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Also noch einmal die Frage: wie weit bestimmt die Geschlechtsdifferenzierung das Wesen und Sein des Einzelnen? Es gibt der Hauptsache nach dreierlei Methoden, durch die eine Antwort darauf gesucht wird: die philosophische, die das Problem auf spekulativem Wege durch Geschlechtsmetaphysik entscheiden will; die historische, die sich an die Einrichtungen der Vergangenheit hält, um aus ihnen Schlüsse über das zu ziehen, was die Geschlechter vermöge ihrer besonderen Eigenart aus dem Leben machen, und die physiologische, die aus körperlichen Vorgängen die seelischen Phänomene nach dem Verhältnis von Ursache und Wirkung erklärt.
Als einer der geistvollsten Repräsentanten der ersten Methode ist seit dem Erscheinen der »Kritik der Weiblichkeit« Georg Simmel hervorgetreten. Er geht von der grundsätzlichen Polarität der Geschlechter aus; in seinen Ausführungen über »das Relative und das Absolute im Geschlechterproblem« gelingt es ihm mit feinster psychologischer Analyse, die empirische Erscheinung der Geschlechter in ihrer Mannigfaltigkeit seiner Geschlechtsmetaphysik unterzuordnen.
Daß Simmel versucht, das typisch Weibliche dem typisch Männlichen als gleichberechtigt gegenüberzustellen, unterscheidet ihn vorteilhaft von vielen seiner Vorgänger; haben doch die Frauen selbst ihre Gleichberechtigung durch Annäherung an das Denken und Tun des Mannes zu erweisen gesucht! Nach Simmels Auffassung würde auf diesem Wege die Frau immer als das schwächere, unbedeutendere Wesen erscheinen, solange sie die gleichen Aufgaben wie er zu erfüllen, im Leben der Menschheit die gleiche Stellung einzunehmen hätte. Denselben menschlichen Rang wie der Mann kann sie nur behaupten, wenn sie ein radikal von ihm verschiedenes Wesen darstellt. In der Umschreibung dessen, was sie in dieser radikalen Verschiedenheit ist, erkennt man aber trotz der neuen Terminologie alsbald die Grundzüge der alten Norm, die der Frau das in sich geschlossene, harmonische Sein, dem Manne das in Willensrichtung und Triebrichtung gespaltene, auf das Wirken nach außen eingestellte Werden als Wesenheit zuspricht. Was da von der weiblichen Wesenheit ausgesagt wird, leidet, mit der Wirklichkeit verglichen, wie die meisten Generalisierungen an der Verwechslung eines subjektiven Idoles mit realen Erscheinungen. Daß die Frau die Wahrheit unmittelbar durch Instinkt ohne logische Beweise zu ergreifen vermag, daß sie will, was sie soll, daß ihre Triebe mit dem sittlichen Imperativ von Natur aus übereingestimmt sind: in wie vielen Variationen haben die Frauen – insbesondere die deutschen, die mit Vorliebe in Gespenster der philosophischen Spekulation verwandelt werden – diese Aussagen schon vernommen! Wenn sie sich daraufhin einbilden wollten, daß sie wirklich die Wahrheit als eine Instinkttatsache, die keiner Beweise bedarf, in sich tragen, was für ein unausstehlicher Unfehlbarkeitsdünkel müßte bei ihnen einreißen! Allerdings bleibt nach Simmel ihr ganzes Tun und Sein immer an ihre Geschlechtlichkeit gebunden, von der sie zwar rein physisch unabhängiger sind als der Mann, aber doch durch sie in allen Wesensäußerungen bestimmt. Daraus folgt, daß das Frauentum trotz seiner inneren Absolutheit, die »übergeschlechtlich objektive Welt, die theoretische und die normative, die dem Ich gegenübersteht«, die Welt, die durch Ideen bewegt wird, dem männlichen Prinzip zu stiften überlassen muß. Die Frauen hätten also nicht teil an dem, was das Höchste und Auszeichnendste der menschlichen Gattung ist – an dem ideenbildenden Vermögen, der Grundkraft der Kultur.
Es liegt eine besondere Ironie darin, daß diese Ausführungen eine an Logik und psychologischer Feinheit ebenbürtige Widerlegung durch eine Frau – in der Abhandlung über »die Frau und die objektive Kultur« von Marianne Weber – erfahren haben; sie kommt zu dem Schlusse, daß »von der durchgebildeten metaphysischen Idee einer radikalen Polarität der Geschlechter« kein folgerichtiger Weg zur Anerkennung dessen führt, was die einzelne Frau objektiv, das heißt in Hingebung an eine Sache oder Idee, gleichviel ob sie von ihr geschaffen oder bloß ergriffen wird, zu bedeuten vermag.
Die Polarität, die sich an allen Lebenserscheinungen zeigt, wird viel zu grob, zu oberflächlich, zu schematisch gefaßt, wenn man sie in Mann und Weib als empirischen Wesen erblicken will. In der Persönlichkeit selbst wirkt die Polarität auf mannigfaltige Weise; je höher sich jene entwickelt, desto mehr tritt die generelle Geschlechtspolarität hinter anderen Eigenschaften zurück (siehe Kritik der Weiblichkeit, Perspektiven der Individualität). Abschließende Worte vom philosophischen Standpunkt aus hat über die Geschlechtsmetaphysik Hermann Keyserling in seinem »Reisetagebuch eines Philosophen« gesprochen, wo er sagt, man dürfe bei der Entgegengesetztheit, von Mann und Weib nicht verweilen, sonst zerrinne ihre Wahrheit wie ein Wolkengebilde. »Es sieht so aus, als ob die Polarität der Geschlechter ein absolut Wirkliches wäre. Genauer und tiefer betrachtet, hält nicht allein ihr vorausgesetzter Sinn, sondern die Tatsache selbst nicht Stich. Es geht nicht an, in den polaren Tatsachen Absoluta zu sehen, wie dies von Empedokles ab bis auf Schelling und über diesen hinaus immer wieder geschehen ist. Was, in der Tat, bezeichnet die Grundeigentümlichkeit des Weiblichen dem Männlichen gegenüber? Daß jenes nur nach vorhergehender Empfängnis schaffen kann. Ist dem aber so, dann sind nicht allein sämtliche Künstler Weiber, alle Denker und Philosophen, sondern auch die männlichsten unter den Männern: die Genies der Tat ... Jeder Mensch ist eine Synthese von Männlichkeit und Weiblichkeit und kann je nach Umständen als Mann oder als Weib in die Erscheinung treten.«
Verzichten wir endlich darauf, hinter der empirischen Erscheinung der Geschlechter etwas wie eine platonische Idee als apriorisches Gesetz ihres Wesens nach dem Geschlechtsunterschied zu entdecken; alle solche metaphysischen Versuche scheitern ja doch an der empirischen Tatsache der individuellen Differenzierung. Was der metaphysischen Spekulation über die absolute Geschlechtspolarität immer in die Quere kommt, die Abweichung der Individualität von dem Geschlechtstypus, das läßt sich durch physiologische Theorien widerspruchslos als Problem lösen. Die moderne Physiologie erblickt in der psychischen Eigenart des einzelnen eine Wirkung der Drüsenkorrelation. Darunter ist das Zusammenwirken aller im Organismus vorhandenen Drüsen zu verstehen, deren Sekretion sich im Innern vollzieht. Ihre Produkte, die sogenannten Hormone, bestimmen die chemische Zusammensetzung des Organismus; sie sind es auch, die in hohem Grade seine psychischen und intellektuellen Leistungen beeinflussen, wie das Beispiel der Schilddrüse zeigt, deren pathologische Veränderung Kretinismus bewirkt. Aus dem jeweilig größeren oder kleineren Anteil einzelner Hormone erklärt sich die Individualität und ihre Abweichung von dem fiktiven Typus.
Mit Nutzanwendung auf die Geschlechtsdifferenzierung darf man den Schluß ziehen, daß die Individualität dem Grade ihrer Geschlechtlichkeit nach durch das Verhältnis bestimmt wird, in dem die Gesamtheit der inneren Sekretion zu jener der Geschlechtsdrüse steht. Das weiblichste Weib und der männlichste Mann wären solchergestalt Ergebnis einer Säftemischung, in der die Geschlechtshormone unverhältnismäßig überwiegen, oder mit anderen Worten: die äußersten Pole der Männlichkeit und Weiblichkeit werden dann erreicht, wenn die Hormone der Geschlechtsdrüsen das stärkste Übergewicht im gesamten Chemismus besitzen.
Es war schon eine alte Beobachtung, daß durch die Entfernung der Geschlechtsdrüsen, die Kastration, eine Annäherung an den entgegengesetzten Geschlechtstypus herbeigeführt wird; eine experimentelle Erweiterung hat diese Tatsache durch die Steinachschen Versuche gefunden. Sie zeigen, daß die den Geschlechtsunterschied begleitenden körperlichen und seelischen Eigenschaften das Produkt einer Drüse sind, die, in einen andersgeschlechtlichen Organismus verpflanzt, alle spezifischen Begleiterscheinungen des Geschlechts, das ihre Funktion ist, hervorruft. Das männliche Wesen verweiblicht sich, das weibliche vermännlicht sich unter ihrem Einfluß. In dieser Drüse, der Steinach den Namen Pubertätsdrüse gibt, weil sie erst im Alter der Pubertät zu funktionieren beginnt, wäre die Quelle für die beiden verschiedenen Grundstoffe zu suchen, welche die Geschlechtsdifferenzierung bewirken.
Doch ist das Rätsel der Geschlechtsdifferenzierung an sich damit nicht völlig aufgeklärt; die chemischen Grundstoffe der Geschlechtsdrüsen erscheinen merkwürdigerweise nicht auf das durch sie gekennzeichnete Geschlecht beschränkt. Nach Professor de Poehl, einem der hervorragendsten Vorkämpfer der Drüsentherapie, ist das spezifische Produkt, das er aus der Geschlechtsdrüse männlicher Tiere gewinnt, das Spermin, im Chemismus des Blutes auch bei dem weiblichen Geschlechte nachweisbar, und nach der Theorie von Wilhelm Fließ finden sich die beiden polaren Stoffe sowohl im männlichen wie im weiblichen Organismus, so daß gegebenenfalls der männliche Grundstoff in der weiblichen Person überwiegen kann, wie auch umgekehrt.
Diesen physiologischen Ergebnissen, aus denen die Macht der individuellen Differenzierung gegenüber der sexuellen verständlich wird, hat sich eine »Neubegründung der Psychologie von Mann und Weib« gesellt, die einen historischen Faktor von bisher nach dieser Richtung nicht beachteter Wichtigkeit zur Erklärung heranzieht: die Wirkung der Machtstellung auf die Psyche. Dr. Mathias Vaerting und seine Frau Dr. Mathilde Vaerting kommen, indem sie »die weibliche Eigenart im Männerstaat und die männliche Eigenart im Frauenstaat« zum Gegenstand einer psychologischen Analyse machen, zu dem überraschenden Ergebnis, daß die vermeintlich so tief in der Konstitution wurzelnde Eigenart der Geschlechter bloß eine Begleiterscheinung der Herrschaft ist. Es ergibt sich von diesem Standpunkt der Betrachtung aus das Grundgesetz, »daß die heutige weibliche Eigenart in ihren Hauptlinien durch den Männerstaat bestimmt wird und ihre genaue und vollkommene Parallele hat in der männlichen Eigenart im Frauenstaat ... Die eingeschlechtliche Vorherrschaft weist dem herrschenden Geschlecht stets die gleiche Stellung an, ob es weiblich oder männlich ist.« An der Hand historischer und ethnologischer Beispiele zeigen die Verfasser, daß alles, was wir als unterscheidende Grundeigenschaften der Geschlechter zu betrachten gewohnt sind, selbst die unmittelbar mit der geschlechtlichen Konstitution zusammenhängenden, wie die Neigung der Frauen zur Häuslichkeit, zur Kinderpflege, zur Unterordnung unter einen stärkeren Willen, wie anderseits die Disposition zu einer tätigen, nach außen gerichteten oder selbst kriegerischen Lebensführung der Männer, eine bloße Folgeerscheinung der Macht ist. »Das herrschende Geschlecht, ob Mann, ob Frau, hat die Tendenz, dem beherrschten Geschlecht Haus und Familie als Domäne seiner Arbeit anzuweisen.« Die Arbeitsteilung ist kein Produkt der Geschlechtsunterschiede, sondern ausschließlich unter dem Druck eingeschlechtlicher Vorherrschaft entstanden. Nach der Anschauung der Verfasser ist diese Vorherrschaft in ihren Wirkungen auf die Psyche des Einzelnen weit stärker als die Entwicklungskraft der mit dem Geschlechtsunterschied einhergehenden angeborenen Anlage.
Die Beispiele aus ganz verschiedenen Zeiten und Völkern sind in der Tat von auffallender Übereinstimmung und geeignet, eine so weitgehende Behauptung, wenn nicht unbestreitbar zu bestätigen, so doch glaubhaft zu machen. Nicht allein, daß sie die Männer im Frauenstaat mit häuslich-weiblichen Beschäftigungen betraut zeigen – wie Kochen, Waschen, Kinderwarten –, sogar Anschauungen wie die doppelte Moral, die man auf Bedürfnisse der spezifisch männlichen Natur zurückzuführen pflegt, erscheinen bei der weiblichen Vorherrschaft genau im umgekehrten Sinn. Treue und Ausschließlichkeit wird dann als Gesetz des männlichen Lebens betrachtet, indeß die Frauen sich jene Freiheiten vorbehalten, die unter männlicher Herrschaft als das natürliche Vorrecht des Mannes gelten.
Auch die Ursachen, warum die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte abwechselnd verschieben, wären nach Anschauung der Verfasser aus den Wirkungen des Machtbesitzes zu erklären. Nicht die überragende Intelligenz ist die Ursache der eingeschlechtlichen Vorherrschaft, sie ist deren Wirkung.
Es liegt im Wesen der Macht, daß sie nach immer größerer Ausdehnung strebt; dieses »Überspannungsgesetz« führt zum Mißbrauch der Macht und der Mißbrauch endlich zur Auflehnung gegen einen unerträglich werdenden Druck. So geschieht es, daß die Herrschaft, die zuerst Unterordnung erzeugt, zuletzt Widerstand findet und nunmehr in einem langsamen Umwandlungsprozeß zu einem Zustand gelangt, wo eine Gleichberechtigung der Geschlechter eintritt, bis im weiteren Verlaufe die Herrschaft an das früher untergebene Geschlecht übergeht.
Die Wirkung der Macht auf die menschliche Seele – in allen Gebieten des Lebens noch viel zu wenig beachtet – wird hier durch ihre Anwendung auf die Geschlechtspsychologie von einem neuen Standpunkt gezeigt. Aber wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, daß Machtbesitz in der weiblichen Psyche dieselben Erscheinungen hervorrufen kann wie in der männlichen, selbst den Mißbrauch bis zur abstoßendsten Grausamkeit, die angeführten Belege für die von den Verfassern angenommene Pendelbewegung zwischen Männer- und Frauenherrschaft sind doch weder genügend zahlreich, noch genügend beglaubigt. Die Schwäche dieser ganzen Auffassung liegt vornehmlich in dem historisch-ethnologischen Beweismaterial. Denn die Kenntnis des menschlichen Gemeinschaftslebens vor der männerstaatlichen Herrschaftsepoche ist äußerst lückenhaft; das meiste, was durch Bachofen, Engels, Morgan über ein matriarchalisches Zeitalter als allgemeine Phase in der Menschheitsentwicklung beigebracht wurde, haben spätere Forscher angezweifelt, umgedeutet oder widerlegt. Und angenommen selbst, daß die Spanne Zeit, in die das Gedächtnis der Menschheit zurückreicht, im Verhältnis zu ihrem Alter eine verschwindende, und sie schon durch vielerlei Phasen der Entwicklung gegangen ist, von denen sie nichts mehr weiß – an der Hand geschichtlicher Tatsachen läßt sich die Hypothese der Pendelbewegung zwischen Männer- und Weibervorherrschaft kaum aufrechterhalten.
Nach dem gegenwärtigen Stande der psychischen Geschlechtsdifferenzierung erscheint sie aus vielerlei Gründen unwahrscheinlich. Wie weit immer die Grenzen der individuellen Beschaffenheit und ihrer Unabhängigkeit von der Geschlechtsdifferenzierung gesteckt werden mögen, die Tatsache bleibt bestehen, daß Mann und Weib durch die ganze menschliche Geschichte als ungleiche Wesen gehen; und wie wenig im einzelnen Fall die typischen Merkmale zutreffen, sie sind doch von der Beschaffenheit der Mehrzahl abgeleitet und für diese symptomatisch.
Nach der ausdrücklichen Anerkennung einer nahezu unbegrenzten Unabhängigkeit der individuellen Differenzierung von der geschlechtlichen, wird es nicht als Inkonsequenz erscheinen, auf die durch keinerlei soziale und persönliche Veranstaltungen aus der Welt zu schaffende Ungleichheit der Geschlechter hinzuweisen. Ihre Ungleichheit von Natur aus besteht eben in der ungleichen Belastung mit den Aufgaben der Fortpflanzung. Diese Grundtatsache genügt, um die Verschiedenheit in der historischen Entwicklungsbahn der Geschlechter zu erklären, ohne daß irgendwelche, aus einem absoluten biologischen Gegensatz abgeleitete Gründe herangezogen werden müssen; sie scheint aber auch die Annahme einer absoluten Vorherrschaft des weiblichen Geschlechtes auszuschließen.
Halten wir uns nochmals vor Augen: Die Natur hat die ganze Schwere der generativen Aufgaben dem weiblichen Geschlecht aufgebürdet und den Mann frei ausgehen lassen. Für diese Belastung entschädigt sie das Weib, indem sie die Nachkommenschaft in die innigste und zweifelloseste Gemeinschaft mit dem mütterlichen Organismus setzt, während sie dem Manne keinerlei Sicherheit über seine organische Beziehung zur Nachkommenschaft gewährt und ihn doch zugleich durch einen mehr oder minder stark entwickelten Instinkt an sie bindet. Dabei ist zu beachten, daß die Kultur als eine nur der menschlichen Gattung eigene Lebensform die Wirkung dieser naturgegebenen Ungleichheit verstärkt; das Leben der Geschlechter im Tierreich ist weder durch die Aufgaben der Mutterschaft, noch durch die Unsicherheit der Vaterschaft annähernd so sehr beeinflußt wie das der Menschheit. Mit dem Anfang der Kultur, sofern man ihn von der ersten Entfaltung des menschlichen Intellektes im Gemeinschaftsleben an rechnet, beginnt auch der welthistorische Prozeß der ungleichen Stellung zwischen den Geschlechtern.
In dem Drama der Gattungserhaltung weist die Natur bei den Tieren dem männlichen Wesen die aktive Rolle an, zu der es durch aggressive, als Bemächtigungstrieb auftretende Impulse ausgerüstet erscheint, indes sie das weibliche Wesen als das Objekt der Eroberung zu seiner Geschlechtsrolle durch passive Eigenschaften tauglich macht. Auch die menschliche Gattung bildet keine Ausnahme von der tierischen Regel; sie entfernt sich davon erst mit wachsender Kultur, deren Begleiterscheinung eine zunehmende individuelle Differenzierung ist. Die Eignung zu den Aufgaben der Gattungserhaltung wird in der Kritik der Weiblichkeit als teleologische Geschlechtsdifferenzierung oder primitive Geschlechtsnatur bezeichnet, weil sie die Anpassung an den Zweck der Fortpflanzung darstellt, »die Zweckmäßigkeit der physischen Konstitution für die Leistung des Individuums als Gattungswesen.«
Mit dieser teleologischen Anpassung geht eine weitere Ungleichheit einher. Der Mann empfindet sich selbst als Sexualsubjekt, das Weib empfindet sich selbst als Sexualobjekt – die Bedeutung dieses Unterschiedes reicht sehr weit über dessen eigentliches Gebiet hinaus. Denn indem das Weib die Rolle des Objekts, die ihm das männliche Geschlechtsempfinden zuteilt, als Person annimmt, begibt es sich aller Vorrechte, die aus der Selbständigkeit des Subjektseins entspringen und zu den Grundlagen der Persönlichkeit gehören. Vermöge seines Subjektgefühles stellt sich der Mann an die erste Stelle, betrachtet sich selbst als Zweck alles Geschehens; das Weib hingegen wird als Mittel für die männlichen Zwecke auf die zweite Stelle gedrängt, wo es durch sein eigenes Objektgefühl festgebannt bleibt und das egozentrische Bewußtsein, diese wichtigste Begleiterscheinung der männlichen Sexualität, welche die männliche Überlegenheit unterstützt, nicht in sich zu entwickeln vermag.
Zwar die Beschaffenheit der primitiven Geschlechtsnatur ist durch Veränderung der Lebensbedingungen gleichfalls zu verändern, in unberechenbar vielen Fällen hebt dann die Individualität das typische Geschlechtsempfinden auf, und die Kultur selbst wirkt in mannigfaltigen Einflüssen auf seine Veränderung hin. Ein ausnahmsloses, unter allen Umständen gültiges, ein unabwendbares Gesetz hingegen ist es, daß ein Weib, um seine generative Aufgabe zu erfüllen, sich den Beschwerden der Schwangerschaft und Geburt mit allen ihren einschränkenden Folgen unterziehen muß, wie es auch unumstößliches Gesetz ist, daß zwischen dem Vater und seinem Sprößling keine organisch unmittelbare Verbindung hergestellt werden kann, die seine Erzeugerschaft auf natürlichem Wege beglaubigen würde.
Es ist schwer anzunehmen, daß diese natürliche Ungleichheit der Geschlechter ihre Wirkungen jemals nicht ausgeübt haben sollte. Wie groß auch die Verschiedenheit der Sitten und Einrichtungen bei einzelnen Völkern sein mag, im allgemeinen ist das Verhältnis der Geschlechter doch gemäß der primitiven Geschlechtsnatur geordnet. Allerdings macht die Unsicherheit der Vaterschaft ihre Wirkungen erst auf einer höheren Entwicklungsstufe des Intellektes geltend, erst als die Beziehung zur Nachkommenschaft für den Mann eine erkenntnismäßige Tatsache wird. Solange die Nachkommenschaft nur nach der Mutterfolge geordnet wurde, weil die Vaterschaft unsicher war, konnten die Frauen eine Art Vorzug genießen, obgleich die Mutterfolge kein Matriarchat im Sinne der weiblichen Vorherrschaft über die Männer in sich schloß; denn es war immer ein männlicher Verwandter mütterlicherseits, dem die Kinder zu gehorchen hatten. Den Vorzug, den die Frauen durch die Mutterschaft gegenüber dem unentwickelten Vaterschaftsbewußtsein besaßen, mußten sie verlieren, sobald der Vater seine vollen Ansprüche an die Nachkommenschaft durchsetzte.
Aber angenommen selbst, das Matriarchat hätte eine wirkliche Weibervorherrschaft bedeutet, so war es doch unverkennbar nicht die Überspannung der Macht, die das weibliche Geschlecht um die Vorherrschaft brachte: es unterlag mit seinen Mutterrechten an die Nachkommenschaft den Vaterrechten, die der Mann vollauf bezahlte, indem er zugleich seine stärkere Arbeitskraft in den Dienst ihrer Versorgung stellte. Und ebensowenig war es viele Jahrtausende später die Überspannung der männlichen Macht, die das weibliche Geschlecht zur Auflehnung dagegen trieb, sondern vielmehr die Entwicklung zur Persönlichkeit, die sich auch an den Frauen vollzog.
Diese Auflehnung als bewußter und systematischer Kampf der Frauen hat erst eingesetzt, nachdem die männerstaatliche Vorherrschaft längst vom Gipfel ihrer Macht herabgestiegen war, und ihre allmähliche Milderung ist nicht das Werk des weiblichen Widerstandes gewesen. Sondern in demselben Verhältnis als das Bewußtsein der Persönlichkeit sowohl in der männlichen wie in der weiblichen Psyche wächst, lockert sich die Unterwerfung unter das Gesetz, das den Frauen die zweite Stelle, die Stelle des Mittels, auferlegt.
In dem Begriff der Persönlichkeit gipfelt der Sinn der abendländischen Kultur; er ist es, der ihre Entwicklung, ihre besondere Richtung bestimmt und Wirkungen hervorgebracht hat, die ihre Weltstellung tiefer begründen als die Machtmittel der Zivilisation.
Der Mensch des Mittelalters erkannte sich nur als Rasse, Volk, Partei, Korporation, Familie oder sonst in irgendeiner Form des Allgemeinen; im Zeitalter der Renaissance aber erhebt sich mit voller Macht das Subjektive, der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches. (Burckhardt) Dieser Prozeß ergreift drei Jahrhunderte später die Frauenwelt und bringt den Kampf um die Rechte der Persönlichkeit hervor, der den ideellen Inhalt der Frauenbewegung bildet. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, als hätten die Frauen nicht schon vorher als Persönlichkeiten Anteil an der Kultur besessen; nur ist der Schauplatz dieser spezifisch weiblichen Kulturentfaltung in ähnlicher Weise von der Allgemeinheit getrennt wie der häusliche Herd. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die ästhetisch-gesellige Lebensform, die in den Salons des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts Gestalt annahm, eine Schöpfung der daran beteiligten Frauen war. Diese Form des geselligen Verkehrs, die einen Austausch geistiger Werte von Person zu Person vermittelt, beruhte auf der Kunst, das eigene Wesen durch die persönliche Umgangsform zur Erscheinung zu bringen – eine Kunst, die bei Frauen viel häufiger zu finden ist als bei Männern, so daß sie von vielen als die spezifische Art der weiblichen Genialität bezeichnet wird. Das Zeitalter der Salons, deren Mittelpunkt universell gebildete Frauen waren, gibt Zeugnis von der Vollendung dieser spezifisch weiblichen Kulturleistung; auf diese Frauen paßt das schöne Wort Lucka's über das Verhältnis der Kultur zur Persönlichkeit und ihre Bedeutung für dieselbe. Er nennt (in den drei Stufen der Erotik) Persönlichkeit »die ihrer selbst bewußte individuelle Seele, die aus sich die allgemeinen, ideellen (Kultur-)Werte hervorbringt, sich wieder mit ihnen erfüllt und sich ihrer höheren Form angleicht.
Die Veränderung der Lebensbedingungen aber nötigt die Frauen, ihren Anteil an der Kultur auf einem anderen Gebiete zu suchen. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren; sie können sich in ihrem alten Kulturkreise unter keiner Bedingung behaupten und müssen das Wesentliche der Persönlichkeit wie der Mann in der freien Verantwortung für ein durch Ideen bestimmtes Handeln gegenüber der Allgemeinheit suchen.
Für den Mann lag die Entwicklung zur freien Persönlichkeit auf der Linie seiner naturhaften teleologischen Wesensart. Sein geschlechtlicher Subjektivismus ist dem Persönlichkeitsbewußtsein verwandt, und sein Kampf um die Vatervorrechte, seine Stellung im patriarchalen Zeitalter zeigt schon in Urzeiten die Richtung, die er zur vollen Ausbildung der Persönlichkeit einschlagen sollte. Für die Frau aber geht die Entwicklung zur eigenberechtigten Persönlichkeit nicht aus der teleologischen Geschlechtsnatur hervor; sie hat sich im Gegensatz zu dieser vollzogen. Deshalb ist sie das größte Ereignis der Kulturgeschichte hinsichtlich des weiblichen Geschlechtes. Auf die kürzeste Formel gebracht, lautet die weibliche Entwicklung: die Frau wird aus einem Objekt ein Subjekt, aus einer Sache eine Person. Der Weg dieser Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen. Es gibt noch Rückstände genug in Anschauungen und Sitten und nicht zuletzt im weiblichen wie im männlichen Gefühlsleben, die mit dem Begriff der eigenberechtigten Persönlichkeit für die Frau in Widerspruch stehen.
Von dem Gesichtspunkt der Geschlechtsideologie im Verein mit dem Persönlichkeitsinteresse aus kann es vielleicht gelingen, ohne Einschränkung der freien Selbstbestimmung nach Individualität einige Richtungslinien aufzufinden, die von den Frauen als Gesamtheit in ihrer neuen Stellung einzuhalten wären, wenn sie die unabwendbare, naturgegebene Ungleichheit der Geschlechter, die in dem Unterschied der generativen Belastung beschlossen liegt, berücksichtigen wollen.
Der Unterschied in der Subjektstellung des Mannes und der Objektstellung des Weibes wird ideell am bezeichnendsten durch den Ehrbegriff gekennzeichnet. Was bisher den Inhalt der weiblichen Ehre ausmachte, war im Grunde ein somatischer – die geschlechtliche Intaktheit, bei dem unverheirateten Weibe die Jungfräulichkeit, bei dem verheirateten die Ausschließlichkeit. Besonders drückt sich der Mangel an Selbständigkeit darin aus, daß für die weibliche Ehre eine männliche Person mitverantwortlich sein oder auch ganz für sie einstehen mußte. So hatte bei der verheirateten Frau der Gatte die verletzte Ehre zu rächen, indem er den Verführer bestrafte, bei der unverheirateten der Vater oder Bruder.
Auch der männliche Ehrbegriff begreift zum Teil spezifische Geschlechtseigenschaften in sich. Daß ein Mann ohne psychische Tapferkeit als ehrlos, die Feigheit als Schimpf gilt, hat einen sexuellen Hintergrund – das läßt sich schon daran erkennen, daß die gleiche seelische Disposition beim Weibe als Schutzbedürftigkeit ausgelegt wird und eher den Ruhm einer anziehenden Eigenschaft genießt. Beim Manne aber ist physische Tapferkeit ein Bestandteil der primitiven männlichen Geschlechtsnatur, die den Bemächtigungstrieb zur Grundlage hat; Mangel an physischer Tapferkeit schränkt auch den Bemächtigungstrieb ein, und Tapferkeit als aggressive Seelenstimmung ist ebensowohl eine Voraussetzung wie eine Begleiterscheinung desselben.
Zum anderen Teil aber enthält der männliche Ehrbegriff eine Bedeutung von hohem ideellen Wert für die freie Persönlichkeit. In Gestalt des Ehrenwortes hat sich diese ein Instrument geschaffen, durch das sie ihre volle Macht und Selbstherrlichkeit zu beweisen vermag, indem sie es zum Pfand einsetzt. Entkleidet man das Ehrenwort seiner romantisch-ritterlichen Bedeutung, die es an überwundene Anschauungen heftet, so bleibt doch etwas Unvergleichliches und Unvergängliches zurück – die freiwillige Bindung, der Einsatz der Persönlichkeit in einem Willensakt von unverbrüchlicher Gewalt. Das Ehrenwort ist jenseits aller konventionellen Vorurteile der Ausdruck dafür, daß ein Mensch die innere Macht besitzt, auf seiner freien Entschließung unbedingt zu beharren und sie allen Widerständen zum Trotz zu behaupten. Dadurch wird das Wort – bezeichnenderweise heißt es das Manneswort – zum vollen Ausdruck dessen, was die freie Persönlichkeit ist. Es gibt in der Tat für den Einzelnen nichts Höheres als die Fähigkeit, ohne äußeren Zwang für sich unter allen Umständen einstehen zu können, sie ist das vornehmste und kostbarste Gut, das der auf sich selbst gestellte, sich selbst als ein ideelles Zentrum empfindende Mensch besitzt.
Daß den Frauen kein solches Wort zugetraut wird, zeigt deutlich, daß sie die Rechte der Persönlichkeit noch nicht ganz erobert haben. Nichts müßte den Frauen so sehr angelegen sein, als sich gleichfalls ein ideelles Instrument zu schaffen, durch das sie sich wie der Mann in jedem Fall als Persönlichkeit über jeden Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit erheben können. Hat die Gültigkeit des Ehrenwortes für den Mann in seinen sozialen Beziehungen einen unvergleichlichen Wert, so gewinnt es für die Frauen noch eine besondere und entscheidende Bedeutung in jenem Punkte, wo die naturhafte Ungleichheit der Geschlechter ihre Stellung bisher auf das Nachteiligste beeinflußt hat, wo ihre Unabhängigkeit durch die männlichen Geschlechtsinteressen am stärksten gefährdet war. Wir wissen, daß es die Unsicherheit der Vaterschaft ist, die dem weiblichen Geschlecht die empfindlichsten Einschränkungen auferlegte, um durch Zwangsmittel der Fälschung vorzubeugen. Die barbarischen Kautelen der Vaterschaft sind zwar in der abendländischen Kultur nicht mehr gebräuchlich; sie werden aber in ihren letzten Auswirkungen erst ganz überwunden sein, wenn das weibliche Ehrenwort das gleiche Ansehen hat wie das männliche. Jener naturhaften Ungleicheit in Dingen der Nachkommenschaft zu begegnen, gibt es für die Frauen kein anderes Mittel, als mit den Rechten der Persönlichkeit das tiefe Bewußtsein zu verbinden, daß der Inhalt ihrer spezifischen Ehre im Verhältnis zum Manne die Sicherung der Vaterschaft sein muß, weil es für die Stellung der weiblichen Persönlichkeit nichts Schlimmeres gibt, als die Fälschung der Nachkommenschaft. So wenig die Bewahrung der Jungfräulichkeit im Grunde etwas mit dem weiblichen Ehrbegriff zu tun hat, so untrennbar davon ist die Bewahrung der Ausschließlichkeit. Wenn es den Frauen gelingen sollte, neuen Normen Anerkennung zu schaffen, die den Interessen der weiblichen Persönlichkeit gerecht werden, so müßte die generative Verläßlichkeit mit den stärksten Suggestivmitteln im Bewußtsein des weiblichen Geschlechtes verankert sein. Welcher Mangel an Instinktsicherheit aber selbst unter den Männern gegenwärtig in diesem Punkte herrscht, zeigt unter anderem das Beispiel von Rudolf Hans Bartsch, der in der Gestalt der »lichten Frau von Karminell« eine Fälscherin der Nachkommenschaft verherrlicht, ohne daß dies irgend Anstoß erregt hätte.
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Die Entsachlichung des Weibes als Kulturprozeß ist zu einem planbewußten Vorgang erst durch die Frauenbewegung geworden. Man hat ihren Vertreterinnen häufig den Vorwurf gemacht, daß sie von den guten Instinkten der Weiblichkeit verlassen seien; betrachtet man aber ihr Programm von dem Standpunkt, von dem aus die Eroberung der Persönlichkeit zu erblicken ist, so muß man eher über die Treffsicherheit staunen, mit der sie die soziale Mission der Frauen auch dort aufgriff, wo sie mit den verborgensten Wurzeln in das Problem der weiblichen Persönlichkeit hinunterreicht. Alle Beziehungen, Einrichtungen, Zustände, in denen die Auffassung des Weibes als Sache oder bloßes Mittel fortwirkt, hemmen irgendwie die Gleichberechtigung und damit zugleich die Möglichkeit, spezifisch weibliche Einflüsse in der sozialen Kultur zur Herrschaft zu bringen. Für jede Frau, der die Persönlichkeit zur gestaltenden Kraft ihres Lebens geworden ist, muß es eine unerläßliche Aufgabe bedeuten, von diesem Gesichtspunkt aus die Probleme des privaten wie des Gemeinschaftslebens zu prüfen.
Es ist eine vielfach erörterte Frage, ob eine Frau nicht ohne Herabsetzung ihrer persönlichen Ehre über ihren Körper nach ihrem Belieben verfügen dürfte, also auch, wenn sie es aus freiem Entschlusse tun kann, ihn verkaufen. Völlige moralische Vorurteilslosigkeit scheint die Bejahung dieser Frage zu fordern, und mit dieser Bejahung will man auch die soziale Rehabilitierung der prostituierten Frauen begründen, um auf diese Weise eine der schwersten Ungerechtigkeiten der herrschenden Gesellschaftsordnung aus der Welt zu schaffen. Havelock Ellis sagt mit Bezug darauf: »Von einer Prostituierten zu sprechen, die sich verkauft, ist nicht nur eine verzeihliche rhetorische Übertreibung, sondern sowohl ungenau als ungerecht.« Und er meint, die Prostituierte sei zu der Gattung der beruflichen Arbeiter zu zählen, die für geleistete Dienste Lohn empfangen.
Damit wird aber das Wesentliche und Entscheidende nicht berührt, warum die Tatsache der Prostitution, auch wenn man von allen moralischen Bestimmungen absieht, keine soziale Umwertung erfahren kann. Solange unter Prostitution eine flüchtige Geschlechtsbeziehung zu verstehen ist, bei der die Frau gegen Bezahlung bloß als Mittel der Befriedigung für ein physiologisches Bedürfnis dient, wird sie mit der Anerkennung der weiblichen Persönlichkeit unvereinbar sein. Man glaube doch nicht, daß die übliche Unterscheidung der Männer zwischen den ehrbaren Frauen, denen man Achtung bezeigt, und liederlichen, denen man keinerlei Rücksicht schuldet, nur auf einem konventionellen Vorurteil beruht! Die Frau, die sich selbst zur Sache macht, fordert in der männlichen Psyche alle primitiven und elementaren Impulse heraus, die der weiblichen Persönlichkeit feindlich sind; sie setzt das Geschlechtsverhältnis auf jene Stufe herab, wo das Weib nur willenloses Werkzeug der männlichen Übermacht war. Wenn man aber behauptet, daß eine Frau gerade als freie Persönlichkeit mit ihrem Körper nach Belieben schalten dürfe, so liegt dieser Auffassung ein Mißverständnis zugrunde: soll sich die Stellung der Frau gemäß den Rechten der freien Persönlichkeit sozial verwirklichen, dann darf die Frau selbst nichts tun, was die Persönlichkeit in ihr verneint und bei den Männern die alte Auffassung des Weibes als Sache gefühlsmäßig oder denkmäßig zu rechtfertigen Imstande ist.
Aus dem Persönlichkeitsbewußtsein, dieser ersten Bedingung für die soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes, ergibt sich als die eine große Aufgabe der Frauen in ihrer neuen Stellung die Bekämpfung der sexuellen Übelstände, an denen das Leben der Kulturmenschheit krankt – eine Bekämpfung, die den Frauen auch aus dem Grunde ihrer generativen Belastung angelegen sein muß. Denn nicht nur die Verneinung der weiblichen Persönlichkeit im Wesen der Prostitution läßt sie für die Frauen als Gesamtheit verwerflich erscheinen – da sie überdies die Trägerin ansteckender Krankheiten ist, die sich auf die Nachkommenschaft erstrecken, wird sie für alle Frauen, deren Leben der generativen Aufgabe gewidmet ist, eine Geißel und Gefahr. In der bürgerlichen Welt besteht allerdings die Auffassung, daß die sexuelle Integrität der ehrbaren Frauen durch die prostituierten vor der unhemmbaren Gewalt der männlichen Sexualität geschützt wird. Die ehrbaren Frauen alten Schlages haben sich durch dieses Argument damit abfinden lassen, ihre Gatten aus den Händen der Prostituierten zu empfangen – aber die Geschichte der Frauenbewegung gibt in zahlreichen Dokumenten ein rühmliches Zeugnis dafür, daß sie schon in einer Zeit, in der die Berührung dieses Gebietes als schmähliche Verletzung der Sittsamkeit galt, nicht davor zurückscheute, die Konsequenzen ihres Standpunktes auch hier auf sich zu nehmen.
Von zwei Richtungen her läßt sich das Verhältnis des Einzelnen zur Sexualität beeinflussen: auf dem intellektuellen Wege durch Aufklärung und auf dem gefühlsmäßigen durch Änderung des Verhaltens in sexuellen Dingen. Der intellektuelle Weg ist der leichtere; er hat im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einer umfangreichen Literatur geführt, eine neue Wissenschaft, die Sexuologie, ist entstanden, Vereine und Enqueten haben zur Bekämpfung der Unwissenheit und Heuchelei eine nicht zu unterschätzende Arbeit geleistet, an der sich Männer in hervorragender Weise beteiligten. Aber es sollte nicht vergessen werden, daß der Anstoß zur öffentlichen Behandlung dieser Fragen von der Frauenbewegung ausging. Frauen waren es auch, die zuerst den Mut fanden, sich gegen die Ungerechtigkeit, Einseitigkeit und Verheimlichung aufzulehnen, mit der die Behörden die Opfer der Prostitution behandelten. Man braucht nur den Namen Josefine Butlers zu nennen, die in England viele Jahre lang einen unbeugsamen Kampf auf diesem Gebiet führte und die schwersten Verfolgungen um ihrer Tätigkeit willen ertrug.
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Seit dem Kriege ist diese eine Aufgabe der Frauen in den Hintergrund getreten; die andere große Aufgabe fordert alle Kräfte in ihren Dienst. Es ist der Kampf gegen den Krieg. Die Argumente zu wiederholen, die von den Frauen gegen die sozialen Übelstände des sexuellen Gebietes aufgebracht wurden, erübrigt sich angesichts der umfangreichen Literatur darüber. Anders verhält es sich mit dem Pazifismus als einem speziellen Problem weiblicher Tätigkeit. Ein Versuch, das Wesen des Krieges von der psychologischen Seite zu beleuchten, wird den Grund zeigen, warum die Frauen mehr als die Männer den Krieg zu bekämpfen haben.
Wir müssen den Krieg als eine von der Machtkonkurrenz unter den Völkern untrennbare Erscheinung erkennen. Aber nicht seine wirtschaftlichen und politischen Ursachen sind es, die hier in Betracht kommen, sondern jene verborgenen Wurzeln, mit denen er tief in die naturhafte Männlichkeit hinunterreicht. Denn der Krieg ist nicht bloß eine politische Erscheinung, nicht bloß Machenschaft, er ist auch Instinktsache. Könnte eine so ungeheuerliche Einrichtung wie der Krieg sich durch alle Phasen der Kulturentwicklung behauptet haben, wenn er nur durch eine kleine Gruppe von Machthabern den Völkern aufgezwungen würde, ohne daß er durch deren Instinktleben gefördert wäre? Damit soll nicht etwa gesagt sein, daß jeder am Krieg beteiligte Mann auch von kriegerischen Instinkten beherrscht ist; namentlich angesichts der allgemeinen Wehrpflicht wäre eine solche Annahme völlig unhaltbar. Ohne Zweifel aber ist der Krieg jener Lebenszustand, der am meisten geeignet ist, die unter den Einflüssen der Friedenszeit verdrängten kriegerischen Ur-Instinkte der Männlichkeit wieder zu entfachen und mit allen ihren Begleiterscheinungen zur Herrschaft zu bringen. Theoretisch betrachtet, stellt der Krieg die äußerste Ausgeburt des Mannwesens dar, die letzte und furchtbarste Konsequenz der absoluten männlichen Aktivität. Neben dieser höchsten Steigerung der naturhaften Männlichkeit nach außenhin kann das naturhaft Weibliche sich nicht als etwas Gleichberechtigtes behaupten; es muß notwendigerweise auf die zweite Stufe der herrschenden Lebewesen sinken.
Von den Gesichtspunkten einer höheren menschlichen Bewertung aus ist diese Zurücksetzung natürlich nicht gerechtfertigt; denn die seelische Leistung, zu welcher der Krieg die Frauen verurteilt – die Standhaftigkeit, mit der sie das Schicksal der ihren Herzen teuren Männer abwartend aus der Ferne miterleben müssen –, fordert gleichfalls eine Art Heroismus. Aber nach den im Kriege herrschenden Werten hat dieser weiter keine Auszeichnung zu beanspruchen. Und wie anders sind überdies die Wirkungen des passiven Heldentums in der Psyche als die des aktiven männlichen!
Der Mann, der sein Leben im Kampf aufs Spiel setzt, vermag unter Umständen seelische Sensationen zu erleben, die eine Art Rausch, eine eigentümliche Anspannung und Steigerung dessen mit sich bringen, was man somatisches Persönlichkeitsgefühl nennen kann. Auch wenn die edlen Motive der Verteidigung einer gemeinsamen Sache, der Aufopferung für das Vaterland, im Vordergrund des Bewußtseins stehen, entspringt doch die Kampfeslust nicht aus dieser ideellen Sphäre, sondern geht eher mit jener Wiedererweckung verdrängter Ur-Instinkte einher, die bewirkt, daß für viele Männer die kriegerische Lebensweise trotz aller mit ihr verbundenen Gefahren und Strapazen in der Tat etwas Befreiendes hat.
Nichts Ähnliches begleitet das passive Heldentum der Frauen, das rein ethischer Art und ohne alle somatische Bestärkung ist. Den Frauen bietet der Krieg keines der Äquivalente, die er unter Umständen der männlichen Natur gewährt. Selbst dann nicht, wenn sie über den passiven Heroismus der Entsagung hinaus eine Tätigkeit, wie die Pflege der verwundeten und kriegsuntauglich gewordenen Männer übernehmen oder andere, mit dem Krieg einhergehende Aufgaben sozialer und wirtschaftlicher Art, die das Maß der bloß passiven Duldung und Ergebung weit überschreiten.
Schon die Mission der Lebenserhaltung an sich, die den Frauen durch diese Hilfeleistung zufällt, offenbart den tiefen Gegensatz, der zwischen dem Weibe und dem Kriege besteht. Das Gesetz des Krieges, sein innerstes Wesen, ist Eroberung durch Zerstörung, indes das Gesetz des weiblichen Wesens nach seiner ursprünglichsten und allgemeinsten Funktion Lebenserhaltung ist. Dem Weibe muß geborenes Leben teurer sein als dem Manne, weil die Natur nur das Weib mit den Leiden und Schwierigkeiten, die seine Entstehung kostet, beladen hat. Daß in allen Jahrtausenden menschlicher Geschichte das Weib nicht imstande war, dieser wesenhaften Gegnerschaft gegenüber dem Kriege Geltung zu schaffen, erklärt sich aus seiner sekundären Stelle, von wo es das Gesetz seiner besonderen geschlechtlichen Natur nicht durchsetzen konnte.
Eine immer wachsende Ausgestaltung des Rechtsstaates auf der Linie der individuellen Freiheit ist jene Voraussetzung, mit welcher die soziale Stellung der Frau steht und fällt. Sobald der Rechtsstaat suspendiert wird, wie dies im Kriege durch die Vorherrschaft der Militärgewalt der Fall ist, verliert die Frau die Gleichwertigkeit schon von dieser Seite. Nur unter einer Bedingung könnte dann noch die Forderung der Gleichberechtigung aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechtes aufrecht erhalten werden: wenn auch das weibliche Geschlecht in die allgemeine Wehrpflicht einbezogen würde.
Diese Konsequenz ist allerdings bisher nur von den Gegnern der Gleichberechtigung aufgezeigt worden, um diese ad absurdum zu führen. Sie haben dabei die Mutterschaftsleistung der Frau unbeachtet gelassen, ihre schwere Belastung mit den Aufgaben der Fortpflanzung, die doch wohl als ein Ersatz der männlichen Kriegsdienstleistung zu betrachten ist.
Es bedarf keines Beweises, daß die aggressiven Impulse, die beim Manne die Neigung zu kriegerischen Handlungen mit sich bringen, in der psychophysischen Konstitution des Weibes nahezu ganz fehlen. Die Ausnahmen, die während des Krieges in einzelnen an der Front kämpfenden Frauen hervorgetreten sind, bestätigen allenfalls, daß die Geschlechtsdifferenzierung in der Tat keine Schranke der individuellen Beschaffenheit bildet. Vielleicht verdienen diese Ausnahmen um dieser Bestätigung wie um ihrer persönlichen Tapferkeit willen Beachtung – aber als ein löbliches Beispiel, als Vorbild für Frauen im allgemeinen können sie nicht gelten.
Ja wo die Nachahmung der männlichen Kriegsdienstleistung durch Frauen einen größeren Umfang gewann, wie bei den russischen Frauenbataillonen, bedeutet sie eine gröbliche Verkennung dessen, was die Menschheit von den Frauen zu erwarten hat, eine Instinktverirrung schlimmster Art.
Denn auch die größte Wertschätzung des physischen Mutes, der Tapferkeit, der Todesverachtung und aller anderen hohen Leistungen, die mit der kriegerischen Disposition der männlichen Natur im günstigsten Falle einhergehen, vermag an der Tatsache nichts zu ändern, daß der Krieg das furchtbarste Übel ist, das die menschliche Gesellschaft durch die Jahrtausende mit sich schleppt.
Die ganze Welt des Krieges, ihre Herkunft von einer Stufe des Denkens, auf der an der Grenze des Stammes der Mensch aufhört und der Feind nicht als wesensgleiches Geschöpf gilt, steht in einem tragischen Gegensatz zu dem intellektuellen Niveau des modernen Menschen. Auch die hohe Bewertung der kriegerischen Mannhaftigkeit entstammt einer Zeit urweltlicher Zustände und Empfindungen; und doch erhält sie zugleich ihre Begründung und Rechtfertigung aus einer immer noch sehr häufigen Beschaffenheit des männlichen Wesens. Unverkennbar besteht ein Zusammenhang der kriegerischen Impulse mit einer bestimmten Art der männlichen Geschlechtsimpulse. Schon im Tierreich erscheint dieser Zusammenhang in den Kämpfen der männlichen Tiere untereinander, wenn auch diese Kämpfe nur ein Analogon des Duells, nicht aber des Krieges bilden. Es sind dieselben Geschlechtsimpulse, die zugleich das herrische Überlegenheitsgefühl des Mannes über das Weib bedingen – und wie sollte denn, solange diese Art der männlichen Geschlechtsimpulse die Herrschaft führt, für die Frau als eigenberechtigtes, dem Manne gleichgestelltes Wesen wirklich Raum sein?
Im Kriege wird ein primitiver Zustand des Mannestums Herr über die Kultureinflüsse und Kulturbildungen jüngeren Datums. Die Untaten, die über den gesetzmäßig geordneten Kampf hinaus in jedem Kriege begangen werden, zeigen deutlich, welche Gewalt die Instinkte des Urmenschen noch immer erreichen können, sobald die Hemmungen des Kulturlebens wegfallen; und es ist keine zufällige, sondern eine mit der kriegerischen Disposition eng verknüpfte Erscheinung, daß in jedem Kriege Vergewaltigung an feindlichen Frauen geübt wird.
Aber auch abgesehen von dieser äußersten Entfesselung der Brutalität – schon allein die Aufhebung jeder gewohnten Ordnung in geschlechtlicher Hinsicht, die Zerstörung des ehelichen Lebens und aller heimatlichen Liebesbeziehungen müssen die schlimmsten Übelstände nach sich ziehen. Zu der Verwilderung durch Haß- und Rachegefühle, durch Gewöhnung an eine von kulturellen Erhöhungen entblößte Lebensweise gesellt sich als dunkelster Schatten, den der Krieg bis weit in den Frieden hinein wirft, die sexuelle Bandenlosigkeit – für das weibliche Geschlecht vielleicht die folgenschwerste Schädigung, die es durch den Krieg erfährt.
Mit diesen Ausführungen werden nur einige der wichtigsten Gründe beleuchtet, warum die Frauen unter allen Umständen, wenn sie sich auf ihre natürlichen und sozialen Aufgaben von ihrem eigenen Standpunkt aus besinnen, unbedingt den Krieg verwerfen, ihn als die furchtbarste Geißel der Menschheit verabscheuen müssen. Es gibt Männer genug, die diese Anschauung vertreten, Männer, die werktätigen Anteil nehmen an der pazifistischen Bewegung und an allen Bestrebungen, die damit zusammenhängen; aber wenn die Bekämpfung des Krieges für den Mann eine Sache der höheren Menschlichkeit ist – für die Frau bedeutet sie noch darüber hinaus die Bedingung höherer Lebensmöglichkeiten für ihr eigenes Geschlecht als Ganzes.
Es mag dahingestellt bleiben, ob der Krieg als eine unvermeidliche Begleiterscheinung der menschlichen Zustände anzusehen ist oder sogar, wie andere meinen, als eine Art notwendiger Zuchtrute, durch die eine Regeneration verderbter Lebensverhältnisse herbeigeführt wird. Wer ihn aus der Nähe kennengelernt hat, weiß nur zu gut, daß er weit weniger »eine Schule des Opfermutes und der Entsagung« (Moltke) ist, als eine Brutstätte der Verrohung und Verwilderung, der Niedertracht und Korruption. Auch die Frage, ob der Krieg jemals durch irgendwelche soziale Veränderungen gänzlich aus der Welt zu schaffen sein kann, braucht uns nicht zu beschäftigen. Man kann sogar zugeben, daß die beiden großen Kulturaufgaben der Frauen, die Bekämpfung der Prostitution und die Bekämpfung des Krieges, utopistische Ziele sind – das beeinträchtigt ihren Wert als Richtungslinie nicht im geringsten. Denn die menschliche Gesellschaft kämpft, seitdem sie überhaupt eine soziale Organisation besitzt, gegen vielerlei Übel, die sie bisher nicht ausrotten konnte, ohne daß sie den Kampf dagegen aufgegeben hätte. Aber nur dann, wenn die Frauen ganz allgemein begreifen, daß ihre Mission im sozialen Leben eine andere sein muß als die der Männer, wenn sie den herrschenden Männerwerten ihre eigenen, an der naturhaften Ungleichheit der Geschlechter orientierten gegenüberstellen, werden sie mit ihrem Eintritt in das politische Leben ein neues Blatt im Buche der Weltgeschichte aufschlagen.