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6. Kapitel.

Von der Bugpumpe und dem gebildeten Towe. – Warum dem Kapitän, Heik, Towe und Paul das Blut in den Adern erstarrte. – »Das hat ein Geist getan!« – Die Ratte.

 

Die Brise, die bisher nur schwach, aber gleichmäßig gewesen war, flaute am Nachmittag gänzlich ab, so daß die »Hallig Hooge« schließlich in einer Windstille lag. Kapitän Jaspersen ging auf dem Kampanjedeck mißmutig auf und ab und ließ dabei zuweilen ein langes leises Pfeifen hören, das den Wind wieder herbeibringen sollte. In diesem Punkte ist fast jeder Seemann abergläubisch.

Towe Tjarks sagte, er habe noch nie erlebt, daß das Pfeifen geholfen hätte, er wäre aber mal mit einem Schiffer gefahren, der immer mit dem Finger an den Besanmast geklopft hätte, wenn er daran vorbeikam, und das sei auch ein ganz sicheres Mittel, Wind zu schaffen. Allein, Keppen Jaspersen und Towe Tjarks mochten pfeifen und klopfen soviel sie wollten, kein Lüftchen rippelte die spiegelglatte See und die Hallig lag so regungslos »wie ein gemaltes Schiff auf einem gemalten Ozean«.

»Heute gibt's keine Brise mehr,« sagte der Schiffer, als man beim gemeinschaftlichen Abendessen in der Kajüte saß. »Windstillen in diesen Breiten gefallen mir nicht, weil es in der Regel hinterher um so härter zu wehen pflegt. Das Barometer steht jedoch so hoch, daß wir vorläufig noch keine Segel wegnehmen wollen.«

Ein lauter Ruf des Griechen, der den Rudertörn hatte, ließ alle plötzlich aufhorchen.

»De het wohrscheinlich all wedder en Gespenst to sehen kregen,« sagte Towe, und alle begaben sich in einiger Hast an Deck.

»Was ist nun wieder, Gazzi?« fragte der Schiffer.

»Jetzt höre ich nichts mehr, Kaptein,« antwortete der Mann, »vorhin aber, als ich rief, da war jemand vorn auf der Back bei der Bugpumpe; ich hörte die Spake auf und nieder gehen.«

»Ich hatte Ihnen doch befohlen, die Dummheiten zu unterlassen!« fuhr der Kapitän heftig auf ihn ein. »Wer sollte da vorn gepumpt haben?«

»Aber die Pumpenspake hat ganz deutlich gequietscht, wie sie noch stets gequietscht hat, wenn einer pumpte.«

»Die Ratten werden gequietscht haben,« entgegnete Jaspersen. »Lauf, Paul, hol' die Laterne aus der Pantry; wir wollen diesem Manne beweisen, daß seine erbärmliche Furcht ihn wieder einmal genarrt hat.«

Die vier machten sich auf den Weg nach vorn; Paul ging mit der Laterne voran. Sie trappsten laut über das einsame Deck. Vor der Back machten sie halt und betrachteten die kleine Pumpe dort oben.

»Hier is keen Gespenst to sehn,« sagte Towe. »Wokein het hüt morrn bi't Deckwaschen hier pumpt?« – »Ich,« antwortete Paul.

»War die Pumpspake nach oben oder nach unten gerichtet, als du davongingst?« fragte der Schiffer. »Erinnerst du dich dessen vielleicht noch?«

»Nach unten,« antwortete Paul.

»Ganz gewiß?«

»Ganz gewiß, Kaptein.«

»Nu staht de Spak aber nah baben,« sagte Towe. »Dat Gespenst het wohrschinlich Zimmergrimassen bedrewen.« – »Wat, Towe?« rief Paul und sah dem alten Seefahrer belustigt in das ehrliche Gesicht.

»Na denn Zimmergrimastik, wenn dat richtiger is, du wittnäsige Bengel.«

»Gymnastik meinst du wohl, Zimmergymnastik. Ja ja, ohl Towe, so'n beten Bildung makt sick ganz wunnerschön.«

»Kommt, kommt, jetzt wollen wir uns im Logis umsehen,« rief der Schiffer, nahm Paul die Laterne aus der Hand und stieg die kurze steile Treppe in den finsteren Raum hinunter. Die andern folgten.

Das dumpfe Schweigen hier unten war bedrückend. Die leeren Kojen erschienen der Phantasie unserer Seefahrer bei dem schwachen und ungewissen Scheine der Laterne offenen Särgen nicht unähnlich, die auf ihre stillen Schläfer warteten.

»Hier kann een den Grugel in de Mag kregen,« brummte Towe. »Aber dat helpt nich. Lüchten Se en beten hierher, Kaptein; dor schint mi wat in de Eck to liggen – en Bündel Tüg oder sowat.«

Er ließ sich auf die Knie nieder und langte mit der Hand unter die vorderste Koje. In diesem Augenblicke schlug oben die Türe heftig zu. Towe fuhr zurück, sprang auf und stieß dabei so gewaltsam gegen den Schiffer, daß dieser die Laterne fallen ließ, die zu Scherben zerklirrte und erlosch. Jetzt befanden sich alle in pechschwarzer Finsternis.

»Das ist ein Streich von dem Griechen!« rief Jaspersen. »Die Treppe muß gerade vor euch sein. Tastet euch an den Kojen entlang!«

Da hörten sie plötzlich ein lautes, schreckliches Wehklagen, das ihnen das Blut in den Adern erstarren ließ.

»Worauf wartet ihr noch, Leute?« schrie der Schiffer aus aller Lungenkraft, um die grauenerweckenden Laute zu übertönen. »Vorwärts, an Deck! Die Treppe werde ich gleich haben!« Er tastete jedoch vergeblich. »Hat keiner Zündhölzer bei sich?« Wieder begann das Klagen, wehevoll, herzzerschneidend, um zuletzt in einem schrillen Aufschrei zu enden. Unsere Seefahrer, die im wildesten Verzweiflungskampf mit den rasenden Elementen nie auch nur die leiseste Spur von Furcht empfunden hatten, sie standen jetzt zitternd in abergläubischem Entsetzen, den kalten Angstschweiß auf den Gesichtern.

»Hier ist die Treppe!« rief Jaspersen, sprang die Stufen hinan, stieß die Tür auf und stürzte an Deck hinaus, die andern in eiligster Überstürzung hinter ihm drein. – »De Düwel schall mi halen, wenn ick noch eenmal an Bord von so'n verlatenes Schipp gahn do!« sagte Heik Weers. »Nee, nich för'ne ganze Welt vull Bergelohn!«

»Dat werd't Ji Jug woll noch en beten äwerlegen, Maat,« entgegnete Keppen Jaspersen. »Dat de Dör tofeel, was'n Tofall, wider nix.«

»En schönen Tofall!« entgegnete Weers. »Slengert dat Schipp verlich so bannig? Nee, Kaptein, de ohle Hallig staht so ruhig un fest, as 'ne Kirch' an Land; Se könt en Ei up de Nock von den Klüverbohm balangseeren laten. Nee, Kaptein, düsse Dör is nich von Menschenhänden zugeschlagen worden. Das hat ein Geist getan!«

Heik Weers verstieg sich nicht oft zu hochdeutscher Rede, wenn er's aber tat, dann war das ein Zeichen dafür, daß er in sehr ernster Stimmung war.

»Ick mein', de Griek het dat dahn,« sagte Towe. »Wülln em uns mal ankeeken.«

Sie gingen achteraus, wobei sie sich dicht beieinander hielten. Sie fanden Gazzi in einem Zustand größter Aufregung. Er hatte sowohl das Zuschlagen der Logistüre wie auch die Klagetöne gehört. Seine Furcht war so unzweifelhaft echt, daß sogar Towe den Gedanken, er habe ihnen einen Schreck einjagen wollen, aufgab.

»Nee,« sagte er, »den Geist het he nich speelt, aber he is hier de Jonas, um dessen Schand- und Mordtaten willen up de ohl Hallig so'n Spök in de Gang is. Wat seggt ji, Maaten? Hievt wi em äwer Bord? Jonassen möt in't Water smeten warn, dat staht all so in de Bibel.«

»Genug davon,« sagte der Schiffer streng. »Schämen Sie sich, Tjarks, von einem Schiffsmaaten so zu reden!« Damit ging er, gefolgt von Paul, in die Kajüte hinunter. Towe und Heik lehnten sich bei der Besanwant an die Reling und unterhielten sich noch weiter von der Heimsuchung der Hallig durch die unsichtbaren Gespenster.

»Ick will di wat seggen, Towe. Ick heww noch niemals keen Furcht nich kennt un wer nu up mine ohlen Dagen nich mehr dormit anfangen. Ich sage dir, ich bün imstande un hol die Latern' aus das Logis, die wir da haben liegen lassen. Du mußt aber mitkommen un aufpassen, daß die Tür nich wieder zufallen tut, wenn ich unten bün.«

»Is good, Heik. Ick gah mit dir. Min ohlen Schippsmaat verlat ick nich. Wi nehmt ein von de Kompaßlampen mit, süs könt wi de halbe Nacht in Düstern rümgrawweln.«

Und so stiegen die beiden alten Gesellen einmütig abermals in das unheimliche Logis hinunter.

»Hier is der Schauplatz des Trauerspiels un da liegt die Laterne,« sagte Heik Weers ernst. »Jetzt kenne ich keine Furcht mehr. Wat seggst du, Towe?« – »Ich ok nich,« antwortete Towe.

Kaum hatte er dies gesagt, da erhob sich ein trappelndes und krabbelndes Geräusch in einer der Kojen, eine große Ratte sprang heraus und lief über die Planken des Fußbodens einem entfernten Winkel zu. Towe hob eine vor ihm liegende Holzleiste auf und warf damit nach dem widerwärtigen Tier. Ein kreischendes Gequietsch' folgte.

»De heww ick!« rief Towe, bückte sich und nahm die erschlagene Ratte beim Schwanze vom Boden auf. »Junge, Junge, dat Beest is so grot as ne Katt!«

Die Ratte mußte sehr alt gewesen sein; ihr Fell war fast haarlos, sie hatte nur noch zwei Zähne, die unverhältnismäßig lang waren und weit aus dem Maule ragten. – »Dat is de Spuk west,« sagte Heik. »Ick denk', nu ward he Ruh' gewen.«

»Seid ihr da unten, Towe und Heik?« erscholl eine Stimme oben an der Luke. Die beiden Männer fuhren zusammen.

»Wat heww ick 'n Schreck kregen!« rief Towe. »Jowoll, Kaptein, wi sünd hier. Wi hewwt jüst in düssen Ogenblick den Geist bannt.«

Der Schiffer und Paul kamen herab und betrachteten die erlegte Ratte mit neugierigem Interesse.

»Das ist ja ein wahres Ungeheuer,« sagte der erstere. »Die hat gewiß schon manche lange Reise auf der Hallig gemacht, und tüchtig 'rangehalten hat sie sich auch, wenn aufgetafelt wurde. Smit dat Deert äwer Bord, Towe.« – Alle vier gingen wieder an Deck.

»Ich glöw, he is dat ok west, der de Dör toslahn het. Grot und stark genug wer eh jo dorto. Meenst nich ok, Heik? Dor gaht he hen! Wenn he den Hai, de em dalsluk, nich vergiften doon deit, dennso is dat en Wunder. He süht verdammt ungesund ut.«

Die Nacht verlief ohne weitere Störung. Das Schiff lag ganz still, nur wenn in langen, regelmäßigen Abständen die Dünung dahergerollt kam, dann wälzte es sich träge zuerst ein wenig nach Backbord und dann wieder nach Steuerbord hinüber, wobei die Segel gegen die Stengen und Stagen schlugen und scheuerten, die Reffzeisinge sacht gegen die Leinwand trommelten und klapperten und die Blöcke leise kreischten und quiekten.


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