Oskar Meding
Die Saxoborussen
Oskar Meding

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Fünfunddreißigstes Kapitel

Stille, gleichmäßige Tage waren über das Krankenzimmer des verwundeten Langenberg dahingezogen, der nach den Aeußerungen, die sein Arzt geflissentlich überall fallen ließ, als an einem Fieber erkrankt galt und auch von allen Nachforschungen befreit blieb, da niemand in den unruhig bewegten Zeiten seine Abwesenheit bemerkt hatte.

Langenberg litt weniger an quälenden Schmerzen als an einer Erschöpfung seiner Kräfte, die ihn zuweilen in Schwermut und Mutlosigkeit versinken ließ und ihm alle frische Lebenshoffnung nahm, die zuerst bei seiner Rettung durch Herrn von Sarkow wieder in seinem Herzen erwacht war.

Dorchen hatte ihr Wort gehalten und hielt treulich in der Pflege des Verwundeten aus. Solange er noch völlig kraftlos und fiebernd an sein Lager gefesselt war, blieb sie vom Morgen bis zum Abend, wo dann die alte Krankenwärterin erschien, fast unausgesetzt in seinem Zimmer – sie reichte ihm den kühlenden Trank und die beruhigende Arznei, las ihm aus den Büchern vor, die er ihr aus seiner kleinen Bibliothek bezeichnete, und versuchte auch wohl eine Unterhaltung, indem sie ihm dieses oder jenes von den kleinen Tagesereignissen im Hause oder in der Stadt erzählte, – aber bald stockte das Gespräch wieder, denn Dorchen konnte die Scheu nicht überwinden, die das wilde, unstete Wesen Langenbergs ihr allezeit eingeflößt hatte. Sie wagte die Augen nicht aufzuschlagen, wenn sie fühlte, daß sein düster glühender Blick auf ihr ruhte – sie zitterte, wenn sie seine fieberheiße Hand berührte, während sie ihm die Arznei reichte, und erst, wenn Evchen Meier erschien, um ihr bei ihrem Samariteramt zu helfen, gewann sie ihre Unbefangenheit wieder, ohne jedoch an dem munteren Geplauder ihrer Freundin teilzunehmen.

Auch Langenberg sprach wenig und nur selten; wenn Evchen ihre ganze fröhliche Laune aufbot, um ihn zu erheitern, glitt ein mattes Lächeln über seine bleichen Lippen. War er mit Dorchen allein, so schloß er wohl lange Zeit die Augen und schien zu schlummern, wenn auch seine unruhigen Atemzüge und seine hin und wieder leise geflüsterten Worte bewiesen, daß seine Gedanken dennoch arbeiteten. Dann wieder bat er das junge Mädchen, ihm vorzulesen; er bezeichnete ihr die Bücher, die sie von dem Gestell nehmen möchte, – oft Werke philosophischen und politischen Inhalts – selten verstand sie etwas von dem Inhalt der von ihm gewählten Lektüre – aber sie las eifrig und emsig fort, als ob sie glücklich sei, der peinlichen Unterhaltung oder des ebenso peinlichen Schweigens überhoben zu sein. Er aber sah sie unverwandt, wie träumend an, – bald finster, feindlich, drohend, bald wieder kindlich weich – sehnsüchtig fragend, so daß sie unter seinen Blicken, die sie zu fühlen schien, obschon sie diese nicht sah, errötete und ihr Haupt tief auf das Buch niedersenkte.

So vergingen lange Tage, ohne daß zwischen dem Kranken und seiner Pflegerin eine vertraulichere und unbefangenere Beziehung sich herstellte. Nur wenn sie am Morgen sein Zimmer betrat, erhellte ein lichter Freudenschimmer sein bleiches Gesicht, – er drückte ihr wohl mit einem Blick voll inniger Dankbarkeit die Hand, wenn sie ihm die Tasse leichten Tees zum Frühstück reichte; aber wenn er fühlte, wie sie bei seiner Berührung ängstlich zurückbebte, so nahmen seine Züge wieder ihren früheren starren Ausdruck an.

Allmählich schritt seine Genesung vor, seine Kräfte kehrten zurück, und eines Tages bat er sie, ihm die Zeitung vorzulesen. Dorchen hatte nur das kleine in Heidelberg erscheinende Stadtblatt zur Hand, sie las ihm den ziemlich unbedeutenden, auf die magere Erzählung der Ereignisse beschränkten Inhalt mit all der Gleichgültigkeit vor, die ein junges Mädchen der Politik entgegenbringt, und er hörte mit so ruhiger, unbewegter Miene zu, als ob er die Gleichgültigkeit für das Gelesene empfände. – doch aber bat er jeden Morgen von neuem um die Lektüre der Zeitung.

Eines Tages las Dorchen, ohne dem Sinn der Worte zu folgen und wohl innerlich mit andern Gedanken beschäftigt, unter dem Tagesbericht des Inlandes die Mitteilung, daß die eingesetzten Kriegsgerichte mehrere der Anführer der Revolution zu schweren Strafen, einige zum Tode verurteilt hätten.

Langenberg, der ruhig, den Kopf in die Kissen gedrückt, dagelegen hatte, richtete sich heftig empor; aufrecht in seinem Bett sitzend, das Gesicht mit dunkler Röte übergossen, die Augen weit geöffnet, rief er mit lauter Stimme: »Lesen Sie das noch einmal!«

Dorchen erschrak, als sie, bei dem seltsamen Klang seiner Worte aufschauend, sein glühendes Gesicht und seine flammenden Blicke sah – sie mochte einen plötzlich ausbrechenden Fieberanfall fürchten und las zitternd den eben vollendeten Satz noch einmal.

Langenberg brach allmählich wieder zusammen und sank schmerzlich stöhnend in die Kissen zurück.

Dorchen hielt einen Augenblick inne, – als er aber kein Wort, keine Klage aussprach, las sie weiter, – gleichgültige Nachrichten aus Stadt und Land klangen mechanisch von ihren Lippen, ohne daß sie selbst von dem Inhalt des Gelesenen hätte Rechenschaft geben können.

Plötzlich erhob sich Langenberg abermals. Er stützte sich auf den Arm und beugte sich mit so brennenden, durchdringenden Blicken vor, daß das junge Mädchen ängstlich zusammenzuckte und eine Bewegung machte, als ob sie aufspringen und davoneilen wollte.

Langenberg aber streckte die Hand aus, legte sie auf ihren Arm und sagte mit dumpfer Stimme:

»Dorchen, – Sie sind ein gutes, frommes und reines Kind, – was sagen Sie dazu, daß jene dort so schwer büßen müssen, weil das Glück sie nicht begünstigt hat wie mich, – während ich hier in sicherem Versteck mich verberge und mich feige den Folgen meiner Tat entziehe, – obgleich ich doch die gleiche Schuld trage wie jene?«

»Mein Gott, Herr Langenberg!« sagte Dorchen mit einem ängstlichen Seitenblick nach der Tür hin, »danken Sie dem Himmel, daß Sie hier in Sicherheit sind und nicht gefangen wurden wie jene armen Unglücklichen.«

»Unglücklichen!« wiederholte Langenberg – »und ich bin glücklich gewesen,« fügte er bitter hinzu – »kann Glück oder Unglück, das heißt der blinde Zufall, über Schuld und Strafe entscheiden? – Ist es nicht niedrige, erbärmliche Feigheit, daß ich mich dem Schicksal entziehe, das meine Gefährten erreicht hat? – Ist es nicht meine Pflicht, hinzugehen und zu sagen: ›Hier bin ich, ich habe getan, was die andern taten, tut nun mit mir wie mit ihnen!‹ – Nicht wahr, Dorchen – so müßte ich handeln, und wenn ich es nicht tue, so bin ich ein elender Feigling, so müssen meine Gefährten mich verachten – so,« fügte er zögernd hinzu, – »so würden Sie mich verachten müssen?«

Von Dorchens Gesicht war alle Scheu und Befangenheit verschwunden. Sie erhob sich; tiefe, innige Ueberzeugung strahlte aus ihren Augen, und mit heller, klarer Stimme sagte sie:

»Nein, Herr Langenberg, niemand wird Sie verachten, niemand, und ich gewiß nicht, wenn Sie tun, was Ihre Pflicht ist, das heißt, Ihre Freiheit und Ihr Leben, das Gott Ihnen schenkte, erhalten. Sie würden Ihren Gefährten nichts nützen, wenn Sie, Ihr Schicksal zu teilen, sich hindrängen wollten; – gälte es, sie mit eigner Aufopferung zu retten, so wäre es etwas andres, – aber so gewinnen jene nichts, und Sie verlieren alles, alles, was nicht Ihr Eigentum allein ist, denn Ihr Leben gab Ihnen Gott, um zu wirken und zu schaffen und Gutes zu tun auf Erden. Sie sprechen vom Glück und vom Zufall – nein, Herr Langenberg – nicht das Glück und der Zufall haben Sie gerettet, sondern Herr von Sarkow, der vergaß, daß Sie ihm Böses getan, wie der Himmel will, daß es jeder gute Mensch tun soll.«

Langenbergs Gesicht verfinsterte sich. »Sie wollen den Zufall nicht gelten lassen.« sagte er rauh, – »Sie suchen die Vorsehung – und Ihre Vorsehung ist – er!«

»Nein, Herr Langenberg!« rief sie stolz und unmutig, »meine Vorsehung ist der liebe Gott – aber er war des lieben Gottes Werkzeug; Dank und Segen gebührt ihm, daß er die himmlische Stimme in seinem Herzen vernahm und ihr gehorchte, – was so viele Menschen nicht tun, – was Sie nicht tun würden, wenn Sie das Leben, die Freiheit wegwerfen wollten, die Gott Ihnen wieder geschenkt hat, – wieder geschenkt durch ihn, – dem Sie dennoch im Herzen noch grollen.«

»Kein Mensch ist stark genug,« sagte Langenberg, »dem Glücklichen nicht zu grollen, der ein heiß ersehntes Glück davonträgt – ich danke ihm, der mich gerettet, er ist gut und offen und treu, – ich liebe ihn,« sagte er dumpf. – »aber ich möchte knirschen, daß ich's tun muß, daß er besser ist, als ich es vielleicht gewesen wäre. Und mein Leben,« fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, – »was ist es denn wert? Ein Leben ohne Glück, ohne Licht, ohne Freude, – Sie wissen, Dorchen, was meines Lebens Freude, Licht und Glück gewesen wäre, – Sie können es mir nicht geben, – er hat es genommen.«

Flammende Glut überzog ihr Gesicht, aber sie senkte den Blick nicht vor ihm und rief:

»Ein Glück, das ich geben könnte, hat er nie ersehnt – nie verlangt. – Sein Glück,« sagte sie leise, die Hand auf ihr Herz drückend, »liegt in weiter, weiter Ferne – ich weiß es, – ich habe sie gesehen, der sein Herz gehört und der sein Leben gehören wird, und ich habe Gott gebeten, daß sie seiner würdig sein und ihn glücklich machen möge.«

»Dorchen!« rief Langenberg, – »so wäre es möglich, – so wäre dennoch das höchste Glück für mich übrig – es läge in Ihrer Hand, und Sie, Dorchen, – Sie würden es mir nicht versagen, meinem Leben wieder Freude und Licht und Wert zu geben?«

Sie senkte zitternd den Kopf und sagte leise, aber mit klarem, festem Ton:

»Gott hat Ihnen das Leben geschenkt und erhalten, – kann ich Ihr Leben schmücken und erwärmen – kann ich Sie zurückhalten, das Geschenk des Himmels aus falschem Stolz wieder von sich zu weisen, so werde ich Gott dankbar sein, daß er mir vergönnt, ein gutes Werk, ein Werk seines Willens zu vollenden!«

»Dorchen!« rief er außer sich, – »Dorchen, ist das wahr – ist so viel Glück nach so vielen Leiden, so viel Licht nach so trüber Nacht möglich? – Dorchen, Gott segne Sie, auch will ich an die Vorsehung glauben, auf meinen Händen, an meinem Herzen will ich das Kleinod durch das Leben tragen, das mir der Himmel schenkt.«

Er zog sie zu sich heran und drückte seine heißen Lippen inbrünstig auf ihre Hand.

Scheu erbebend trat sie zurück und sagte:

»Noch nicht, – noch nicht – die Zeit hat ihr Recht, die Zeit heilt Wunden und läßt Blumen aufblühen – lassen Sie mir Zeit, mich selbst zu finden, Zeit – zu vergessen,« hauchte sie kaum hörbar.

Er sah sie wehmütig, aber voll inniger Liebe an.

»Die Zeit hat viel an mir gut gemacht – sie soll ihr Recht haben, – weiß ich doch nun, daß in Ihrer Hand mein sicheres Glück ruht, – mein Herz ist gesund geworden – bald wird auch in meinen Gliedern die fröhliche Kraft wieder erwachsen, die Arbeit und den Kampf des Lebens mutig aufzunehmen.«

Evchen Meier trat ein. Sie sah wohl, wie bewegt die beiden waren, ein glückliches Lächeln flog über ihr Gesicht – aber sie fragte nicht, kein Blick verriet, was sie denken mochte, und während sie leicht und lustig plauderte und scherzte, schien sie es nicht zu bemerken, daß Langenberg mit geschlossenen Augen, aber glücklich verklärtem Gesicht dalag und daß über Dorchens Wangen langsam ein Tränentropfen nach dem andern herabrann.

Bald wurde der Kranke kräftiger und kräftiger. Der Arzt stellte eine überraschend schnelle und stetige Besserung fest, – das Fieber verschwand, und in kurzer Zeit begann Langenberg wieder auszugehen und die Kollegien zu besuchen. Er trat nicht aus seinem Corps, hielt sich aber von dem bewegten Studentenleben fern, um sich ganz der Arbeit und der Vorbereitung für seinen künftigen Lebensberuf zu widmen. Da er auch früher schon, wenn auch aus andern Gründen, ein ziemlich zurückgezogenes und abgeschlossenes Leben geführt hatte, so fiel seine jetzige Weise durchaus nicht auf, und außer seinen allernächsten Bekannten, deren er wenige besaß, hatte niemand eine Ahnung davon, daß der solide und fleißige Schwabencorpsbursch in den Reihen der Revolutionskämpfer gestanden habe.

Langenberg selbst wurde innerlich immer frischer und ruhiger durch die strenge, gleichmäßige Arbeit, der er sich hingab, und durch das feste Lebensziel, das er sich gesteckt hatte.

Freilich konnte er sich noch lange nicht von der tiefen Trauer lösen, die wie ein dunkler Schatten über seine Seele dahinzog, so oft er mancher armen Verirrten und Verführten gedachte, die weniger glücklich als er ihre Auflehnung gegen die Rechtsordnung des Staates und der Gesellschaft schwer hatten büßen müssen, – aber er hatte von Dorchen den Glauben an eine leitende und lenkende Vorsehung in sich aufgenommen und gelernt, sich den Beschlüssen dieser Vorsehung zu beugen. Freudig, in hoffnungsvollem Mut sah er dem Leben entgegen – wohl wußte er, daß Dorchen ihm nicht die duftige Frühlingsblüte der Liebe entgegenbringen könne, – aber er war zufrieden mit dem, was sie ihm geben konnte, und fühlte sich stark und warm genug, um sie zu tragen, zu leiten und auch ihr Herz zu reiner und beständiger Glut zu erwärmen.

Mit seiner Genesung hatten Dorchens Besuche bei ihm aufgehört – er kam täglich in das kleine Wohnzimmer und plauderte ruhig, unbefangen und heiter mit Dorchen und ihrer Freundin Evchen, die fast immer da war; denn Dorchen hatte sie gebeten, zur Stunde zu kommen, zu der Langenberg seinen Besuch zu machen pflegte, da sie sich fürchtete, mit ihm allein zu sein, bis sie mit sich selbst völlig klar geworden sein würde.

Ihre Vorsicht war überflüssig; denn selbst wenn Evchen zuweilen nicht anwesend war, sagte Langenberg niemals ein Wort, das an jenes kurze und entscheidende Gespräch an seinem Krankenlager hätte erinnern können. Er war ja seiner Zukunft sicher, – er liebte Dorchen und vertraute ihr, – darum konnte er schweigen und warten. Er sprach viel von ernsten Dingen – er legte die Grundsätze Rousseaus, die sein Leben verbittert und vereinsamt hatten, dem reinen, einfachen Kindersinn des jungen Mädchens, ihrem Verständnis angepaßt, vor, – die künstlich ausgeklügelten Sätze hielten vor Dorchens frommer Einfalt, vor ihrer gefunden Natürlichkeit und ihrer demütigen Ergebung in den Willen einer göttlichen Weltleitung nicht stand – und er freute sich dessen, denn er hatte das Gefühl, von beengenden Fesseln befreit zu werden und aus der Knechtschaft des Systems der Freiheit sich aufzuschwingen zur wahren Freiheit der demütigen Selbstverleugnung und der Liebe, die der kalte, immer auf das eigne Ich zurückblickende Genfer Philosoph nicht kennt. Beide freuten sich dieser Gespräche, die Evchen kopfschüttelnd anhörte und zuweilen lachend unterbrach, – er lernte glauben, und sie lernte denken; und wie stets geistiges Geben und Empfangen das innigste und festeste Band zwischen zwei Menschen bildet, so traten auch Langenberg und Dorchen, ohne daß sich in der ruhigen Form ihres äußeren Verkehrs irgend etwas änderte, einander innerlich immer näher und näher, so daß er oft in dem Blick des jungen Mädchens, wenn sie ihm zuhörte oder das rechte Wort für ihre Erwiderung suchte, eine freundliche Wärme schimmern sah, die ihn beglückte, die er aber nicht zu bemerken schien, um die zart und allmählich sich erschließende Empfindung nicht furchtsam zurückschrecken zu lassen.

Schnell flogen die Tage und die Wochen dahin, – das Semester neigte sich seinem Ende zu.

Herr von Sarkow hatte sich mit allem Eifer dem Corpsleben und seinen Pflichten als zweiter Chargierter hingegeben, – er hatte noch einige Paukereien glücklich abgemacht und dem Paukbuch eine ganz hübsche Anzahl von Nadeln hinzugefügt; er freute sich in voller Jugendlust des frohen Verkehrs mit den Freunden, der niemals im Leben so innig, so sorgenfrei und so selbstlos hingebend wiederkehrt, – aber er sah dem Schluß seines Studentenlebens in Heidelberg, das sich gegen seine frühere Erwartung um ein Semester verkürzt hatte, nicht so wehmütig entgegen, wie er es vielleicht früher getan hätte. Trug er doch eine reiche und schöne, für sein ganzes Leben fruchtbare Erinnerung mit sich fort, und winkte ihm doch in der Heimat das Beste, was dem Menschen auf Erden gegeben werden kann: kräftiges Wirken und Schaffen in eignem Besitz und warmes Liebesglück am eignen Herd. Er vermied das kleine Wohnzimmer des Treubergschen Hauses nicht – er sprach freundlich und herzlich mit Dorchen, er scherzte mit Evchen, – er bat sie wohl auch, ein fröhliches Lied zu singen, aber er ging bald wieder fort, und wußte es stets ohne bemerkbare Absicht so einzurichten, daß er Dorchen niemals allein fand.

Langenburg erwiderte Sarkows Gruß jedesmal mit aufrichtiger Herzlichkeit, er drückte ihm warm die Hand und sprach auch wohl in kurzen, innigen Worten seinen Dank aus, aber er ging über diese freundliche Begrüßung hinaus auf kein Gespräch ein und schien erleichtert aufzuatmen, wenn Herr von Sarkow den kleinen Kreis wieder verließ.

Am späten Abend suchte Herr von Sarkow Luiz Antonio auf, der sich immer zu ernstem Arbeiten zurückzog, und oft bis zum Morgen hin saßen die beiden Freunde beieinander; unter traulichen, ihre ganzen künftigen Lebensaufgaben umfassenden Gesprächen versenkten sie ihre so verschieden gearteten und doch so verständnisinnig einander zugeneigten Seelen in tausend große, weitumfassende Pläne für künftiges Streben und künftige Taten, – nur von den Gefühlen, die ihre jungen Herzen bewegten, sprachen sie nicht; – Luiz Antonio hatte mit seiner Liebe abgeschlossen – sie sollte nichts mehr für ihn sein als ein Erinnerungsdenkmal, vor dem er die edlen Ruhmeskränze, von denen er träumte, niederlegen wollte – und Herr von Sarkow wagte nicht, von seiner Agnes und dem Glück zu sprechen, das ihm aus der Zukunft entgegenschimmerte, um des Freundes Schmerz nicht zu erneuern.

Die Großherzogin Stephanie kehrte nicht nach Mannheim zurück, und die dortige Gesellschaft fand sich nicht so bald in früherer Weise wieder zusammen, so daß die Saxoborussen lange niemand aus dem früher so fröhlich und anmutig bewegten Kreise wiedersahen.

Nur hatte Herr von Sarkow ein kurzes Billet erhalten, in dem Fräulein von Herbingen, die bis zu ihrer zum Spätherbst festgesetzten Vermählung mit dem Kammerherrn von Felseneck aus dem Gute der Baronin Starkenburg lebte, ihm befahl, ihr genaue Mitteilung von der Abreise Luiz Antonios zu machen. Der Augenblick dieser Abreise kam bald.

Luiz Antonio hatte die Prüfung zum Doctor juris glänzend bestanden und war feierlich unter öffentlicher Dissertation promoviert worden.

Alle Corps beteiligten sich an dieser Feier, da sie ja der schönen und erhebenden Tatsache galt, daß ein Heidelberger Corpsbursch deutsche Wissenschaft und Bildung zu einem fernen Weltteil über das Meer trug, um auf der Grundlage deutschen Geistes an dem Staats- und Gesellschaftsbau seiner Heimat zu arbeiten.

Unmittelbar darauf wollte Luiz Antonio seine Heimreise antreten. Es drängte ihn, die Trennung von seinen Freunden schnell zu überwinden und all die schmerzlichen Erinnerungen, die ihn in Heidelberg mit immer neuer Pein erfüllten, in die Tiefe einer völlig abgeschlossenen Vergangenheit zu versenken.

Am späten Nachmittag sollte Luiz Antonio nach Mannheim abreisen, um an diesem Abend mit dem rheinabwärts fahrenden Dampfer nach Köln weiterzugehen.

Das Gepäck war vorausgeschickt – die Saxoborussen versammelten sich alle zum letztenmal um den scheidenden Freund auf dem Riesenstein. Noch einmal nahm Luiz Antonio, die Cerevismütze auf dem Kopf, das weißgrün-schwarzweiße Band über der Brust, seinen gewohnten Platz an dem langen Tisch der Kneipe ein. Die auf dem Vorplatz aufgestellte Musik intonierte das Abschiedslied:

»Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein!
Ade nun, ihr Brüder, – geschieden muß sein« –

und in vollen Klängen schallte das ernst wehmütige Lied, von allen stehend gesungen, durch den Raum, der so oft von fröhlichem Jubel erfüllt gewesen war.

Luiz Antonio preßte die Lippen aufeinander, – seine dunkeln Augen brannten in trockener Glut – sein Gesicht war bleich und starr wie ein Marmorbild.

Herr von Sarkow stand neben ihm – seine Lippen bebten – er hielt die Tränen nicht zurück, die immer heißer über seine Wangen herabrannen – ringsum verschleierten sich alle sonst so fröhlich strahlenden Augen.

Das Lied war bis zur letzten Strophe gesungen. Die Worte waren für den Scheidenden geändert; unter gedämpftem Spiel der Musik klang es leise und innig:

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand,
Sie folgt ihm zur Heimat, zum fernesten Land!«

Alle traten einzeln zu Luiz Antonio heran, ihm den Scheidekuß zu geben – und leises Schluchzen unterbrach hier und dort das allmählich verklingende »Juvivallera« des Schlußritornells.

»Silentium!« rief Graf Kronau, als das Lied beendet war; »unser Freund und Bruder Luiz Antonio de Souza scheidet von uns – und wir alle werden bald auseinandergehen, um auf verschiedenen Wegen unserm Beruf und Schicksal zu folgen. Ob und wo wir uns wieder begegnen, weiß Gott allein; vielleicht werden wir in verschiedenen Lagern uns gegenüberstehen im großen Kampfgetümmel des Lebens – aber wo wir uns auch begegnen mögen, wird das weißgrün-schwarzweiße Band unsre Herzen brüderlich verbinden, und sollten wir uns jemals als Gegner finden, so werden wir wie Glaukus und Diomedes die Lanzen in die Erde stoßen und uns die Hände schütteln, denn über allen Kämpfen der Menschen und der Völker auf Erden steht der leuchtende Stern der Ehre, und wohin unsre Pflicht uns einst treiben möge – unzertrennlich verbunden bleiben wir in unserm heiligen Wahlspruch: Virtus sola bonorum corona! Wir reiben einen Salamander auf unsern scheidenden Freund und Bruder Luiz Antonio.«

Der Salamander war mit feierlicher Präzision gerieben – schweigend stieg man die Treppen des Riesensteins herab. Die Wagen standen bereit, und kurz vor dem Abgange des Zuges trafen die Saxoborussen am Bahnhof ein.

Herr von Sarkow begleitete den Freund bis Mannheim – beide stiegen in das Coupé, und während der Zug langsam davonrollte, brachte der rote Schiffer ein letztes Hoch dem Scheidenden und schleuderte klirrend den Schoppen auf die Steine des Perrons. Die Saxoborussen aber hoben ihre Mützen empor, und wehmütig hallte es dem schneller davoneilenden Zuge nach:

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand,
Sie folgt ihm zur Heimat, zum fernesten Land!«

Luiz Antonio lehnte schweigend in der Ecke des Coupés – jetzt, da er mit dem Freunde allein war, fanden seine brennenden Augen die wohltätigen Tränen; er schluchzte leise und wiederholte nur von Zeit zu Zeit: »Vergiß mich nicht – vergiß mich nicht – und bitte Gott, daß er mir Kraft gebe, in hohem Streben und edelm Schaffen meinen Schmerz zu überwinden und meiner Liebe ein würdiges Denkmal zu errichten.«

Herr von Sarkow drückte nur des Freundes Hand, – jedes Wort war ja überflüssig.

Sie fuhren zum Dampfschiff, das zur Abfahrt bereit lag.

Herr von Sarkow führte Luiz Antonio in die reservierte Kajüte und bat ihn, ein wenig zu ruhen, während er die Verladung des Gepäckes besorgen würde.

Die Koffer waren in den Schiffsraum versenkt, die Dämmerung wurde bereits dunkler und dunkler – die rote Scheibe des Vollmonds stieg herauf und goß ihr zauberisches Goldlicht über die Fluten des Rheins.

Herr von Sarkow hatte mehrmals forschend nach dem Ufer hingeblickt und wollte eben in die Kajüte zurückkehren, – da traten schnell über die Landungsbrücke zwei Damen auf das Verdeck, deren Gesichter durch dichte seidene Schleier verhüllt waren.

Sie eilten, durch das Gewirr von Passagieren und Kofferträgern sich drängend, zu Herrn von Sarkow hin.

»Warum dieser schmerzliche Abschied?« fragte der junge Mann traurig und fast vorwurfsvoll, – »der Arme hat genug gelitten.«

»Ich muß ihn sehen!« rief die eine der beiden Damen heftig, und eilig vorwärts drängend folgte sie mit ihrer Begleiterin Herrn von Sarkow zu der kleinen Kajüte des Dampfers.

Als Herr von Sarkow die Tür öffnete, lag Luiz Antonio auf dem breiten Diwan ausgestreckt – die von der Decke herabhängende Ampel beleuchtete sein bleiches Gesicht, dessen Wangen noch feucht waren von Tränen – seine Augen waren geschlossen, – er schlief.

Die Damen schlugen ihre Schleier zurück.

Frau von Wartenstein trat dicht an den Diwan und blickte, die Hände gefaltet, stumm in das Gesicht des Schlafenden. Da bewegte er die Lippen – wie ein Geisterhauch klang es leise, leise und doch klar verständlich aus seinem Traum hervor:

»Und Liebe, sie folgt ihm, sie geht ihm zur Hand,
Sie folgt ihm zur Heimat, zum fernesten Land!«

Frau von Wartenstein zuckte zusammen – sie beugte sich nieder und küßte, kaum ihn berührend, Luiz Antonios Stirn.

Dann wendete sie sich ab.

»Ich will ihn nicht wecken,« sagte sie zu Herrn von Sarkow, – »ich will dies Wort nicht von seinen Lippen nehmen, – so soll sein Bild eingegraben bleiben in meinem Herzen.«

Noch einmal blickte sie von der Schwelle nach dem Schlafenden zurück, ihre ganze Seele schien sich in ihre Augen zu drängen, – dann ließ sie den Schleier über ihr Gesicht fallen und ging hinaus.

Fräulein von Herbingen zögerte einen Augenblick, dann schlang sie ihren Arm um Herrn von Sarkow – er fühlte einen glühenden Kuß auf seinen Lippen, er hörte die leise geflüsterten Worte:

»Sei glücklich!«

Dann war auch sie verschwunden.

Nach wenigen Augenblicken schlug Luiz Antonio die Augen auf.

»Ah, du bist da!« sagte er; »die Erschöpfung hatte mich übermannt – doch der kurze Schlummer hat mir wohlgetan – ich träumte, – o, ich träumte so schön, – ich sah sie vor mir – ich fühlte ihren Abschiedskuß – das süße Traumbild wird mich begleiten übers Meer!«

»Laß das Traumbild,« sagte Herr von Sarkow, »öffne den Blick dem sonnigen Tageslicht und spanne den Arm zum Kampfe des Lebens!«

»Ich will es,« erwiderte Luiz Antonio fest und klar, »aber im Herzen soll über alle Fernen hin ewig die Erinnerung leben an die Jugend, die Freundschaft und die Liebe!«

Dies waren die letzten Worte, die die Freunde miteinander sprachen.

Der Kapitän trat ein und meldete, daß die Taue gelöst würden. Noch eine stumme Umarmung, ein letzter Kuß – Herr von Sarkow eilte hinaus – Luiz Antonio sank, das Gesicht mit den Händen bedeckend, auf den Diwan nieder.

Der Dampf brauste, rauschend griffen die Räder in die Flut, langsam fuhr das Schiff rheinabwärts davon.

Herr von Sarkow stand am Ufer, solange er die Laterne an der Mastspitze noch sehen konnte, – dann kehrte er gesenkten Hauptes nach dem Bahnhof zurück, um den nächsten Zug nach Heidelberg zu erwarten.

Mehr und mehr lichtete sich der Kreis der Freunde.

George Dudley und Charles Edward Howkins erhielten von ihrem Vater aus Boston den bestimmten Befehl, die zur Vollendung ihrer großen europäischen Tour bereits seit lange festgesetzte Reise durch Italien sogleich anzutreten. Sie waren gezwungen, diesem Befehle Folge zu leisten, da der über die lange Ausdehnung ihres Aufenthalts in Heidelberg unwillige Vater ihnen nur die zur Bezahlung ihrer Rechnungen erforderliche Summe nach Heidelberg gesendet, weitere Betrage aber auf verschiedene Banquiers an italienischen Plätzen angewiesen hatte. So reisten sie denn ab mit schwerem Herzen und entschlossen, die befohlene Reise durch Italien so schnell als möglich zu absolvieren.

Ihre Reiseroute genau zu verfolgen war am besten und sichersten Herr Levi Meier im stande; denn aus jeder italienischen Stadt, die sie berührten, erhielt er einen chargierten und unfrankierten Brief, der die einfachen Worte enthielt: »Herr Levi Meier, es brennt in Ihrem Keller!« Der unglückliche Empfänger dieser alarmierenden Mitteilungen war in keiner geringen Aufregung und verlangte von dem Grafen Kronau und Herrn von Sarkow Abhilfe. Beide wußten ihm lachend keinen andern Rat zu geben, als die Briefe einfach zu refüsieren – dazu konnte er sich aber nicht entschließen; »denn es wäre doch immerhin möglich,« sagte er, »daß ein Brief einmal nicht von den Herren Howkins käme und eine wichtige Nachricht oder Handelsmitteilung enthielte,« und so blieb der arme Herr Levi Meier denn noch lange Zeit in einer für seine Nerven äußerst beunruhigenden Aufregung.

Graf Steinborn ging nach Wien, um in den österreichischen Staatsdienst zu treten, wo ihm durch seine Familienbeziehungen eine glänzende Carriere bevorstand. Er hatte keinen Versuch mehr gemacht, mit der Gräfin Czerwinska wieder anzuknüpfen, und auch seine frühere Heiterkeit wiedergewonnen, aber er verschwor sich hoch und teuer, daß er der Liebe für immer entsagen und sich nie wieder in einem von Weiberhand geflochtenen Netze fangen lassen wolle.

Charles Clarke schied wehmütig, aber doch glücklich von den Freunden, um seine Célie heimzuführen.

Endlich kam denn auch der Tag, an dem Herr von Sarkow und Graf Kronau ihre Abreise gemeinschaftlich festgesetzt hatten.

Herr von Sarkow trat zum letztenmal in das kleine Wohnzimmer des Treubergschen Hauses. Der alte Treuberg bot dem jungen Manne einen frommen Segenswunsch, – Langenberg drückte ihm warm die Hand, – er sprach wenige Worte, aber sein innig dankbarer Blick tat dem Scheidenden wohl, er nahm das Bewußtsein mit sich, ein reiches Menschenleben für eine glückliche Zukunft gerettet zu haben.

Evchen Meier nahm lachend Abschied, und doch schimmerte ein Tränentropfen an ihren Wangen.

Zuletzt trat Herr von Sarkow zu Dorchen. Sie saß an ihrem Fensterplatz und schien mit tief auf die Brust gesenktem Haupt kaum zu bemerken, was um sie her vorging.

Er reichte ihr die Hand. Ihre Hand war kalt wie Eis, in fast krampfhaftem Druck hielt sie die seine einen Augenblick fest – dann wendete sie sich ab und ließ ihre Stirn auf das Fensterkissen sinken, während Herr von Sarkow, über ihr Haupt sich beugend, leise sagte:

»Gott segne Sie!«

Als der Wagen abgefahren war, stand Dorchen auf und trat bleich, aber freundlich und ruhig zu Langenberg.

»Sie haben eine Frage an mich gerichtet,« sagte sie sanft und innig, »wollen Sie noch, daß ich sie beantworte?«

»Dorchen!« rief er, indem sein Gesicht in heller Freude aufleuchtete, »Dorchen, Sie haben eine Antwort für mich gefunden? – Und wie heißt sie?«

»Die Antwort auf Ihre Frage heißt – ja!« hauchte sie leise; – »die erste Frühlingsknospe hat der Frost geknickt, was noch aus meinem Herzen treiben mag, gehört Ihnen!«

Er faßte ihre beiden Hände, zog sie an seine Brust und sah ihr treu und warm in die Augen.

»Die Erde,« sagte er, »treibt immer neue und immer herrlichere Blüten – und das Menschenherz ist reicher und unerschöpflicher als die Erde!«

Evchen tanzte jubelnd im Zimmer umher – der alte Treuberg stand verwundert da, – als ihm alles aber erklärt wurde, da drückte er Langenberg und Dorchen an seine Brust und segnete freudig den Bund der jungen Herzen, die sich in schwerem Kampfe zu einander gefunden hatten.

Der Abschiedstrunk auf dem Riesenstein war genommen, Fritz und Franz von Helmholt und die wenigen noch Zurückbleibenden hatten den Grafen Kronau und Herrn von Sarkow auf den Bahnhof begleitet. Der rote Schiffer war da und brachte wie immer seinen Abschiedstrunk, den er diesmal auf drei Schoppen steigerte. Auch Lieber und Nürnberger waren gekommen.

»Donnerwetter!« rief Lieber, Herrn von Sarkow auf die Schulter klopfend, »es geht mir immer ein Stück von meinem Leben fort, wenn die Herren Saxoborussen abreisen – und nun gar zwei solche Herren!«

Er schlug sich mit pathetischer Gebärde vor die Stirn. »Vergessen Sie nicht,« sagte er dann flüsternd, »den Herrn Papa zu fragen, ob er nicht noch ein Wappenservice für zwölf Personen braucht, – es könnte größere Gesellschaft kommen, und es wäre doch schade, wenn dann nicht alles zusammenpaßte.«

Nürnberger nahm wehmütigen Abschied. Er drückte ehrerbietig die Hand, die Herr von Sarkow ihm reichte, dann trat er ganz nahe heran und sagte leise:

»Und der Prinz Mirza Schaffi – er ist noch nicht gekommen?«

»Warten Sie, Nürnberger,« flüsterte Sarkow ebenso leise zurück, »er muß wohl noch kommen – der Kislar Aga entgeht Ihnen nicht – aber –«

Er legte den Finger auf den Mund, und Nürnberger ahmte mit geheimnisvoller Miene seine Gebärde nach.

»Sie müssen einsteigen, Herr Baron!« rief er dann eifrig. – Er hatte Rauchthaler kommen sehen, drängte Herrn von Sarkow in das Coupé und stellte sich so, daß sein verhaßter Nebenbuhler in den Kreis vor der Wagentür nicht eindringen konnte.

Auch der kleine Moses ward, in eine weiche Decke gehüllt, in das Coupé gehoben – Herr von Sarkow hatte ihn vom Corps erbeten und das feierliche Versprechen abgegeben, ihn bis an die äußerste Grenze seines Lebens zu pflegen und zu hüten, und gewiß ging der kleine Hund, der sich würdevoll auf dem Polster ausstreckte, einer so glücklichen und behaglichen Zukunft entgegen, wie sie ein Corpshund der Saxoborussia mit Recht erwarten durfte.

Das Abschiedslied erklang, der letzte Schoppen des roten Schiffers zerklirrte auf dem Perron – der Zug fuhr aus dem Bahnhof.

»Der Traum ist aus, – das Morgenrot der Jugend ist vorüber,« sagte Herr von Sarkow ernst, »was wird des Lebens heißer Tag uns bringen?«

»Was er mag,« erwiderte Graf Kronau blitzenden Auges, »steht doch am hellen Tageshimmel wie im duftigen Morgenrot über unsern Häuptern die flammende Mahnung: › Virtus sola bonorum corona!‹ – wird es doch immer in unsern Herzen wiederklingen:

›Es zeigt das Schwarz, daß wir dem Tod nicht weichen,
Aus Hoffnungsgrün der stolze Mut erblüht.
Der hellen Ehre Glanz umspannt das Zeichen,
Das zweimal Weiß der Brüder Brust umzieht.‹«

Hand in Hand sangen beide mit flammenden Wangen und leuchtenden Blicken über das Schnauben und Rasseln des Bahnzuges hin:

»Ja, Saxoborussia, du unser Panier,
Treu dir zu bleiben, das schwören wir!«


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