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Der Jaspersenhafen. – Warum Gazzi sich in Heiks Kammer geflüchtet hatte und ihm Towes Pfannkuchen nicht schmeckten. – Kerguelenkohl. – Seemannsaberglauben. – Was der Kapitän von einem Seespuk erzählt. – Wie Paul das Gespenst entdeckt und fängt.
Kein Dock der Welt hätte dem Schiffe einen besseren und geschützteren Zufluchtsort bieten können, als dieses Becken. Unsere Seefahrer blickten einige Minuten stumm vor Erstaunen um sich.
»Junge, Junge!« rief Towe Tjarks endlich, als der erste, der seinen Gefühlen Ausdruck verschaffte. »Binnenkamen sünd wi jo nu, aber wedder hier ruttokamen, dat is 'n anner Frag'. Soveel as ick sehn kann, ward wi woll tidlewens hier liggen bliwen möten. Na, denn helpt dat nich. Nu willt wi man uns' Heik ut dat Boot nehmen un wedder dalbringen.«
»Grämt Ju nich um das Rutkamen, Towe,« sagte der Schiffer. »Die Strömung wird nicht immer so stark sein, wie heute, und zeitweise auch wohl ganz Nachlassen. Ich kenne das. Sorgen Sie jetzt dafür, daß wir was zu essen kriegen; wir bringen inzwischen Heik Weers in seine Koje und nach dem Schaffen ward intörnt, denn Slap könt wi bruken, un nich to wenig.«
Towe ging in die Kombüse und kam bald mit einer Schüssel voll gebratener Speckscheiben wieder achteraus. Dazu gab es Hartbrot und Kaffee. Das war ein Göttermahl. Dann suchte jeder mit einem Gefühle behaglichster Sicherheit die Koje auf. Heik gab ihnen noch die Versicherung, Ankerwache halten und wahrschauen (warnen) zu wollen, wenn sich irgend etwas ereignen sollte, was allerdings kaum zu erwarten war.
Der Naturhafen, in den die Hallig auf so seltsame Weise hineingeführt worden war, hatte ungefähr Hufeisenform. Das ihn umschließende Land war ödes Felsgestein, nach innen zu bergig und sehr hoch. Viel Vegetation war auf der Insel nicht zu erwarten, dazu war das Klima zu rauh und kalt. Die Sonne scheint nur selten in diesen Breiten, und dann nur wenige Stunden am Tage; fast immer hängt schweres Gewölk unter dem Firmament, und selten ist die See frei von Stürmen. In diesem von allen Seiten geschützten Becken aber hatten die Winde keine Gewalt, und wenn auch der immerwährende Donner der Brandung von draußen deutlich zu hören war, hier drinnen war es immer still. Kein Wunder, daß die kleine Mannschaft der Hallig von Herzen dankbar war für die Zuflucht, die sie hier wider alles Erwarten gefunden hatte.
Paul wurde aus dem langen Schlafe zuerst wieder wach. Er sprang aus der Koje und zog seine Pijacke an, um an Deck zu gehen. Zunächst aber stattete er dem wach in seiner Koje liegenden Heik einen Besuch ab.
»Hast 'ne lange Ankerwache gehabt, Maat,« sagte er leise, um die andern nicht zu wecken. »Nach der Uhr in der Kajüte ist's Mitternacht. Ich habe also beinahe zwölf volle Stunden geschlafen.«
»Dat hast du, Sohn; ich hoffe, dat dich dat gutgetan hat. Nichts nich passiert in die Zeit, alles ruhig gewesen, bloß manchmal war mich dat so, als ob jemand an Deck rumlaufen täte. Dat konnt jo aber woll nich gut möglich sin.«
»Nee, Heik, dat konnt's nich. Du hast wohl geträumt. Jetzt schlaf aber, Alterchen; ich halte Wache, bis die andern auf sind.«
»Gut, Sohn. Stopf' mich die Pfeife, un törn mi auf die andre Seit', allein kann ich dat noch nich.«
Paul erfüllte des alten Matrosen Wünsche, und ging dann an Deck. Die Nacht war klar, am Himmelsgewölbe glitzerten die Sterne, und die stille Flut warf ihre Spiegelbilder funkelnd zurück. Schwarz und schweigend ragten die Felsenberge rings in den dunklen Äther empor, der von dem dumpfen Getön der fernen Brandung ganz erfüllt zu sein schien.
Gar bald spürte Paul die Wirkung der Kälte; er hielt sich daher nicht allzulange bei der Betrachtung des imposanten Naturschauspiels auf, sondern machte sich auf den Weg zur Kombüse, um Feuer anzuzünden und Kaffee zu kochen.
Er glaubte jedoch seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er hier das Feuer in vollem Gange und obendrauf einen Kessel mit kochendem Wasser fand. – Wer konnte vor ihm hier gewesen sein? Heik lag hilflos fest, alle andern schliefen. Also ein Geheimnis mehr. Kein anderer als der Geist hatte hier seine Hand im Spiele.
»Hm,« dachte Paul. »Ob ich das Wasser zum Kaffeekochen verwenden soll? Zum Weggießen ist es eigentlich zu schade; wir haben nicht mehr viel Wasser an Bord, und wer weiß, ob sich an Land etwas finden wird. Unsinn, ich bin doch kein Narr! Geister machen kein Feuer an, setzen auch nicht Wasser zum Kochen auf. Heik hat Tritte an Deck zu hören gemeint, es muß also einer aufgestanden sein und das Feuer angeschürt haben.«
Zehn Minuten später hatte er einen Blechtopf voll von heißem, duftendem Kaffee in den kalten Händen. Dabei wanderten seine Gedanken weit fort nach der fernen Heimat am deutschen Meere. Während er so traumverloren vor dem warmen Feuer stand, vernahm er Schritte an Deck, und gleich darauf trat Towe in die Kombüse. Der schnüffelte vergnüglich, und ließ sich auch einen Pott voll Kaffee reichen.
»Hest 'n schönes warmes Füer makt,« schmunzelte er. »Büst all lang hier?« – Paul sagte ihm, daß er vorhin erst gekommen sei, das Feuer aber bereits brennend und den Kessel kochend gefunden habe. Towe zeigte keine Verwunderung; dann müsse eben ein anderer vor ihm dagewesen sein, meinte er. Darauf fing er an zu plaudern.
»Wird 'n Stück Arbeit geben, den ohlen Kasten wedder uptotakeln,« sagte er. »Is man good, dat de schönen Reservespieren nich mit äwer Bord gähn sind.«
»Ja,« erwiderte Paul nachdenklich, »eine ganze Zeit wird's dauern, ehe wir wieder klar sind. Bis dahin werden sie uns zu Hause wohl längst für tot halten. Wenn wir dann aber unversehens wieder da sind, Towe – was?«
»Na, de Freud! Wo gau (schnell) se denn woll de Truerkledaschen wedder uttrecken warn. Ick denk' mi, min lütt Katje möt as Witwe bannig nüdlich utsehn. Un dennso giwwt dat Hochtid un en Hühnerhof un en feines Eiergeschäft. En Eiergeschäft giwwt Geld, Paul, dat kann ick di seggen, Paul. Dat sport wi, und nahsten köfft wi uns ein lüttes gemütliches Hüschen, min Katje un ick. Un denn –«
»Stopp, Towe,« unterbrach Paul die Zukunftspläne des Matrosen. »Zuerst müssen wir die Hallig aufgetakelt haben, und dann mit ihr aus diesem Loch wieder 'raus sein. Bis dahin kann noch viel Zeit vergehen und auch noch manches passieren.« – So saßen die beiden vor dem knisternden Feuer bis der Tag anbrach; dann brachten sie frischgekochten Kaffee in die Kajüte und weckten den Schiffer und den Griechen.
Obgleich es nicht an notwendiger Arbeit fehlte, so beschloß Jaspersen dennoch, vor allem andern eine Bootsfahrt zur Erforschung des Hafens zu unternehmen, um die Örtlichkeit kennen zu lernen, wo die Hallig voraussichtlich manch langen Monat würde zubringen müssen. Der Proviant wurde aus dem Boote genommen und dieses zu Wasser gebracht. Gazzi blieb an Bord, um auf Heik Weers achtzugeben und sich in der Kombüse nützlich zu machen. Es wurde ihm eingeschärft, um Sonnenuntergang ein tüchtiges Mahl bereitzuhalten, denn so lange sollte die Expedition ausgedehnt werden.
Aus dem Waffenvorrat des Schiffes versah sich jeder mit einem Revolver und Munition; Jaspersen nahm außerdem die Schrotflinte des verstorbenen Kapitäns mit sich. So ausgerüstet machten unsere drei Abenteurer sich auf die Fahrt.
»Glöwen Se, Keppen Jaspersen, dat dor wilde Menschen up düsset Eiland wohnen doon?« fragte Towe, während er kräftig seinen Remen handhabte. – »Ich habe über eine Woche die Sonne nicht nehmen, also auch kein Besteck ausrechnen können,« antwortete der Schiffer, »ich denke mir aber, daß wir hier eine von den Inseln der Crozetgruppe angelaufen sind. Trifft das zu, dann ist das Land unbewohnt und nahezu wüst. Mit diesem Hafen aber, der soviel ich weiß noch auf keiner Karte verzeichnet ist, können wir sehr zufrieden sein.«
»Dat könt wi. Dorför möt he nu aber ok en Namen hewwen.«
»Ich schlage den Namen Jaspersenhafen vor,« sagte Paul. »Damit folgen wir dem Beispiel all der andern Kapitäne, die stets alles Land und alle Häfen, die sie entdeckten, mit ihren Namen belegten.«
»Gut, nennen wir ihn Jaspersenhafen,« entgegnete der Schiffer lächelnd. Auch Towe erklärte sich damit einverstanden, fügte aber hinzu, daß sich Katjehafen auch sehr gut angehört haben würde.
Sie liefen die Klippen an, die im Mittelpunkte des Hafens lagen und der Hallig beinahe verderblich geworden wären. Diese bildeten eine fast zusammenhängende Steinmasse von zehn Faden Länge und fünf Faden Breite, und waren oben flach, zwei hoch und spitz wie Kirchtürme aufragende Felsenobelisken an den Seiten ausgenommen.
Von dort aus ging es dem Gestade zu, das bald erreicht war. Paul sprang zuerst an Land und machte die Fangleine des Bootes an einem Steine fest. Die beiden andern folgten.
»Junge, Junge, wenn nu de ohlen Wilden kamen doon!« sagte Towe. »Na, man los!« – Sie schlugen unter des Schiffers Führung die Richtung nach der offenen See ein, um einen Ort zu finden, wo man einen Flaggenmast aufrichten und durch Notsignale die Aufmerksamkeit vorübersegelnder Schiffe auf die Insel richten könnte. Nach stundenlangem Steigen, Klimmen und Springen gelangten sie auf einen Gipfel, der eine ebene Fläche von etwa hundert Faden Umfang bildete. Von hier aus überschaute man die unendliche See. Obgleich nur eine schwache Brise wehte, so stand die Brandung doch noch immer gewaltig hoch, und umtoste den Strand mit donnerndem Gebrülle.
Auf Anordnung des Schiffers trennte man sich hier. Paul sollte die Forschung in südlicher Richtung fortsetzen, Towe hatte nach Osten und Jaspersen nach Norden zu wandern. Bei dem Boote wollte man sich wieder treffen. Vor allem galt es, Wasser zu finden; dabei sollte jeder sein Augenmerk auch auf die Vegetation richten und Exemplare von Pflanzen, die er für nützlich und verwendbar hielt, mitbringen.
»Gefahr ist nicht zu fürchten,« sagte der Schiffer, als sie sich trennten. »Außer einigen Vogelarten gibt es dem Anschein nach kein lebendes Wesen auf dieser Insel.«
Es dunkelte bereits, als Paul müde und hungrig das Boot wieder erreichte. Er legte die Ergebnisse seiner Forschung auf den Boden des Fahrzeugs und setzte sich auf einen Stein. Das Schiff sah unheimlich öde und verlassen aus, wie es ohne Masten und zum Teil auch ohne Schanzkleidung dort drüben auf dem schwarzen Wasser des Hafens lag. Recht wie ein Gespensterschiff, dachte er. Ich wollte, Keppen Jaspersen und Towe kämen. Es wird bald ganz finster sein.
Kaum hatte er diesem Wunsche Raum gegeben, da erschien der Matrose, beladen mit erbeuteten Vögeln und Pflanzen.
»Min Urgroßvater is Waldhüter oder Wilddieb west,« sagte er, und warf seine Last ins Boot, »ick weet nich mehr wat von beiden, un ick bin as Appel nich wit von den Stamm follen. Kiek ens her, Paul, Pinguine, Kaptauben un Kohlköpp. Junge, Junge, nu giwwt dat frische Buljongsupp', so lang as wi hier liegen doon. De Kapduwen smecken woll en beten tranig, aber sonsten sünd se 'n Tetelakeß.«
»Junge, Junge,« rief Paul lachend, »wat för'n feines Wort hast du da all wedder erfunden! Segg dat noch mal, Towe.«
»Tetelakeß, du Döskopp. Is dat verlich wedder nich richtig Dütsch, du ohle Schoolmeester?«
»Nee,« sagte Paul, »ebensowenig deutsch, wie das richtige Wort, und so kommt es wohl auf eins heraus. Delikatesse wolltest du sagen.«
»Kann möglich sin,« entgegnete Towe, und erzählte dann, daß er die beiden Pinguine und die drei Kaptauben mit dem Revolver erlegt habe, und daß die Insel auf der andern Seite von diesen Vögeln wimmele. Auch gäbe es drüben mehr Vegetation, als auf dieser Seite.
Er redete noch, da langte auch der Schiffer an. Der kam mit leeren Händen, da er sich nur mit der Erforschung der merkwürdigen Strömung befaßt hatte, die die Hallig in den Hafen geführt. Sie stießen ab und roiten dem Schiffe zu.
»Warum der Grieche wohl keine Laterne am Fallreep angebracht hat,« sagte der Schiffer. »Wenn es noch dunkler geworden wäre, dann hätten wir die Bark kaum gefunden.«
»He ward woll intörnt sin,« bemerkte Towe. »Schall mi wunnern, ob he dat Schaffen klor het.«
In der Nähe des Schiffes angelangt, rief er es an.
»Hallig ahoi!«
Keine Antwort.
»Springt an Deck, Towe,« sagte der Schiffer. »Nehmt die Fangleine mit und macht sie fest.«
Gleich darauf waren alle drei an Deck. Towe ging zur Kombüse.
»Dor is keen Füer,« rief er. »Keen Mensch to sehn!«
Der Schiffer und Paul erstiegen das Kampanjedeck, der erstere rief in die Luk hinunter: »Ahoi dor neeren!«
Sie hörten Heik Weers eine Antwort geben, verstanden jedoch nicht, was er ihnen zurief.
Die Kajüte war dunkel.
»Gazzi! wo stecken Sie?« schrie jetzt der Schiffer.
»Hier,« kam die Stimme des Griechen dumpf herauf.
»Was ist mit Ihnen? Zünden Sie die Lampe an, aber schnell!«
Sie gingen die Treppe hinunter, mit ihnen auch Towe. Da der Grieche sich nicht meldete, zündete Towe ein Streichhölzchen an und brachte die Lampe in Brand.
»Wat tum Düwel is hier neeren los?« fragte er, sich rings umsehend.
Heik Weers lag in seiner Koje, und wenn er sich auch sonst kaum rühren konnte, so wurde jetzt doch seine Zunge lebendig genug. Neben ihm auf dem Fußboden kauerte Gazzi. Sein gelbes Gesicht war leichenblaß, er stierte die Eingetretenen mit wild aufgerissenen Augen an und stand nicht eher auf, bis er sich überzeugt hatte, daß sich seine Schiffsmaaten und keine Gespenster vor ihm befanden.
»Düsse verdammte Griek möt wi uphangen, Keppen Jaspersen,« sagte Heik in hellem Zorne. »An de Nock von de Grotraa – ach so, wi hewwt jo keen. He het in sin Lewen all soveel Lüd dotmurdert, dat ehre Geister nu äwerall, wo he gahn un stahn doon deit, achter em an sünd. Vier Stunden is dat nun all her, Kaptein, da kam er die Kampanjetrepp dal wie ein Verrückter un hockt sich hier bei meine Koje nieder und sagt, wie er in die Kombüs' dat Essen kochen tat, da wär' ein Gespenst gekommen, dat hätt' just as en junges Mädchen utsehn un in de Dör von de Kombüs' rinkeken. Un wat tut er? He löppt wat he lopen kann und kommt hier dalklabastert un verkrupt sich bei meine Koje un is nich wegzukriegen, so gut ich ihm auch zureden tu', un nich mal die Lamp' wollt' er anstecken. He möt uphangt warn, segg ick.«
»Un ick segg dat ok,« rief Towe entrüstet.
»Wenn ick Jugen Rat bruken do, dennso ward ick Ju darnach fragen,« sagte der Schiffer.
»Un keen Schaffen het he ok nich klor makt,« rief Towe noch entrüsteter.
»Dann verfügen Sie sich gefälligst in die Kombüs' und besorgen das selber. Aber schnell, denn wir haben Hunger.«
»Jowohl, Kaptein,« antwortete Towe und schob gehorsam ab.
Paul folgte ihm auf des Schiffers Geheiß, um ihm zur Hand zu gehen.
»Bring den Kram ut de Boot an Deck, Sohn,« sagte der Matrose. »Ick böt mitdewil Füer an.«
Paul schaffte das Geflügel und das Gemüse herauf, brachte das Boot achteraus unter das Heck und kehrte dann zu seinem Freunde zurück, der sogleich wieder von dem Griechen und von dem Gespenst anfing, das dieser gesehen haben wollte. Paul hörte eine Weile stillschweigend zu, dann sagte er: »Ihr mögt darüber denken und reden wie ihr wollt, du und Heik, aber auch ich habe die Gestalt eines Mädchens hier an der Kombüsentüre gesehen, genau so wie der Grieche sie beschrieben hat. Da ich aber soeben aus dem Schlaf gekommen war, redete ich mir ein, daß das wohl nur ein Traum gewesen sei.«
»Ich behaupte ja gar nicht, dat es hier an Bord der Hallig keinen Spuk geben täte,« entgegnete Towe, »denn jeder von uns hat hier schon was Gespensterhaftes gesehen oder gehört. Un is dat Verschwinden von die alte Mannschaft nich auch eine geheimnisvolle Sache? Dat gelbe Fieber het dat daan, steht in dat Logbuch; ick segg aber, de Lüd sünd vör lauter Angst un Furcht dotgegangen. Dat is aber keen Grund för Gazzi, uns keen Abendbrot to maken. En Gespenst is keen angenehmer Schiffsmaat, indessen aber schall so 'n Ding mi nich hinnern, meine Schülligkeit to doon. Mich können so 'ne Hallunkinatschonen nix nich anhaben.« – »Halluzinationen meinst du wohl?« sagte Paul.
»Ick mein', wat ick mein', Quesenbüdel!«
Das Abendbrot, bestehend aus Pfannkuchen, konserviertem Fleisch und Tee, stand bald auf dem Tische. Zur Herrichtung des Geflügels hatte die Zeit nicht gereicht.
Der Schiffer war in bester Stimmung. Er glaubte herausgefunden zu haben, daß die Meeresströmung, die sie in das Hafenbecken hereingetrieben hatte, nicht zu den immerwährenden gehörte, sondern daß sie wahrscheinlich durch den anhaltenden Orkan, vielleicht auch durch einen unterseeischen vulkanischen Vorgang veranlaßt worden war.
»Von solchen unterseeischen vulkanischen Störungen und Eruptionen weiß ich ein Wort mitzureden,« sagte er. »Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich etwas erlebt, was ich mein Lebtag nicht vergessen werde.«
»Ach bitte, erzählen Sie, Keppen Jaspersen,« drängte Paul. »Wir sitzen hier so traulich beisammen – ach bitte!«
»Ein andermal, Jungchen,« sagte der Schiffer, »wir werden noch oft genug hier beisammen sitzen.«
Und wieder auf die Strömung zurückkommend, äußerte er seine Ansicht dahin, daß dieselbe vielleicht ganz verschwinden würde, wenn das Wetter auf längere Zeit ruhig bliebe; seitdem der Wind nachgelassen, habe sie jetzt bereits kaum noch eine Geschwindigkeit von drei oder vier Knoten. – Der einzige, dem Towes Pfannkuchen nicht zu schmecken schienen, war der Grieche, der unablässig verstohlen nach der Kampanjetreppe schielte, als fürchte er, dort jeden Augenblick eine Schreckgestalt erscheinen zu sehen.
»Magst min Pannkoken woll nich, wat?« fragte Towe. »Stau' man weg soveel du kannst; du hest den ganzen Dag wider nix nich daan, as in Heik sin Kammer seten, dorüm schaff du nu ok de ganze Nacht Ankerwach' hollen. Is ni wohr, Kaptein?«
»Nein, das soll er nicht,« sagte der Schiffer. »In diesem sicheren Hafen braucht niemand Ankerwache zu halten. Und laßt mir den Mann jetzt endlich in Ruhe, er kann nichts für seinen Aberglauben, alle seine Landsleute sind abergläubisch.«
»O wat freu' ick mi, dat ick keen Griek nich bün!« rief Towe und lachte.
»Behalten Sie Ihre Freude für sich und lassen Sie uns hören, was Sie an Land gesehen und gefunden haben,« sagte der Schiffer. »Das wird richtiger sein, als fortwährend an einem Schiffsmaaten etwas auszusetzen.«
»Jowoll, Kaptein. Ick heww also de Gegend entdeckt, wo die Vögel wohnen tun. Da fliegen nich zwei oder drei bloß umher, wie up düsse Sid, nee, Millionen fliegen dor rüm, Kaptauben, Albatrosse, Pinguine un all so'n Zeug. De Pinguine sitten blot, de fleegen nich. Un de Eier! Junge, Junge! Wenn ick mal ens mit min Katje so'n Eiergeschäft in de Gang kregen künn! Un all düsse Eier sünd fein to eten; solang wi hier hebben doon, brukt wi also keen' Nohrungssorgen to fürchten. Und Kohl habe ich auch gefunden.« Er holte eine großblättrige Pflanze aus seiner Koje und reichte sie dem Schiffer.
»Großartig, was?« sagte er triumphierend.
Jaspersen betrachtete die Pflanze, beroch sie, kostete davon und erklärte dann, seiner Meinung nach wäre das Kerguelenkohl, eine Pflanze, die zuerst auf den Kerguelen gefunden worden sei, einer Inselgruppe, die ungefähr in derselben Breite wie die Crozets, aber weiter östlich liege. Er habe von den guten Eigenschaften dieses Kohls manches gehört und gelesen, und wenn dies die richtige Art wäre, dann müsse man Towes Entdeckung mit Freude begrüßen. Gleich morgen solle eine Probe davon gekocht werden, und habe diese einen Kohlrabigeschmack, dann wär's der echte Kerguelenkohl.
»Aber wer soll dat Zeug zuerst kosten?« warf Towe ein. »Ick bedank' mir dafor, denn weiß man denn, ob dat nich vielleicht giftig is? Ick will heiraten, wenn ick nach Haus kommen tu'. Lat een' von de leddigen Lüd de Kohl pröwen. Dor is Heik Weers, de is Junggesell un het in de letzte Tid keen' Arbeit hier an Bord nich daan, verlieh will de de Sak riskiern.«
»Ick bedank' mi gleichfalls recht schön,« rief Heik aus seiner Koje herüber, »ick befinde mir in schwächlichen Gesundheitsumständen un muß daher sehr diät leben, as de Dokters seggen. Du hest dat Tüg an Bord bracht, min ohle Jung', dorum mußt du dat ok probeern. Die Güte einer Entdeckung muß ümmer erst pröwt warn, ehe man sie der Öffentlichkeit übergeben tut. Is de Kohl ein gutes un gesundes Nahrungsmiddel, dennso schast du as 'n berühmten Entdecker gelln, un vergiftest du dir damit, wat schad't dat?«
»So? wat schad't das, seggst du?« rief Towe. »Is nahsten min Katje nich 'ne Witwe?«
»Genug davon,« sagte der Schiffer. »Was hat Paul gefunden?«
»Auch ich habe Kohlpflanzen mitgebracht,« antwortete dieser, »auch viele Vögel habe ich gesehen, aber das beste ist, daß ich gutes Trinkwasser entdeckt habe, und zwar einen ganzen munter plätschernden Bach voll.«
»Das ist eine willkommene Nachricht,« rief Keppen Jaspersen erfreut. »Ich war bereits in Sorge, denn unser Wasservorrat geht stark auf die Neige. Es ist zwar wohl möglich, daß irgendwo im Raume noch ein Wassertank vorhanden ist. Wir müssen nächstens danach suchen.«
»Verlich sinn' wi dorbi ok dat Nest, wo de Spuk in sitten deit,« brummte Towe und warf einen spöttischen Blick auf den Griechen.
Der Schiffer bemerkte diesen Blick mit Mißfallen und sagte:
»Wenn ich vorhin die Äußerung tat, daß Gazzis Landsleute alle abergläubisch wären, und ihm daher aus seinem Aberglauben kein Vorwurf gemacht werden solle, so wollte ich damit keineswegs gesagt haben, daß deutsche Seeleute von dieser Torheit ganz frei seien. Im Gegenteil, unsere Janmaaten haben durchaus kein Recht, sich in dieser Hinsicht über die Griechen und andere Ausländer erhaben zu dünken. Die meisten halten es heutigestags noch für unglückverheißend, wenn eine Frau sich an Bord befindet, Kinder dagegen sollen guten Wind bringen. Die Torheit geht noch weiter. Noch vor dreißig Jahren lebte an der Schlei, im Schleswigschen, eine alte Frau, die an die Seefahrer Wind verkaufte und auch wirklich manchen Abnehmer fand. Sie gab dem Käufer ein Endchen Leine mit Knoten darin. Löste man den ersten Knoten, dann gab's guten Wind, der zweite brachte schlechtes Wetter, der dritte Sturm. Man sollte so etwas kaum glauben. Man muß die abergläubischen Janmaaten aber auch gerecht beurteilen. Die geheimnisvolle Macht und Majestät der See ist sicherlich angetan, die Phantasie aller Menschen, die einen großen Teil ihres Lebens auf ihr zubringen, mit einer unendlichen Reihe von Vorstellungen und Mutmaßungen zu erfüllen; die Wirrnisse zwischen dem, was erklärlich ist, und dem, was unerklärlich bleibt, versetzen Geist und Gemüt vieler Seefahrer gar bald in einen Zustand, der allerlei Aberglauben zu fördern sehr geeignet ist.
»Ich muß gestehen, daß auch ich einmal sehr nahe daran war, abergläubische Anwandlungen zu haben. Sie brauchen mich gar nicht so anzusehen, alter Towe, ich rede in vollem Ernst. Ich will die Geschichte erzählen; die ›Hallig Hooge‹ ist gerade der rechte Ort dazu, wie ihr bald merken werdet.
»Im Jahre 1880 fuhr ich als Steuermann auf der ›Helene‹, einem Vollschiff von ungefähr der gleichen Größe wie dieser Kasten hier. Wir lagen in dem kleinen Hafen von Port Morant auf Jamaika, und warteten auf unsere Zuckerladung.
»Die Mannschaft bestand aus lauter Farbigen, vom schwarzen Nigger abwärts bis zum hellen Quadronen, zusammen vierundzwanzig Köpfe. Die meisten waren vollbefahrene Matrosen, und ich hatte alle Ursache, mit ihnen zufrieden zu sein, einige Kindereien abgerechnet, die solchen Farbigen nun einmal nicht abzugewöhnen sind, und die man ihrer Veranlagung zugute halten muß.
»Wir hatten uns diesen ruhigen Hafen ausgesucht, um hier das Schiff einmal gründlich zu überholen und seine Takelung schmuck und trimm zu machen, und so kam es, daß die ›Helene‹ zur Zeit der Begebenheiten, die ich erzählen will, bereits drei Monate auf derselben Stelle, unweit eines alten Wracks, gelegen hatte, dem Überrest eines vor Jahren hier gesunkenen Schiffes, das halb aus dem Wasser ragte, allenthalben von Schilf umwachsen und von üppiger tropischer Vegetation übergrünt war.
»Eines Abends saß ich in der Kajüte und legte mir die Schiffsarbeit für den nächsten Tag zurecht. Da kam der zweite Steuermann zu mir herein. Er war einer von jenen tüchtigen finnischen Seefahrern, die man auf den Schiffen aller Nationen antrifft, und die man überall hochschätzt.
»›Nun, Söderström,‹ fragte ich, ›was gibt's?‹
»›Ich weiß nicht, Stüermann,‹ sagte er verdrossen, ›aber das kann nicht mehr so weitergehen. Die Darkis da vorn sind so voll von Furcht und Angst, daß beinahe nichts mehr mit ihnen anzufangen ist. Es muß was geschehen, und darum bin ich zu Ihnen gekommen.‹
»›Die Leute fürchten sich?‹ fragte ich ganz erstaunt. ›Wovor denn? Soll etwa das gelbe Fieber an Land ausgebrochen sein? Oder ist etwas Wahres an dem Gemunkel von dem Aufstand der Schwarzen auf der Insel?‹ – ›Keins von beiden,‹ sagte Söderström. ›Ich wollte, es wäre so was, dann wäre die Geschichte nicht so dumm.‹
»›Da bin ich doch neugierig,‹ entgegnete ich. ›Fürchten die Kerle sich vielleicht vor Gespenstern? Und warum habe ich überhaupt davon noch nichts gehört?‹
»›Sie haben sich wohl gehütet, mit dem Unsinn zu Ihnen zu kommen,‹ antwortete Söderström. ›Aber Sie haben's getroffen, Stüermann. Die verdammten Niggers graulen sich wahrhaftig vor allerlei Spuk und Gespenstern. Schon seit Wochen wollen sie nachts einen Mann ohne Kopf an Deck herumwanken sehen, und dazu soll der Kerl ganz erbärmlich stöhnen und jammern. Einige schwören darauf, der Kopflose sei ein Darki, andere behaupten, es wäre ein Weißer mit einem Niggergesicht. Jedenfalls sind sie, sobald es dunkel geworden ist, kaum noch an Deck zu kriegen, und keiner will allein die Ankerwache halten.‹
»›Das ist ja eine seltsame Geschichte,‹ sagte ich lachend, ›wenn sich wirklich so ein Spukgeist an Bord eingefunden hat, dann hätte er eigentlich doch zuerst hier achtern in der Kajüte seinen Antrittsbesuch machen müssen. Aber Scherz beiseite. Halten Sie es für möglich, daß einer oder der andere der Kerle sich einen dummen Spaß erlaubt? Ich habe schon einmal einen Bauchredner unter der Mannschaft gehabt; der Schlingel ließ es eine Zeitlang im ganzen Schiffe spuken, bis ich ihn endlich ertappte und ihm das Handwerk legte.‹
»›Nein, Stüermann,‹ antwortete Söderström. ›Was sonst die Hellsten und Schlausten waren, die fürchten sich jetzt am meisten. Da ist der Bob und der Bill, denen sollte man doch was Besseres zutrauen; aber gerade diese beiden behaupten steif und fest, den Spuk in der vergangenen Nacht gesehen zu haben. Das haben sie nicht nur mir, sondern auch dem dritten Stüermann erzählt.‹
»›So,‹ sagte ich. ›Na, dann wollen wir mal vorausgehen und hören, wie die Sache sich verhält.‹
»Ich setzte die Mütze auf und machte mich mit dem Zweiten auf den Weg nach dem Mannschaftslogis. Als wir so unerwartet die Treppe herunterkamen, da mochte die farbige Gesellschaft wohl meinen, daß sich jetzt auf einmal zwei Spukgeister statt des einen zeigten, denn einige der Matrosen fuhren mit lauten Schreckensrufen von ihren Kisten in die Höhe. Nachdem sich alles wieder beruhigt hatte, eröffnete ich der Schar den Zweck meines Kommens, erzählte, was ich von dem zweiten Steuermann gehört hatte, und forderte weitere Mitteilungen. Das ließen die Leute sich nicht zweimal sagen. Nach Niggerart nahmen alle zugleich das Wort, einer immer eifriger und lebhafter als der andere, und jeder suchte seinen Nachbar in der Schilderung der erlebten Schrecknisse zu überbieten.
»Ungefähr die Hälfte der Leute hatte den Spukgeist in dieser oder jener Form gesehen, aber alle ohne Ausnahme hatten ein Stöhnen und Klagen gehört.
»Bob und Bill, meine beiden besten Matrosen, die Bootsmannsdienst taten, versicherten ernst und feierlich, daß sie in der vergangenen Nacht den Geist hier unten im Logis gesehen hätten. Er habe an demselben Deckstützbalken gestanden, an dem ich augenblicklich lehnte. Dieser Stützbalken hatte einen Fuß im Durchmesser und war bis auf das etwa zwei Hände breite obere Ende, welches grau war, schwarz gestrichen. Oben im Deck befand sich auf jeder Seite von ihm ein Ochsenauge, um das Tageslicht einzulassen. Die Leute hatten Nägel in den Stützen geschlagen und allerlei Kleidungsstücke daran aufgehängt.
»›Also hier hat der Geist gestanden, was, Bill?‹ fragte ich.
»›Ja, Sir, genau da, wo Sie jetzt stehen,‹ rief Bill, ein kräftiger, sehr ansehnlicher Mulatte. – ›War gestern nacht Mondschein?‹
»›Ja, Sir, schöner heller Mondschein in der Mittelwache.‹
»›Habt Ihr den Geist angeredet, oder versucht, ihn zu fangen?‹
»›Fangen – ich – den Geist? No Sir, nicht um tausend Millionen Dollar hätte ich das versucht! Nicht um alles in der Welt!‹
»›Na, Bill, gesetzt den Fall, Ihr hättet es versucht, dann wäret Ihr schnell dahintergekommen, daß der Geist nichts anderes gewesen sein konnte, als dieser Stützen mit dem Zeug, das hier dranhängt, das Ganze beschienen vom Mond da oben durch die beiden Ochsenaugen. Was meint Ihr dazu, Bill?‹ – Der Mulatte schwieg, aber sein Gesichtsausdruck verriet mir, daß ich ihn keineswegs überzeugt hatte. Auch die andern schauten ungläubig drein, und einer wagte endlich die Frage:
»›Aber das Stöhnen und das Klagen, Sir?‹
»›Ach was,‹ antwortete ich, ›einige von euch schnarchen natürlich fürchterlich, man kennt das ja, und alles übrige ist Einbildung.‹
»Es wurde noch eine Weile hin und her geredet, aber es gelang mir nicht, die Leute von ihrer Meinung abzubringen. Sie hatten den Spuk gesehen und gehört, und das ließen sie sich nicht ausreden. Endlich wurde ich ungeduldig.
»›Ich habe nicht Lust, noch weitere Worte an diesen Unsinn zu verschwenden,‹ rief ich. ›Nur das noch will ich euch sagen: Erstens gibt's überhaupt keine Spukgeister, und wer trotzdem an solche glaubt, ist ein törichter und abergläubischer Mensch, und zweitens gibt's keinen Spukgeist an Bord dieses Schiffes. Merkt euch das! Wenn ihr nicht auf andere Weise zu dieser Einsicht gelangen könnt, dann will ich euch gern die Gelegenheit geben, die ganze Nacht hindurch Jagd auf den Geist zu machen. Ihr wißt, was ich meine. Und nun gute Nacht.‹
»Ich gab dem Zweiten die Anweisungen für den folgenden Tag, und dann ließ ich mir die Spukangelegenheit durch den Kopf gehen. Dadurch gelangte ich zur Lösung eines mir bisher unverständlich gebliebenen Rätsels. – Vor kurzem hatten sich verschiedene der Leute mit der Bitte an mich gewendet, ihnen zu gestatten, an Bord anderer Fahrzeuge, die demnächst seeklar waren, anzumustern. Dieses Verlangen wunderte mich weniger deswegen, weil es gegen Gesetz und Ordnung verstieß, als deswegen, weil die ›Helene‹ mit Recht in dem Rufe stand, ein Schiff zu sein, auf dem sich jeder, vom Kapitän bis zum Kajütsjungen, nur wohl und behaglich fühlen konnte.
»Ich hatte den Grund des seltsamen Ansinnens in der der schwarzen Rasse eigentümlichen Unbeständigkeit und Sucht nach Veränderung und Abwechslung vermutet; jetzt aber war ich eines Bessern belehrt.
»Es war der Spuk, der den Leuten das Schiff verleidete.
»Und nun wunderte ich mich, warum die Darkis mich erst um die Erlaubnis, an Bord anderer Fahrzeuge gehen zu dürfen, gefragt hatten, eine Erlaubnis, die ich doch gar nicht gewähren konnte. Weiße Matrosen hätten es anders gemacht und wären einfach bei Nacht und Nebel verschwunden.
»Es lagen verschiedene Schiffe in Port Morant sowohl, wie auch in dem benachbarten Hafen Morant Bay, von denen bekannt war, daß sie nur unzureichende Besatzung hatten, und es geschah gar nicht selten, daß Matrosen wie durch Zauberei plötzlich von einem Schiffe verschwanden und an Bord eines andern wieder auftauchten, wenn es sich so fügte, daß das letztere in der nächsten Morgenfrühe in See zu gehen hatte. Die Kapitäne und Steuerleute plagten sich da draußen wenig mit Skrupeln über die Art und Weise, wie sie die Lücken ihrer Mannschaft ergänzten.
»Meine Darkis dachten zu einfältig und kindlich, um sich diese Umstände zunutze zu machen und einfach vom Schiff abzulaufen; trotzdem aber beschloß ich, einen besonders scharfen Ausguck zu halten, sobald ich wahrnehmen würde, daß eins der im Hafen liegenden Schiffe sich anschickte, in See zu gehen.
»Nachdem ich die Sache nach allen Seiten reiflich erwogen hatte, ohne zu einem endgültigen Resultat zu kommen, ging ich zur Koje; vorher aber überzeugte ich mich davon, daß die Ankerwache auch richtig besetzt war.
»Während der beiden folgenden Tage ging alles an Bord seinen gewohnten Gang, und ich hörte nichts von dem Spukgeist. Aber auch meine Stunde sollte kommen. – Eines Abends hatte ich dem Zweiten und den Bootsleuten Bob und Bill Urlaub gegeben, an Land zu gehen. Der Kapitän befand sich bereits seit Wochen in Kingston, und so saß ich ganz allein in der Kajüte und probierte eine neue Tonpfeife.
»Plötzlich vernahm ich einen Laut, der wie halbersticktes Stöhnen klang, und aus dem vorderen Teile der Kajüte und von Backbord zu kommen schien. Ich war vollständig wach, und dennoch traute ich kaum meinen Ohren. Das Stöhnen wiederholte sich, und zwar in Zwischenräumen, in denen etwa ein Mensch schwere Atemzüge tut.
»Ich blickte auf die Lampe; sie brannte hell und gelb, und nicht etwa bläulich, wie dies bei Geistererscheinungen gebräuchlich sein soll; auch ließ sich kein übernatürliches Wesen sehen.
»Die unheimlichen Töne näherten sich, schienen jetzt aber aus dem Zwischendeck zu kommen. Ich hatte die Überzeugung, daß dies eine Veranstaltung der Matrosen sei, die vielleicht meine Nervenstärke erproben wollten; die Kerle wußten, daß außer mir keiner von den Offizieren an Bord war. – Kurz entschlossen zog ich meine Schuhe an, zündete eine Blendlaterne an, ergriff einen kurzen Knüppel aus Hartholz und machte mich auf, den Geist zu suchen.
»Die Luken waren alle dicht gemacht, bis auf einen Teil der Großluk; hier stieg ich ins Zwischendeck hinab, trug die Leiter beiseite, damit ohne mein Wissen niemand entweichen könne, und ging nach achtern, wo das Stöhnen immer lauter wurde; noch ehe ich jedoch den Kreuzmast passiert hatte, waren die Klagelaute direkt unter mir.
»Ich muß gestehen, daß diese Wahrnehmung mich just nicht angenehm berührte; mein Stolz aber ließ keinen Rückzug zu, noch weniger aber der Gedanke, daß dem Spuke dennoch ein Schabernack zugrunde liegen könnte. Ich ging also zur Großluk zurück und stieg hinab ins zweite Zwischendeck, ohne aber diesmal die Leiter wegzunehmen.
»Den Strahl der Blendlaterne weit vorauswerfend, schritt ich vorsichtig, und auf alles mögliche gefaßt, wieder nach achtern. Meine Besorgnis war unnötig, denn in der Gegend des Geistergestöhns angelangt, hörte ich die Töne abermals unter meinen Füßen, im Ballastraum.
»Jetzt wurde mir das Ding allen Ernstes unheimlich. Ich will nicht sagen, daß sich mir die Haare auf dem Kopfe emporsträubten, aber so viel ist gewiß, daß meine Füße wie angewurzelt standen, und daß mein Glaube an die Natürlichkeit aller Dinge, sowie auch mein Selbstvertrauen einigermaßen in Bedrängnis kamen.
»Ich zögerte und zweifelte, und trat endlich mit dem Gedanken, die Untersuchung nach der Rückkehr meiner Untergebenen und mit deren Beistand fortzusetzen, einen unrühmlichen und ziemlich eilfertigen Rückzug an.
»Aber auch in der Kajüte sollte ich keine Ruhe finden; denn jetzt stöhnte hier der Spuk dem Anschein nach dicht unter den Planken des Fußbodens. Da fiel mir der Zimmermann ein, ein stämmiger Holländer; ich pochte an seine Kammertür und purrte ihn aus dem Schlafe.
»›Hören Sie das Gestöhn, Zimmermann?‹
»›Jawell, Stüermann; mar ick steek de Kopp onder de Deeken un dann hoor ick nix.‹
»›Na, nu aber mal fix herut; Sie sollen mit mir in den Raum gehen, da wollen wir sehen, ob wir den Spuk nicht finden.‹
»›Donderslag! Nee, Stüermann, dat do ick nich! Ick blew hier.‹
»›Sie kommen mit, Zimmermann! Seien Sie doch kein Kind!‹ rief ich ungeduldig. ›Ick bün all eben dal west, aber wi möte twei Mann sin, dormit dat wi de Matrosen, de fick dor neeren den Spaß maken doon, beluern un ehr den Weg afsniden könt, wenn se utneihen wüllt.‹
»Das leuchtete dem Zimmermann ein; er folgte mir zur Großluk und bald befanden wir uns im untersten Raume. Wir gingen über den Ballast dem Achterteil zu. Die spukhaften Töne wurden lauter und schrecklicher. Endlich standen wir am Achtersteven. Das Stöhnen kam trauervoll aus den Planken zu unsern Füßen, aber außer uns selber war niemand zu sehen.
»Ob ich mich fürchtete, weiß ich nicht; wohl aber weiß ich, daß mir das Herz so gewaltsam in der Brust klopfte, wie nie zuvor. Der Zimmermann war leichenblaß geworden, und dicke Schweißtropfen perlten ihm auf der Stirne. Nachdem wir den unerklärlichen Tönen eine Minute lang gelauscht hatten, kehrten wir zusammen in die Kajüte zurück. Der Zimmermann wollte nicht eher wieder in seine Koje gehen, bis der zweite Steuermann wieder an Bord war, der die Kammer mit ihm teilte.
»Als die Beurlaubtgewesenen endlich anlangten, gingen wir alle noch einmal hinab in den Ballastraum und hörten den Schreckenstönen zu, die in dem Plankenwerk hin und her zu wandern schienen. Ihre Ursache blieb uns verborgen, wir mußten zugestehen, daß die armen Teufel im Logis doch nicht so grundlos in Furcht geraten waren.
»Wir lagen noch zwei Monate länger in Port Morant, und da aus der Spukangelegenheit kein Geheimnis gemacht wurde, so erhielt die alte ›Helene‹ bald die Bezeichnung ›das Gespensterschiff‹. Wir hatten noch manche fröhliche Gesellschaft in der Kajüte, Gäste sowohl von den wenigen hier einlaufenden Fahrzeugen, wie auch vom Lande, und wenn ich diesen einen besonderen Genuß bereiten wollte, dann führte ich sie hinunter in den Raum und ließ sie den unablässigen Klagen des gequälten Geistes lauschen, der unser Schiff zu seinem Aufenthaltsorte gemacht hatte.
»Endlich war die Ladung, Zucker und Rum, eingenommen, und der Tag der Abfahrt erschienen. Der kleine Schleppdampfer ›Swan‹ aus Morant Bay war beordert, die ›Helene‹ ein Stück hinauszuschleppen. Ich befand mich auf meinem Posten vorn auf der Back; der Dampfer sollte soeben die Trosse empfangen, da rief mir der Kapitän desselben zu, ihm doch schnell eine Harpune zu reichen. Der Zimmermann langte meine neue Patentharpune hinüber; gleich darauf entstand eine heftig tobende Bewegung im Wasser – ein Hurra von der Mannschaft des ›Swan‹ und ... unser Spukgeist lag zappelnd und wütend um sich schlagend an Deck des kleinen Dampfers.
»Es war ein Judenfisch, auch Trommelfisch genannt, ein Kerl von ganz außerordentlicher Größe, der dort an Deck des Schleppers sein Leben aushauchte, ein Fisch, der in den äquatorialen Gewässern nicht allzu selten ist, und der seinen Namen den hohlen, gurgelnden Lauten verdankt, die er bei seinen Bewegungen im Wasser hören läßt.
»Das Tier war gegen sechs Fuß lang und wog gegen vierhundert Pfund. Wir teilten uns mit dem ›Swan‹ in die Beute, und nahmen etwa zweihundert Pfund von dem wohlschmeckenden Fleische des Fisches an Bord, als willkommene Ergänzung unseres Proviantvorrats. Den größten Teil davon mußte der Koch natürlich einsalzen, damit er in der Wärme nicht verdarb. Dann hievten wir den Anker auf und verließen den Hafen. – Trotzdem aber nun der Judenfisch gefangen und den Leuten gezeigt worden war, der Spuk also eine ganz natürliche Erklärung gefunden hatte, hielt dennoch ein Teil der Mannschaft an dem alten Aberglauben fest, und die ›Helene‹ behielt den Namen ›Gespensterschiff‹, solange sie noch existierte; sie ist im Jahre 1885 auf der Bahamabank zugrunde gegangen, wie ich später hörte.
»Jener Fisch aber hatte sich, wie seine Art zu tun pflegt, den engen, verdunkelten Raum zwischen der ›Helene‹ und dem schilfumwucherten Wrack im Hafen von Port Morant zum dauernden Aufenthaltsort ausersehen, der ihm noch passender dadurch erschienen sein mochte, daß auch unser Schiff mit seinem Kiele tief im Schlamme des Grundes gesessen hatte.
»Das Ding war also ganz natürlich zugegangen. Der Fisch hatte draußen im Wasser, dicht an den Planken der Helene«, seine Lieder gesungen, und wir hatten jeden Ton davon binnenbords gehört.«
»Da muß er aber eine gute Lunge gehabt haben,« sagte Paul, »daß man den Gesang durch so und soviel Fuß Wasser und dann durch die doppelte Holzbeplankung so deutlich hören konnte. Ich dachte immer, im Wasser müßte jeder Ton ersticken.«
»Da warst du im dicken Irrtum, mein Junge,« entgegnete der Schiffer. »Das Wasser ist der allerbeste Schalleiter, das wissen die Fischer schon längst. Wenn sie das Ohr an einen ins Wasser getauchten Remen halten, dann können sie genau hören, wenn in der Ferne ein Dampfer vorbeifährt. Zu demselben Zweck legen Lotsen das Ohr auf die Deckplanken ihres Fahrzeugs. Man hat Experimente zur Messung der Geschwindigkeit der Schallwellen im Wasser angestellt, und da hat sich ergeben, daß das Wasser die in ihm erzeugten Schallwellen viermal so schnell als die Luft fortleitet. Daraus folgt, daß auf die gleiche Entfernung der Ton unter Wasser viermal so laut gehört wird, als in der Luft.« – »Das habe ich noch nicht gewußt,« erwiderte Paul. »Bei Gelegenheit muß ich das einmal probieren.«
»Ick heww dat all lang müßt,« sagte Towe, »dat Hören mit en Remen, meen' ick, un heww mi ok ümmer doräwer wunnert, wo dat möglich wesen kunn. Aber nu, wo Keppen Jaspersen uns dat so fein verklort het, nu weet ick Bescheed. Up de Schallwellen kümmt dat an, wenn dat manchmal an Bord spöken doon deit, merk' di dat, Gazzi, up de Schallwellen; wenn de Geist –« er unterbrach sich und sah erstaunt den Griechen an, auf den auch die Blicke des Schiffers und Pauls gerichtet waren. Der Mensch zitterte heftig und hatte des letzteren Arm gepackt.
»Was ist denn nun schon wieder?« rief dieser ärgerlich. »Bist du nicht bei Sinnen?«
»Mein Gott!« stieß Gazzi hervor. »Siehst du's denn nicht?« Dabei lugte er scheu und angstvoll zum Scheinlicht hinauf.
Paul folgte seinem Blicke. Die Persenning, die man über das zerschmetterte Fenster gedeckt hatte, war an einer Ecke aufgehoben, und durch die Lücke schaute ein geisterbleiches Antlitz hernieder, dasselbe von wirrem Haar umgebene Mädchenantlitz, das er in jener Nacht in der Kombüse gesehen hatte. Kalt wehte die Brise durch die Öffnung herein, die Lampe flackerte auf und erlosch, und alle saßen im Dunklen.
Der Schiffer sprang in Eile an Deck hinauf, Paul hinter ihm drein. Die Nacht war stockfinster, sie sahen nichts. Inzwischen zündete Towe unten wieder die Lampe an. Dann setzte er ruhig seine Pfeife in Brand, und begab sich ebenfalls an Deck. Der Schiffer und Paul standen vorn an der Brustwehr des Kampanjedecks im Gespräch.
»Ich habe sie schon einmal gesehen,« sagte Paul, als Towe herankam. »Ich sagte nichts davon, weil ich geträumt zu haben meinte.« Und er berichtete dem Kapitän, was wir bereits wissen. »Jetzt aber will ich nicht ruhen, bis ich hinter das Geheimnis dieses Gespenstes gekommen bin,« fügte er hinzu. »Ich werde es stellen, und es soll mir Rede stehen.«
»Das dürfte dir Schwierigkeiten bereiten,« entgegnete der Schiffer. »Wenn dieses Wesen – Geist, Spuk, Gespenst oder was immer es sein mag – gesonnen wäre, Mitteilungen zu machen, dann würde es nicht immer entfliehen, wenn es merkt, daß man seiner ansichtig geworden ist.«
»Lassen Sie ihn man machen, Keppen Jaspersen,« warf Towe ein. »Er is 'n Pastersohn, un die Geistlichkeit hat sich von Adams Zeiten her all mit dat Gespensterbannen befaßt, as ick man hört heww. Wie der Vater, so der Sohn, segg ick, un wenn een von uns düssen Geist de Beicht' abnehmen kann, dennso is just uns' Paul de Mann dorto.«
Damit ging er wieder unter Deck, um zu hören, wie sein Freund Heik über diese Sache dachte.
Nachdem der Kapitän mit Paul noch dies und das über die seltsamen Vorgänge an Bord geredet hatte, verfügten auch sie sich in ihre Kammern, und bald lagen, mit Ausnahme Pauls, alle Mann in festem Schlafe.
Der Jüngling konnte kein Auge schließen. Je mehr er über die Erscheinungen nachdachte, desto fester wurde in ihm die Überzeugung, daß man es hier nicht mit einem Geiste, sondern mit einem leibhaftigen Mädchen zu tun habe, das sich irgendwo im Schiffe verborgen halte. An welchem Ort und aus welchem Grunde, das war freilich ein Rätsel. Schon mehrmals hatte er daran denken müssen, daß in dem Logbuch, das der verstorbene Kapitän geführt hatte, von einem weiblichen Wesen die Rede gewesen war.
»Ich muß dahinterkommen,« sagte er zu sich selber, »und zwar je eher je besser.«
Entschlossen sprang er aus der Koje, kleidete sich schnell und geräuschlos an und ging an Deck. Das hohe, bergige Land ringsumher ließ die Nacht noch dunkler erscheinen. Als er an der Treppe stand, die zum Hauptdeck hinabführte, war ihm so unheimlich zumute, daß er schon daran dachte, lieber wieder umzukehren. Mißtrauisch schaute er zur Kombüse hinüber. Dort drinnen mußte es längst wieder kalt sein, da über zwei Stunden vergangen waren, seit Towe zuletzt mit dem Feuer zu tun gehabt hatte.
Aber was war das?
Wirbelten da nicht soeben Funken aus dem Schornstein auf, wie wenn jemand das Feuer schürte?
Das kann kein Geist sein, dachte er. Geister machen sich nicht mit Feuer zu schaffen, die haben nicht das Bedürfnis, sich zu wärmen. Ich wag's und schleiche mich hin. Vor einem Lebendigen fürchte ich mich nicht.
Er zog die Schuhe aus und stahl sich unhörbar die Treppe hinab und über das finstere Deck. Wieder erschienen einige Funken über dem Schornstein, in der schwarzen Dunkelheit schnell erlöschend. Die Kombüsentür auf Steuerbord war geschlossen, die auf der Backbordseite stand halb offen. Beide Türen waren notdürftig wiederhergestellt worden. Mit äußerster Vorsicht und auf den Fußspitzen schlich er herzu und lugte hinein.
In der Maschine brannte ein helles Feuer. Davor auf der Bank saß ein junges Mädchen, die Hände im Schoße; sie schaute unverwandt in die Glut, die ihr abgehärmtes, liebliches Gesicht mit rötlichem Schimmer übergoß; sie saß ganz still und achtete der Tränen nicht, die über ihre Wangen herabrannen.
Das war kein Geist, das war ein armes, leidendes Menschenkind.
Jetzt begann sie sich zu regen. Sie krampfte die Hände ineinander, hob sie empor und schluchzte, als müsse ihr das Herz brechen.
»O Vater, lieber Vater,« rief sie leise, »warum mußtest du mich verlassen!«
Tiefes Mitleid erwachte in Pauls Herzen; auch seine Augen füllten sich mit Tränen. Ohne sich länger zu besinnen, trat er in die Kombüse.
Das Mädchen starrte ihn einen Augenblick entsetzt an, dann sprang sie auf und stürzte auf die Steuerbordtür zu, um sie aufzureißen. Paul, der befürchtete, daß sie sich in ihrer Angst über Bord werfen könnte, hielt sie mit sanfter Gewalt zurück. Da stieß sie ein markdurchbohrendes Geschrei aus.
»Hilfe!« kreischte sie. »Mörder! Lassen Sie mich los! Vater! Vater!«
Dann sank sie ohnmächtig zusammen und Paul hatte alle Mühe, sie vor einem schweren Falle zu bewahren und auf die Bank niederzulassen.