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Die Tage des Glückes und der Freude rauschen vorüber mit geflügelten Sohlen, und im Genuß des befriedigten Daseins schwinden die Jahre wie ein Gedanke. König Friedrich ist glücklich und befriedigt gewesen, er hat es daher nicht beachtet, daß er schon mehr als zwei Jahre des Glückes, des Friedens, der Ruhe und der Freude genossen hat. Zwei Jahre, in denen er das Schwert beiseite legen durfte und ruhen auf seinen Lorbeeren, um die Gegenwart zu genießen, welche ihm statt der Lorbeeren duftige Rosen und blühende Myrthenzweige gab. Zwei Jahre des Glückes, das ist viel für jeden Sterblichen, es ist fast ein Wunder, wenn sie sich im Leben eines Königs finden. Aber vom Glück läßt sich wenig erzählen, und die wahre Liebe ist schweigsam und hüllt sich in heilige Stille und schreit ihre Freuden nicht aus in die laute, profane Welt, sie verbirgt sich gern unter den Schleiern der Einsamkeit und der sternenfunkelnden Nacht. – Versuchen wir es also nicht, diesen Schleier zu lüften und das Geheimnis von dem Glücke des Königs zu enthüllen. Lassen wir diese zwei Jahre still und unberührt ruhen unter den Rosenkränzen und blühenden Myrthen, fragen wir nicht nach ihren Einzelheiten, ihren Mysterien und Wundern. Wenn die Sonne am hellsten und leuchtendsten strahlt, wendet man das Auge weg, weil es geblendet wird von dem göttlichen Glanze, aber wenn Wolken sie umhüllen und ihr Leuchten sänftigen, dann schaut man empor zu der Sonne, und wär's auch nur, um den Grund ihrer Verdüsterung zu erspähen.
Und die Sonne des Königs ist nicht mehr leuchtend und hell. Es ziehen schon Wolken darüber hin, die sie verdüstern. Ein Schatten davon fällt auf das schöne, jugendliche Antlitz des Königs und dämpft die Flammenblitze seiner wunderbaren, unergründlichen Augen, und legt sich wie ein Trauerflor über sein Herz, daß es nicht mehr so freudig hüpfen und pochen kann.
Was war es, was die Stirn des Königs verdüsterte und ihn heute so ruhelos und freudlos umhertrieb?
Der König wußte es selber nicht, oder er wollte es nicht wissen! Es lag wie ein Alp auf seiner Brust und drückte jede Freudigkeit und sogar jede Tatkraft nieder.
Er hatte versucht sich durch Arbeit zu zerstreuen und hatte daher in der Frühe des Morgens schon seine Minister zu einem Konseil zusammenberufen, aber sein Geist war nicht bei den Verhandlungen gewesen. Zerstreut hatte er den Vorträgen zugehört, und was ihm sonst wichtig gewesen, war ihm heute ganz gleichgültig erschienen. Sich selber mißtrauend, hatte er daher früher als sonst die Sitzung aufgehoben, ohne über die vorliegenden Geschäfte irgendeine Entscheidung zu fällen. Dann, nach beendigtem Konseil, waren seine Kabinettssekretäre mit den Briefen gekommen. Der König hatte, wie er das immer zu tun pflegte, alle die Briefe und Bittschriften selbst gelesen, welche im Laufe des gestrigen Tages für ihn eingegangen waren, nur hatte er ihren Inhalt schnell wieder vergessen, und er mußte jeden Brief noch einmal überfliegen, um den Sekretären die nötigen Notizen zur Beantwortung an den Rand zu schreiben. Während die Kabinettssekretäre dann sich in ihr Bureau zurückzogen, um nach den Notizen des Königs die Briefe zu beantworten, hatte der König sich den gewohnten Studien und Beschäftigungen seines Vormittags zugewandt, und damit begonnen, an seinem noch immer nicht ganz vollendeten Werk: » L'historie de mon temps« zu schreiben. Bald aber hatte er sich selber überrascht, daß er, statt zu schreiben, auf das Papier hinstarrte, ohne Gedanken, verloren in starres Hinbrüten und müßige Träume. Dann hatte er die Feder beiseite geworfen, um eins seiner Lieblingsbücher zur Hand zu nehmen und seinen Geist zu versenken in die ewig jungen, ewig frischen Schönheiten der Dichtung. Aber auch das hatte ihm nicht gelingen wollen, selbst seine Lieblinge ließen ihn heute kalt, und Worte und Schilderungen, die ihn sonst entzückten, schienen ihm heute trivial und abgeblaßt.
In einer Art Verzweiflung warf der König das Buch beiseite und rannte in wildem Ungestüm im Zimmer auf und ab. Was ist das mit mir? fragte er mit zuckender Lippe sich selber. Bin ich denn verwandelt und ausgetauscht? Bin ich nicht mehr Ich selbst? Hat irgendeine böse Fee mich verhext und meine Seele gebannt mit einem Zauberspruch? Ich mag nicht arbeiten, ich mag nicht denken, und um meine Ruhe und meine Freudigkeit ist es geschehen! Was bedeutet denn dieses alles, und warum –
Er vollendete seinen Satz nicht, sondern blieb stehen und blickte mit gespannter Aufmerksamkeit nach der Tür hin. Er hatte draußen den Ton einer Stimme vernommen, welche sein Herz beben und seine Augen höher aufleuchten machte.
Melden Sie Seiner Majestät, daß ich da bin und dringend um eine Audienz bitte, sagte diese Stimme.
Seine Majestät haben befohlen, daß heute niemand gemeldet werde, erwiderte die Stimme des diensthabenden Kammerherrn.
Melden Sie mich dennoch, rief die andere fast gebieterisch.
Das ist unmöglich!
Der König hatte genug gehört. Er schritt hastig nach der Tür und öffnete sie ungestüm.
Signora, ich bin bereit, Sie zu empfangen, sagte der König, haben Sie die Güte einzutreten.
Und indem er so sprach, trat er in den Vorsaal hinaus und reichte der Signora Barbarina die Hand, um sie in sein Kabinett zu führen.
Barbarina begrüßte ihn mit einem süßen Lächeln und schritt mit einem Blick des Triumphes an dem Kammerherrn vorüber, der es gewagt hatte, sich ihr widersetzen zu wollen.
Der König führte sie schweigend in sein Boudoir und winkte ihr, auf dem Divan Platz zu nehmen. Aber Barbarina blieb stehen und heftete ihre großen brennenden Augen auf das Angesicht des Königs.
Ich sehe da eine Wolke, Sire, sagte sie mit ihrem lieblichsten, einschmeichelndsten Tone. Welch ein lästiges Insekt hat es gewagt, das Haupt meines Löwen zu belästigen? Oder war's kein Insekt, Sire, war's –
Nein, unterbrach sie der König, es war ein Engel oder ein Teufel, der mich gequält und die Ruhe aus meinem Herzen und aus meinem Kopfe genommen hat. Sagen Sie mir doch, Barbarina, was sind Sie eigentlich? Sind Sie ein Dämon, der gekommen ist, mich zu martern, oder sind Sie ein Engel, der mir die Träume von Glück und Liebe zur Wahrheit machen will? Es gibt Stunden, in denen ich das letztere meine, in denen Ihr Anblick meine Seele wie mit goldenen Schwingen emporträgt und in denen ich sage: ich bin nicht bloß ein König, sondern ein Gott, denn ich habe einen Engel an meiner Seite! – Aber wieder in anderen Stunden nenne ich Sie meinen bösen Dämon, und ich meine in Ihren Augen dann diesen Haß aufblitzen zu sehen, den Sie mir in der ersten Stunde unseres Begegnens geschworen haben.
Oh, Euere Majestät haben also immer noch nicht vergessen? fragte Barbarina mit zärtlichem Vorwurf.
Sie sorgen wohl dafür, daß ich das nicht vergessen kann, »Vom Haß bis zur Liebe ist nur ein kleiner Schritt,« sagten Sie mir einst, Wenn Sie wirklich den Schritt einst vorwärts getan, wer bürgt mir dafür, daß Sie ihn nicht auch eines Tages zurück tun werden?
Wer Ihnen dafür bürgt? fragte sie mit einem unbeschreiblichen Liebreiz, indem sie mit ihrem rosigen Finger auf den König hindeutete. Dafür bürgt Ihnen dieses Götterangesicht, Sire, dafür bürgen Ihnen diese Augen, welche vom Zeus ihre Blitze und von der Sonne ihren Glanz entlehnt haben, dafür bürgt Ihnen diese Stirn, auf welcher die Erhabenheit und die Weisheit thront, die doch überstrahlt wird von dem wundervollen jugendlichen Lächeln Ihres Mundes. Ich sage nicht, Sire, daß auch Ihr Königtum Ihnen eine Bürgschaft dafür sein soll. Was kümmert es mich, daß Sie ein König sind. Sie sind ein Gott, ein Held und ein Mann, und wären Sie mir begegnet als ein Hirte auf den Feldern, so würde ich gesagt haben: »da wandelt ein verkleideter Gott! Die Mythe ist Wahrheit geworden, denn das ist Apoll, der aus Laune sich in einen armen Hirten verwandelt hat. Apoll, ich bete dich an, laß einen Strahl deiner himmlischen Augen auf mein Antlitz fallen!«
Sie neigte sich auf ihre Knie nieder, und die ineinander gefalteten Hände flehend zu dem König erhebend, blickte sie mit einem strahlenden Lächeln zu ihm auf.
Der König hob sie empor, und sie in seinen Armen haltend, nahm er ihr Haupt in seine Hände und neigte es rückwärts, um es anzuschauen.
Oh, Barbarina, sagte er fast schwermütig, heute sind Sie ein Engel, warum waren Sie gestern ein Dämon? Warum haben Sie mich so gemartert und gequält mit Ihren Launen und Ihrem kindischen Schmollen? Warum ist Ihr Herz, welches so glühend sein kann, zuweilen so eiskalt und mitleidslos? Kind, Kind, wissen Sie denn nicht, daß meine Seele wund ist von vielen Schmerzen, und daß daher jedes rauhe Wort und jeder böse Blick sie trifft wie mit ätzendem Gift? Ich hatte diesen gestrigen Abend bei Rothenburg mit so viel Freude, so viel Sehnsucht erwartet, ich hatte ihn mir verdient mit schwerer Arbeit und langweiligem Tagewerk, und Sie haben ihn mir vergiftet mit Ihren trüben Mienen und Ihrem grollenden Schweigen, Sie haben gemacht, daß ich traurig und verstimmt nach Hause zurückkehrte, und statt zu schlafen, vergeblich mich bemühte, den Grund Ihrer Traurigkeit zu erforschen, und daß ich, statt heute morgen zu arbeiten, gedankenlos und kraftlos mich mit meinem Mißmut umhergetrieben, und meinem Volke und meinem Königtum die Stunden geraubt habe, welche ihm gehören. Was war's denn, Barbarina, was Ihre Stirn mit so häßlichen Wolken verhüllte und Ihrer Stimme einen so harten, abstoßenden Nebenklang gab?
Was es war? fragte Barbarina mit einem träumerischen Ausdruck, ihr Haupt zurücklehnend und mit halbgeschlossenen Augen sich in den Armen des Königs schaukelnd. Es war der Ehrgeiz, welcher mich quälte. Aber ich tat Unrecht, Ihnen das zu verbergen, und statt offen und unverhüllt Ihnen meinen Kummer zu gestehen, denselben nur durch meine Verdrießlichkeit und mein Schmollen erraten zu lassen. Ich hätte wissen sollen, daß es nur einer Bitte von mir bedurfte, um von dem edlen und großmütigen Herzen meines Königs sofort verstanden zu werden, ich hätte wissen können, daß der Mann, welcher auf dem Felde der Ehre wie auf dem Felde der Wissenschaft sich Lorbeeren erworben hat, sehr wohl diesen Durst einer Künstlernatur zu würdigen weiß, diesen Durst nach Ehre und Ruhm, diesen glühenden, verzehrenden Haß gegen diejenigen, welche unsern Ruhm schmälern, unsere Ehre mit uns teilen wollen?
Eifersüchtig also, Sie sind eifersüchtig auf irgendeine andere Künstlerin, murmelte der König, indem er die Barbarina aus seinen Armen ließ.
Ja, Sire, ich bin eifersüchtig auf Ihr Lächeln, Ihren Beifall, auf das Anschauen des Publikums, auf die Bravi, die wie ein goldener Regen über mich allein ausgeschüttet wurden und welche jetzt eine andere mit mir teilen will. Aber ich hätte die Verpflichtung gehabt, das sogleich einzugestehen, und daß ich's nicht getan, das ist ein Unrecht, das ich meinem König heute in aller Demut abzubitten komme, und für das ich mir Ihre Verzeihung erflehe.
Und auf wen sind Sie eifersüchtig? fragte der König.
Sie warf ihr Haupt stolz empor, ein glühendes Rot brannte auf ihren Wangen und ihre Augen schossen Blitze. Warum hat man diese Marianne Cochois engagiert? fragt sie heftig. Warum hat der Baron von Sweerts mir diese Beleidigung, ja, ich darf sagen diese Beschimpfung zugefügt? Eine andere Künstlerin neben mir engagieren, heißt das nicht, der Welt sagen, daß die Barbarina nicht genügte, daß die Barbarina nicht mehr die Kraft besaß, das Publikum ganz allein zu entzücken, daß Barbarinas Triumphe erblassen und daß ihre Kunst gealtert ist? Oh, oh, dieser Gedanke könnte mich wahnsinnig machen! Barbarina nicht mehr die erste Tänzerin der Welt! Wo sie tanzt, wagt man noch eine andere Tänzerin zu engagieren, und dieser, nicht der Barbarina, eine Hauptrolle in einem neuen, prachtvollen Ballett zu erteilen. Nicht der Barbarina! Und sie lebt, und sie ist nicht tot niedergestürzt, als man ihr das anzuzeigen wagte, und sie hat diejenigen nicht ermordet, welche ihr diesen Schimpf angetan haben!
Tränen entstürzten ihren Augen, und laut schluchzend verbarg sie ihr Antlitz in ihren Händen.
Der König betrachtete sie mit Blicken voll unendlicher Trauer, und ein wehmutsvolles Lächeln umspielte seine tippen. Sie gleichen sich also alle, alle, sagte er bitter, und die größte Künstlerin ist darin so engherzig und klein wie die unbedeutendste. Schwach sind sie und eitel, neidisch und voll kleinlicher Mißgunst. Und zu denken, daß eine Barbarina davon keine Ausnahme macht, zu denken, daß Barbarina weint, weil Marianne Cochois und nicht sie die Hauptrolle in dem neuen Ballett, in den feste galanti, geben soll.
Sie soll's nicht, sie darf's nicht, rief Barbarina, ihr Haupt wie-der erhebend. Ich will diese Demütigung nicht ertragen, ich will nicht vor ganz Berlin beschimpft und entehrt werden, ich will nicht demütig und unbemerkt in irgendeiner Loge sitzen, während man einer andern Künstlerin zujauchzt und ihr diese Bravi darbringt, welche mir, ganz allein mir gehören. Oh, Sire, befehlen Sie, daß diese Beleidigung wieder gutgemacht werde, befehlen Sie, daß man mir gebe, was mir gehört, diese Rolle, welche mein heiliges Eigentum, das unveräußerliche Besitztum meines Ruhmes ist. Ich flehe Sie an, zu befehlen, daß man sogleich der Demoiselle Cochois die Rolle wieder abnehme und sie mir gebe.
Das ist unmöglich, Barbarina. Die Cochois muß ihr glänzendes Debüt haben dürfen, wie jede andere Künstlerin, und wenn daher der Sweerts ihr diese Rolle in den feste galanti gegeben hat, so kann ich ihn deshalb nicht tadeln.
Sire, hören Sie wohl, ich bitte Sie darum, und nicht wahr, Sie müssen mir das Zeugnis geben, daß Barbarina Ihre Großmut und Freigebigkeit niemals auf die Probe gestellt, daß sie niemals dem Egoismus und der eklen Habgier gehuldigt hat? Ich wollte von meinem König nichts als sein Herz, nichts als das Glück, zu seinen Füßen zu ruhen und unter den Sonnenstrahlen seiner Augen mein ganzes Wesen aufgehen zu lassen in Glut und Wonne. Oh, Sire, Sie haben oft geklagt, daß ich niemals einen Wunsch, ein Begehren kannte, daß ich seine Brillanten, seine Perlen von Ihnen annehmen wollte, um nicht den leisesten Schatten des Egoismus auf meine Liebe fallen zu lassen. Nun denn, Sire, heute habe ich eine Bitte, heute will ich etwas von Ihnen begehren, das für mich kostbarer ist als alle Brillanten. Sire, geben Sie mir diese Rolle, das heißt, lassen Sie mich in dem unbestrittenen Besitz meines Ruhms und meiner Künstlerehre!
Sie neigte wieder ein Knie vor dem König, aber diesmal hob er sie nicht empor in seine Arme. Barbarina, sagte er traurig, besinnen Sie sich doch. Werfen Sie doch diesen widerlichen Kulissenzorn, diesen kleinlichen Neid zu dem schillernden Theaterpomp, unter dem Sie alle Abende Ihre Schönheit verhüllen müssen. Seien Sie wieder Sie selbst, das edle, stolze, prächtige Weib, welches keines Flitters bedarf, um zu glänzen, und die immer eine Königin der Anmut und Schönheit bleibt, wenn sie auch nicht in dem falschen erborgten Purpur einer Theaterprinzessin einherstolziert. Gönnen Sie doch der Cochois dies bißchen Theaterherrlichkeit, da Sie auch außer der Bühne immer die herrlichste, die Königin der Schönheit sind.
Barbarina flog von ihren Knien empor, und ihre Augen schossen Blitze. Sire, sagte sie, Sie verweigern mir meine Bitte, eine erste Bitte? Sie wollen nicht befehlen, daß man der Cochois diese Rolle abnehme und sie mir gebe?
Ich kann es nicht, denn es wäre eine Ungerechtigkeit.
Und somit sollte ich wirklich diese tödliche Kränkung erdulden müssen, eine andere in dieser Rolle auftreten zu sehen, welche mir gehört, eine andere diese Triumphe genießen zu lassen, welche mein sind und mein bleiben sollen? Ich werde es nicht dulden, das schwöre ich, so wahr ich Barbarina heiße. Nein, ich will keine Nebenbuhlerin neben mir dulden, ich will nicht verdammt sein zu dem täglich sich erneuernden Wettstreit um den Rang einer ersten Künstlerin, ich will nicht, daß nur die Möglichkeit einer Gleichstellung zwischen mir und einer andern Künstlerin gedacht werden könne. Ich will die erste sein und bleiben, ja, ich will es!
Sie hatte sich stolz wie eine Königin aufgerichtet, und ihr flammensprühender Blick traf das Antlitz des Königs, aber er begegnete da einem ebenso feurigen Blick, und wenn die Haltung der Barbarina stolz und herrisch war, so war die des Königs von imponierender Majestät und Erhabenheit.
Wie? sagte er mit einem so drohenden, machtvollen Ton, daß Barbarina trotz ihres Zorns und ihrer Glut ihr Herz erbeben fühlte in Furcht und Schrecken, Wie? Es gibt also noch ein Wesen außer mir, welches hier sagen darf: Ich will! Es ist also möglich, daß eine Stimme sich neben der meinen erhebt, welche sagt: Ich will, wenn der König gesagt hat: Ich will nicht!
Barbarina erblaßte, und es schauderte ihr, denn das Antlitz des Königs hatte plötzlich einen Ausdruck angenommen, wie sie ihn nie gesehen. Es war hart und kalt, und eine schneidende Ironie sprach aus seinen Blicken, ein verächtliches Lächeln zuckte um seine Lippen.
Gnade, Gnade, sagte sie bebend, haben Sie Mitleid mit meiner Aufregung, vergessen Sie dieses unüberlegte Wort, welches der Zorn mich sprechen ließ. Oh, Sire, sehen Sie mich nicht mit diesen eiseskalten Blicken an, wenn Sie nicht wollen, daß ich tot zu Ihren Füßen niedersinken soll. Oh, Sire, zerschmettern Sie mich nicht mit Ihrem Zorn, vergeben Sie mir!
Und ihr schönes Antlitz überströmt von Tränen, ihre Arme flehend nach ihm ausgestreckt, näherte sie sich dem König. Aber er, das Haupt stolz emporgehoben, trat einen Schritt zurück.
Signora Barbarina, sagte er, ich habe Ihnen nichts zu verzeihen, aber ich kann auch Ihre Bitte nicht erfüllen. Die Cochois behält ihre Rolle, und wenn Sie darüber Beschwerde zu führen haben, so wenden Sie sich mit Ihrer Klage an Ihren Chef, den Baron von Sweerts. Und somit, Signora, sage ich Ihnen Lebewohl! Die Audienz ist beendet.
Er neigte leicht das Haupt und wandte sich ab, um hinauszugehen. Barbarina stieß einen gellenden Schrei aus und stürzte hinter ihm her und klammerte sich mit wildem Ungestüm an seinen Arm.
Sire, Sire, gehen Sie nicht so von mir, flehte sie atemlos, verlassen Sie mich nicht im Zorn. Mein Gott, sehen Sie denn nicht, daß ich leide, daß ich wahnsinnig werden muß, wenn Sie mich verlassen?
Und zu seinen Füßen niedergleitend, umklammerte sie mit ihren schönen Armen seine Knie und schaute flehend zu ihm empor.
Oh, mein König und mein Herr, flüsterte sie, laß mich, deine Sklavin, zu deinen Füßen ruhen! Stoße mich nicht von dir!
Der König erwiderte nichts. Er neigte sich ein wenig vorwärts und schaute nieder zu diesem bezaubernden, schönen Weibe, das da zu seinen Füßen lag, und das ihm vielleicht niemals so anmutig und reizend erschienen war, als in diesem Moment. Aber sein Angesicht war tieftraurig, und seine Augen, welche sonst so flammten und leuchteten, waren trübe und umschleiert. Eine Pause trat ein. Barbarina, immer noch seine Knie umfassend, schaute mit großen, tränenumdüsterten Augen zu ihm empor, der König, leicht vorwärts geneigt, betrachtete mit unaussprechlichem Ausdruck das wundervolle Angesicht der Barbarina. Seine ganze Seele lag in diesen Blicken, die er auf sie heftete, eine Seele voll Trauer, voll Schmerz, voll Liebe und Entzücken. Jetzt begegneten sich ihre Blicke und wurzelten fest ineinander. Inmitten des tiefen Schweigens, welches sie beide umgab, hörte man nichts als die bangen, gepreßten Seufzer der Barbarina. Sie war sich der Bedeutung dieses Moments wohl bewußt, sie fühlte es über ihren Häuptern wie das Rauschen des Schicksals, das sie anschaute mit seinen drohenden und unheilsvollen Blicken.
Plötzlich richtete der König sich stolz empor, und seine Stimme, welche die feierliche Stille jetzt unterbrach, klang der Barbarina ganz fremd, sie war rauh und hart.
Leben Sie wohl, Signora Barbarina, sagte der König.
Barbarinas Arme sanken kraftlos herab, und ein dumpfes Stöhnen drang aus ihrer Brust hervor.
Der König achtete nicht darauf, er blickte gar nicht zu ihr hin. Mit fester Hand öffnete er die Tür, die in sein Schlafgemach führte, ohne sich auch nur einmal umzuschauen trat er hinein und verschloß die Tür hinter sich.
Aber dann sank er neben dem Sessel nieder, der an der Tür stand, und ein so schmerzvoller, banger Seufzer hob seine Brust, eine so tiefe, trostlose Traurigkeit sprach aus seinen Zügen, daß Barbarina, wenn sie ihn so gesehen hätte, sehr wohl hätte erkennen können, welche Kämpfe und Schmerzen jetzt das Herz des Königs durchstürmten.
Aber Barbarina sah ihn nicht. Sie lag außer sich, in Tränen gebadet, vor dieser Tür, und mit lautem Schmerzensschrei rief sie: Er hat mich verlassen! Oh, mein Gott, mein Gott, er hat mich verlassen!
Dieser fürchterliche, grausame Gedanke durchströmte jetzt ihr ganzes Wesen mit feuriger Glut. Sie flog empor, sie rüttelte an dieser Tür, und mit lauter, jammervoller Stimme bat und flehte sie um Einlaß. Was die Liebe, die Angst, die Verzweiflung und der beleidigte Stolz sie sprechen ließ, das wußte sie selber nicht. Bald zürnte und drohte sie, bald bat sie um Gnade, bald war ihre Stimme von Tränen erstickt, bald war sie gebieterisch und kalt.
Der König stand mit verschränkten Armen an die andere Seite der Tür gelehnt und hörte diesem Paroxysmus ihrer Verzweiflung zu, und jedes ihrer Worte traf sein Ohr wie der Sirenengesang das Ohr des Odysseus. Aber mächtiger und kraftvoller wie dieser, bedurfte es für ihn keiner Bande und keines Wachses, um ihn zurückzuhalten. Den König band sein Wille, und lauter als der Sirenengesang sprach zu seinem Ohr die Stimme der Klugheit, die warnende Stimme seiner Pflicht.
Nein, sagte er traurig, ich darf und will mich nicht wieder verlocken lassen. Dieses alles muß ein Ende haben! Das habe ich längst erkannt, aber es fehlte mir die Kraft der Ausführung. Habe ich mir nicht geschworen, nur ein Ziel vor Augen zu haben, das Wohl meines Volkes höher zu stellen, als mein persönliches Wohl? Wenn der König und der Mann in mir streiten, muß ich da nicht zuerst König sein, muß ich nicht zu allererst dieser heiligen pflichten gedenken, welche meine Krone mir auferlegt? Meine Zeit, meine Gedanken, meine Kräfte gehören meinem Volke und meinem Lande, ich habe einen Raub an ihm begangen, denn ich habe mich ihm zuweilen entzogen, ich habe eine Zauberin sich zwischen mich und meine Pflicht stellen lassen; es ist dahin gekommen, daß ein zweites Wesen neben mir einen Willen haben darf, und daß dieser Wille mich beherrscht und Einfluß hat auf mein Denken und Tun. Oh, ein König müßte alt und mit einem Greisenherzen geboren werden, denn er darf niemals das Herz und die Meinungen eines Mannes haben, wenn er seinem Volke treu und redlich dienen will. Und ich fühle, daß, wenn dies so fortgeht, ich vielleicht ein glücklicher und beneidenswerter Mann, aber ein schwacher und schlechter König sein würde, denn ich würde mich lenken lassen von einer Frau, und ihre Wünsche könnten mächtiger sein als mein Wille! Niemals, niemals soll das geschehen; ich werde den Mut haben, mein eigenes Herz unter meine Füße zu treten, und die Schmerzen, welche der Mann dabei empfindet, die wird ihm der König zu heilen versuchen!
Drinnen in dem andern Zimmer lehnte Barbarina noch immer an der Tür, erschöpft vom Klagen und Weinen. Hören Sie mich, mein König, sagte sie zuletzt ganz matt und kraftlos. Sie haben in dieser Stunde meinen Willen gebrochen und meinen Stolz gedemütigt für immerdar. Von nun an wird Barbarina keinen Willen mehr haben als den Ihren. Gebieten Sie also über mich! Sagen Sie, daß ich niemals mehr tanzen soll, und ich schwöre Ihnen, daß mein Fuß niemals wieder die Bühne betreten wird, befehlen Sie, daß die Cochois alle meine Rollen haben soll, und ich selber werde sie ihr bringen, und ich selber werde sie bitten, zu tanzen. Sie sehen also wohl, mein König, daß ich gar keinen Stolz und keinen Ehrgeiz mehr habe. Aber nun üben Sie Gnade, Sire! Öffnen Sie diese fürchterliche Tür, lassen Sie mich wieder Ihr Antlitz sehen, lassen Sie mich zu Ihren Füßen liegen. Oh, Sire, seien Sie barmherzig! Stoßen Sie mich nicht zurück!
Der König lehnte mit zuckendem, tief bewegtem Antlitz neben der Tür; einmal streckte er den Arm aus und legte die Hand auf die Klinke der Tür. Barbarina stieß einen Freudenschrei aus, denn sie hatte die Klinke sich bewegen gesehen.
Aber der König zog seine Hand wieder zurück. Dann ward alles still. Zuweilen vernahm der König noch ein leises Stöhnen, ein unterdrücktes Schluchzen, dem wieder tiefes Schweigen folgte.
Barbarina bat und flehte nicht mehr; sie hatte erkannt, daß das alles jetzt nutzlos und vergeblich sein würde, und der Zorn und der beleidigte Stolz machte jetzt die Tränen versiegen, welche die Liebe und die Verzweiflung ihr erpreßt hatten.
Barbarina weinte nicht mehr, ihre Augen flammten und schossen wilde Zornesblitze nach dieser Tür hin, vor welcher Sie so lange in demütigem Flehen gelegen hatte. Mit drohendem, zuckendem Angesicht hob sie ihre Arme zum Himmel empor, und ihre Lippen murmelten unverständliche Worte, vielleicht eine Verwünschung oder einen Racheschwur.
Leben Sie wohl, König Friedrich, rief sie jetzt mit wilder, jubelnder Stimme, leben Sie wohl! Barbarina verläßt Sie!
Als sie fühlte, wie bei diesen Worten die Tränen wieder in ihre Augen schossen, schüttelte sie wild das Haupt und drückte die Augen fest zu und legte ihre zusammengeballten Hände davor, wie zwei Zauberketten, welche ihre Tränen zurückhalten und bändigen sollten.
Dann, mit einem wilden Satz, wie eine zornflammende Löwin, sprang sie nach der andern Tür hin, und sie hastig öffnend stürmte sie hinaus.
Der König wartete noch lange Zeit. Dann öffnete er die Tür und trat wieder hinein in dieses Gemach, das noch ganz erfüllt war von Barbarinas Klagen und Seufzern, und das ihm jetzt traurig und dumpf erschien, wie das Sterbezimmer seines Glückes. Hastig durchschritt er das Gemach und schob den Riegel vor die Tür, durch welche die Barbarina hinausgegangen war. Er wollte allein sein und bleiben, ganz allein, niemand sollte seine Einsamkeit mit ihm teilen, niemand diese Luft einatmen, die noch von Barbarinas Seufzern durchzittert war.
Mit einem langsamen traurigen Blick schaute der König umher, dann eilte er nach der Tür hin, vor welcher Barbarina so lange gekniet hatte. Dort auf dem Boden lag ihr goldgesticktes Taschentuch. Der König hob es empor, es war noch feucht von ihren Tränen, es war noch warm und duftig von ihren Händen.
Der König drückte dieses Tuch an seine Lippen, er kühlte mit dem erkalteten Naß ihrer Tränen seine brennenden Augen und auf einen Stuhl niedersinkend, murmelte er leise: Es ist vorbei mit dem Glück!