Oskar Meding
Die Saxoborussen
Oskar Meding

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Das Schloß Trottlingen lag zwischen zwei vorspringenden Waldbergen, es war ursprünglich eine feste Burg gewesen, und an dem davon übrig gebliebenen alten Mittelbau waren in einem späteren Jahrhundert zwei lang auslaufende, mit dem ursprünglichen Baustil wenig harmonierende Flügel angebaut, die einen großen weiten Ehrenhof bildeten, aus dem ein mächtiges Gittertor von altem Schmiedeeisen nach der an dem Bergabhange vorbei zu der großen Landstraße hinführenden Auffahrt sich öffnete. Ein weiter Park voll uralter, prachtvoller Bäume schloß sich an den einen der Seitenflügel an und zog sich, von einer Mauer eingefaßt, weit neben der Straße hin, nach der an verschiedenen Stellen der Parkmauer wieder kleinere Gittertüren hinausführten.

Unmittelbar vor dem Schloß war der Park in altfranzösischem Stil gehalten, schnurgerade, glattgeschorene Alleen durchkreuzten sich und bildeten zuweilen künstliche Irrgänge, in denen es für einen Unkundigen schwer war, sich zurechtzufinden; weiterhin hatte man nach englischem Geschmack die alten Eichen- und Buchenbestände in ihrer ursprünglichen Gestalt gelassen, so daß man sich in einem natürlichen Walde glauben konnte, und nur die breiten, sorgfältig gepflegten Wege, die hier und dort angebrachten Gruppen und die in steinerne Becken geleiteten Quellen ließen die zur Verschönerung der Natur angewendete Kunst erkennen.

Auf sanft absteigendem Abhange an der Grenze des Parkes lag das ziemlich kleine und ärmliche Dorf, dessen Bewohner meist neben ihren Häusern nur ein kleines Stück Gartenland besaßen und ihren Haupterwerb in der Arbeit für die Gutsherrschaft fanden.

Herr von Sarkow und Luiz Antonio schickten, als sie am frühen Morgen hier ankamen, ihren Wagen vor dem Dorfe zurück, um gar kein Aufsehen zu erregen und alle Nachforschungen abzuschneiden. Ihr kleines Reisegepäck in der Hand, gingen sie zu Fuß in das Dorf, in dem erst hie und da einer oder der andre der Bauern halb verschlafen vor die Haustüre trat; sie entdeckten bald an einem der Häuser ein hölzernes Schild, auf dem in goldenen Linien jenes geheimnisvolle, der alten Kabbala entlehnte Pentagramm sich zeigte, das in Süddeutschland allgemein als das sogenannte Cereviszeichen gilt und die ländlichen Bier- und Wirtshäuser anzeigt. Sie klopften an die Tür des unscheinbaren Hauses und erklärten dem noch ganz schlaftrunken öffnenden Wirt, daß sie Heidelberger Studenten seien, die vor der Unruhe und Gefahr des Krieges geflohen wären und hier für einige Zeit ein ruhiges Unterkommen suchten. Der Wirt sah sie ein wenig mißtrauisch an, man hatte auch hier in dieser abgelegenen Gegend gehört, daß Emissäre der aufständischen Regierung das Land durchzögen, um die Mannschaft zum Eintritt in die Freicorps durch Versprechungen und Drohungen zu gewinnen. Das ganze Dorf Trottlingen, vom Verkehr mit andern Ortschaften in seiner einsamen Lage ziemlich abgeschlossen, war aber seit Jahrhunderten von Generation zu Generation so eng mit der Schloßherrschaft verbunden, und die neue Zeit hatte in diesem alten, auf gegenseitiges Interesse und gegenseitiges Vertrauen gegründeten Verhältnis so wenig zu ändern vermocht, daß die ganze Einwohnerschaft voll tiefen Abscheus gegen die revolutionäre Bewegung erfüllt war. Das vornehme Aussehen der beiden Fremden und die Goldstücke, die Herr von Sarkow sogleich als Vorausbezahlung für Wohnung und Kost in seinem Hause anbot, überzeugten diesen aber, mehr noch als die Versicherungen, daß er es nicht mit revolutionären Agenten und Werbern zu tun habe, und so führte er denn nach einer kurzen Beratung mit seiner neugierig herzutretenden Frau die beiden Studenten in ein kleines, unendlich einfaches, aber freundliches und reinliches Giebelzimmer seines Hauses und versprach ihnen, sie dort zu behalten, solange sie sich ruhig und ordentlich führen würden.

Herr von Sarkow war unendlich belustigt über die eigentümliche Situation und die halb mißtrauische, halb wohlwollend herablassende Protektormiene des behäbigen Wirts; er sorgte zuerst für ein Frühstück, so gut es das Haus bieten konnte, obwohl ihn Luiz Antonio in fieberhafter Ungeduld drängte, das Terrain zu sondieren. Erst nachdem er seine durch die Nachtfahrt und den entbehrten Schlaf angegriffenen Kräfte wieder so gut als möglich hergestellt hatte, begann er mit der Hauswirtin ein Gespräch über das Schloß und seine Bewohner. Er erfuhr denn auch, daß nur die Frau von Wartenstein mit einiger Bedienung dort anwesend sei, und auf seine Frage, ob man den Park besuchen dürfe, antwortete die Frau, daß das niemand verboten werde, die Türen ständen offen und die Einwohner des Dorfes ergingen sich, so viel und so oft sie wollten, in dem Schatten des Parkes; die gnädige Frau selbst grüße jeden sehr freundlich, dem sie dort begegne. Auf seine weitere gleichgültige und beiläufig hingeworfene Frage erfuhr er denn auch, daß Frau von Wartenstein meist in den Vormittagsstunden einen Spaziergang im Park mache und dann längere Zeit in einem Gartenhause sich aufzuhalten pflegte, das ganz in der Nähe des Dorfes neben der Ausgangspforte der Parkmauer liege.

»Es ist mir lieb, daß Sie mir das sagen,« versetzte Herr von Sarkow, »ich möchte wohl mit meinem Freunde den schönen Park besuchen, aber es wäre uns peinlich, der Herrschaft lästig zu sein; wir werden uns also von jenem Gartenhause fernhalten, der Park ist ja groß genug, um der Dame auszuweichen und sie nicht zu stören.«

Gegen die Mittagsstunde begaben sich dann die beiden Freunde, deren Ankunft die Neugier und das lebhafte Interesse des ganzen Dorfes erregt hatte, nach dem Schloßpark, indem sie die von der Wirtin bezeichnete Ausgangspforte vermieden, um durch eine der andern nach der Straße führenden Gittertüren einzutreten. Herr von Sarkow ging, solange man sie vom Dorfe aus beobachten konnte, langsam, den ungeduldig vorwärts drängenden Luiz Antonio gewaltsam zurückhaltend. Als sie in die tiefen Schatten der uralten Bäume eingetreten waren, orientierte sich Herr von Sarkow schnell und führte seinen zitternden Freund durch einige Seitenwege fort, bis sie an eine breite, von uralten Lindenbäumen überwölbte Allee kamen, die den Park fast in seiner ganzen Länge durchschnitt. Das eine Ende dieser Allee, zu der das Sonnenlicht durch die dichten Blätterkronen nur in goldgrüner Dämmerung hereinschimmerte, öffnete sich nach dem Wasserspiegel eines von Marmorstatuen umgebenen Teiches, hinter dem eine glattgeschorene Baumhecke nach den Blumenterrassen vor dem Schlosse hinführte. Auf der andern Seite wurde der schattige Laubgang durch ein an die Parkmauer gelehntes Gartenhaus begrenzt, zu dem man auf einigen Stufen hinaufstieg. Die mit grünen Jalousien versehenen Glastüren dieses Gartenhauses standen weit offen, und sein Inneres war geschmackvoll und elegant dekoriert. Im Hintergrunde, der Eingangstür gegenüber, sah man ein hohes Fenster, das sich nach der Straße hin öffnen mußte und dessen Licht durch eine grüne Efeuwand gedämpft wurde.

Auf einer Chaiselongue ruhte in lichtblauem Morgenanzuge Frau von Wartenstein, sie hielt ein Buch in der Hand und schien eifrig zu lesen oder vielleicht auch zu träumen; sie glich in der tiefen Einsamkeit dieser grünen Schatten einer Gestalt aus den Feenmärchen, und wäre sie von den neckischen Gestalten zierlicher Kobolde umgeben gewesen, so hätte man sie für die liebliche Elfenkönigin Titania halten können.

»Sieh dort!« sagte Herr von Sarkow, indem er, noch zwischen den mächtigen Stämmen der Lindenbäume verborgen, nach dem Gartenhause hindeutete.

Luiz Antonio, der sehnsüchtig nach der Seite des Schlosses hinspähte, blickte nach der von seinem Freunde angegebenen Richtung, ein Ruf des Entzückens drang aus seinen Lippen, er wollte vorstürzen, aber Herr von Sarkow hielt ihn zurück und führte ihn hinter den Bäumen her nach dem Gartenhause zu. Erst unmittelbar vor diesem erlaubte er ihm, den schützenden Schatten zu verlassen, und nun dem Ziele seiner Sehnsucht so nah, schien Luiz Antonio plötzlich von zagender Furcht befangen – langsam, leise auftretend, immer wieder zögernd, die flammenden Augen weit geöffnet, schritt er der Tür zu.

Frau von Wartenstein mußte das Geräusch seiner Tritte auf dem Kieswege gehört haben, sie ließ das Buch in ihren Schoß sinken und blickte auf ohne Neugier und Verwunderung – aber im nächsten Augenblick sprang sie auf wie von einer Feder emporgeschnellt, ihr zartes Gesicht bedeckte sich mit glühender Röte, und bis zur Schwelle vortretend, preßte sie die beiden Hände auf ihr Herz.

Mit einem einzigen Sprunge war Luiz Antonio bei ihr – sie streckte ihm halb scheu, halb glückstrahlend die Hände entgegen – einen Augenblick standen beide stumm in ihren Anblick verloren da. »Elise!« rief Luiz Antonio – »meine Elise, ich bin bei dir, dieser Augenblick wiegt alle Schmerzen auf, die ich um dich gelitten und noch leiden werde.«

Sie senkte, immer in seine Augen blickend, den Kopf an seine Brust, er umfing ihre schlanke Gestalt mit seinen Armen, ihre Lippen brannten in langem Kuß aufeinander.

Da eilte mit lauten Schritten Herr von Sarkow zwischen den Bäumen hervor.

Frau von Wartenstein trat tief erbleichend zurück und starrte den so plötzlich Erscheinenden entsetzt an, ohne seinen ehrerbietigen Gruß zu erwidern.

»Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau,« sagte er in so harmlos natürlichem Tone, daß über das Gesicht der schönen Frau unwillkürlich trotz ihrer Verwirrung ein flüchtiges Lächeln glitt – »ich bitte um Verzeihung, daß ich mir erlaube, hier so plötzlich mich einzudrängen; aber ich mußte meinen Freund da wohl begleiten – denn er ist mein Freund, gnädige Frau, und er weiß, daß er sich auf mich verlassen kann wie auf sich selbst, ganz wie auf sich selbst,« fügte er mit Betonung hinzu – »hätte ich ihn allein gehen lassen, er hätte irgend etwas Unerhörtes getan und mitten in diesem stillen, friedlichen Park einen Lindwurm gesucht, um ihn zu bekämpfen, den fahrenden Rittern gleich, die ja auch erst die Drachen töten mußten, um zu ihren Damen zu gelangen.«

Frau von Wartenstein schlug ihre sonst fast immer so träumerisch verschleierten Augen voll und groß zu Herrn von Sarkow auf, reichte ihm die Hand und sagte mit offener Herzlichkeit:

»Da Sie sein Freund sind, so sind Sie auch der meinige – und,« fuhr sie seufzend fort, »wir bedürfen in der Tat der wachsamen Freundschaft, denn trotz meiner Einsamkeit hier fürchte ich, daß jeder meiner Schritte beobachtet und dahin berichtet wird, wo man ja,« fügte sie, mit flüchtigem Erröten die Augen niederschlagend, hinzu, »das Recht erkauft hat, über mein Leben zu gebieten. Verurteilen Sie mich nicht, Herr von Sarkow,« sagte sie ernst, mit fast feierlichem Ton, »wenn ich nicht stark genug bin, meinem Herzen zu gebieten. Aus den Träumen der Kindheit bin ich in meine jetzige Sklaverei verkauft worden, man hat mir keine Liebe entgegengebracht, keine Liebe von mir verlangt, ich war ein Eigentum, ein Besitz, ein Dekorationsstück des Lebens, zur Repräsentation nötig wie Pferde, Wagen und Möbel. Vielleicht hätte ich die Ketten dennoch ertragen, vielleicht hätte ich mein rebellisches Herz dennoch überwunden, wenn mir statt der Liebe wenigstens Achtung und Vertrauen gewährt wäre – aber so,« sprach sie mit funkelnden Blicken die Lippen zusammenpressend weiter, »empört sich der Stolz ebenso wie die Liebe in mir. Will man mich hüten wie einen erkauften Besitz durch eine Art von Polizeiaufsicht und unwürdige Spionage, so habe ich das Recht, meine Freiheit zu wahren und den berauschenden Kelch des Glücks an meine Lippen zu setzen, der ja so bald, ach so bald, für ewig mir wieder entrissen sein wird. Aber einmal wenigstens will ich lieben, einmal wenigstens will ich glücklich sein.«

Die sonst so kühle, ruhige, wie in träumendem Halbschlummer sich selbst vergessende Frau schien von wilder, feuriger Leidenschaft durchglüht, ihre Augen blitzten unter den weit aufgeschlagenen Wimpern hervor, ihre Wangen glühten, und ihr sonst so kaltes, gleichgültiges Gesicht zitterte und zuckte in trotzig angespannter Willenskraft. Sie war wunderbar schön in dieser Erregung, so ganz anders wie sonst, und Herr von Sarkow begriff bei ihrem Anblick die ganze Liebe seines Freundes, der bewundernd und anbetend zu ihr aufblickte.

»Ich frage und prüfe nicht, gnädige Frau,« sagte er ein wenig verwirrt, »mir steht es nicht zu, weder zu urteilen, noch zu richten; mein Freund Luiz Antonio liebt Sie, das ist mir genug.«

»Aber mir nicht, mein Herr!« rief Frau von Wartenstein stolz und heftig; »ich will weder vor Ihnen erröten, noch vor mir selbst, und am wenigsten vor ihm, dessen Liebe der erste warme Sonnenstrahl meines Lebens ist – Sie sollen hören. Sie sollen urteilen. Sie sollen richten, aber gerecht, wie ich glaube und hoffe, daß Gott mich richten wird.«

Luiz Antonio stürzte zu ihren Füßen und bedeckte ihre Hände mit heißen Küssen.

»Ich werde Besseres tun,« sagte Herr von Sarkow, »als prüfen und richten, ich werde wachen und das Glück, das der Himmel meinem Freunde gönnt, vor der neidischen Bosheit der Menschen schützen.«

Er schloß halb die Türen des Pavillons, so daß sein Inneres nach der Seite des Schlosses hin verdeckt war und es schien, als ob die Jalousien die hie und da durch die Baumkronen herabfallenden Lichtstrahlen abhalten sollten; dann zog er sich aus der breiten Allee zurück und ging, immer in der Nähe des Gartenhauses sich haltend, in den Seitenwegen auf und nieder, sorgsam lauschend und spähend, ob auch niemand sich diesem stillen und entlegenen Teile des Parkes nahe. Einmal schien es ihm, als sehe er ein helles Frauenkleid durch die Gebüsche in der Nähe schimmern, schnell eilte er dorthin, allein er fand nichts und sah nur nach einiger Zeit in weiter Entfernung nach dem Schlosse zu eine Gestalt flüchtig über einen schmalen Fußpfad huschen und wieder im Gebüsch verschwinden; er durfte nicht folgen, um sich nicht zu weit von dem Pavillon zu entfernen, auch schien ihm jene zufällige Erscheinung nicht gefährlich, dennoch aber kehrte er schnell zurück, um seinen Freund zu warnen – da tönte fern vom Schlosse herüber eine helle Glocke, die nach der Hausordnung die Mittagsstunde bezeichnete, und als er zu dem Gartenhause herantrat, öffneten sich die Jalousien, Luiz Antonio trat heraus und eilte schnell auf seinen noch unter den Bäumen verborgenen Freund zu, den er stürmisch in seine Arme schloß, indem er ihm zuflüsterte:

»Komm! Hast du jene Glocke gehört? – Es ist das Zeichen, daß man im Schlosse serviert, sie muß zurückkehren, wenn man sie nicht suchen soll.«

Beide verbargen sich hinter den Zweigen des Gebüsches, Luiz Antonio hielt Herrn von Sarkows Hand fest, er wartete, um Frau von Wartenstein noch einmal zu sehen. Und in der Tat schritt nach wenigen Augenblicken die schöne Frau in der Mitte der Allee nach dem Schlosse hin vorüber. Sie hielt ihr Buch in der Hand und ging so frei, unbefangen und natürlich dahin, als ob sie wie an jedem Tage von ihrem einsamen Morgenspaziergange zurückkehrte. Herr von Sarkow schüttelte leise den Kopf über die so mächtige Verstellungskunst, die der Schwäche des weiblichen Geschlechts als Waffe gegeben ist, wenn die harte Gewalt sie unter strenge Herrschaft beugen will. Aber er sprach seine Gedanken nicht vor dem Freunde aus, der mit schwärmerisch leuchtenden Blicken der zarten Gestalt nachsah, bis diese in der Ferne verschwand; dann kehrten beide durch eine Nebentür des Parks nach dem Dorfwirtshaus zurück, wo sie ihre Wirtin mit dem Besten erwartete, was Küche und Keller zu leisten vermochte.

Luiz Antonio war, bald ausgelassen fröhlich und schien sich des glücklichen Augenblicks in seliger Selbstvergessenheit zu freuen wie ein Schmetterling des flüchtigen Sonnenstrahls – bald wieder brach er schmerzvoll zusammen und hauchte leise, schwermütige Klagen in seiner melodischen Muttersprache vor sich hin. Herr von Sarkow fühlte inniges Mitleid mit dem Armen, fast bereute er, daß er nicht energischer versucht, ihn von seiner Leidenschaft zu heilen; aber ein solcher Versuch wäre ja doch erfolglos geblieben, und er tröstete sich damit, daß sein Freund ja doch wohl später, wenn er in seiner Heimat dem ernsten Leben seine Kraft widmen müsse, das alles wie einen flüchtigen Traum vergessen werde. Jetzt war an der Sache nichts zu ändern, so hörte er denn ruhig die wechselnden Gefühlsausbrüche Luiz Antonios an und versuchte seinerseits mit dem unerschöpflichen Humor seines Alters die Situation so heiter als möglich aufzufassen und zu wenden.

Die Ankunft der beiden Studenten hatte die Neugier des ganzen Dorfes erregt, jeder wollte die Fremden sehen, und jeder hoffte, von ihnen auch etwas über den Gang der Revolution zu hören, deren Wogen, obgleich die Flut so nahe vorbeirauschte, dies stille Tal nicht berührt hatten. So kam es denn, daß die Gaststube am Abend dicht gefüllt war, zur großen Befriedigung des Wirtes, der auf diese Weise durch seine Hausgäste einen doppelten Gewinn machte. Auf seine Bitte kamen die jungen Leute denn auch in das Gastzimmer herab, um die Neugier der Bauern zu befriedigen und ihnen von der Revolution in Heidelberg zu erzählen, wobei der Umstand, daß sie selbst gefangen gesetzt worden waren, nicht wenig dazu beitrug, ihnen das Vertrauen dieser äußerst reaktionär gesinnten Gesellschaft zu erwerben. Luiz Antonio zog sich bald zurück, sich seinen Träumereien hinzugeben und von dem Fenster seines Zimmers über die Baumwipfel hinüberzublicken nach dem Turm des alten Schlosses. Herr von Sarkow aber blieb in dem Gastzimmer und führte bald die unumschränkte Herrschaft über die voll Bewunderung zu ihm aufblickenden Bauern; er lehrte diese zunächst einen Salamander reiben, bei dessen Studium eine bedeutende Anzahl von Schoppen geleert werden mußte, bevor das Exerzitium richtig ausgeführt werden konnte. Der komische Eifer, den die Bauern bei den Uebungen bewiesen, erregte immer mehr die Heiterkeit und die übermütige Laune des jungen Mannes; er setzte seinen Unterricht fort, die Bauern, die an diesem Studium ebenfalls ein außerordentliches Vergnügen fanden, lernten in studentischer Weise einander Halbe und Ganze zutrinken, Bierjungen ausmachen, und die Folge dieses bis fast gegen Mitternacht fortdauernden theoretischen und praktischen Studiums war eine allgemeine, in dem stillen Dorfe sonst ungewöhnliche laute Heiterkeit, die sich, nachdem die Sitzung im Wirtshause geschlossen war, noch ziemlich lange auf den Straßen vernehmbar machte und den Unwillen und strengen Tadel der Hausfrauen erregte, die ihre Männer und Söhne in so bedenklich lustigem und unbotmäßigem Zustande nach Hause kommen sahen.

Einige Tage vergingen in ganz ähnlicher Weise. Herr von Sarkow benutzte die ersten Morgenstunden zu kleinen Spaziergängen in die an Naturschönheiten reiche Gegend, wobei er gelegentlich eine kleine Skizze zeichnete, einer jungen Dorfschönheit einen kaum versagten Kuß raubte und die jungen Burschen auf den Feldern durch einen Schluck aus seiner Feldflasche oder eine gespendete Zigarre mit den scherzhaften und harmlosen Eingriffen in ihre Rechte wieder versöhnte, so daß seine Popularität fortwährend wuchs und selbst die Mütter und Frauen sich mit dem lustigen und freundlichen Studenten, dem es bei keiner Gelegenheit auf ein paar Guldenstücke ankam, versöhnten. Um die Mittagsstunde wartete er dann gewissenhaft und sorgfältig seines Wächteramtes im Park, um seines Freundes flüchtige Augenblicke des Glücks zu hüten; alles ging hierbei gut, er hatte niemals nötig, Störungen abzuwehren, nur zuweilen glaubte er wieder in der Nähe des Pavillons eine weibliche Gestalt zu bemerken, die indes jedesmal schnell verschwand und auf deren Erscheinung er wenig Wert legte, da ja die Dienerschaft des Schlosses und auch die Bewohner des Dorfes häufig durch den Park gingen. Am Nachmittage hielt er dann auf seinem Lager ausgestreckt seine Siesta und hörte geduldig, aber mehr träumend als wachend die Gefühlsausbrüche seines Freundes an, der nicht müde wurde, das alte, einfache Thema des Dichterwortes:

»Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt« –

tausendfach und abertausendfach zu variieren. Am Abend aber hielt Herr von Sarkow mit unabänderlicher Regelmäßigkeit seine Kneipe, bei der stets auf seine Kosten ein Extrafäßchen aufgelegt wurde – die Frauen hatten zwar schmollend, aber doch wieder geschmeichelt über den Verkehr ihrer Angehörigen mit dem so feinen, vornehmen und doch so artigen Studenten ihre Einwilligung gegeben, und Herr von Sarkow hatte die gelehrigen Bauern so vortrefflich dressiert, daß ihre Salamander denen auf dem Riesenstein selbst geriebenen an Präzision nicht nachstanden und daß die jungen Burschen ihren höchsten Ehrgeiz darein setzten, einander bei den verschiedenen Bierjungen zu überwinden.

So waren mehrere Tage vergangen. Herr von Sarkow begann sich recht herzlich zu langweilen und den Freundschaftsdienst, den er dem armen Luiz Antonio leistete, im stillen etwas drückend zu finden, um so mehr, als in das stille Dorf fast gar keine Nachrichten über den Fortgang der politischen Ereignisse gelangten, und da auch Frau von Wartenstein von ihrem in Frankfurt befindlichen Gemahl seit lange ohne alle Mitteilungen geblieben, so war man völlig im Dunkel über das Schicksal der in Weinheim zurückgelassenen Freunde und über die Zustände in Heidelberg, was Herrn von Sartow mehr beunruhigte als den ganz in seiner Liebe aufgehenden Luiz Antonio, da er auch von seiner Heimat lange nichts gehört hatte und nicht wußte, ob die kurzen Briefe, die er zur Beruhigung der Seinigen dorthin geschrieben, auch wirklich angekommen seien. Ein wenig mißmutig streifte er am nächsten Morgen in der Umgebung des Pavillons umher, er begann sich mehr und mehr Vorwürfe darüber zu machen, daß er sich in dies Abenteuer eingelassen, das seinen Freund vielleicht zu dessen Unglück in seiner phantastischen Liebe bestärkte und sie beide in eine zweifelhafte, peinliche und bedenkliche Situation brachte. Er suchte eifrig nach einem Plan, um Luiz Antonio zur Abreise zu bewegen, und blickte durch das Gitterwerk einer kleinen Parktür mit einer gewissen Sehnsucht auf die Straße hin. als er plötzlich den Hufschlag von Pferden hörte und auf dem Wege, der hart an der Parkmauer vorüberführte, einen offenen Wagen heranfahren sah, in dem ein Herr und eine Dame saßen; neugierig forschend blickte er dem entgegen, das Fenster des Gartenhauses lag in einem von der Straße abspringenden Winkel der Mauer, so daß man von dort aus den heranfahrenden Wagen nicht bemerken konnte; er mußte also um jeden Preis entdecken, wer darin saß, denn der Besuch konnte ja nur dem Schlosse Trottlingen und der Frau von Wartenstein gelten. Ganz nahe der Pforte, hinter der Herr von Sarkow hervorspähte, fuhr der Wagen, einer kleinen Steigung des steinigen Weges halber, in langsamem Schritt heran, und Herr von Sarkow erkannte zu seinem größten Erstaunen das Fräulein von Herbingen, das mit ihren großen, glänzenden Augen sinnend zu den waldigen Höhen hinaufschaute und gar nicht auf den eifrig zu ihr sprechenden Baron von Felseneck achtete, der in einem großkarierten schwarz und weißen Reiseanzug, einen niedrigen Strohhut auf dem Kopf, neben ihr saß und zuweilen sein goldenes Binocle an die kurzsichtigen Augen erhob, um ebenfalls einen Blick auf die Waldberge zu werfen, die zu seiner Verwunderung für seine schöne Nachbarin ein größeres Interesse zu haben schienen als seine Unterhaltung.

Herrn von Sarkows Herz schlug höher, als er seine anmutige Lehrerin in der Galanterie erblickte, es war, als ob eine unwiderstehliche Gewalt ihn zu ihr hinzöge; der kecke Uebermut einer tollen Laune erfaßte ihn, er schlug den Kragen seines Rockes in die Höhe, strich sich das Haar tief in die Stirn herab und glitt dann leise und unbemerkt aus der Parktür hervor. Seine Mütze in der Hand näherte er sich dann, eine etwas gebückte Stellung annehmend, dem Wagen auf der Seite, auf der Fräulein von Herbingen saß. Mit näselnder Stimme bat er um ein Almosen, der Kutscher drohte ihm mit der Peitsche und trieb die Pferde schneller an, aber Herr von Sarkow hielt mit dem Wagen Schritt, obgleich er seinen Körper künstlich und mühsam zu etwas krüppelhafter Haltung verrenkte.

»Geben Sie dem armen Menschen etwas, Baron Felseneck,« sagte Fräulein von Herbingen.

Der Baron warf eine kleine Münze aus dem Wagen, ohne sich weiter nach dem Bettler umzusehen.

»Ich danke,« rief Herr von Sarkow, »ich danke – aber die schöne Dame wird doch auch ein Almosen für den Armen haben – die dame des belles cousines wird den armen Jehan de Saintré nicht vergebens bitten lassen!« fügte er, sich ganz nahe zu dem Wagen vorbeugend, leise mit seiner natürlichen Stimme hinzu.

Fräulein von Herbingen blickte in höchstem Erstaunen zu ihm herab, helle Röte flammte in ihrem Gesicht auf, dann aber brach sie in ein lautes, fröhliches Lachen aus.

»Die Frechheit dieser Leute ist unglaublich,« sagte Baron Felseneck, »seit diese heillose Revolution ausgebrochen ist, glauben sie, daß die Welt ihnen gehört – aber man muß dem Menschen wohl etwas geben,« fügte er leiser hinzu, »er könnte uns die Bande auf das Schloß hetzen, solange die Ordnung noch nicht wiederhergestellt ist.«

Er nahm ein zweites Geldstück aus seiner Börse und wollte es dem Bettler hinwerfen.

»Der Arme hat von mir eine Gabe verlangt,« sagte Fräulein von Herbingen, »und er hat recht, die Wohltätigkeit ist eine weibliche Tugend.«

Sie nahm dem Baron das Geldstück aus der Hand, vorher hatte sie wie zufällig ihren Handschuh abgestreift und warf ihn nun mit der Münze in Herrn von Sarkows Mütze.

»Dank, tausend Dank!« rief dieser mit seiner näselnden Stimme, »auf Wiedersehen, schöne Dame.«

Er blieb, erschöpft von dem schnellen Lauf, stehen, während in dem nach dem Schlosse weiter fahrenden Wagen Fräulein von Herbingen bald sinnend den Kopf schüttelte, bald wieder laut lachte und ebensowenig wie vorher auf die tausend liebenswürdigen und galanten Dinge achtete, die der Baron von Felseneck mit seinem süßesten Lächeln ihr zuflüsterte. An der nächsten Biegung des Weges blickte sie noch einmal zurück, sie sah Herrn von Sarkow, der sich jetzt keine Mühe mehr gab, seine Gestalt zu entstellen, in der Mitte der Straße stehen, er hob den Handschuh, den sie ihm zugeworfen, hoch empor und drückte ihn dann an seine Lippen; dann verschwand der Wagen um die Ecke, und Herr von Sarkow eilte, so schnell er vermochte, nach dem Pavillon hin, um seinen Schutzbefohlenen die Ankunft der Gäste mitzuteilen.

»Mein Gott,« seufzte Frau von Wartenstein traurig, »der flüchtige Sonnenblick des Glücks ist vorüber!«

Luiz Antonio aber blickte finster auf seinen Freund, als ob er dem Boten zürne, der die traurige Nachricht gebracht.

»Sie sind egoistisch,« sagte Herr von Sarkow lächelnd, »ich hatte also wohl das Recht, es auch zu sein.« Er erzählte, was er getan, daß Fräulein von Herbingen ihn gesehen und erkannt habe, und als Frau von Wartenstein ihm erschrocken und ängstlich seinen tollkühnen Uebermut vorwarf, sagte er lachend:

»Ich bin gewiß, daß Fräulein von Herbingen uns nicht verraten wird, Sie dürfen ganz ruhig sein, gnädige Frau, es wird alles beim alten bleiben, verlassen Sie sich darauf, nur wird dieser Pavillon von nun an statt eines Wächters deren zwei haben. Jetzt aber eilen Sie nach dem Schlosse, die Herrschaften müssen angekommen sein, man möchte kommen, um Sie zu suchen.«

Schnell zog er Luiz Antonio mit sich fort, und beide kehrten nach dem Wirtshause zurück, um ungeduldig und von ganz verschiedenen Gefühlen bewegt den nächsten Tag zu erwarten.

Herr von Sarkow hatte sich nicht getäuscht, denn als die beiden Freunde am folgenden Morgen zur gewohnten Stunde vorsichtig spähend und lauschend sich dem Gartenhause näherten, fanden sie dort Fräulein von Herbingen bei der Frau von Wartenstein. Mit lächelndem Gruß trat sie ihnen entgegen.

»Das ist alles sehr toll und unvernünftig,« sagte sie, schalkhaft mit dem Finger drohend, während Frau von Wartenstein und Luiz Antonio mit niedergeschlagenen Augen dastanden, »sehr unvernünftig und vielleicht auch sehr gefährlich, aber es ist auch romantisch, und die Romantik reizt mich überall, wo ich sie in dieser elenden materiellen Zeit finde. Da wir nun einmal vor dem fait accompli stehen, so bleibt wohl nichts übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.«

»Ich wußte es,« sagte Herr von Sarkow ganz glücklich.

»Sie wußten es?« fragte Fräulein von Herbingen, indem sich ihre dunkeln Brauen leicht drohend zusammenzogen.

»Ja, ich wußte es, daß meine gnädige Lehrmeisterin in der romantischen Poesie des Lebens nicht verurteilen würde, was ich als ihr gelehriger Schüler getan.«

»So geht es,« sagte Fräulein von Herbingen, »die Kinder wachsen uns über den Kopf; die Romantik,« fügte sie ernst und wehmütig mit einem halb unterdrückten Seufzer hinzu, »treibt wohl schimmernde Blüten aus dem grauen Staub des Lebens hervor, aber ihr süßer Duft ist giftig und bringt wohl nach kurzem Rausch dem Herzen Erstarrung und Tod.«

»Und der Baron Felseneck?« fragte Herr von Sarkow.

»Er sitzt weit am andern Ende des Parkes und fischt in dem Waldbach, der aus den Bergen herabkommt,« erwiderte Fräulein von Herbingen lachend. »Ich habe ihm gesagt, daß ich eine närrische Passion für Forellen habe, er darf seinen Posten nicht verlassen, bis ich ihn abhole, für jede gefangene Forelle habe ich ihm einen Handkuß versprochen, ist das nicht auch Romantik?«

»Um diesen Preis,« rief Herr von Sarkow, »möchte ich fast mit dem Baron wetteifern und den armen Fischen einen Vertilgungskrieg erklären, so daß ihm keiner mehr übrig bleibt.«

»Man soll auch den guten Willen belohnen,« sagte Fräulein von Herbingen, indem sie wie zufällig ihre Hand ein wenig emporhob. Herr von Sarkow drückte diese zarte Hand an seine Lippen, dann legte sie ihren Arm in den seinen, und beide wendeten sich zu den schattigen Laubgängen, die das Gebüsch durchzogen.

Wieder vergingen einige Tage in der gewohnten Weise. Herr von Sarkow schien von dem Druck des Mißmuts und der Langeweile befreit, seit er nicht mehr allein des Wächteramts waltete, und wenn ihm auch sein heiterer Humor treu blieb, wenn er auch nach wie vor sich alle Mühe gab, seinen Freund aus dessen schwermütigem Tiefsinn, in den er immer wieder versank, zu frischem Lebensmut aufzurichten und ihn zu mahnen, daß ein Mann seine Kraft nicht in einer einzigen unglücklichen Liebe hinsterben lassen dürfe, so suchten doch auch seine Blicke jetzt häufig sehnsüchtig die Turmspitze des Schlosses, und auch sein Herz schlug stürmisch und unruhig, wenn er mit Luiz Antonio den tiefen Schatten des Parkes zueilte, die den Reiz eines so anmutigen Geheimnisses bargen.

Er stand an der kleinen Gittertür nach der Straße hin, Fräulein von Herbingen hatte ihre Hand auf seinen Arm gelegt, sie plauderten wie immer leicht und heiter, bald einen kleinen Krieg pikanter Neckereien führend, bald wieder ernste Gedanken austauschend, und Herr von Sarkow empfand wie immer den dämonischen Zauber dieser Frau, die ihm bald wie ein Engel des Lichts erschien, der die Macht besaß, ihn im Fluge zu den höchsten Höhen des Denkens und Empfindens hinaufzuführen, bald wie ein neckischer Kobold, der grausam und höhnisch alle edeln Gedanken und alle warmen Empfindungen verspottete.

»Hier,« sagte Herr von Sarkow auf den Weg deutend, »habe ich Sie zuerst wiedergesehen; hier,« fuhr er feuriger fort, »wallte mein Herz meiner gnädigen Lehrmeisterin entgegen – aber,« fügte er dumpf hinzu, »hier senkte sich auch ein finsterer Schatten auf meine Freude; der Baron Felseneck saß an Ihrer Seite – er liebt Sie –«

Sie sah ihn mit großen Augen an.

»Er liebt mich!« rief sie laut lachend, »wie ist doch die Sprache arm, daß sie nur ein Wort für die Stufenleiter einer Empfindung hat, die von den strahlenden Höhen des Himmels bis in die kleinliche Niedrigkeit des Standes reicht. Felseneck und Liebe, wie komisch klingt das – und doch ist es wahr, ja, ja, er liebt mich auf seine Weise, wie der Schoßhund seine Herrin, er würde glücklich sein, wenn er zu meinen Füßen sitzen dürfte, er würde nicht murren, wenn ich ihn zupfte und quälte, ein freundliches Wort wäre seine höchste Belohnung, er würde auch treu sein, er würde ein willenloses Eigentum in meinen Händen sein, und doch – Liebe, ist das das Wort für solche Anhänglichkeit, die bald mein Mitleid erregt, bald mich lachen macht?«

»Und doch,« sagte Herr von Sarkow, »müssen Sie solcher Hingebung gewöhnt sein, denn bei Gott, oft möchte ich glauben, daß der Himmel oder die Hölle Ihnen die Herrschaft über alle Herzen gegeben. Das Hündchen, um in Ihrem Bilde zu bleiben, zeigt seine Hingebung, indem es wedelnd um seine Herrin springt, aber auch der Löwe würde sich demütig zu Ihren Füßen schmiegen und seine stolze Kraft Ihrem Wink zu eigen geben.«

»Der Löwe,« sagte sie mit einem wunderbaren Blick, der sich in seine Seele tauchen zu wollen schien, »ja, ja, es ist ein stolzer Traum, den Löwen zu beherrschen, über seine Kraft zu gebieten, vor der die andern angstvoll zittern – aber,« sagte sie dann kopfschüttelnd, »es ist gefährlich, diesen Traum zu träumen, lassen wir die Träume. – Sehen Sie dort,« unterbrach sie sich plötzlich, »was bedeutet das, wer kommt hierher, uns in unsrer Einsamkeit aufzusuchen, denn nur uns kann dieser Besuch gelten.«

In der Tat kam ein Wagen in scharfem Trabe auf dem Landwege herangefahren; ein Postillon saß auf dem Bock und hatte eben sein Horn erhoben, um bei der Annäherung an das Schloß das übliche Signal zu blasen, aber ein in dem Wagen sitzender Herr bog sich schnell unter dem Verdeck hervor, zog den Arm des Postillons zurück und schien eifrig sprechend ihm die laute Kundgebung seiner Ankunft zu verbieten.

»Mein Gott!« rief Fräulein von Herbingen erbleichend, indem sie Herrn von Sarkow von dem durchsichtigen Gitter zurückdrängte, »das ist Herr von Wartenstein, wir glaubten ihn in Frankfurt, und nun ist er hier – Elise fürchtete immer, von ihrer Kammerfrau bespäht und verraten zu werden.«

»In der Tat!« rief Herr von Sarkow, »ich habe zuweilen eine Gestalt hier herumschleichen gesehen, ich habe nichts davon gesagt, weil ich es für Zufall hielt.«

»Gleichviel!« sagte Fräulein von Herbingen entschlossen, »jetzt gilt es, sie zu retten. Dies alles war eine Torheit, ein Unrecht vielleicht, aber wenn er durch seine Domestiken Spionage treiben läßt, so ist er wert, betrogen zu werden.«

Schon war sie durch das Gebüsch vorausgeeilt, und während der Wagen an der kleinen Pforte vorbei dem Schlosse zurollte, hatte sie bereits den Pavillon erreicht und war nach schnellem Klopfen an die Jalousien, Herrn von Sarkow mit sich fortziehend, in ihn eingetreten.

Luiz Antonio kniete zu den Füßen der Frau von Wartenstein und fuhr erschrocken empor, als die beiden hastig eintraten und in ebenso hastigen Worten die verhängnisvolle Nachricht mitteilten.

»O mein Gott!« rief Frau von Wartenstein, indem sie wie gebrochen zusammensank, »meine Ahnung – ich bin verloren!«

Luiz Antonio stellte sich mit finster drohenden Blicken neben sie, als wolle er sie beschützen.

»Es ist unmöglich, zu entrinnen,« jammerte Frau von Wartenstein, »sowie er im Schlosse angekommen ist, wird er fragen und forschen und hierher kommen – vielleicht sind wir jetzt schon bespäht und die Ausgänge des Parks beobachtet.«

»Wir fliehen durch das Fenster,« sagte Herr von Sarkow, »die Efeuwand ist vielleicht beweglich, die Damen müssen sie wieder an ihre Stelle rücken, und jede Spur ist verloren.«

Bereits hatte er die Efeuwand zurückgeschoben und das Fenster geöffnet.

»Es ist niemand zu sehen,« sagte er, hinausblickend, »sollte man die Pforten bewachen, so hat man dies Fenster vergessen; schnell, schnell!«

Frau von Wartenstein drängte angstvoll den zögernden Luiz Antonio nach dem Fenster hin.

»Halt,« sagte Fräulein von Herbingen, die sinnend dagestanden hatte, »das ist nicht genug, hat ein Verrat stattgefunden, so genügt es nicht, zu verhüllen, was ja doch leicht zu durchschauen ist; die Anwesenheit der Herren hier im Dorfe ist ja nicht zu verbergen, wenn er forschen will. Der Verdacht muß abgelenkt werden, die Tatsache muß eine andre Erklärung finden. Ich werde dich retten,« sagte sie kurz entschlossen, »folgt alle meinen Befehlen, denn es ist kein Augenblick zu verlieren. Herr von Souza wird sogleich durch das Fenster springen und nach dem Wirtshause gehen, damit man ihn dort so unbefangen als möglich finden kann; Elise muß den Pavillon verlassen und sich durch das Gebüsch seitwärts fortschleichen – du kennst den Platz am Waldbach.« sagte sie lachend, »wo er zu dem kleinen See am Schlosse herabfließt, dort findest du Felseneck mit seiner Angel; suche ihn auf, plaudere einen Augenblick mit ihm und führe ihn dann hierher – Herr von Sarkow,« sagte sie flüchtig errötend, »bleibt hier bei mir. Alles übrige ist meine Sache; nun fort, fort!«

Sie drängte Luiz Antonio zum Fenster, schnell schwang sich der junge Mann mit einem letzten Abschiedsgruß an Frau von Wartenstein über die Brüstung, dann trieb Fräulein von Herbingen ihre zitternde Freundin aus dem Pavillon, verfolgte sie mit ihren Blicken, bis sie unmittelbar sich seitwärts wendend im Gebüsch verschwunden war, und schloß dann die Jalousien.

»Bringen Sie die Efeuwand an ihren Platz,« befahl sie dann mit fast rauher Stimme. Als Herr von Sarkow ganz verwirrt ihren Befehl ausgeführt hatte, nahm sie den Platz der Frau von Wartenstein auf der Chaiselongue ein.

»Setzen Sie sich zu mir.« sagte sie, auf ein kleines Taburett deutend, »hier ganz nahe – noch näher zu meinen Füßen.«

Herr von Sarkow gehorchte, indem er sie ganz erschrocken ansah.

»Mein Gott,« sagte er ganz ängstlich, »ich begreife – ich begreife jetzt –«

»Ah, Sie begreifen!« rief sie fast spöttisch, »wie sind doch die Menschen so schwerfällig, wenn es gilt, einen Ausweg aus den Verlegenheiten zu finden, in die ihre Torheiten sie führen – nun, ich habe diesen Ausweg gefunden, so wird sie gerettet werden, so wird alles erklärt sein – man wird wenigstens kein Recht haben, nach weiteren Erklärungen zu forschen.«

»In der Tat,« flüsterte Herr von Sarkow, »Frau von Wartenstein wird gerettet sein, aber Sie selbst – o mein Gott, was wird man sagen!«

»Fürchten Sie sich, mein Herr?« rief Fräulein von Herbingen. »Das Wagnis ist mein, und ich will es bestehen; sie wäre verloren, rettungslos verloren, denn sie ist zu schwach, um solchen Schlag zu tragen. Was,« rief sie mit stolz blitzenden Augen, »was liegt an mir? Ich bin stark genug, um aufrecht zu stehen und erhobenen Hauptes durch die zischende Welt dahin zu schreiten, die sich dennoch vor mir beugen soll!«

»Ja!« rief Herr von Sarkow begeistert, »die Welt wird sich vor Ihnen beugen, und sie weiß dennoch nicht, wie hoch Sie über ihr stehen, indem Sie fremde Schuld auf sich nehmen.«

Sie schüttelte sinnend den Kopf und sagte leise: »Wer ist ohne Schuld auf Erden? Und was kümmert mich das Urteil der elenden Welt,« rief sie dann wieder, sich hoch aufrichtend, »die ja selbst vor dem stolzen, mutigen Verbrecher kriecht, während sie über die demütige Tugend ihr Gift spritzt!«

Sie war schöner wie je in ihrer Kraft und ihrem Stolz – so hätte ein Künstler die farrenäugige Juno darstellen müssen, wie sie von den Wolkenhöhen des Olymps herabschaut auf das niedrige Treiben der staubgeborenen Menschen. Herr von Sarkow kniete zu ihren Füßen nieder und blickte, hingerissen von Entzücken und Bewunderung, in ihr flammendes Gesicht.

»So ist es recht,« sagte sie lächelnd, »ich bin zufrieden, Sie spielen Ihre Rolle gut, auch der forschende Blick des Argwohns wird die Komödie für wahr halten.«

»Eine Rolle – eine Komödie!« rief Herr von Sarkow schmerzlich, indem er bittend die Hand zu ihr erhob, »nein, nein, es ist Wahrheit, heiße, glühende Wahrheit; o, warum darf es nicht sein – was es doch scheinen soll!«

Der dämonische Zauber, der aus ihren Blicken flammte, umfing ihn mit voller, unwiderstehlicher Gewalt, alle Erinnerungen seines jungen Lebens sanken in nebelhafte Dämmerung zurück; nur bei ihr war das Licht, die Wärme, das Glück – war es Liebe, war es Wahnsinn, was sein ganzes Wesen in wilden Flammen auflodern ließ, er konnte sich keine Rechenschaft über seine Gefühle geben, willenlos gehörte er ihrer Zaubermacht, er wäre ihr gefolgt hinauf zu den lichten Höhen des Himmels und hinab in die finsteren Tiefen des Abgrunds. Der wunderbar überwältigende Rausch, der ihn ihr so ganz zu eigen machte, schimmerte in seinen Augen; sie sah ihn an; und ein geheimnisvoller magnetischer Strom flutete zwischen ihnen hin und her – sie beugte sich zu ihm herab, sie schlang ihre Arme um seine Schultern, fester und fester drückte sie ihn an sich, ihre Blicke verloren sich ineinander, und in langem Kuß schlossen sich ihre Lippen zusammen.

Schnell aber riß sie sich dann los und drängte ihn zurück; indem sie heftig und unmutig den Kopf schüttelte, als ob sie sich frei machen wolle von einem schweren Traum.

»Nein, nein,« sagte sie heftig, »es darf nicht sein – mir ist die Liebe nicht bestimmt – ich muß, ich will stärker sein als das Gefühl, das die Menschen erniedrigt oder unglücklich macht. Ich habe nicht unglücklich sein wollen, wo es vielleicht eine Schuld war zu lieben, hier wäre es ein Verbrechen, ein frevelhaftes Spiel, und ich will mich nicht erniedrigen.«

Schwer atmend blickte Herr von Sarkow zu ihr auf. er hielt ihre Hände in den seinen; Frage, Vorwurf und Bitte lagen in seinen feuchtschimmernden Augen.

»Sie sind ein Kind,« sagte sie sanft mit wehmütigem Lächeln, »wenn Sie einst ein Mann sind, dann werde ich eine alte, alte Frau sein – vergessen Sie mich nicht – heute würden Sie doch nur das Hündchen sein, das in tändelndem Spiel mir die Zeit vertriebe; werden Sie zum Löwen, vor dem die Welt zittert – zum Löwen – den ich hätte lieben können.«

Sie beugte sich zu ihm herab, aber diesmal suchten ihre Lippen nicht die seinigen, sie drückte einen innigen, fast mütterlich zärtlichen Kuß auf seine Stirn. – Heftig wurden in diesem Augenblick die Jalousien des Pavillons aufgerissen – Herr von Wartenstein stand bleich, mit finsteren, drohenden Blicken auf der Schwelle.

Herr von Sarkow sprang auf, er hatte die Veranlassung, die diese Situation herbeigeführt, fast vergessen, und seine Verwirrung war so natürlich, daß auch der schärfste Blick des Argwohns keinen Zweifel an der Wahrheit derselben hätte finden können. Herr von Wartenstein stand sprachlos, in grenzenlosem Erstaunen da.

Fräulein von Herbingen trat ihm so unbefangen als möglich entgegen, aber auch aus ihrem Gesicht zuckte noch tiefe, mächtige Erregung.

»Fräulein von Herbingen – Herr von Sarkow – welch unerwartete Begegnung!« brachte endlich Herr von Wartenstein stockend hervor.

»Wußten Sie denn nicht,« fragte Fräulein von Herbingen, »daß ich mit Felseneck hierher gekommen war, um Ihrer Frau Gesellschaft zu leisten? – Und was Herrn von Sarkow betrifft,« fuhr sie mit einer vortrefflich gespielten verschämten Verwirrung fort, »so hat ihn nach seiner Verbannung aus Heidelberg der Zufall in das ruhige Dorf dort geführt, er wohnt mit Herrn von Souza im Wirtshaus – die Herren wußten nicht, daß wir hier waren, bei einem Spaziergang im Park bin ich ihm begegnet.«

»Und Herr von Souza?« fragte Wartenstein schnell, indem sich seine Stirn wieder in finstere Falten zusammenzog.

Herr von Sarkow hatte mit aller Kraft seines Willens wieder einige Fassung gewonnen.

»Herr von Souza ist dort unten im Dorfwirtshaus zurückgeblieben,« sagte er, »während ich hier durch den Park streifte und so glücklich war, Fräulein von Herbingen zu begegnen – welche Freude für ihn, wenn ich ihm die Botschaft bringen werde, daß die Herrschaften hier sind!«

»Ich habe meine Frau nicht gefunden,« sagte Herr von Wartenstein immer noch unruhig und mißtrauisch, »sie sei in den Park gegangen, sagte man mir im Schlosse –«

»Dort kommt sie mit Felseneck!« rief Fräulein von Herbingen, nach der Allee hindeutend, an deren anderm Ende Frau von Wartenstein mit dem Baron erschien, der ein kleines Körbchen in der Hand trug.

Herrn von Wartensteins Gesicht klärte sich hell auf.

»Wie freue ich mich,« sagte er mit verbindlicher Artigkeit, »die Herrschaften alle hier zu finden, wo ich meine Frau ganz allein und einsam glaubte; gehen wir ihr entgegen. Sie erlauben,« sagte er lächelnd zu Herrn von Sarkow, indem er Fräulein von Herbingen den Arm reichte, »daß ich die Rechte des Wirtes in Anspruch nehme, und,« fügte er leise zu Fräulein von Herbingen gewendet hinzu, »was die Unterhaltung in dem Pavillon da betrifft, so wollen wir davon nicht sprechen – die Welt ist boshaft, man könnte Deutungen suchen – und der arme Felseneck –«

»Die Welt!« unterbrach ihn Fräulein von Herbingen mit dem Ausdruck unendlicher Verachtung – »Felseneck,« fügte sie dann mit einem eigentümlichen Lächeln hinzu, »wir wollen sehen, was sich für ihn tun läßt.«

Sie waren den andern entgegengegangen. Herr von Wartenstein begrüßte seine Frau mit der zeremoniellen Artigkeit, die er im Verkehr mit ihr stets beobachtete, und erzählte ihr, den Blick scharf auf sie geheftet, den Grund der Anwesenheit des Herrn von Sarkow; sie verbarg ihre Verwirrung so geschickt unter einem scheuen, fragenden und mitleidig teilnehmenden Blick auf Fräulein von Herbingen, daß diese sich eines flüchtigen Lächelns über die meisterhafte Geschicklichkeit des Mienenspiels, in der die weibliche Natur alle Kunst übertrifft, nicht erwehren konnte.

Felseneck trat, nachdem er Herrn von Sarkow begrüßt, ganz glücklich zu Fräulein von Herbingen heran.

»Hier, meine Gnädigste,« sagte er, den Korb öffnend, »die Ausbeute meines Fischzuges. Frau von Wartenstein, die mich am Bach aufsuchte, hat mir Glück gebracht, es sind fünf Forellen.« fuhr er fort, auf die zwischen grünen Zweigen hervorschimmernden Fische deutend, »fünf Forellen, das gibt mir das Recht, fünfmal diese reizende Hand zu küssen, deren Besitz,« fügte er mit einem scheuen, flehenden Blick hinzu, »das höchste Ziel meines Lebens ist, ein Ziel, das mir freilich durch so unverdiente, grausame Härte ewig fern bleiben soll.«

Fräulein von Herbingen stand einen Augenblick sinnend da, dann sagte sie zwar in scherzendem Ton, aber mit strengen, kalten Blicken:

»Sie haben da einen Ausdruck gebraucht, Baron Felseneck, den ich Ihnen eigentlich übelnehmen sollte, wenn er nicht eine so allgemeine Redensart wäre; die Hand einer Dame besitzt man nicht; wir sind es, die von den Herren Besitz nehmen, denen wir die Erlaubnis geben, uns ihre Dienste zu weihen und sich für das Leben unsrer Führung anzuvertrauen.«

Ein wehmütig bitteres Lächeln flog über das bleiche Gesicht der Frau von Wartenstein, Baron Felseneck blickte fragend umher, als suche er Aufschluß über den ihm dunkel gebliebenen Sinn der vernommenen Worte.

»Nun, Baron,« fuhr Fräulein von Herbingen in dem gleichen heiteren Ton mit seltsam blitzenden Augen fort, »wenn ich mich entschließen könnte, den Besitz desjenigen Teiles der Männerwelt anzutreten, der sich Baron von Felseneck nennt –«

»O mein Gott!« rief der Baron, indem er, abwechselnd erbleichend und errötend, seine Augen fast kreisförmig öffnete und den Korb mit den Fischen aus seinen zitternden Händen fallen ließ, »o mein Gott, ist das möglich? Darf ich wagen, diese Worte zu verstehen –«

»Wenn ich also diesen Besitz antreten wollte,« fuhr Fräulein von Herbingen fort, »würden Sie die drei Bedingungen erfüllen, die ich Ihnen dafür auflege?«

»Befehlen Sie, befehlen Sie,« stammelte der Baron, »keine Bedingung ist mir zu schwer.«

»Es gab einmal einen General,« sagte Fräulein von Herbingen, »der als Bedingung der Kriegführung drei Dinge verlangte, nämlich: erstens Geld, zweitens Geld und drittens Geld – nun denn, ich verlange erstens Gehorsam, zweitens Gehorsam und drittens Gehorsam.«

»Und ich,« rief Felseneck, außer sich vor Entzücken, »Ihr untertänigster Sklave, gelobe den Gehorsam hundertfach, tausendfach!« Er ergriff ihre Hand und wollte sie an seine Lippen führen, sie aber trat, stolz den Kopf schüttelnd, zurück, streckte ihre Hand gebieterisch gegen ihn aus und sagte:

»So nehme ich denn Besitz von dem hier gegenwärtigen ausgezeichneten Kavalier, dem Baron von Felseneck; ich übertrage ihm für sein künftiges Leben den ausschließlichen Dienst bei meiner Person und verspreche ihm, daß meine Herrschaft milde und mein Joch leicht sein soll, wenn er pünktlich und gewissenhaft die drei Bedingungen erfüllt, die ich ihm auferlegt habe.«

»Pünktlich und gewissenhaft,« jauchzte Felseneck, »für ewig, für ewig!«

Herr von Wartenstein war der erste, der ganz freudig überrascht seine Glückwünsche darbrachte; während er Felseneck die Hand schüttelte, trat Fräulein von Herbingen zu dem wie betäubt dastehenden Herrn von Sarkow.

»Es muß sein, mein Freund,« flüsterte sie leise, »ich will keine Ketten tragen, und die Liebe schmiedet Ketten. Jetzt.« sagte sie laut und heiter, »lassen wir Herrn von Sarkow nach dem Dorfe gehen, um seinen Freund zu holen; da der Zufall hier nun einmal uns alle zusammengeführt, so wollen wir nicht länger voreinander Verstecken spielen.«

»Ich werde Herrn von Sarkow begleiten,« sagte Herr von Wartenstein schnell, »wir sind auf meinem Territorium, und an mir ist es, die Pflicht der Gastfreundschaft zu üben.« Fräulein von Herbingen nahm den Arm der Frau von Wartenstein und führte sie nach dem Schlosse hin, indem sie dem Baron Felseneck befahl, den Korb mit den Fischen zu tragen.

Sarkow und Herr von Wartenstein gingen nach dem Wirtshause, wo sie Luiz Antonio fanden, der inzwischen die Kraft gewonnen hatte, so unbefangen als möglich zu erscheinen. Schwer entschloß er sich, der Einladung nach dem Schlosse zu folgen, allein es mußte sein, und eine Stunde später war die Gesellschaft im Schlosse Trottlingen zum Diner vereinigt, bei dem Herr von Wartenstein und der Baron Felseneck die Kosten der Unterhaltung trugen, während die übrigen ihre verschiedenartigen Empfindungen unter die Maske der konventionellen Form verbargen, die oft eine Qual, noch öfter aber eine Wohltat ist, die den Menschen erlaubt, wenigstens den äußeren Schein des heiteren Friedens zu bewahren, der ja so selten auf Erden eine Stätte in den Herzen der Sterblichen findet.

Nach Tisch traf durch einen reitenden Boten vom nächsten Postamt die Nachricht ein, daß Heidelberg von den letzten Freischaren verlassen und von den preußischen Truppen besetzt sei, die sich nun anschickten, die von dem Oberst Tiedemann verteidigte Festung Rastatt einzunehmen. Auch die Hauptmacht der Insurgenten war bei Kuppenheim von dem Prinzen von Preußen geschlagen, die Revolution war gebrochen und mußte in kurzem völlig niedergeworfen sein. Diese Nachricht gab Herrn von Sarkow erwünschte Veranlassung, auf seine und Luiz Antonios sofortige Abreise zu dringen, da es für sie notwendig sei, sich mit ihren Freunden zu vereinigen und nach Heidelberg zurückzukehren. Die Damen widersprachen nicht, ein längerer Aufenthalt der beiden jungen Leute in Trottlingen würde ja für alle fast unerträglich geworden sein. Herr von Wartenstein stellte ihnen einen Wagen zur Verfügung, und noch am Abend des gleichen Tages machten sich beide zur großen Betrübnis des Gastwirts und der Bauern von Trottlingen auf den Rückweg nach Weinheim.

»Vorbei – alles vorbei,« jammerte Luiz Antonio verzweiflungsvoll, indem er den Kopf schwer auf Sarkows Schulter sinken ließ – »der flüchtige Tag ist versunken, vor mir liegt die Nacht, die lange, unendliche Nacht des Lebens.«

»Ja, es ist vorbei,« erwiderte Herr von Sarkow – »vorbei ist der Traum, das Erwachen ist da, und das Erwachen wird zu hellem, freudigem Leben führen. Die Kraft des Löwen regt sich, sie soll erstarken zu stolzem, siegreichem Kampf mit dem Schicksal; was auch die Herzen erschüttern mag, mein lieber Freund, hoch über unsern Häuptern leuchtet es in Sternenschrift: ›Virtus sola bonorum corona!‹«

»Virtus sola bonorum corona,« flüsterte Luiz Antonio mit leiser, von Tränen halb erstickter Stimme, während der Wagen weiter in die dunkle Nacht hinausfuhr.


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