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Nun war der Frühling wirklich da. Nach einem schwülen Gewitterschauer war er gekommen. Erst hing er wie ein hellgrüner Hauch über den Birken im Wiesengrunde, dann schlüpfte er behend die Weidenruten entlang, über die Wiesen, das Torfmoor; und endlich schwang er auch sein holdes Siegespanier über dem Orschauer Park. Wie zarte helle Wimpel wogte es vom Gesträuch, unter dem braunen Laub darunter schossen die blauen Leberblumen hervor, und an den grünen Weghängen duftete es ganz leise nach verborgenen Veilchen.
Die Comtesse liebte die Blumen, und sie arbeitete mit dem alten Gärtner und vielen Dorfkindern an einem Frühlingsbeet von Krokus, Schneeblumen und Aurikeln. Dieses Jahr hatte sie zum Versuch Freilandshyazinthen gesetzt. Die langen, fleischigen Stengel mit vielfarbenem Geblüt kamen auch ganz gehorsam zur rechten Zeit, doch ein böser Wurm fuhr durch das braune Erdreich und zernagte die Wurzeln, daß die glänzenden Blütenträger gerade im schönsten Flor verwelkten und zusammensanken. Eifrig wurde nach dem Unhold geforscht, doch man fing den behenden Unbekannten nicht. Die Spatzen schimpften von den knospenden Obstbäumen daneben wie rechte Gassenbuben, und wenn ein Junge, von 6 böser Lust überwältigt, einen Stein nach ihnen warf, dann schrieen sie Gewalt und piepsten sehr vernehmlich aus dem nächsten Gebüsch. Dafür hüpften jetzt wohlerzogene, glänzende Schwarzamseln im Gesträuch, und vom Arbeitsstall herab klapperte in uraltem Nest eine Storchenfamilie. Nur die großen Krähen strichen in achtsamem Flug über das Feld – es war Junghasenzeit, und die alte Häsin sprang halb zornig, halb angstvoll herum, wegen unberechtigter Jagdgelüste der Schwarzgefiederten. Wie ein riesiger weißer Blütenstrauß hob der Faulbaum sich aus dem umgebenden Hellgrün; der starke bittere Duft machte der Comtesse Kopfweh, aber sie liebte ihn am meisten. Die Luft war köstlich, so leicht und so schwer, so belebend und so ermüdend – die echte Frühlingsluft. Gampesch zeigte sich viel auf seinen Feldern, und von Doerstedt ging die Mär, daß er ohne Gewehr und Jagdtasche eifrig an den Gellmannschen Grenzen birsche.
Ob etwas dran war an diesem Gerede? Die Comtesse hatte jetzt ein weit geringeres Interesse, seitdem sie überzeugt war, daß, welche Beziehungen auch zwischen Loja und der schönen Frau sein mochten, die Liebe dabei keine Rolle spielte. Als sie eines Tages mit dem Frühzug nach Kaiserberg fuhr – es handelte sich um eine Besprechung mit ihrer Schneiderin, die behauptete, daß die Comtesse mager geworden sei –, sah sie auf dem Perron vor dem kleinen Stationsgebäude inmitten korbtragender Bauernfrauen den Dandy und Martha Gellmann in einem lebhaften Gespräche. Es mußte sehr stark sein mit der Doerstedtschen Liebe, wenn er das wagte. Die beiden sprachen rasch, leise, wie zwei Menschen, die sich etwas sehr Wichtiges mitzuteilen 7 haben und wissen, daß die Zeit kostbar ist. Da donnerte in scharfem Trabe ein Wagen auf der andern Seite über das Pflaster der Vorfahrt, und wenige Minuten später sagte Hassos kalte, spöttische Stimme dicht neben der Comtesse: »Ist sie nicht schön, Cousinchen? Und sie liebt diesen Gimpel aufrichtig . . . Aber wartet, Kinder!«
Dann schlenderte er gemütlich weiter, dicht an dem Paar vorüber, und sagte, mit lässiger Eleganz den Hut lüftend: »Schöner Morgen! . . . Auch nach Kaiserberg, gnädige Frau? Die Wilnein und die Gorah äugen schon eine halbe Stunde nach Ihnen, Doerstedt, aber Sie sind ja blind und taub. Ich verstehe das natürlich vollkommen, gnädige Frau.« Dann bummelte er weiter.
Die Comtesse hatte scharf hingesehen. Sie liebte diese Frau nicht; sie war ihr zu hübsch. Der Dandy war zusammengefahren wie ein beim Ablesen gefaßter Schuljunge, und die schöne Frau sah mit gefalteter Braue auf den Frechen. Ein paar entschuldigende Worte – eine tiefe Verbeugung – auch Doerstedt empfahl sich. In dem Moment fing die Comtesse einen so qualvollen Blick der Verfemten auf, einen halb empörten, halb flehentlichen Blick des tödlich getroffenen Frauenstolzes, daß sie mit einem Schlage begriff, wie herzlos grausam man hier Zoll für Zoll eine Unschuldige mordete. ›Wenn die schlecht wird, wer kann's ihr verdenken!‹ Es war der Comtesse erster edler Impuls, zu ihr heranzutreten, ihr etwas Freundliches zu sagen. Sie vermochte es nicht. Sie schritt nur mit kaltem, höflichem Gruße vorüber, doch die schöne Frau hatte die hohe, vornehme Gestalt straff aufgerichtet und blickte mit geöffneten Augen und bebenden Nüstern ins Leere. Sie dankte nicht.
8 Nun kam der Dandy mit einem ganzen Phrasenschwall auf Marie zu und entschuldigte sich eifrig: »Ja, Sie werden sich wundern, Comtesse . . . Aber wir haben eine kleine unangenehme Geschichte wegen eines Knechts, der von den Gellmanns zum ersten April bei uns anziehen wollte und zuletzt geblieben ist. Ich nahm hier die Gelegenheit, mit der Frau zu sprechen, mit dem Kerl kann man's anstandshalber doch nicht.«
Prinz Lack verdrehte die Augen: »Bitten Sie doch die schöne Frau, uns die Ehre ihrer Gesellschaft zu schenken, da könnt ihr den Fall ja im Coupé weiter besprechen!« Als der Dandy darauf schnell erwiderte, die Dame fahre Frauencoupé, pfiff Prinz Lack höhnisch durch die Zähne: »Alter Diplomat! Ihnen steht's ja auf der Stirne geschrieben, daß Sie uns was vormogeln . . . Sie müssen doch einen höllischen Draht für Fohlen in der letzten Zeit geblecht haben, da wären die Gorahschen Geldsäcke doch ein recht erfrischender Morgentau. Seien Sie vorsichtig! Ich war immer Ihr guter Geist!«
»Sagen Sie böser, und Sie haben recht,« erwiderte ärgerlich der Dandy.
»Ha, ha! Also doch auf den Leim mit dem roten Billet gekrochen! . . . O Fritz, laß das Poussieren sein . . .«
Der Schaffner bat um die Fahrkarten, und sie stiegen ins Coupé. Nun zeigte sich Hasso plötzlich gemütvoll, meinte, die paar Geschäfte, die er in Kaiserberg abzuwickeln habe, seien im Nu gemacht. Und da wäre es ihm ein Herzensbedürfnis, mit seinem guten Freunde Doerstedt noch verschiedenen Flaschen Rotspohn den Hals zu brechen. »Sie kennen ja doch alle die netten Spelunken noch von Ihrer 9 Dienstzeit her? Ich komme höchstens ins Theater und ins Konzert. Du weißt ja, Cousinchen, 's ist von wegen der tadellosen Lackschuhe.«
Wider Erwarten zeigte sich der Dandy weniger entgegenkommend, sprach von wichtigen Angelegenheiten, die ihm die Verfügung über seine Zeit vollständig raubten, bis Vetter Hasso ruhig sagte: »Also nicht! . . . Das hätte ich Ihnen übrigens in dem Augenblick sagen können, als ich die schöne Frau mit meinen sündigen Augen auf dem Perron erblickte. Aber einen Detektiv werde ich Ihnen nachschicken, lieber Freund . . . und heiraten müssen Sie sie, wenn der Gatte sich totgetrunken hat! Er trinkt jetzt mit den Bauern im nächsten Kirchdorf Kornus aus Wassergläsern, und auf dem Nachhauseweg unterhält er sich äußerst pläsierlich damit, auf der einen Seite aufs Pferd zu steigen und auf der andern Seite herunterzufallen. Darauf hat sie das Vergnügen seiner Gegenwart . . . Glückliche Nana!«
Die Comtesse mußte lachen, obgleich es ihr gar nicht lächerlich zu Mute war. Der Vetter kopierte mit großer Naturwahrheit und machte auf dem Polster die Schwankungen des Betrunkenen täuschend nach. Doch bei dem Dandy zog sich eine dicke Zornesfalte quer über die Stirn. »Nun hören Sie aber auf! Die arme Frau verdient Ihr Bedauern, aber nicht Ihren Spott. Und was das Trinken anbelangt, so ist Ihr Intimus Loja doch ein anerkannter Rumpraktikant.«
Ironisch drohend hob Prinz Lack den Finger und antwortete in brillantem Berlinerisch: »Kiekste aus die Luke? . . . Aber Sie haben recht,« schloß er eisig, »die schöne Frau ist Ihr Tollpunkt, meiner der Doktor . . . und Enterbte sind sie ja beide.«
10 Die Folge dieser Unterhaltung war, daß Doerstedt lange Zeit schweigend sein Monocle putzte und Hasso auf eine neue Teufelei sann. Die Gelegenheit bot die Comtesse selbst. »Ueben Sie dieses Jahr wieder, Herr v. Doerstedt?« fragte sie, um das unerquickliche Schweigen zu unterbrechen.
»Wahrscheinlich, Gräfin, der Bezirkskommandeur meint zwar . . .«
Da brach Prinz Lack in ein kurzes Lachen aus, so daß sich die andern verwundert ansahen. »Habe da eine famose Geschichte von dem alten Kerl auf Lager. – Also passen Sie auf, meine Herrschaften, und urteilen Sie selbst, ob der Mann jemals normal gewesen ist. In Kagnit war er vor acht Jahren beim Manöver Ortskommandant. Starke Konzentrierungen . . . das Nest steht beinahe auf dem Kopfe . . . und Ihr guter Lette, der in seinem Kommißeifer immer mit 'nem halben Hundert Spezialinstruktionen ausgerüstet ist, läßt sich den Bürgermeister kommen – der Dojan kam auch – empfängt ihn am Schreibtisch sitzend. ›Wissen Sie, wer ich bin?‹ – ›Jawohl, der Ortskommandant.‹ – ›So? Wenn Sie mit mir dienstlich zu thun haben, befleißigen Sie sich gefälligst einer militärischen Ausdrucksweise. Ich bin der Herr Major v. Lette.‹ – Der Ortsschulze ist natürlich so baff, daß er kaum mucksen kann, und der Herr Major fahren fort: ›Haben Sie eine Feuerlöschordnung?‹ – ›Ja . . . das heißt: Ein Mann von der freiwilligen Feuerwehr tutet, und dann wird gelöscht . . .‹ – ›Das genügt mir nicht. Ich wünsche, daß Sie mir bis morgen mittag zur Parole einen neuen Entwurf vorgelegt haben.‹ – Nun aber erwacht in dem edeln Stadtoberhaupt auch das Bewußtsein seiner 11 Würde, und er erwidert trocken: ›Erstens habe ich das nicht nötig, Herr Major, und zweitens kann ich's nicht in der Zeit!‹ – Darauf eine gewitterschwüle Pause, der Herr Major überlegen, ob nicht Kriegszustand zu verhängen und der Mann zu verhaften sei. Endlich kommt die klassische Frage: ›Wissen Sie, mein Herr, was einem Bürgermeister von Kagnit im Siebenjährigen Kriege passierte?‹ – ›Nein, Herr Major.‹ – ›So! Der wurde gevierteilt! Merken Sie sich das. Ich danke.‹«
Die Geschichte, ob erfunden oder wirklich, war von einer so unwiderstehlichen Komik, daß das Coupé von einem unauslöschlichen Gelächter wiederhallte und sich der Dandy die Thränen unter dem Monocle wegwischen mußte. Lässig sagte Natzfeld zuletzt: »Neulich war ich mit dem Kommandierenden zusammen – ich bin mit dem Sohn in Liegnitz auf der Ritterakademie gewesen – da erzähl' ich ihm so ganz en passant ein paar Histörchen von unserm gemeinsamen Freunde, flechte auch bescheiden meine Angelegenheit ein. Wenn's dem Lette bei der Inspizierung des Kommandos gut geht, heiße ich nicht Hasso. Ich kalkuliere, daß er schon im Juli mit einem Regenschirm und einem Jagdhütchen umherläuft.«
Die Comtesse sah lange prüfend in dies kalte, kluge Gesicht, das auch beim tollsten Scherze nie einen guten Zug zeigte. Wer ihn zum Feind hatte, der mochte sich kreuzigen und segnen. Aber konnte er auch wirklich ein Freund sein? – Nur Loja wußte das, und der verriet nichts. 12