Frederi Mistral
Nerto
Frederi Mistral

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IV.
Der Löwe.

                 

Des andern Tags, zur Mittagsstunde,
Am stillen Hof von La MajourLa Majour (lat. Sancta Maria Major), heißt eine alte Basilika in Arles.
War eine bunte Schaar versammelt
Im weißgetünchten Küchenflur
Bei Meister BouissetMeister Bouisset, Bertrand, Bürger von Arles, Verfasser einer in provençalischer Sprache geschriebenen Chronik aus den Jahren 1376 bis 1404.. Nachbarn kamen
Und Nachbarinnen viel herbei,
Um recht genau von ihm zu hören,
Wie Alles zugegangen sei.
»Also der Papst sang selbst die Messe?«
»Sang selbst ist irrig ausgedrückt,
Er wollt' es zwar, doch weil durch Alter
Und durch Erlebtes sehr gebückt,
Hat weder Predigt er noch Messe
Gesprochen. Stumm, die ganze Zeit,
Blieb er auf seinem Throne sitzen;
Statt seiner hat das Paar geweiht
Cardinal Brancas Eminenz
Zu allgemeinem Wohlgefallen,
Und Sankt Trophimus sah noch nie
So großen Glanz in seinen Hallen.«

»O! welch Gewimmel, welch Gedräng!
Nicht möglich, sich hindurch zu winden,«
Sagten die Frauen sehr erregt,
»Nicht möglich, einen Platz zu finden!«
»Nicht möglich, irgend was zu sehn . . .«
»Ein Heer von Reitern in den Gassen!«
»Ich hasse solche Mörderei,
Man will doch nicht sein Leben lassen!«
»Drum, Meister Bouisset, sagt uns jetzt,
Wie's war. O, thut uns den Gefallen,
Es weiß doch Jedes, daß in Arles
Ihr der Gelehrt'ste seid von Allen.«

In seiner kalkgetünchten Küche
Ging Meister Bouisset hin und her,
Die Fülle des Geschauten ordnend,
Gelassen und gedankenschwer;
Und kam am Schenktisch er vorbei,
Faßt' er den zinnbehelmten Riesen,
Goß ein, that einen guten Schluck
Und warf das Restlein auf die Fliesen.

Sein Weib, Misé Fabresso, wurde
Mit Fug Frau Meisterin genannt!
Wie wußte Ordnung sie zu halten,
Wie blinkten ringsher an der Wand,
Für Salz und Mehl die schmucken Fässer,
Die Lampe sammt dem Kerzenstock,
Die Kessel und die Oelgefäße,
Die Herdzier und der Feuerbock,
Der Anrichttisch mit weißer Platte,
Der Backtrog und die Eichenbank,
Die Messer und die Zinngeräthe,
Das alles glänzte spiegelblank.
Auf hellem Bast hing an der Thür
Ein rothes Kreuzlein, das die Spitze
Dem bösen Hexenblicke bricht,
Der Fliegenplage und der Hitze.
In einem Winkel sah man auch
Verschiedne Zirkel und Quadranten,
Weil sie Herrn Bouisset im Quartier
Nicht nur als Friedensrichter kannten:
Feldmesserei war sein Beruf,
Der ihm beim Landvolk Ansehn schuf;
Und außerdem führt' er ein Buch,
Drin schrieb er, was in seinen Tagen
In seiner lieben Vaterstadt
Denkwürdiges sich zugetragen.
Jetzt, plötzlich, richtet er sich auf
Mit hinterrücks verschränkten Händen:

»Die Kirche,« sagt er, »prangt' im Schmuck
Gestickter Tücher an den Wänden:
Ja! Das war reich! Die Wappen sah
Auf den Geweben man erglänzen
Von Catalonien und Provence,
Den Schwestern, die sich treu ergänzen
Zur Pflege des Idioms des Oc,
Das Wappenschild von Languedoc,
Die von Sardinien, Corsica,
Von Anjou, Maine und von Sicilien,
Die Papststandarte, weiß und gelb,
Und König Ludwig's goldne Lilien.
Der Papst, der König im Ornat.
Die goldne Tiara trug der eine,
Die Kronen, wohl drei Spannen hoch,
Im Schimmer ihrer Edelsteine
Ein Sinnbild feierlicher Größe,
Und weiß wie Schnee war sein Gewand.
Der Andre trug den Purpurmantel,
Das goldne Scepter in der Hand
Und auf dem Haupt die goldne Krone.
Im Chore standen beider Throne.
Ganz unvergleichlich aber war
Die Königin: Die Offiziere
Betheuerten, daß keinen Hof
So wunderbare Schönheit ziere.
Es schaarten um den Hauptaltar
Die Würdenträger und, im Chore,
Die Herrn vom heil'gen Hospital
Sich um die beiden Großpriore.
Die Großen unsres Reiches saßen
In Reihen an der Seitenwand,
Ich habe ihrer, nicht gelogen,
An Vierzig mindestens erkannt.
Ein Schwarm von Bischöfen. Im Schiff
Die Richter und die Herrenmeister,
Und dann, zur Huldigung genaht,
Geführt von unserm Bürgermeister,
Die Gilden und die Handwerkszünfte,
Der Deich- und Schleusen-Commissar;
Ganz hinten, mit dem Steuerbüttel,
Ich, der bescheidne Archivar.
Kurz, Kinder, es ist schön gewesen:
Man wird's in meinen Heften lesen.

Jetzt kommen wir zum Trauungsakte.
An Alter und an Ruhme gleich
Tritt freudestrahlend zum Gelöbniß
Das schönste Paar im Königreich.
Sie reichen sich die Hand im Schatten
Des Baldachins aus Goldbrocat
Und am Altare spricht den Segen
Brancas als päpstlicher Legat.
Und jetzt bricht vor dem Gotteshaus
Das Volk in laute Rufe aus:
»Dem Brautpaar hoch! Der Königin!
Ihr holdes Antlitz leuchte lange!«
Die »Sieben Freuden«Die sieben Freuden (prov. Li sèt-gau) nannte man eine Art von Glockenspiel, welches sich vor Zeiten vielfach an provençalischen Kirchen vorfand. Es bestand aus einem Rade, an dessen Rand sieben auf die Noten der Tonleiter gestimmte Glocken befestigt waren und welches man, bei festlichen Anlässen, mittelst eines Seiles und einer Kurbel in Bewegung setzte., hoch vom Thurm,
Ertönen laut mit hellem Klange;
Und ganze Schwärme weißer Tauben
Flogen zugleich durch Schiff und Chor
Und draußen auf dem weiten Platze
In Reihen überall empor.
Ja, Frauen, das ist schön gewesen:
Man wird's in meinen Heften lesen . . .
Ja! was zu sagen ich vergaß:
Das Schloß kann kaum die Gaben fassen,
Marseille verehrt ein goldnes Boot
Und Arles zwölf schwere Silbertassen;
Von Taraskon kam eine kleine
TarascoDie Tarasco, das Wahrzeichen der Stadt Taraskon, ist ein drachenartiges Ungeheuer, dessen riesengroßes Abbild am Feste der heiligen Martha in feierlichem Umzuge durch die Straßen getragen wird. Es soll, nach der Sage, ein Drache gewesen sein, der in vorchristlicher Zeit die Gegend von Taraskon verwüstete und den die genannte Heilige gebändigt habe. (Vgl. I. Gesang, Seite 19). Die Tarasco ist wahrscheinlich ein Symbol des durch den Christenglauben besiegten Heidenthums. und das Städtchen At
Schickt Früchte, Avignon ein Weißzeug,
Wie man noch kein's bewundert hat;
Wachsbrode spendet Fourcauquié,
Aix eine ungeheure Truhe,
Zum Schluß bat der Drei-Staaten-Bund
Das Königspaar, daß es geruhe
Ein hunderttausend Goldflourin
Als Hochzeitsgabe zu empfangen . . .
Mich plagt den ganzen Morgen Durst« . . .

Und Bouisset trocknet Stirn und Wangen
Und drängt sich durch den Schwarm der Frauen,
Um auf des Kruges Grund zu schauen. –

»Wo wohnen denn die hohen Gäste?
Wer herbergt ihren ganzen Troß?«
»Der Papst im Erzbischofspalaste,
Der König im La-Trouio-Schloß.«La Trouio (lat. Trullus, Kuppelbau), die Residenz Kaiser Constantins zu Arles.
»Hat jeder nur sein eigen Haus,
So bricht auch keine Zwietracht aus,«
Meinten die Frauen. – »Und der König,
Geht er zu Mittag wohl noch aus?«
»Ja! denn die Zunft der Rhonefischer
Fährt heute noch den Fluß herauf,
Den Stör dem König zu verehren;
Und dann . . . tritt König Löwe auf –

Das letzte Wort war kaum verhallt,
Als fernher dumpfer Lärm erschallt:
Die Arelaten, eifersüchtig
Auf ihre Unabhängigkeit,
Wollten dem Provençalenkönig
Der alten Hauptstadt Herrlichkeit
Vorführen. Und in ihren Straßen,
Verherrlichend den eignen Ruhm,
Entfalten sie den großen Umzug
Und ihres Löwen Königthum.

Von stolzen Bannern rings umgeben,
Darauf der Stadt Geschichte steht,
Als ein lebendig Landeswappen
Der Leu von Arles leibhaftig geht.
Die ungeheure Schnauze fletschend,
Vom Alter runzelvoll und bleich,
Mit drohend aufgesperrtem Rachen
Vertritt er das Arlatenreich,
Das »Weiße Arles«, der alte Löwe,
Den »Albion« sie zubenannt,
Vor dem sich einst, im Crau-Gelände»Vor dem sich einst im Crau-Gelände« &c. Anspielung auf die von Aeschylos berichtete Legende, nach welcher Herkules auf seinem Wege nach den Gärten der Hesperiden in der Crau (vom gr. Krayros, dürr, unfruchtbar) mit zwei Riesen, Albion und Belgion, zu kämpfen hatte. Da die Stadt Arles im Mittelalter den Beinamen »die Weiße« führte, läßt der Dichter ihr Wappenthier an die Stelle des »Weißen Riesen« treten. ,
Selbst Hercules zur Flucht gewandt;
Hier trägt er als Lateiner Löwe
Die Kreuzesfahne Constantins,
Dort, in den Klauen, einer Leuchte
Gleich, hält das Kreuz er Sankt Trophims,
Hier gürtet mit der Krone Boso'sBoso (prov. Bousoun) I., Graf von Vienne, 871 Herzog von Provence, Schwager Karls des Kahlen, gründete 879 das Arelatische Reich, starb 887.
Er sich das falbe Lockenhaupt,
Indeß, mit blitzesprüh'nden Augen,
Er: »Ab ira Leonis« schnaubt;
Dort sieht man ihn das Schwert erheben
Und die berühmte Losung geben
Des Drohspruchs: Urbs Arelatensis
Est hostibus hostis et ensis.

Und also liest von hundert Fahnen
Das Volk von Arles den Ruhm der Ahnen.

Der Löwe nun, der wahre Löwe,Im Mittelalter wurde in Arles ein lebender Löwe aus Staatsmitteln erhalten. Der Chronist Bertrand Bouisset berichtet von ihm:

»L'an que dessus (MCCCCII), lo jorn XXVII de may, lo Rey Lois fes combatre lo leon d'Arle amò un taur; e y fon present Madama Violant sa molher, e Madama Maria, mayre del Rey, e Madama de Corcin, e motas autres damas, e monsen Karle, prinse de Taranta, frayre del Rey Lois, e mots autres Senhors, cavaliers e escudiers, e tota autre gent que esser y vole e y podie venir.

L'an MCCCCV, lo jorn ters d'Abril, mori lo leon d'Arle, loqual avie visqut, stant en Arle XVIIII ans e VI mes.« (Zu deutsch: »Im Jahre 1402 am 27. Tage des Maimonds, ließ König Ludwig den Löwen von Arles mit einem Stiere kämpfen; und waren zugegen Frau Yolanthe seine Gemahlin und Frau Maria, Mutter des Königs und Frau von Corcin und viele andere Damen und Durchlaucht Karl, Prinz von Tarent, König Ludwigs Bruder, und viele andere Herren, Ritter und Junker und sonst alle Leute, welche dabei sein wollten und konnten.

Im Jahre 1405, am dritten Tage des April, starb der Löwe von Arles, welcher in Arles 19 Jahre und 6 Monate gelebt hatte.«)


War kaum aus seinem Thurmverließ,
Als von so schrecklichem Gebrülle
Er rings die Luft erdröhnen ließ,
Daß draußen im Camargo-Sumpf
Vor Schreck erzitterten die Stiere.
Das Volk brüllt mit: »Platz für den Leu!«
Und freut sich an dem edlen Thiere.
Jetzt, von Rouqueto, von AuturoRouqeto und Auturo sind Stadttheile von Arles.
Und unten aus dem Hafen weit
Strömt Volk herbei in hellen Haufen,
Das freudetrunken jauchzt und schreit:
»Der Leu! Der Leu! Er ist entfesselt!«
Der Alte reckt sich hoch empor,
Er weiß es wohl, daß ihm dies Fest gilt:
Dann schreitet er bedächtig vor,
Die röthlichgelbe Mähne schüttelnd,
Die struppig ihm die Stirn umweht,
Indeß mit sänftigendem Zuspruch
Dicht neben ihm sein Wärter geht.
Dann kommt der junge König Ludwig
Mit Frau Yolanthe, hoch zu Roß,
Nebst ihrem reichen Hofgefolge;
Zunächst der Königin im Troß
Lenkt Nerto zierlich ihren Schecken;
Die Zelter ihrer Majestät
Tragen blausammtne Satteldecken
Mit goldnen Lilien übersät.
Man zieht zur mächtigen ArenaDas römische Amphitheater von Arles (prov. lis Areno) faßte 25 000 Zuschauer. ,
Um einem Kampfe zuzusehn,
Den dort das edle Ungeheuer,
Eins gegen Viere, soll bestehn.

Im riesengroßen Mauerkreise,
Der manchen wilden Kampf geschaut,
Ist heut die ganze Stadt versammelt,
Ganz Arles ist da, gespannt und laut.
Der Farandole Schlangenzüge
Füllen den Raum mit Jauchzen aus,
Die Fröhlichkeit der schönen Frauen
Von Arles belebt das weite Haus,
Darin vereint zur Schau gestellt
Das schöne Blut der edlen Rassen,
Die in dem reichen Gau von Arles
Je ihre Spur zurückgelassen:
Der schlanken Griechentöchter feine
Profile sieht man zahlreich hier,
Der Diana und der Leto Schwestern,
In ihrer jungen Anmuth Zier;
Die Römerin, die stolz und würdig
Auf ihrer Väter Denkmal thront,
Wie die Vestalin, die zu Zeiten
Der ersten Kaiser hier gewohnt;
Und, in der Tracht des Heimatlandes,
Den Schleier vor, der, weiß und weich
Aus Cambrai-Linnen, nur ein Flaum ist,
Die Saracenin, braun und bleich,
Mit ihrem Feueraugenpaar
Der jungen Männerwelt Gefahr.
Von goldnen Ringen, Spangenschmuck,
Von edlen Venezianer Ketten,
Von Perlen und von Edelstein,
Demantbesetzten Amuletten,
Grünem und scharlachfarbnem Tuch,
Von Federbüschen, rothen, weißen,
Barettlein, geistlich und profan
War das ein Durcheinandergleißen.
Die frohe Maiensonne goß
Auf dies Gewoge ihre Lichter,
Auf das Gewimmel und Gewühl,
Auf Putz und lachende Gesichter.
Dort, wo dem Brunnen Wein entströmt,
Erquickt sich eine bunte Menge . . .
Rings Jubel, Tamburinenschall
Und lustig lautes Festgedränge.

»Der Löwe!« rufen schrille Stimmen;
Da, plötzlich, öffnet sich ein Thor
Und leise treten, groß und nervig,
Vier schwarze Stiere d'raus hervor;
Und aus dem Thore gegenüber
Schwingt sich mit einem Riesensatz,
Umflattert von der gelben Mähne,
Der Löwe auf des Kampfspiels Platz.
Er lauert einen Augenblick:
Es ducken sich zugleich die Viere . . .
Unglückliche! Ein Sprung, ein Schlag,
Und röchelnd liegen zwei der Stiere;
Ein Tatzenschlag in seine Flanke
Und auch der Dritte liegt im Blut.
Das Volk erhebt sich, fieberglühend:
»Hoch lebe König Löwenmuth!«
Der Vierte aber harrt nicht erst
Des Todesstreichs: Er senkt die Spitzen
Der scharfen Hörner, die im Nu
Dem Löwen tief im Leibe sitzen.
Der wendet blitzschnell, fürchterlich,
Dem Gegner zu den offnen Rachen,
Schlägt ihm die Zähne tief in's Fleisch
Und zerrt ihn, daß die Knochen krachen.
Urplötzlich setzt, mit einem Sprung,
Er über die Umfassungsmauer,
Blindwüthend in dem Menschenknäul
Versteck sich suchend: Todesschauer
Der Furcht durchbebt die Menschenmenge,
Dann, mit des Wahnsinns Angstgedränge,
Strebt Jeder eiligst zu entweichen
Und einen Ausgang zu erreichen . . .

Indeß, mit aufgerißnem Leibe,
Das Maul bedeckt mit Blut und Schaum,
Den Boden mit dem Schweife peitschend,
Durchmustert wild der Leu den Raum
Und sucht ein Opfer. Plötzlich nimmt er,
Er selbst ein König und ein Held,
Des Nebenbuhlers Nähe fühlend,
Den Anlauf nach des Königs Zelt.
Den König und die Königin
Hat man im allgemeinen Schrecken
Allein gelassen. Jetzo sieht
Man beide stolz empor sich recken.
Sie halten unbeweglich Stand,
Den Blick dem Feinde zugewandt.
Nerto, mit Zittern, schmiegt sich dicht
An Frau Yolanthe, händeringend . . .
Und immer näher kommt das Thier,
Des Circus Stufen überspringend;
Schon dringt aus seinem offnen Rachen
Der heiße Hauch zu ihr empor,
Da, aus dem wirbelnden Gewühle,
Stürmt Roderich von Luna vor
Und Stirn an Stirne mit dem Löwen,
Ihn bannend mit dem Feuerblick,
Hebt er die Faust und bohrt ihm blitzschnell
Das kurze Dolchschwert in's Genick.
Zu Boden stürzt das Ungethüm,
Den Kopf gesenkt, den Rachen offen:
Ein Zucken noch, dann liegt es still,
Vom Todesstoße jäh getroffen.

Die schöne Königin Yolanthe
Zieht eine Nadel aus dem Haar,
Rubinbesetzt, und bietet lächelnd
Zum Dank sie Don Rodrigo dar.
Nerto belebt sich langsam wieder,
Die Menge lärmt und jauchzt wie toll:
»Der König starb! Der König lebe!«
Indeß die Alten kummervoll
Einander winken: »Ueble Zeichen!
Schiff Sankt Trophimi, fahre wohl!
Der Löwe starb, bald kommt der Dauphin:
Der Baum der Republik tönt hohl.«
Die Weiber und das junge Volk
Schrein: »Auf und schlagt die Tamburine!«
Der König Ludwig aber spricht
Halblaut und mit zufriedner Miene
Zum Seneschall, Sire Georg von Marle:
»Nun bin ich König auch in Arles«.

Den König würdig zu begrüßen
War Meister Bouisset, in der That,
Als Sprecher der Stadt Arles zu glänzen
Gewählt vom löblichen Senat;
Denn darin waren Alle einig,
Daß gründliche Gelehrsamkeit
In ihm sich eint mit wunderbarer
Natürlicher Beredsamkeit:

»Durchlauchtigster, großmächt'ger König
Der Provençalen und auch Ihr,«
Begann der Redner, »edle Fürstin,
Des Thrones Stern und schönste Zier,
Gelobt sei Gott und Sankt Josephus,
Die uns bereitet Euren Bund
Und Euer Hochzeitsfest beschützten,
Wie eben jedem Auge kund,
Durch einen wunderbaren Vorfall,
Der jenem gleich sieht, fast genau,
Den einst zu Gottes Ruhm erlebte
Des großen Boso edle Frau!
Die Eifersucht, die ungemeßne,
Auf seine Frau, die Königin
Augusta, trübte König Boso
Den sonst so ritterlichen Sinn,
Daß er die tugendreiche Fürstin
In seinem ungerechten Wahn
In Stücke reißen lassen wollte
Von eines wilden Löwen Zahn.
Allein als kaum in der Arena
Der Sohn Cyrenes vor ihr stand,
Duckt sich das Thier zu ihren Füßen
Und leckt ihr fromm die weiße Hand!
Denn, wahrhaft wunderbar, noch immer
Hat unser Königsleu gezeigt,
Daß er vor edler Damen Tugend
In Ehrerbietung sich verneigt.
Und selbst im Fall, den eben wir
Mit Schrecken sah'n, ich sag' es offen:
Hätt' unser Thier so plötzlich nicht
Des tapfern Ritters Stahl getroffen,
O Königin des Lichts, es hätte
Vor Eurer Schönheit Zaubermacht
Der Löwe, hier, zu Euren Füßen,
Gehorsamst Reverenz gemacht!«

»Zum Kukuk!« schreit der Narr des Königs,
»Ein Esel der Euch so was glaubt!
Schönfärberei ist das, mein Bester,
Denn gleich den Andern All', erlaubt,
Habt Ihr, so schien mir, sehr behende
Den Leib in Sicherheit gebracht . . .
Nun, Meister Bouisset, sonder Tadel,
Hab' ich's doch ebenso gemacht:
Aus Angst bekam ich einen Buckel . . .
Doch still! Drescht Ihr auch leeres Stroh,
Die Schellenkappe schweigt, denn Cedant
Arma togae
sagt Cicero!«

Ringsum erschallt das Spottgelächter,
Der Redner sieht verdrießlich aus. –

Vor Nerto's Geist, noch schreckbefangen,
Erhebt sich jäh das Nonnenhaus.
Das arme Kind ist tief erregt,
Weiß selbst nicht, was sie so bewegt:
Wie Sonnenschein und Regenwolken
Im Streit sind in der Maienzeit,
So fühlt sie, daß sich Herz und Seele
Zum ersten Mal in ihr entzweit.
Die Seele spricht: »Ich muß mich retten,
Die Welt ist wie ein flacher Strand,
Bedroht vom Wogenprall der Sünde.
Auf eines Messers Schneide stand,
Daß ungebeichtet ich gestorben
Und dann auf ewig wär' verdorben!
Denn jenes Unthier, jener Leu,
Deß Auge gierig nach mir suchte,
Deß' Blick mich bannt' und blendete,
Es war der Böse, der Verfluchte!
Vergebens werd' ich seiner List
Entwinden mich, vergebens fliehen,
Ich seh' ihn grinsend vor mir stehn,
Er wird mich in die Hölle ziehen!
Er kommt, vielleicht schon heute Nacht
Um mich im Feuerpfuhl zu betten . . .
Maria, Heil'ge! steh mir bei,
Du kannst allein noch mich erretten!«

Und dann erwidert' ihr das Herz:
»In's Kloster mich begraben lassen,
So jung die süße Freiheit fliehn,
Mein thurmgekröntes Schloß verlassen,
Die seidnen Kleider auszuziehn,
Verschmäh'n des Hofes Festlichkeiten,
Das ist fürwahr ein harter Kampf,
Ich kann's Herrn Rodrich nicht bestreiten.
O schöner Rodrich! Ist's doch er,
Dem ich mein Dasein jetzt verdanke:
Wie er, den blanken Stahl gezückt,
Vortrat und rasch wie ein Gedanke
Den Löwen fällt' mit einem Streich,
Sah er dem Engel Michael gleich . . .
Dann hat er mich zurückgelassen,
Geblendet . . . Wohin ging er nur?
Ich seh' ihn nie mehr! Ach, von ferne
Verfolg' ich seiner Thaten Spur!
Er ist an mir vorbei gegangen,
Stumm zwar, doch eines sah ich klar:
Daß auf dem Herzen er den Dolch trug,
Mein Wappen von Kastell-Reinard!
Ich Thörin . . . Nein, zu meiner Rettung
Ruft Gott mich in sein heilig Haus . . .
Wo ging er hin? Ich seh' ihn nie mehr,
Mich schließt man ein, der Traum ist aus.
Mich Aermste kleiden sie schon morgen
In Sankt Caesari Bußgewand;
Ich seh' ihn nie mehr. Doch sein Auge,
So heiß und tief, wird unverwandt
Mir folgen in den Kerkerraum,
Deß Thüren meinen Tod bedeuten.
Ich seh' Dich nie mehr! Lebe wohl!
Ach, heute schon, beim Abendläuten –
Es weint mein Herz, wenn ich dran denke –
Sperrt man mich zu den Nonnen ein.
Es weint mein Herz, und doch entrinn' ich
Nur so der ew'gen Flammenpein.
Im Kloster aber will ich still
Zu Gott dem Herrn, so lang ich lebe,
Inbrünstig beten, daß er Dir
Dein ewig Heil, o Rodrich, gebe;
Von ganzer Seele will ich flehn,
Von ganzem Herzen und Gemüte,
Daß er Dich schirme für und für
Mit seiner Gnad' und Vatergüte!«


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