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Sagt' ich Euch nicht, daß Hinkefuß
Von seiner Jagd nach Leckerbissen
Schon manchmal hungrig heimgekehrt!
Man muß ihn nur zu packen wissen:
Vergebens tobt und wettert er,
Ein Kreuzeszeichen macht ihn beben,
Und aus den Steinen, die er trägt,
Muß Gottes Kirchthurm sich erheben.
Der Weißbart in der Klausnerei
Verzehrte sich in herbem Bangen:
Und das mit Grund. Drei Tage schon,
Drei lange Tage sind vergangen,
Seit er den Hügel, gegen Mittag,
Umsonst besteigt: Der Platz bleibt leer!
Das Angelus ertönt, doch leider
Erscheint kein schöner Engel mehr.
Untröstlich ist der Eremit
Und starr und steif, mit bleichen Wangen,
Fragt er beständig vor sich hin:
»O Gott! was hab' ich denn begangen,
Damit die Himmlischen von mir
Ihr gnadenreiches Antlitz wenden!«
Und immer stärker schlägt er sich
Den Büßerstrick auf Brust und Lenden.
Zerknirscht, des Leids kein Ende wissend
Und noch dazu sein Brot vermissend
Zum Gipfel seines Hügels wallte
Am vierten Tag der gute Alte;
Er betet, betet unaufhörlich . . .
Da, plötzlich, naht sich, windesschnell
Den weiten Himmelsraum durchfliegend,
Der blendend schöne Gabriel.
Und lächelnd spricht er: »Armer Freund,
Du mußtest lange nach mir schmachten!«
»Wie ein Verworfner«, seufzt der Greis,
Den Gottes Heilige verachten,
Dem man, in seiner Angst und Qual,
Nicht gönnt den kleinsten Gnadenstrahl!«
»Nun denke Dir,« sprach sanft der Engel,
»Die jüngst Du von Dir fortgejagt
So unbarmherzig, jene Nonne,
Gerieth, ganz trostlos und verzagt,
Hier in der Nähe, bei Laurado,
Zu einem Schloß. Der Castellan,
Ein junger, toller Eisenfresser,
Hat ihr die Thüren aufgethan:
Und als der Herrscher von Gomarrha,
Der Böse, dann sich eingestellt,
Um Nerto mit sich fortzunehmen,
Hat Jener, tapfer wie ein Held,
Den Siegespreis im Kampf errungen
Und Lucifers Gewalt bezwungen.
Und so vernimm denn, daß die Nonne
Erlöst ist und in's Himmelreich
Den Einzug hielt, und daß der Ritter,
Der glänzende, mit ihr zugleich,
Das Kreuz zur Hand, zu Gott emporstieg,
Ein neuer Zeuge seines Ruhms,
Von Schuld befreit durch eine Taufe
Der Reue und des Heldenthums.
Und weil darüber, daß bekehrt
Ein Sünder in den Himmel komme,
In unsern Höh'n mehr Freude ist,
Denn über neunundneunzig Fromme,
Erklingt, seit nun drei Tagen schon,
Von ungewohntem Jubelschalle
Das ganze heil'ge Paradies
Und überglücklich sind sie Alle:
Mit Fröhlichkeit und mit Gesängen
Preist man den seligen Verein,
Der sich an Gottes Thron vollzogen,
Sanft, wie sich Wasser mischt mit Wein.
Nerto, die jüngst in meinem Kirchlein
In Thränen lag, ihr half ich gern
Und machte mich, so viel ich konnte,
Zu ihrem Zeugen vor dem Herrn.«
»Ehre sei dem, der ewig siegt,
Der, was des Bösen List gewoben
Und was auf krummen Wegen schleicht,
Zu Nichte macht! Ihn will ich loben!«
Rief andachtsvoll der Eremit,
»Doch sprich, gefällt Dir's, daß die Gründe
Des Tadels, der mich so verwirrt,
Mir heute noch Dein Mund verkünde?«
»Wer da gut hört, wird gut verstehn,
Dir gab die Furcht so böse Ahnung,
Sprach Jener, denn was ich gesagt
War nur zur Demuth eine Mahnung.«
Und, eine Spur so weiß wie Silber
Im Aether lassend, der ihn trug,
Nahm nach den Wohnungen des Himmels
Der Engel Gabriel den Flug.
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Falls, lieber Leser, eines Tags
Du durch die Gegend reisen solltest
Laurados und des Gabriel-Hains
Und dann Dich überzeugen wolltest,
So wird Dir ohne Weitres klar,
Daß mein Bericht getreu und wahr.
Inmitten erntereicher Flur
Siehst Du aus Stein die Nonne ragen
Und auf der sanft gewölbten Stirn
Der Höllenblitze Spuren tragen.
Stumm, in den Boden eingewachsen,
Hört sie ringsum die Keime wachsen;
Und kleines, weißes Schneckenvolk,
Sich bergend vor dem Strahl der Sonnen,
Beklebt ihr kühles Steingewand,
Das ganz mit Minzkraut übersponnen;
Ihr Schatten dreht sich rings im Kreise
Und Jahr' auf Jahre gehn herum
Und Alles wechselt und bewegt sich:
Die Nonne nur bleibt schwarz und stumm.
Zu Zeiten aber, wenn die Sonne
Am Höchsten steht, behauptet man,
Daß, wer sein Ohr dicht an den Stein legt,
Ein feines Tönen hören kann:
Um Mittag scheint, mit leisem Klingen,
Sie fromm den Engelsgruß zu singen.
Und trauernd steht auf nahem Felsen
Sankt Gabriels kleines Gotteshaus;
Es gehn darin seit langen Zeiten
Die Christen nicht mehr ein und aus.
Von dichtem Oelgezweig umrankt
Grüßt in des morschen Thores Bogen
Der Engel die Gesegnete,
An deren Brust der Herr gesogen.
Daneben hängt, im Baum des Wissens,
Die alte Schlange und bethört
Die Unschuld Adams und der Eva;
Das Andre hat die Zeit zerstört.
Der Mensch gräbt stumpf auf seinem Felde
Und läßt Sankt Gabriels Kirchlein leer;
Dem Engel, der die Jungfrau grüßte,
Weiht Niemand eine Kerze mehr.
Doch Gottes Gräser allesammt
Gedeihen in den Mauerspalten,
Sie wachsen froh aus Dach und Wand,
Wo tausend Blüthen sich entfalten:
Ein Weihrauch, der zu seinem Ruhme
Aufsteigt vom kleinen Heiligthume.
Des lieben Gottes Kleingethier
Ist auch von früh bis Abends hier.
Die Schmetterlinge, die im Fluge
Einander haschen und entfliehn,
Libellen, die auf einem Grashalm
Ganz stumm, wie betend, niederknien,
Der Käfer Sippe, die, behaglich
Die Wärme schlürfend, surrt und brummt,
Die Biene, die, nach Honig suchend,
Durch alle Fensterhöhlen summt,
Die allzeit frohgelaunte Grille,
Die aus dem schmalen, braunen Nest
Die Silbertöne ihres Zirpens
Von früh bis spät erschallen läßt,
Das Alles schwirrt und kommt und geht,
Wie Menschen in die Kirche wallen,
Im Chor, im Schiff und im Portal,
Auf die der Sonne Lichter fallen . . .
Und in den Fensternestern zwitschern
Die Spatzen, laut und dichtgeschaart,
Das Lob Sankt Gabrielis singend,
Der vor dem Sperber sie bewahrt.
Und heut' am Vorhof Deines Kirchleins
Vorbeigeh'nd, das statt Orgelton
In seiner Armuth nur den Wind hört,
Sankt Gabriel von Taraskon,
Ich, der Feliber von Maiano,
Entbiete Dir, auch ich gerührt,
Dies neue Lied, bei dessen Klängen
Ich Deiner Reinheit Hauch gespürt. |