabenen Rektor der Universität kommt? Aber was wollen Sie, mein Herr, der Künstler ist doch immer der rechte, obwohl jüngere Bruder des Gelehrten, und wenn die Wissenschaft nichts wissen will von der Kunst, und die Kunst nichts weiß von der Wissenschaft, so ist das für beide ein trauriges Zeichen ihres Verfalles und ihrer Entartung.

Die drei Professoren sahen sich einander mit wahrem Entsetzen an, aber diese Frechheit des Schauspielers machte sie stumm, und ließ sie keine Worte finden, ihre Indignation zu äußern.

Ich bin gekommen, Eure Magnifizenz um eine Gunst zu bitten, fuhr Eckhof fort, und ich erlaube mir, diese beiden würdevollen Herren in meine Bitte mit hineinzuziehen. Es ist heute mein Benefiz, und ich habe zu demselben mir des erhabenen Voltaires wundervolle Tragödie ›Britannicus‹ auserwählt und selber eine Übersetzung derselben gewagt. Ich glaube, daß das Publikum, welches meine Darstellungen in Halle mit so seltener Gunst beglückt, an diesem erhabenen Dichtwerk einen neuen hohen Genuß haben und zahlreich wie immer herbeiströmen wird zu diesem neuen Stück. Bereits sind alle Billetts zu dem heutigen Abend verkauft, und zu meiner Freude sind über zweihundert derselben von Studenten, diesen rechten und echten Jüngern der Kunst, entnommen worden. Damit aber der Abend seine rechte Weihe empfange, fehlt mir noch eins, fehlt mir die Gegenwart des würdigen Herrn Rektor Magnifikus, die Gegenwart der Professoren, der ehrfurchtgebietenden Männer der Wissenschaft. Deshalb, Magnifizenz, deshalb komme ich her. Ich wollte Sie ersuchen, meinem Benefiz heute abend die Ehre Ihrer Gegenwart zu schenken, und einige der Herren Professoren, die hier gegenwärtigen zum Beispiel, zu veranlassen, daß sie Eure Magnifizenz ins Theater begleiten. Zu diesem Zweck erlaube ich mir hier sechs Billetts hinzulegen, durch deren Gebrauch mich Eure Magnifizenz außerordentlich erfreuen würden.

Und mit einem anmutigen Lächeln sich verneigend, legte Eckhof auf den mit Folianten und Schriften bepackten Tisch seine sechs Logenbilletts, welche sich da gar seltsam und unglücklich ausnahmen zwischen den Folianten und dem von Gelehrsamkeit geschwängerten Staub des Tisches.

Professor Frankes Stirn hatte sich noch tiefer umwölkt und sein sonst so kaltes und stumpfes Auge schoß jetzt Blitze.

Sie glauben also alles Ernstes, mein Herr, daß ich, der Rektor der Universität, der Professor der Theologie, ich der Doktor philosophiae Gotthilf August Franke, in das unheilige, dem Teufel verfallene Komödienhaus gehen soll? fragte er mit hartem, strengem Ton. Sie halten es für möglich, daß diese beiden Herren, beide Professoren der Gottesgelehrsamkeit wie ich selber, diesem frivolen und verdammenswerten Komödiantenwesen ihr Auge und Ohr leihen könnten? Nein, mein Herr, wie entartet, herabgekommen und entchristlicht unsere Zeit auch immer sein mag, dahin ist es noch nicht gekommen, daß die Männer Gottes, daß die Theologen in die Höhlen des Lasters sich begeben und den weltlichen und trivialen Kunststücken zuschauen sollten, welche es Ihnen freilich beliebt mit dem edlen Namen der Kunst zu bezeichnen.

Über Eckhofs edles Antlitz flog ein Ausdruck tiefer Trauer und ein schwermütiges Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. Die beleidigenden und stolzen Worte des gelehrten und frommen Herrn hatten indes ihn weder gedemütigt, noch verwundet, sie hatten ihn nur traurig gemacht, und das weniger um seinetwillen, als um derentwillen, der sie gesprochen hatte.

Immer dieselbe Unduldsamkeit, dieselbe Aufgeblasenheit, sagte er leise vor sich hin. Dann richtete er sein Haupt stolzer empor und seine flammenden Blicke ruhten wie Dolchspitzen auf den Gesichtern der gelehrten Herren.

Sie sprechen da sehr harte und sehr unchristliche Worte, mein Herr Rektor, Professor und Doktor Franke, sagte er lächelnd, Worte, welche von einem Manne Gottes, der Wissenschaft und der feinern Weltbildung eigentlich niemals sollten gesprochen werden. Denn dem Manne Gottes ziemt die Duldsamkeit, dem Manne der Wissenschaft die richtige Erkenntnis und dem Manne der feinern Weltbildung die Höflichkeit gegen jedermann. Ich indessen, ich, welcher kein Professor der Theologie, kein Mann der Wissenschaft und vielleicht auch kein guter Christ bin, ich vergebe Ihnen Ihre beleidigenden Worte und sage gleich Christus: vergib ihnen, Herr, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Diese heiligen Worte werden indessen in dem Munde eines Komödianten zu einer Blasphemie, sagte Herr Professor Heinrich feierlich.

Und doch sage ich sie noch einmal, rief Eckhof. »vergib ihnen, Herr, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Sie wissen nicht, daß sie sich selber richten, sich selber verdammen, indem sie mich zu richten, mich zu verdammen scheinen. Sie wissen nicht, daß sie über sich selber den Stab brechen, indem sie sich erlauben die Kunst, welche ebenso schön, ebenso heilig, ebenso göttlich ist, wie ihre ganze Gottesgelehrtheit und Wissenschaft, die Kunst, welche Gott auf die Spitze seiner Schöpfung als deren strahlendste und duftigste Wunderblüte gesetzt hat, die Kunst, sage ich, zu verachten und zu verspotten. Oder wollen Sie etwa im Ernst behaupten, daß die dramatische Kunst keine Kunst, daß der Schauspieler kein Künstler sei? Ich sage Ihnen, ich bin ein Künstler, Gott hat meine Stirn gezeichnet mit dem heiligen Zeichen der Künstlerschaft, er hat mich gesegnet zu dem heiligen Unglück ein Künstler zu sein. Ja, ich bin ein Künstler, ich sage es Ihnen nicht im Übermut, sondern in der Demut meines Herzens, welches erschauert vor dieser großen und heiligen Aufgabe, die Gott auf mein Haupt gelegt.

Gott, was hat Gott zu schaffen mit dem Komödiantenwesen! unterbrach ihn Professor Franke mit einem rauhen Lachen.

Gott ist überall und allerorten! Gott ist in dem schmetternden Gesang der Nachtigall und dem Zirpen der Grille, Gott ist im Antlitz der Menschen und im Kelche der Blumen, Gott ist in allem, was der Wahrheit, der Schönheit, der Natur, dem Gedanken angehört, also ist Gott vor allen Dingen in der Kunst. Nicht bloß die Kirche ist ein Haus Gottes, sondern auch das Schauspielhaus, in der ersten wird Gott verkündet durch den Mund der Priester, in dem zweiten durch den Mund der Poesie. Ah, meine Herren, Sie nennen sich Professoren der Theologie, nun wohl, ich nenne mich Professor der Kunst, die Bühne ist mein Katheder, das Publikum ist mein Auditorium, und beim Himmel, es fragt sich, wo mehr Schauspielern herrscht, auf den Kanzeln und den Kathedern, oder auf der Bühne!

Nun wahrlich, das geht zu weit! rief Herr Professor Franke. Sie erkühnen sich, das Schauspielhaus eine Kirche zu nennen und sich selber den Männern der Wissenschaft und Gelehrsamkeit gleichzustellen! Sie wissen also nicht, daß die Histrionen von jeher verachtete und verworfene Geschöpfe waren, unehrlich in ihrem Leben, unehrlich in ihrem Tode?

Ich weiß, daß die größten Geister aller Zeiten für die Histrionen gearbeitet haben, rief Eckhof stolz. Ich weiß, daß Aeschylus und Sophokles, Aristophanes und Euripides nimmer so berühmt und groß geworden wären ohne die Histrionen, welche das Volk für diese erhabenen Dichterwerke begeisterten, ich weiß, daß Englands Shakespeare und Frankreichs Molière auch Histrionen waren, auch zu diesen verachteten und verworfenen Geschöpfen gehörten, welche von den Toren und Finsterlingen verdammt wurden und denen die engherzigen, kleinlichen und hochmütigen Priester, welche sich die Diener des Gottes der Liebe nennen, nach ihrem Tode sogar noch die Ruhe des Grabes versagen wollten. Ich weiß auch, daß der Fluch uns zum Segen geworden ist, und daß unsere Kunst nur gedeihen konnte, wenn sie als Märtyrerin ihrer selbst sich stählte und stärkte an ihren eigenen Schmerzen, und sich tränkte mit ihren Tränen und ihrem eigenen Herzblut. Was groß ist, muß leiden und dulden, und was sich mächtig und glanzvoll emporringen soll aus dem Staub und der Erniedrigung, muß erst die Weihe des Unglücks und die Taufe der Tränen empfangen haben. – Aber wozu sage ich Ihnen das alles, wozu rede ich zu Ihnen, denen die Gelehrsamkeit das Herz versteinert und die Frömmigkeit die Brust mit Anmaßung und Stolz angefüllt hat? Ich kam hierher, um zur Versöhnung die Hand zu bieten. Man hatte mir erzählt von den Zwistigkeiten und Mißstimmungen, welche, durch das Theater veranlaßt, zwischen den Professoren und den Studenten herrschten. Ich wollte versuchen, mit einem Lächeln der Kunst die Runzeln von der Stirn der Gelehrsamkeit zu verscheuchen, und bei den Studenten die Liebe zu den Wissenschaften neu zu entflammen, indem sie gewahren sollten, daß die Vertreter der Wissenschaft auch Liebe zu der Kunst zeigten. Sie, meine Herren, hatten nicht den feinen Takt und den guten Kopf, das zu begreifen, Sie haben die Hand der Versöhnung von sich gestoßen, Sie wollen den Krieg! Nun wohl, so sei es denn Krieg. Die Kunst hat ihre diamantenen Waffen, mit denen sie sehr wohl kämpfen kann gegen die gelehrte Dummheit und die unchristliche Frömmigkeit. Leben Sie wohl, meine würdigen und gelehrten Herren Professoren, leben Sie wohl, erhabene Histrionen der Studierstube, des Katheders und der Wissenschaft, leben Sie wohl!

Er verneigte sich tief, und ohne die vor Zorn und Indignation erstarrten Professoren nur eines Blickes zu würdigen, ging Eckhof hinaus, hinunter auf die Straße, wo Joseph Fredersdorf ihn erwartete.

Nun? fragte er lebhaft. Haben sie die Einladung angenommen?

Es ist alles so gekommen, wie du gesagt hast, Freund. Sie haben mich mit schnödem Hohn zurückgewiesen und mir stolz den Rücken zugewandt. Aber sie mußten doch hören, was ich ihnen darauf zu erwidern hatte, und ich denke, meine Worte werden ihren erhabenen langen Ohren einige Schmerzen bereitet haben.

Du wirst jetzt zugeben, daß ich recht hatte, nicht an unser Glück in Halle zu glauben, und an das innige Zusammenhalten der Männer der Wissenschaft mit den Männern der Kunst?

Ja, du hattest recht, Joseph. Ich sehe das jetzt ein. Die Gelehrsamkeit dieser Männer ist ein erstarrter, blütenloser Sumpf, in dem alle ihre besseren und menschlichen Gefühle zugrunde gehen. Professoren nennen sie sich? Eunuchen sind sie, gar nicht imstande, neue Menschen zu zeugen, sondern nur kläffend und zähnefletschend vor den toten Schätzen zu liegen, welche sie bewachen, und die ihnen je schöner und heiliger erscheinen, desto älter, bestäubter und unverständlicher sie sind. Komm, Joseph, wir haben nichts mehr zu schaffen mit diesen Männern der Wissenschaft, des Staubes und der Stubengelehrsamkeit, wir sind Künstler, uns gehört das Leben, die Jugend und die Zukunft, und die ganze Welt ist unser Auditorium! Komm, wir wollen in die Probe gehen, und beim Himmel, wir wollen unserm Auditorium heute abend eine Vorlesung halten, deren jauchzender Widerhall die Herren Professoren wie ein Blitzstrahl zerschmettern soll.

Oben in dem Zimmer des Herrn Professor Franke waren indessen die drei gelehrten Herren in tiefer und ernster Beratung beisammen geblieben.

Heute abend also ist sein Benefiz! brummte Professor Franke.

Zweihundert Studenten werden dort sein! seufzte Professor Biermann.

Und unsere Auditorien stehen leer! wimmerte Professor Heinrich.

Eine Pause trat ein. Dann erhob Herr Professor Franke sein gesenktes Haupt und blickte mit leuchtenden Augen auf seine Freunde hin.

Wir müssen einen energischen Entschluß fassen, sagte er. Wir müssen diesem Unwesen mit Gewalt Einhalt tun. Es ist ein Skandal für die Wissenschaft und die ganze Stadt, daß unsere Studenten den Histrionen nachlaufen und sich abwenden von den Professoren und ihrem Studium.

Ja, wir müssen dem Einhalt tun, sagte Biermann, denn nicht bloß unser Ruf, sondern auch unsere Börse, und ich darf sagen, auch unser häusliches Glück leidet darunter. Ich habe meiner Frau die Kollegiengelder ein für allemal angewiesen. Nun, in diesem Semester hat sie also fast gar nichts bekommen, und das fällt auf mich zurück. Sie ist sehr verstimmt, weil sie kein Taschengeld hat, und achtet mich weniger, weil ich keine Zuhörer habe.

Ich, der ich zum Glück keine Frau habe, sagte Professor Heinrich, ich pflegte für die Kollegiengelder meinen Bedarf an Schnupftabak und Kanaster einzukaufen. Es studiert sich besser, der Geist ist frischer, wenn man seine Pfeife raucht und sein Gehirn mit einer Prise stärkt, ich muß mich aber nun in diesem Semester sehr in diesem Genüsse beschränken, und meine Studien und meine Arbeiten leiden darunter.

Sie sehen also, wir müssen schleunigst diesem wuchernden Übel abhelfen, rief Franke. Wir wollen noch heute einen Schritt dazu tun. Das Generaldirektorium hat entschieden, daß nur erst dann die Komödianten entfernt werden sollen, wenn ihr Hiersein zu einem öffentlichen Skandal Veranlassung gegeben hat. Nun wohl, rufen wir einen solchen öffentlichen Skandal ins Leben. Es werden heute abend gegen zweihundert Studenten im Theater anwesend sein, wie dieser Herr Eckhof sagt. Daraus folgt, daß es noch einige hundert Studenten gibt, welche nicht da sein werden. Unter diesen werden sich ohne allen Zweifel einige entschlossene, kühne und fromme Jünglinge finden, welche Gott, die Wissenschaft und ihre Lehrer hoch genug achten, um in die Schranken zu treten gegen dieses unchristliche Komödiantenwesen, und im Namen der guten Sitte einen Skandal veranlassen. Wenn wir zum Beispiel einige solcher gutgesinnten Studenten bewegen könnten, heute abend auch ins Theater zu gehen, und zu zischen und zu trommeln, wenn die andern Studenten klatschen und Bravo rufen, so würde das ohne Zweifel genügen, den gewünschten Lärm und das öffentliche Ärgernis hervorzurufen, und wir haben dem Generaldirektorium gegenüber, was wir brauchen.

Eine ganz vortreffliche Idee!

Nur fürchte ich, daß es schwer sein wird, Studenten zu finden, die sich in solche Gefahr begeben, und ihre gesunden Glieder, ja vielleicht ihr Leben wagen wollen.

Wir müssen sie unter denen suchen, in deren Vorteil es liegt, bei dem Rektor Magnifikus in Gunst zu stehen. Wir werden unsere Streiter also unter den Jünglingen suchen, welche Stipendien empfangen, und also ganz naturgemäß zu mir halten, weil es von mir abhängt, ihnen das Stipendium auch für das nächste Semester zu sichern. Auch gibt es einige Studenten, welche, nur der Wissenschaft lebend, diese eitle Kunst verachten und, wie ich mit Bestimmtheit weiß, niemals das Theater besuchen. Ich nenne Ihnen zum Beispiel den jungen und fleißigen Studenten Lupinus. An ihn werde ich mich wenden, und er wird ohne Zweifel meiner Aufforderung entsprechen. Er ist klein und schwächlich, das ist wahr, aber er steht in großem Ansehen unter der Studentenschaft, und es ist also gut, wenn er dabei ist. Außerdem kenne ich wohl noch fünf Studenten, auf welche wir sicher zählen können, und die uns behilflich sein werden, unser edles Ziel zu erreichen. Ihnen werde ich also diese Billetts geben, welche der übermütige Komödiant hier zurückgelassen hat. Es war sein Wunsch, daß dieselben von uns gebraucht werden sollten. Nun wohl denn, wir wollen sie gebrauchen, nur wollen wir es nicht zum Zweck dieses schnöden und sinnlichen Vergnügens tun, sondern im Dienste Gottes, der Wissenschaft und der Tugend.

Und weil dem so ist, wird Gott auch unser Bemühen segnen und es mit einem glücklichen Erfolg krönen! sagte Herr Professor Heinrich salbungsvoll, indem er dem Rektor seine Hand darreichte.


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