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Geschlecht und Sozialpolitik

Die ideelle Errungenschaft allgemeinster Art, die aus den Kämpfen der Frauen um die soziale Gleichstellung hervorgegangen ist, läßt sich in den Begriff der freien Selbstbestimmung nach Individualität zusammenfassen. Diese Freiheit, ein schlechtweg höchstes Gut für den Mann wie für die Frau, soweit sie Persönlichkeit sind, teilt allerdings mit dem Begriff der Freiheit an sich die Eigentümlichkeit, daß sie keinen positiven Inhalt besitzt. Sie bedeutet nur Abwesenheit des Zwanges, sie ist Voraussetzung, Bedingung, Möglichkeit für einen Inhalt, der erst in sie hineingetragen werden muß. Freiheit – wozu? Das ist im Grund die Frage, die noch über den Wert der Freiheit an sich den Wert der Freiheit bestimmt.

Ein richtungsloses Ausleben individueller Neigungen und Antriebe könnte nicht den gleichen seelischen Rang behaupten, wie die Erfüllung jener Forderungen, die in den alten normativen Vorstellungen beschlossen waren – nicht so sehr vom Standpunkt einer heteronomen Moral, die ja mit dem Begriff der freien Persönlichkeit unvereinbar ist, wohl aber in Hinsicht auf die Wirkungen, die es im Eigenleben wie im sozialen ausübt. Wenn die Frauen die Rolle des schönen Geschlechtes, die ihnen ästhetische Vorzüge als oberstes und wichtigstes Gesetz ihres Lebens vorschrieb, so wenig mehr in vollem Umfang aufrechterhalten können, wie die der gesellschaftlichen Repräsentation oder des hauswaltenden Weibes – ihrer drei Kulturaufgaben alten Stils –, so müssen sie etwas äquivalentes Neues an deren Stelle setzen. Die Eigenschaften, die sie zu diesen Kulturaufgaben tauglich machten, sind ihnen in ihrer neuen Lebensstellung nicht mehr nützlich, sondern vielfach hinderlich; sie werden durch die veränderten Lebensbedingungen so weit umgebildet werden, als es die weibliche Naturanlage zuläßt – eine Grenze, die wohl erst die Erfahrung zu zeigen vermag. Aber wer dem Eintritt der Frauen in das soziale Leben eine besondere Bedeutung zuschreibt, kann nur von der Voraussetzung ausgehen, daß sie vermöge ihrer Naturanlage neue Normen hervorbringen werden, die den veränderten Lebensbedingungen des weiblichen wie des männlichen Geschlechtes besser angepaßt sein sollen, als die aus der historischen Stellung der Geschlechter herstammenden.

Eine große Perspektive eröffnet sich damit den Frauen – allerdings auch eine Quelle gefährlicher Täuschungen und Enttäuschungen. Schon erheben sich anklägerische Stimmen, die der Tätigkeit der Frauen im öffentlichen Leben den Vorwurf machen, daß sie keine neue Richtung, ja nicht einmal eine nennenswerte Bemühung zeigen, sich von den ausgefahrenen männlichen Geleisen abzuwenden, um eigene Wege einzuschlagen. Kaum in die politische Gleichberechtigung eingetreten, haben sie sich den Männerparteien angeschlossen, und gehen im Joch der Parteidisziplin so unterwürfig, wie sie es privatim unter der Vormundschaft des Mannes gewohnt waren.

Den Tatsachen gegenüber nicht unzutreffend, ist dieser Vorwurf dennoch ganz ungerecht, wenn man die Kürze der Zeit erwägt, seit den Frauen die Teilnahme am politischen Leben offensteht, und sich darauf besinnt, was man vernünftigerweise von den Frauen erwarten darf. So wenig ihre bisherige Stellung und Wirksamkeit in der abendländischen Kultur unter den geänderten Verhältnissen aufrechtzuerhalten ist, sie kann nicht mit einem Schlage umgewandelt werden. Die normativen Werte, die ihr zugrunde liegen, waren der Ausdruck für die Wesensbeschaffenheit einer überwiegenden Mehrzahl, und es scheint, daß die Einzelnen, die sich von ihnen kraft ihrer Eigenart befreien, noch immer sehr in der Minderzahl sind. Noch immer würde unzweifelhaft die Mehrzahl der Frauen – namentlich der bürgerlichen – ihre traditionelle Stellung im Hause und in der Familie weit lieber beibehalten, als mit einem männlichen Berufe beladen ihre neuen sozialen Rechte auszuüben.

Und noch immer dreht sich das Problem der Geschlechter um die Frage, ob die Frau ihrer Naturanlage nach ein vom Manne grundverschiedenes Wesen ist; denn nur unter dieser Voraussetzung läßt sich anscheinend die Annahme rechtfertigen, daß sie ihre neue Stellung gemäß ihrer Naturanlage abweichend von der männlichen ausbilden werde.

Die generalisierende Methode, die soviel Verwirrung in das Geschlechterproblem gebracht hat, ist auch in diesem Fall übel angebracht, weil man gerade hier unterscheiden muß, welche Art Frau es ist, die in das öffentliche Leben paßt. Was für große Unterschiede im Grundwesen der Frauen bestehen, ist in der »Kritik der Weiblichkeit« (Frauen und Frauentypen) ausgeführt; ganz allgemein gefaßt, wird man aber als jene Eigenschaft, die eine Frau für das öffentliche Leben tauglich macht, ein Überwiegen der sozialen Interessen über die familialen in ihrem Innenleben bezeichnen können, also ein Abweichen von dem mehrzahlsmäßigen Typus der Unterordnung, der den Mann als Herrn und Gebieter über sich stellt. So wie der Kampf um die bürgerlichen Rechte von Frauen mit ausgeprägtem Persönlichkeitsbewußtsein, von dem Typus der Unabhängigkeit, geführt wurde, so ist auch nur von diesem eine selbständige Tätigkeit im öffentlichen Leben zu erwarten. Für die andern wird nach wie vor das Haus und die Familie als jene Lebensform, deren Haupt der Mann ist, der geeignetste Boden sein. Da die wirtschaftliche Not aber die Frauen wahllos in den Konkurrenzkampf mit dem Manne stößt und die bürgerlichen Rechte gleichermaßen allen Frauen ohne Unterschied zukommen, darf man einstweilen die Erwartungen auf die Tätigkeit der Frauen im öffentlichen Leben nicht zu hoch spannen. Erst auf dem Wege einer langsamen Entwicklung kann sich vielleicht durch die Veränderung der Lebensstellung die Zahl der zur Persönlichkeit gereiften Frauen so weit vermehren, daß sie neue Richtungslinien einzuhalten verstehen lernen, das heißt solche, die in einem durch den Mann eingerichteten Staatswesen den spezifisch-weiblichen Interessen zu dienen hätten.

Soll die Frau kraft ihrer absoluten Verschiedenheit vom Mann ihre Bedeutung und Wirksamkeit im Gemeinschaftsleben erhalten, so heißt das, den Gegensatz in der geschlechtlichen Differenzierung als das Bestimmende der weiblichen Persönlichkeit anerkennen. Nun gerät aber jede Normierung, die eine grundsätzliche Polarität der Geschlechter zur Voraussetzung hat, mit den Tatsachen der individuellen Differenzierung in Widerspruch; indem sie generalisiert, verfehlt sie das Wichtigste des Geschlechterproblems in Ansehung der Wirklichkeit.

Hier droht ein unlösbares Dilemma. Wenn die Frau nur kraft ihrer absoluten Verschiedenheit vom Manne neue Richtungslinien für die Lebensstellung des weiblichen Geschlechtes zu finden vermag, aber gerade durch diese Verschiedenheit in ein anderes Lebensgebiet als das männliche verwiesen wird, wie kann sie sich dann in der politischen Welt des Mannes den genügenden Einfluß schaffen?

Es ist also geboten, immer wieder auf das Geschlechterproblem zurückzukommen und die Ergebnisse des Denkprozesses, der die Auflösung der alten Normen begleitet, in Evidenz zu halten, denn solange man noch die Stellung der Frauen nach dem zu bestimmen sucht, was »das Weib seiner Natur nach« ist, und von hier aus neue Normen zu gewinnen hofft, wird das weibliche Geschlecht trotz der Zuerkennung der bürgerlichen Gleichberechtigung keine wirkliche Freiheit der Selbstbestimmung besitzen.


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