Frederi Mistral
Nerto
Frederi Mistral

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VI.
Der Engel.

                 

Im Morgengrauen wandert Nerto
An einem weiten Wald entlang,
An einem Wald von Silberpappeln
Und Gott geleitet ihren Gang.
Sie will der wölf'schen Welt entfliehen,
Doch ist sie von der Qual der Nacht,
Von so viel Angst und so viel Mühen
Um ihre letzte Kraft gebracht.
Sie ruht ein wenig auf dem Rain
Und heller jetzt beginnt's zu tagen:
Da kniet sie nieder, andachtsvoll,
Um das Gebet des Herrn zu sagen.

Horch! Plötzlich läutet durch den Wald
Ein Glöcklein hell den Morgensegen.
Nerto erhebt sich, neu belebt,
Und geht dem frommen Klang entgegen.
Die Vöglein Alle sind erwacht,
Die Meisen zwitschern in den Zweigen,
Indeß die Tauben, Paar um Paar,
Sich girrend zu einander neigen.
Behutsam schreitet Nerto vor,
Doch nicht mehr scheu und angstbeklommen,
Denn hier im schönen, heitern Wald
Fühlt sie sich freundlich aufgenommen.
Sie ist so einsam auf der Welt
Und so erschöpft vom vielen Weinen,
Daß sie erfreut die Bäume sieht,
Die kosend ihre Stirnen einen;
Des Hochwalds freut sie sich, der lind
Mit Wohlgerüchen sie umgeben
Und dessen Zweige um ihr Haupt
Den Schleier sanfter Ruhe weben.
Die heil'ge Sonne tritt hervor,
Thauperlen hängen rings am Laube
Und alle Knospen stehn erfrischt;
Der Ginster und die wilde Traube,
Der Rosenstock, die bunten Blumen,
Am Abhang rings die Blüthenpracht,
Das Alles ist voll Dank und Wonne
Im lieben Gotteslicht erwacht.

Schön Nerto steigt beim Glockenklange
Zur lichten Höhe sacht hinauf . . .
Da taucht am blauen Himmel plötzlich
Ein kleines Kirchlein vor ihr auf,
Und einen Eremiten sieht sie,
Der abwärts jetzt den Weg betritt;
Die Nonne spricht, ihm näher kommend:
»Gott sei mit Euch!« Der Eremit
Erwidert drauf: »Die heil'ge Jungfrau
Beschere Fried' und Freude Dir!«
»Ach ja,« sagt Nerto, »frommer Bruder,
Wahrhaftig, deß bedarf es hier,
Und das Warum wirst Du verstehn,
Wenn Du erlaubst, daß die Geschichte
Des Unheils, das mir widerfuhr,
Des schrecklichen, ich Dir berichte.«
Der Weißbart mit dem härnen Kleide
Spricht sanft: »Sag' an von Deinem Leide.«

Zwei Steine wählen sie zum Sitz
Und ringsum, wo sie Platz genommen,
Sind Vögelein und Heimchen gleich
Mit Sang und Klang herbeigekommen.
Und sie erzählt den Sündenhandel
Den, ach! ihr Vater einst gemacht,
Den Raub aus Sankt Cesari Kloster,
Der Aliscamp Entsetzensnacht . . .
Sie beichtet weinend wie ein Kind.
»O,« ruft sie, »könntet Ihr mich retten!«
»Der liebe Gott,« erwidert ihr
Der heil'ge Mann, »löst oft die Ketten
Des Höllischen und, uns zu prüfen,
Gibt er ihm grenzenlose Macht,
Doch derer, die im Glauben leben,
Harrt nimmer der Verdammniß Nacht.
Dem reinen Herzen wird der Glaube,
Der Berge hebt, zur Seite stehn
Und Satans Brut, des Frommen spottend,
Muß Hiob triumphiren sehn.
Der Glaube ist von Gott gegeben,
Den Gläubigen verläßt Er nicht,
Er wird ihn rächen und beschützen,
Sofern sein Wandel für ihn spricht.«

»Die Sage geht in diesem Gau
Von einem gottgeweihten, frommen
Apostel der vor grauer Zeit
Zum Predigen hierhergekommen:
Er war ein guter Alter, kränklich,
Gebrochen und dazu noch blind;
Den armen Lichtberaubten führte
Ein junger Bursch, ein Landeskind.
Da gab sich's, daß, nicht fern von hier,
Sie durch die weite Crau gegangen,
Durch unsre kieselreiche Crau,
Von heiterm Sonnenlicht umfangen;
Der Alte aber schritt im Nebel.
So zogen sie den Strand entlang,
Als plötzlich, über ihren Häuptern,
Ein Tosen durch die Lüfte klang.
Der Nordwind war's, von dessen Wüthen
Die öde Fläche widerhallt.
»Was gibt es da? O heil'ge Jungfrau!«
Ruft der Apostel. Und alsbald
Entgegnet ihm der schnöde Führer,
Der ihn zu foppen sich vermißt:
»So viele Leute sah ich selten!
Das Volk aus den AlpinenDie Alpinen (prov. lis Aupiho, lat. Alpilla), Höhenzug in der Gegend von Arles, zwischen Rhone, Durance und Crau. ist
Zu Tausenden herbeigeeilt,
So hört doch, wie sie Euch umrauschen,
Sie sitzen auf den Steinen rings
Und wollen Eurer Predigt lauschen.«
Der Heil'ge reißt die Augen auf,
Die armen, weißen, blinden Augen
Und sucht nach Worten allsogleich,
Die für das Heil der Menge taugen.
Auf seinen Stab gestützt beginnt er
Und mit verklärtem Angesicht
Verkündet er, voll schönen Eifers,
Des Evangeliums Trostbericht.
Er schleudert in die weite Crau
Der Liebe heil'ge Flammenworte,
Er predigt kraftvoll, in den Wind,
Von Gott und seinem Gnadenhorte;
Den Steinen predigt er. Doch sieh!
Des echten Christenglaubens Samen
Wirkt Wunder, denn als er verstummt
Antworten alle Steine: Amen!«

»Sei stark im Glauben! Gott ist groß.
Der Steine kann zum Reden bringen,
Sobald er will, der kann auch Dich
Erretten aus des Satans Schlingen . . .
Jetzt aber, meine Tochter, komm,
Nach meiner Klause laß' uns eilen,
Du bist erschöpft von dieser Nacht
Und mußt mein Frühmahl mit mir theilen!«

Es war des Maimonds letzter Tag.
Die Sonne stieg seit einer Stunde,
Die Leco und den RolandssprungDie Leco und der Rolandssprung (prov. La Leco e lou Saut de Rouland) heißen zwei steile Felsen in der Nähe der Kapelle des hl. Gabriel in den Alpinen.
Und alle Felsen in der Runde
Mit ihrem Glanze übergoldend.
Ein Schlückchen Wasser aus dem Krug
Und Brod, das ist das ganze Gastmahl,
Für eine Nonne reich genug.
Als Nerto dankt, verschließt der Greis
Den Brodrest in die Weidentruhe;
Dann schreiten sie bedächtig fort,
In morgenfrischer Waldesruhe.
Von Gottes Größe reden sie;
Und hatte des Anachoreten
Tiefblickende Beschaulichkeit
Dies heilige Gebiet betreten,
So war es köstlich, ihn zu hören:
Die Wunder kündete er laut,
Mit welchen Gott in seiner Güte
Sein denkendes Geschöpf erbaut:
Der Sterne ungezähltes Heer,
Die unsre Erdenwelt umgeben,
Des Daseins Keime, die sein Wort
Erweckt zu immer neuem Leben.
Ja, köstlich war es, ihm zu lauschen,
Er war ein wahrhaft heil'ger Mann!
So rein und strenge war sein Wandel,
Daß er der Engel Gunst gewann
Und täglich, um die Mittagsstunde,
Bracht' Einer ihm vom Himmel Kunde.

Also, dem kleinen Bach entlang
Lustwandeln langsam Greis und Nonne
In Zwiegesprächen bald, und bald
In frommen Meditirens Wonne.
»Wie sind sie alle wohlgeordnet
Und wie so weise vorbedacht,«
Spricht voll Bewunderung der Alte,
»Die Werke, die der Herr gemacht!
Sieh' diese Mücken, die im Raume
Ein Lichtstrahl liebend läßt entstehn,
Sie leben, um vielleicht am Abend
Desselben Tages zu vergehn;
Und in der kurzen Spanne Zeit
Gibt ihnen ihres Schöpfers Güte
Im Ueberfluß was sie beglückt:
Sie tränkt der Thau aus einer Blüthe,
Sie haben Flüglein, um dem Winde
Zu folgen, der vorüberweht,
Sie dünken sich die Herrn des Bodens,
Des Tageslichtes Majestät
Berauscht sie froh. Mit einem Stachel
Sind sie bewaffnet, für den Feind,
Ja, in dem winzig kleinen Wesen
Ist eine ganze Welt vereint
Und in den Aeuglein spiegelt sich
Das Weltall, zu des Schöpfers Ehre,
Ganz ebenso vollkommen ab
Wie im unendlich weiten Meere!

Der Silberpappeln Kätzchen sieh!
In jedes Körnchens feinster Fuge
Siehst Du ein Flöckchen, das der Wind
Wegträgt, weit über Land, im Fluge . . .
Die Vöglein sammeln diesen Flaum:
Siehst Du, dort oben auf dem Aste
Das Hängemeisen-Nest? Es scheint
Geflochten aus dem feinsten Baste
Und wie mit Sammt ist es gepolstert,
Es sieht sich wie ein Kunstwerk an . . .
Wer lehrte diese Vögel weben?
Hand Gottes, das hast Du gethan!
Hand Gottes, die des Sperlings Brut
Beschützt vor Frost und Sonnenglut!«

»Ach,« seufzte Nerto, »allen Wesen,
Jedwedem Thier in Wald und Flur
Schenkt Gottes Güte eine Zuflucht,
Doch mein Loos ist das Leiden nur;
Ich ganz allein in weiter Welt
Weiß, daß ich Niemand, Niemand habe,
Der mir ein schützend Obdach gibt,
Und wär's auch nur in einem Grabe!
O Du, der eines schimpflichen,
Elenden Todes bist gestorben,
Um auszugleichen, durch Dein Blut,
Was unser sündig Thun verdorben,
Du, großer Retter, der im Geist
Zur Seite seiner Treuen wandelt,
Erbarme Du der Unschuld Dich,
Die ohn' ihr Wissen man verhandelt!
Und wenn mein Leben zur Vergebung
Des armen Vaters dienen kann,
Für den ich Schmerz und Tod nicht fürchte,
So nimm, o Herr! mein Opfer an!«

Mitfühlend ihren herben Schmerz
Und feuchten Aug's bei Nerto's Klagen,
Sprach also der Anachoret:
»Ich darf Dir im Vertrauen sagen,
Daß Gott Dich an der Hand geführt:
Ja, Schwester! Auf, Hosiannah! singe
Und lobe den allmächtigen,
Den großen Ordner aller Dinge,
Denn, wenn zu reden ich geendet,
Weißt Du, daß sich Dein Schicksal wendet!

Dort jene hohen, lichten Pappeln
Mit ihrem Laub, das silberhell
Vom Zweige grüßt, das ist, o Tochter,
Der Hain des heil'gen Gabriel:
O hochgelobtes Taubenhaus,
Wo Engel fliegen ein und aus!
Das Gotteshaus, das hier vom Felsen
Herniederblickt seit alter Zeit,
Von Gras umstanden und Lavendel,
Es ist Sankt Gabriel geweiht,
Dem Cherub, der die Benedeite
Gegrüßt hat . . . Dorten im Portal
Siehst Du sein Antlitz, wie es lächelnd
Hinabgrüßt in das weite Thal:
Des hohen Engels Wunderthaten
Sind eingemeißelt in den Stein;
Sieh, der, dem er die Nahrung zuträgt,
Scheint Daniel, der Prophet, zu sein,
Und den er bei den Haaren festhält
Ist Habakuk: Wie grimmig sehn
Die Löwen, die des Engels Schützling
Mit Zähnefletschen rings umstehn . . .
O schöner Gabriel! Den von Alters
Das Volk zum Wächter sich erkor
Der Pforten unsrer Grand MountagnoLa Grand Mountagno (der große Berg) ist der volksthümliche Name der Alpinenkette. Im Gegensatze dazu wird ein fast parallel laufender niederer Hügelzug zwischen Taraskon und der Durance, la Mountagneto (der kleine Berg) genannt.
(Dort glänzt sie thaubedeckt hervor)
Und jenseits gaben unsre Väter
Die Wache auf der Felsenbank
Der Mountagneto Sankt Michaeli.
Der Beiden Schwerter, hell und blank,
Beschützen mit gekreuztem Stahl
Das ganze weite, schöne Thal.

Seit langen Jahren, meine Tochter,
Bin ich schon hier. – Das Felsgestein
Dient mir als Lager, doch zu weich noch
Kann selbst ein steinern Bette sein,
Denn Narrheit nirgends mehr gedeiht
Als in des Menschen Einsamkeit!
Ich habe Christi Knechtschaft gern
Und freudig auf mein Haupt genommen,
Und erst als ich der Welt entsagt,
Ist Freiheit über mich gekommen.
In diesen Wald schloß ich mich ein,
Dem heil'gen Gabriel hingegeben,
Und seitdem, fünfzig Jahre lang,
Weih' ich ihm ganz mein armes Leben.

O dreimal glücklich wer entsagt!
Der Himmel wird ihn reichlich lohnen,
Er wird auf dieser Erde schon
Im Kreise sel'ger Geister wohnen!

Es war zur Weihnachtszeit, um Mittag,
Mein Eßkorb leer, der Hunger nagt',
Dazu ein Winter wie für Wölfe . . .
Muß ich es sagen? . . Sei's gesagt:
Und Gott verzeih' mir wenn ich prunke!
Ich hatte just mein letztes Brot
Verschenkt, an einen Armen . . . Plötzlich
Färbt sich der Himmel purpurrot;
Es schien ein großer Theil des Waldes,
Nicht weit von hier, in Brand zu stehn.
Als ich mein Angelus geläutet,
Stieg ich bergan, um nachzusehn;
Und wie ich an den Gipfel komme,
Glänzt oben alles flammenhell
Und leuchtend steht vor meinen Augen
Der Fürst der Engel, Gabriel.
Er war so schön, ach, unbeschreiblich!
Und wie er lächelnd auf mich schaut,
Da floß es mir um's Herz wie Balsam
Und golden klang der Stimme Laut:
»Wer betet, muß auch Speise nehmen,
Hier ist für Dich der Engel Brot,
Mit Dir ist Gott für jetzt und immer;
Sieh! Seine Kraft heilt jede Not!«
Drauf, wie ein Stern, war er verschwunden
Und seitdem ist mein Brot geweiht,
Denn täglich bringt, in einem Körbchen,
Ein Engel es zur Mittagszeit . . .
O Gnadenbrot, von Gott beschert,
Bin Dein nicht werth, nicht werth, nicht werth!«

Und einen Stein vom Boden hebend,
Schlägt er damit an seine Brust.
»Jetzt, meine Tochter,« spricht der Alte,
»Sei'n wir der Lehren uns bewußt,
Die unsre Wüstenpatriarchen
Durch frommes Beispiel uns ertheilt,
Laß uns danach den Wandel richten,
Gemeinschaftlich und unverweilt:
Im Geist der Buße wollen wir
Demüth'gen Sinnes uns kasteien,
Mit Fasten, Seufzen werden wir
Uns gänzlich dem Gebete weihen
Zu Gott und Unsrer Lieben Frau;
Und, wie die Vögel hänfnen Samen,
So theilen wir des Himmels Brot
In Eintracht und in Gottes Namen.
Und dann, zu ganz gelegner Stunde,
Und kostet's meinen Weißbart mich,
Will mit Sankt Gabriel ich reden:
Und retten, retten werd' ich Dich!«

Beglückt lauscht Nerto seinem Wort
Und neues Hoffen, neues Leben
Gibt's ihr zurück, wie Lenz und Licht
Der Pflanze neue Blätter geben.
»Mir klopft das Herz,« ruft jetzt der Klausner,
»Wie Sulamiten einst geschah,
So fühl ich des Geweihten Nähe . . .
Ach! ich bin einer Ohnmacht nah!
Die Mücke sticht, der Vogel ruht,
Die Sonne steht im höchsten Zeichen,
Gleich wird die volle Mittagszeit
Das Kloster Mount-Majour erreichen.
Ich geh' zu meiner Glocke schnell,
Den Hügeln und den Thalesgründen,
Den Menschen, Thieren, Wald und Feld
Die eng'lische Begrüßung künden.
Indeß ich läute, geh, mein Kind,
Zur Kirche, Dein Gebet verrichten
Und bitte Gott, des Bösen Saat
Und alles Unheil zu vernichten.«

Das Angelus durchtönt die Luft:
Die Mäher längs dem großen Moore,
Die Fischer an des Weihers Rand,
Die Bauern unterm Scheunenthore,
Die Holzer weit umher im Wald,
Die Treiber auf dem Ochsenpfade,
Die Rossezüchter im Gestüt,
Die Hirten, aufrecht, kerzengrade;
Das Glöcklein hörend wenden Alle
Das Angesicht dem Klange zu,
Sie greifen sachte nach den Mützen
Und strecken sich zur Mittagsruh'.

Der Tag ist still, das Wetter sonnig,
Es geht ein Flimmern durch die Luft,
Der Thymian, die Rosmarine
Kredenzen ihren Blüthenduft
Zum Trank den kleinen Schmetterlingen
Und auf dem glühenden Gestein
Berauscht sich wohlig an der Hitze
Ein feines, grünes Eidechslein.
Zur Sonne steigt ein süßer Duft,
Wie wenn ein Weihrauch sie umfinge,
Die Spiegelung der Luft verschärft
Den Umriß der entfernten Dinge.
Weiß scheint der ganze Horizont
Und blendend ist des Mittags Helle.
Dort aber, auf des Hügels Kamm,
Dicht bei der heiligen Kapelle,
Liegt unser Klausner in Verzückung;
Die Kutte deckt das kahle Haupt,
Das Leben scheint in ihm erstorben
Und nur die Seele wacht und glaubt.
Der Engel spricht mit ihm, der Engel,
Den Keiner außer ihm gesehn;
Er aber sieht die weißen Flügel
Wie Segel durch die Lüfte wehn.

Der Engel fragt ihn: »Wer ist Jene,
Die in Caesari Bußgewand
Und in der Blüthe ihrer Jugend
Dort betet an der Kirchenwand?«
»Es ist ein arm, verlassen Kind,«
Antwortet ihm der Klausner schnelle,
»Das ich zu retten mir gelobt.«
Wie eines Sees krystallne Welle,
Wenn drüber hin ein Wölklein zieht,
Verdüstern sich des Engels Züge:
»Du Handvoll Staubs,« spricht Gabriel,
»Weist Du denn auch, ob zur Genüge,
In Deiner Wüste, Du bekämpft hast
Den, der auf krummen Wegen schleicht?
Du wirst die größte Mühe haben,
Bis Du's für Dich allein erreicht
Und glaubst, Du könnest Andre retten?
O armes Rohr! O armer Thor!«
Und dies gesagt, schwang sich der Engel
Zur lichten Sternenwelt empor.

Der Eremit, halbtodt, steht auf;
Der Schreck verwirrt ihm die Gedanken,
Er ist bestürzt wie nie zuvor
Und seine alten Kniee wanken.
So klettert er den Berg hinab
Und ruft: »O helft mir armem Thoren!
Ihr Heiligen des Himmels, eilt
Zu Hülfe mir, ich bin verloren!
Denn jenes Satansnonnenbild,
Das plötzlich auftaucht aus der Erde,
Es ist, wer weiß, ein Spinngeweb,
In das ich mich verstricken werde.
Ich bin jetzt Siebzig, schwach und krank,
Doch wen läßt Satan ungeschoren?
Je älter, desto besser brennt
Der Strohmann . . . Ach! ich bin verloren!
Dahinter steckt des Teufels List . . .
Und, angenommen auch, die Nonne
Sei, wie sie scheint, ein ehrbar Kind;
Hei! für die Lästrer welche Wonne.
Ein Nönnlein und ein Eremit
Beisammen! Denkt Euch das Getöse,
Das Lachen und den schnöden Spott;
Denn heute ist die Welt zu böse!
O schöner Engel, Du hast Recht;
Ich war ein Dummkopf, ohne Frage,
Ein Thor: Doch selbst der Weiseste
Fehlt siebenmal an einem Tage.«

Als Nerto vom Gebete kehrt,
Sieht sie, erschreckt, den guten Alten
Verwandelt. Und er ruft: »Nun geh!
Ich kann und darf Dich nicht behalten!
Denn der vom Himmel bei mir war,
Bedroht mich streng mit Heilsgefahr!«
»Allmächt'ger, ich Verlassene!«
Begann die Nonne laut zu klagen,
»Wer schützt mich, wenn die Heiligen
Sogar mich von den Thüren jagen!
So muß ich denn zur Hölle gehn! . . .
O böser Traum, so angstbefangen!
Der Abend kommt, was fang' ich an?
Ich sterbe sicher noch vor Bangen!«

»Geh grad aus,« sprach der Eremit,
»Bis an den Waldsaum mußt Du gehen,
Und bist Du dann am Moor vorbei,
So wirst Du Lichter glänzen sehen;
Es ist ein Weiler, heißt Laurado,
Dort heische Obdach, doch gib acht,
Die Hunde könnten sonst Dich beißen;
Und morgen früh, kaum weicht die Nacht,
Nimm Deine Richtung nach den Felsen,
Dort strömt ein reicher Gnadenquell,
Und bete, recht aus Herzensgrunde,
Zur Mutter Gottes vom Kastell,Die Mutter Gottes vom Kastell (prov. Nosto-Damo dou Castèu), Kirche und Wallfahrtsort bei Taraskon an der Rhone.
Die mächtig ist, weit mehr als ich:
Du siehst ihr Haus vom Berge ragen.
Dann, betend, betend immer zu,
Laß' Dich von einem Maulthier tragen
Und zur Abtei von Sankt Cesari
Kehr' wieder, denn, wie Dir bekannt,
Ist eines Klosters heil'ge Regel
Ein ewig unzerreißbar Band . . .
Und Sankt Julian und Sankt Trophim,
Sankt Stephanus und Sankt Firmin,
Sankt Tullius, der in seiner Wüste
Bei Ottern und bei Vipern büßte,
Sankt Gabriel und Sankt Contentus,
Sankt Veredemus und Sankt Gentus,
Sie Alle, mit dem besten Segen,
Geleiten Dich auf Deinen Wegen!«


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