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Paul als Kochsmaat. – Doras Suppe. – Das Wrack der »Hirondelle«. – Lebensdauer und Flugkraft der Albatrosse. – Towe als Patentrettungsboje. – Giftige Fische.
Am folgenden Tage war Pauls Fuß noch immer geschwollen und schmerzhaft; der Schiffer wollte ihn auf die Krankenliste setzen, stieß hierbei jedoch auf offenen Widerstand und Ungehorsam.
»Sie wissen sehr wohl, Keppen Jaspersen, daß ich auf jedem andern Schiffe mit einer so unbedeutenden Schramme meinen Dienst tun müßte,« sagte der Jüngling, »und hier, wo doch wahrlich kein Mann entbehrt werden kann, soll ich aufliegen und faulenzen? Nee, Kaptein, so leed mi dat ok doon deit, aber in düssen Fall möt ick den Gehorsam verweigern.«
»Dat ischo nüdlich!« entgegnete der Schiffer. »Töw, mein Jung', dor kümmt Fräulein Ulferts; wollen hören, was die zu der Sache sagen wird.«
Dora war ganz der Ansicht des Kapitäns, und riet Paul ernstlich, den Fuß noch einen Tag oder zwei zu schonen. Da gab unser Freund, wenn auch mit sauersüßem Lächeln, seinen Widerstand auf und versprach, sich als Patient zu betrachten, vorausgesetzt, daß man ihm gestatte, sich wenigstens in der Kombüse nützlich zu machen. Dies wurde ihm bewilligt, und so ging er Fräulein Ulferts mit Eifer als Kochsmaat zur Hand.
Während der Nacht hatte sich das Unwetter gelegt und der Tag ließ sich wieder ebenso klar und heiter an, wie der gestrige; es wurde daher Towe Tjarks nicht schwer, den Schiffer zu überreden, mit ihm an Land zu gehen und die Robbe zu holen. Sie nahmen Gazzi mit sich und ließen das Schiff unter dem Schutze von Paul und Heik Weers, und diese beiden invaliden Seefahrer wiederum unter der Obhut von Fräulein Ulferts.
Heik saß in der Kajüte auf dem Fußboden und nähte an den Segeln. Er war übellaunig und unwirsch, weil die Heilung seines Beins gar so lange dauerte, schalt und murrte über jede Kleinigkeit; sobald jedoch Dora in seine Nähe kam, war er der freundlichste und gefügigste alte Seebär, den man sich nur denken konnte, denn in seinen Augen war das junge Mädchen geradezu ein höheres Wesen. Sie bemühte sich auch mit rührender Sorgfalt um ihn, sie unterhielt ihn mit allerlei Gesprächen, las ihm vor und schob und zog das steife, schwere Segeltuch für ihn zurecht, wenn er eine neue Naht anzufangen hatte, damit er sich nicht unnötig anzustrengen und zu bewegen brauchte. Denn wenn die gebrochenen Knochen auch schon wieder zusammengewachsen waren, so mußten sie doch noch geschont werden. Da Dora auch in der Kombüse nach dem Rechten sehen mußte, so hatte sie auf diese Weise vollauf zu tun.
Während Paul Geschirr reinigte, Messer und Gabeln putzte und allerlei sonstige Küchenjungenarbeit verrichtete, erzählte er ihr von seiner Familie in Westerstrand, besonders von seiner Schwester Gesine, wobei er seiner Ansicht Ausdruck gab, daß Kapitän Jaspersen diese wahrscheinlich eines Tages als seine Frau heimführen werde, was allerdings erst geschehen könne, wenn sie mit der Hallig wieder glücklich aus diesem Loche heraus wären. Auch von Towe und Katje berichtete er ausführlich und fügte hinzu, daß der Matrose den Pelz der Robbe für dieselbige Katje in Besitz zu nehmen beabsichtige.
»Darum hat er heute keine Ruhe gehabt, bis der Alte mit ihm an Land ging,« sagte er, »der schöne Pelz könnte sonst unter dem Tanghaufen vielleicht Schaden leiden. Und ich wollte den Pelz für Sie haben, Fräulein Ulferts, denn ich habe die Robbe doch geschossen. Aber ich mochte ihn Towe nicht streitig machen, denn ohne seine Hilfe hätte ich umkommen müssen, als ich mit dem Fuße zwischen dem Gestein im kalten Wasser in der Klemme saß. Ich verspreche Ihnen jedoch, bald eine andere Robbe für Sie zu schießen.« –
Das Wetter blieb heiter und still, und so hatten sowohl die drei Leutchen an Bord der Hallig, wie auch die drei andern an Land einen angenehmen Tag.
Es war bereits dunkel, als die Weidmänner zurückkehrten. Sie wußten von guten Erfolgen zu berichten; sie hatten, außer drei Pelzrobben, eine Anzahl verschiedenartiger Seevögel erlegt, darunter einen großen Albatros, den Towe abzuhäuten gedachte.
»Albatrosbrust giwwt en feines Pelzwerk,« sagte er, als er den an Bord gebliebenen Freunden den schönen weißen Vogel unter der Hängelampe der Kajüte zeigte. »Davon soll meine Katje Muff und Kragen haben. Un dorto de Sealskinmantel – Junge, Junge!«
»Was hat das Tier denn da am Halse?« fragte Dora und berührte mit dem Finger ein Endchen grüner, verblichener Seidenschnur, das unter den Federn hervorschaute.
Alle traten herzu und betrachteten verwundert den seltsamen Schmuck.
»Dat hadd ick noch gor nich sehn!« rief Towe. »De Vogel is all mal fungen west un het wat anbunn' kreegen, en bleckern Büß mit en Schriftstück in, oder so wat, un denn hewwt se em wedder fleeg'n laten. De Büß, oder wat dat Stück Dings west is, het he aber verlorn.«
»Wie geheimnisvoll!« rief das junge Mädchen. »Was für eine Botschaft man dem armen Vogel wohl anvertraut hatte, und was für Hoffnungen daran geknüpft gewesen sein mögen, und alles umsonst! Denn wäre der Vogel inzwischen abermals in Menschenhänden gewesen, dann hätte man ihm sicher die Schnur auch abgenommen. Aber nun darf ich wohl zum Essen bitten. Paul, bringen Sie die Suppe aus der Pantry herein.«
»Jowoll!« antwortete der Kochsmaat diensteifrig und im nächsten Moment stand die dampfende Schüssel auf dem Tische.
»Ah!« rief der Schiffer; »wie gut das riecht!«
Und alle Mann atmeten mit höchst vergnüglichem Geschnaufe den würzigen und nahrhaften Duft ein, der sich in der Atmosphäre der Kajüte verbreitete.
Die Suppe war ein Triumph für Doras Kochkunst. Sie stellte eine kräftige Brühe dar, bereitet aus abgehäuteten und zerlegten Kaptauben, Speck, den zartesten Blättern und Sprossen des Kerguelenkohls und allerlei Gewürzen. Dazu gab es frisches weißes Gebäck. Das junge Mädchen hatte es verstanden, durch die Enthäutung der Kaptauben den Trangeschmack, der dem Fleische dieser Vögel sonst anhaftet, ganz zu beseitigen, und von Stund' an stand in jedem der Teilnehmer dieses köstlichen Mahles der Entschluß fest, bei jeder Gelegenheit soviel Kaptauben als möglich zu erlegen.
Nach beendeter Mahlzeit, und nachdem jeder der ebenso tüchtigen, wie liebenswürdigen Wirtin seinen tiefgefühlten Dank ausgesprochen hatte, wurden die Pfeifen angezündet, und bald kam das Gespräch auf den Albatros und seine vereitelte Botschaft, wobei das Endchen Schnur aus einer Hand in die andere wanderte. Man erging sich in allerlei müßigen Vermutungen, bis der alte vielerfahrene Heik endlich aus seiner Kammer heraus, wo man ihn bereits in die Koje gehoben hatte, das Wort ergriff.
»Ich hab' mir ein bißchen besinnen müßt, aber nu is mich dat wedder infollen,« begann er. »Anno 1865 war ich an Bord von die ›Philippine Welser‹, Vollschiff, auf der Reise von Triest nach Surabaja. Wir hatten einen Passagier, einen feinen Mann, den Namen hab' ich vergessen. Der schnopperte überall herum, weil er Langeweile hatte; in de Kombüs', in't Logis, sogar in't Hellegatt is he west. Auch ging er bei schön Wetter gern nach baben, aber nicht höher, als in de Mars. So hatte er auch eines Abends im Großmars gesessen und war da ein bißchen eingeschlafen. Auf einmal kriegt er einen bannigen Stoß vor die Brust, un wie er aufwacht, lag da ein Albatros auf seinem Schoße, natürlich tot. Der Vogel mußte ja wohl blindlings auf ihn zugeflogen sein un hatte sich nu durch den Stoß an seinem Leibe das Genick gebrochen. Anders haben wir uns das nachher nich erklären können.
»Uns' Passagier kam ja nu mit dem Vogel an Deck dal und ging achteraus zum Kaptein. Sie besehen sich das Tier, messen seine Flügel, die zwölf oder fünfzehn Fuß Spannweite hatten, wenn ich mir recht entsinne, und dabei finden sie, daß er einen Ring von Kupferdraht um den Hals hatte und an diesem Ring eine messingene Tabaksbüchse. Als sie aufgemacht war, fand sich ein Zettel drin; darauf stand auf französisch geschrieben, daß die Brigg ›Hirondelle‹ am 2. Juni die Masten und das Ruder verloren und ein Leck gesprungen habe. Sollte diese Botschaft einem Schiffer oder Steuermann zu Gesicht kommen, so wären sie um der Liebe Gottes und der heiligen Jungfrau willen gebeten, zu kommen und zu helfen. Die Brigg könnte sich nicht mehr lange über Wasser halten, sie hätte nur noch drei Mann an Bord. Der Zettel war am 18. Juni geschrieben, unter acht Grad Südbreite und einundachtzig Grad Ostlänge.
»Als der Vogel an Bord kam, schrieben wir den 26. Juni. Die Botschaft war also acht Tage unterwegs gewesen. Wir waren nicht sehr weit von dem Ort entfernt, wo die Brigg treiben sollte. Uns' Kaptein ließ abhalten. Wir haben das Wrack auch richtig gefunden, aber wir kamen doch zu spät. Als wir noch eine Viertelmeile davon entfernt waren, da sackte es weg. Einen Mann haben wir noch aufsammeln können; der wollte uns erst unter den Händen sterben, aber wir kriegten ihn doch glücklich durch. Er ist dann in Surabaya gesund und munter zu seinem Konsul gegangen, der ihn dann mit dem nächsten Dampfer nach Hause geschickt hat. Un so hewwt wi de Botschaft doch nich ganz umsüs kreegen. Süso, dat is min Erlebnis mit so 'ne Albatrospost,« schloß der alte Matrose und legte sich wieder in die Koje zurück.
»Eine in ihrer Art bemerkenswerte Albatrosgeschichte kann auch ich erzählen,« fing Kapitän Jaspersen jetzt an. »Wir liefen mit einer steifen westlichen Brise um das Kap Horn, natürlich mit der dort, wie auch am Kap der Guten Hoffnung üblichen Begleitung von Kaptauben und Albatrossen. Einer von den letzteren, ein Vogel von besonderer Größe, hielt sich so beharrlich in unserer Nähe, daß wir ihn schließlich von den andern zu unterscheiden wußten und sozusagen persönlich kennen lernten. Eines Tages, als wir ihn ausnahmsweise reich gefüttert hatten, kam er so dicht heran, daß er eine Zeitlang in einer Höhe von wenigen Metern unmittelbar über unserm Heck schwebte. Dabei bemerkten wir einen an seinem Halse hängenden Gegenstand, der etwa die Form einer Taschenuhr hatte. Wir wurden neugierig und beschlossen, den Albatros zu angeln. Ein mit Speck versehener Haken wurde ausgeworfen, aber obgleich im Laufe des Tages sich fünf oder sechs andere daran fingen, die alle wieder freigelassen wurden, der mit dem Halsgeschmeide verschmähte den Köder. Er kam wohl heran geschossen, schwebte auch eine Weile regungslos dicht über dem lockenden Bissen, der mit zehn Knoten Fahrt zischend über das Wasser hüpfte, betrachtete ihn mit im Sonnenschein wie Granatsteine funkelnden Augen, dann aber fuhr er seitwärts in mächtigem Schwunge wieder davon, beschrieb einige gewaltige Bogen und folgte uns dann aufs neue ruhig wie zuvor.
»Endlich aber biß er doch an und wurde nun trotz seines Sträubens an Bord geholt. Wenn man solch einen großen Albatros fliegen sieht, könnte man ihn für einen starken und gefährlichen Kerl halten; sitzt er aber erst an Deck, dann ist er schwach und wehrlos und kaum imstande, von selber wieder aufzufliegen. Der Gegenstand an seinem Halse war das Gehäuse eines Taschenkompasses; es hing an einem starken Kupferdraht der in drei Törns um den Hals ging; zwei davon waren von dem Ringe des Gehäuses im Laufe der Zeit durchschamfilt worden, und dieses selber trug einen dicken Überzug von Grünspan. Es enthielt ein Stück Papier, auf dem in verblaßter Tinte zu lesen war, daß der Vogel am 3. Mai 1848 unter dem achtunddreißigsten Grad südlicher Breite und dem dreiundfünfzigsten Grad östlicher Länge von dem Kapitän Weller, Führer des amerikanischen Schiffes ›Kolumbus‹, gefangen und mit dieser Notiz versehen worden war.
»Wir hingen dem Vogel eine neue Kapsel um, taten einen kurzen Bericht mit den Angaben des ersten und letzten Fanges hinein – das Datum des unsrigen war der 2. Dezember 1885 – ließen die Kapsel vom Zimmermann verlöten und setzten das Tier wieder in Freiheit, indem wir es vorsichtig über Bord warfen. Es strich eine weite Strecke mit ausgebreiteten Schwingen und platschenden Füßen über das Wasser hin und erhob sich dann hoch in die Lüfte.
»Wenn wir das Alter dieses Vogels zur Zeit seiner ersten Gefangennahme auf vier oder fünf Jahre festsetzen, so sind wir durchaus berechtigt, anzunehmen, daß der Albatros eine Lebensdauer von mindestens fünfzig Jahren hat. Dieser Vogel war siebenunddreißig Jahre lang mit einem Kompaßgehäuse am Halse über die Meere dahingesegelt. Ein Reisender hat einmal die Strecke berechnet, die ein Lotsenfisch durchschwamm, der das Schiff, auf dem er sich befand, begleitet hatte. Der Fisch gesellte sich zu dem Fahrzeuge auf der Höhe der Kapverdischen Inseln und folgte ihm um das Kap Horn herum bis nach Callao. Eine Reise von ungefähr eintausendvierhundert Seemeilen, Dauer hundertzweiundzwanzig Tage. Der Fisch schwamm also täglich durchschnittlich hundertfünfzehn Meilen. Welche Strecken mag nun der geflügelte Bote des alten Yankeeschiffes Kolumbus in jenen siebenunddreißig Jahren zurückgelegt haben?«
»Millionen von Meilen!« rief Paul.
»Ganz ohne Zweifel,« sagte der Schiffer. –
Am nächsten Tage ging es mit Pauls Fuß schon besser, es dauerte jedoch noch eine Weile, bis er wieder Stiefel tragen konnte. In der Zwischenzeit ging er in einer Fußbekleidung aus Segeltuch einher, die Towe für ihn angefertigt hatte; sie tat an Deck gute Dienste, wäre aber auf dem steinigen Boden der Insel nicht verwendbar gewesen.
Nach drei Wochen war der Fockmast so weit, daß er aufgerichtet werden konnte. Man brachte das Schiff nach dem Obeliskenfelsen und legte es dort mit einem Buganker und einem Heckanker und außerdem noch mit auf den Klippen um Felszacken geschlungenen Trossen fest.
»Dor möt ick an Mauritius denken,« sagte Towe, als dieses schwere Stück Arbeit beendet war.
»Woso?« fragte Heik Weers, der schon längst wieder wie ein Jüngling umhersprang und überall der erste war.
»Dat will ich dich sagen, min Herzblatt. Als da der große Orkan wehen tat, da hatten wir drei Anker aus. Im ganzen lagen fünfunddreißig Schiffe da, vierunddreißig trieben auf den Strand und gingen verloren, uns' Schipp was dat enzigste, wat heil dorvonkamen ded.«
»Natürlich bloß weil du dor an Bord wesen büst,« knurrte Heik. »Du solltest dir eigentlich als so 'ne Art von Patentrettungsboje vermieten, dennso kriegtest du ok mehr Heuer.«
»Will gor keen' betere Heuer hewwen, min Jung,« antwortete Towe. »Dat du min Schippsmaat büst, dat is all Belohnung noog för mi.«
Der große Stropp und die Gien wurden noch im Laufe des Vormittags an dem Felsenhorn oder Obelisken aufgebracht, und am Abend stand der Fockmast an seinem Platze. Drei weitere Tage hatte die kleine Mannschaft mit der Anbringung der Wanten zu tun, und nun erst stand der Mast, der an den alten Stumpf angelascht worden war, fest und unerschütterlich.
Man arbeitete vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht und weder Regen noch Kälte und Wind konnten die wackeren Männer von ihrem Werke zurückhalten, bis alles vollendet war. Die freundlichen Abende in der warmen Kajüte entschädigten sie dann reichlich, und das Abendessen war jedesmal ein Fest. Keiner aber wußte Fräulein Ulferts' Gerichte jetzt besser zu würdigen, als der brave Heik Weers.
»Man muß dat Leben genießen, solange man's haben tut,« sagte er. »Dat is man selten, dat Janmaat sein Futter auf anständige Art vorgesetzt kriegt, drum soll er's auch wahrnehmen, wenn dieses Glück ihm lächeln tut. Ich würde wahrhaftig bis an mein seliges Ende hier an Bord von die ohle Hallig bleiben, vorutgesetzt, dat uns' Fräulein auch die ganze Zeit hier Hausfrau und Wirtschaftsmamsell bleiben tut.«
Da beim Aufstellen des Großmastes der Fockmast den Dienst verrichten konnte, den der Obelisk geleistet hatte, so warf man die Trossen los, hievte die Anker auf, und brachte das Schiff auf seinen alten Liegeplatz zurück.
Bis der Großmast zurechtgezimmert und seine Takelung fertig war, vergingen nahezu zwei Monate. Während dieser Zeit wurden nur dann Ausflüge an Land unternommen, wenn eine Ergänzung der Vorräte von frischem Fleisch und Gemüse nötig war.
Dora hatte oft den Wunsch ausgesprochen, auch einmal Fische für die Küche zu erhalten; unsere Freunde waren nach Kräften bemüht gewesen, diesem Wunsche zu entsprechen und den schuppigen Bewohnern des Jaspersenhafens mit Netz und Angel nachzustellen, allein einesteils war der Ertrag dieser Wasserjagd immer nur ein kläglicher gewesen, und andernteils hatten sich nach dem Genüsse der wenigen verwendbar erscheinenden Fische stets leichte Erkrankungen eingestellt, deren Ursache man zuerst nicht erkannte. Bald aber kam man dahinter, daß die Fische des Hafens keine gesunde Kost waren; der Schiffer behauptete sogar, sie wären giftig.
»Von giftigen Fischen habe ich noch nie etwas gehört,« sagte Paul.
»Du hast manches noch nicht gehört und noch viel zu lernen, mein Junge,« entgegnete der Schiffer. »Wer die Südsee befahren hat, weiß auch von giftigen Fischen zu erzählen. Frage nur unsern Heik, der hat sich jahrelang dort herumgetrieben und immer die Augen offen gehabt; ich bin überzeugt, daß giftige Fische ihm nichts Neues sind. Hier in diesen Breiten hätte ich allerdings keine zu finden erwartet.«
Jetzt kam der alte Heik zu Worte. Von giftigen Fischen könnte er einen langen Strämel singen, sagte er. Wäre er doch selber schon oft genug an solchem Teufelszeug beinahe gestorben.
»Wo ist das gewesen?« fragte Paul.
»O, mang de Marschallinseln un ok up annere Stellen,« antwortete der alte Seefahrer. »Bi de Marschallinseln dor giwwt dat en Fisch, de heet Nofu, dat is en ganzen gruglichen Kerl un so giftig, as den Düwel sin Grootmudder. Kennen Se de Nofu, Kaptein?«
»Gewiß, den kenne ich,« antwortete der Schiffer, »ich habe ihn sowohl bei den Harvey-Inseln, als auch bei Samoa gefunden. Er hält sich nur im seichten Wasser der Küsten auf, auf hoher See trifft man ihn nicht.«
»Ich bün mal auf Nukufetau gewesen,« fing Heik wieder an. »So heißt dat Eiland nämlich bei die Kanaken, auf die Karte is es als Paystor-Eiland eingetragen. Dor wern ganz de sülbigen Fisch' mal giftig un mal nich giftig. Fung man Fliegefisch auf die Leeseit' von dat Eiland, dennso konnt' man ihr ruhig essen, auf die Luvseit' aber wern se allemal giftig. De Manini, lütte, striepige Fisch', wo de Konaken ganz arg nach wern, könnt' man auch ruhig essen, wenn sie am Riff westlich von dat Eiland gefangen waren; fung man se aber vier Meilen davon, an den Binnenstrand von die östlichen Laguneneilande, dennso wern se ok giftig. Ebenso was dat mit de Haien; fungen de Kanaken ehr binnen von dat Riff, dennso deden se ehr keen Schaden, fungen se ehr butan von dat Riff, dennso wern se bannig giftig. Genau so tat sich dat mit die Krebse in den Lagun' verhalten; auf die eine Stelle waren sie wunnerschön, drei Meilen davon aber ungesund un giftig. Nu seggen Se mi mal, Kaptein, wo kann dat woll angohn?«
Jaspersen zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht,« sagte er. »Ähnliches ist aber auch mir bekannt geworden. Eine Ursache muß das ja haben, man hat sie aber, soviel ich weiß, noch nicht entdeckt.
»Ich habe mich wohl ebensolange in der Südsee herumgetrieben, wie Heik, nur zu einer späteren Zeit, als die Marschallinseln bereits zu Deutschland gehörten. Einmal hatte ich von einer Händlerfirma den Auftrag, eine schwedische Bark in Besitz zu nehmen, die bei einer der Inseln Schiffbruch gelitten hatte und nun als Wrack auf dem Riffe saß. Die Firma hatte das Wrack für hundert Pfund Sterling gekauft, in der Hoffnung, daß es wieder zurechtgeflickt, flottgemacht und nach Sydney gebracht werden könnte. Als ich jedoch mit meiner Wrackermannschaft, die aus eingeborenen Seeleuten bestand, in unserem Schoner an Ort und Stelle ankam, sah ich auf den ersten Blick, daß mit der Bark nichts mehr zu machen war, und uns nichts übrigblieb, als alles, was noch wertvoll und verwendbar war, auszubrechen und abzureißen, besonders den noch ganz neuen Kupferbeschlag. Und bei dieser Gelegenheit lernte ich zuerst die giftigen Fische kennen.
»Sobald wir mit dem Schoner in der Lagune zu Anker gegangen waren, kamen einige der Inselbewohner, deren nicht mehr als fünfzig oder sechzig vorhanden waren, an Bord, und sagten mir, ich möchte meine Leute warnen, von den Fischen, die sie etwa in der Lagune fangen würden, zu essen, ehe diese von einem Eingeborenen untersucht worden wären. Dies geschah, und einige Wochen lang ging auch alles gut. Dann aber gab's Unglück.
»Ich hatte von Sydney einen weißen Zimmermann mitgebracht, einen Holländer. Der alte Mensch war unglaublich halsstarrig und dickköpfig, sonst aber ein tüchtiger Arbeiter. Anstatt mit der Wrackermannschaft im Dorfe der gastfreien Insulaner zu wohnen, zog er es vor, einsam für sich auf dem Wrack zu hausen, und ich ließ ihn gewähren.
»Als ich eines Abends vom Lande nach dem Schoner zurückkehrte, wo ich schlief, sah ich den Holländer auf der Reling der Bark sitzen und angeln; es war hohe Flut, das Wrack stand daher in etwa zehn Fuß Wasser. Da er gerade einen ziemlich großen Fisch heraufholte, rief ich ihn an und fragte, wieviel er schon gefangen hätte und ob er auch sicher wäre, daß die Fische nicht giftig seien. Er antwortete, er hätte bis jetzt fünf heraufgeholt, und die Fische wären gut und es fehle ihnen nichts.
»Da ich jedoch wußte, was für ein eigensinniger, unvernünftiger und unwissender Mensch dieser alte Gesell war, legte ich langseit an und kletterte mit zweien meiner Bootsmannschaft an Bord. Wir öffneten die Mäuler der Fische und sahen sogleich die untrüglichen Zeichen ihrer großen Gefährlichkeit. Der Schlund war orangegelb gefärbt, mit dünnen rotbraunen Streifen.
»Ich sagte dem Zimmermann, er solle die Fische wieder über Bord werfen; der aber fing an zu brummen und zu schelten, sagte, er habe ganz dieselben Fische auf Vavau, einer der Tonga-Inseln, hundertmal gefangen und gegessen, und sie würden ihm auch hier nicht schaden. Es ließ sich mit dem Dickkopf nicht reden; ich warnte ihn noch einmal sehr ernstlich und ging dann an Bord meines Schoners.
»Nach dem Abendbrot saß ich mit meinem braunen Bootsmann an Deck und rauchte eine Pfeife. Auf einmal hörten wir von dem Wrack her vier Schüsse. Das war ein Notsignal. Wir rojten schleunigst hinüber. Da lag der Zimmermann an Deck, wälzte sich in großen Schmerzen und stöhnte jämmerlich. Neben ihm lag der Revolver. Ich entsinne mich nicht mehr, auf welche Weise meine Kanaken ihn in die Kur nahmen, ich weiß aber, daß sie ihn zuerst für verloren hielten. Sie dokterten die ganze Nacht an ihm herum, und bei Tagesanbruch war er außer Gefahr, jedoch wurde er, solange wir auf der Insel waren, nicht wieder arbeitsfähig, auch litt er, wie ich später hörte, noch über ein Jahr lang an den Folgen dieser Vergiftung.«
»› Sapienti sat‹, das heißt, dem Verständigen genügt das,« sagte Paul nach diesen Ausführungen Heiks und des Schiffers, und fortan wurde im Jaspersenhafen nicht mehr gefischt. Dagegen beschloß man, bei nächster Gelegenheit auf der anderen Seite der Insel, beim Robbenkap, auf eßbare Fische zu fahnden. Wo das Robbenkap lag, braucht hier wohl nicht erst erklärt zu werden.
Der Großmast stand endlich an seinem Platze, ein schönes Zeugnis für die Tüchtigkeit und Ausdauer der kleinen Schar. Als Belohnung erklärte der Schiffer die beiden nächsten heiteren Tage für Feiertage; am ersten wollte er mit Heik und Gazzi an Land gehen, am zweiten sollten Tome und Paul ihren Ausflug machen.
»Und ich? Wann habe ich meinen Feiertag?« fragte Dora.
»O, kommen Sie mit uns!« riefen beide Parteien zugleich.
Das junge Mädchen schüttelte lächelnd den Kopf. »Danke,« sagte sie. »Ich finde wohl andere Gelegenheit.«
Schon der folgende Tag brachte schönes Wetter, und so machten der Schiffer und seine beiden Gefährten sich sogleich nach dem Frühstück auf den Weg. Paul rojte sie an Land und kam dann mit dem Boote wieder zurück. Am Fallreep empfing ihn Tome mit der Nachricht, daß das Fräulein den Wunsch geäußert habe, mit ihnen eine Rundfahrt im Hafen zu machen. Freudig ging der Jüngling darauf ein. Dora legte ihre wärmste Kleidung an, und bald saßen die drei im Boote. Das junge Mädchen steuerte.
»Ich habe schon oft auf Flüssen, wo viel Verkehr war, ein Boot gesteuert,« sagte sie. »Hier ist es nicht so gefährlich.«
»Nein, Fräulein,« erwiderte Tome; »hier kommt uns niemand in den Weg, kein Passagierdampfer, kein Schlepper, kein Segler, kein Boot, kein nix nich. Soll mir man wundern, ob wir all dat woll noch mal wiedersehen werden.«
Nachdem sie eine Weile herumgekreuzt waren, schlug Paul vor, in die offene See hinauszusteuern. Dora und Tome waren einverstanden. Als sie durch das enge Hafentor fuhren, konnten sie sich nicht genug darüber wundern, daß die Hallig, ohne Schaden zu leiden, all die Klippen passiert hatte, die teils über, teils unter dem Wasser aufragten, und mit Besorgnis dachten sie des Tages, wo das Schiff den Hafen durch diese gefährliche Pforte wieder verlassen sollte.
»Das wird ein Stück Arbeit geben,« meinte Towe. »Wir müssen das Fahrwasser ganz un gar auswendig lernen, süs schafft wi dat nich.«
»Wir werden's schaffen, Towe,« antwortete Paul, »weil wir's einfach schaffen müssen. Wenn der Besanmast steht und auch das Vorgeschirr in Ordnung ist, dann bleibt uns noch Zeit genug, das Fahrwasser zu erkunden und auszuloten, so daß wir die Hallig sicher hinausschleppen können. Aber ein Stück Arbeit wird es geben, da hast du recht.«
Der Hafen lag hinter ihnen und das Boot hob und senkte sich auf der Dünung der weiten See. Die beiden Seeleute warfen die Angeln aus, an deren Haken fettes Schweinefleisch als Köder steckte; aber obgleich sie ihr Glück länger als eine Stunde versuchten, kein einziger Fisch biß an.
»Worüm dat hier keen' Fisch gewen doon deit, dat wern de Fisch sülben woll am besten weeten,« grollte Tome. »Lat us wedder an Bord gahn, süs freert wi noch stiw.«
Und schneller, als sie den Hafen verlassen hatten, machten sie sich auf die Rückfahrt.
Kurz vor Anbruch der Dunkelheit kehrten die andern zurück. Heik brachte ein halbes Dutzend winziger Fischlein mit. Das Angeln von den Strandfelsen aus lohnte nicht, sagte er. Die Fische seien weiter draußen. Eine Meile vom Lande entfernt, wolle er das Boot im Handumdrehen bis unter die Duchten mit Fischen angefüllt haben.
Sie hatten eine Menge Pelzrobben auf den Klippen liegen sehen, aber keine erlegt. Der Schiffer meinte, es würde sich wohl lohnen, einen Teil der Ladung herauszunehmen und das Schiff mit Robbenpelzen aufzufüllen. Der Tee wäre wohl doch schon halbverdorben, und Sealskins brächten viel Geld.
»Geld is 'ne goode Sak,« bemerkte Tome kühl, »aber wi wüllt nich witt un kahlköppig warn, ehr wi nah Hus kamt. Ich bün dorför, dat wi in See gaht, sobald wi man jichtens klor sünd.«
»Wi annern hewwt Tid noog,« entgegnete Heik. »Up us luern keene Katjes, un wi wöllt ok nich heiraten.«
»Dennso kannst du gern hier bleewen, ohl Fründ, un Robben kloppen un Sealskins sammeln! Wi fahrt nah Hus un schickt nahstens dat Schipp wedder herut nah de Crozets; verlich hest du denn all soveel von de Pelzen tosam, dat de Husreis' di lohnt.«
»Nee, Towe, dorup lat ick mi nich in,« antwortete Heik; »ich könnte die Trennung von dich nich ertragen.«
Ehe man an jenem Abend zur Ruhe ging, wurde festgesetzt, daß Paul und Towe in der nächsten Morgenfrühe nach dem Robbenkap segeln und in dessen Nähe nach guten Fischgründen Umschau halten sollten.