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Die Diagnose des Muskelrheumatismus ist sehr schwierig für den Arzt, weil er, außer den wechselnden Fiebertemperaturen, kaum eine Handhabe zur Erkennung bietet als den typischen Rheumatismusschmerz.
Manche Autoren glauben allerdings, daß bei dieser Krankheit Muskelfaserverhärtungen, Knötchen und ähnliche anatomische Veränderungen in den schmerzenden Muskeln aufgefunden würden. Dafür fehlen aber bis jetzt die Beweise. Die Angaben der Masseure über Knötchen, Schwielen und dergleichen, welche durch Betastung zu erkennen seien, sind darauf zurückzuführen, daß nicht nur die großen, sondern auch die kleinsten Muskelgruppen sich durch krampfhafte Zusammenziehung vor dem schmerzenden Tiefendruck der Hand zu schützen suchen. Sie erscheinen bei der Untersuchung dann als harte, kleine Knötchen.
Das charakteristische Symptom des Muskelrheumatismus ist der Schmerz.
Man könnte aus den Erzählungen der Rheumatiker ein ganzes Lexikon von Benennungen für die Art dieses Schmerzes zusammenstellen. Alle Nuancen der Empfindung sind da vertreten, von dem blitzartigen Reißen des Hexenschusses, welches so intensiv sein kann, daß selbst der stärkste Mann ohnmächtig wird, bis zum stumpfen Ermüdungsgefühl, welches kaum als Rheuma empfunden wird.
Der Schmerz ist übrigens fast bei jedem Patienten verschieden. In den schlimmeren Graden wird er als Reißen und Stechen beschrieben, während ihn andere Patienten als drückendes und ziehendes Gefühl in den Gliedmaßen bezeichnen wie von einer schweren Müdigkeit. In leichten Fällen äußert sich die Krankheit sogar nur dadurch, daß zeitweise eine gewisse Steifigkeit, besonders nach vorhergegangener Ruhe, zu bemerken ist.
Wenngleich der Rheumatismus an allen Muskeln auftreten kann, so hat er doch Stellen, welche er besonders bevorzugt. Das sind die Lenden-, Hals-, Schulter-, Kopfhaut- und Brustmuskeln. Sehr unangenehme Folgen kann die Krankheit haben, wenn sie die Muskeln an lebenswichtigen Organen angreift. So wird durch einen Rheumatismus des Zwerchfellmuskels das Atmen in hohem Grade behindert.
Jüngst wurde ich dringend in die Villa des Verlegers K. W. gerufen.
Ich kannte ihn als einen Mann in den fünfziger Jahren, überschäumend vor Lebenslust, in allen möglichen Sporten bewandert. Als ich in das Schlafzimmer seiner Villa geführt wurde, schaute mir aus dem Bett ein von Schmerzen verzerrtes Gesicht entgegen, welches beinahe keine Ähnlichkeit mit dem Manne aufwies, wie ihn alle Welt kannte. Es gelang ihm kaum, sich im Bette aufzurichten, und nur allmählich, indem er sich mit beiden Händen fest auf das Bett stützte, konnte er ruckweise, langsam, vorsichtig die Drehung auf die andere Seite vollenden. Aus der charakteristischen Lagerung des Patienten und aus der Art, wie er nur ganz bestimmte Bewegungen ausführen kann, ahne ich sogleich, um was es sich handelt. Er erzählt mir schließlich, ab und zu von Stöhnen unterbrochen, den Hergang. Am Tage vorher hatte er sich einem Gewitterregen ausgesetzt, der ihn vollkommen durchnäßte. Obwohl er schon am Abend eine allgemeine Mattigkeit verspürt hatte, Appetitmangel und aufsteigendes Hitzegefühl, schenkte er diesen Umständen in der lebhaften Gesellschaft, die er um sich hatte, wenig Beachtung.
Am Morgen wacht er nach etwas dumpfem Schlaf unwillig auf. Er will sich recken, um ganz wach zu werden – und schreit auf. Ein unerträglicher Schmerz, gleich einem blitzartigen Schuß, in der rechten Lendengegend hindert ihn an jeder Bewegung. Anschaulich erzählt er, wie er erschreckt die unsäglich schmerzhafte Bewegung gleich wieder einstellte und sich besann, was dieses unbekannte Gefühl bedeuten könne. Er dachte darüber nach, ob er etwa gefallen sei, ob er sich überdehnt habe, oder ob vielleicht die ganze Schmerzattacke nur eine Einbildung im Halbschlaf gewesen sei. Ein erneuter Versuch, sich zu bewegen, gab ihm die Gewißheit, daß von einer Einbildung leider keine Rede sein konnte. Nun überlegte er an Hand seiner medizinischen Kenntnisse, was da schuld sein könnte. Eitrige Entzündung? Nierenentzündung? Eine Rückenmarkserkrankung? Er betrachtete die schmerzende Stelle. Nichts war zu sehen. Die ganze Muskelpartie war bei Betastung schmerzhaft; sie schien ihm derb und hart, wie geschwollen.
Ich sah bald, daß ich es mit einem typischen Fall von Hexenschuß (Lendenmuskelrheumatismus, Lumbago) zu tun hatte.
Der Kranke hatte ein mäßiges Fieber von 38 Grad, was ich als Zeichen eines reaktionsfähigen Körpers ansah. Als ein weiteres günstiges Zeichen betrachtete ich, daß dieser Anfall der erste Muskelrheumatismus war, an welchem der Patient nach seiner Angabe litt. Dies war ein Zeichen, daß seine Konstitution nicht zu rheumatischen Erkrankungen neigte. Der erstmalig auftretende Muskelrheumatismus ist eine, wenn auch schmerzhafte, so doch meist gutartige und vernünftiger Behandlung weichende Krankheit. Der »verschleppte« Rheumatismus dagegen, ein durch unrichtiges Verhalten chronisch gemachtes Leiden, kann sich zu einer kaum glaublichen Hartnäckigkeit entwickeln.
Wie sehr gerade der Rheumatismus unter der üblichen Behandlung mit medikamentösen Beruhigungsmitteln zur chronischen Form neigt, ist allbekannt. Er gleicht dann geradezu einer Wunde, welche nicht vernarbt und welche, je länger sie besteht, immer empfindlicher wird. Es scheint, daß sich im Körper allmählich eine krankhafte Überempfindlichkeit gegen das Erkältungsgift herausbildet, so daß der Organismus schon auf die winzigsten Spuren desselben mit den bekannten Schmerzen reagiert. So kommt es, daß die Patienten bei jeder Gelegenheit, bei ganz geringfügigen Abkühlungen, immer wieder von neuem anfällig werden.
Ich suche es jedem derartigen Patienten klarzumachen, daß beruhigende Mittel, wie wir sie in übergroßer Zahl besitzen, wohl augenblicklich das Schmerzgefühl lindern, daß man aber durch sie den Körper in seinen Abwehrbestrebungen hindert und die Gesundung verzögern, ja sogar die Naturheilung (eine andere gibt es nicht) unmöglich machen kann. Bei meinem Kranken fand ich anfänglich gar kein Verständnis für meine Anschauung. Er verlangte dringend eine Morphiuminjektion, um wenigstens eine Zeitlang seine Schmerzen los zu sein; denn er war nicht gewöhnt, solche zu ertragen. Aber schließlich gewann ich ihn doch für meine Ansicht, insbesondere als ich ihm nach der Sachlage im Hinblick auf das Fieber rasche Besserung in Aussicht stellte.
Glücklicherweise ist das einzige Heilmittel für den Rheumatismus, nämlich die künstliche Heizung des Körpers, in Nachahmung der natürlichen Heizung durch das Fieber, zugleich ein Beruhigungsmittel für die Schmerzen. Wie einerseits die Kälte die Schmerzen vermehrt, oft in einer Weise, daß der Kranke die Berührung mit dem kalten Bettzeug als unerträglich empfindet, so lindert anderseits die Wärme den Schmerz. Nur diesem Umstand verdanke ich es, daß ich dem oft leidenschaftlichen Verlangen der gequälten Patienten nach medikamentösen Beruhigungsmitteln nie nachgeben muß.
Ich erklärte dem Kranken, daß beim akuten Rheumatismus alles darauf ankäme, die Verschleppung der Krankheit ins chronische Stadium zu verhindern. Um die Heilungsbedingungen zu verbessern, erhöhte ich die Körpertemperatur durch Erzeugung von künstlichem Fieber auf etwa 39,5 Grad, was durch Heißluftanwendung geschah und sehr angenehm empfunden wurde. Auf die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Methode komme ich an anderer Stelle des Buches ausführlich zurück. In dem vorliegenden Falle hatte ich die Genugtuung, daß sich die Schmerzen rasch linderten, und in einigen Tagen erschien der Kranke vollkommen gesund. Durch eine systematische Heißluftkur, welche ich fürsorglich noch folgen ließ, scheint es gelungen, den Rheumatismus auf das erste Auftreten beschränkt zu haben; denn bis heute blieb mein Patient von weiteren Anfällen verschont und hat seine alte Gutlaunigkeit und Elastizität wieder gewonnen.
Die Medizin gibt sich die größte Mühe, den Hexenschuß von der Ischias zu unterscheiden. Man hat schon höchst spitzfindige Methoden erdacht, um die beiden Krankheiten auseinanderzuhalten. Abgesehen davon, daß sie tatsächlich oftmals gleichzeitig zusammen auftreten, hätte diese künstliche Trennung nur dann einen Sinn, wenn es infolge der Erkenntnis möglich wäre, eine bessere Behandlung des einen oder anderen Leidens anzuwenden. Da dies bis jetzt nicht der Fall ist, so hat die Unterscheidung nur ein rein akademisches Interesse.
Ein anderer Lieblingssitz des Rheumatismus sind die rückwärts gelegenen Halsmuskeln. Der Schmerz sitzt dabei im Nacken und seitlich am Hals. Häufig ist das Leiden einseitig. Daher kommt es, daß der Patient, um neue Schmerzen zu vermeiden, den Kopf steif und schief hält, eine ganz komische Stellung, die auf den ersten Blick Art und Sitz des Leidens verrät. Wegen dieser etwas verdrehten Haltung des Kopfes führt die Krankheit auch den Namen »Schiefhals«.
Eines Tages kam ein Ingenieur zu mir und erzählte voll Besorgnis, daß seine einzige, achtzehnjährige Tochter, welche noch nie ernstlich krank gewesen sei, nun ihren Hals auf einmal nicht mehr wenden könne. Er befürchtete, daß das Mädchen die Genickstarre habe, und bat mich, nur gleich zu kommen, damit das Schlimmste abgewendet werden könne.
Wie sich bei der Untersuchung zeigte, bestand das Leiden in nichts anderem als in einem gewöhnlichen Rheumatismus der Halsmuskeln. Das erschrockene Mädchen bewegte nur deshalb den Hals nicht, weil es bei jedem Streckungs- oder Drehungsversuch große Schmerzen empfand. Das Leiden war anscheinend darauf zurückzuführen, daß sie mit ausgeschnittener Bluse in der Pause der Vorstellung in den zugigen Vorplatz des Theaters gegangen war.
Nach ihrer Erzählung war sie am Morgen aufgewacht, unfähig, den Kopf zu bewegen. Beim Erheben vom Bett mußte sie ihren Kopf mit beiden Händen fassen und nachhelfen, so schmerzhaft war jede Betätigung der Halsmuskeln. Sobald sie nur einen Augenblick ihr Leiden vergaß und in der Lebhaftigkeit des Gespräches den Kopf zu wenden versuchte, stellte sich ein blitzartiger Schmerz in den betroffenen Muskeln ein. Gehorsam ergab sie sich in das Unvermeidliche und saß mit seitwärts gehaltenem Kopf, steif wie eine Pagode, vor mir.
Der gesunde Mensch stellt keine Betrachtungen darüber an, wie zweckmäßig beim Gang fast alle Muskelgruppen des menschlichen Körpers sich balanciert bewegen. Wer dächte zum Beispiel daran, daß man beim gewöhnlichen Dahinschlendern auch den Hals in Bewegung bringt. Dem Nackenrheumatiker kommt dies in jeder Minute schmerzlich zum Bewußtsein.
Wenn das junge Mädchen etwas vom Tisch wegnehmen oder gar vom Boden aufheben wollte, so konnte sie den Kopf nicht so weit neigen, um hinzusehen. Starr geradeaus schauend, mußte sie sich mit kerzengerade gehaltenem Oberkörper (um ja den Kopf über dem Körper zu balancieren und nicht vornüber zu neigen) in Kniebeuge niederlassen und so nach dem aufzuhebenden Gegenstande tasten. Und wenn sie eine neben ihr stehende Person ansprach, so konnte sie nicht den Kopf nach der Seite wenden, sondern mußte einfach geradeaus, wie ein Automat, ihre Antwort sagen oder aber den Oberkörper so verdrehen, daß sie dadurch die Drehung des Halses sparte. Die letztere Bewegung verleiht den Patienten etwas Lächerlich-Unbehilfliches und läßt das Leiden schon von weitem erkennen.
Schon das Gefühl des Kranken weist ihn auf die Behandlung durch Wärme hin. Der akute Anfall geht oft schon mit wärmenden Umschlägen in drei bis vier Tagen zu Ende. Meine Patientin war sogar schon in zwei Tagen wieder vollständig gesund und verspürte nichts mehr von der überstandenen Krankheit. Leider ist die Mode bei den Frauen stärker als alle hygienischen Bedenken, so daß ein erneutes Auftreten befürchtet werden muß. Das Leiden neigt, besonders wenn der Hals immer wieder Erkältungen ausgesetzt wird, zu hartnäckigen Rückfällen, und schließlich kann der Schmerz dauernd werden oder sich bei den geringfügigsten Anlässen wieder einstellen. Man soll deshalb diese Krankheit nicht allzu leicht nehmen, auch wenn sie nicht sehr schmerzhaft ist, da sie sich gern zu einem lästigen Übel auswächst.
Ziemlich häufig kommt auch der Schulterrheumatismus vor, welcher in einer Schmerzhaftigkeit des Deltamuskels, der die Schulterrundung bildet, besteht.
Quincke (1917) erzählt folgendes: »Anfang der neunziger Jahre kam in den regnerischen Wintermonaten auf die medizinische Klinik in Kiel eine Anzahl von Arbeitern beim Nordostseekanal mit einem eigentümlich lokalisierten Muskelrheumatismus in der Schulterblattgegend. Die Schmerzen waren sehr heftig bei Druck und bei Bewegung der Schulterblätter. Am ersten Tage bestand meist etwas Fieber.
Wir nannten die Krankheit Schipperkrankheit; denn die Arbeit der Leute hatte darin bestanden, Erdreich mit der Schippe auf kleine Förderwagen zu werfen; vielfach hatten die Leute bei dauerndem Regenwetter gearbeitet. Diese Erkältung, verbunden mit der fortwährend wiederholten Inanspruchnahme gewisser Muskelgruppen, hatte ein sonst nie gesehenes Symptomenbild, eine Art versetzten Hexenschuß, erzeugt. Bei dem Erweiterungsbau des Nordostseekanals zwanzig Jahre später kam dieses Bild nicht wieder zur Beobachtung, weil die Erdarbeit nicht mehr durch Schipper, sondern durch Maschinen besorgt wurde.
Die erzählte Rheumatismusepidemie zeigt wiederum deutlich, wie sehr die Disposition durch erschöpfende Arbeit an dem betreffenden Körperteil vermehrt wird. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich daran, daß Muskelschmerzen überhaupt bei jeder bedeutenden Verschlechterung in der Ernährung der Muskulatur entstehen, wie bei ungenügender Sauerstoffzufuhr bei Bleichsucht oder bei Stauung durch Krampfadern und Narbenverwachsung, bei veränderter Blutkonsistenz (Zuckerkrankheit), bei Überladung mit schädlichen Stoffen (Harnsäure), oder weil die Erweiterung der Arterien verhindert ist (Arterienverkalkung), ferner bei außergewöhnlichem Mehrverbrauch (Regeneration nach starker Muskeltätigkeit, Turnschmerz). Schwere Ermüdung scheint überhaupt gefühlsmäßig dem Muskelrheumatismus ganz nahe zu stehen. Hat ja auch sie gleich dem rheumatischen Schmerz den Sinn, die Glieder zwecks ungestörter Regeneration stillzulegen. Zweifellos schaffen alle die erwähnten Umstände, welche an sich schon genügen, um Muskelschmerzen zu erzeugen, eine verstärkte Disposition für das Erkältungsgift und damit für den Rheumatismus.
Zahllos sind die Krankheiten, welche Kopfweh bewirken. Es sind dies, abgesehen von den Infektionskrankheiten, das ganze Heer der Augen- und Ohrenleiden, der Katarrhe, der oberen Atmungsorgane und der Magen-, Darm-, Nerven- und Gehirnkrankheiten. Kommt ein Patient zum Arzt und hat »nur« Kopfweh, ergibt die Untersuchung keinen Anhaltspunkt für eine Grunderkrankung, deren Ausstrahlung das Kopfweh sein könnte, ist Migräne und nervöses Kopfweh auszuschalten, so liegt, von Neuralgie nie sicher abgrenzbar, der Verdacht auf Rheumatismus der Kopfhautmuskulatur vor.
Ein bekannter und vielgelesener Feuilletonist, der neulich bei mir in Behandlung war, litt seit seiner Jugend an rheumatischen Kopfhautschmerzen.
Wie er zu dem Übel kam, konnte ich nicht mehr feststellen. Interessant ist nur, daß der Mann seit seiner Knabenzeit nicht in richtige Rheumatismusbehandlung gelangt war. Dabei sei den behandelnden Ärzten in diesem Fall durchaus kein Vorwurf gemacht, weil der betreffende Kranke von nervöser Konstitution ist und bei der phantastischen Beschreibung seiner Beschwerden eine Trennung seiner wirklichen und eingebildeten Krankheiten schwer war.
Schon als Knabe malträtierte er das ganze Haus mit seinem Leiden. Später, als er verheiratet war, wurde er der Schrecken seiner Frau und seiner Kinder, wenn der Anfall sich einstellte. »Papa hat Kopfschmerz«, das prophezeite einen unangenehmen Tag für die ganze Familie. Die Kinder mußten leise sein und ihre Spiele einschränken. Die Frau machte Kompressen, warme, kalte, lauwarme, Essig- und Senfkompressen. Eine Zeitlang begab er sich in ein Nervensanatorium, wo ihm Hypnose, elektrische und Duschenbehandlung verabreicht wurde.
Alles umsonst. – Das Leiden kehrte häufig wieder, besonders, wie es schien, an kühlen und windigen Tagen. Mein Patient hatte sich nämlich angewöhnt, bei jedem Wetter mit bloßem Kopf, ohne Hut zu gehen, da er glaubte, daß dies seine Nervosität und damit die Neigung zu Kopfschmerzen vermindern würde. Dieser Umstand brachte mich gleich auf den Gedanken, daß es sich hier vielleicht um einen rheumatischen Kopfschmerz handeln könne.
Bei der Untersuchung zeigte sich die Kopfhaut schmerzhaft-druckempfindlich, besonders wenn man sie mit dem Finger hin- und herschob. Stirnrunzeln, in minderer Weise auch das Kauen vermehrte den Schmerz. Auf Kältereize nahm das Leiden zu, während Wärme die Schmerzen sofort linderte. Nachdem ich andere Grundleiden ausschließen konnte und da zudem der Anfall niemals von Appetitlosigkeit und Magenbeschwerden begleitet war, wie es bei Migräne der Fall ist, so stellte ich fest, daß es sich um einen chronischen Kopfhautrheumatismus handelte. Auf eine geeignete Behandlung reagierte dieser sofort gut, so daß ich meine Diagnose bestätigt fand.
Die Armee der Rheumatiker, welche der Krieg geschaffen hat, konnte leider bei der Demobilisierung nicht mitdemobilisiert werden. Ein Beweis über die Zunahme des Rheumatismus aber ist statistisch schwer zu erbringen. Mir selbst ist aus meiner Tätigkeit in einer Universitätspoliklinik nur so viel erinnerlich, daß nach dem Waffenstillstand jeder dritte oder vierte Rheumatiker sein Leiden auf den Kriegsdienst zurückführte.
Die große Gruppe der » Narbenrheumatiker«, das heißt jener Menschen, die rheumatische Schmerzen in der Gegend von verheilten Schußnarben aufweisen, ist allerdings auf alleiniges Konto des Krieges zu setzen. Eine andere Frage ist, ob es sich bei diesen Beschwerden nicht oft um neuralgische, vom Nerv ausgehende Erscheinungen handelt. Ich glaube aber bestimmt annehmen zu dürfen, daß man in vielen Fällen Neuralgien, so gut es in solchen Grenzgebieten geht, ausschalten kann und von »Narbenrheumatismus« sprechen muß. Wahrscheinlich haben wir es mit zweierlei Ursachen zu tun, bei den Neuralgien mit narbigen Verwachsungen am Nerv, bei den Rheumatismen mit einer verschlechterten Blutzufuhr, welche mit der Zerstörung größerer Blutgefäße und ihrem unvollkommenen Ersatz durch kleine, neu gebildete Seitenkanäle zu erklären ist.
Es scheint, daß gerade derartige Rheumatismen besonders empfindlich gegen Witterungsumschläge sind. Es gibt zweifellos viele Rheumatiker, und zwar nicht nur die eben genannten, welche schon auf die kleinsten Schwankungen des Wetters und der Luftfeuchtigkeit mit schmerzhaften Anfällen reagieren, weshalb sie im Volk den Ruf genießen, als »lebendige Barometer« das Wetter besser voraussagen zu können als der gelehrte Meteorologe.
Ludwig Miller (1909) hat am städtischen Krankenhaus in Augsburg systematische Versuche mit den dort untergebrachten Patienten, welche an Rheumatismus, Neuralgien und verschiedenen anderen Krankheiten litten, gemacht, die den zweifellosen Beweis für die Zunahme der Schmerzen beim Herannahen von schlechtem Wetter in der Mehrzahl der Fälle erbrachten.
Gerade der Narbenrheumatismus ist für dieselbe Behandlung wie das gewöhnliche Rheuma sehr zugänglich. Ich konnte das in meiner Revierstube unseres Frontinfanterieregiments deutlich beobachten, wo es mir gelungen war, einen Heißluftapparat zu erhalten und ständig zu gebrauchen – er hat sein Grab mit unserem ganzen Sanitätswagen allerdings bald im Schlamm der Somme gefunden. Wir hatten ja in den letzten Kriegsjahren viele Patienten, die, bereits einmal oder mehrmals verwundet, wieder zur Front mußten, und die gerade bei rheumatischen Schmerzen, welche im Zusammenhang mit vernarbten Wunden standen, besonders gut auf natürliche Heilmethoden reagierten, während die medikamentöse Behandlung hier ohne Erfolg blieb.
Schon beim rheumatischen Kopfweh sahen wir die Möglichkeit einer Verwechslung unserer Krankheit mit anderen Leiden. Aufregend kann diese Verwechslung werden, wenn der Patient statt eines einfachen Bauchdecken-, Rücken- oder Brustmuskelrheumatismus eine innere Krankheit zu haben glaubt. Die Patienten kommen gewöhnlich mit großer Angst zum Arzt und sind sehr glücklich, wenn dieser die Diagnose »Rheumatismus« stellt, obgleich auch die Rheumatismen dieser Organe, wenn man sie nicht gründlich ausheilt, noch unangenehm genug sein können.
Die bekannte Sängerin Mhée bietet uns in ihren »Erinnerungen« die Geschichte einer Verwechslung von Bauchdeckenrheumatismus mit Blinddarmentzündung.
Auf einer Konzertreise in einer kleinen Stadt befiel sie eines Abends nach dem Konzert ein Schmerz in der rechten, unteren Bauchhälfte, der sie fast zwang, sich in ihr Hotelzimmer tragen zu lassen. Jede Bewegung des Leibes und des Oberschenkels löste ein unerträgliches Schmerzgefühl an der bekannten Stelle aus, wo, wie alle Laien wissen, der Blinddarm sitzt. Aufregung, Tränen, Todesangst, telegraphische Absage der Konzerte. Die kleine Diva diagnostiziert selbst eine »tödliche Blinddarmentzündung«.
Der Arzt fand bei der Untersuchung eine brettharte Spannung der rechten Bauchmuskeln bei Berührung und Tiefendruck – jene bekannte » défense musculaire«, Verteidigungsspannung der Muskeln bei Berührung, die auch der Blinddarmentzündung eigen ist. Auf jeden Fall ordnete er, was bei der Unmöglichkeit einer genauen Diagnose und beim Fehlen von höherem Fieber hier jeder Arzt getan hätte, Ruhe, Diät, Wärme, Abwarten an, sogenannte konservative Behandlung.
Aber die Sängerin beruhigte sich nicht. Sie ließ sich noch in der gleichen Nacht unter großem Aufwand von Extrawagen zur nächsten Großstadt transportieren. Der Chirurg, den sie aufsuchte, operierte sie und nahm den unschuldigen und gesunden Wurmfortsatz ihres Blinddarms heraus. Die Sängerin war zufrieden.
Als wenige Wochen später der gleiche Anfall auf der linken Seite des Bauches auftrat, mußte sie allmählich daran glauben, daß es »nur« Rheumatismus sei, was sie quälte.
Einen Fall von Rücken- und Brustmuskelrheuma bot mir ein Gefährte auf einer Skitour zur Beobachtung. Wir waren auf einer hochgelegenen Alpenvereinshütte der Lechtaler Alpen bei schönstem Winterwetter, bestem Skischnee, vollster Gesundheit. Keiner von uns dachte daran, daß man in dieser reinen Luft erkranken könnte. Hätte jemand prophezeit, daß einer von uns nur fast mittels Rettungsschlitten ins Tal zurückgelangen würde, so hätten wir uns dies nur als Folge eines Beinbruchs, eines Sturzes oder einer Verrenkung nach verunglücktem Sprung vorstellen können.
Am Morgen reckten wir uns aus den rauhen Decken, um einen nahen Gipfel zu besteigen. Ich war als erster aufgestanden und wunderte mich, daß mein Freund nicht nachkam, als der Kaffee bereits gekocht war. Als ich zu ihm trat, sah er mit entsetztem Gesicht zu mir empor und sagte: »Ich habe Lungenentzündung«. Lungenentzündung im hochalpinen Wintergelände, ohne irgendeine Verbindungsmöglichkeit mit dem nächsten Menschen – »aus is«, sagte mein Freund mit gut münchnerischer Ergebenheit.
Ich untersuchte ihn. Daß es keine Lungen- oder Rippenfellentzündung war, ließ sich bald feststellen. »Dann ist es ein Herzanfall«, sagte der Gequälte.
Die Freude war groß, als ich Brustmuskelrheumatismus feststellen konnte. Aber die Freude, daß wir es nicht mit einer Erkrankung lebensgefährlicher Art zu tun hatten, fand bald ihre Grenzen, als er sich aufmachte, zu Tal zu fahren. Ich habe früher einmal schon einen Gefährten von einer alpinen Tour zurückgebracht, welcher sich den Arm gebrochen hatte, und ich muß gestehen, dies war eine Kleinigkeit gewesen im Vergleich zu unserem Fall. Mein Berggenosse war gewiß nicht von wehleidiger Natur, aber er behauptete unten, als wir geborgen waren, lieber eine Rippenfellentzündung zu Tal geschleppt zu haben als einen solchen Rheumaanfall.