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Früh schon hatte Herr von Sarkow die Seinigen am nächsten Morgen aufgesucht, um mit ihnen im Hotel zum Badischen Hof zu frühstücken. Man verabredete für den Tag eine Besichtigung der hauptsächlichsten Schauplätze des studentischen Lebens, für die die beiden jungen Damen ein ganz besonderes Interesse zeigten, und merkwürdig war es, daß der junge Student und Fräulein Agnes von Regenow häufig mitten in ihrer heiteren und unbefangenen Unterhaltung, in die sich manche Neckereien und alte Kindererinnerungen mischten, oft plötzlich verwirrt und flüchtig errötend verstummten, ohne daß den gewechselten Worten ein Grund für eine so augenscheinlich peinliche Verlegenheit anzumerken gewesen wäre, und zwar geschah dies fast jedesmal, wenn ihre Blicke sich begegneten – es mußte also wohl in diesen Blicken irgend eine für die beiden jungen Leute gegenseitig beunruhigende Kraft liegen, so daß sie es dann vorzogen, einander lieber gar nicht mehr anzusehen, um ungestört frühstücken und plaudern zu können. Fräulein Marie mußte dieses eigentümliche Augenspiel zwischen ihrem Bruder und ihrer Freundin, das fast auf gegenseitige Antipathie hätte schließen lassen können, sehr unterhaltend finden, denn sie lächelte zuweilen flüchtig, wenn sie die beiden ansah, während ihre blitzenden Augen listig und vergnügt funkelten, doch gab sie sich den Anschein, nichts davon zu bemerken, und brachte das Gespräch immer wieder auf die Erinnerungen und die gemeinsamen Jugendspiele zurück. Der alte Herr von Sarkow aber bemerkte in der Tat gar nichts, er frühstückte mit vortrefflichem Appetit und lenkte seinerseits das Gespräch immer wieder von dem Gebiet ab, das seine Kinder ganz vorzugsweise zu interessieren schien, indem er immer von neuem voll Zorn und Unmut auf die so glücklich niedergeworfene Revolution zurückkam und sich die Erlebnisse seines Sohnes wahrend der bewegten Zeit erzählen ließ, wobei dieser zum großen Vergnügen der beiden Mädchen sehr ausführlich bei dem Aufenthalt in der Wasserheilanstalt zu Weinheim und der Rolle, die er als postillon d'amour zwischen dem Colonel Coombe und Miß Maggins gespielt, verweilte, dagegen aber seinen Ausflug nach dem Schlosse Trottlingen völlig mit Stillschweigen zu übergehen für gut fand.
Bald aber brach er auf, um sich in das Kolleg des Herrn von Vangerow zu begeben, zu dem er seine kleine Mappe und sein Heft bereits mitgebracht hatte, und wenn auch die beiden Mädchen der Ansicht waren, daß er wohl heute seinem Fleiße Zügel anlegen und sich ihrer Gesellschaft widmen könne, so klopfte der Vater ganz freudig den Sohn auf die Schulter und schickte ihn fort, um vor allem zunächst seine akademische Pflicht zu erfüllen und wieder einzuholen, was er während der unseligen Revolutionszeit versäumt habe.
Nachdem der junge Student sich mit dem Versprechen, sogleich nach dem Schluß des Kollegs zurückzukehren, entfernt hatte, zündete sich der alte Herr eine Zigarre an und begann nochmals seinem tiefen Unmut über die Revolution Luft zu machen, zu der die Polen, Juden und Advokaten das arme, törichte Volk verführt hätten, wobei er zugleich die Hoffnung aussprach, daß dieser badische Aufstand der letzte Kopf der Hyder gewesen sei und daß dieselbe nun durch das von dem Prinzen von Preußen so siegreich geführte königliche Schwert für immer niedergeworfen sein möge.
Während dieses laut geführten politischen Selbstgesprächs, das für die leise miteinander flüsternden und lachenden jungen Mädchen sehr wenig Interesse zu haben schien, war bereits zweimal leise an die Tür geklopft wurden, ohne daß der lebhaft bewegte alte Herr es bemerkte. Als endlich Fräulein Marie laut »Herein!« rief, trat mit freundlichem und verbindlichem Lächeln und tiefer Verbeugung Herr Salomon Nürnberger in das Zimmer. Der alte Herr von Sarkow sah ihn äußerst verwundert an, er begriff nicht, wer ihn in Heidelberg besuchen möchte, und schien an irgend ein Mißverständnis zu glauben; Nürnberger aber näherte sich ihm mit immer freundlicherem Lächeln und immer tieferen Verbeugungen, während die jungen Mädchen neugierig und erwartungsvoll den unbekannten Besuch betrachteten.
»Habe ich die Ehre, den Herrn Baron von Sarkow zu begrüßen,« fragte Nürnberger, »den Herrn Vater von unserm vortrefflichen und ausgezeichneten Herrn Saxoborussen, der zweiter Chargierter geworden ist im Corps, seit der Lord Fitzgerald hat fortgehen müssen und nicht wiedergekommen ist?«
»Ich bin der Kammerherr von Sarkow,« sagte der alte Herr von Sarkow, indem er mit kalter Zurückhaltung Nürnbergers tiefe Verbeugungen mit einem kurzen Kopfnicken erwiderte. »Was wünschen Sie?«
»Ich wünsche nur,« erwiderte Nürnberger, »dem Vater eines so ausgezeichneten Sohnes meinen Respekt zu beweisen und meine Freude auszusprechen, daß der Herr Kammerherr nach Heidelberg gekommen sind – verzeihen Sie, wenn ich nicht gleich Ihnen gegeben habe den rechten Titel – was müssen Sie für eine Freude haben über Ihren Sohn, Herr Kammerherr – so ein feiner junger Herr und so fleißig, und hat so viel Verständnis für alte Kunstsachen – das ist nämlich mein Geschäft, Herr Baron – Herr Kammerherr; meine Sammlung ist berühmt, weit berühmt, und ich bin gewiß, Sie werden nicht an meinem Magazin vorbeigehen, Sie können nirgends wiederfinden eine so vortreffliche Auswahl als bei mir – Ihr Herr Sohn kann Ihnen das sagen, er kennt mich und weiß mich zu schätzen, und ich bin stolz darauf – hat er doch erst neulich von mir gekauft einen prachtvollen Dolch, der gehört hat der Königin Katharina von Medici und auch einen alten Säbel des Sultans Soliman, den der Rauchthaler gehabt hat, ein gewöhnlicher Mensch,« sagte er achselzuckend, »der Rauchthaler, vor dem ich den Herrn Kammerherrn warnen muß – es ist ein Zufall gewesen, daß er gefunden hat den Säbel vom Sultan Soliman – ich habe es nicht glauben wollen, weil es beinahe nicht möglich ist, daß der Rauchthaler etwas Gutes haben kann, aber der Herr Baron, Ihr Herr Sohn, hat es doch erkannt, daß es ein echter Säbel gewesen ist, der Zufall hat ihn dem Rauchthaler in die Hände gespielt, und der Herr Baron hat ihn zu teuer bezahlt, viel zu teuer – nun aber er hat ihn jetzt, er wird ihn vielleicht aber wieder abgeben an den Prinzen Mirza Schaffi – bloß aus Großmut, weil der Prinz ein Nachkömmling ist von dem großen Sultan – und das beste, was ich entdecke von alten, seltenen Kunstsachen, das biete ich immer zuerst Ihrem Herrn Sohn an, weil es ist ein so vortrefflicher Herr und es zu würdigen weiß, und wenn er mir die Sachen abnimmt, so gebe ich sie immer für den Einkaufspreis, den sie mich selbst gekostet haben. Sehen Sie, Herr Baron, so habe ich die Ehre zu stehen mit Ihrem Herrn Sohn – nicht wahr. Sie werden kommen in meinen Laden und werden mitnehmen etwas zum Andenken an Heidelberg, um Ihr Schloß auszuschmücken – ich habe so schöne Rüstungen für einen großen Rittersaal und schöne Uhren von Genf und von Nürnberg für die gnädigen Fräuleins da, – aber was spreche ich da viel, der Herr Kammerherr werden kommen und werden sehen und werden finden, daß es nur ein Geschäft gibt für wirkliche Kunstschätze, und das ist der Nürnberger in Heidelberg.«
Der alte Herr von Sarkow hatte zuerst in tiefer Verwunderung und mit weit geöffneten Augen dem eifrig sprechenden Nürnberger zugehört, dann aber hatte sich sein Gesicht immer mehr verfinstert.
»Ich bin nicht nach Heidelberg gekommen,« sagte er streng und kalt, als Nürnberger endlich innehielt, »um alte Kunstsachen zu kaufen, und ich habe keine Rittersäle, um Ihre alten Rüstungen darin aufzustellen – doch,« fuhr er dann forschend fort, »Sie sprachen da von einem alten Säbel des Sultans Soliman, sagen Sie mir doch, was hat es damit für eine Bewandtnis, mein Sohn hat ihn gekauft, sagten Sie, und zu teuer?«
»Viel zu teuer, viel zu teuer, Herr Kammerherr!« rief Nürnberger, die Hand auf die Brust legend, »hat er doch, wie ich glaube mich zu erinnern, ihn mit zweihundert Gulden bezahlt – nun, er sagt, daß er echt ist, und er muß es wissen, aber schwören will ich darauf, daß der Rauchthaler nicht mehr gegeben hat dafür als vierzig – dreißig – sagen wir zwanzig.«
»So, so!« fiel Herr von Sarkow ein; »und dann sprachen Sie von einem Florentiner Dolch.«
»Ah!« rief Nürnberger, »das ist etwas andres, der ist echt, ganz echt, hat mich selbst gekostet hundertundfünfzig Gulden, und ich habe auch dem Herrn Baron nicht abgenommen einen Heller mehr, als was ich selbst habe dafür gegeben.«
»So, so!« wiederholte der alte Herr; »und,« fuhr er dann fort, »Sie sagten, mein Sohn sei ein guter Kunde und mache öfter Geschäfte mit Ihnen.«
»Ein vortrefflicher Kunde, ein vortrefflicher Kunde,« sagte Nürnberger, »wenn ich auch freilich bei meinen Geschäften nichts habe als die Ehre, so einem ausgezeichneten, feinen und vornehmen jungen Herrn etwas Schönes zu verschaffen an alten chinesischen Pagoden und Meißner Porzellan und Dolchen und spanischen Degen – ich habe da gleich ein paar wunderschöne Sachen mitgebracht, da ich gehört habe, daß der Herr Kammerherr bei sich haben ein paar junge Fräuleins, und da habe ich kleine Uhren von Nürnberg, sie sind eigne Arbeit von Albrecht Dürer, der sie gemacht hat für die Kaiserin Maria Theresia, und kleine Dolche von Michel Angelo Benvenuto, und Broschen und Kettchen von Buonaroti Cellini, ich bin ganz gewiß, daß die gnädigen Fräuleins werden etwas davon befehlen.«
Er zog einen Sammetbeutel hervor und trat zu den beiden Mädchen heran, um die mitgebrachten kleinen Sachen vor ihnen auf einem Tisch auszubreiten.
Während der alte Herr von Sarkow noch in finsterem Sinnen dasaß, öffnete sich nach starkem Klopfen die Tür zum zweitenmal. Der Porzellanmaler Lieber trat ein, ging auf Herrn von Sarkow los, erfaßte, ehe dieser sich von seinem Erstaunen erholen konnte, dessen Hand und schüttelte sie kräftig und nachdrücklich so lange, bis der alte Herr endlich unwillig aufsprang und einen Schritt zurücktrat.
»Donnerwetter!« rief Lieber, »das muß wahr sein, unter Tausenden hätte ich Sie herausgekannt, ganz das Gesicht von Ihrem Sohne – etwas hat er wohl auch noch von der Frau Mutter und von den Fräulein Schwestern da, aber in der Hauptsache ist er doch der Vater – ganz der Vater – ich wünsche Ihnen Glück, Herr Baron,« sagte er feierlich, mit dem Ausdruck einer gewissen wohlwollenden Teilnahme – »ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrem Sohn, ein ausgezeichneter junger Mann, eine Zierde der Ruperto-Carolina – und ein Wappen hat er – weiß Gott, Herr Baron, so ein Wappen ist gar nicht wieder zusammenzustellen, es ist eine wahre Pracht auf einer großen Teetasse – auf einer Zuckerdose sieht es noch besser aus – Donnerwetter, wie muß sich das gemacht haben auf dem Schilde der Kreuzfahrer – einer Ihrer verehrten Herren Vorfahren war ja dabei, als Gottfried von Bouillon nach Jerusalem zog. Nun, Sie werden ja zu mir kommen, ich habe gerade ein prachtvolles Teebrett mit der Ansicht vom Schloß in der Abendbeleuchtung, – ich weiß, Sie werden sich das nicht entgehen lassen, und dann ein ganzes Service mit den Wappen; Sie werden ja sehen, wie schön sich das macht bei den Freunden von Ihrem Herrn Sohn.«
»Zum Teufel, mein Herr!« rief der alte Herr von Sarkow endlich aufbrausend, während die beiden Mädchen ganz entzückt die reizenden kleinen Handelsgegenstände Nürnbergers besichtigten – »zum Teufel, mein Herr, wer sind Sie und was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Ich bin Lieber,« erwiderte der Porzellanmaler im Tone strafenden Vorwurfs – »Lieber, der alle Wappenservice für die Herren Saxoborussen gemalt hat seit langen Jahren – sollte Ihr Herr Sohn vergessen haben, Ihnen von mir zu schreiben? – nun freilich,« sagte er kopfschüttelnd, »er hat Sie vielleicht überraschen wollen mit seinem schönen Service.«
»Was wollen Sie mit Ihrem Service?« sagte Herr von Sarkow; »jetzt wird es mir zu toll – jener Mensch dort kommt mir mit Dolchen und Türkensäbeln und Sie mit Servicen – was soll das alles heißen?«
»Das soll heißen, mein Herr Baron,« erwiderte Lieber, sich würdevoll aufrichtend, »daß es nur ein Heidelberg in der Welt gibt und in Heidelberg nur einen Porzellanmaler, und dieser Porzellanmaler ist Lieber, Ihr gehorsamster Diener, der hier vor Ihnen steht.«
»Und Sie haben für meinen Sohn ein Service gemalt?« fragte der Kammerherr.
»Ein prachtvolles Service!« rief Lieber; »das heißt, er behält ja seine Wappentassen nicht, er schenkt sie seinen Freunden und erhält dafür die ihrigen, und auf der Untertasse steht die Dedikation, das ist so alter Brauch; außerdem aber hat er auch schöne Sachen, sehr schöne Sachen, Ansichten von Heidelberg, vom Riesenstein, auch Tassen und Tabakskasten; o, Sie werden sich freuen über die Sammlung von dem jungen Herrn Baron.«
Der alte Herr von Sarkow machte ein Gesicht, als ob er durchaus nicht zu der ihm zugemuteten Freude geneigt sei; aber ehe er noch eine Antwort geben konnte, wurde abermals an die Tür geklopft, und Rauchthaler vor sich herstoßend, trat der rote Schiffer, seine S.C.-Mütze auf dem Kopf, die Aermel seines frisch gewaschenen Hemdes weit über die roten Arme zurückgestreift, in das Zimmer.
»Hurra!« rief er – »Hurra – der Vater von unserm zweiten Chargierten von den Herren Saxoborussen soll leben – hoch – hoch – dreimal hoch, und die Fräuleins daneben, die Schwestern von dem Herrn Baron oder vielleicht die Liebste – ein ausgezeichneter junger Mann, wir können viel Hoffnung auf ihn setzen, und der rote Schiffer trinkt einen Schoppen auf das Wohl der ganzen Familie.«
Er trat zu dem Frühstückstisch, goß den in einer geschliffenen Karaffe befindlichen goldgelben Sherry in ein großes Wasserglas und leerte dasselbe auf einen Zug, indem er zuerst dem in sprachlosem Erstaunen dastehenden Herrn von Sarkow und dann den beiden jungen Mädchen mit freundlicher Beschützermiene zugenickt hatte.
Nürnberger eilte schnell zu Herrn von Sarkow hin und flüsterte ihm zu:
»Nehmen Sie sich in acht, Herr Baron – Herr Kammerherr – das ist der Rauchthaler, von dem ich Ihnen gesagt und dem einmal der Zufall den Säbel des Sultans Soliman in die Hände gespielt – so etwas kommt nicht zum zweitenmal vor, er hat nichts, sage ich Ihnen, nichts, nehmen Sie sich in acht, denn Sie werden angeführt sein für schweres Geld«.
»Ja,« sagte der rote Schiffer, indem er mit einem tiefen Atemzug das geleerte Glas auf den Tisch setzte, und auf den über die sonderbare Art seines Eintritts noch ganz verwirrten Rauchthaler deutend – »das ist der Rauchthaler, Herr Papa, ich fand ihn vor der Tür stehen und horchen, ob nicht 'Herein' gerufen würde, da habe ich ihn denn gleich mitgenommen, und da ist er. Nun scheint es mir, daß es wohl eine väterliche Pflicht von Ihnen wäre, dem roten Schiffer einen guten Schoppen Affenthaler kommen zu lassen oder auch zwei –«
»Ist denn hier ein Tollhaus!« rief Herr von Sarkow – »wie ist es möglich, daß die Kellner hier alle diese Menschen eindringen lassen – verlassen Sie auf der Stelle mein Zimmer, ich will von all diesen Tollheiten nichts mehr hören – leider,« flüsterte er halblaut vor sich hin, »werde ich noch zu viel davon zu hören haben. Hinaus!« rief er heftig, als keiner von der Gesellschaft Miene machte, sich zu entfernen – »hinaus auf der Stelle, oder ich werde mein Hausrecht zu wahren wissen!«
»Herr Baron!« rief Nürnberger, »die gnädigen Fräuleins haben schon ausgewählt – hier eine Uhr von Albrecht Dürer und dann den Dolch der Königin Kleopatra, mit dem sie den Agamemnon ermordet hat, ein Meisterstück von Michel Angelo Cellini.«
»Hinaus!« donnerte Herr von Sarkow, »oder ich lasse die Polizei rufen.«
Er ging zur Tür hin, öffnete dieselbe und streckte zugleich die Hand nach der Tür aus, zornige Entschlossenheit lag auf seinem Gesicht. Rauchthaler, der gar nicht zu Wort gekommen war, entwich zuerst. Nürnberger raffte schnell seine Sachen zusammen und rief, indem er über die Schwelle eilte:
»Sie werden es bereuen, Herr Baron, ich hätte Ihnen alles gegeben zum Einkaufspreis, aber wenn Sie werden kommen und Ihr Unrecht gut machen, dann werde ich's nicht mehr können, dann werde ich's müssen machen wie die berühmte Sibylle Lukretia mit ihren Büchern, die sie hat verkauft dem Könige Pompilius Superbus.«
»Ich habe mich geirrt,« sagte Lieber, indem er mit finsteren Blicken an Herrn von Sarkow vorüberschritt, »es ist doch keine Ähnlichkeit vorhanden, gar keine Ähnlichkeit.«
Der rote Schiffer blieb einen Augenblick vor dem alten Herrn stehen, streckte beschwörend seinen rotbraunen, muskulösen Arm gegen ihn aus und sagte:
»Pfui, Herr Baron, pfui! Das ist nicht hübsch von Ihnen, Sie haben es gar nicht verdient, daß der liebe Gott Ihnen einen solchen Sohn gegeben; aber der rote Schiffer ist großmütig, er wird doch seinen Schoppen Affenthaler trinken auf Ihre Besserung.«
Der alte Herr von Sarkow trat flammenden Blicks einen Schritt vor, der rote Schiffer duckte sich mit einem eigentümlichen Ton, der halb unmutiges Knurren, halb unterdrücktes Lachen war, und eilte, die Tür heftig ins Schloß werfend, hinaus.
Der alte Herr warf sich ganz erschöpft in seinen Sessel.
»Wer waren diese Menschen?« rief er unwillig, – »welche Tollheiten treibt der Junge? Ist denn in dieser Universitätsstadt alles von den Studenten um den Verstand gebracht?«
Der Kellner trat ein, um den Frühstückstisch abzudecken, zornig befahl der alte Herr von Sarkow, daß man niemand mehr zu ihm einlassen solle, – niemand, wer es auch sei; – der Kellner versprach pünktliche Befolgung dieses Befehls – aber als er die Tür öffnete, um mit seinem großen Präsentierbrett in der Hand hinauszugehen, schlüpfte Schreckenberger an ihm vorüber in das Zimmer und begrüßte den alten Herrn mit einer ehrerbietigen Verbeugung, aber zugleich mit dem vertraulichen Lächeln eines alten Bekannten.
»Ich weiß, was es heißt,« begann er, den Inhalt seines großen Sammetbeutels auf dem Tische ausbreitend, ohne auf die Winke des Kellners zu achten, – »ich weiß, was es heißt, von einer langen Reise anzukommen, ohne daß man dem Kopf und dem Haar die kosmetische Pflege hat gönnen können, die dem edelsten Teile des Menschen gebührt, – der Herr Baron, mein bester Kunde, würde es nie verzeihen, wenn ich seinen Herrn Vater in einem Zustande ließe, der die Gesundheit des Körpers zerstört und den Geist in Barbarei versinken läßt, – denn es ist eine Lehre der Weltgeschichte, daß die Pflege des Kopfes und des Haares mit der steigenden Kultur Hand in Hand geht – der wilde Indianer, der Buschmann, – der Hottentotte –«
»Wieder ein Tollhäusler!« rief der Kammerherr von Sarkow wütend – »der Indianer, der Buschmann und der Hottentotte sind Herren in ihren Häusern, und wenn es auch nur Hütten und Höhlen sind, – Kellner, machen Sie mein Zimmer frei oder ich verlasse das Hotel.«
»Es ist der Friseur,« sagte der Kellner mit entschuldigendem Achselzucken.
»Ich bin Schreckenberger,« fiel der Haarkünstler mit Würde ein. – »der Herr Baron wußte nicht, daß ich Schreckenberger bin, ich hatte vergessen, mich vorzustellen,« fügte er, erläuternd zu dem Kellner gewendet, hinzu, indem er demselben andeutete, daß er ruhig hinausgehen könne, und zugleich den weißen Frisiermantel ausbreitete, um ihn dem alten Herrn über die Schultern zu werfen.
»Nun,« sagte dieser ein wenig freundlicher, indem er mit der Hand über seinen Kopf fuhr, – »dieser ist wenigstens noch der Vernünftigste von der ganzen Gesellschaft, – der Gedanke ist so übel nicht, – mein Haar ist etwas lang geworden und etwas verstaubt von der Reise, – nehmen Sie es immerhin in Ihre Behandlung, das wird mich ein wenig erfrischen.«
Schon hatte Schreckenberger dem Kammerherrn den weißen Mantel über die Schultern geworfen und begann sein Werk.
»Hier, Papa,« sagte Fräulein Marie, »der sonderbare Antiquar hat vorhin diesen kleinen Dolch hier liegen lassen, – es ist ein reizendes Stück, die goldene Scheide ist ein Wunderwerk von Ziselierung – Agnes findet es so außerordentlich hübsch, – möchtest du ihr die niedliche Waffe nicht schenken?«
»Unsinn!« rief der Kammerherr mürrisch, ohne seinen unter Schreckenbergers Händen befindlichen Kopf seitwärts zu wenden, – »verzeihen Sie, liebe Agnes,« fügte er entschuldigend hinzu, – »ich würde Ihnen gern ein Andenken von Heidelberg anbieten, aber diesen zudringlichen Menschen etwas abzukaufen, – das wäre Tollheit – ah – zum Teufel!« rief er, schmerzhaft zusammenzuckend. – »Nehmen Sie sich in acht, mein Herr, Sie haben mir meine Haare ausgerissen, und ich habe nicht mehr zu viel davon.«
»Der Herr Baron haben zu viel gesprochen und sich zu viel bewegt,« sagte Schreckenberger kaltblütig; – »der Herr Papa wird später den Dolch ansehen, meine gnädigsten Damen,« fügte er, mit Beschützermiene zu Fräulein Marie gewendet, hinzu, indem er sich, ohne seine Beschäftigung zu unterbrechen, vor den Mädchen verneigte, die ganz niedergeschlagen das Zimmer verließen.
Er wusch und salbte nach allen Regeln seiner viel gepriesenen Kunst den Kopf des alten Herrn, und obgleich dieser durch die wohltätige Einwirkung der an ihm vollzogenen Operation sichtlich freundlicher gegen den gesprächigen Friseur gestimmt wurde, so unterließ er doch nicht, sich scheinbar gleichgültig nach dem Leben und Treiben seines Sohnes zu erkundigen. Wenn auch Schreckenberger den Fleiß des jungen Herrn rühmend hervorhob, so waren doch die verschiedenen Taten der Saxoborussen, die der Friseur in der Voraussetzung, dem alten Herrn besondere Freude zu machen, erzählte, augenscheinlich nicht nach dessen Geschmack. Auch schüttelte er trotz Schreckenbergers Mahnung mehrmals ganz bedenklich den Kopf, als dieser ihm die verschiedenen Essenzen und Oele nannte, die sein Sohn mit Vorliebe zu seiner Toilette verwenden ließe und deren Preis er trotz dem gleichgültigen Hinweggleiten des Friseurs über diesen Punkt kategorisch zu wissen verlangte.
Auf die Frage nach seiner Rechnung erwiderte Schreckenberger, der schnell seine Gerätschaften zusammengepackt hatte, mit dem verbindlichsten Lächeln:
»Bemühen sich der Herr Baron nicht, – ich werde mir erlauben, die Kleinigkeit auf die Rechnung des Herrn Sohnes zu setzen.« Und schnell war er, sich auf der Schwelle noch einmal tief verbeugend, verschwunden.
»Auf die Rechnung meines Sohnes, – das ist in der Tat stark!« rief der Kammerherr, unwillkürlich laut auflachend, – »ich fürchte, ich werde diese kosmetische Gastfreundschaft des tollen Jungen teuer bezahlen müssen – es scheint sich da ein böser Abgrund vor meinen Füßen zu öffnen, Gott gebe nur, daß er nicht zu tief ist und daß der leichtsinnige Mensch nicht in Wucherhände gefallen ist.«
Finster und verstimmt ging er im Zimmer auf und nieder, als sein Sohn, strahlend von Heiterkeit und Lebenslust, wieder zurückkehrte. Er erschrak, als er des Vaters ernsten Blick bemerkte.
»Ich habe ernsthaft mit dir zu sprechen,« begann dieser ohne Einleitung, »setze dich her – die Mädchen sind fort, – wir können den Augenblick benutzen.«
Beide setzten sich auf das Sofa, und der Vater erklärte dem etwas befangenen Sohn, daß er beschlossen habe, ihn zum Schluß des Semesters von Heidelberg zurückzurufen. Er selbst sei von seinem Kreise als Deputierter zur Kammer gewählt, und da er in dieser schweren und ernsten Zeit jeden guten Royalisten für verpflichtet halte, seine Kräfte dem Könige und dem Lande zu widmen, um auf dem einmal betretenen konstitutionellen Wege so gesunde Zustände als möglich herbeizuführen, so werde er nicht mehr so eingehend als bisher sich um die Verwaltung seiner Güter kümmern können. Er wünsche daher, daß sein Sohn so schnell als möglich seine Studien beende, um sich der Bewirtschaftung seines künftigen Erbes anzunehmen und sich zugleich mit den Kreisangelegenheiten zu beschäftigen, da bei dem bald bevorstehenden Rücktritt des alten Landrats seine Wahl zu dessen Nachfolger gesichert sei.
So sehr nun auch der junge Mann gewünscht hätte, noch länger in dem schönen Heidelberg zu bleiben und das weißgrün-schwarzweiße Band in freudiger Jugendlust und ernster Vorbereitung für die Kämpfe des Lebens zu tragen, so erfüllte ihn doch die Aussicht auf eine klar vorgezeichnete Bahn reicher und ehrenvoller Tätigkeit mit stolzer Genugtuung – auch gingen die meisten seiner Freunde im Herbste fort, so daß der gewohnte und liebe Kreis sich ohnehin auflösen mußte. Er küßte daher dankbar die Hand seines Vaters und erklärte sich ohne Zögern bereit, dessen Wünschen zu folgen.
»Ich hoffe,« sagte der alte Herr mit forschendem Seitenblick, »du hast keine Verpflichtungen, die deinem Abgange entgegenstehen oder mir wenigstens diesen schwierig und peinlich machen, – ich habe da einige ganz eigentümliche Besuche gehabt – einen Kunsthändler, der mir von Katharina von Medicis und Benvenuto Cellini vorschwatzte, – einen Porzellanmaler, der mir ein Wappenservice malen wollte, und einen ganz Verrückten, der wie ein Tierbändiger aussah, – diese Leute haben mir von Einkäufen erzählt, die mir für einen Studenten ein wenig sonderbar erschienen sind.«
Der junge Mann mußte hell auflachen. – »Nürnberger war hier – und Lieber – und der rote Schiffer? – Das ist zu unverschämt – aber du wirst dich gewiß ungemein amüsiert haben –«
»Das kann ich eben nicht sagen,« bemerkte der alte Herr trocken.
Seines Sohnes Gesicht färbte sich mit dunkler Röte.
»Ja,« sagte er, – »ich muß gestehen, daß ich meinen Etat ein wenig überschritten habe, man kommt hier so wenig zum Rechnen, und das unruhige Leben während der Revolution hat viel Geld gekostet – ich wollte dir das später schreiben, – aber da du nun fragst – so –«
»Das ist sehr unrecht – sehr unrecht!« rief der Kammerherr aufstehend, – »du weißt, Karl, daß ich nicht geizig bin – aber ich liebe die Ordnung – die Ordnung hält die Welt und das Haus der einzelnen zusammen – Schulden sind mir verhaßt, ich habe auch als junger Offizier niemals Schulden gemacht, und ich bin sehr unzufrieden – sehr unzufrieden, Karl, daß du mir diese unangenehme Ueberraschung bereitet hast.«
»Verzeih – mein Vater,« bat der junge Mann, – »es gibt ja nur ein Heidelberg – laß keinen Schatten auf den schönen Sonnenblick der Jugend fallen, dessen Strahl ich mir rein bewahren möchte für die Erinnerung meines Lebens!«
»Du weißt wohl, daß ich nicht hart bin und Torheiten verzeihe, solange sie eben nur Torheiten sind, – aber diese Sache ist mir dennoch unangenehm – äußerst unangenehm. Stelle mir die Rechnungen zusammen, ich werde dann sehen, wie ich die Sache arrangiere, die mir nicht so leicht wird, als du vielleicht denken magst.«
Er verließ den Salon, um sich nach seinem Wohnzimmer zu begeben, indem er die Tür stark hinter sich zuwarf und seinen Sohn in peinlicher Bestürzung zurückließ.