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Ein frischer Wind wehte an der Küste von Cornwall, Vater Ozean runzelte die Stirn, blies die Backen auf, und immer stürmischer rauschten die Wellen. Ängstlich kreischend erhoben sich die Möwen. Die Atmosphäre war drückend schwül, drohende Wolken ballten sich am Firmament zusammen. Die Sonne brach noch einmal in ihrer ganzen Pracht durch die Wolken, um dann, das Meer küssend, im Westen unterzutauchen. Mit dem Verschwinden des Abendrotes färbten sich die Wasser dunkelgrün, immer höher und zorniger erhoben die Wellen ihre weißschäumenden Kämme; ein fernes Wetterleuchten zuckte da und dort feuerrot auf, seufzend und ächzend fegte der Wind über Land und Meer.
Weit drinnen an der Küste stand ein einsames Farmhaus, dessen Fenster auf die unermeßlich sich ausdehnende Wasserfläche blickten. An einem derselben lehnte ein sich innig umschlungen haltendes Paar und genoß den überwältigenden Anblick dieses Sonnenunterganges. Gespensterhaft hoben sich die nackten, steilen Klippen aus dem jetzt so aufgeregten Meere.
»Sieh doch, wie wunderbar der Himmel aussieht! Die dunklen Wolken scheinen aus dem Wasser zu steigen. – Und dort der grell aufleuchtende Blitzstrahl!«
»Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir heute einen Sturm bekommen, die See steigt immer höher,« entgegnete Guy Rutherford ernst und warf zuerst einen prüfenden Blick gen Himmel und dann aufs Meer. Schweigend lauschten sie eine Weile dem Aufruhr in der Natur; das Meer brüllte jetzt förmlich und schlug in seiner Wut die Wellen immer heftiger gegen die Klippen, die Windsbraut raste über die Küste, und alles Licht schien aus der Welt verschwunden.
»Ich habe Angst vor dem Meere, wenn es so stürmisch ist. Es kommt mir in seiner Leidenschaft gewaltig und unbarmherzig, grausam und entsetzlich vor.«
»Ganz wie das menschliche Herz. Meinst du nicht auch, Capri?«
»Daran habe ich noch nicht gedacht. Aber dein Vergleich mag zutreffend sein.«
»Ich habe das Herz schon oft mit dem Ozean verglichen, heute ist's ruhig, leidenschaftslos und glücklich; der erste leichte Sturm, der es erfaßt, bewegt seine Oberfläche, ein etwas stärkerer wühlt es bis in seine innersten Tiefen auf; es braust und tobt und wütet in seiner wilden Leidenschaft, als ob es sich selbst verzehren wollte, gerade wie das Meer.« Seine Worte erstarben in der plötzlich eingetretenen Stille, das Abendrot verschwand immer mehr im Westen, die bleiche Mondscheibe trat hinter einer dunklen Wolke hervor, der Wind schien tief Atem zu holen, um dann mit immer stärkerer Kraft übers Meer zu fegen.
»Du wirst das Meer heute in seiner ganzen Großartigkeit und entfesselten Leidenschaft kennen lernen; diese plötzlich eingetretene Stille deutet darauf hin,« unterbrach Guy das Schweigen.
»Du weißt, ich bin nicht feige, aber eine bange Ahnung erfüllt mich mit Entsetzen. Ich wittere ein Unglück!« Er sah zu ihr auf und bemerkte trotz des Dämmerlichtes die Blässe auf ihren Wangen und die Angst in ihren Augen.
»Meine Capri empfindet Furcht, während ich an ihrer Seite weile?!« sagte er scherzend und zog sie zärtlich an sein Herz. Sie lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter und erwiderte leise:
»Nein, wenn du bei mir bist, niemals!«
»Mein Weib, mein alles!«
Eng umschlungen standen sie in dem dunklen Zimmer und starrten hinaus. Draußen hörte man die Schiffer einander zurufen, Guy wurde aufmerksam und bemühte sich, eine Gruppe, die am Rande der nächsten Klippe stand, zu beobachten. Die Männer hatten ihre Südwester tief in den Nacken gedrückt und deuteten auf einen in der Ferne aufsteigenden grauen Dampf.
Plötzlich verdeckte eine dichte Wolkenmasse den Mond. Das Meer hatte wieder die Farbe gewechselt; jetzt war es tiefschwarz, und unheimlich erhoben sich die weißschäumenden, hochaufsteigenden Kämme. Das schrille Gekreisch der Seevögel vermischte sich mit dem Heulen des Sturmes, der mit jeder Minute an Gewalt und Stärke zunahm, und Vater Ozean zeigte sich in seiner ganzen majestätischen Pracht, während die Nacht ihre Schatten herabsandte. Strand und Meer waren in gleich tiefe Dunkelheit gehüllt, die ein Gefühl des Grauenhaften um sich verbreitete. Weit draußen wüteten die entfesselten Elemente, als ob sie sich gegenseitig aufreizen wollten.
»Sieh nur die haushohen Wellen! Wenn der Mond wieder aufsteigt, werden wir einen überwältigenden Anblick genießen,« bemerkte Guy.
Capri antwortete nicht, sondern schmiegte sich fester an ihn; ihre Hand zitterte in der seinigen, und sie war bis an die Lippen kreidebleich vor Angst.
»Sollen wir an den Strand gehen? Wenn der Wind uns nicht davonträgt, wird dir die Luft wohltun.«
»Guy, verlaß mich nicht!« schrie sie verzweifelt auf und klammerte sich mit beiden Händen an seinen Arm.
»Ich dich verlassen! Was fällt dir ein? Du sollst ja mitkommen. – Ich sehe, wir müssen ein milderes Klima aufsuchen, die Luft hier ist für deine Nerven zu kräftig.«
»Nein, nein, es ist nicht die Luft, versprich mir, Geliebter, daß du mich heute in dieser schrecklichen Nacht nicht verlassen willst.«
»Ich verspreche es dir.«
Capri atmete erleichtert auf und drückte ihm dankbar die Hand. Plötzlich erschütterte ein heftiges Grollen die Luft.
»Ist das ein Donnerschlag?« fragte sie beunruhigt und trat einen Schritt vom Fenster zurück.
Guy Rutherford lauschte mit zurückgehaltenem Atem. In der nächsten Sekunde drang wieder dieser dumpfe, die Luft erschütternde Ton zu ihr.
»Der zweite Donnerschlag.«
»Nein, Capri, das ist kein Donner, sondern ein Kanonenschuß. Ein Schiff muß weit von der Küste in Gefahr sein,« entgegnete er ernst.
Wieder herrschte lautlose Stille im Gemach, bis ein Windstoß das Haus in seinen Festen zu erschüttern drohte, dann folgte ein Kanonenschuß dem anderen.
»Das Schiff kann doch nicht weit entfernt sein!« bemerkte Guy.
Capri umklammerte ihn immer fester und schwieg.
»Ich muß hinaus an den Strand, um zu erfahren, was los ist. Ich bin gleich wieder zurück, mein Lieb.«
»Dein Versprechen, Guy?« Dann fügte sie rasch hinzu: »Ich begleite dich!«
Sie schlüpfte in ihren Gummimantel, band ein Tuch um den Kopf, und beide traten hinaus. Einige Fischer eilten den schmalen Pfad, der zum Strande führte, hinunter und schrien sich mit der gehöhlten Hand etwas zu, was Guy jedoch nicht verstehen konnte, denn der Wind verschlang die Worte. Er folgte ihnen, mit Capri am Arme, auf dem Fuße. Immer öfter und immer schwächer ertönten Signalschüsse von dem gefährdeten Schiffe, die Windstöße wurden so heftig, daß man nur schwer vorwärtskommen konnte. Endlich erreichten sie den Strand, der von sämtlichen Fischern des Ortes, deren Weibern und Kindern belebt war, die alle unter einem Klippenvorsprunge Schutz vor der Unbill des Wetters suchten. Die Männer trugen ölgetränkte Kleider, Südwester, mit einem bunten Taschentuche um die Ohren gebunden, und Laternen in der Hand; die Röcke und Tücher der Frauen flatterten im Winde, die Kinder kreischten ängstlich. Von einer Verständigung untereinander konnte keine Rede sein, denn der Sturm übertönte selbst die lautesten Rufe.
»Was gibt's?« rief Guy aus Leibeskräften, als er sich einer Gruppe von Männern genähert.
»Ein Schiff ist in Gefahr, an dem schlimmsten aller Riffe zu scheitern,« lautete die Antwort. Kein Muskel bewegte sich in dem wetterdurchfurchten, unbeweglichen Antlitze des Mannes. Der Anblick von Wracks hatte für ihn nichts Schreckliches; seit seiner frühesten Kindheit war er daran gewöhnt, Menschen gegen das fürchterliche Element kämpfen und darin untergehen zu sehen. Auch jetzt blickte er der Gefahr ruhig und unerschrocken ins Auge.
Guy vermochte das Schiff trotz des Fernglases nicht zu entdecken. Die Notsignale jedoch ertönten immer näher und näher.
»Es hat gar keine Hoffnung!« rief derselbe Mann. »Der Sturm treibt es gerade auf das Riff zu.«
Die Weiber kreischten alle auf und sanken betend in die Knie.
»Wie weit erstreckt sich das Riff?«
»So viel wir wissen, über eine Meile.«
Schauerlich klang Notsignal auf Notsignal durch die finstere Nacht. Großer Gott, konnte man denn zur Rettung all dieser Menschen nichts tun? Wer weiß, wie viele Eltern, Bräute, Gattinnen und Kinder auf deren Rückkehr sehnsüchtig warteten? Durfte sie das grausame Meer vor den Augen kräftiger Männer verschlingen? Wird man nicht einmal den Versuch machen, sie dem Tode zu entreißen? War denn Menschenliebe und Mitleid im Herzen derer, die den Kampf vom sicheren Strande aus beobachteten, erstorben? Entsetzlich!
Wie mit einem Schlage teilte sich jetzt die dunkle Wolkenmasse, und das volle Mondlicht fiel auf das zornige Meer. Aller Augen richteten sich auf das gefahrdrohende Riff, um das sich die Wellen wie in wahnsinniger Wut auftürmten, und auf die Umrisse eines großen Schiffes, das von haushohen Wellen hin und her geschleudert wurde und mit jedem Augenblicke der todbringenden Stelle näher kam.
In dem hellen Mondscheine vermochte man nicht nur den Rumpf des Schiffes, sondern auch den Mastbaum, der noch stolz und unversehrt gegen den Himmel ragte, wahrzunehmen.
Die Segel waren zerfetzt, das Tauwerk geborsten, die dunklen Gestalten der Matrosen huschten wie Gespenster hin und her und bemühten sich, die Masten abzubrechen. Das Meer schien sich auf sein Opfer zu freuen, die Wellen umrauschten es mit dämonischer Raserei, der heulende Wind verbündete sich mit ihnen und trieb es dem Verhängnisse in die Arme.
Capri starrte mit fest aufeinandergepreßten Lippen, die Augen von namenlosem Entsetzen erfüllt, auf die grausige Szene.
»Kann denn nichts, gar nichts für die Unglücklichen getan werden?« wandte sich Guy, so laut er vermochte, an die Männer, denen der Salzregen ins Gesicht sprühte und der Sturm um die Ohren sauste.
Die Jüngeren gaben keine Antwort und zuckten mit den Schultern. Nur der eine Fischer, der ihm die Auskunft erteilt hatte, entgegnete:
»Nichts, Herr. Wir haben kein Boot, das der Macht dieses Sturmes widerstehen könnte. Schon nach wenigen Minuten würde es zersplittert sein!« Man sah es dem Manne an, daß er bereit gewesen wäre, dem Tode die Beute abzujagen, wenn er eine Möglichkeit dazu gesehen hätte.
Capri hielt den Atem an, während er sprach; eine entsetzliche Angst beschlich sie, sie schlang die Hände krampfhaft ineinander und fühlte gar nicht, wie sich die Nägel in das Fleisch gruben. Die Notsignale hörten gar nicht mehr auf, und plötzlich drangen erschütternde Hilferufe, die sich mit dem Krachen des stürzenden Mastbaumes vermischten, zu den am Strande Stehenden. Mit jedem Augenblicke näherte sich das Wrack seinem Grabe.
»Sollen wir wirklich hier vor unseren Augen die Unglücklichen zugrunde gehen sehen?« rief Guy den Fischern zu. Er preßte die Zähne fest aufeinander, seine Augen sprühten Blitze. Eine der Frauen schluchzte leidenschaftlich auf; vor Jahresfrist mußte sie in einer ebenso grausigen Nacht von derselben Stelle aus ihren einzigen Sohn und den Ernährer untergehen sehen. Ihr Weinen erschien den Fischern wie ein Aufruf zur Tat. Einer von ihnen verhandelte eindringlich mit den zwei kräftigsten Männern. Um sie anzuspornen, rief Guy:
»Schafft ein starkes Boot herbei, und ich will der erste sein, der das Wagnis unternimmt, wenn mich einer von euch begleiten will … Habt ihr das Herz, ruhig mit anzusehen, wie eure Mitmenschen mit dem Tode kämpfen, ohne daß ihr ihnen eine rettende Hand bietet?«
Capri war wie zu Stein erstarrt und vermochte keinen Laut hervorzubringen; ein fester Entschluß leuchtete jedoch aus ihren Augen. Die Männer rührten sich nicht von der Stelle, doch schienen sie miteinander zu unterhandeln. Guy, der ihre Worte nicht verstehen konnte, fuhr fort:
»Wenn ihr euch Menschen und Christen nennt, so macht rasch ein Boot flott! Schlägt denn ein Weiberherz in eurer Brust? Ich sehe, ihr seid Memmen und keine Männer! Die Unglücklichen sind verloren!«
»Herr, wir haben Weib und Kind!« schrie eine Stimme aus der Menge.
»Jeder von euch?«
»Ich werde meines Vaters Boot flottmachen,« rief ein kräftiger junger Mensch. »Wer will mir dabei helfen?«
Das gute Beispiel wirkte ansteckend, ein halbes Dutzend Männer bemühte sich, das schwere Boot ins Wasser zu schaffen. Noch während sie mit dieser anstrengenden Arbeit beschäftigt waren, übertönte ein eigentümliches Krachen den Sturm. Eine Sekunde später sahen die Zuschauer am Strande das Schiff sinken. Das Mondlicht beleuchtete hell und deutlich den aus dem Meere hervorragenden Rumpf des Schiffes und die sich an die Trümmer klammernden Menschen. Es war herzzerreißend!
Sämtliche Fischer legten Hand an, um das Boot für das gefährliche Rettungswerk in den Stand zu setzen. Die Weiber rangen verzweifelt die Hände und beteten laut. Der junge Fischer sprang ins Boot und ergriff das schwere Ruder. Capri stand noch immer stumm da; sie hatte es nicht einmal versucht, Guy von dem Rettungswerke zurückzuhalten; in dieser Stunde der Prüfung bewährte sie sich wieder als tapferes, starkes Weib. Sie hätte Guy ja nicht lieben können, wenn er feig genug gewesen wäre, angesichts einer großen Gefahr sein Leben nicht in die Schanze zu schlagen! Jetzt schlang er seinen Arm um sie und bemühte sich, in seinem gewöhnlichen Tone zu sprechen:
»Nicht wahr, mein Herz, du wartest hier, bis ich zurückkehre? Oder noch besser, gehe nach Hause.«
»Und dein Versprechen?« sagte sie einfach. »Ich begleite dich sogar in den Tod. Sagtest du nicht selbst, daß uns nichts als dieser trennen sollte?«
Es lag ein unerschütterlicher Entschluß in ihren Augen. Leidenschaftlich schloß er sie in seine Arme und drückte einen Kuß auf ihre Lippen.
»Ich habe dich noch niemals heißer geliebt, als jetzt!« flüsterte er ihr ins Ohr.
Alles dies war das Werk eines Augenblickes, im nächsten bahnte er sich einen Weg zum Boote, hob Capri hinein, setzte sie an das Steuer und gab den Befehl, abzustoßen. Der Sturm wütete heftiger denn je. Donnerschlag auf Donnerschlag erschütterte die Luft, Blitz auf Blitz zuckte am dunklen Himmel. Unter dem Geläute der kleinen Kirchenglocke zogen die tapferen Männer aus, die Ertrinkenden zu retten.
Die Wasser schäumten und warfen das Boot hin und her. Bald verschwand es in der Tiefe, dann wieder erschien es auf einem Wasserkamme, um alsbald wieder zu verschwinden. Die vier Ruderer, denen das Salzwasser die Augen blendete, arbeiteten sich mit übermenschlicher Kraft vorwärts. Nun sie einmal den Kampf mit den Elementen aufgenommen, waren sie fest entschlossen, ihre Kräfte aufs äußerste anzuspannen, um den Sieg davonzutragen. Schon nahten sie sich dem verhängnisvollen Riff, hörten die Hilferufe der mit dem Tode Ringenden – nur noch zehn Ellen, und die Gestrandeten waren gerettet!
Capri wandte keinen Blick von Guys Antlitz. Auge in Auge saßen sie sich gegenüber, sie empfand nicht das geringste Angstgefühl, da – auf einmal brach sein Ruder mitten entzwei wie ein Kinderspielzeug.
Er nahm ein zweites, das am Boden lag, und tauchte es in die Fluten; doch ehe er noch zwei Ruderschläge gemacht, hob eine hohe Welle das Boot und schleuderte es heftig gegen einen scharfen Vorsprung des Riffs. Lautlos warf sich Capri in Guys Arme und schlang die ihrigen um seinen Hals; eine große Sturzwelle verschlang die Retter mitsamt den zu Rettenden …
Einige Stunden später lag das Meer wieder spiegelglatt da, in dem zwei groß angelegte Naturen ihr Grab gefunden, deren einziger Fehler darin bestand, daß das Schicksal sie zu spät zusammengeführt. Sie hatten gefehlt, gelitten und gebüßt.