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Die Piraten. – Markus Wenzels Warnung. – Wie Heinrich mit dem Paladin« davonsegelt. – Wie er von Wenzel verfolgt wird. – Frei! – Wie Gehrke und Niklas an Bord kamen. – Wiedervereinigung. – Noch einmal auf der Markusinsel. – Wie Keppen Lüdemann wieder an Bord seines Schiffes kam. – Keppen Rohrpenn von der »Elbe.«
Markus Wenzels Plan, den »Paladin« gründlich überholen und ihn äußerlich so zu verändern, daß er nicht leicht wiedererkannt werden konnte, war ausgeführt worden. Man hatte die Ladung an Land geschafft und in den neuerbauten Schuppen und Lagerräumen untergebracht. Das Schiff selber war auf die Seite niedergehievt, gereinigt und frisch gestrichen worden. Das Matrosenlogis war so vergrößert, daß es nunmehr hundert Mann beherbergen konnte; anstatt der alten Bramstengen waren neue, bedeutend höhere, aufgebracht; dementsprechend hatte man auch die Segel verändert und die Oberreuel ganz abgeschafft, weil sie, nach Wenzels sehr richtiger Ansicht, mehr Umstände verursachten als Nutzen brachten; das laufende Gut und auch das stehende wurde, soweit sich dies tun ließ, nach Marinemuster angebracht; die Deckaufbauten, mit Ausnahme des erhöhten Kampanjedecks, fielen fort; die Schanzkleidung erhielt Kanonenpforten, hinter denen die zwölf Kruppschen Hinterladungsgeschütze aufgestellt wurden. Es war daher nicht zu verwundern, daß Gehrke und Niklas den »Paladin« für ein Kriegsschiff gehalten hatten, als er ihnen wieder zu Gesicht gekommen war.
Alle diese Arbeiten hatten nur eine kurze Zeit in Anspruch genommen, und so war das Schiff bald wieder seeklar. In dem Ballasttrimm, der ihm die höchste Segelgeschwindigkeit gestattete, machte es sich jetzt auf seine erste Piratenfahrt.
Es ist unnötig, diese Expedition des »Paladin« zu schildern und die Abenteuer zu erzählen, die seine Besatzung zu bestehen hatte; es genüge, zu erwähnen, daß der Raubzug sehr erfolgreich war und daß den Seeräubern wertvolle Beute in die Hände fiel.
Wenzels Grundsatz, nur im Notfall Blut zu vergießen, ging bald in die Brüche. Er behielt die Gefangenen, die sich seiner Bande anzuschließen bereit waren, an Bord des »Paladin,« die andern aber setzte er auf der Markusinsel – so hatte er das Eiland genannt, wo er den Hasen für das Schiff gefunden – an Land, wo sie, unter der Fuchtel der dort als »Garnison« zurückgelassenen Piraten, zu schwerer Arbeit gezwungen wurden.
Nicht immer ließen sich die Besatzungen der überfallenen Fahrzeuge widerstandslos zu Gefangenen machen; bei ihrer verzweifelten Gegenwehr floß das Blut in Strömen, und viele mußten ihr Leben lassen. Nach den ersten Mordtaten wurden die weiteren den Mördern leicht, und bald fanden sie es bequemer, die armen Gefangenen einfach niederzustoßen oder über Bord zu werfen, als sie nach der Markusinsel zu bringen. Aus den ehemals so friedlichen Janmaaten waren Dämonen geworden, die vor keinem Verbrechen, vor keiner Schandtat mehr zurückschreckten.
Fräulein Valeska Merk schwebte während der letzten Wochen der Kreuzfahrt täglich und stündlich in größter Gefahr. Dank des Einflusses, den Heinrich Rohrpenn noch immer auf die Bande ausübte, war das arme Mädchen jedoch offenen Drohungen und Beleidigungen bisher entgangen. Gegen das Ende der Reise hatten sich diese Zustände aber so zugespitzt, daß sie die zwingende Notwendigkeit erkannte, sogleich nach der Ankunft im Hafen die Flucht zu ergreifen. Die andauernde fürchterliche Angst hatte sie dahin gebracht, lieber in den Tod zu gehen, als ein solches Leben noch länger zu ertragen.
Endlich lief der »Paladin« in den Hafenkanal ein und ging gegen fünf Uhr nachmittags in dem vordersten Becken der Insel zu Anker. Die Segel wurden hastig und nur oberflächlich festgemacht; von Disziplin war an Bord des »Paladin« schon längst nicht mehr viel vorhanden, trotz Wenzels Bemühungen, sie aufrechtzuerhalten. Die Mannschaft fragte daher auch nicht erst lange um Urlaub, sondern brachte ohne weiteres die Boote zu Wasser und ging an Land.
Wenzel, Heinrich und Valeska konnten in der Gig folgen, wenn sie mochten; sie taten es auch, und so blieb nur der Steward an Bord zurück, um während der Nacht die Ankerwache zu halten.
Als die Gig das Gestade erreichte, hatten sich die Piraten bereits eines Rumfasses bemächtigt, um die glückliche Beendigung des beutereichen Raubzugs in einem wilden Gelage zu feiern Vorerst ergingen sie sich nur in Roheiten und wüstem Lärm; aber noch ehe eine Stunde verging, waren sie in eine Meute trunkener und heulender Desperados verwandelt, reif für jede Untat, die ihnen in den Kopf kommen mochte.
Valeska befand sich um diese Zeit in der Hütte, die auf Heinrichs Betreiben nach der ersten Landung auf der Insel für sie erbaut worden war, um in ihren Sachen zu kramen, und Heinrich war in seinem Zelt auf ähnliche Art beschäftigt, als Markus Wenzel im Vorübergehen hereinschaute.
»Steuermann,« sagte er finster und in übelster Laune, »wenn ich Ihnen raten kann, dann lassen Sie sich heute abend von der verdammten Brut nicht sehen, und sagen Sie das auch dem Fräulein, denn wenn die Schurken einen oder den andern von Ihnen in Sicht kriegen, dann kann leicht was schlimmes passieren, und weder ich noch irgend ein andrer wäre imstande, Ihnen zu Hilfe zu kommen. Die Bestien sind wahnsinnig betrunken und hungern nach Unfug und Teufeleien. Als ich vorhin versuchte, sie zur Ordnung zu bringen, da haben sie mich tatsächlich ausgelacht! Aber wenn ich ihnen morgen beim Überholen der Takelung das Leben nicht sauer mache, dann soll mich der Teufel holen!«
Diese Warnung, verbunden mit dem, was er bereits gesehen und gehört hatte, veranlaßte unsern Freund, sich unverweilt zu Valeska Tür zu begeben und sie herauszurufen. Sie erschien sogleich.
»Soeben war Wenzel bei mir,« begann er hastig. »Die betrunkenen Halunken dort drüben sind nicht mehr zu bändigen und hungern nach Unfug und Teufeleien, sagte er mir. Ich denke, wir tun am besten, auf der Stelle an Bord zurückzukehren. Der Steward und ich gehen Ankerwache und Sie schlafen wie gewöhnlich in Ihrer Kammer.«
Valeska wußte aus Erfahrung, daß sie am besten tat, wenn sie in allen Stücken Heinrichs Rat unbedingt Folge leistete. Sie huschte in die Hütte zurück, löschte das Licht aus, verschloß die Tür und dann eilte sie mit dem jungen Mann auf Umwegen nach der Stelle am Strande, wo die Gig lag.
Heinrich hieß sie einsteigen und sich niedersetzen, stemmte die Schulter gegen den Bug des halb aus das Land gezogenen Fahrzeugs, schob es ins Wasser und schwang sich gleichfalls hinein. Der volle Mond stand hoch am Firmament, und Heinrich war in Furcht, daß man ihn sehen und beobachten könnte. Die Banditen hatten jedoch ein großes Feuer angezündet, um das sie herumsaßen und lagen, und die blendende Flamme verhinderte sie, jenseits des Feuerscheins etwas zu erkennen.
Seit dem Tage der Meuterei hatte Heinrich seinen Fluchtgedanken nicht einen Augenblick aufgegeben, und in der letzten Zeit hatten er und Valeska dabei stets die Schatzhöhle als einzige Zuflucht vor Augen gehabt.
Jetzt aber, als er das stolze Schiff vor sich aufragen sah und sich sagte, daß nur ein Mann es bewachte, und daß dieser Mann ihm freundlich gesinnt war, kam ihm plötzlich eine kühne Idee, und sofort beschloß er, sie auszuführen.
Sie legten an und stiegen die Fallreepsleiter hinauf. Das Deck lag ganz einsam. Der Steward hatte seine Koje aufgesucht und schlief wie eine Ratte, denn bei der mäßigen, aus Nordwesten wehenden Brise war nichts zu fürchten. Er hatte gemeint, daß während der Nacht niemand kommen und mit dem Schiff davongehen würde.
Heinz ging hinunter und rüttelte den gewissenhaften Wächter unsanft wach.
»Steward,« sagte er, »keine Müdigkeit mehr! Und wenn Ihnen die Augen zugefroren sind, dann klappen Sie wenigstens die Ohren auf. Ick heww Se wat wichtiges to vertelln.«
Der Steward fuhr empor.
»O, Se sünd dat, Stüermann!« brummte er. »Ick heww jo gornich slopen. Wat is los? Wat schall ick?«
»Haben Sie mir nicht öfters gesagt, wenn ich von diesem Räuberschiff ablaufen wollte, daß Sie dann gern mitkommen würden?« fragte Heinz.
»Ja, verdammi, dat heww ick seggt!« rief der Mann, »un dat segg ick ok jetzt noch! Ja, wahrhaftig, Stüermann Rohrpenn! Ich hab's mit den Schuften gehalten, weil ich nicht auf einer Insel ausgesetzt werden wollte, wie die Passagiere und Keppen Lüdemann und der junge Gehrke. Ich wußte damals nicht, was mir noch bevorstehen sollte. Ich bin ein friedfertiger Mensch und bitte meinen Herrgott jeden Tag, er möge mich von dieser Mörderbrut befreien.«
»Da kann Rat werden.« sagte Heinrich, »wenn ich nun einen Fluchtplan bereit hätte, der freilich nicht ungefährlich ist und auch viel harte Arbeit erfordert, würden Sie sich mir anschließen?«
»Ob ich das wollte?« rief der Steward, der eilfertig aus der Koje gesprungen war. »Ganz gewiß will ich das, Stüermann Rohrpenn! Stellen Sie mich auf die Probe! Mir ist nichts zu gefährlich und keine Arbeit zu hart, wenn ich Aussicht habe, von dem heulenden Mörderpack da drüben loszukommen! Sehen Sie doch – was haben die Hunde jetzt angerichtet? Sie haben, meiner Seel', des Fräuleins Hütte in Brand gesteckt!«
Heinrich holte das Teleskop aus der Kajüte.
»Wahrhaftig!« rief er, nachdem er das Glas auf die Feuersbrunst gerichtet hatte, deren Flammen zwischen den Baumkronen emporzüngelten. »Doch das kann uns jetzt gleich sein, denn in dieser Nacht fliehen wir – jetzt – auf der Stelle – und ich bin froh, daß Sie mitwollen. Ich will nämlich mit dem Schiff in See gehen.«
»Mit diesem Schiff hier? Stüermann, dat is unmöglich! Dat kregen wi nich farig!« rief der Steward.
»Ich will es unter allen Umständen wenigstens versuchen,« entgegnete Heinrich ruhig. »Ich mache den Klüver los und Sie holen mir während dessen einen Kohlbetel (Meißel) und einen großen Hammer.«
Der Steward ging, ohne noch ein Wort zu sagen, und bald waren beide eifrig dabei, den Bolzen aus dem Schäkel der Ankerkette zu schlagen, welcher der Klüse am nächsten war. Das kostete einige Mühe, aber endlich fiel der Bolzen und die Kette raffelte durch die Klüse hinab in das aufrauschende Wasser.
»Soweit gut,« sagte Heinrich. »Das Schiff treibt jetzt mit der Strömung langsam über Steuer und in den Kanal hinein, und die Brise ist auch günstig, halten Sie durch das Glas scharfen Ausguck nach dem Lande; wenn die Kerle Anstalt machen, uns zu verfolgen, dann heißen wir den Klüver und bringen den Bug herum. Kommen wir durch den Kanal, ohne eingeholt zu werden, dann haben wir nichts mehr zu fürchten.«
Er lief achteraus, stellte sich ans Ruder und hielt des Schiffes Bug gegen das Land gerichtet, so daß es aussah, als läge es noch ruhig vor Anker. Der Steward pflanzte sich auf der Back auf und beobachtete das Land durch das Fernrohr.
Eine Weile ging alles gut; Strömung und Wind trieben das Schiff mit langsam zunehmender Schnelligkeit in den breiten Kanal hinein; dann aber kam des Stewards Alarmruf:
»Stüermann, se kamt achter us an! Ick kann de Remen im Mondlicht blitzen sehen!«
Heinrich drehte das Ruder hart auf und sprang eiligst nach vorn, um unter dem Beistand seines Gefährten den Klüver zu heißen. Das Schiff schwang herum und lag mit der Breitseite gegen den Wind; der Klüver begann zu ziehen und brachte den »Paladin« in Fahrt; jetzt wurde es nötig, daß jemand das Steuer regierte. Unser Freund rannte daher wieder achteraus, rief Valeska an Deck und schickte sie ans Ruder, verhehlte ihr jedoch vorläufig noch, daß sie verfolgt wurden.
Mit Hilfe der Winsch (Winde) heißten sie das Großstengestagsegel und dann setzten sie den Besan. Sie halten jetzt eine feine Backstagsbrise, das Schiff lief mit einer Fahrt von drei Knoten durchs Wasser. Das genügte jedoch Heinrich noch nicht. Sie halten zwar einen guten Vorsprung, auch war anzunehmen, daß die Verfolger zu betrunken waren, um schnell vorwärts zu kommen: allein da war eine Stelle im Kanal, wo das Fahrwasser sich so verengte und die Felswände so hoch waren, daß das Schiff dort auf eine Strecke beinahe allen wind aus den Segeln verlieren mußte. Und hier fürchtete er, eingeholt zu werden.
Sie setzten, als letztes, noch das Großbramstagsegel; mehr Leinwand konnten sie vorläufig nicht bedienen. Jetzt erst fand er Muße, einen Blick durch das Glas achteraus zu tun. was er da sah, war keineswegs ermutigend. Nicht weniger als drei Boote jagten hinter ihnen drein, und das vorderste – eine Gig – kam augenscheinlich näher und näher heran.
»Ich denke, wir holen einige Gewehre aus der Waffenkiste und laden sie,« sagte er zum Steward. »Da wir nun einmal soweit gegangen sind, wollen wir uns auch nicht wieder fangen lassen. Also schnell, Michel« – so hieß der Steward – »so zwanzig Stück Gewehre und einige Patronenpakete.
Die Gewehre wurden sorgfältig geladen, die Hälfte davon in den Waffenständer des Großmastes gestellt und die andre Hälfte nach dem Kampanjedeck geschafft.
Inzwischen war das Schiff in der Enge angelangt; die Segel standen nicht mehr voll und die Fahrt verlangsamte sich. Jetzt fiel aus der Gig, die nur noch eine halbe Meile entfernt war, ein Gewehrschuß, der so gut gezielt war, daß die Kugel über Heinrichs Kopf hinwegpfiff. Er schloß daraus, daß Wenzel selber, der einzige Nüchterne, die Gig kommandiere und den Schuß abgefeuert habe.
Jetzt stellte Heinrich sich selber ans Ruder und schickte Valeska in den Salon hinunter, mit der Weisung, nicht eher wieder an Deck zu kommen, bis nichts mehr zu fürchten sei. Das Feuern wurde jedoch nicht fortgesetzt.
Die Felswände waren jetzt so hoch, daß sie auf beiden Seiten die Toppen wett überragten, und da der Wind dwars über den Kanal hinwehte, befand das Schiff sich beinahe in einer Windstille; wenn nicht ab und zu ein wenig Zugluft von achtern gekommen wäre, dann hätte es alle Fahrt verloren.
Die Gig war jetzt keine Viertelmeile mehr von dem »Paladin« entfernt. Ihre Mannschaft, die sich jetzt ihrer Beute schon sicher wähnte, stieß ein heiseres Gebrüll aus.
Heinrich laschte das Ruder fest, was unter den obwaltenden Umständen ohne Schaden geschehen konnte, und nahm ein Gewehr zur Hand; der Steward tat dasselbe.
»Ich will kein Blut vergießen, wenn ich's irgend vermeiden kann,« sagte Heinrich; »wir wollen also erst im allerletzten Moment schießen, wenn das Boot so nahe herangekommen ist, daß wir Wenzels Augen deutlich erkennen – er sitzt in den Sternschoten, die Jochleinen in der Hand – dann hilft's nicht, dann sind wir gezwungen zu feuern, in Notwehr. Zunächst aber zielen wir auf die Remenleute, damit das Boot nicht langseit kommen kann; denn sonst sind wir verloren – – Vorgesehen, Michel! Wenzel will schießen!«
Der Pirat war aufgestanden und zielte lange und sorgfältig. Dann krachte der Schuß. Die Kugel schlug in die Heckreling, wütend warf er das Gewehr nieder und legte die Hände an den Mund.
»Paladin ahoi!« rief er. »Wenn ihr sofort beidreht, dann schwöre ich euch, daß euch nichts geschehen soll! Dann verzeihe ich euch den verrückten Versuch, mit dem Schiff auszureißen. Aber wehe euch wenn ihr uns zwingt, langseit zu kommen und das Schiff mit Gewalt zu nehmen! Dann werde ich mit euch so verfahren, daß ihr himmelhoch um den Gnadenstoß bitten sollt! Habt ihr mich verstanden?«
»Jetzt kann ich seine Augen erkennen,« sagte Heinrich. »Ich schieße zuerst; sobald der Rauch sich verzogen hat, feuern Sie; halten Sie auf den dicksten Haufen, damit soviel als möglich getroffen werden.«
Er legte an und drückte ab. Dem Knall folgte ein Doppelschrei, und zwei Remen trieben im Wasser. Jetzt feuerte der Steward. Wenzel schnellte empor und stürzte kopfüber auf den Boden des Bootes nieder. Eine wilde Verwirrung entstand unter der Mannschaft und als sie endlich die Verfolgung wieder aufnahm, da hatte der »Paladin« die Enge glücklich hinter sich gelassen und begann wieder etwas Wind in seinen Segeln zu spüren. Er kam von neuem in Fahrt, so daß Heinrich wieder das Ruder wahrnehmen mußte.
Die Banditen in der Gig rojten aus aller Macht, aber auch der Wind frischte auf. Bis auf zehn Meter kroch die Gig an das Schiff heran, aber so sehr die Kerle darin sich auch abmühten, sie gewann keinen Zoll weiter.
Da fiel einem der trunkenen Banditen das Gewehr ein; er hob es auf und lud es mit vieler Mühe; dann richtete er sich schwankend in den Sternschoten auf, versuchte die Waffe gegen das Schiff zu richten und drückte ab. Den Flüchtlingen tat der Schuß keinen Schaden, wohl aber dem Schützen selber; denn der Rückstoß des Gewehrs, im Bunde mit den Dünsten des übermäßig genossenen Rums, nahm dem Mann das ohnehin sehr fragliche Gleichgewicht; er stolperte nach hinten und stürzte unter dem Hohngeschrei seiner Genossen über das Heck des Bootes rücklings ins Wasser.
Ehe sie ihn wieder aufgefischt und an Bord gezogen hatten, verging so viel Zeit, daß eine weitere Verfolgung setzt selbst von der trunkenen Meute als aussichtslos erkannt wurde.
Zehn Minuten später hatte der »Paladin« die Mündung des Kanals erreicht und steuerte hinaus in den weiten blauen Ozean.
*
Das Wetter war herrlich und die sanfte Brise so günstig, als sie nur sein konnte. Heinrich setzte den Kurs auf Südwest zu West, das war die Richtung, die er von der Markusinsel einschlagen mußte, um zu dem Eiland zu gelangen, auf dem Kapitän Lüdemann und Steuermann Gehrke ausgesetzt worden waren.
Nach einer kurzen Beratung mit seinem Schiffsmaaten Michel sprang er die Wanten hinauf und machte die Marssegel los, die dann mit einem gewaltigen Aufwand an Arbeit und mit Hilfe der Winsch und eines Leitblocks vorgeschotet und aufgehißt wurden. Darauf wurden die Raaen vierkant gebraßt, und die Abenteurer hatten nun weiter nichts zu tun, als das Schiff zu steuern, welche Aufgabe Valeska während des größten Teils des Tages gern übernahm, damit ihre Genossen nach den großen Anstrengungen ein wenig ruhen konnten, während der Nacht steuerten Heinrich und der Steward abwechselnd, und um die Mittagzeit des nächsten Tages langten sie vor dem Eiland an.
Sie drehten bei, setzten die Flagge und gaben in kurzen Zwischenräumen Kanonenschüsse ab, in der Hoffnung, daß der alte Schiffer und Gehrke sich blicken lassen würden. Sie warteten lange Stunden, da sie aber nichts wahrnahmen, was auf die Anwesenheit menschlicher Wesen schließen ließ, braßten sie gegen Abend wieder voll und setzten den Kurs auf die Insel der Passagiere, in der Hoffnung, daß es den beiden inzwischen gelungen wäre, sich mit jenen zu vereinigen.
Gegen drei Uhr am nächsten Morgen bekamen sie den hohen Berg auf Eisenlohrs Insel in Sicht; bei Sonnenaufgang befanden sie sich auf der Höhe der nordöstlichen Spitze der Insel, zwei Meilen vom Strande entfernt. Wieder setzten sie die Flagge und feuerten Kanonenschüsse ab, welche letzteren die Flucht der malayischen Seeräuber beschleunigten, wie wir gesehen haben.
Das erste, was sich daher den Blicken unserer Freunde an Bord des »Paladin« zeigte, war die Prahu, die unter allen Segeln aus der Mündung des Seestroms herausgejagt kam, ein Anblick, der die drei mit großer Besorgnis erfüllte, weil sie fürchteten, daß die Passagiere als Gefangene an Bord dieses Fahrzeugs sein könnten.
Schon hatte Heinrich eins der Geschütze scharf geladen, in der Hoffnung, die Prahu entmasten und dadurch ihr Entkommen verhindern zu können, als Valeska und der Steward plötzlich in Freudenrufe ausbrachen, denn vom Lande her kam ein kleiner Prahm auf das Schiff zu und darin saßen alte Bekannte und Schiffsmaaten – der Steuermann Gehrke und der Matrose Niklas.
Heinrich hielt auf das winzige Fahrzeug ab, die Insassen kletterten an Bord, und nach freudigster Begrüßung ging es sogleich an einen ersten kurzen Austausch der gegenseitigen Erlebnisse.
Gehrke lotste den »Paladin« in die Mündung des Seestroms hinein und dann den Meeresarm aufwärts bis zur Feeninsel, wo der Anker in den Grund rasselte. Das Erstaunen und die Freude der Bewohner des Forts beim Erscheinen des stolzen Dreimasters, an dessen Gaffel die deutsche Flagge wehte, waren grenzenlos; alle eilten zum Strande, und als sie hier erkannten, was für ein Schiff sie vor sich hatten, da wurden sie von ihrem Glück fast überwältigt.
Die vier Mann an Bord machten die Segel fest, hingen für Valeska die Fallreepstreppe über die Seite, und dann begaben sich alle in dem kleinen Prahm an Land.
Die Szene des Wiedersehens sich auszumalen müssen wir der Phantasie der Leser überlassen; nur ein dunkler Schatten fiel in den Sonnenschein des Glücks – der Verlust des armen Kapitän Lüdemann, den Heinrich Rohrpenn ganz besonders schwer empfand, da er, seit er mit dem Schiffe den Meuterern glücklich entronnen war, sich kindlich auf den Moment gefreut hatte, wo er imstande sein würde, den »Paladin« seinem rechtmäßigen Kommandanten wieder übergeben zu können.
Der ganze Tag verging unter den Erzählungen und Berichten alles dessen, was man erlebt, erfahren und gelitten und auch was man geschafft und errungen und woran man Freude gehabt hatte. Eine besondre Beredsamkeit entwickelte Heinrich, als er auf die von ihm in der Höhle auf der Markusinsel entdeckten Schätze zu sprechen kam; alles lauschte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit, und nachdem er die mitgebrachten Perlen und Edelsteine vorgewiesen, herrschte nur eine Meinung darüber, daß man solche Reichtümer nicht ohne weiteres im Stich lassen dürfe.
Die Frage, wie man sich derselben bemächtigen konnte, war für Heinrich erledigt, sobald er die »Hammonia« auf der Helling gesehen hatte. Er schlug vor, das kleine Schiffchen ohne Zögern zu vollenden und ablaufen zu lassen; inzwischen sollten alle, die dabei nichts zu tun hatten, ihre Habseligkeiten an Bord des »Paladin« schaffen und sich auch selber dorthin verfügen. Er und Gehrke wollten dann mit dem Kutter nach der Markusinsel segeln, den rechten Moment abpassen, im Dunkel der Nacht in den Hafen einlaufen, die Schätze an Bord schaffen und am Morgen wieder auf und davongehen, ehe noch die Piraten Wind von ihrer Anwesenheit bekommen konnten.
Eisenlohr und alle andern waren damit einverstanden; man machte sich mit solchem Eifer an die Arbeit, daß der Kutter bereits am folgenden Sonnabend vom Stapel gelassen werden konnte. Beim Probesegeln bewährte das kleine Fahrzeug sich über Erwarten gut. Proviant, Wasser und alles, was sonst noch nötig war, wurde an Bord geschafft, und am Montag früh ging die »Hammonia« nach der Markusinsel in See, mit Heinrich als Kapitän, Gehrke als Steuermann und Michel als Koch, Steward und Mannschaft, alles in einer Person.
Der Kurs war Ostnordost, die zurückzulegende Entfernung betrug dreihundert Meilen. Man hatte ausgerechnet, daß die Hin- und Rückfahrt etwa eine Woche dauern könnte. Allein der Kutter segelte bei der frischen und stetigen Brise so schnell, daß das hohe Land der Insel der Besatzung desselben bereits am Mittwoch in Sicht kam.
Aber sehr bald gewahrten die Abenteurer noch etwas andres: eine Flottille von fünf Segelbooten zu Luwart von sich, rechts zwischen der Insel und dem Kutter. Anfänglich wußten sie nicht, was sie aus diesen Fahrzeugen machen sollten, als sie denselben aber näherkamen, fand Heinrich des Rätsels Lösung – die Flottille bestand aus den Booten des »Paladin«.
»Die Schurken haben Angst gekriegt«, sagte Michel. »Sie fürchteten sicher, daß wir ihnen ein Kriegsschiff auf den Hals schicken würden, was wir bei erster Gelegenheit auch getan hätten.«
»Gewiß« sagte Heinrich; »und jetzt sind sie ohne Zweifel darauf aus, das erste ihnen begegnende Schiff, das sie überwältigen zu können meinen, zu überfallen und zu nehmen, als Ersatz für den »Paladin«. Schade, daß wir kein Geschütz an Bord genommen haben.«
Sobald die Piraten den Kutter gesichtet hatten, begannen sie eifrig Notsignale zu machen, woraus Heinrich ganz ruhig aufluvte und sich von ihnen entfernte. Sogleich nahmen sie die Jagd auf, aber sie hätten ebensogut die Seevögel verfolgen können, die unter dem Firmament dahinschossen. Eine Stunde lang versuchten sie vergeblich, der »Hammonia« näher zu kommen, dann gaben sie's auf und waren bald am westlichen Horizont verschwunden.
Es mag hier gleich erwähnt werden, daß man von diesen Seeräubern nie wieder etwas gehört oder gesehen hat.
Am Mittag desselben Tages lief der Kutter in den Hasen der Insel ein. Heinrich legte ihn in der Nähe der Treppe und direkt unterhalb des Felsenhanges, auf dessen Höhe sich die Höhle befand, fest.
Die Einnahme der kostbaren Ladung ging schnell vonstatten. Die Krüge mit dem Goldstaub und die ziegelförmigen Goldklumpen wurden mit Leinen zum Kutter hinabgelassen, wo Gehrke alles in Empfang nahm; denselben Weg machte auch der Ballen mit den prachtvollen Zeugstoffen, an denen Valeska soviel Gefallen gefunden hatte. Der Kasten mit dem Rest der Juwelen und Perlen wurde gleichfalls nicht vergessen, ebensowenig einige der Schilde und Speere, soweit der Zahn der Zeit die letzteren noch transportfähig gelassen hatte. Nach Ansicht des Ingenieurs und des Doktors mußten diese Waffenstücke einen großen völkergeschichtlichen Wert haben, und deshalb wünschten sie einige davon zu besitzen.
Das Elfenbein und die sonstigen schweren Gegenstände ließen sie zurück für diejenigen, die nach ihnen einmal die Höhle auffinden würden.
Nach Ablauf von drei Stunden war alles an Bord des Kutters geschafft. Sechsunddreißig Stunden später, am Freitag Morgen um sechs Uhr, ließ die »Hammonia« bei der Feeninsel den Anker fallen; das Gerassel der Kette wurde begrüßt von einem lauten Willkommruf des braven Niklas, der sozusagen die Ankerwacht an Bord des Eilandes hielt. Alle andern hatten sich auf dem »Paladin« bereits wieder häuslich eingerichtet.
Da die Besatzung des »Paladin« viel zu minderzählig war, um auch die »Hammonia« mit auf die Heimfahrt nehmen zu können, brachte man die letztere in eine geschützte kleine Bucht der Feeninsel und deckte sie mit einem festen und dichten Dach von Palmenblättern zu, um sie gegen die Einflüsse der Witterung zu schützen.
Man dachte dabei an andre Unglückliche, die, hierher verschlagen, in dem Kutter ein willkommenes Mittel zur Rettung finden würden. Vielleicht liegt das kleine Schiffchen noch heute dort.
Das war das letzte Werk, was unsre Freunde auf der Insel ihrer Verbannung verrichteten.
Nach einer kurzen aber mühseligen Fahrt langte der »Paladin« in dem nächsten Hafen, Batavia, an. Hier wurde die Mannschaft vervollständigt; die Reeder in Hamburg erhielten ein Telegramm; die Passagiere sandten an ihre Angehörigen Briefe ab, dasselbe taten Heinrich und Gehrke, und dann ging der »Paladin« nach Hamburg in See. –
An einem schönen Maitage, beinahe zwei Jahre nach seinem ersten Auslaufen, wurde der »Paladin« von einem kleinen Schleppdampfer wieder die Elbe hinaufgebracht. Da er nur die Ladung an Bord hatte, die von dem Raube seiner ersten und letzten Piratenfahrt herstammte, hatte der Schlepper leichte Arbeit mit ihm. Unweit von Stade lief er einer schwerfälligen Bark auf, die tiefgeladen war und mit der ein ganz winzig kleiner Schlepper sich gegen die Ebbströmung anquälte.
Auf dem Achterdeck dieser Bark stand neben deren Kapitän und dem Lotsen ein untersetzter, stämmiger Seemann mit ergrautem Haar und Bart. Als dieser den »Paladin« erblickte, packte er abwechselnd den Kapitän und den Lotsen beim Arm und wies mit allen Zeichen größter Aufregung zu dem langsam herangleitenden Schiffe hinüber. Plötzlich rannte er zum Fallreep, sprang in ein unterhalb desselben schleppendes Boot und befahl den darin sitzenden Leuten in gebieterischem Ton, ihn langseit des Schiffes zu bringen.
Die Männer gehorchten; die Entfernung zwischen den Fahrzeugen war nur gering, und nach kaum einer Minute gröhlte eine unsern Freunden wohlbekannte Stimme:
»Paladin« ahoi! Hievt uns 'ne Leine und nehmt euern Kapitän an Bord!«
Mit lautem Freudengeschrei eilten die Alten des »Paladin« an die Reeling; die Leine wurde geworfen, das Boot schor langseit, und nach einer halben Minute stand Keppen Lüdemann lebendig, munter und gesund und so vergnügt wie nur je zuvor wieder auf seinem eigenen Kampanjedeck und drückte allen, die ihm in den Griff kamen und die ihn längst totgeglaubt hatten, aus Leibeskräften die Hände, wobei ihm die hellen Tränen in den Bart liefen.
Er hatte sehr viel zu erzählen, wir wollen jedoch seine Geschichte hier nur in kurzen Worten wiedergeben.
Das Pontonfloß hatte gegen alle Erwartung zusammengehalten und den furchtbaren Orkan überstanden, der es weit nach Süden verschlug und zuletzt auf einem kleinen Felseneiland stranden ließ.
Hier hatte der Schiffer viele Leiden und Entbehrungen auszustehen, bis er endlich von einem Südseehändler, der Sandelholz von den Inseln holte, gerettet und nach Singapore gebracht wurde.
Das Glück wollte es, daß eine Hamburger Bark in diesem Hafen lag, deren Kapitän ihm bekannt war. Der nahm ihn mit Freuden als Passagier an Bord auf und führte ihn mit sich in die Heimat, wo der »Paladin« zufällig fast zur selben Stunde in die Elbe einlief wie die Bark.
Die Art, wie Heinrich die Piraten überlistet und ihnen das Schiff wieder weggenommen hatte, erfüllte ihn mit Entzücken und Stolz, und als er vernahm, wie tapfer sich Valeska in all den schrecklichen Nöten, denen sie ausgesetzt gewesen, bewiesen hatte, da fand er kaum Worte für seine Bewunderung und Teilnahme.
Mit größtem Interesse lauschte er den Berichten des Ingenieurs und des Doktors, auch den Erzählungen der Damen und dem Geplauder der Kinder, und als er in den Hauptsachen alles wußte, sagte er:
»Ich habe das Schiff verloren, das ist wahr; aber, Gott sei Dank, trotzdem kann ich jetzt vor meine Reeder hintreten und sagen: Hier ist Ihr Schiff, in so gutem Zustande, wie es war, als Sie es mir anvertrauten; und wenn ich es auch nicht gewesen bin, der es den Meuterern und Piraten wieder abgenommen hat, so hat das doch ein junger Mann getan, der unter meiner Leitung der beste Seemann geworden ist, den man sich denken kann, un dat is denn ok woll ebenso good, as hadd ick dat sülben dahn.«
*
Wie die meisten Seeleute, so war auch Heinrich Rohrpenn freigebig und edelmütig bis zur Selbstlosigkeit – weltkluge Leute würden eine andre Bezeichnung für solche Eigenschaften finden. Wenn der Ingenieur und der Doktor in ihrem herzlichen Wohlwollen für unsern jungen Freund, dem sie so großen Dank schuldeten, ihm nicht sehr ernstliche Verhaltungen gemacht und auch den alten Adam Rohrpenn zu ihrem Beistand herbeigezogen hätten, dann wäre von den Schätzen aus der Felsenhöhle aus der Markusinsel nicht allzuviel in seinen Händen geblieben.
Seine Schiffsmaaten, besonders der Steward Michel und Robert Gehrke, wurden überreichlich von ihm bedacht, dann aber übernahm Keppen Adam die Verwaltung des Vermögens seines Sohnes.
Dieser machte unter Kapitän Lüdemann noch einige Reisen als Steuermann an Bord des »Paladin«; aber schon nach Jahresfrist setzte der Schiffer sich zur Ruhe und zog zu seinem alten Freunde nach Neumühlen. Das Häuschen und das Gärtchen davor boten Raum genug für die beiden abgetakelten Seefahrer.
Sein Nachfolger wurde Heinrich Rohrpenn, der inzwischen das Schifferpatent für große Fahrt erworben hatte. Er machte mit dem »Paladin« eine Reise nach dem Mittelmeer und zurück und übernahm dann die Führung des großen viermastigen Vollschiffes »Elbe«, das er sich aus eigene Rechnung hatte erbauen lassen. Sein Obersteuermann wurde Robert Gehrke, der auch bereits den Bau des Schiffes überwacht hatte.
Die erste Reise der »Elbe« ging über Valparaisa nach Sydney, Hongkong, Kapstadt und Lissabon, also rund um die Welt. An Bord befanden sich keine Passagiere, wohl aber Keppen Rohrpenns junge Gattin.
Auch hier stand sie bei gutem Wetter zuweilen am Ruder und lenkte den gewaltigen Koloß mit einem leichten Druck ihrer kleinen Hand.
Der Leser ist mit Frau Kapitän Rohrpenn längst bekannt: an Bord des »Paladin« führte sie noch den Namen Valeska Merk.