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Die kleine Dorchen Treuberg war auch in den nächsten Tagen noch immer nicht zu einer aufrichtigen Versöhnung geneigt, und wenn Herr von Sarkow am Morgen seinen Besuch in dem Wohnzimmer machte, so fand er fast immer Evchen Meier dort, so daß er zu einer Erklärung und Verständigung mit seiner hübschen Haustochter nicht kommen konnte. Dorchen beachtete seine bittenden Blicke kaum und schien alle Andeutungen nicht verstehen zu wollen; sie führte die Unterhaltung in spöttisch gereiztem Ton, und wenn Evchen Meier boshaft fragte, was die beiden denn eigentlich so feierlich und langweilig miteinander sprächen, wenn sie nach Fräulein Schönfeld fragte und deren Schönheit und Anmut als Käthchen von Heilbronn rühmte, oder wenn sie gar neckend Herrn von Sarkow eine Garnrolle brachte und ihn fragte, ob er diese seiner Freundin nicht zum Abwickeln halten wolle, so schmollte Dorchen noch mehr und gab noch kürzere und noch unfreundlichere Antworten.
Auch Fräulein Klara ließ Herrn von Sarkow ihren Unmut darüber fühlen, daß er über seiner eifrigen Unterhaltung mit Fräulein von Herbingen versäumt hatte, ihr zu einem vollständigen Sieg über ihre Nebenbuhlerin zu verhelfen; sie konnte sich zwar nicht über ihr Debüt beklagen, aber sie war doch nicht die alleinige Königin des Abends gewesen, und so empfing sie den Herrn von Sarkow, als er sie besuchte, mit allerlei spitzen und unfreundlichen Redensarten – zwar entzog sie ihm ihre Hand nicht, aber sie schien den Kuß, den er auf diese drückte, gar nicht zu empfinden; sie sprach kühl und fremd mit ihm, sie forderte ihre Mutter, als diese sich zurückziehen wollte, so bestimmt auf, in dem Zimmer zu bleiben, daß Herr von Sartow sich bald wieder empfahl, ohne daß sie zu längerem Bleiben aufforderte, sei es nun, daß sie ihre Stellung dem Publikum gegenüber für genügend begründet hielt oder daß sie den jungen Mann durch ihre Kalte um so sicherer in ihre Fesseln zurückführen wollte. Herr von Sarkow ertrug die Ungnade der Schauspielerin leichter als das traurig-vorwurfsvolle Schmollen seiner kleinen Freundin Doris; aber auch dies bekümmerte ihn weniger, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre; denn Graf Kronau hatte ihm mitgeteilt, daß die Verhandlungen mit dem Zeugen Langenbergs abgeschlossen seien. Langenberg hatte den von ihm geforderten Widerruf bestimmt verweigert, die auf zweimaligen Kugelwechsel mit gezogenen Pistolen und fünfzehn Schritte Distanz gestellte Forderung war angenommen und die Mensur auf den dritten Tag festgesetzt. So mutig auch der junge Mann in seinem leichten, frischen Jugendsinn der Gefahr entgegensah, und so stolz er darauf war, für die Armee seines Vaterlandes mit der Waffe in der Hand einzutreten, so verkannte er doch den Ernst dieses Zweikampfs nicht, bei dem es sich nicht nur wie bei den Corpspaukereien um eine mehr oder weniger empfindliche Verwundung, sondern in der Tat um Leben und Tod handelte; er faßte fest und ruhig, aber doch wehmütig bewegt den Fall ins Auge, daß die Kugel des Gegners ihn tödlich treffen möchte, und bereitete sich in ernster Einkehr in sich selbst für einen solchen Ausgang vor.
Er schrieb an seinen Vater, setzte diesem die Gründe auseinander, die ihn zu der scharfen Forderung bewogen, und sprach die Ueberzeugung aus, daß dieser seine Handlungsweise billigen und als seines Namens und seiner Ehre würdig erkennen werde; er trug ihm Grüße an die Seinigen auf und bat ihn, seiner Jugendfreundin ein letztes Lebewohl zu sagen und dieser das Medaillon mit den getrockneten Vergißmeinnichtblüten, das er an seiner Uhrkette trug, zurückzugeben. Er schrieb einen zweiten Brief an den Grafen Kronau, in dem er das Corps bat, wenn er tödlich getroffen werden sollte, das weißgrün-schwarzweiße Band auf seinen Sarg zu legen, da er der edlen Farben würdig gefallen sei, treu dem Wahlspruch: »Virtus sola bonorum corona!«
Mit ruhiger, fester Hand und klarem, mutigem Sinne hatte er die beiden Briefe geschrieben und unter den Aufschriften bemerkt, daß sie nach seinem Tode erbrochen werden sollten; aber als er diese in das Schubfach seines Sekretärs niederlegte, fiel dennoch eine Träne aus seinem Auge auf die Schriftzüge der Adressen nieder, er empfand die ganze Schwere des Gedankens, aus dem sonnenlichten Leben, das ihm eben seine schönsten Blüten erschlossen hatte, so bald vielleicht in ein frühes Grab hinabsinken zu sollen.
Wie es bei so ernsten Veranlassungen Brauch ist, erfuhr auch in dem Corps selbst, außer den unmittelbar Beteiligten, niemand etwas von der Sache. Herr von Sarkow hatte seinen Freund Luiz Antonio de Souza zu seinem Zeugen erwählt, und beide blieben am Abend vor der verhängnisvollen Entscheidung von der Kneipe auf dem Riefenstein zurück in ernsten, wehmütigen Gesprächen, um bald die Ruhe zu suchen, deren Herr von Sarkow bedurfte, um in der Frühe des nächsten Morgens in voller Kraft und Frische auf den Kampfplatz zu treten.
Der Morgen dämmerte hinter den Bergspitzen herauf, als Herr von Sarkow und Luiz Antonio leise das Haus verließen und durch die einsamen Straßen hin dem Neckartor zuschritten. Jenseits der Brücke fanden sie zwei Wagen und den Grafen Kronau, der sie mit dem Senior der Vandalen, der als Unparteiischer fungieren sollte, und dem Paukdoktor, Gallus Meier, erwartete. Graf Kronau bot Herrn von Sarkow aus seiner Feldflasche einen Becher Madeira, und dann fuhr man ernst und schweigend dem in einiger Entfernung sichtbaren Wagen Langenbergs nach. Der Weg führte in die Berge hinein nach der sogenannten Engelswiese, einem freien Grasplatz inmitten des Laubwaldes, der den Abhang der Höhenzüge an den Ufern des Neckars bedeckt. Fast unmittelbar hinter dem ersten Wagen erreichte man den nach altem Herkommen für die Pistolenduelle bestimmten Platz, gerade in dem Augenblick, als die ersten Strahlen der hinter den Bergen aufsteigenden Sonne das eben hervorsprießende Frühlingsgrün beleuchteten.
Um der durch den Comment vorgeschriebenen Form zu genügen, machten die Zeugen auf dem Kampfplatz noch einen Sühneversuch, der von den beiden Gegnern kurz abgelehnt wurde. Der Senior der Schwaben, Studiosus Schwerwagen, ein starker, breitschulteriger junger Mensch, war Langenbergs Sekundant, ein Schwabencorpsbursch fungierte als sein Zeuge. Die Distanz wurde ausgemessen, das Licht gleich geteilt, die Pistolen geladen, und die beiden Gegner traten, nachdem sie die Waffen gewählt, auf die Mensur.
Während der Unparteiische seinen Platz einnahm und der Doktor Gallus Meier seine geöffnete Verbandtasche vor sich auf den Boden legte, sprach Herr von Sarkow leise vor sich hin ein Vaterunser, wie er es in seiner Kindheit am Morgen und Abend gewöhnt war – in wunderbarer Deutlichkeit stiegen die Gestalten seines Vaters und seiner Mutter vor ihm auf, das frische Leben grüßte ihn vielleicht zum letzten Mal aus der erwachenden Frühlingsnatur, und so schnell seine Lippen auch die Worte des alles menschliche Wünschen, Sehnen und Hoffen umfassenden Gebets flüsterten, so hatte sich doch kaum jemals vorher seine Seele so klar, rein und gläubig zu Gott erhoben; er empfand den ganzen furchtbaren Ernst des ihm so unmittelbar entgegentretenden Todes, aber auch die schwere Verantwortlichkeit für das junge Menschenleben, das dort gegenüber in seine Hand gegeben war, zitterte durch sein Herz, als seine Lippen die Worte hauchten: »Wie wir vergeben unsern Schuldigern –«
»Fertig!« sagten die Sekundanten, indem sie den beiden Gegnern die Pistolen reichten und seitwärts zurücktraten.
Langsam begann der Unparteiische zu zählen, Herr von Sarkow erhob die Spitze seiner Waffe über Langenbergs Haupt hin, und ehe noch drei gezählt war, krachte sein Schuß – die Kugel pfiff über Langenberg hin durch die Gipfel der Bäume. Jetzt hob Langenberg seine Waffe. Herr von Sarkow stellte sich seitwärts, und unmittelbar, bevor der Unparteiische drei gezählt hatte, fiel der Schuß.
Herr von Sarkow fühlte einen heftigen Schlag an seinen rechten Arm, dieser sank kraftlos herunter, ein Blutstrom stürzte aus dem Aermel hervor.
Luiz Antonio eilte zu seinem Freunde und riß ihm den Rock ab, der Paukdoktor trat heran, um die Wunde zu untersuchen, aber Herr von Sarkow wies ihn zurück und sagte kaltblütig:
»Die Forderung lautet auf zweimaligen Kugelwechsel – fahren wir fort.«
»Es ist unmöglich!« rief der Doktor Gallus Meier, »Sie können ja die Waffe nicht halten.«
»Habe ich nicht den linken Arm?« sagte Herr von Sarkow; »ich bitte um die Pistole.«
»Das leide ich nicht!« rief der Doktor, »jeder Schuß, der jetzt noch gegen Sie fällt, ist ein Mord; die Partie ist ungleich, mit der linken Hand zu schießen bei starkem Blutverlust – das ist unmöglich.«
Die Sekundanten und der Unparteiische standen schweigend. Nach den Regeln des Comments mußte wohl die Mensur fortgesetzt werden, da Herr von Sartow sich selbst für kampffähig erklärte.
Langenberg blickte finster zur Erde. Der Schwabensenior Schwerwagen trat zu ihm heran und sprach eifrig und leise mit ihm, er schien dringend auf ihn einzureden, mehrmals machte Langenberg abwehrende Bewegungen – endlich neigte er wie in widerwillig gegebener Zustimmung den Kopf, und sogleich eilte der Schwabensenior zum Grafen Kronau herüber.
»Mein Paukant bietet Satisfaktion an und läßt durch mich sein Bedauern über die beleidigenden Worte ausdrücken, die er gegen Herrn von Sarkow gebraucht hat.«
Herr von Sarkow, der bleicher und bleicher geworden war und bereits unerträgliche Schmerzen in seinem schlaff herabhängenden verwundeten Arm empfand, schüttelte den Kopf und verweigerte kurz die Annahme der Satisfaktion. Aber Graf Kronau sagte:
»Das darfst du nicht, es ist gegen alle Sitte und gegenseitige Rücksicht, die Satisfaktion abzulehnen, die von einem im S. C. stehenden Corps angeboten wird.«
»Nun denn, wie ihr wollt,« sagte Herr von Sarkow – »aber er soll nicht glauben, daß ich mich vor seiner Kugel fürchte, wenn ich auch nur mit der linken Hand die Waffe führen kann.«
»Das wird er bei Gott nicht,« sagte der Schwabensenior; »es war eine ausgezeichnete Paukerei, Sie haben sich geschlagen, wie man es nur irgend verlangen kann, und ich würde es verweigern müssen, bei einer Fortsetzung Sekundant zu sein.«
»Nun denn, ich nehme die Satisfaktion an,« erklärte Herr von Sarkow.
Die Sekundanten führten die Gegner zu einander und beide reichten sich die Hand; Langenberg schlug den Blick nicht vom Boden auf und seine Finger machten keine Bewegung, die Hand seines Gegners zu umspannen. Schweigend wendete er sich um, die Sekundanten grüßten artig, und die drei Schwaben stiegen den Abhang herab, um in ihrem Wagen schnell nach Heidelberg zu fahren.
Herr von Sarkow vermochte sich, von dem Blutverlust erschöpft und von dem Schmerz gepeinigt, nicht mehr aufrecht zu erhalten, er streckte sich, von Luiz Antonio unterstützt auf dem Rasen nieder. Der Doktor Gallus Meier sondierte die Wunde unter atemloser Spannung aller Anwesenden, während Herr von Sarkow die Zähne zusammenbiß und alle seine Willenskraft aufbot, um der ihn überwältigenden Ohnmacht zu widerstehen.
»Es ist nichts,« sagte endlich der Doktor, indem er die Sonde wieder hervorzog, »die Kugel ist nur durch das Fleisch gegangen, ohne Arterien zu zerreißen und den Knochen zu verletzen, bloß an einer Stelle ist die Knochenhaut leicht gestreift. Es ist gar keine Gefahr vorhanden, die Heilung wird schnell vor sich gehen, wenn keine ungünstigen Zufälle eintreten; einige Tage Fieber und dann strenge Diät und Ruhe, und damit wird alles getan sein; die Bewegung des Armes wird keinen Schaden leiden.«
Herrn von Sarkows bleiches Gesicht strahlte vor Freude bei diesen tröstlichen Worten des Doktors, Luiz Antonio schloß ihn in seine Arme und küßte ihn auf beide Wangen; Graf Kronau und der Vandalensenior drückten dem Verwundeten herzlich die linke Hand. Der Doktor legte einen vorläufigen Verband an, der die Blutung stillte, dann führte man den jungen Mann, der sich immer schwächer fühlte und den ein leichter Frost zu schütteln begann, zu dem Wagen herab.
Vor seiner Wohnung angekommen, bot er seine letzten Kräfte auf, um ohne Unterstützung aus dem Wagen zu steigen und die wenigen Schritte bis in das Haus zu gehen, damit das Geheimnis des Vorgefallenen sicher bewahrt bleibe. Als die Haustür hinter ihm geschlossen war, brach er aber zusammen und mußte von dem Grafen Kronau und Luiz Antonio die Treppe hinauf nach seiner Wohnung getragen werden. Dorchen stand auf der Schwelle der Tür des Wohnzimmers, neugierig nach der Ursache des ungewöhnlichen Geräusches ausblickend; als sie Herrn von Sarkow bleich, mit geschlossenen Augen in den Armen seiner beiden Freunde sah, stieß sie einen durchdringenden Schrei aus, stürzte zu dem Verwundeten hin und ergriff, sich über ihn beugend, die auf seiner Brust ruhende Hand des verwundeten Arms.
»Herr von Sarkow, um Gotteswillen, was ist geschehen?« rief sie jammernd – »ist er tot – o mein Gott, ist er tot?« fragte sie, mit angstvollen Blicken den Grafen Kronau und Luiz Antonio anstarrend.
Herr von Sarkow zuckte bei der Berührung seines verwundeten Arms schmerzhaft zusammen, langsam öffnete er die Augen, und ein freundliches Lächeln glitt über seine Züge, als er Dorchens über ihn gebeugtes Gesicht sah.
»Es ist nichts, Fräulein Dorchen,« sagte er leise – »gar nichts, ich bin über einen Steinhaufen gefallen und habe mir etwas den Arm verstaucht.«
»Es ist nichts,« wiederholte Graf Kronau, »nichts, hören Sie wohl – sprechen Sie kein Wort davon, wir verlassen uns auf Ihr Schweigen, und sorgen Sie für warmes Wasser und alte Leinwand.«
Der Doktor Gallus Meier war bereits nach Herrn von Sarkows Wohnung hinaufgestiegen, der Verwundete wurde auf sein Bett gelegt und entkleidet, der Arzt wusch die Wunde sorgfältig aus und legte einen regelrechten Verband an. Hierauf verfiel Herr von Sarkow, dessen Kräfte nun vollständig erschöpft waren und dessen Gedanken das Wundfieber zu verwirren begann, in einen tiefen Schlaf, Luiz Antonio setzte sich in einen Lehnstuhl neben sein Bett, um bei dem Freunde zu wachen und von Zeit zu Zeit einen kühlenden Umschlag auf seine Stirn zu legen. Graf Kronau ging zu Walz, um für frisches Eis zu sorgen, und der Paukdoktor versprach, nachdem er noch einmal einen günstigen Verlauf und vollständige Genesung in sichere Aussicht gestellt hatte, bald wieder nach seinem Patienten zu sehen.
Dorchen war auf ihren Stuhl am Fenster niedergesunken, ihre Hände ruhten in dem Schoß, ihr Kopf war auf die Brust niedergesenkt, langsam rollte eine Träne nach der andern über ihre Wange herab, und leise jammerte sie vor sich hin:
»Der Arme – wie bleich er war – vielleicht zum Tode getroffen, und ich war böse auf ihn – o mein Gott, rette sein Leben, und wenn ich ihn auch niemals wiedersehen sollte!«
Während sie so in ihren Schmerz versunken dasaß, ertönte die Klingel der Haustür, Langenberg kam über die Flur; er war fast so bleich, als Herr von Sarkow gewesen war, düsteres Feuer glühte in seinen Augen. Als er das junge Mädchen, an der offenen Tür des Wohnzimmers vorbeischreitend, bemerkte, blieb er stehen, dann trat er langsam zu ihr heran und sagte bewegt mit zitternder Stimme:
»Guten Morgen, Fräulein Dorchen!«
Sie fuhr in jähem Schreck empor, mit entsetzten Blicken starrte sie ihn an, abwehrend streckte sie die Hände aus und rief zusammenschauernd:
»Gehen Sie fort, Herr Langenberg, gehen Sie fort – Sie sind es gewesen; o, ich weiß es gewiß. Sie haben ihn verwundet, Sie haben ihn getötet – mein Herz steht still, wenn ich Sie ansehe, sein Blut klebt an Ihrer Hand –« und zitternd wich sie in den äußersten Winkel der Fensternische zurück.
Langenberg wurde noch bleicher als vorher.
»Ich hätte ihn töten können, Fräulein Dorchen,« sagte er – »wenn er lebt, so dankt er es meiner Großmut, die mich abhielt, den zweiten Schuß zu tun.«
»Das ist nicht wahr!« rief sie mit flammenden Wangen und funkelnden Augen – »das ist nicht wahr! Hätten Sie ihn töten können, so hätten Sie es getan – Ihnen dankt er sein Leben nicht –, Ihnen soll er es nicht danken!«
Langenberg bebte, zischend drang sein Atem durch die aufeinander gepreßten Lippen.
»Gut, Fräulein Dorchen,« sagte er mit rauher Stimme – »auch jetzt noch, da ich ihn zu Boden gestreckt habe, stiehlt er mir Ihr Herz, und Sie wissen doch, wie ich Sie liebe; hätte ich diesen Augenblick vorher erlebt, bei Gott, er wäre tot!«
Sein Gesicht verzerrte sich in grimmigem Haß, so daß Dorchen schaudernd ihre Augen schloß.
»Leben Sie wohl,« sagte Langenberg – »dies ist das letzte Wort, das ich zu Ihnen spreche, girren Sie dem Fremden nach, der mit Ihnen spielt und tändelt, während ich Ihnen mein Leben weihen wollte – es ist aus zwischen uns – aus für immer!«
Er schüttelte knirschend die geballte Hand und stieg dann die Treppe hinauf nach seinem kleinen Zimmer im zweiten Stuck.
»O der Entsetzliche!« rief Dorchen, in lautes Schluchzen ausbrechend, »was kann ich dafür, daß er mich liebt – und ich bin schuld, daß er den Armen mit seinem Haß verfolgt, daß er ihn vielleicht endlich dennoch töten wird!«
Leise weinend sank sie in sich zusammen.
So fand sie ihre Freundin. Evchen Meier, die erschrocken und ängstlich nach dem Grunde ihres Kummers forschte. Dorchen erzählte ihr hastig und unruhig in abgebrochenen Worten, was geschehen.
»Komm,« sagte sie – komm, wir wollen hinauf zu ihm, um meinetwillen ist er verwundet worden, meine Pflicht ist es, ihn zu Pflegen, ich finde nirgends Ruhe als bei ihm.«
Evchen vermochte nicht, die Freundin in ihrer fieberhaften Aufregung Zurückzuhalten, und die beiden Mädchen traten zagend, einander bei den Händen haltend, in das verdunkelte Zimmer, in dem Luiz Antonio neben Herrn von Sarkows Bett saß, die Blicke sorgend auf das bleiche Antlitz des schlummernden Freundes geheftet. Er erhob sich, mit der Hand abwehrend, und flüsterte leise:
»Ruhe, Ruhe, er schläft.«
»Wir sind ruhig, wir wollen ruhig sein, Herr von Souza,« sagte Dorchen zitternd – »aber lassen Sie mich hier, o, bitte, lassen Sie mich hier, er wird es fühlen, er muß es fühlen, daß ich da bin, daß meine ganze Seele in dem Gebet aufgeht, Gott wolle ihn erhalten und sein junges Leben schützen.«
Luiz Antonio wollte sie noch zurückhalten, aber sie drängte ihn seitwärts und trat zu dem Bett heran. Lange betrachtete sie schweigend mit gefalteten Händen den Verwundeten; der Anblick seines bleichen, aber doch so freundlichen und fast heiter lächelnden Gesichts schien sie zu beruhigen, ihre Tränen hörten auf zu fließen, freudige Zuversicht strahlte aus ihren Augen, und leise sagte sie:
»O, er wird leben – nicht wahr. Herr von Souza, er wird leben? Es ist ja unmöglich, daß er sterben könnte so jung, so gut – o, könnte ich doch mein Leben für ihn geben!«
»Der Doktor versichert, daß keine Gefahr sei,« sagte Luiz Antonio lächelnd, indem er herzlich ihre Hand drückte, »aber bitte, lassen Sie ihn, er bedarf der Ruhe, nur der Ruhe.«
Dorchens Gesicht verklärte sich bei Luiz Antonios beruhigenden Worten, aber dennoch wich sie nicht von dem Lager, sie beugte sich über Herrn von Sarkow, küßte dessen blasse Lippen und trat dann, hoch errötend und verwirrt zu Luiz Antonio aufblickend, einen Schritt zurück, als ob sie selbst über den Ausbruch ihres Gefühls erschrocken sei.
Herr von Sarkow schlug die Augen auf, sein fieberglänzender Blick ruhte auf dem lieblichen Gesicht des jungen Mädchens.
»Fräulein Dorchen,« hauchte er leise – »Fräulein Dorchen, Sie sind da, Sie sind nicht mehr böse – das ist lieb von Ihnen; geben Sie mir Ihre Hand, das tut mir wohl.«
In matter Bewegung erhob er ein wenig seine linke Hand, während ein glückliches Lächeln seinen Mund umspielte, dann schloß er langsam die Augen, um wieder zu entschlummern.
Dorchen hatte seine Hand ergriffen, ein leises Zucken in dem Gesicht des Schlafenden schien anzudeuten, daß er diese Berührung wohltätig empfinde.
»Sie sehen, Herr von Souza!« rief das junge Mädchen ganz glücklich – »Sie sehen es, er freut sich, daß ich da bin, er fühlt es, daß meine Gegenwart ihm wohltut –, Sie müssen mich hier lassen, ich gehe nicht fort, – Evchen bleibt auch hier, es ist ja so natürlich, daß wir unsern Hausgenossen, unsern Freund Pflegen, nicht wahr?« Luiz Antonio hatte einen neuen Eisumschlag bereitet, Dorchen nahm ihn eifrig aus seinen Händen und legte ihn auf die Stirn des Verwundeten, dann schob sie leise und vorsichtig noch zwei Lehnstühle an das Bett heran; Luiz Antonio wagte es nicht, zu widersprechen, und als der Doktor wiederkam, fand er den Verwundeten, dessen Zustand er für höchst befriedigend erklärte, unter der Obhut seines Freundes und der beiden anmutigen jungen Mädchen, so daß er, seinen Bart streichend, bemerkte, daß er gern bereit sei, sich auch einmal durch den Arm schießen zu lassen, wenn er einer so liebenswürdigen Pflege gewiß sein dürfte.