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XIII. Die Flucht

Zwei Monate waren seit dem letzten Fluchtversuch des Leutnants v. Trenck vergangen. Zwei Monate der Qual, des verzweiflungsvollen Schmerzes, des nagenden Grames. Aber dennoch war Trenck nicht entmutigt, nicht hoffnungslos, dennoch hatte er immer nur das eine große Ziel vor Augen: sich zu befreien, aus diesem Kerker zu entfliehen, den er jetzt, wie ihm der Kommandant von Fouquet gesagt hatte, lebend nicht mehr verlassen sollte. Diesem Schreckbild einer lebenslänglichen Gefangenschaft gegenüber fühlte Trenck alle seine Muskeln sich spannen und zusammenziehen, fühlte er sein Blut in feurigen Strömen durch seine Adern hüpfen, und mit einem stolzen Lächeln und mit flammensprühenden Augen sagte er: Man ist niemals lebenslänglich gefangen, wenn man sich stark genug fühlt, frei zu sein! Ich habe Kraft und Mut wie Atlas, die ganze Welt auf meinen Schultern zu tragen, und ich sollte nicht einmal diese Türen und Schlösser sprengen, diese elenden Festungsmauern überwinden können, die mich von der Freiheit, der Welt und dem goldenen Sonnenschein trennen? Nein, nein, noch bevor das Jahr zu Ende geht, werde ich frei sein! Ja, frei, um zu ihr zu gehen, um ihr dieses fürchterliche Blatt Papier zurückzugeben und sie zu fragen, ob sie das wirklich geschrieben, ob diese kalten, gnädigen Worte wirklich aus ihrem Herzen gekommen sind, oder ob man gewagt hat, ihre Handschrift nachzuahmen, um mir noch diesen letzten Sonnenstrahl, der mein Gefängnis durchleuchtete, zu umnachten! Um das zu wissen, muß ich frei sein, denn ich glaube keinen Schriftzügen, außer denen, die in ihrem schönen holden Angesicht stehen, und nur wenn sie selber es mir sagt, daß sie mich aufgegeben, nur dann werde ich ihr glauben! Ich muß also frei sein, und bis ich das nicht bin, muß ich alles andere vergessen, alles, selbst diesen fürchterlichen Brief! Meine Gedanken, meine Augen, mein Herz und meine Seele müssen nur ein Ziel, einen Atemzug haben: die Freiheit! die Freiheit!

Aber ach! Das Jahr neigte sich zu Ende, und dieses Ziel war immer noch nicht erreicht, vielmehr schien es in immer weitere Ferne zu entrücken, denn von Berlin aus waren verstärkte Vorsichtsmaßregeln befohlen worden, und der Kommandant von Fouquet hatte daher die Wachen verdoppeln lassen und den Offizieren auf der Zitadelle bei strenger Arreststrafe verboten, den Gefangenen in seiner Zelle zu besuchen, oder irgendwie freundlich mit ihm zu verkehren.

Aber die Offiziere liebten diesen jungen lebensmutigen Mann, der das graue eintönige Einerlei ihres Garnisonlebens mit seiner frischen, lebenslustigen, machtvollen Erscheinung erheitert und durchbrochen hatte, und der mit seinem springkräftigen Geist und seiner schwungvollen Phantasie aus ihrer Langenweile und Tonlosigkeit sie ein wenig emporgeschnellt hatte. Sie empfanden Mitleid mit seiner Jugend, seiner Schönheit und Genialität; seine energische Zuversicht, sein kühner Mut imponierte ihnen, und machte sie neugierig und gespannt auf den endlichen Ausgang dieses Kampfes zwischen dem armen, machtlosen, gefesselten Jüngling und dem strengen, gebietenden Festungskommandanten, der Trenck geschworen hatte, daß es ihm nicht gelingen sollte, auch nur einen Versuch zur Flucht zu machen, und dem Trenck darauf mit fröhlichem Lachen erwidert hatte: Ich werde keinen Versuch zur Flucht machen, sondern ich werde entfliehen, allen Wachen, allen Festungswällen und allen Kommandanten zum Trotz. Riechen Sie denn nicht den Atem der Freiheit, der schon durch meinen Kerker weht, sehen Sie denn nicht, wie die Freiheit mit zauberhaftem Lächeln zu den Häupten meines elenden Bettes steht, um mich abends mit süßen Liedern einzusingen und morgens mit mächtigen Posaunenklängen zu wecken? Oh, mein Herr Kommandant, die Freiheit liebt mich, und bald wird sie mich wie eine Braut in ihre Arme nehmen und von hinnen führen!

Der Kommandant hatte, wie gesagt, die Wachen verdoppeln lassen, und den Offizieren bei strenger Strafe untersagt, mit Trenck zu verkehren. Während sonst der Offizier, welcher bei Trenck die Wache hatte, ungehindert zu ihm eintreten, bei ihm bleiben und mit ihm essen durfte, war jetzt die Tür des armen Gefangenen für alle Offiziere geschlossen, der Major hatte den Schlüssel zu dieser Tür, und durch das in der Mitte derselben angebrachte Fenster wurde dem Gefangenen seine Nahrung gereicht Trencks Memoiren. S. 91.. Aber dieses Fenster war jedenfalls groß genug, um dem wachthabenden Offizier zu erlauben, durch dasselbe seinen Kopf zu stecken und mit dem gefangenen Leutnant von Trenck zu plaudern, und wenn der Major den Hauptschlüssel zu dieser Tür hatte, so besaßen die Offiziere einen Nachschlüssel, vermöge dessen sie ungehindert jeden Abend zu ihrem Freunde gelangen konnten, um mit ihm einige Stunden der Unterhaltung hinzubringen, und mit lächelndem Staunen seinen Freiheitsplänen, seinen Zukunftsträumen zuzuhören.

Aber nicht alle kamen zu ihm, um nur gleichgültige Dinge mit ihm zu sprechen, um nur sich von ihm erheitern zu lassen und seines frischen Lebensmutes sich zu freuen. Einige kamen auch, weil sie ihn wahrhaft liebten, weil sie ihm beistehen wollten mit Rat und Tat! Einer kam auch, weil er seiner Geliebten, seiner Braut versprochen hatte, Friedrich von Trenck zu befreien, es koste was es wolle. Dieser eine war der Leutnant von Schnell, der Verlobte des Hoffräuleins der Prinzessin.

Eines Tages war er, dank dem Nachschlüssel der Offiziere, in Trencks Zelle getreten und hatte zu ihm gesagt: Ich werde Ihnen helfen und beistehen bei Ihrer Befreiung, – mehr als das, ich werde mit Ihnen fliehen. Fouquet haßt mich, weil ich, wie er sagt, für einen Offizier zu gelehrt bin und nicht bloß den Militär- und Wachtdienst, sondern auch die Bücher und die Wissenschaften liebe. Er hat mich vielfach schikaniert, und ich habe ihn deshalb schon zweimal um meinen Abschied gebeten. Man hat ihn mir zweimal verweigert und mir gedroht, mich in Festungsarrest zu schicken, wenn ich zum dritten Male meinen Abschied verlangen sollte. Ich bin also, gleich Ihnen, nicht frei, zu tun was ich möchte, und deshalb will ich, gleich Ihnen, entfliehen. Treffen wir also unsere Vorkehrungen, machen wir unsere Pläne.

Ja, machen wir unsere Pläne, sagte Trenck mit freudestrahlendem Angesicht, den so schnell gefundenen Freund umarmend. Oh, jetzt werden wir unüberwindlich sein, denn mir werden wie Briareos hundert Arme und hundert Köpfe haben! Wenn zwei starke, jugendkräftige Männer ihren Willen zu einem vereinigen, dann kann nichts ihnen widerstehen, nichts sie aufhalten! Machen wir also unsere Pläne!

Und sie hatten ihre Pläne gemacht, und diese Pläne waren bald reif zur Ausführung. Am letzten Tage des Jahres, wenn Leutnant von Schnell wieder die Wache bei Trenck hatte, dann sollte es geschehen, dann wollten sie entfliehen. Die mondscheinlose Nacht sollte sie schützen, Pferde sollten bereitstehen, mit Geld wollte man die Wachen zu bestechen versuchen, und für diejenigen, welche sich nicht bestechen ließen, wollte man die geladenen Pistolen bereit halten, welche man schon in Trencks Zelle eingeschmuggelt und dort unter der Asche des Kamins versteckt hatte.

So unter diesen Vorbereitungen und Plänen war der Vorabend des Weihnachtsfestes herangekommen, ein Tag des Festes für jedermann, selbst für die Offiziere der Zitadelle, welche heute, mit Ausnahme der Wachthabenden, beim Kommandanten zu Tische geladen waren, ein Tag des Festes für jedermann, außer für den armen Gefangenen, der da traurig und in sich gekehrt in seiner Zelle saß und mit wehmutsvoller Trauer sich der Tage seiner Kindheit erinnerte, wo der »heilige Abend« für ihn wie das goldene Buch der Verheißungen gewesen, wie das glänzende und freigebige Füllhorn des Glückes und der Freude.

Plötzlich ward die Tür seiner Zelle hastig aufgerissen, und der Leutnant von Schnell stürzte herein.

Bruder, wir sind verraten! sagte er atemlos. Man hat unsere Pläne zur Flucht entdeckt, der Adjutant des Kommandanten hat mir soeben heimlich zugeflüstert, daß er beim Ablösen der Wache mich arretieren soll. Du siehst also, daß der Kommandant unsere Pläne kennt. Wir sind verloren, wenn wir nicht einen raschen energischen Entschluß fassen!

Wir werden fliehen, bevor er dich arretieren läßt, rief Trenck mit freudigem Lächeln.

Wenn du so denkst, dann ist alles gut, sagt Schnell, indem er einen Säbel unter seinem Rock hervorzog und ihn Trenck darreichte. Schwöre mir auf diese Waffe, daß du, was auch geschehen möge, mich nicht lebendig willst in die Hände meiner Feinde fallen lassen!

Ich schwöre dir das, so wahr mir Gott helfe! Schwöre du mir ein gleiches!

Ich schwöre es dir! Jetzt, mein Freund, einen letzten Händedruck, und nun vorwärts, und möge Gott uns beistehen. Verbirg den Säbel unter deinem Rock und nun komm! Laß uns eine gleichgültige Miene annehmen! Komm!

Arm in Arm traten die jungen Männer aus der Gefängnistür. Sie schienen vollkommen ruhig und heiter, nur hatten sie jeder eine Hand in den Busen gesteckt, und diese Hand hielt ein geladenes Pistol.

Die Wache salutierte vor dem wachthabenden Offizier, der in voller Uniform, mit der Schärpe und dem Ringkragen, an ihr vorüberging, und im Vorbeigehen ganz ruhig sagte: »Ich führe den Arrestanten in die Offiziersstube. Bleib' hier stehen, wir kehren bald zurück.«

Mit ruhigem, langsamem Schritt gingen sie den Korridor entlang. Jetzt standen sie vor der Offiziersstube, jetzt hatten sie die Tür geöffnet. Die Wache ging ruhig und nichts ahnend in ihrem gleichmäßigen Takt vor der geöffneten Zelle Trencks auf und ab. Die Tür schließt sich hinter ihnen. Der erste Schritt zur Freiheit ist getan!

Jetzt vorwärts, rasch hinaus dort durch jene Seitentür, sie führt nach außen. An dem Zeughause vorbei gelangt man dann an die äußersten Außenwerke. Da überspringen wir die Pallisaden, und wehe dem Hindernis, das sich uns in den Weg stellen will! Vorwärts! Vorwärts!

Mit rasender Eile geht es vorwärts. Schon haben sie die Außenwerke erreicht, schon scheint sie die Freiheit mit goldenem Lächeln zu grüßen, da, bei einer Biegung des Weges, stehen sie plötzlich vor dem Major und seinem Adjutanten.

Ein Ausruf des Entsetzens tönt von Schnells Lippen, dann, mit einem kühnen Sprung, schwingt er sich empor auf die Brustwehr, und stürzt sich vom Wall hinunter. Und mit einem Jubelruf stürzt Trenck sich ihm nach. Seine Seele ist voll Entzücken und Wonne. Die Bande sind gesprengt, und was er da unten findet, das wird entweder die Freiheit des Todes oder die Freiheit des Lebens sein!

Er lebt! Er dehnt sich und streckt die Glieder nach dem gewaltigen Sprung in die Tiefe. Er ist nicht verletzt und sein Körper erholt sich schnell von der mächtigen Erschütterung. Wo ist aber der Freund, wo ist Schnell? Dort, dort liegt er am Boden, mit verstauchtem Fuß, unfähig aufzustehen und weiterzugehen.

Freund, gedenke deines Schwurs und töte mich! Ich kann nicht weiter. Hier ist mein Schwert, stoße es mir in die Brust, und dann eile weiter, dich zu retten!

Aber Trenck lacht und nimmt ihn empor in seine Arme, so liebevoll und zärtlich wie eine Mutter, und trägt ihn über die Pallisaden.

Nun schwing dich auf meinen Rücken, Freund, nun lege deine Arme um meinen Hals und klammere dich ganz fest an. Jetzt vorwärts, und mögen die Hirsche und das Renntier unsere Nebenbuhler sein!

Trenck, Trenck, laß mich hier und töte mich! Dann eile weiter! Du kannst nicht schnell genug laufen mit dieser Last auf dem Rücken.

Du bist leicht wie eine Feder, und ehe ich dich verlasse, sterbe ich mit dir!

Vorwärts, vorwärts geht es in rasendem Lauf. Die Sonne geht unter. Wie ein blutigroter Ballon fällt ihre Kugel in diesen feuchten dichten Nebel hinab, der sich plötzlich auf die Erde herabsenkt.

Trenck, Trenck, hörst du nicht, wie dort die Lärmkanonen von der Zitadelle herabdonnern? Unsere Verfolger sind hinter uns!

Ich höre die Kanonen, Freund, keuchte Trenck, immer vorwärts rennend. Wir haben also eine halbe Stunde vor unsern Verfolgern voraus.

Eine halbe Stunde genügt nicht! Keiner ist noch von Glatz entkommen, der nicht zwei Stunden vor seinen Verfolgern voraus hatte. Trenck, laß mich hier und rette dich!

Ich lasse dich nicht oder ich sterbe mit dir! Laß uns nur einen Augenblick ruhen und Atem schöpfen.

Sanft und vorsichtig läßt er den Freund zur Erde gleiten. Schnell unterdrückt sein Schmerzenswimmern, wie Trenck sein atemloses Keuchen. Sie ruhen und horchen. Der weiße, feuchte Nebel senkt sich immer dichter auf sie herab, schon ist es unmöglich die Zitadelle und die Stadt zu erkennen.

Gott ist mit uns, sagt Trenck, er hüllt uns in einen Schleier, um uns unsern Feinden zu verbergen.

Schnell schüttelt seufzend sein Haupt. Gott ist wider uns, denn unsere Flucht ist zu schnell verraten, schon ist der Grenzkordon allarmiert, höre nur das Läuten auf allen Dörfern. Die drei Schüsse von der Zitadelle haben ihnen angezeigt, daß ein Gefangener entsprungen, die zum Nachsetzen für jeden Tag kommandierten Offiziere sprengen jetzt schon zu allen Posten, und visitieren, ob die Bauern ihre Schuldigkeit tun und alle Posten richtig besetzt haben. Der ganze Grenzkordon ist allarmiert, und die Husaren sprengen von Ort zu Ort und bringen die ganze böhmische Grenze entlang unser Signalement. Es ist zu spät, wir können die böhmische Grenze nicht mehr erreichen.

So gehen wir also nicht dahin, wo der Grenzkordon uns erwartet, Freund, lacht Trenck in übermütiger Freiheitslust. Alles hat uns dem böhmischen Gebirge zulaufen sehen, dahin also durch Nacht und Nebel ziehen unsere Verfolger, uns zu suchen. Wir also ziehen durch Nacht und Nebel dorthin, wo sie uns nicht suchen, Wir gehen über die Neiße. Siehst du dort durch den Nebel schimmert sie wie ein Silberstreif uns entgegen. Schwinge dich wieder auf meinen Rücken, Freund, wir müssen durch die Neiße.

Ich kann nicht, Trenck! Mein Fuß schmerzt fürchterlich. Ich kann nicht schwimmen.

Aber ich kann's, und ich kann's für uns beide!

Er kniet nieder und ladet den Freund wieder auf seinen Rücken und rennt mit ihm der Neiße zu. Jetzt stehen sie am Ufer. Traurig und düster dehnt sich der Fluß zu ihren Füßen, hier und dort einzelne kleine Eisschollen vorübertreibend und mit trübem Geplätscher die dünne Eisrinde, welche der Winter wie eine Haut über den Fluß ausgespannt, durchbrechend.

Ist der Fluß tief, Freund Schnell?

Tief genug, um in seiner Mitte selbst einen Riesen, wie du es bist, zu überdecken.

Vorwärts! Wenn ich nicht mehr gehen kann, so schwimme ich. Halte dich fest!

Hinein geht's in das dunkle, eiskalte Wasser, rüstig watet er vorwärts, den Freund auf dem Rücken. Immer höher umspült das eisige Wasser seine Gestalt. Jetzt hat es seine Schultern erreicht.

Klammere dich fest an meinem Haar. Wir müssen schwimmen!

Und mit herkulischer Kraft durcheilt er das plätschernde Wasser und stößt die Eisstücke fort, die ihm entgegenkommen.

Da, da sind sie am andern Ufer, gerettet noch nicht, aber doch der augenblicklichen Gefahr entronnen. Jetzt deckt die Nacht ihre Flucht, und die Verfolger suchen sie dort drüben am jenseitigen Ufer.

Aber plötzlich hebt sich der Nebel, ein rauher Wind macht die Feuchtigkeit erstarren, und groß und golden steigt der Mond am Himmel empor. Es ist eine kalte helle Dezembernacht, welche die durchnäßten Kleider der beiden Flüchtlinge erstarren macht, daß sie wie ein steifer Harnisch ihre Gestalt umgeben. Aber Trenck fühlt keine Kälte und keine Erstarrung. Er trägt den Freund auf seinen Schultern, das macht ihn warm, er eilt mit ihm vorwärts in hastigem Lauf, das schützt ihn vor der Erstarrung.

Vorwärts, immer vorwärts, dem Gebirge zu. Jetzt haben sie den ersten Hügel erreicht, hinter seinem schützenden Rücken sinken sie zusammen, um zu ruhen und Rat zu halten.

Trenck, ich leide fürchterlich, ächzt Schnell, laß mich hier und rette dich! Noch einige Stunden und du wirst die böhmische Grenze erreicht haben. Verlaß mich also und geh'!

Ich verlasse niemals den Freund in der Not, komm, ich bin gestärkt genug.

Er nimmt ihn wieder auf seinen Arm und trägt ihn weiter. Der Mond verhüllt sich hinter Wolken, scharf und schneidend heult der Wind durch das Gebirge. Keuchend watet Trenck durch den Schnee, kaum imstande noch sich aufrecht zu halten. Aber die Hoffnung gibt ihm Kraft und Mut. Er ist so lange gewandert, die böhmische Grenze muß also bald erreicht sein.

Der Tag bricht an, die bleichen Strahlen der Dezembersonne durchbrechen den kalten weißen Morgennebel.

Die Freunde, hingelagert auf dem Schnee, ausruhend vom langen, mühsamen Wandern, schauen sich um, hoffnungsvoll spähend nach der nahen böhmischen Grenze.

Großer Gott, was ist das? Sind das nicht die Türme von Glatz? Und dort drüben dieses dunkle finstere Gespenst, das sich drohend am Horizont emporhebt, ist das nicht die Zitadelle?

Ja, sie ist es! Die armen Flüchtlinge sind die ganze Nacht umhergeirrt, planlos und ohne Halt. Sie haben sich im Kreise umherbewegt und sind jetzt fast wieder da angelangt, von wo sie ausgingen.

Wir sind verloren, murmelt Schnell, jetzt gibt es keine Hoffnung mehr!

Nein, wir sind nicht verloren, jubelt Trenck, denn wir haben noch unsere gesunden Arme und unsere Waffen. Lebend werden sie uns nicht einfangen.

Aber entgehen können wir ihnen nicht mehr. Unsere abenteuerliche Erscheinung schon verrät uns jedermann. Ich hier in voller Uniform, mit Schärpe und Ringkragen, du in deinem roten Garde du Corps-Rock, wir beide ohne Hut. Jedermann wird uns als Deserteurs erkennen.

Aber wehe dem, der es uns sagt, denn wir werden ihn töten und über seine Leiche weitereilen. Jetzt gilt es einen verzweifelten Entschluß zu fassen! Es gibt für uns kein Rückwärts, sondern nur ein Vorwärts! Laß uns also ein Mittel ersinnen, mitten durch unsere Feinde hindurch die böhmische Grenze zu gewinnen. Du kennst die Wege und die ganze Gegend, komm, Freund Schnell, laß uns Kriegsrat halten. Dort jenes Dorf müssen wir passieren. Wie fangen wir's an, unangefochten da hindurchzukommen?

Eine halbe Stunde später näherte sich den letzten, abseits gelegenen Häusern des Dorfes eine seltsame Gruppe. Es war ein blutender, schwer verwundeter Offizier von den preußischen Gardes du Corps, dessen Gesicht mit Blut bedeckt, um dessen Stirn ein blutbeflecktes Tuch gewunden war, dessen Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Hinter ihm her hinkte ein Offizier in vollem Paradeanzug, nur daß ihm der Federhut fehlte. Mit Scheltworten trieb er den armen gefesselten Gefangenen vor sich her und rief laut um Hilfe.

Sofort stürzten aus den beiden Hütten zwei Bauersleute hervor. Lauft ins Dorf, schrie der Offizier, der Richter soll sofort einen Wagen anspannen, damit ich den Deserteur darauf laden kann. Ich habe ihn eingeholt, aber er hat mir mein Pferd unterm Leibe erschossen, und ich habe mir beim Fallen ein Bein verstaucht. Aber Ihr seht wohl, daß ich ihn gut zusammengehauen habe. Er ist dem Tode nahe, lauft also und holt einen Wagen, damit ich ihn noch lebendig in die Festung bringen kann.

Ich laufe schon, sagte einer der Bauern, der andere winkte ihnen, ihm zu folgen, und trat in seine Hütte zurück. Taumelnd und einzelne dumpfe Wehelaute ausstoßend folgte ihm der verwundete, fluchend und scheltend hinkte der Offizier, auf einen Stock gestützt hinterher. In dem Zimmer angelangt, sank der Verwundete laut ächzend zur Erde, und sofort eilte ein junges Mädchen herbei, sein verwundetes Haupt in ihre Arme zu nehmen, während die alte Frau, welche dort am Herde gestanden, mit einer Schale warmer Milch herbeikam, den Verwundeten damit zu laben.

Der alte Bauer stand am Fenster und schaute mit einem eigentümlichen Lächeln auf den Offizier hin, der sich auf die Bank am Ofen gesetzt hatte und mit großem Behagen die Milch trank, welche die Alte ihm dargereicht hatte.

Plötzlich durchschritt der Bauer das Gemach, und sich dicht vor den Offizier hinstellend, legte er seine Hand auf dessen Schulter. Verstellen Sie sich nicht mehr, Herr Leutnant von Schnell, sagte er. Ich kenne Sie, mein Sohn hat in Ihrer Kompagnie gedient. Gestern abend war auch ein Offizier hier und hat uns das Signalement der beiden Deserteurs gebracht. Sie sind der eine, und das da ist der andere, denn das ist Herr von Trenck.

Und wie von einem Zauberschlage getroffen schnellte der schwer Verwundete jetzt empor. Sein Name hatte ihn gesund gemacht und die Wunden auf seiner Stirn geheilt. Er warf das Tuch von sich und stürmte hinaus, während Schnell mit Bitten und Drohungen den Bauer zurückhielt und ihn beschwor, ihnen den nächsten Weg zur böhmischen Grenze zu zeigen.

Trenck aber eilte hinaus in den Stall, wo die Pferde des Bauern an der Krippe standen. Hinter ihm kam das junge Mädchen, das sich ihm vorher so hilfreich erwiesen.

Was wollt Ihr tun, Herr? fragte sie angstvoll, als Trenck mit geschäftiger Eile die Pferde losband. Ihr wollt meinem Vater doch nicht seine Pferde nehmen? Wenn Ihr das tut, so schreie ich um Hilfe.

Und wenn du das tust, sagte Trenck mit flammenden Augen, so ermorde ich dich und hinterher mich selber, denn ich hab's geschworen, daß ich nicht lebendig wieder in die Festung zurück will. Habe also Mitleid; schönes Kind, deine Augen sind so gut und schön und verraten dein gutes Herz. Stehe mir bei, denke, wie schon und prächtig das Leben und die Welt ist, und daß man mir das alles nehmen will, um mich wie ein wildes Tier in eine Zelle einzusperren. Hilf mir, daß ich frei werde!

Was kann ich Euch denn helfen? fragte Mariandel gerührt von des Jünglings schönem, flehendem Angesicht.

Gib mir das Sattelzeug und den Zaum zu den Pferden, damit wir entfliehen können. Ich schwöre dir bei Gott und meiner Geliebten, daß Ihr alles wieder erhalten sollt!

Ihr habt also eine Geliebte, Herr?

Ich habe eine Geliebte, und sie weint um mich.

Ich werde Euch das Sattelzeug geben, zum Andenken an meinen Geliebten, der auch fern von mir ist. Kommt, hier hängt es in der Kammer, nun rasch, sattelt Ihr den Schimmel, ich werde den Braunen satteln.

Die Pferde sind gesattelt. Nun lebe wohl, Mariandel! Einen Kuß zum Abschied, lebe wohl, du herziges Kind! Schnell, schnell, jetzt hinaus und zu Pferde.

Da stürmt der Schnell hervor aus der Hütte, der Bauersmann hinter ihm her. Mit Entsetzen sieht er seine beiden gesattelten Pferde, sieht, wie Schnell trotz des schmerzenden Fußes sich auf den Braunen schwingt, während Trenck mit freudestrahlendem Antlitz schon auf dem Schimmel sitzt.

Herrgott, ihr wollt mir doch meine Pferde nicht stehlen? Hilfe, Hilfe!

Aber Mariandel legt ihre Hand auf ihres Vaters, zu neuem Hilferuf geöffneten Mund.

Vater, er hat eine Geliebte, und sie weint um ihn. Denk an den Joseph und laß sie fort.

Dahin sprengten sie auf den holprichten Pfaden, ihr Haar flattert im Winde, ihre Wangen glühen vor Aufregung und Erwartung. Schon liegt das Dorf weit hinter ihnen, vorwärts, jetzt über die Ebene, über die Wiesen, über das Stoppelfeld.

Schnell, schnell, da kommen Häuser, da erheben sich Türme. Schnell, da liegt eine Stadt!

Das ist Wünschelburg, und wir müssen hindurch, denn das ist der nächste Weg zur böhmischen Grenze.

Es lagert Militär dort, aber wir müssen doch hindurch!

Das ist ein köstlicher Spaß, mitten durch die Reihen unserer Feinde wollen wir reiten, und vor Erstaunen über solche Keckheit werden sie uns ziehen lassen. Hei, da sind wir am Tor! Die Glocken läuten zur Kirche. Nur vorwärts, mein Schimmel, nun mußt du fliegen, fliegen, als ob du Flügel hättest!

Hussa, wie die Funken sprühen, wie die Pferde mit ihren Hufen das Pflaster schlagen, wie die geputzten Kirchgängerinnen, welche so ehrbar die Straße daherkommen, schreiend zur Seite stieben, wie die Husaren, die da müßig und nichts Schlimmes ahnend an den Haustüren stehen, entsetzt die Augen aufreißen, und diesen beiden Reitern nachstarren, die wie der Sturmwind an ihnen vorüberbrausen.

Jetzt haben sie das Tor erreicht, jetzt liegt die Stadt hinter ihnen. Weiter, weiter geht es in rasendem Lauf. Die Pferde keuchen und ihre Knie sinken ein. Aber die Reiter reißen sie mit machtvollem Arm wieder empor, sie bohren ihnen die Knie in die fliegenden Weichen, daß die Tiere mächtig sich bäumen und weiterrennen.

Weiter, weiter! Aber was ist das? Wer kommt da herangesprengt mit verhängtem Zügel? Ihnen entgegen, gerade auf sie zu.

Schnell, erkennst du ihn nicht? Das ist ja der Hauptmann von Zerbst!

Ja, es ist der Hauptmann von Zerbst, der mit seinen Husaren ausgesandt ist, die Flüchtlinge zu verfolgen. Aber er ist allein, und seine Husaren sehen ihn nicht.

Er reitet gerade auf die beiden Reiter zu, und als er nahe genug ist, um von ihnen gehört zu werden, da ruft er: Brüder, beeilt euch, daß ihr weiter links gegen das dort liegende einzelne Haus kommt, dort ist die Grenze, meine Husaren sind eben rechts geritten Trencks Memoiren. I, 96..

Er wendet sein Roß und sprengt von dannen. Nach links hin sprengen die Reiter, vorüber jetzt an dem einzelnen Hause, vorüber an diesen weiß übertünchten Steinen, weiter noch eine kleine Strecke.

Oh Freund, jetzt laß unsere Pferde verschnaufen, jetzt laß uns ausruhen und Gott danken, denn wir sind gerettet! Wir haben die Grenze passiert!

Wir sind frei, frei! schreit Trenck mit einem so lauten Jubelruf, daß davon das Echo im Gebirge wachgerufen wird, und schallend wiedertönt: Frei! Frei!


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