Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Warum der Matrose Towe einen Eierhandel anfangen will. – Wie der Pastorsohn ein Schiffsjunge wurde. – An Bord des »Senator Merk«.
Eine Woche lang schwebte Kapitän Jaspersen in großer Gefahr; der von Husum herbeigeholte Arzt erklärte sich außerstande, für seine Wiedergenesung gutsagen zu können. Unter gewöhnlichen Umständen wäre die Kopfwunde nicht sehr gefährlich gewesen; der Patient hatte jedoch so lange Zeit in der bitteren Kälte und der salzigen Flut zubringen müssen, daß die Verletzung dadurch einen bösartigen Charakter angenommen hatte.
Für Towe Tjarks aber war diese Woche eine Reihe von Festtagen. Der Pastor hatte in dem Gasthause des Ortes ein Stübchen für ihn gemietet, in dem er sich wie ein Fürst vorkam, wenn er diesen behaglichen Aufenthalt mit dem dunklen, unsauberen und engen Matrosenlogis an Bord der unlängst in Trümmer gegangenen »Hammonia« verglich. Trotzdem aber brachte er den größten Teil seiner Zeit in der Küche des Pfarrhauses zu. Einen Vorwand, dorthin zu steuern, hatte er stets; mußte er sich doch täglich nach dem Befinden seines Kapitäns erkundigen. Paul aber und der Pastor kamen bald dahinter, daß der ehrliche Towe ein großes Wohlgefallen an Katje, dem netten Hausmädchen, gefunden hatte.
Und als endlich von der Reederei der »Hammonia« ein Schreiben einlief, in dem der Vollmatrose Towe Tjarks aufgefordert wurde, sich im Kontor zu Hamburg einzufinden, um seine Aussage über den Schiffbruch zu Protokoll zu geben, da suchte er den Pastor auf und erklärte ihm, daß er Katje heiraten wolle und diese damit einverstanden sei.
»Eine kleine Weil' kann dat ja noch duern, Herr Pastohr,« fügte er in seinem besten Hochdeutsch hinzu. »Denn sehen Sie, ich hab' ja all ein büschen Geld auf die Sparkass', aber zu einem Hühnerhof langt dat noch nich. Wi hewwt uns dat nämlich überlegt, so ein Eierhandel is ein gutes Geschäft, dabei verdient man ein bannig Stück Geld, mehr als bi de Seefohrt. Wenn ich nu noch eine Reis' machen tu', dann hab' ich sacht so viel beisammen, dat wi heiraten könt.«
Darauf dankte er dem Pastor warm und treuherzig für alles Gute, das dieser ihm und seinem Kapitän erwiesen, verabschiedete sich von Paul, der Frau Pastorin, den Töchtern und zuletzt von Katje, und machte sich von Husum aus auf die Eisenbahnfahrt nach Hamburg.
Vierzehn Tage später war auch Kapitän Jaspersen so weit wiederhergestellt, daß er sich zur Abwicklung seiner Geschäfte zur Reederei begeben konnte. Beim Abschied von seinen Wohltätern war sein männliches Auge feucht von Tränen. Man nahm ihm das Versprechen ab, ehe er seine nächste Fahrt antreten würde, das Pfarrhaus auf Westerstrand noch einmal zu besuchen; dann sollte Paul mit ihm gehen, um unter seinem Kommando die dritte seiner Seereisen zu machen.
Paul war des Pastors einziger Sohn. Auf Westerstrand geboren, war in dem Herzen des Knaben schon früh die Liebe zur See erwacht. Der Vater ließ nichts unversucht, ihn davon abzubringen. Er gab ihn tief im Binnenlande in eine Pension und ließ ihn dort die Schule besuchen, allein diese Verbannung fachte die Sehnsucht des Knaben nach dem freien blauen Meere, dem windigen, schaumumkränzten Strande mit all den Booten und Fischkuttern nur noch heftiger an. Endlich gab der Vater nach. Er sagte sich, daß Paul auf der See ebensogut sein Glück machen und ein tüchtiger Mann werden könne wie in jedem andern Beruf, und daß das Vaterland gerade jetzt, wo die deutsche Marine einen so gewaltigen Aufschwung zu nehmen im Begriff war, gar nicht genug Seeleute haben könne.
Er fuhr mit dem Sohne nach Hamburg zu einem ihm bekannten Reeder, der den Knaben auf einem seiner Schiffe unterbrachte, zunächst als Kajütsjunge. Die erste Reise ging nach Valparaiso, die zweite, unter Kapitän Jaspersen, nach Kapstadt und über Westindien wieder heim. Während dieser Fahrt, die er als Decksjunge machte, hatte der Schiffer ihm viel Wohlwollen und Freundlichkeit erzeigt, und solch ein Junge vergißt in seinem ganzen Leben nicht die Güte, die ein Vorgesetzter ihm in der harten Lehrzeit entgegengebracht hat, ebensowenig aber auch die schlechte Behandlung, die er etwa hat erfahren müssen. Daher war auch Pauls Freude so groß, als er zur Rettung seines guten Kapitäns hatte beitragen dürfen.
Nach einigen Wochen traf Kapitän Jaspersen wieder im Pfarrhaus auf Westerstrand ein, allen seinen Insassen ein lieber und hochwillkommener Gast. Gleich am ersten Abend hatte der Pastor eine lange Unterredung in seinem Studierzimmer mit ihm.
»Die Reederei hat mir im nächsten Jahr ein neues Schiff versprochen, das ich als Kapitän führen soll,« berichtete der Schiffer im Laufe des Gesprächs. »Bis dahin ist eine Kapitänsstelle für mich nicht frei. Binnen kurzem aber wird der ›Senator Merk‹ seeklar sein, eine feine Bark, die auch Eigentum meiner Reederei ist. Die brauchte einen ersten Steuermann, da habe ich mich entschlossen, als solcher anzumustern. Die Reise geht nach Melbourne. Ohne Zweifel hätte ich bei einer andern Reederei einen Kapitänsposten gefunden, ich wollte aber meiner alten Firma, der ich nun schon seit meiner Schiffsjungenzeit diene, nicht untreu werden.«
»Das macht Ihnen Ehre, Kapitän Jaspersen. Und Sie meinen, daß Paul auch unter diesen veränderten Umständen zu Ihnen an Bord kommen könnte? Soll ich an die Reederei schreiben?«
»Das wird nicht nötig sein, Herr Pastor. Es wäre mir eine große Freude, Paul wieder bei mir an Bord zu haben. Ich habe bereits mit den Herren im Kontor darüber gesprochen und ihnen erzählt, welchen Anteil Paul an unserer Rettung gehabt hat. Ich denke, Sie werden nächster Tage ein Schreiben von der Firma erhalten.«
Dann brachte Jaspersen die Stellung zur Sprache, die Paul an Bord einnehmen sollte.
»Er fährt nun länger als zwei Jahre,« sagte er, »und hat in dieser Zeit schon so viel vom Schiffsdienst gelernt, daß er jetzt als Leichtmatrose anmustern kann. In einem weiteren Jahr ist er Vollmatrose, und wenn er fünfundvierzig Monate Fahrzeit aufzuweisen hat, kann er auf die Navigationsschule gehen. Hat er diese hinter sich und das Examen bestanden, dann ist er berechtigt, den Steuermannsdienst auf deutschen Kauffahrteischiffen jeder Größe zu verrichten und als Einjähriger in der Marine zu dienen.«
»Und wann kann er Kapitän werden?« fragte der Pastor.
»Wenn er vierundzwanzig Monate als Steuermann gedient haben wird.«
»Nun, möge Gott ihn und uns dies erleben lassen,« sagte der Pastor.
Schon am folgenden Morgen kam ein Brief aus Hamburg für Paul. Die Reederei schrieb ihm, wenn er willens sei, auf dem »Senator Merk« anzumustern, so möge er sich bereithalten; die Bark werde Ende der Woche in See gehen. Dann folgten Worte warmer Anerkennung für sein Verhalten beim Schiffbruch der »Hammonia«.
Paul reichte den Brief seinem Vater.
»Nett von den Herren,« sagte er. »Hoffentlich geben sie dem Koch auch die Weisung, mir zu Ehren jeden Sonntag extra ein paar Hände voll Pflaumen in den Sackkuchen zu tun.«
Jaspersen reiste nach wenigen Tagen wieder ab, da der erste Steuermann an Bord sein muß, sobald das Einnehmen der Ladung beginnt. Er muß genau wissen, wo alles verstaut wird, und dabei hat er noch vielerlei andere Dinge zu überwachen, wie das Unterbringen der Proviantvorräte, der neuen Segel, des Tauwerks und all der andern für die Reise notwendigen Waren und Gegenstände.
Die nächsten Tage verstrichen allen Bewohnern des Pfarrhauses sehr schnell. Die Zeit vor einem Abschiednehmen scheint immer Flügel zu haben. –
Wir finden Paul an Bord des »Senator Merk« wieder. Es ist acht Uhr früh. Der Schleppdampfer, der das Schiff aus der Elbe hinausbugsierte, hat die Trossen losgeworfen und wendet sich zur Rückfahrt. Eine günstige Brise füllt die Segel des stolzen Fahrzeugs, das auf westlichem Kurse in das deutsche Meer hinaussteuert.
Es gibt nicht leicht einen schöneren Anblick, als ein großes Vollschiff, das unter allen Segeln mit einem frischen Backstagswind über die leichtbewegte See dahinrauscht, auf der weißen, schimmernden Leinwand die lichte Morgensonne, und jede Leine, jedes Stag und jede Pardune in der frostklaren Atmosphäre scharf abgezeichnet auf dem Hintergrunde der hellen Luft. Die Passagiere eines vorbeikommenden großen Ozeandampfers hatten Verständnis dafür, sie standen in langen Reihen an der Reling und folgten dem Schiffe mit bewundernden Blicken, solange es deutlich in Sicht war. – Der »Senator Merk« hatte einen Rauminhalt von tausendsechshundert Registertonnen Registertonne = 100 engl. Kubikfuß. Einheitsmaß für den gesamten Raumgehalt eines Handelsschiffes. Die Bezeichnung stammt, wie viele deutsche Schiffsausdrücke, aus England. und führte eine Besatzung von achtzehn Vollmatrosen, zwei Leichtmatrosen und zwei Jungen. Einer der Leichtmatrosen war unser Paul. Er, Towe Tjarks und noch sieben andere Matrosen gehörten zur Backbordwache, die von dem Obersteuermann befehligt wurde.
Das Schiff hatte das im Monat Februar seltene Glück, die Nordsee und den Kanal mit einem stetigen Nordostwind und bei bestem Wetter zu passieren, und da die Brise auch dann noch günstig blieb, gelangte es bald aus dem rauhen nordischen Klima in eine wärmere Gegend. Hier schralte der Wind jedoch nach Süden herum; man mußte die Raaen scharf anbrassen, die Bulinen ausholen und »bei dem Winde« segeln.
Die Mannschaft bestand fast gänzlich aus Seeleuten von unserer nordischen Wasserkante, Hamburgern, Schleswig-Holsteinern, Friesen und Pommern; nur zwei Ausländer befanden sich darunter, ein Norweger und ein Grieche. Solange nicht zu viel fremde Elemente im Logis sind, kann man immer auf ein gutes Einvernehmen und auf eine gemütliche Reise rechnen; zuweilen reicht freilich ein einziger Störenfried hin, eine ganze Mannschaft in Aufregung und Unbehaglichkeit zu erhalten. Man kann nie wissen, wie die Dinge an Bord sich gestalten werden, ehe man nicht einige Wochen in See ist, denn dann erst beginnen sowohl die Offiziere wie auch die Leute einander recht zu verstehen und zu beurteilen.
Obersteuermann Jaspersen behandelte Paul genau so wie alle andern und ließ durch nichts erkennen, daß er ihm näher stand. Nur zur Nachtzeit, wenn Paul seine zwei Stunden am Ruder zu stehen hatte und das Wetter es erlaubte, plauderten sie von dem lieben Pfarrhause auf Westerstrand und allen seinen Bewohnern, wobei der Steuermann oft wie ganz zufällig das Gespräch auf Fräulein Gesine, seine treue Pflegerin, zu bringen wußte.