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Viertes Kapitel.

Warum Fräulein Valeska sich über Bord stürzen will. – Niklas desertiert. – Die Aussetzung Keppen Lüdemanns und Gehrkes. – Im Hafen. – Ein Schlangenabenteuer. – Was Heinrich und Valeska in der Felsenhöhle fanden. – Verschollen.

 

Als Valeska gehört hatte, wie der Rädelsführer der Meuterer den Booten zurief, vom Schiffe abzustoßen, war sie auf das Fallreep zugestürzt, fest entschlossen, sich lieber in die See zu werfen, als allein und unbeschützt unter den wilden Gesellen an Bord zurückzubleiben. Aber so flink sie war, Wenzel kam ihr dennoch zuvor.

»Halt, mein Fräulein!« rief er und schlang die Arme um sie, »das lassen Sie nur hübsch bleiben! Ins Wasser springen wollen Sie? Daraus kann nichts werden. Sie bleiben bei uns, ergeben Sie sich also nur ruhig in Ihr Schicksal. – Dunnerschlag, wie die Lütte sich wehrt! Dat helpt di all nix – seien Sie vernünftig, Fräulein Merk, und hören Sie, was ich Ihnen sagen will.«

Valeska aber war ganz außer sich; sie rang und stieß und schlug wie eine Amazone, bis sie endlich ganz atemlos und erschöpft war und notgedrungen jeden Widerstand aufgeben mußte.

»So ist's recht, Fräuleinchen,« sagte Wenzel grinsend, »das hätten Sie sich ersparen können. Die Boote sind schon weit weg, und im Wasser da unten kreuzen mindestens sechs oder acht Haie; die lauerten schon auf Sie und hätten nichts von Ihnen übriggelassen.«

»Lieber will ich von den Haien gefressen werden, als in der Gewalt solcher Schurken bleiben, wie Sie und Ihre Raubgenossen sind!« rief das Mädchen und versuchte noch einmal, sich loszureißen.

Wenzel aber hatte sie bald wieder gebändigt.

»Verdammi!« rief er. »Kurasche haben Sie, das muß man Ihnen lassen! Äwer nu is dat genug; nu hören Se up mit dat rangeln un kratzen, gegen mi könt Se doch nix utrichten. Gewen Se sick –«

Er unterbrach sich und ließ die junge Dame los, denn er sah Heinrich Rohrpenn schnellen Schrittes herbeikommen.

»Was soll das?« rief dieser ihm zu. »Wie können Sie sich unterstehen, Hand an das Fräulein zu legen? Nennen Sie das Ihr mir gegebenes Wort halten?«

»Gewiß tue ich das,« entgegnete Wenzel. »Ich wollte sie nicht ins Wasser springen lassen, und dagegen hat sie sich gewehrt. Jetzt gebe ich sie in Ihre Obhut, Heinz; mit Ihnen wird sie sich besser vertragen, als mit mir. Versuchen Sie, ihr klarzumachen, dass es bei uns hier an Bord doch noch besser ist, als da unten bei den Haien.

»Und was mein Versprechen anlangt, so habe ich das gehalten, so gut ich konnte. Seit wir so frei gewesen sind, uns das Schiff anzueignen, sind Ihre Freunde, die Passagiere, genau so anständig behandelt worden, wie vorher, wir haben drei volle Wochen geopfert auf der Suche nach einem passenden Eiland für sie, bis wir endlich eins fanden, das geradezu ein Paradies ist. Und mit der Ausstattung, die ich ihnen heute mitgegeben habe, kann doch wahrlich jeder zufrieden sein! Sie aber sind trotzalledem nicht zufrieden, wie's scheint.«

»Nein, ganz gewiß nicht,« entgegnete Heinrich. »Diese Dame gehörte zu den Passagieren und war selbstverständlich in unser Abkommen mit einbegriffen. Trotzdem haben Sie sie gewaltsam und als Gefangene hier an Bord zurückgehalten.«

»Hören Sie, Heinz, je weniger wir davon reden, desto besser wird's sein,« versetzte Wenzel. »Ich hätte Fräulein Merk ohne jede Frage mit den andern an Land geschickt. Da aber kam heute morgen plötzlich die Insel in Sicht, die kein Mensch erwartet hatte. Behaupteten Sie doch erst noch gestern abend, daß wir Hunderte von Meilen offenes Wasser vor uns hätten. Ist das nicht so?«

Heinrich nickte.

»Na sehen Sie,« fuhr Wenzel fort. »Da wurden wir stutzig, hielten einen Rat und beschlossen, einen der Passagiere an Bord zu behalten, als Bürgen dafür, dass Sie ehrlich an uns handeln und nicht hinterlistig und falsch.«

»Natürlich,« sagte Heinrich bitter, »solche Leute wie Sie sind immer mißtrauisch.

»Die Insel, mein Junge, die Insel, wo offenes Wasser sein sollte! Mußten wir da nicht auf allerlei Gedanken kommen? Genug, wir brauchten also eine Geisel, einen Bürgen. Die Eheleute wollten wir jedoch nicht voneinander trennen, auch nicht die Kinder von den Eltern; es blieb uns daher niemand anders übrig, als das Fräulein!«

Inzwischen hatte sich eine Anzahl Matrosen um die kleine Gruppe versammelt, die mit anhören wollten, was da geredet wurde.

»Wir haben hier an Bord keine Geheimnisse voreinander, Schiffsmaaten,« sagte Wenzel zu diesen, »und so wißt ihr auch, daß Heinrich Rohrpenn nicht freiwillig bei uns geblieben ist, sondern weil wir jemand haben müssen, der Navigation versteht.«

»Dat weten wi,« erwiderte einer der Matrosen.

»Good,« sagte Wenzel. »Ick kenn em aber; wenn he de Gelegenheit finn doon deit, uns en legen Streich to speelen un uns' Plan to verdarwen, dennso nimmt he düsse Gelegenheit fortsens wahr, dat is ganz gewiß, un wenn he uns ok teinmal sin Word gewen harr. So lang aber dit Mäten an Bord is, ward he sin Schülligkeit doon, denn deit he dat nich – passen Sie auf, Heinz – denn setten wi de Deern in de Joll' ut un laten se driwen. Hewwen Se dat hört, Heinz? Na, dennso weten Se ja nu Bescheid.

»Un nu noch en Wurd to ji, Schippmaten. Wer die junge Dame beleidigen tut, wer ihr auch nur schief ansehn tut, der muß sterben, dem schieß ich auf der Stelle eine Kugel durch den Kopp! Merkt euch dat un richtet euch danach.«

»Noch einen Augenblick!« rief Heinrich, als die Leute sich anschickten, auseinander zu gehen. »Wenzel sagt, daß das Fräulein nur meinetwegen gefangen gehalten werden soll. Ich bin bereit, den schwersten Eid darauf abzulegen, jeden Eid, den ihr verlangt, daß ich das Schiff nach bestem Wissen führen will, wohin ihr beschließt, und an Bord bleiben will ich, solange ihr mich haben wollt, aber das alles unter der Bedingung, daß ihr Fräulein Merk sogleich zu ihren Freunden und verwandten an Land schickt.«

»Das können und dürfen wir nicht, Heinz,« entgegnete Wenzel. »Jetzt ist es dir ernst mit dem was du sagst, wenn aber die Versuchung kommt, uns zu verraten, und sie wird kommen, dann wirst du ihr nicht widerstehen können. Nee, min Jung, de Deern bliwwt an Bord.«

Jetzt nahm Valeska das Wort.

»Demütigen Sie sich nicht noch mehr vor diesen Leuten, Herr Rohrpenn,« sagte sie, »es wäre vergebens, und sorgen Sie sich nicht um mich; Gott wird mich beschützen.«

Damit ging sie achteraus und verschwand in ihrer Kammer.

Finster und in sich gekehrt schritt Heinrich eine Weile an Deck auf und ab, dann stellte er sich an die Reling und schaute verloren über die See hinaus.

Wenzel saß bei den Kreuzwanten auf der Reling und sah nach der Insel hinüber. Die Boote waren halb auf den Strand gezogen, auf dem Dollbord eines jeden saß ein Matrose als Wächter, aber von den übrigen Leuten war nichts zu sehen. Der Meuterer zerbrach sich verdrossen den Kopf darüber, wo sie wohl stecken mochten.

»Töw man!« brummte er grimmig. »Kommt mi man an Bord, dunn war ick ji wat vertelln!«

Als nach Verlauf einer weiteren Viertelstunde die Boote noch immer verlassen aus dem Strande lagen, gab er Befehl, aus den Signalkanonen einige Schüsse abzufeuern; aber mehr als ein Dutzend Patronen mutzte verknallt werden, ehe die Matrosen aus dem Walde kamen und zu den Booten hinunterrannten, und nach etwa zwanzig Minuten standen die beiden Bootsführer vor ihrem erzürnten Oberhaupt auf dem Achterdeck.

»Wat hewwt ji so lang an Land to söken hadd, Backhaus, un du, Martin?« schnaubte Wenzel sie an. »Seid wohl ein bißchen im schönen grünen Wald spazieren gegangen, während alle Mann hier auf euch lauerten? Nehmt die Boote an Bord und dann braßt voll; wir müssen machen, daß wir hier fortkommen.«

»Sachte, Kaptein,« entgegnete Backhaus; »ich hab dich wat to vertelln, wat dich nich angenehm sein wird. Ein von uns' Lüd is an Land utneiht, desentiert; wir sind achter ein an gewesen, haben ihm überall gesucht, aber nirgends nich gefunden. Dorum sün wi so lang wegblewen.«

»Wer ist der Halunke?« fragte Wenzel.

»Niklas is dat,« antwortete Backhaus, »der die Bewachung von Keppen Lüdemann hadd het.«

»So, also der!« knirschte Wenzel wütend. »Den müssen wir wiederhaben. Nehmt eure Bootsmannschaften, gebt jedem ein Gewehr und ein Dutzend Kugelpatronen und dann wieder fort an Land. Jagt hinter dem Hund her und schafft ihn mir an Bord, tot oder lebendig! Ich gehe mit dem Schiff zu Anker und warte auf euch, und solltet ihr auch eine ganze Woche wegbleiben!«

»So lange soll dat nich dauern.« lachte Backhaus, »den fangen wir heute noch! Kommt, Maaten!« rief er seinen Leuten zu, »holt euch de Gewehren un de Munitschon! Alle Dag giwwt dat nich so'n Spaß as 'ne Menschenjagd!«

Die Leute waren aus den Booten an Deck gekommen und hatten die zwischen Wenzel und Backhaus gewechselten Reden mit angehört; sie schienen jedoch ganz anders über die Sache zu denken, als der letztere, und keiner machte Miene, der jovialen Aufforderung desselben Folge zu leisten.

»Zum Deubel!« rief Backhaus endlich erstaunt, »wat – wat is dat mit ju? Wollt ji –«

Er wurde von einem der Matrosen unterbrochen.

»Sök di en annern ut an min Städ,« sagte der Mann. »Ick verstah mi nich up de Menschenjagd.«

»Ick ok nich,« stimmte ein andrer bei, »un ick heww ok gor keen Lust dorto.«

Die übrigen drückten sich in demselben Sinne aus.

Jetzt kam Wenzel in hellem Zorn herbei und packte einen der Männer beim Kragen.

»Also du willst nicht, sagst du, du willst nicht?«

»Nee, Maat, ick wull nich,« antwortete der Mann, »hest dat nich hört? Un nu lat mi los, ick segg di dat in gooden; makst du mi fünsch, dennso geit di dat slecht!«

Wenzel wurde leichenblaß vor Wut, war aber doch klug genug, seine Hand von des Mannes Kragen zu nehmen und vorsichtig einige Schritte zurückzutreten.

»Was soll das heißen, Schiffsmaaten?« rief er dann, »Wollt ihr meutern, ehe unsre Kreuzfahrt noch begonnen hat?«

Ein lautes Gelächter antwortete ihm.

»Meutern, seggst du, Keppen Markus?« sagte der Mann, der zuletzt geredet hatte. »Minentwegen kannst du dat jo ok so nennen. Äwersten ick gah up keen Menschenjagd nich; dorvon is keen Red nich wesen, as du us besnacken dedst, mit di up Seerow to gahn. Un wenn Niklas desentieren will, denn lat em, denn mag em dat woll hier an Bord nich gefallen hewwen.«

»Dat segg ick ok,« sagte ein andrer der Männer. »Un gefallen het em dat hier nich, dat heww ick em oft genog ansehn. Lat em lopen, worhen he Lust het.«

Da die Mehrzahl der Leute derselben Meinung war, machte Wenzel gute Miene zum bösen Spiel.

»Wie ihr wollt, Maaten,« sagte er ruhig. »Ich dachte nur an euch, denn ihr habt jetzt die Arbeit des davongelaufenen Kerls mitzutun. Bringt die Boote binnenbords und braßt die Raaen vierkant! Laß die Mars- und Bram-Leesegel setzen, Backhaus!«

Die Kommandos wurden prompt und schnell ausgeführt; eine auffrischende Brise füllte die Segel des vor dem Winde über die bewegte See davonrauschenden Schiffes, und nach zwei Stunden lag die Insel so weit hinter ihm, daß eine Landratte sie für eine am Horizont schwebende graue Wolke gehalten hätte.

Während des ganzen Tages wurde das Schiff auf östlichem Kurse gehalten; bei Sonnenuntergang hatte es eine Strecke von siebzig Meilen zurückgelegt. Auf Heinrichs Verlangen wurden jetzt die Segel gekürzt; er berief sich auf das Erlebnis am Morgen und hielt die größte Vorsicht beim Befahren dieser nur erst zum Teil bekannten See für unerläßlich.

»Ja ja,« sagte Wenzel grinsend zu Backhaus, »dat kommt dorvon, weil de Deern an Bord is. Wir werden jetzt nicht so leicht wieder über Inseln stolpern.«

Es stellte sich bald heraus, daß Heinrichs Vorsorglichkeit sehr angebracht gewesen war. Gegen Mitternacht meldete der Ausguck Brandung voraus, und das Schiff konnte gerade noch mit knapper Not in den Wind gebracht werden und so einer Katastrophe entgehen.

Da in der Dunkelheit nicht zu erkennen war, ob jenseits der Brandung Land lag, auch nicht, wie weit die Klippen sich nach beiden Seiten erstreckten, ließ Wenzel alle Leinwand bis auf die nötigsten Segel fortnehmen, dann eine Strecke südwärts steuern und das Schiff beidrehen, um so den Tagesanbruch zu erwarten.

Bei Sonnenaufgang wurde eine kleine Insel sichtbar, an deren Gestade eine hohe Brandung stand. Wenzel ließ darauf abhalten und in einiger Entfernung vom Lande backbrassen.

»Was meinen Sie, Heinz,« sagte er, als er neben seinem jungen Segelmeister auf dem Kampanjedeck stand und mit diesem das Land betrachtete, »würde das nicht ein ganz netter Aufenthalt für den alten Lüdemann sein?«

»Ja,« antwortete Heinrich, »ich meine, einen passenderen könnten wir kaum finden.«

Er war innerlich erfreut über die Aussicht, den Kapitän so nahe jener andern Insel an Land gesetzt zu sehen.

»Auf dem Eiland da könnten hundert Menschen ihr Leben fristen, wenn es darauf ankäme,« fuhr er fort. »Es liegt weit abseits von allen Fahrstraßen, und ich glaube sicher, daß wir auf seiner Leeseite ruhiges Wasser und einen Ort zum Landen finden werden.«

»Das glaube ich auch,« sagte Wenzel, »Wir wollen um jene Huk herumsegeln, dann können wir die Leeküste übersehen. Sagen Sie inzwischen Keppen Lüdemann und auch dem jungen Gehrke Bescheid, sie sollen sich bereit halten, das Schiff zu verlassen – denn ich denke, sie beide hier an Land zu setzen. Auch können Sie allerlei Kramstücken heraussuchen, die wir ihnen, außer ihren eigenen Sachen, mitgeben wollen. Wir empfinden keine persönliche Feindschaft gegen sie, und es wird uns später eine Befriedigung sein, sagen zu können, daß wir sie mit allem Nötigen ausgerüstet hatten.«

Heinrich eilte davon.

Der Kapitän und sein Leidensgefährte wurden, wie der Leser sich erinnern wird, in einer Kammer des vorderen Deckhauses gefangen gehalten. Die in einem Falz laufende Tür war von außen durch eine Klampe und einen Pflock verschlossen. Heinrich entfernte beides und trat ein, aber sogleich prallte er wieder zurück.

Die Gefangenen saßen einander gegenüber an einem kleinen Tisch, ihre Füße in Eisen. Man hatte sie nicht vernachlässigt, das war ihnen selber und ihrer Kleidung anzusehen; Heinrichs Erschrecken wurde durch den Anblick verursacht, den des alten Schiffers Antlitz darbot.

Der Mann schien um zwanzig Jahre gealtert zu sein, seit er ihn zuletzt gesehen; sein Haar war fast weiß geworden und sein Körper zum Skelett abgemagert; er sah aus wie ein Achtziger.

Bei Heinrichs Eintritt waren beide Gefangene aufgestanden, Keppen Lüdemann streckte ihm die Hand entgegen und sagte:

»Endlich – endlich! Ich wußte, daß Heinz Rohrpenn mir treu bleiben würde – habe ich das nicht immer gesagt, Gehrke? Und jetzt kommt er und bringt uns gute Nachricht, das sehe ich seinem Gesicht an! Was ist's, Heinz? Raus damit! Laß uns nicht lange drauf warten!«

Das sehnende Hoffen, das aus des alten Mannes Worten klang, gab Heinrich einen Stich ins Herz; er mußte jedoch seinen Auftrag ausrichten und bemühte sich, es so schonend als möglich zu tun.

»Ich bringe eine Nachricht, die sich hoffentlich bald als eine gute erweisen wird,« sagte er. »Das Schiff ist noch in den Händen der Meuterer, die Passagiere sind auf einer Insel ausgesetzt, alle, mit Ausnahme von Fräulein Merk. Mich hat Wenzel hergeschickt, Sie aufzufordern, sich fertig zu machen, auf jener Insel an Land zu gehen, die Sie dort durch das Fenster sehen können – Sie und Robert Gehrke. Ich hoffe, daß Sie das gern vernehmen, denn Sie werden dort wenigstens frei sein, frei und imstande, Mittel zu ersinnen und ins Werk zu setzen, die Sie wieder in die Heimat bringen können. Ihr Eigentum wird Ihnen mitgegeben werden, ebenso Waffen, und andre Dinge, die Sie auf der Insel gebrauchen können.«

»Hm,« sagte der Schiffer; »also so liegt die Sache, Hm. Und was für eine Rolle spielst du hier an Bord?«

»O, bitte, Keppen Lüdemann, reden Sie nicht so zu mir!« entgegnete Heinrich, tief und schmerzlich verletzt durch den Verdacht, der aus des Schiffers Worten sprach. »Ich bin hier ebenso ohnmächtig wie Sie.«

Und in kurzen Worten schilderte er die Zwangslage, in der er sich befand, und die Ursache, weshalb Fräulein Merk an Bord zurückgehalten worden war. Der Schiffer hatte alles bald begriffen. Er bat Heinrich, ihm seinen Argwohn zu verzeihen und fragte ihn dann, wo die Passagiere an Land gesetzt worden seien.

»Auf einer Insel, die genau hundert Meilen und direkt nach Westen von hier liegt,« sagte Heinrich.

»Also hundert Meilen westlich von dem Eiland, auf dem sie uns aussetzen wollen?«

»Ja,« bestätigte der Jüngling. »Ich glaube übrigens, daß jene Insel, das heißt ihr höchster Gipfel, bei klarem Wetter von dem höchsten Punkt dieses Eilandes aus zu sehen sein muß.«

»Vortrefflich!« erwiderte der Schiffer. »Dann wird es möglich sein, von unserm Eiland aus dorthin zu gelangen. Wenn wir das nötige Werkzeug mitkriegen, dann ist ein Fahrzeug bald zurecht gezimmert.«

»Ganz recht, Keppen Lüdemann,« sagte Heinz. »Daran dachte auch ich sogleich, als Wenzel mir seine Absicht, Sie hier auszusetzen, mitteilte.«

»Das war gescheit, mein lieber Junge. Sorge nun für Schießgewehr und Munition, für Zimmermannswerkzeug und Nägel, für Taugut und Segeltuch, vergiß auch nicht Proviant und Wasser, und dann wollen wir in Gottes Namen an Land gehen. Deinetwegen, Heinz,« so schloß der Schiffer, »ist mir nicht bange; du bist klug, entschlossen und umsichtig und wirst bald Gelegenheit finden, aus der Gewalt der Meuterer zu entkommen und dich und das arme Mädchen in Sicherheit zu bringen, und dann sehen wir uns wohl noch einmal wieder. Lebwohl, mein Jung, lebwohl!«

Heinrich drückte den beiden noch einmal die Hände und dann machte er sich eilig daran, die von dem Schiffer gewünschten Gegenstände bereitzulegen.

Er war kaum damit zu Ende, als das Schiff um die Huk herumlief, und die ganze Insel sich von der Leeseite den Blicken der Seefahrer darbot. Sie war nur ein kleines Stück Land, höchstens drei Meilen lang und ungefähr zwei Meilen breit; der höchste ihrer Berge maß etwa zweihundertfünfzig Fuß über dem Meeresspiegel. Wie die Insel der Passagiere, so war auch diese dicht bewaldet.

Wenzel ließ die Raaen backbrassen und das Boot zu Wasser bringen.

»Die beiden können's gar nicht besser haben, als auf diesem Eiland,« sagte er, sein Teleskop zusammenschiebend. »Fettes, fruchtbares Land und keine Spur von Wilden. Schafft den Kram da ins Boot, und vorwärts mit ihnen. Backhaus, nimm Keppen Lüdemann und Robert Gehrke die Eisen ab!«

Backhaus tat wie ihm geheißen. Dann kam er wieder achteraus mit der Meldung, daß der Schiffer bitten ließe, von Fräulein Merk Abschied nehmen zu dürfen.

»Nichts da!« rief Wenzel grob; »das gibt nur unnötiges Gewinsel! Ist das Boot klar?«

»All klar!« antwortete der Bootsmann Martin von dem Fallreep her.

»Dann hinein mit ihnen, und in einer halben Stunde habt ihr wieder an Bord zu sein!«

Die beiden Gefangenen erschienen in der Mitte von vier Matrosen an Deck und schritten, ohne um sich zu blicken, dem Fallreep zu.

Als Wenzel den so traurig veränderten alten Schiffer gewahrte, wandte er sich schnell ab und starrte über die See hinaus.

Gehrke und ein Matrose halfen dem Bedauernswerten über die Reling und hinunter ins Boot, das sogleich abstieß und der Insel zurojte. –

Eine Stunde später lag das kleine Eiland schon wieder weit zurück im Kielwasser des »Paladin«. Heinrich hatte auf Befehl des »Keppen« Wenzel die Karte herbeigeholt und auf dem Gangspill ausgebreitet, und nun standen der Meuterer und sein Freund Backhaus davor und musterten das bunte Gewirr auf dem Papier mit dem Ausdruck tiefster Weisheit aus den wettergebräunten, von zottigen Bärten umstarrten Gesichtern.

»Süht dat hier nicht ganz verrückt un gefährlich ut?« sagte Wenzel, indem er mit einer schnellen Fingerbewegung um die Gegend herumfuhr, in der Borneo, Celebes, Neuguinea und die Nordküste von Australien lagen.

»Ja, Maat, verdeubelt kurios,« nickte Backhaus langsam und mit großem Ernst.

Und wieder vertiefte sich das Paar minutenlang und mit größter Aufmerksamkeit in die Geheimnisse der Karte, zur Belustigung Heinrichs, der von seiner Heiterkeit jedoch nichts merken ließ.

»Denn is dat jo woll ok so,« sagte Wenzel endlich, als wäre er über einen schwierigen Punkt jetzt mit sich völlig klar geworden. »Komm, Heinrich, und zeig' uns, wo wir jetzt sind.«

Der Jüngling tippte mit dem Zeigefinger aus eine leere Stelle der Karte.

»Hier,« sagte er.

»Ganz recht,« nickte Backhaus mit großer Bestimmtheit, »dat is de Flag.«

Wenzel warf ihm grinsend einen Seitenblick zu, wußte er doch, daß der neugebackene zweite Steuermann von der Karte so wenig verstand wie eine Robbe vom Monde. Dann wandte er sich zu Heinrich.

»Was wir nun zunächst brauchen,« sagte er, »das ist ein guter Hafen, wo das Schiff in jedem Wetter sicher geborgen ist, wo wir es auf die Seite legen und seinen Boden von Kraut und Muscheln reinigen und wo wir auch Lagerhäuser und Schuppen und all sowas bauen können.«

»Ich verstehe,« erwiderte der Jüngling: »aber es ist nicht leicht, solch einen Platz zu finden.«

»Das wissen wir,« entgegnete der Meuterer scharf. »Die Frage ist, wo haben wir danach zu suchen? Der Ort muß in einer Gegend liegen, wohin so leicht kein andres Fahrzeug kommen kann.«

»Dann möchte ich vorschlagen, hier in dieser Gegend zu bleiben,« sagte Heinrich. »Sie sehen, daß hier auf der Karte überall zu lesen ist »unbekannt«, und ich meine, daß es nicht mehr viel solcher Stellen in andern Teilen des Ozeans gibt, ausgenommen in der Nähe des Nord- und Südpols.«

»Gut,« erwiderte Wenzel; »in dieser Sache müssen wir uns auf Sie verlassen; wir wollen daher diese unbekannte Gegend der See absuchen. Sie wissen am besten, wie das zu geschehen hat. Geben Sie also Ihre Orders, und ich werde dafür sorgen, daß sie ausgeführt werden.«

Wir brauchen unserm jungen Helden bei dieser ebenso schwierigen wie langwierigen Aufgabe nicht zu folgen; es genügt, zu sagen, daß um die Mittagzeit des siebenten Tages nach der Aussetzung des Kapitän Lüdemann und des jungen Gehrke von dem Ausguckmann aus der Bramraa Land über dem Backbordbuge gemeldet wurde.

Das Land erwies sich als eine große Insel; Wenzel ließ darauf abhalten und entdeckte bald durch das Teleskop an der wildumbrandeten Felsenküste eine Einfahrt. Unweit derselben wurde das Schiff beigedreht; man brachte ein Boot zu Wasser, und Heinrich und Backhaus machten sich auf den Weg, die Einfahrt und was dahinter lag zu erforschen.

Die Insel war etwa zehn Meilen lang und ihr höchster Punkt lag ungefähr vierhundert Fuß über der See.

Nach Heinrichs zuletzt ausgerechnetem Besteck lag sie Nordost zu Ost von dem Eiland, auf dem der alte Schiffer mit seinem Unglücksgefährten saß und genau zweihundertundfünf Meilen von demselben entfernt.

Die Einfahrt erwies sich als ein sich nordwestlich in das Land hineinziehender, über eine Meile langer und eine Viertelmeile breiter Kanal, der sich zwischen steilen, hundertfünfzig bis dreihundert Fuß hohen Felswänden hinzog, die mit üppiger Vegetation bedeckt waren, mit Laub in jeder Schattierung von Grün, mit wunderbar prächtigen Blumen und Blüten in reinstem Weiß, in zartestem Rosa, in reichstem Goldgelb, in brennendem Scharlachrot, in Blau und Violett.

An seinem Ende bog der Kanal in ein großes rundes Becken ein, das eine Meile im Durchmesser haben mochte und durch hohe Felswände nach allen Seilen völlig geschützt war. Die Lotungen ergaben eine Durchschnittstiefe von acht Faden. Aus diesem Becken führte ein ganz kurzer Kanal in ein zweites, größeres und ebenso geschütztes.

Der gewünschte Hafen war gefunden, und Heinrich kehrte mit dieser Botschaft zu dem hocherfreuten Wenzel zurück.

Am folgenden Tage lotste unser Freund den »Paladin« durch den Kanal in das erste Becken hinein, der dann an einer Stelle, wo das Gestade sandig war und sanft zum Wasser abfiel, den Anker fallen ließ.

Das war ein Schlupfwinkel, wie eine Seeräuberbande ihn nicht besser wünschen konnte. Um das Ereignis zu feiern, erhielten alle Mann den Tag darauf Urlaub, an Land zu gehen, um dort nach Herzenslust herumzustreifen und auf Entdeckungen auszugehen.

Um nicht Mißtrauen zu erwecken, verlangte Heinrich für sich und Fräulein Merk die gleiche Vergünstigung, die ihm von Wenzel auch gern gewährt wurde. Und so machten sich die beiden denn auch gleich nach eingenommenem Frühstück in der Jolle auf die Fahrt zum Strande, nachdem Heinrich noch einen Korb mit Proviant in dem Fahrzeug verstaut hatte.

Auch Waffen vergaß er nicht. Valeska nahm zwei kleine Revolver mit, die er ihr gleich nach der Aussetzung der andern Passagiere zugesteckt hatte, um sich im Notfall damit verteidigen zu können; er selber trug ebenfalls ein Paar Revolver neben einem Beil in seinem Waffengurt, und im Bug der Jolle lagerte wie ein Geschütz ein Schiffsgewehr auf der aufgeschossenen Fangleine.

Um nicht mit den andern Leuten an Land zusammenzutreffen, rojte er in das zweite Becken hinein und fand hier an dem vielfach zerklüfteten Strande auch bald eine kleine sandige Bucht, wo er mit seiner Begleiterin aussteigen und die Jolle aufs Land ziehen konnte, denn auch in diesem abgeschlossenen Wasserbecken machten sich die Gezeiten noch stark bemerkbar.

Die Berghänge stiegen hier so sanft an, daß sie eine weite Strecke landeinwärts marschieren konnten. Das dichte Gras reichte ihnen bis zur Mitte des Leibes; allenthalben erhoben herrliche Blumen ihre großen, seltsam geformten Blütenköpfe, und Valeska konnte, nach Mädchenart, nicht unterlassen, einige davon zu pflücken.

Allein, auch in diesem Paradiese fehlte die Schlange nicht, denn als sie die Hand nach den azaleenartigen Blüten eines Strauches ausstreckte, hörte sie plötzlich ein lautes, scharfes und so drohendes Zischen, daß sie, einen Schreckensruf ausstoßend, hastig zurückwich, gerade noch zur rechten Zeit, um dem Biß einer Schlange zu entgehen, die ihren herzförmigen Kopf aus dem Blätterwerk hervorschnellte, unter dem sie versteckt gewesen war.

Heinrich, der sich dicht neben der jungen Dame befand, riß mit großer Geistesgegenwart einen Revolver aus dem Gurt, feuerte und traf so glücklich, daß der Schuß dem tückischen Reptil den Kopf abriß.

»Sind Sie gebissen worden?« fragte er dann ängstlich.

»Nein,« antwortete Valeska; »ich fuhr so schnell zurück, daß ich der Gefahr entging. Glauben Sie, daß die Schlange giftig war?«

»Das wollen wir gleich sehen,« sagte Heinrich, und nach einigem Suchen fand er den abgerissenen Kopf im Grase und zeigte ihn seiner schaudernden Gefährtin.

»Das Geschöpf war tatsächlich giftig,« erklärte er. »Sehen Sie diese herzförmige Form des Kopfes; alle Giftschlangen haben derartig geformte Schädel. Und hier« – er drückte den Halsstumpf unmittelbar hinter den Kiefern zusammen, wodurch der Rachen sich öffnete – »sehen Sie hier die beiden dünnen gebogenen Zähne, einen aus jeder Seite des Oberkiefers? Das sind die Giftzähne. Und diese Anschwellungen des Zahnfleisches unten an den Fängen sind die Giftbeutel. Die werden beim Zubeißen zusammengedrückt, das Gift fließt durch die hohlen Zähne in die Wunde des Opfers, und das Unglück ist geschehen. Eine ebenso sinnreiche wie nichtswürdige Einrichtung, nicht wahr? Sie können von Glück sagen, Fräulein Merk!«

Nach diesem Abenteuer setzten sie ihren Weg mit größerer Vorsicht fort. Dabei gelangten sie zu einer kleinen Gruppe von Bananenbäumen, von denen große Trauben mehr oder weniger reifer Früchte herabhingen. Heinz schnitt einige dieser Früchte ab und reichte sie der jungen Dame.

»Das sind Mädchenfinger,« sagte er lächelnd, »so geheißen, weil sie so klein und zart sind. Ich glaube nicht, daß Sie diese Bananenart schon gekostet haben, denn obgleich sie wohlschmeckender ist, als alle andern, so kommt sie doch niemals nach Europa, weil sie den Transport nicht verträgt.«

Tiefer im Walde wanderten sie unter so dichten, ineinander verschränkten und mit Schlinggewächsen durchwobenen Baumkronen entlang, daß sie sich in beinahe vollständiger Dunkelheit befanden. Nur wo ab und zu ein Sonnenstrahl eine Lücke im Blätterdach fand, da zeigte sich unten am Boden ein lichtgrüner, einige Quadratmeter großer Fleck.

Die Kontraste dieser erleuchteten Stellen gegen die dunkle Umgebung und die schwarz vor ihnen niederhängenden, schlangenhaften und armdicken Lianen waren höchst seltsam. Und seltsam und zauberhaft war auch das hundertfältige Leben in diesen Sonnenlichtungen. Große prachtvoll gefärbte Schmetterlinge gaukelten darin umher, bunte Vögel huschten kreuz und quer hindurch, und unzählige andre fliegende Geschöpfe von Formen und Farben, wie unsre Wandrer nie für möglich gehalten, führten unaufhörliche Tänze auf mit einem vielstimmigen Gesumme, das weit in den Wald hinein hörbar war.

Nach und nach meldete sich der Hunger bei unsern beiden; sie kehrten daher zur Jolle zurück, die ihre Eßvorräte barg, während sie, auf den Duchten sitzend, dieselben verzehrten, ließ Heinrich sein scharfes Auge über eine hoch und steil aufragende Stelle des Ufers schweifen, an deren Fuß eine Felsplatte im Wasser lag, deren regelmäßige Gestaltung künstlich zugehauen zu sein schien.

Er brachte das Fahrzeug dorthin, stieg auf die Platte, wobei er nicht vergaß, die Fangleine mitzunehmen und um den starken Ast eines Busches zu schlingen, und begann die Felswand hinter der Platte näher zu untersuchen. Seine Überraschung war groß, als er unter dem alles überwuchernden Strauchwerk Stufen entdeckte – eine Treppe, die in schräger Richtung aufwärts führte und, ihrer Beschaffenheit nach zu urteilen, in grauer Vorzeit in die Steinwand gehauen sein mochte.

Er machte Valeska darauf aufmerksam, woraus auch diese aus dem Boot stieg und dieses alte Kulturzeichen gleichfalls in Augenschein nahm.

»Wohin die Treppe wohl führen mag?« sagte sie.

»Wenn es Ihnen recht ist und Sie einige Minuten hier allein bleiben mögen, dann will ich eine Strecke hinaufsteigen,« entgegnete Heinrich, »vielleicht gibt es da was zu entdecken; von hier unten aus ist außer einem Dutzend Stufen nichts zu erkennen, da alles so dicht bewachsen ist. Habe ich also Ihre Erlaubnis?«

»Gewiß,« antwortete Valeska; »sorgen Sie nur dafür, daß Sie heil und gesund wieder herabkommen. Ich gestehe, daß ich auf die Kunde, die Sie bringen werden, sehr neugierig bin.«

Ohne noch länger zu zögern, klomm Heinrich die Stufen hinauf und war der jungen Dame bald außer Sicht. Aber nicht nur einige Minuten dauerte seine Abwesenheit, sondern eine gute Viertelstunde verging, ehe das Mädchen ihn wieder durch die dichte Vegetation Herabkommen hörte. Ehe sie seiner noch ansichtig wurde, rief er ihr schon zu:

»Sie müssen mit hinaufkommen, Fräulein Merk! Die Treppe ist ganz ungefährlich für Sie, und oben gibt es was höchst Merkwürdiges zu sehen!«

Dann stand er vor ihr, lebhafte Erregung auf dem geröteten Antlitz.

»Wollen Sie?« fragte er.

»Wenn Sie mir dazu raten, gern,« antwortete sie.

Er ergriff ihre Hand und begann mit ihr abermals den Aufstieg, wobei er mit seinem Beil das Strauchwerk beseitigte, das ihr allzu hinderlich zu werden drohte.

So gelangten sie endlich auf eine flache Plattform, die etwa fünfzehn Fuß im Geviert hielt und unmittelbar an dem hier senkrecht abfallenden Abhang lag, während auf der andern Seite die Felswände steil weiter emporstiegen.

»Und nun zur Höhle,« sagte Heinrich.

»Wie, eine Höhle haben Sie hier gefunden?« fragte sie.

»Ja, kommen Sie nur.«

Er führte sie zu einer Öffnung in der zerklüfteten Felswand, die acht Fuß breit und ebenso hoch sein mochte. Sie gingen hinein und gelangten durch einen kurzen Gang in eine große Höhle. Da sie aus dem grellen Sonnenlicht kamen, erschien ihnen dieses Berginnere zuerst stockfinster, und es dauerte eine Minute, ehe sie in dem hier herrschenden Zwielicht ihre Umgebung zu erkennen vermochten.

Jetzt machte Heinrich seine Gefährtin auf die verschiedenen Gegenstände aufmerksam, die hier aufgestapelt waren. In einer Ecke lag ein Haufen von Waffen – Speere und Schilde – alle Metallteile mit einer dicken Kruste von Rost und Staub überzogen. Unweit davon standen zwanzig irdene, krugähnliche Gefäße, zwei Fuß hoch und zwanzig Zoll im Durchmesser; sie waren außerordentlich schwer, wie Heinrich herausfand, als er eins davon in das hereinfallende Tageslicht rücken wollte. Ihre Öffnungen waren mit einem festen Gewebe überbunden, das mit einer wachsähnlichen Substanz durchtränkt zu sein schien.

Heinrich schnitt den Verschluß eines der Gefäße durch; der Inhalt bestand anscheinend aus grobem, gelblichem, glitzerndem Sande. Er nahm eine Handvoll heraus und ging damit ins Tageslicht. Gleich darauf kehrte er eiligst zurück.

»Es ist Goldstaub, Fräulein Merk!« rief er im Tone freudigster Überraschung. »Goldstaub! Unser Glück ist gemacht!«

»Das wäre ja gut,« entgegnete die junge Dame, »Aber täuschen Sie sich nicht? Woher wissen Sie, daß es Goldstaub ist?«

»Das erkenne ich am Aussehen und am Gewicht,« antwortete Heinrich. »Ich war in Brisbane in Australien, wo man viel Goldstaub zu sehen kriegen kann. Nehmen Sie eine Handvoll auf, dann werden Sie überzeugt sein. Ich werde noch ein paar von den Krügen aufmachen, um festzustellen, ob alle den gelben Sand enthalten.«

Die Gefäße waren voll von dem kostbaren Metall.

»Jetzt wollen wir die Ballen dort untersuchen,« fuhr er fort, nachdem er einen Blick in die Runde geworfen hatte.

Auch die Ballen waren in wachsgetränkte Stoffe gehüllt, deren äußere Lagen sich als größtenteils verrottet erwiesen. Er schnitt eine Öffnung in einen der Ballen und sah nun, daß der Inhalt aus allerlei prachtvollen Geweben bestand, aus feinem, buntgefärbtem Leinen, golddurchwirktem Brokat und andern Gewandstoffen, die des jungen Mädchens höchste Bewunderung erregten.

In einem entfernten Teil der Höhle entdeckten unsre Abenteurer einen Stapel von mindestens hundert großen, von Alter und Staub geschwärzten Elefantenzähnen und unweit davon eine Menge viereckiger Pakete von Mauersteingröße, die sich als ziegelförmige Klumpen gediegenen Goldes erwiesen, jeder einzelne in Wachstuch eingebunden.

Dicht bedeckt mit Staub und Moder stand bei einem der Ballen ein kleiner Kasten aus halb vermorschtem Holz, den Heinrich mit seinem Beil leicht aufbrechen konnte. Derselbe war angefüllt mit einigen Wachstuchpäckchen, die teils Perlen von seltener Größe und Schönheit, teils allerlei edles Gestein enthielten.

Die jungen Leute standen wie geblendet.

»Fräulein Merk,« rief Heinrich, als er Worte fand, »wir sind reich! Wir müssen jetzt so schnell als möglich den Banditen zu entkommen suchen, und dann werde ich Mittel und Wege finden, wieder hierherzukommen und diese unermeßlichen Schätze in Sicherheit zu bringen. Zunächst aber wollen wir soviel von diesen Perlen und Edelsteinen zu uns stecken, als wir fortbringen können und sie an Bord in unsern Kammern verbergen und dies, so oft wir noch an Land kommen, wiederholen, bis wir den ganzen Inhalt des Kastens an Bord haben. Also greifen Sie zu, Fräulein; Sie sehen, ich gehe Ihnen mit gutem Beispiel voran. Wir müssen uns sputen, wieder an Bord zu kommen.«

»Aber Herr Rohrpenn,« entgegnete Valeska, »haben wir auch das Recht, diese Dinge uns anzueignen? Sie müssen doch zweifellos jemandes Eigentum sein.«

Heinrich lachte.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung davon, wer der rechtmäßige Eigentümer dieser Schätze gewesen sein mag,« erwiderte er, »soviel aber weiß ich, daß er seit Generationen, seit Jahrhunderten schon Staub und Asche ist, ebenso die Piraten, die ihren Raub in dieser abgelegenen Höhle aufgespeichert haben. Die Geschichte, die sich an diese Gegenstände knüpft, ist sicherlich hochinteressant, aber ich fürchte, daß wir beide nie ein Wort davon erfahren werden. Seien Sie versichert, Fräulein Merk, daß wir, als die Entdecker, ein größeres Recht an diese Funde haben, als irgend ein andrer lebender Mensch auf der ganzen Welt.«

Das leuchtete dem jungen Mädchen ein und sie gab sich zufrieden.

Anderthalb Stunden später langten die beiden Abenteurer wieder an Bord des »Paladin« an; die andern Urlauber waren noch nicht zurückgekehrt. Auf Heinrichs Anregung verstaute Valeska die mitgebrachten Kostbarkeiten in ihrem Koffer, und während dieser Zeit berichtete der junge Mann dem Gewalthaber Wenzel nach Gutdünken, was sie an Land gesehen und erlebt hatten. Nach einer halben Stunde fanden sich auch die Matrosen wieder an Bord ein.

Am nächsten Morgen begann die Arbeit. Ein Teil der Mannschaft nahm die Segel ab und brachte die Stengen und oberen Raaen an Deck, ein andrer Teil ging unter Wenzels Führung an Land, um Holz für die zu errichtenden Gebäude zu fällen; es sollten ein Wohnhaus, mehrere Schuppen und Lagerhäuser, eine Küche usw. errichtet werden.

Es lag in des Meuterers Plan, das Schiff innerlich und äußerlich zu überholen, ihm einen anderen Anstrich zu geben und die Takelung so zu verändern, daß niemand mehr den »Paladin« in ihm wiederkennen sollte.

Ehe das alles ausgeführt war, mußte eine ziemliche Zeit vergehen, und da während dieser niemand an Bord wohnen bleiben konnte, so bewog Heinrich den »Kaptein«, für Fräulein Merk an Land eine Hütte errichten zu lassen, er selber schlug für sich ganz in der Nähe ein Zelt auf, um stets über ihre Sicherheit wachen zu können. –

Inzwischen war der »Albatroß« nach einer schnellen und glücklichen Reise wohlbehalten in Melbourne binnengekommen, und Kapitän Schreck rieb sich zufrieden die Hände, als er vernahm, daß man hier von dem »Paladin« noch nichts gesehen und gehört habe.

Eine Woche verging, der »Albatroß« hatte seine Ladung gelöscht und wartete auf die neue Ladung für Hamburg, und immer war der »Paladin« nicht eingelaufen.

Keppen Schreck wußte, was für ein trefflicher Segler das Schiff seines Freundes Lüdemann war und konnte sich daher das Ausbleiben desselben nicht anders erklären, als daß der »Paladin«, nachdem er sich im Atlantischen Ozean von ihm getrennt hatte, in einen Streifen von Gegenwind oder gar Windstillen geraten sein mußte, dem der »Albatroß« glücklich entgangen war; als jedoch abermals eine Woche verstrich und Keppen Lüdemann noch immer nicht eingetroffen war, da verwandelte sich des ehrlichen Schreck Triumphgefühl in Besorgnis, die von Tag zu Tag zunahm.

Die Ladung des »Albatroß« kam langsam an Bord, der Raum füllte sich mehr und mehr; die Luken wurden geschlossen und verschalkt, und als das Schiff seine Heimreise antrat, da zählte der »Paladin« noch immer zu den vergeblich erwarteten, überfälligen Fahrzeugen.

Nach einer ungewöhnlich langen Reise lief der »Albatroß« endlich in die Elbe ein, und als Keppen Schreck in Hamburg erfuhr, daß noch keine Kunde von dem Eintreffen seines Freundes Lüdemann und des »Paladin« in Melbourne bei dessen Reederei eingetroffen war, da wurde er tief bekümmert.

Es waren aber noch andre Leute in Hamburg, die ein größeres Interesse an dem Schicksal des »Paladin« hatten, als Keppen Schreck, und diese verfolgten alltäglich mit Bangen die Schiffsnachrichten in den Zeitungen. Und eines Tages stand dort zu lesen:

»Als verschollen anzusehen ist das Hamburger Vollschiff »Paladin«, Kapitän Lüdemann. Es verließ am * * den hiesigen Hafen mit Stückgut für Melbourne. Es hatte auf der Ausreise die englische Bark »Viktoria« geborgen und nach Aberdeen geschickt. Das ist die letzte Nachricht gewesen, die von ihm bekannt geworden ist.«


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