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»Der Geist hat eben wieder geschrien!« – Neue Havarien. – Entmastet. – Warum Heik sich bei Towe bedankt. – Das Quecksilber steigt. – »Land in Sicht!«
Vier Tage hatte nun schon der Sturm gerast; die Kräfte der kleinen Mannschaft waren nahezu erschöpft. Seit dem Beginn des Unwetters hatte der Schiffer sich keine Ruhe gegönnt, jetzt endlich aber gelang es der Überredungskunst des wackeren Towe, ihn zu bewegen, die Koje aufzusuchen, und wär's auch nur auf eine Stunde.
»Wenn dat Weder sick ännert, denn so kam ick dal un purr Se ut,« sagte der Matrose. »Bet dorhen heww ick dat Kommando an Deck.«
Mit Heik Weers ging es besser, obgleich das Schlengern und Stampfen des Schiffes ihm oft Schmerzen verursachte. Größer als die körperliche Pein aber war die seelische.
»Min' Rippen un min Been makt mi keen Kummer,« erklärte er seinen Maaten, wenn sie ihn besuchten; »aber ick ligg hier as so'n seekranken Passescheer un ji möt min Arbeit för mi doon.«
Gegen Abend wurde der Wind westlich; man steuerte das Schiff so, daß er nach wie vor von achtern kam, denn auf Segelveränderung konnte sich die schwache Besatzung jetzt weniger als zuvor einlassen. Der Schiffer hatte irgendwo noch einen Kompaß aufgetrieben und vor dem Ruder angebracht, damit das Schiff wieder richtig auf Kurs gelegt werden konnte, wenn das Unwetter nachließ.
Die Nacht war sehr kalt und stockfinster. Gegen zwei Glasen in der Mittelwache stand Paul wieder einmal am Ruder. Der Schiffer und Towe lehnten vorn an der Balustrade des Kampanjedecks und hielten Ausguck, Gazzi hatte sich zu einer kurzen Rast in die Kombüse zurückgezogen. Der Orkan brauste und heulte, die Seen waren von erschreckender Höhe und schienen jeden Augenblick wieder von achtern über die Bark herstürzen zu wollen, die aber wehrte sich vor ihnen wie ein Stück Kork. Sie war trotz der schweren Strapazen, die sie in den letzten Tagen hatte überstehen müssen, so dicht geblieben wie ein Topf, die wiederholten Peilungen des Pumpensods hatten einen ganz normalen Wasserstand im Raum ergeben.
Auf einmal faßte Towe mit hastigem Griffe des Schiffers Arm.
»Hewwen Se dat hört, Kaptein? Der Geist hat eben wieder geschrien!« – »Ja,« antwortete der Schiffer, »so etwas wie einen Schrei habe ich auch gehört.«
Der ein ganzes Stück hinter ihnen am Ruder stehende Paul hatte ebenfalls den unheimlichen Ton vernommen, der wie ein überirdischer Klagelaut das Getöse der Elemente durchdrang. Er dachte an die Erscheinung in der Türe der Kombüse, an das bleiche Antlitz mit den großen, angstvollen Augen und dem wirr flatternden Haar. »Ob das eine Vorbedeutung ist?« fragte er sich. »Sollten wir dem Verhängnis verfallen sein?« – Gleich darauf kam der Grieche in höchster Eile aus der Kombüse achteraus gerannt und tauchte in die Kampanjeluk hinab.
»Holen Sie ihn wieder herauf!« gebot der Schiffer.
Towe ging und erschien bald mit Gazzi wieder an Deck.
»He harr en Gespenst sehn, seggt he,« berichtete Towe, »un dat Schipp un alle Mann wern nu verloren, seggt he.«
Er mußte dies dem Schiffer ins Ohr rufen, um sich bei dem Lärm des Windes und der Wasser verständlich zu machen. Jaspersen zog den Griechen mit sich nach der Kombüse, dort konnte man in einiger Ruhe sprechen. – »Nun lassen Sie hören,« sagte der erstere. »Was hat Sie wieder so in Furcht versetzt?«
Zitternd und zähneklappernd erzählte der Gefragte, daß er auf der Bank geschlafen, daß dann aber plötzlich ein Gespenst mit einem weißen Totengesicht vor ihm gestanden habe. Vor Schreck sei er aufgesprungen, habe ein in dem Rack an der Wand steckendes großes Küchenmesser ergriffen, und nach dem Gespenst geworfen, das dann mit einem fürchterlichen Schrei verschwunden sei.
»Sie sind immer viel zu schnell mit dem Messer bei der Hand,« sagte der Schiffer. »Übrigens richten Sie gegen Geister und Gespenster damit nichts aus. Außerdem war es kein Geist. Sie sind ein furchtsamer Mensch, und da spielt Ihnen Ihre Einbildung manchen Streich. Sie können nun hier bleiben und ihren Schlaf beendigen.«
Dazu war Gazzi jedoch nicht zu bewegen; viel lieber brachte er den Rest seiner Ruhezeit auf dem kalten Deck zu, nur um in der Nähe seiner Schiffsmaaten bleiben zu können.
Gegen vier Uhr morgens flaute der Wind urplötzlich ab, und es wurde mit einem Schlage so still, daß die Segel, die tagelang so voll und hart gestanden hatten, als wären sie aus Eisen, schlaff gegen die Stengen schlugen. Das Schiff verlor seinen Halt und begann schwer zu rollen. See um See brach über das hilflose Fahrzeug her; die ungeheuren Wassermassen rissen einen großen Teil der Schanzkleidung und Reling fort, schlugen die Türen der Kombüse ein und spülten alles, was an Deck noch wegzuwaschen war, über Bord.
Die Windstille dauerte etwa eine Stunde, dann brach der Orkan von neuem los, mit noch größerer Gewalt als zuvor. Diesmal faßte er das Fahrzeug von vorn. Paul, der sich mittschiffs befand, wollte achteraus flüchten, da aber war's ihm, als bräche das ganze Weltall über ihm zusammen. Er stürzte nieder, und fühlte eine Last auf sich, unter der er sich nicht regen konnte. Wasserfluten rauschten und gurgelten über und um ihn, daß er fast schon zu glauben begann, er sei über Bord. Er rief um Hilfe, aber seine Stimme war in dem Toben nicht vernehmbar.
Das Schiff rollte nach Steuerbord und nahm eine ungeheure See über. Das Wasser hob die auf Paul liegende Last ein wenig empor, so daß es ihm gelang, sich freizumachen. Er rappelte sich auf und stolperte der Großluk zu. Da hörte er den Schiffer rufen: »Hier sind Äxte, Leute! Kappt alles weg!« – Jetzt erst sah er, daß alle drei Masten über Bord gegangen waren. Die »Hallig Hooge« war ein Wrack, wehrlos der Gnade oder Ungnade der See überliefert. – Er arbeitete sich durch das Gewirr der Wanten, Pardunen, Leinen und Holztrümmer achteraus, und half den andern, das Taugut durchzuhauen, das die langseit im Wasser treibenden Masten noch festhielt, deren Stöße die Schiffsseite zu durchbrechen drohten. Es kostete fast übermenschliche Anstrengungen, aber endlich war das letzte Tau abgehackt und die Bark von der furchtbaren Gefahr befreit.
Der Tag graute, aber kein Anzeichen sprach für ein Nachlassen des Sturmes. Am Stumpfe des Besanmastes wurde eine Persenning als Segel aufgebracht, und so trieb das Wrack vor dem Winde dahin, bald von den Wogenbergen hoch emporgehoben, bald in die dunklen Wassertäler hinabgeworfen, wo es dann in sekundenlanger Stille lag.
Die Mannschaft, Paul und Towe – der Schiffer stand mit Gazzi am Ruder – kauerte vor dem niedrigen Aufbau des Scheinlichts, um dort notdürftig gegen den eisigen Wind geschützt zu sein, »damit einem nicht auch noch die Haare vom Kopfe geweht würden,« wie Towe bemerkte. Aber eine längere Ruhepause war unseren todmüden Freunden selbst dort nicht vergönnt, denn der Schiffer befahl Paul, zu versuchen, ob er in der Kombüse ein Feuer in Gang bringen und Kaffee kochen könne, und Towe mußte nach Heik Weers sehen.
Paul fand die Kombüse in einem Zustande der Verwüstung. Beide Türen waren zersplittert, die Hälfte der Töpfe und sonstigen Utensilien über Bord gespült. Zum Glück stand der schwere Kasten mit den Kohlen noch an seinem Platze. Mit Hilfe einiger Holzstücke von den Türen und einer gehörigen Menge Teer brachte Paul nach langer Mühe ein Feuer zustande, und nun dauerte es auch nicht mehr lange, da war ein großer Kessel voll heißen, würzig duftenden Kaffees bereit, die durchkälteten und abgespannten Seefahrer zu laben.
Inzwischen machte Towe dem Patienten seine Visite.
»Süso,« sagte er, »dor liggst du nu jüst as de Herr Baron up sin Kanapee, un wi hewwt mitdewil alle Masten äwer Bord smeten.«
»Sowat heww ick mi all dacht,« antwortete Weers und stöhnte zum Erbarmen. »Un ick bün en Lubber, en richtigen Landlubber, to nix nich mehr to bruken.«
»Wenn du so dämlich snacken doon deist, dennso büst du ok een. Din Been kommt bald wedder in de Reih', un schull de ohle Kasten wegsacken, ehr du wedder stahn un gahn kannst, dennso drag ick di an Deck, dormit dat du sotoseggen in din Beruf starwen kannst, as dat en ehrlichen Janmaat tokamen doon deit. Dat verspreck ick di. Freut di dat nich?«
»Towe, up den ersten Blick harr ick di ansehn, dat du en fixen Seemann un en gooden Schippsmaat büst. Ick dank' di ok.«
»Is good. Nu slap man un mak, dat du din stüerbordschet Been bald wedder tohopspleißt kregen doon deist. Ick möt an Deck, süs denkt de Ohl, ick wer hier intörnt.«
Noch drei Tage und Nächte hielt der Sturm an, am Abend des vierten Tages begann das Quecksilber im Barometer wieder zu steigen. Während der Nacht flaute der Wind nach und nach etwas ab und bei Tagesanbruch hatte er so weit nachgelassen, daß man aus einer Bramraa, die zu den Reservespieren gehörte, einen Notmast herstellen konnte, an dem ein Reuel angebracht wurde.
Die See ging noch immer sehr hoch, allein jetzt war kein Zweifel mehr – der Sturm hatte sich ausgetobt, das Wetter wurde besser.
Und als, wenngleich hinter Dunst und Nebel noch unsichtbar, die Sonne aufgegangen war, da ertönte plötzlich der Ruf:
»Land in Sicht! Geradevoraus!«