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Das Papstthum hatte Rom verlassen
Seit über siebzig Jahren schon
Und Avignon war auserkoren
Zum Fußgestell für Christi Thron.
Die Stadt war rasch emporgediehen,
Als sie sich Vorort werden sah
Der Welt und ihres Priesterkönigs.
Es kam herbei von fern und nah,
Was Jesu Christo angehörte,
Zu seines Stellvertreters Dom
Und ihm zu Füßen liegend tranken
Die Völker aus dem Rhonestrom.
Am Sorgo-Ufer, wo vor Zeiten
Noch nichts zu sehn als Weizenfeld,
War von den höchsten Kirchenfürsten
Manch prunkender Palast erstellt.
Der Adel und die Bürgerschaft
Erbauten zahlreich stolze Sitze
Mit Erker, Sims- und Traufsteinzier
Und bildgeschmückter Gibelspitze.
Der Kirchen und der Andachtsstätten
Mit Heiligen aus Erz und Stein,
Der Baptisterien und Kapellen
Gab es bei tausend, groß und klein.
Von hunderten von Thürmen summte
Froh drüber hin der Glocken Tanz;
Nachts strahlten an den Häuserecken
Madonnenbilder Kerzenglanz.
In Allem aber ohne Gleichen
Ragte der stolze Papst-Palast.
Auf seinem steilen Felsen thronend
Berührte er die Wolken fast;
Bis in den Himmel recken sich
Aus der Gewölbe Riesenrücken
Die Thürme, sieben an der Zahl,
Aus ungeheuren Quaderstücken.
Von seiner Höhe stolz beherrschend
Ringsum das weite, schöne Land
Beschaute sich der Bau im Flusse,
Der dort sich ihm zu Füßen wand.
Raubvögel nisteten an First
Und Dach in krächzendem Gedränge
Und Schwalbenpaare ohne Zahl
Umzwitscherten die Zinnengänge.
Tief unter sich der Rhone Wogen
Verband mit weiten, kühnen Bogen
Ein Brückenbau, dem keiner gleich,
Provençerland und Frankenreich.
Zu Schutz nur, Trutz mit Mauerkrönung
Und neuen Wällen wohl versehn,
Konnte die Stadt, voll tapfern Volkes,
Getrost den stärksten Feind bestehn
Und sprechend: Unguibus et rostro
Sich brüsten, stolz vor aller Welt,
Mit ihrem Adler, der im Wappen
Die Schlüssel in den Krallen hält.
Hier schacherten die Levantiner,
Die Kardinäle ritten hier
Im Purpurkleid; die Pilger zogen
Mit Wanderstab und Muschelzier
Laut singend durch die breiten Straßen;
Dirnen und Gaukler waren da
Und Mönche, schwarz und weiß, in Menge
Und Excommnnicirte sah
Man, um das Himmelreich zu erben,
Sich wild die Haut mit Fäusten gerben;
Dazwischen rauften sich beim Wein
Des Kriegs- und Schiffsvolks rohe Horden;
Es war ein Lärm, ein Sprachgewirr,
Wie nie zuvor vernommen worden.
Von Rhodus eine Ritterschaar,
In Panzerhemd und Festtalar,
Mit weißgesticktem Kreuz darauf,
Stieg die Calado stolz hinauf.
Dort wird von Farandole-Tänzern
Ein armer Ablaßpredikant
Zum Dank für seinen frommen Eifer
In tollem Jubel umgerannt.
Büßer in Säcken sieht man da
Und Geißler unter lauten Klagen,
Mit hänfnen Stricken, roh geknüpft,
Sich Brust und Rücken blutig schlagen:
»Ha! gierig Fleisch, ha, schnödes Fleisch!
Dir wollen wir die Lust verderben!«
Und Streiche fallen hageldicht,
Die braun und blau die Weichen färben.
Dort gehn Doctoren auf und ab,
Erörternd hochgelahrte Fehden,
Dort Italiener, die erhitzt
Vom Volkstribun Rienzi reden.
Vor schöner Damen Fenster stehn
Zur Abendzeit, in schmucken Schaaren,
Mit Zither und mit Lautenspiel,
Die jungen fröhlichen Scholaren
Und recitiren jene Verse
Mit welchen, Liebe ganz und Lob,
Petrarca zu den Sternen seine
Avignoneserin erhob . . .
»Sieh da! Die spanische Gesandtschaft!«
»Platz! Platz! Wo der Herr Stadtvogt geht,
Von seiner Häscherschaar begleitet!«
»Dort kommen seiner Majestät
Des Ungarkönigs Abgesandte!«
»Es lebe die Prinzeß Marie!«
»Hoch Benedict, dem heil'gen Vater!«
»Nein, solchen Durst hatt' ich noch nie!«
»Gott grüß' Euch, Dono Miquelasso!«
»Ach, Herr Euseb, wie bin ich matt!
Reicht mir den Fächer . . . ach, wie wahr ist's,
Daß man's daheim am Besten hat!«
»Wer kauft Orangen von Majorca!«
»Melonen, schnittweis' oder ganz!«
»O weh! mir ward mein Roß gestohlen!«
»Und ich verlor den Rosenkranz!«
Kurz, rings Geschrei und Lärm und Treiben,
Kaum weiß man, wo die Sinne bleiben.
Dort sieht man einen armen Juden
Erschreckt vor einer Meute fliehn . . .
»Der Lump, der Gelbhut! Schlagt ihn nieder!
Stoßt in die Judengasse ihn!«
Und fünfzig Kinder hinterdrein
Mit Pfeifen, mit Geschrei und Tosen;
Ein Schweinsohr formt ein kleiner Fant
Aus einem Zipfel seiner Hosen.
Und jauchzend brüllt der Schwarm im Chor:
»Sieh, dies ist Deines Vaters Ohr!«
Hoch über all' dem Menschentreiben,
Die Gipfel peitschend und das Land,
Erdröhnt die fürchterliche Windsbraut,
Mistràl wird sie vom Volk genannt.
Wenn sie aus hohen Bergesschluchten
Herab in wucht'gen Stößen saust
Und in den bleiern fahlen Lüften
Mit ihren wilden Wirbeln haust,
Dann ist's, als wolle Gott der Herr
Den Sturmwind um die Erde jagen,
Um über alle Christenheit
Des Papstes Segen hinzutragen.
Allein, nichts bleibt in dieser Welt,
Jedwede Woge steigt und fällt.
Die Zeit der prächt'gen Siegeszüge
Der Kirche, ach! war längst schon um,
Der alte Satan hatte listig
Im heiligen Kollegium
Zwietracht gestreut und in Verwirrung
Verwandelt' er die alte Kraft,
Zerrissen war was Eins gewesen,
Zerbrochen schien der Kirche Schaft:
Dem Papst erwuchs ein Gegenpapst.
Von Avignon bis Barcelona
Ertönten Glocken und Gebet
Beharrlich nur für Pier de Luna.
Engländer, Deutsche und Franzosen
Hielten zu Petri altem Dom
Und als der wahre Oberpriester
Galt ihnen Bonifaz zu Rom;
Doch Catalonien und Provence
Wollten den Papst an der Dürance.
Der Condottiere Boucicaut,
Bei Karl dem Sechsten hoch in Ehren,
Stand vor den Wällen Avignons
Mit seinen wilden Söldnerheeren.
Den alten Trotzkopf zu bezwingen,
Der drinnen Papst und König ist
Verschwendet er in harten Kämpfen
Vergebens Tapferkeit und List.
Der Donner seiner Kriegsmaschinen
Erschüttert, seit fünf Jahren bald,
Des Papstpalastes Riesenpfeiler.
Des Feuers und des Schwerts Gewalt,
Feldschlangen, Büchsen und Kanonen
Und was man je erfunden hat,
Den Feind zu sprengen und zu brechen,
Bedrängten scharf des Papstes Stadt.
Den Kugeln und dem Grabscheit trotzend,
In seinem stolzen Adlernest,
Von Donner und von Blitz umgeben
Bleibt Benedictus felsenfest.
Und vom Olymp, auf dem er thront,
Entsendet ohne Wahl und Weile,
Gleich dem erzürnten Jupiter,
Der Alte seine Donnerkeile;
Er schleudert Eisen, Blei und Stein
In das Belagrungsheer hinein.
Aragonesen, Catalonier,
Die Tag und Nacht in Eisen gehn
Und stolz den Kappenmantel tragen,
Sind es, die treu zum Papste stehn;
Von ihnen ist die Festung voll,
Von ihnen wimmelt's in den Gassen,
Sie wollen, bis zum letzten Mann,
Für ihren Papst sich töten lassen.
Der weise Fürst von Pampeluna
Hat seinem Vetter, Pier de Luna,
Sie zugeführt vor Jahr und Tag,
Als er, zur See und auf der Rhone,
In prächtigem Galeerenzug
Mit Huldigung von Spaniens Krone,
Wie Melchior einst und Balthasar,
Zu Benedict gekommen war.
Da gab es Feste Tag und Nacht,
Um Martin's Majestät zu ehren!
Vor seinem ganzen Hofgesind
Des Spanierkönigs Glanz zu mehren,
War, als der Christen höchster Orden,
Die goldne Rose ihm geworden.
Und: »Hoch dem Bannerherrn des Papstes,
Dem Wächter an des Oelbergs Thor!«
Und: »Hoch dem Papst!« und: »Hoch der Kirche!«
Erscholl es durch die Stadt im Chor.
Doch heut' ist ein Gefangner nur
Der Papst und schlimm tönt Kund' auf Kunde.
Der Hunger klimmt am Schloß empor,
Der Hunger, mit dem Feind im Bunde.
Der Krieger Sehnen schneidet er
Entzwei, daß schlaff die Arme hangen.
Die Tapfern werden dürr wie Kork,
Indeß nach Speis' und Trank sie bangen.
Wenn hoch auf Zinnen und Bastei
Sie ihre Wurfgeschütze laden,
Sehn sie die Rhoneschiffe ziehn,
Mit Korn und Fässern reich beladen.
Auf dem Gewölb der hohen Säle
Hob sich, als hing' er in der Luft,
Ein wundervoller Oelbaumgarten
In mattem, silbergrauem Duft . . .
Ach! In der Noth des heil'gen Vaters,
Vom Frost getrieben, hat man jetzt
An jenen Wald mit seinen Früchten
Die mörderische Axt gesetzt.
Das Winterholz war längst zur Neige,
Nun brannte man die grünen Zweige.
Der Papst ist sinnend, ernst und bleich.
Die Kardinäle, bis auf zwei,
Die alt und schwach, sind abgefallen;
Man denkt, es sei mit ihm vorbei.
Doch aufrecht steht in seiner Arche
Der unverzagte Patriarche,
Durchsteuernd, mit erhobnem Muth
Des großen Schisma Zornesfluth;
Und wenn Monarchen und Conclave
Ihn reißen wollen aus dem Boot,
Antwortet er: »Spart Euch die Mühe,
Mich zwingt kein Schwert und keine Noth:
Papst bin ich, Ihr sollt mich nicht erben
Und nur als Papst will ich einst sterben.«
Die schlanke Nerto ist indessen
Dem Thurm entschlüpft . . . »Allarm! Habt Acht!«
So gellt es durch des Schlosses Hallen.
Wie wenn ein Geist um Mitternacht
Erschienen wäre in den Gängen,
So gab's ein Rufen, Fragen, Drängen.
Aragonesen schaarten sich
Und Catalonier, in Erregung
Um Nerto, die jetzt zaudernd steht,
Derweil, in tänzelnder Bewegung,
Das Windspiel, seiner Freiheit froh,
Vom Sonnenlichte wie geblendet,
Die Schnauze schmeichelnd aufgereckt,
Von einem sich zum Andern wendet.
Das Fräulein aber faßt sich schnell
Und spricht zu einem der Trabanten:
»Vor Allem jetzt, ich bitte Euch,
Führt mich zu Eurem Kommandanten!«
Im rothverbrämten Reitermantel
Mit goldner Stickerei darauf
Stand grüßend vor der Edeldame
Der Schloßhauptmann verbindlich auf.
Rodrigo hieß er, Graf von Luna,
Ein junger Schoß aus edlem Holz;
Er war des alten Papstes Neffe,
Kühn, lebhaft, ungestüm und stolz.
Sein Schwert, so ging von ihm die Rede,
Sei mit der Scheide stets in Fehde:
Ein mächtig Haupt mit langen Locken
Und Augen, Feuerbränden gleich,
Schnurrbart und dichtes krauses Bärtchen
Wie Maulwurfsfell so schwarz und weich . . .
Und wehe, wer den jungen Leuen
Gereizt: Er ließ es ihn bereuen.
Zuweilen, in der Dämmerung,
In Avignon, auf Abenteuer
Zog er mit Gleichgesinnten aus,
Nach Vierteln, wo es nicht geheuer.
Bald stieg man über Gitter ein,
Bald lockt' man durch verliebt Getöne:
»Dem Schäfer, dem das Herze pocht,
O komm zu öffnen, komm' doch, Schöne!«
Und dann ein Höllenlärm, ein Tosen,
Man prügelt Wächter und Profosen;
Doch auch weit Schlimmeres als dies,
Verbrechen, toll und ungeheuer,
Raunt man vom Neffen Benedicts,
Und Rauch, so sagt man, kündet Feuer.
Nun fragt Euch, ob ein junges Blut
Bei solchem Herrn in bester Hut.
»Zu Eurem Dienst, mein schönes Fräulein,«
Begann er, »flög' ich meilenweit,
Befehlet nur, was Ihr auch wünschet,
Ich bin zu jedem Thun bereit.«
»Ich wünsche,« sagt die holde Nerto,
»Ich wünschte sehr den Papst zu sehn.«
»Die Thüren alle des Palastes
Für Euch, mein Fräulein, offen stehn.« –
Und wie der Vogel, der die Aehre
Erblickt, nimmt Meister Roderich
Die zarten Finger ihr zum Kusse
Und ritterlich verbeugt er sich.
Den Arm ihr reichend, führt er sie
Hinaus durch Treppen, Fluren, Gänge,
Durch Thore, über Schanzen hin,
Durch Labyrinthe, krumm und enge,
Wo spärlich nur des Tages Blicke
Einfallen durch die Mauerdicke.
Treppauf, treppab läßt er sie steigen,
Des Wegs will sich kein Ende zeigen.
Des prunkgewohnten Papstthums Schätze
Sehn sie, geschichtet sonder Wahl,
Von Gold und Silber ganze Haufen
Und Kirchgefäße ohne Zahl;
Von Diamanten, Chalcedonen
Blinkt durch die Nacht ein Sternenschein,
Berge von Onyx und Smaragden,
Lasurblau und Karfunkelstein;
Viel Teppiche und bunte Fahnen
Die einstens, fern im heil'gen Land
Den Mauren abgerungen hatte
Der Christenfürsten tapfre Hand.
Im Gehn hat Nerto Roderich,
Der dicht an ihrer Seite wandelt,
Vom fürchterlichen Pakt erzählt,
Der an den Teufel sie verhandelt.
»Nur keine Furcht!« erwidert er;
»Um vor dem Erbfeind Euch zu retten
Weiß ich ein Mittel, wunderbar;
Was schlägt den Teufel selbst in Ketten?
Die Liebe ist's.« – »Und was ist Liebe?«
Fragt sie, »man hört so viel davon
In Liedern und Novellenbüchern . . .
Allein, wer sah sie jemals schon?«
»Ich könnte da vielleicht Euch führen,«
Versetzt Rodrigo, liebentbrannt,
»Der Weg der holden Liebesgötter
Führt schattenreich an Bachesrand,
Es ist der Weg zum Paradiese.«
»Ihr irrt, mein Herr; das kann nicht sein,
Die heil'ge Kirche lehrt es anders:
Dort sei das Paradies allein,
Wo steil ein Fußpfad, rauh und schmal,
Nach oben führt, durch Dornenqual.«
»Die Liebe ist ein Strauß am Busen!«
Entgegnet er, »sie ist ein Quell,
Viel süßer als der beste Würzwein,
Ein Born, so stark, so frisch und hell,
Daß ihm in seiner Brunnenschale
Zu enge bald wird und zu bang;
Er wächst zum Strom, auf seinen Inseln
Ertönt der Vögel muntrer Sang.
Die Lieb' ist holdeste Verwirrung,
In der die Seele froh erbebt,
Sie ist ein Traum, der um die Sinne
Ein göttliches Entzücken webt;
Die Liebe ist ein Strahl der Sonne,
In dem zwei Herzen, froh berauscht,
Sich auf zum reinen Aether schwingen,
Wo Seele man um Seele tauscht;
Die Lieb' ist eine Wunderflamme,
Im klaren Aug' wird sie erkannt,
Sie schwellt das Herz mit Blumendüften,
Sie kündet sich im Druck der Hand.
Sie ist ein holder Lenzeshauch,
Der Rosen zaubert aus den Strauch,
Sie ist ein glühend heißer Mund,
Nach Wasser spähend in die Runde,
Und der, verschmachtend, nur begehrt
Zu trinken vom geliebten Munde!«
Allein als jetzt der kecke Freier
Den Augenblick gekommen fand,
Der Unschuld einen Kuß zu rauben,
Reckt plötzlich, an des Ganges Wand,
Des Papstes Wappen überragend,
Ein hohes Crucifix sich auf,
Die Arme weit geöffnet, schmerzvoll,
Das Haar verwirrt und Dornen drauf.
Nerto bekreuzt sich und dann wendet
Sie sich zum Ritter um und spricht:
»Dem Breviari d'Amor, so dünkt mich,
Gleicht, was Ihr da geredet, nicht;
Denn dort auf jenen goldnen Blättern,
Hab' oftmals ich gelesen: Rein,
Wie in des Paradieses Hallen,
Und demuthreich soll Liebe sein . . .«
Das Fräulein und der Ritter standen
Jetzt auf der Ehrentreppe Rand,
Wo der gewalt'gen Marmorstufen
Schneeweiße Flucht den Abschluß fand.
Und, eine große Flügelthür
Aufstoßend, sprach Rodrigo leise:
»Dies Herz, mein Fräulein, hofft bestimmt,
Daß künftig es in bessrer Weise
Euch dienen darf: Hier ist der Papst;
Ihr seid am Ziele Eurer Reise.«
Der Amirando Wundersaal
Betritt jetzt Nerto schüchtern, bangend;
Er ist der schönste des Palasts,
Einzig an Glanz und Reichthum prangend.
Zwischen der Wölbung Riesenrippen,
In heitern Fresco-Farben, strahlt
Die Herrlichkeit des Empireums,
Von Meister Memmi's Hand gemalt.
Des Oberhirten der Nationen
Erhabenheit entspricht sein Haus;
Vor hohen Fensterkreuzen breitet
Die reizendste Natur sich aus;
Die Wasserläufe, Thäler, Hügel
Kann das entzückte Aug' erspäh'n,
Die Städte all', die von Venisso
Die reiche Landschaft dicht besä'n.
Papst Benedict der Dreizehnte,
Vor seinem Betstuhl in Gedanken,
Betrachtete, wie rings im Land
Die Abendschatten niedersanken,
Indeß der Ventour, schneebedeckt,
Rothleuchtend sich gen Himmel reckt.
Im weißen Kleid, ein hoher Greis,
Deß Bart bis zu den Hüften wallte,
Hohlwangig wie ein Christusbild
Und auf der Stirn des Kummers Falte.
Er denkt in jenem Augenblicke
An alle Noth der Christenheit,
Denkt an die steuerlose Kirche
Und an der Welt Zerrissenheit;
Er sieht ein Meer, das zornig schäumt,
Die frommen Seelen in Bedrängniß
Und über Papstthum und Concil
Der Zwietracht lähmendes Verhängniß,
Bannflüche schleudernd, her und hin;
Und ganz erfüllt von dem Gedanken,
Daß er allein der wahre Papst,
Spricht er getrost: »Ich will nicht wanken.«
Nerto, sobald sie im Gemach,
Eilt, seine Heiligkeit zu grüßen
Und tief sich neigend, demuthvoll,
Fällt sie dem Papst sogleich zu Füßen.
Und er zu ihr: »Wer bist Du, Kind?
Woher des Wegs? Ich muß erstaunen,
Wie Du hierher gefunden hast
Durch Feuerschlünde und Karthaunen!«
»O heil'ger Vater, höret mich,«
Antwortet Nerto, »denn mich sendet
Gott selbst zu Euch, der die Gefahr
Von Eurem Haupte gnädig wendet.
Kastell-Reinard ist meine Heimath,
Mein Vater ist der Schloßherr dort . . .
Ich komm', Euch einen Weg zu zeigen
Von hier zu unserm sichern Hort;
Mit ihm ist Tourrias, Euer Thurm,
Durch einen langen Gang verbunden.
Man schreitet sicher da hindurch,
Dorther hab' ich den Weg gefunden.
Frau Jano hat den dunkeln Pfad,
Der jetzt verwahrlost und verlassen,
Als ihr noch unser Schloß gehört',
In aller Stille graben lassen,
Damit Papst Clemens unterirdisch
Entfliehen könne, gäb es Krieg . . .
Nun schützt er, Vater, Eure Rechte,
Hier winkt Euch Freiheit, winkt der Sieg!
Die unabhängige Provence
Erwartet dort Euch, muthentbrannt,
Von Castelano die Barone,
Li Baus und Arles, das ganze Land,
Von Sisteroun, von Draguignan
Die Herrn, das Volk von allen Bergen
Und aus den Ebnen ringsumher
Behüten Euch vor Frankreichs Schergen;
Beschützen will man Euch und halten,
Als höchster Priester sollt Ihr walten!«
»Ja, beim Allmächt'gen, das ist seltsam,«
Rief da der Papst, »mein Kind, Du bist
Ein Engel, mir von Gott gesendet!
Der Herr verwirrt den Antichrist!«
Und Benedict, um sie zu segnen,
Die Rechte feierlich erhebt,
Als jäh' von heulendem Getöse
Der mächtige Palast erbebt . . .
Und in die Amirando stürzt jetzt
Rodrigo, schrecklich anzusehn,
Laut rufend: »Feuer im Palaste!
Entflieht! sonst ist's um Euch geschehn!
Das Griechenfeuer, Vater, züngelt,
Gepeitscht vom höllischen Mistràl,
An allen Firsten unsres Schlosses:
Es regnet Bomben auf den Saal
Und auf die Thürme alle sieben,
Man glaubt, der Himmel falle ein,
Zermalmt, wie ein Oliventräber,
Wird bald die ganze Festung sein!
Den Garaus machen sie dem Papstthum
In Avignon! Flieht, Vater, flieht!
Zu Euren treuen Provençalen
Dort jenseits der Dürance zieht!
Wir Andern aber bleiben hier,
Und wagt der Feind es, Sturm zu laufen,
So soll er merken, was es heißt,
Sein Leben theuer zu verkaufen!
Wir trotzen ihm und Feuers Macht,
Den Tod verachtend im Gefechte
Und unsere Zinnen schleudern wir
Auf Boucicaut und seine Knechte.«
Der Papst kniet nieder zum Gebet,
In's Leere scheint sein Blick zu sehen,
Dann spricht er laut, voll Majestät:
»Wie Du willst, Herr, so soll's geschehen!«
Und, wie ein Mast sich aufwärts richtet,
Nachdem ihn tief gebeugt der Sturm,
So reckt sich er, der Hauptmast, muthig
Und schreitet vorwärts nach dem Thurm;
Er greift nach den geweihten Hostien,
Die dort verwahrt sind im Altar
Und preßt sie in sich, wohlverschlossen
In einem goldnen Reliquar.
Dann, Nerto in's Geleite nehmend,
Verläßt der Papst mit raschem Schritt
Den Saal. Es springt das muntre Windspiel,
Der jungen Herrin folgend, mit.
Die Marmortreppe steigt der Greis
Hinab, den Ausgang zu erreichen,
Und schon bedecken um ihn her
Die Stufen sich mit Blut und Leichen,
Indeß vor ihm, in Hof und Hallen,
Die Krieger auf die Kniee fallen.
Die letzte Stunde sehn sie kommen
Und mitten durch das Sturmgebraus'
Bricht mancher Eisenkopf in Schluchzen,
In Abschiedsruf und Thränen aus.
Den Leib des Herrn am Herzen haltend,
Besteigt der Papst den Mittelwall;
Da, von dem Giebel des Palastes,
Tönt silbern einer Glocke Schall:
Ganz Avignon befällt ein Zittern,
Das Feuer aus den Böllern schweigt,
Und in Erwartung großer Dinge,
Hält Jedermann das Ohr geneigt . . .
Man weiß, daß jene Silberglocke
Dort oben immer nur erbebt,
Wenn neu ein Papst den Stuhl bestiegen
Und wenn sein Geist zum Himmel schwebt.
Auf der Bastei von Avignon,
Die Tiara auf dem Haupte tragend,
Steht Benedict der Dreizehnte
Hoch über Freund' und Feinde ragend:
Sein ganzes Volk scheint, hingekniet,
Sein Beten auf den Papst zu lenken,
Indeß die Heere Boucicauts
Die Stirnen und die Fahnen senken.
Der Oberhirt der Christenheit,
Nach rechts und links die Arme wendend,
Mit lauter Stimme, würdevoll,
Spricht, urbi et orbi Segen spendend:
»Benedicat vor Dominus,
Pater, Filius et Spiritus!«
Vor sich den brennenden Palast,
Volk und Soldaten rings vernahmen
Des Vaters Wort. Sie schluchzten laut
Und weinend riefen Alle: Amen!
Lang noch da oben im Flammenschein,
Aufrecht gegen des Windes Wuth,
Stand auf der steilen Roco de Dom
Pedro von Luna mit stolzem Muth.
Dann, sein betrübtes Antlitz erhebend,
Schlägt er noch einmal den Blick empor
Zu des hohen Avignoneser
Vaticanes gewaltigem Thor.
Der letzte Papst von Avignon
Hüllt sich in seinen Mantel ein,
Von Avignon der letzte Papst,
Bei einer dünnen Kerze Schein,
Die Nerto vor ihm schreitend trägt,
Steigt nieder in den dunklen Schacht,
In seine Schatten taucht er ein
Wie eine Sonne in die Nacht. |