Johannes Richard zur Megede
Quitt!
Johannes Richard zur Megede

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Der Winter wich – langsam, mürrisch. Unter dem schmelzenden Schnee hob sich die grüne Saat. Die Flutwelle der Saison rollte zurück. Das Gehoffte und Gefürchtete war nicht eingetreten: noch war die Hand der schönen Anna frei. Frau v. Doerstedt seufzte, die andern Mütter atmeten auf.

Frühlingsstürme brausten heran, mit eisigen Regengüssen die vollgesogene Scholle überrieselnd. Vom Sturm zerfetzte Nebelschleier hingen tief in den dunkeln Fichtenwald. Der geschwollene Fluß schoß zwischen den hohen Kiesufern gurgelnd dahin – eine tückische Lehmflut. Da war's gut daheim sein! Das Brautpaar war täglich zusammen in der Comtesse traulichem Boudoir. Sie lasen Turgenjew. Sie war begeistert, glücklich. »Wie vornehm er ist, wie einfach!« – Er widersprach: »Ein verkappter Nihilist, dieser Russe, ein Feind, glaub mir's!« Da verlor sie die Lust am Lesen. ›Eine Laune,‹ dachte er. – ›Wir verstehen uns nicht,‹ dachte sie. Aber sie sprach es nicht aus, sie war angriffsmüde.

Sie sehnte sich nach dem Frühling. Schon schien er nah. Warm strahlte die Sonne zur Mittagszeit auf das spärlich sprießende Grün; der Abend jagte einen Regenschauer, mit wässerigen Schneeflocken vermischt, darüber. Jämmerlich schaute die 211 Tageskönigin drein. Aprilwetter! In Mariens Herzen war es nicht anders. Sie freute sich, wenn der Bräutigam kam, und war verletzt, wenn er ging. Doch es war nicht der Abschied, der ihrem Herzen weh that.

Dann mußte Gampesch auf längere Zeit nach Kaiserberg. Geschäfte, die Zuckerrübenkultur. Er brachte Bodenproben nach der landwirtschaftlichen Versuchsstation, und da er vorsichtig war und peinlich, dauerten die Beratungen lange. Er fuhr sogar nach der Reichshauptstadt, um eine Größe zu konsultieren. Die Comtesse vermißte ihn weniger, als sie geglaubt. Der Tante fiel ihr verändertes Wesen auf. Sie war ruhiger, gleichmäßiger, nicht immer Partei. Aber wo ihre Eigenart hervorbrach, geschah dies schärfer, rücksichtsloser. Als die Feldwege gangbar wurden, ließ sie den Fuchs beschlagen. Das neue Reitzeug stand ihm gut. In stallmutigen Sprüngen ging es vom Hof. Das lange Stehen im dunkeln Stall hatte ihn unruhig und nervös gemacht. Vor jeder aufgehenden Krähe sprang er schnaubend zur Seite, und auf der Chaussee ging es der weißen Steine wegen in Schlangenlinien vorwärts; am ersten Tage ging er sogar mit der Comtesse durch. Es war eine Lust, dies wilde Reiten, für die Sattelfeste, die auch im tollsten Jagen weder den Mut noch den Bügel verlor. Dennoch kehrte sie von den wilden Ritten nicht immer mit der guten Laune und den vor Erregung blitzenden Augen zurück wie sonst. Einmal lief ihr ein Hase über den Weg; abergläubisch kehrte sie um. Am andern Tage begegnete sie Loja. Als sie ihn von fern erblickte, setzte sie das Pferd zum Galopp an; mit eiskaltem Gruße kamen sie aneinander vorüber.

Wenn doch der Frühling käme! Kalt war die 212 Luft und klar. Ueber den ängstlich zusammengeduckten Saaten wölbte sich ein stahlblauer Herbsthimmel. Der Winter schien noch drohend hinter dem Walde zu stehen: ›Ich komme zurück!‹

An einem solchen Nachmittag fuhr die Comtesse nach der Stadt. Arthur wollte mit dem Nachtzuge zurückkommen. Außerdem war Pferdemarkt, Cirkus – aufregende Dinge für das der Einsamkeit überdrüssige Landfräulein. Je näher sie der Stadt kam, um so mehr belebte sich die menschenleere Chaussee. Hinter ratternden Bauernwagen trotteten angebundene Pferde. Viehhändler, auf schmalem Bocksitz eingezwängt, leierten trunkenen Tones Soldatenlieder; ein ekler Dunst von Bier und Schnaps stieg aus den rostigen Kehlen. Auf dem weichen Sommerwege wurden wiehernde, tänzelnde Remonten am Hanfstrick zum Heimatstalle zurückgeführt. Alte, magere Klepper, denen der Widerrist schon kahl, schoben sich unter Fluchen und rohem Zaumreißen ihrer Führer Schritt für Schritt vorwärts. Der Höhepunkt des Marktes war überschritten.

Bei den ersten Stadthäusern mußte der Wagen Schritt fahren. Da drängten sich Menschen und Pferde auf dem zertretenen Stroh. Die ganze Orschauer Jugend war auf den Beinen. Die Gymnasiasten in bunten Mützen, die Schülerinnen mit geröteten Wangen, neugierigen Blickes, standen umher, starrten auf das Leinwanddach des Cirkus, den grünen Wagen, aus dessen Fenster ein geschminktes Weib teilnahmlos aus erloschenen Augen auf den ungarischen Sandschneider und den Viererzug der Comtesse sah. Daneben drehte sich ein Karussell unter den gellenden Tönen eines Leierkastens. Ein riesiges, regengewaschenes Plakat erzählte prahlerisch 213 von hundertundzwanzig Rassepferden, gezähmten Elefanten, ›auf ihrem breiten Rücken indische Bajaderen, unter lustigem Baldachin wiegend‹. Erster Cirkus der Welt! Miß Wanda, die Kanonenkönigin . . . Mr. Elliot in seinen unerreichten Leistungen auf ungesatteltem Pferde . . . ›der König von Nepal, grotesk-komische Pantomime, einstudiert von Omar Bey, erstem Ballettmeister Seiner Königlichen Hoheit des Vizekönigs von Aegypten‹ . . . Plumpe Lügen, die aber von der Jugend gläubig, voll Andacht, als gelte es ganz wunderbare Offenbarungen der Kunst, eingesogen wurden. Die Comtesse lächelte skeptisch. ›Sollten diese Kunstreiterwagen wirklich so geheimnisvollen Inhalt bergen?‹ Dennoch empfand sie beinahe die Neugier eines Kindes nach den Künsten des fahrenden Volkes.

Der Wagen fuhr durch das Thor. Noch wogte reges Leben auf dem Marktplatze. In langen Reihen, dicht standen die Tiere; dahinter die Besitzer, Bauern, ohne eine Miene zu verziehen, scheinbar interesselos, aber zuweilen mit einem schlauen Aufblitzen in ihren blöden Augen sich selbst Lügen strafend. Jüdische Händler in langen Regenmänteln schlichen dazwischen umher, mit prüfenden, mißtrauischen Blicken, Halsabschneiderphysiognomien darunter. Ihren schwarzen, lebhaften Augen entging nichts. Ihre Stirnen waren gerunzelt, unzufrieden, verächtlich, gleichviel, ob sie an den breiten, tiefen, ermländischen Bauernpferden vorübergingen, deren runde, kraftstrotzende Formen sie über den wenig widerstandsfähigen Knochenbau nicht täuschten – oder ob sie die echten Litauer musterten, die feingebauten, schnittigen Reittiere mit dem stahlharten Huf und den eisernen Knochen, denen das Rassige, Edle aus den feurigen 214 Augen der gehobenen kleinen Köpfe und der kriegerisch geblähten Nüster spricht. Von dem zertretenen, nassen Stroh, den unordentlich hingeworfenen Heubündeln stieg ein moderiger Stallgeruch auf, der sich mit den scharfen Ausdünstungen der Tiere, dem muffigen Parfüm feuchter Bauernröcke mischte und, in der Nähe der Ausspannungen und Kneipen von kaltem, süßlichem Rauch schlechter Zigarren und widerlichen Fuseldünsten verstärkt, die Nase empörte. Dazu wurden Pferde in den schmalen Gassen der Stände auf und ab geführt – im Schritt, im Trab, im Galopp. Die Hufe klapperten auf dem Pflaster, scharf knallten die langen Peitschen. Die Remonten wurden unruhig, stiegen, schlugen aus, versuchten sich loszureißen. Hell, wie ein Trompetenstoß, klang ihr mutiges Gewieher. Die Mutterstuten nahmen den Laut auf, langgezogen, klagend, wie in höchster Angst, der tierische Laut des Muttergefühls. Sie fürchteten in dem dichten Gedränge ihre runden, wolligen Lieblinge zu verlieren, die Absatzfohlen, welche, der Gefahr bewußt, sich ängstlich an die Mütter schmiegten.

Ein krummnasiger Händler trat zu einem ermländischen Bauern, nachdem er lauernd wie ein Wolf den Stand umschlichen hatte. »Was kost't der Braune?« fragte er so obenhin mit einem geringschätzigen Seitenblick.

Der alte Bauer dreht sich um, sieht ihn verständnislos an und sagt, sich umständlich hinter den Ohren krauend: »Hundertundfünfzig.«

»Thaler?« Der Jude gerät in Zuckungen. »Sagen Sie: Ditchen! und es ist noch zu viel! Das ist kein Pferd, das ist 'ne Kuh! . . . Mann, sind Sie verrückt geworden?«

215 Der Bauer zieht die spärlichen Augenbrauen in die Höhe und spritzt als Antwort den Speichel durch eine Zahnlücke. Dann wendet er sich ab.

Der Händler tritt vor ihn hin, ihm die Hand hinhaltend. »Wollen Sie fünfzig? Schlagen Sie schnell ein, ehe ich zurückziehe mein Gebot . . . Ich wer' verlieren zwanzig Thaler am Schinder, aber ich will 'n nehmen, weil ich nötig brauche 'n Pferd zum Verladen.«

Zwischenhändler kommen herbei, das kleine Raubzeug, welches sich auch seinen Beuteanteil am Handel sichern will. Mit den zornigen, verächtlichen Ausrufen des Juden: »Soll ich mich ruinieren mit 'nem Pferd, was lahm ist auf allen vieren? Morgen muß es gefahren werden auf 'nem Wagen zur Abdeckerei!« – mit dem langsamen, unverrückbaren: »Hundertundfünfzig« des Bauern mischt sich ihr geschäftiges Geflüster. »Wollen Sie's haben für hundertundzwanzig, Herr Levy? Sie sollen's haben! Ich kenne den Mann.« – »Warum wollen Sie nicht machen das Geschäft, Quittkat, wo das Tier doch hat Spat und Gall'n und 'n gedrückten Rücken? Geben Sie mir zwei Thaler, und das Pferd ist gut verkauft.«

Es ist ein schwerer, langwieriger Handel. Die Comtesse, deren Viererzug nur schrittweise durch das Gedränge konnte, empfand das volle Interesse der Pferdekundigen an dem Geschäft. Die Menge der Tiere, der Ammoniakgeruch des Stalles regte sie an. Und im Anblick der scharrenden, hochausgreifenden Hufe, des trockenen, vornehm aufgesetzten Halses einer Remonte pochte ihr ostpreußisches Herz stärker vor Stolz über diese edelsten Erzeugnisse der Heimat. Und doch war hier erst die Grenze des echten Pferdelandes, 216 wo die ganze Familie mit Stute und Fohlen zu Markte zieht, wo die Kinder beim Handel weinen und den blanken Hals des verkauften Tieres zum Abschied umschlingen, wo selbst der harte Bauernsinn weich wird und der Mann sich schwerer vom Pferde trennt als vom Kinde.

Die Comtesse schaute nach Bekannten aus. In einer Seitengasse sah sie die Herrengespanne stehen, die Grauschimmel der kleinen Gorah, den Rappenviererzug Doerstedts, die vornehmen Tiere vorsorglich in Decken gehüllt. Es war der einzige Viererzug außer dem Lorscher in der Gegend. Der Dandy versuchte die Pferdezucht im großen zu betreiben wie Vetter Hasso. Für die Comtesse, die in ihrer Gräflichkeit keinen Nachbar für ganz voll ansah, war dieser Viererzug eine Anmaßung von Doerstedts, deren mäßiger Wohlstand an den Wilneinschen Reichtum nicht heranreichte. In einer Ecke des Marktplatzes, der sich jetzt zu entleeren begann, bemerkte sie eine Gruppe ihrer Standesgenossen: das kränkliche Marquisgesicht des Herrn v. Gorah, die schiefe Hüfte seiner Tochter; neben ihr die üppige Gestalt der schönen Anna, das Riesenmonocle ihres Bruders in dem geistlosen Gesichte. Das breite Ostpreußisch des alten Kauffmann hallte herüber. In der Mitte stand Vetter Hasso in hohen Lackstiefeln und Jockeymütze, die Rennpeitsche in der Hand. Er war zu Pferde gekommen.

Die Comtesse ließ halten und trat zur Gruppe. Ein höflicher Gruß der Herren, ein leichter Händedruck der Frauen – und die Blicke wandten sich wieder Natzfeld zu, der die Cousine gar nicht bemerkt hatte. Ein großer Händler aus Kaiserberg stellte ihm ein Paar Pferde vor, hohe, elegante Schimmel. Diese 217 Farbe war Tradition in der Natzfeldschen Familie und erinnerte die Comtesse an eine böse Geschichte, die dem Vetter vor zehn Jahren passiert war. Schon damals fuhr er fleckenlose Schimmel. Der Kutscher hielt die Tiere tadellos rein. Nur wurden sie zusehends magerer und kamen beim Trab kaum von der Stelle. Eines Nachts revidierte der mißtrauische Hasso den Kutschstall und fand die Lösung des Rätsels. Die Tiere waren hochgebunden an den Raufen und konnten sich nicht legen. Der träge Kutscher ersparte sich dadurch die Kardätschenarbeit. Der Herr verstand den Spaß schlecht. Er ließ sofort den alten Mann holen, und hart bis zur Grausamkeit, wie er war, ließ er ihn an derselben Raufe hochbinden. Nach vierundzwanzig Stunden machte man den Unglücklichen los, der halb erdrosselt war und von der Todesangst ein nervöses Zittern zurückbehielt. Seitdem galt der Sasser Herr für den leibhaftigen Satan. Vor der Anzeige schützte ihn die knechtische Furcht seiner Leute.

Jetzt war Natzfeld ganz beim Handel, den der Edelmann mit der Verschlagenheit und Kälte eines hartgesottenen Wucherers betrieb. Der Händler, Herr Meier – ein gelbes, knochiges Bereitergesicht – stand in Fahrpelz und roten Glacés neben ihm und betrachtete, ein Aristokrat unter seinesgleichen, mit gemachter Gleichgültigkeit die vorgeführten Tiere.

»Trab! – Galopp! – Schritt! . . . Zurück!« befahl kurz Vetter Hasso dem schweißtriefenden Knechte, um an den schroffen Uebergängen die Güte der Vorderhand zu erproben. »Führen Sie ihn aufs Weiche. Trab! – Jetzt aufs Pflaster. Die Peitsche weg, Herr Meier! Die Tiere sind eingepeitscht genug. – Der Linke zieht hinten rechts nach.«

218 Herr Meier zuckte verächtlich die Achseln und lispelte: »Beine wie Stahl, Herr Baron.«

»Kostenpunkt?« fragte Vetter Hasso, mit einem argwöhnischen Seitenblick die gut gestellten Tiere musternd.

»Was soll ich sagen 'n Preis, Herr Baron, wo Sie doch mehr verstehen von den Schindern wie wir alle!«

»Also?«

»Fünftausend Mark. Ich will nichts verdienen beim Geschäft!« beteuerte Herr Meier mit einer Geste der Großmut.

Vetter Hasso trat nochmals zu den Pferden und strich dem bemäkelten Tiere die Hinterhand entlang. »Wenn sie einen Zoll mehr hätten!«

Es war lehrreich, indessen die aristokratischen Zuschauer zu beobachten. Der Dandy blinzelte äußerst pfiffig wie ein Wissender der schwarzen Kunst. »Famoses Gangwerk!« schnarrte er leise. Die kleine Gorah mit ihrer grünen Reitwissenschaft hob sich wichtig: »Für ein Reitpferd müßte das Exterieur vornehmer sein.« Die schöne Anna schaute träumerisch auf die Tiere und schwieg. Sie hatte bange Zweifel, ob sie jemals als Hassos Gattin hinter den anglisierten Schwänzen der Schimmel thronen würde. Dagegen konnte sich die Comtesse nicht enthalten, einige kurze Bemerkungen laut in die Unterhaltung zu werfen: »Der rechte Wallach ist zu weich in der Fessel. Und der linke kann vorn nicht leicht genug heraus beim Trab. Gespannte Schulter!«

Vetter Hasso trat jetzt wieder zurück. »Dreitausend Mark!« entschied er kühl.

Darauf hob der Händler beide Hände blitzschnell an die Ohren. »Nehmen Sie die Pferde umsonst! 219 Es soll mir 'ne Ehre sein, Herr Baron. – Aber sagen Sie nichts mehr von dreitausend!« rief er mit einer Gesichtsverzerrung, als wenn ihm ein Dutzend Nervenbündel durchschnitten würden. »Wissen Sie, wo ich gewesen bin gestern? Beim Herrn Grafen Nellenburg! ›Meier‹ – sagt er – ›hier haben Sie sechstausend bar, und 's Geschäft ist gemacht.‹ Und ich muß ihm antworten als Mann von Wort: ›Bieten Sie mir 'ne Million, und ich kann auch nicht annehmen! Hab' ich doch versprochen dem Herrn Baron aus Sassen, zusammenzustellen zwei hochedle Schimmel – und er soll s' haben unterm Selbstkostenpreise.‹ – 's ist wie ich sage, Herr Baron, auf Ehrenwort!«

»Sie werden sentimental, Herr Meier,« mahnte mit mitleidigem Spott Vetter Hasso.

Herr Meier fuhr mit den Händen in der Luft herum wie ein Ertrinkender. »Was soll ich mich nicht aufregen, wenn Sie mir bieten so 'n Preis für zwei Pferde, wie der große Oppenheimer in Hannover sie nie gehabt hat in seinem Stall, der doch die Pferde liefert für den kaiserlich russischen Hof. – Was wollen Sie geben, Herr Leutnant? Viertausendfünfhundert! Es ist mein letztes Wort.«

In komischer Verzweiflung flehte Vetter Hasso: »Haben Sie Mitleid mit einem schwachen Kopfe – ›Leutnant!‹ Schließlich glaub' ich's selbst und verende in Kortau am Größenwahn.«

»Sie sind ein vornehmer Herr, ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, mit dem mir immer 'ne Ehre sein wird zu handeln. Ich will gern verlieren meine tausend Mark . . . Viertausendfünfhundert?« fragte er schmeichelnd.

»Lassen Sie mich zufrieden!« wehrte ärgerlich 220 Vetter Hasso ab. Er schien alles Interesse am Handel verloren zu haben. »Vielleicht rufen Sie Ihrem Kutscher zu, Doerstedt, daß er mein Reitpferd vorbringt!«

Als Herr Meier die Hufe des Tieres auf dem Pflaster heranklappern hörte, schnürte sich seine Kehle zusammen. »Viertausend,« sagte er heiser.

Vetter Hasso trat zu seiner braunen Reitstute, welche neugierig die Nüstern nach den Schimmeln hob.

»Sie werden's bitter bereuen, Herr Baron!« ächzte der Händler.

»Sie mehr!«

Da warf sich die Comtesse, welche den Komödiantentrick des Vetters durchschaute, ins Mittel. Ihrem geraden Sinn erschien diese Handlungsweise eines Edelmanns unwürdig. Auch hatte die im Sattel groß Gewordene genug Verständnis für den wahren Wert der Tiere. Ihr schien es, als wenn der Mann einen ehrlichen Preis gestellt habe aus Achtung vor der großen Pferdekenntnis des Vetters. »Viertausend sind sie schon wert!«

Vetter Hasso drehte sich langsam herum und hob die Mütze zu förmlichem Gruße. »Ah! Was verschafft uns die Ehre, Reichsgräfin? – Uebrigens darf ich bekannt machen: Herr Meier – Reichsgräfin Wilnein, erste Pferdeverständige des Kontinents.«

Die Comtesse wurde rot. Der Händler, dem bei dem bekannten Namen die schwarzen Augen vor Geschäftslust funkelten, trat unterwürfig näher. »Wenn die gnädigste Gräfin Verwendung haben für die Pferde,« lispelte er gewinnend.

»Wir fahren keine Schimmel,« antwortete sie kleinlaut.

221 Unterdes hatte der Vetter die über den Hals seines Pferdes gelegten Zügel gemächlich geordnet. »Empfehl' mich unterthänigst, meine Herrschaften.« Er beachtete den Händler gar nicht. Schon hatte er den linken Fuß im Bügel, als Herr Meier vorsprang.

»Herr Leutnant!« rief er verzweifelt. »Viertausend! Ich verdiene keine hundert Mark, auf Ehre!«

Vetter Hasso lachte kurz auf. »Unverbesserlicher Schmeichler! Dreitausendfünfhundert. Ich will an Großmut nicht hinter meiner Cousine zurückbleiben.«

Herr Meier wand sich wie ein Schwerkranker. Schon wippte Natzfelds rechter Fuß auf der Spitze. Es war der letzte Augenblick.

»Se wollen mein Unglück, gut!« murmelte eine ersterbende Stimme.

Der Handel war gemacht, und Vetter Hasso ließ sein Reitpferd wieder fortführen. Betrübt schlich Herr Meier davon. »Sie verstehen den Schacher. Donnerwetter!« lobte Doerstedt. »Unter Brüdern viertausend wert.«

»Vielleicht noch mehr! Das nächste Mal legt er mich hinein. – Eine Hand wäscht die andre.«

Mit Verachtung wendete sich die Comtesse ab. ›Daß ein Edelmann den Juden betrügt – wie niedrig!‹ dachte sie.

»Weißt du, Cousinchen, daß du mir fünfhundert Mark schuldig bist?« fragte etwas gekniffen der Vetter. »Um so viel hätte ich ihn noch gedrückt ohne deine Weisheit. – Doch merke dir dies für die Zukunft: Und wenn es mein leiblicher Bruder wäre – hier gilt: entweder haut er mich übers Ohr oder ich ihn! Das sind die ewigen, ungeschriebenen Gesetze der Pferdemarktsmoral.«

*

222 »Und wohin jetzt?« fragte der Dandy. »Sie wollen doch noch nicht reiten, Natzfeld?«

»Vor Mitternacht nicht. Appellplatz ist bei Sauer. Preiskuchenessen der Damen. Dann Cirkus.«

»Es sollen famose Weiber dabei sein!« Begehrlich schnalzte der Dandy.

Mit gut gespielter Trauer sah ihn Prinz Lack an. »Wo bleibt da die Moral? Wenn Frau Domat das hörte! Es raubte dem armen Weibe den letzten Glauben an Gott und Menschen.« In elegischem Tone fuhr er fort: »O du schwer geprüftes Frauenherz! Militärfromm, königstreu, tugendhaft – alles zum Ueberlaufen! – Und noch kein ›von‹, kein Wappen mit drei loyalen Hammelsköpfen! Ist eine hohe Staatsregierung denn blind?«

»Der Domat benahm sich auch zu dammlig bei seiner letzten Hauptmannsübung im Kaisermanöver,« warf Doerstedt ein. – »›Die Herren Offiziere! Galopp.‹ Schwupp! verliert er den Helm. – Der General schnauzte nicht schlecht.«

»Und bei der Kritik den Kopf,« ergänzte wohlmeinend Prinz Lack. »Mit oder ohne, der Unterschied ist sehr gering! – Kennen Sie übrigens meine Geschichte mit ›ihr‹, meine Damen? – Ich traf sie hier bei Sauer mit ihrem Jungen – ein wenig geknickt, weltschmerzlich angehaucht. Dies irae, dies illa! Die Nobilitierung Miehlers stand gerade in der ›Ostpreußischen‹. Ihr Gemüt sah aus wie ihre Nase – gebrochen! Ich beschäftige mich lieber voll mit ihrem kleinen Herbert. Der ungesunde Talgklumpen hat seiner Mutter schon viel Kummer gemacht. Warum steckte der vorlaute Bengel seinen Kopf zu einer Zeit in die Welt, als das Regime Bismarck unerschütterlich schien? ›Wie heißt du, 223 kleiner Feudalist?‹ frage ich harmlos. Im Augenblick verabreicht ihm die Mutter einen gediegenen Rippenstoß. ›Herbert,‹ stammelt er weinerlich. – ›Weiter,‹ sage ich. Schwüle Pause, verstärkter Rippenstoß der Mutter. – Ich wittere Unrat. ›Nun, mein Jungchen?‹ – ›Vo . . . vo . . .‹ Das Unglückswurm stottert schon ganz nett – wie der Vater, wenn er nüchtern ist. Dritter, sehr wohlgezielter Knuff, der mir den Bengel fast in den Schoß schleudert. – Ich markiere Blindheit. ›Sitz stille, Liebling! Dir thut ja niemand etwas. Vo . . . vo . . .‹ stottere ich mit. ›Laß dich nicht verblüffen!‹ – Da fängt das Ungetüm zu blöken an: ›Doch, doch, die Mutter schupst mich immer.‹ Ein Wunder! Er sprach ganz zusammenhängend. ›Früher hat sie mich immer hersagen lassen: Herbert v. Domat – und jetzt soll ich's nicht mehr . . .‹

»›Abscheulicher Bengel!‹ zetert die Domat.

»›Ganz im Gegenteil– scharmanter kleiner Kerl!‹ erwidere ich freundlich. – ›Sie werden doch nicht etwa glauben, Herr v. Natzfeld, daß ich . . . ich . . .‹ Sie weinte beinahe. – ›Ihm so etwas beigebracht habe,‹ ergänze ich. ›Die geistreichste Interpretin des großen Kant einer so liebenswürdigen, menschlichen Schwäche fähig – unmöglich! Ich sehe aus Ihren Nixenaugen den Adel der Seele blitzen, schöne Frau – und der gilt uns Rittern vom Geist höher als eine Grafenkrone, nicht wahr?‹ Sie war bescheiden genug, mir in keinem dieser Punkte zu widersprechen.«

Die Gesellschaft krümmte sich fast vor Lachen.

»Vo . . . vo . . .« wiederholte der bösartige Hasso noch einmal mit täuschender Nachahmung.

Eben kamen sie an der Sauerschen Konditorei vorüber. Das Fenster öffnete sich. Der metallisch 224 blinkende Rabenscheitel der Frau Sondeck ward sichtbar und ihr starkes weißes Gebiß. »Wir warten schon.«

»Raubtierwitterung!« rief halblaut Prinz Lack. »Sie bleckt schon ihre Reißzähne nach einem Opfer.«

Um seine Schändlichkeiten voll zu machen, begab er sich schnell an die Seite der hinkenden Gisela. Vor ihr stieg Doerstedt die Stufen zum Restaurant in die Höhe.

»Sehen Sie doch, gnädiges Fräulein, ist er nicht der schneidigste Panzerreiter? Wenn er nur nicht in die Gellmann so sinnlos verliebt wäre!«

*

Die grauen Fittiche der Frühlingsdämmerung senkten sich auf den leeren Marktplatz. Ein kühler Abendwind hatte sich aufgemacht und trieb moderigen Marktgeruch vor sich her. Die Gesellschaft war zum Cirkus aufgebrochen; die Nackthalshühner hatten sich angeschlossen und Herr Sondeck, ein langer, schlotteriger Mann mit einem Tischlergesicht. Vor dem Thore ging es lebhaft zu. Der Leierkasten orgelte in wilden Tönen. Dazu drehten sich langsam die seltsamen Reittiere des Karussells, Nashorn und Schwan, beim trüben Schein einer Petroleumlampe. Halbwüchsige Bürschchen standen herum, Kinder mit glänzenden Augen. Aus einer dunkeln Seitengasse kam das fast verschluckte Gekreische der Dirnen und das rohe Lachen der Männer.

Der Orschauer Adel nebst Suite vermied die gemeinen Volksbelustigungen. Hinter dem geflickten Leinwanddach des Cirkus war der Marstall. Er glich weit eher einem Zigeunerlager. Unordentlich standen die grünen Wagen herum, vom roten Fackelschein phantastisch beleuchtet. Hinter einem löcherigen 225 Windschirme, schlecht vor dem schneidenden Luftzuge geschützt, zermalmten die Klepper gierig die schmale Haferration im schmierigen Leinwandbeutel. Sie waren gut durchgeputzt zur Vorstellung, aber mager und ausgemergelt – Philosophen die einen, welche gleichmütig, nachdem das letzte Haferkorn weggeputzt war, auch noch das muffige Streustroh durch die Zähne zogen, andre nervös aufgeregt wie Soldaten vor der Schlacht, mit gespitztem Ohr und blitzenden Augen.

Natzfeld unterhielt die Gesellschaft in seiner herzlosen Spöttermanier. Die jungen Damen wollten sich ausschütten vor Lachen, und Anna v. Doerstedt that sich darin besonders hervor. Comtesse Marie verstand diese Fröhlichkeit nicht. Das Elend des Ortes lag wie ein düsterer Schatten auf ihrer jungen Seele. Für die andern mit ihrer glücklichen Oberflächlichkeit bargen diese Komödiantenwagen nur glitzernden Tand, Leichtsinn, fröhliche Liederlichkeit, für Marie etwas ganz andres: geschminkte Not, zur Clowngrimasse verkrampften Schmerz und wüstes Geheimnis. Denn ein Bild hielt sie gefangen und ließ sie nicht. In einer dunkeln Ecke saß ein Mann – ein alter Mann mit merkwürdigem, runzligem hartem Gesicht in schmieriger Stalljacke – und aß gierig aus einem blechernen Topfe. Neben ihm kauerte ein zottiger, elender Hund und nagte heißhungrig an einem mageren Knochen. Und wenn der Hund von seinem armseligen Mahl aufsah, dann schimpfte der Mann, und wenn der Mann lauter schmatzte, dann knurrte heiser der Hund. An einem Wagenfenster gegenüber stand wieder die Geschminkte mit Dirnenflitter und Dirnenfrechheit, aß Knackmandeln aus einer roten Tüte und schnitt den beiden 226 Grimassen. Es war des Alten Tochter. – Es lag eine ganze Geschichte, eine lange, ekle Geschichte in dieser Scene. Marie verstand sie gar wohl mit ihrem feinfühligen Herzen. Doch sie fand nicht den Mut der Reinen zur Verachtung, nur den Mut der Guten zum Mitleid.

Hinter dem Leinwandzelt schmetterte jetzt eine gellende Blechmusik. Die Gäste scharten sich in Massen um den Cirkuseingang, der Orschauer Adel hielt seinen feierlichen Einzug. Mit böser Absicht hatte sich Vetter Hasso zwischen die Cousine und die kleine Gorah gesetzt. Der einen lobte er voll scheinheiliger Anerkennung Doerstedts außerordentlichen Erfolg bei der Gesellschaft: »'s ist aber auch ein kapitaler Kerl, Beinkleidfalte und Scheitel finden thatsächlich ihresgleichen nicht, und daß er ein bißchen leicht ist, in ein halbes Dutzend schöne Augen lieber sieht als philiströs immer in dieselben zwei – bah, wer verdenkt ihm das! Ganz unter uns übrigens, für seine Braut oder Frau oder ähnliches müßte das eine kitzliche Sache sein, immer zu denken, wenn er zwei Stunden weggeritten ist: Wem macht er nun wieder die Cour?«

Das unglückliche Mädchen lachte nervös auf, sie war dem Weinen nah. Bei Marie war das Aergern heute schon schwerer. Sie hörte gar nicht, ihre schönen Augen glitten träumerisch über den gelben Sand der von dem Qualm der Oellampen erfüllten Arena. Sie lächelte nicht über die Witze des Clowns, und als auf keuchendem Pferde ein geschminktes Geschöpf vorüberjagte – sie war jung und hübsch und grüßte graziös zu den Herren hinüber –, legte sich eine herbe Falte um der Comtesse Mund. Da auch Hassos erbarmungslose Bemerkungen über die 227 spießbürgerliche Gesellschaft ringsumher, welche sich gar nicht satt sehen und hören konnte an den platten Späßen der weiß und rot geschminkten Bajazzi, keinen rechten Wiederhall fanden, dachte er verdrießlich: ›Was ist mit ihr los? – Ich Hammel! Weil Signore nicht zugegen, mault Signorina. Daß die sogenannte Liebe auch die karschesten Weiber stumpfsinnig macht! Also doch wirkliche Neigung? – Und ich hätte mein längstes Schnurrbarthaar gewettet, daß diese ganze Herzensaffaire eitel Dunst sei, durch Mutter Natur weise begrenzt von den plattierten Schnüren seines Attila und dem gewichtigen Geldbeutel meines Herrn Onkels. Doch gemach, mein Täubchen! . . .‹

Spöttisch hob er an: »Auf welcher Station Eurer Hochzeitsreise in Gedanken befindet Ihr Euch, Cousinchen? Paris oder Berlin? Theater oder Hotel?«

Die Comtesse zuckte leicht zusammen. Eine dunkle Röte stieg ihr bis zu den Haarwurzeln, sie schämte sich. Am Morgen hatte sie flüchtig des Verlobten gedacht; seitdem waren ihre Gedanken überall, nur nicht bei ihm. Eben lehnte sie sich im Stuhl zurück, schuldbewußt das Versäumte nachzuholen, da entstand eine Bewegung auf den Sitzen zur Seite. Ein paar Nachzügler passierten. Jetzt kamen sie auch an ihr vorüber. Es waren Gellmanns, voran die schöne Frau, kalt, grußlos – dann der Mann mit seiner verprügelten Devotion, zuletzt Loja, der ganzen Gesellschaft der verhaßte Fremde. Nur Natzfeld streckte zu dem Vorübergehenden die Hand empor und sagte halblaut: »Bon soir, Schwerenöter! Mit mir wolltet Ihr nicht zu Markte kommen, und es mußte erst ein reizendes Weib von der Partie sein. Wartet, Filou!«

228 Der Freiherr zuckte die Achseln und ging weiter. Eine merkwürdige Wandlung aber ging plötzlich mit dem jungen Doerstedt vor. Noch zitterte das Holz der Bande den anschlagenden Pferdehufen des Braunen nach, auf dem die hübsche Cirkusreiterin vorübergejagt war, und das Monocle-Auge des Dandy blitzte begehrlich. Dann war er beim Anblick der schönen Frau zum Gruße halb emporgeschnellt, um sofort schnell wieder im Stuhle zusammenzusinken. Jetzt saß er blaß und schwer atmend da, kaute den Schnurrbart und starrte vor sich hin. Mit Falkenblick hatte Prinz Lack die Situation erfaßt und sagte schadenfroh:

»Natürlich, erst macht der Herr Leichtfuß unsrer reizendsten Reiterin per Monocle eine Liebeserklärung, daß es schon nicht mehr schön ist, und jetzt kommt die wahre Liebe – da schnappt er vor Aufregung nach Luft. Er wird uns noch ohnmächtig werden. Fräulein v. Gorah, walten Sie Ihres Amtes als barmherzige Samariterin und reichen Sie ihm Ihr Riechsalz!«

Der Dandy sah sich wild um, doch Natzfeld nickte ihm freundschaftlich zu: »Mut, Mann!«

Die Gesellschaft lachte laut auf und zog sich einige mißbilligende Bemerkungen des dritten Platzes zu, die kleine Gorah aber bekam einen Schwindelanfall und mußte herausgeführt werden.

Gerade gegenüber hatten die Gellmanns Platz genommen. Die Comtesse träumte ihren Liebestraum nicht weiter. Ihr ganzes Interesse, ihre Eitelkeit, ihre Rivalität war erwacht. Wußte sie es selbst? Kaum. Doch ihre Augen blitzten, und ihr Kopf hob sich stolzer. Dort drüben saß die »Feindin«, die mit Recht Verfemte; sie ward ihr nicht lieber, weil »der 229 Feind« neben ihr saß. Natzfeld kostete es jetzt keine Schwierigkeit mehr, sie zum Sprechen zu bringen.

»Ja, wenn man das so mit ansehen muß,« sagte sie halblaut, und als erriete er ihren Gedankengang, fuhr er fort:

»Sie ist so hübsch und er so häßlich!«

»O, nichts gegen ihn! Er ist ja dein Freund – dein guter Freund!« Ironisch dehnte sie die Silben.

Er zuckte die Achseln. »Merkwürdiges Volk! Jeder alten Jungfer gestattet ihr bereitwilligst ihren Piepvogel als ihr gutes Recht und mir nicht einmal einen einzigen Freund. Laß mir doch meinen Piepvogel gefälligst auch!«

Sie spann indessen den ersten Gedanken weiter. »Er muß reich sein, sehr reich, es giebt keine andre Erklärung.«

»Reich –? Hm! – Ich habe in neuer Zeit von Kirchenmäusen gehört, die als behäbige Rentiers gestorben sind, vielleicht gehört er zu der Sorte.«

Sie lachte auf. »Also nicht einmal das? – Ein armer Schlucker! – Hüte dein Geld doppelt, vorsichtiger Hasso!«

»Pfui, Mieze! – Er hat mir's nicht gerade auf die Nase gebunden, aber man hat doch seine Witterung, und die sagt mir untrüglich: Er hat nichts! – Du hast, wie ich, jedenfalls den Vorzug, viele Levis zu kennen, ehrenhafte und unehrenhafte. Unter diesen hatte dein erschossener Schwager einen ganz intimen ›Freund‹; wenn er auch nur drei Tage hier auf Urlaub war, der flotte Husar, da gab es zwischen den beiden einen Depeschenwechsel wie zwischen zwei Großmächten kurz vor der Mobilmachung. Dieser Levi war ein Mann von Ehre und von 230 Gemüt und gab deinem Schwager grundsätzlich nur Geld gegen Blanko-Accept, das ist eine sehr reinliche Sache und ein Beweis des Vertrauens. Nun giebt es da Nergler, die behaupten, dein Schwager sei ebenso inkorrekt leichtsinnig gewesen wie dein Bräutigam korrekt vorsichtig und Levi der gewissenloseste Blutsauger, der schon im Diesseits verdient habe, daß ihm das Fell in Riemen vom Leibe geschnitten würde. Ich fürchte, die Nergler haben recht. Und neulich gab mir Loja einen Brief mit an diesen Gentleman und versicherte mit einem nicht ganz ehrlichen Lächeln, ihre Bekanntschaft sei alt und ihre Korrespondenz regelmäßig, sehr regelmäßig schon seit zehn Jahren. Hältst du den Doktor jetzt noch für einen Kapitalisten? – Nun ist eine Liebe der andern wert; ich wollte nicht tiefer in meines ›Freundes‹ Gunst stehen als Levi und bat ihn in beweglichen Worten, sich meiner als Geldmannes zu bedienen. Ich stünde ihm ganz und gerne zur Verfügung bis zur Hälfte meines Königreiches.«

Die Comtesse sah den Vetter ungläubig an. »Da du deine Freude daran hast, alte, häßliche Geschichten auszugraben: warum erschoß sich denn der junge Leutnant v. Sieffen drei Stunden später, nachdem sein Vater bei dir gewesen war? – Weil er tausend Mark Ehrenschulden hatte und auch ein Kniefall des Vaters dein hartes Herz nicht dazu bringen konnte, sie ihm vorzuschießen.«

»Habe ich ein Kreditinstitut für verschuldete Leutnants?« fragte Natzfeld kalt. »Erschießt sich so etwas, so erschießt sich's eben. Ich erinnere mich, selten eine Nacht so gut geschlafen zu haben wie nach dieser Affaire. – Teure Cousine, ich gebe, wo ich Achtung oder wo ich Mitleid empfinde. Da 231 ich nun aber für den Freiherrn v. Loja Achtung und Sympathie in gleich hohem Maße empfinde, so würde ich ihm geben, was er verlangt – da ich aber für die Sieffens weder Achtung noch Mitleid noch Sympathie empfinde, so würde mir auch ein halber Gulden zu viel gewesen sein.«

Die Comtesse wollte heftig erwidern, als eine Panik auf dem ersten Platz entstand. Gerötete Gesichter, kreischende Frauenstimmen, lautes Männerlachen. Mitten aus der Vorstellung war ein dressierter Bär heimtückisch seinem Bändiger enteilt und turnte gewandt über die Bande, gerade an der Stelle, wo Frau Sondeck saß. Die würdige Dame, welche noch eben mutig einem Nächsten die Ehre abgeschnitten hatte, bewies in dieser Situation leider nicht denselben Mut. Weder ihrer Füße noch ihrer Sinne mächtig, lehnte sie sich weit auf den Stuhl zurück und starrte toderschrocken das bei diesem Anblick nicht weniger erschrockene Ungetüm an.

Leider zeigte Frau Sondeck in dieser Sekunde auch nicht die schöne Sicherheit der Verleumdung von sonst. Sie saß, unfähig, ein Glied zu rühren, und ein Bild äußerster Seelenangst, die Hände an ihren Sitz festgeklammert, offenbar in der Wahnvorstellung befangen, daß sie ohne diesen festgerammten Feldstuhl nicht entfliehen könne. Nur ihre Stimme versagte nicht – ihre schöne Stimme!

»Fritz . . . Lotte . . . Eugen!« klang es abgerissen, schrill.

Die vortreffliche Frau versammelte wenigstens im Geiste ihre Lieben um sich – selbst den Schwiegersohn. Daß Fritz auf der Fähnrichspresse in Kassel, Lotte in Berlin und der Schwiegersohn sich sogar zeitweilig in Petersburg aufhielt, und daß somit die 232 Gerufenen beim besten Willen nur noch die vom Bären verspeiste Mutter hätten am Orte der That beklagen können – daran dachte merkwürdigerweise die gute Seele nicht. Dafür kam ihr der ungerufene Gatte mit langen und ungeschickten Beinen zu Hilfe. Der Bär ergriff darauf vor dem vereinigten Ehepaar die Flucht und wurde von seinem Bändiger, der mit einem Hinweis aus den eisernen Maulkorb und die gestutzten Krallen die Ruhe wiederherstellte, im Triumph durch die Arena geführt.

Prinz Lack aber, dem die Thränen vor Lachen in die Augen getreten waren, sagte treuherzig:

»Gnädige Frau wünschten wohl, en famille gefressen zu werden – ist diskret!«

Während das Opfer der Panik langsam den Gebrauch der fünf Sinne wieder bekam, erhoben sich die Gellmanns. Loja gab der schönen Frau den Radmantel um. Die Comtesse sah scharf hin. War er der glückliche Liebhaber? Doch in dem einzigen, guten, warmen Blick, den er auf die schöne Verfemte warf, erkannte sie instinktiv, daß es die Zärtlichkeit eines Bruders, Freundes . . . niemals aber die eines Geliebten war. 233

 


 


 << zurück weiter >>