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Warum widerfährt den einen von den Frauen so viel Schlechtes, den anderen so viel Gutes? Welche Schicksalstücke ist es, die für die meisten eine ganz einseitige Auswahl trifft? Welches geheime Gesetz regelt die Begegnungen, aus denen jeder Mann die Summe seiner Frauenkenntnis zieht?
Deutlicher als überall offenbaren sich hier die beiden, das menschliche Geistesleben in seinen Untergründen am stärksten bindenden Eigentümlichkeiten: die Abhängigkeit alles Denkens von der angeborenen Eigenart, und die Neigung, die Ergebnisse des eigenen Denkens für objektive Wahrheiten zu halten. Wenn die »Wahrheit«, die eine individuelle Intelligenz hervorbringt, immer durch eine bestimmte Wesensart bedingt ist, muß nicht der verborgene Zusammenhang zwischen dem sogenannten objektiven Denken und der geistig-körperlichen Konstitution dort am unmittelbarsten sein, wo es sich nicht um Prinzipien des reinen Erkennens handelt, sondern um eine konkrete Erscheinung, die den Mann persönlich so nahe angeht, wie »das Weib«? –
Der geistige Prozeß, der sich abwickelt, wenn eine Verallgemeinerung zustande kommt, wenn einzelne Daten der Erfahrung, in ein gemeinsames zusammengefaßt, zu einer Schlußfolgerung benützt werden, ist von der Person des Erfahrenden nicht zu trennen; sonst könnten die gleichen Tatsachen von verschiedenen Beobachtern nicht ganz verschieden gedeutet werden.
Aber auch jene, die vermittelst apriorischer Aufstellungen über »die wahre Natur des Weibes« Auskunft geben, das »Wesen des Weibes« aus den Prinzipien der reinen Vernunft« begründen oder gar von der »platonischen Idee des Weibes« ausgehen, müssen der Frage unterworfen werden, welches die ursprünglichen Bedingungen sind, kraft deren solche Ideen in einer individuellen Intelligenz auftauchen, der Frage, wie weit ihre Subjektivität schon bei der Entstehung jener allgemeinen Voraussetzungen mitgewirkt hat.
Es war der Einsiedler von Sils Maria, der Mann der »ausschweifenden Redlichkeit«, der darauf hinwies, daß in diesen Dingen jeder nur zu erkennen vermag, was bei ihm darüber schon ausgemacht, was in der Tiefe seiner Wesensbeschaffenheit beschlossen ist:
»Im Grunde von uns, ganz ›da unten‹ gibt es etwas Unbelehrbares, einen Granit von geistigem Fatum, von vorherbestimmter Entscheidung und Antwort ... Über Mann und Weib zum Beispiel kann ein Denker nicht umlernen, sondern nur auslernen – nur zu Ende entdecken, was darüber bei ihm ›feststeht‹. Man findet beizeiten gewisse Lösungen von Problemen, die gerade uns starken Glauben machen; vielleicht nennt man sie fürderhin seine ›Überzeugungen‹. Später – sieht man in ihnen nur Fußtapfen zur Selbsterkenntnis, Wegweiser zum Probleme, das wir sind – richtiger, zur großen Dummheit, die wir sind, zu unserem geistigen Fatum, zum Unbelehrbaren ganz ›da unten‹.« (Jenseits von Gut und Böse.)
Er schickt diese Bemerkungen jenem einseitigen und ungerechten Urteile voraus, das er über die Vertreterinnen der modernen Frauenbewegung fällt, und unterstreicht solchergestalt ausdrücklich, daß es nur sein subjektiver Geschmack ist, der da redet. »Auf diese reichliche Artigkeit hin, wie ich sie eben gegen mich selbst begangen habe, wird es mir vielleicht eher schon gestattet sein, über ›das Weib an sich‹ einige Wahrheiten herauszusagen: gesetzt, daß man es von vornherein nunmehr weiß, wie sehr es eben nur – meine Wahrheiten sind.«
Doch lange vor Nietzsche hat Goethe zu Eckermann das denkwürdige Wort gesagt: »Die Frauen sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen. Meine Idee von den Frauen ist nicht von Erscheinungen der Wirklichkeit abstrahiert, sondern sie ist mir angeboren oder in mir entstanden, Gott weiß wie.«
Und bei Grillparzer findet sich der Ausspruch: »Was ist es auch, ein Weib? ... Ein Etwas, das nie etwas und nie nichts, je demnach ich mirs denke, ich, nur ich.« (Ein Bruderzwist in Habsburg.)
Behaupten wir also einmal: die Stellung, die der einzelne Mann in der Theorie wie in der Praxis dem Weibe gegenüber einnimmt, beruht nur zum geringsten Teile auf Erfahrungen – noch mehr: Die Erfahrungen, die jeder macht, sind schon im vorhinein durch eine ursprüngliche Anlage seiner individuellen Natur bestimmt. Äußere Erlebnisse können diese ursprüngliche Anlage nicht erheblicher verändern, als die Eigenart selbst durch äußere Einflüsse zu verändern ist. Ohne eine Wandlung in der Konstitution, wie sie allenfalls durch Alter oder Krankheit entsteht, wird schwerlich jemand über das andere Geschlecht von Grund aus umlernen, was immer Gutes oder Schlimmes ihm geschehe. Der bekehrte Weiberfeind ist zwar in der Romanliteratur eine häufige Erscheinung; in Wirklichkeit dürfte diese Bekehrung aber so selten sein wie jene fundamentale Wandlung religiöser Art, die selbst der christliche Glaube nur durch einen Akt der göttlichen Gnade bewirkt werden läßt. Denn jene Männer kann man nicht Weiberfeinde nennen, die nur deshalb gering von den Frauen denken, weil ihre subjektiven Vorstellungen vom Weib so hohe sind, daß die große Mehrzahl der Frauen ihnen nicht entspricht und sie lange vergeblich nach Verwirklichung ihrer Wunschgestalt suchen müssen.
Jede Individualität reagiert auf bestimmte Reize anders. Unter der Bezeichnung des subjektiven Geschmackes ist diese Tatsache ja eine der landläufigsten Beobachtungen. Bei den gewöhnlichen Menschen, deren Bewußtsein in Hinsicht auf ihre Sexualität sich nicht viel über ihre Dumpfheit des Instinktlebens erhebt, bleiben auch die durch den subjektiven Geschmack bestimmten Vorstellungen über das andere Geschlecht dumpf und unentwickelt. Sie übernehmen das konventionelle, das heißt, das durch die Mehrzahl geschaffene Urteil und behalten es häufig auch dann, wenn es sich nicht recht mit der Praxis ihres Lebens deckt, weil sie nicht aufgeweckt genug sind, um sich ihres persönlichen Empfindens reflexiv bewußt zu werden. Wo aber Phantasie und Leidenschaft oder ein gesteigertes Abstraktionsvermögen sich zur Individualität gesellen wie bei den geistig produktiven Menschen, füllt sich das Bewußtsein mit bestimmteren und deutlicheren Vorstellungen.
Der Komplex von Eigenschaften, der unsere besondere, von allen anderen verschiedene Person ausmacht und sich als Inhalt unserer Ichvorstellung im Bewußtsein spiegelt, erzeugt, gewissermaßen als Nebenprodukt, mehr oder minder scharf begrenzt ein ergänzendes Bild, das wir in die Außenwelt projizieren und in den Individuen des anderen Geschlechtes verwirklicht suchen. Das gilt gleicherweise vom männlichen wie vom weiblichen Geschlecht. Da das männliche Bewußtsein aber das mitteilsamere, das expansivere ist, und viel mehr von seinem Inhalt als gedankliche Schöpfungen nach außen richtet, läßt sich dieser Vorgang eher bei Männern beobachten, um so mehr, als seine Konsequenzen vermöge der Machtstellung des männlichen Geschlechtes für die Allgemeinheit größere Bedeutung haben.
Bei der subjektiven Vorstellung über das »Weib« bilden die Erfahrungstatsachen bloß das Baumaterial, der Bauplan ist durch die Individualität festgesetzt. Nach diesem Plane werden alle Erfahrungstatsachen interpretiert; alle Wahrnehmungen ordnen sich auf diese Weise gesetzmäßig zu einem Typus. Was seinen Typus bestätigt, ergreift jeder mit Aufmerksamkeit und bewahrt es mit willigem Gedächtnis: Eindrücke, die diesen Typus beschränken oder gar aufheben könnten, werden als störend, als hemmend, als unangenehm empfunden, werden vielfach gar nicht apperzipiert, und wenn, so verschwinden sie rasch wieder aus der Erinnerung.
Nichts ist so bezeichnend wie die unfehlbare Sicherheit, welche die meisten Männer bei ihren Generalurteilen über »das Weib« leitet, Männer sogar, die allen anderen Erscheinungen der Erfahrungswelt gegenüber die vorsichtigste und gewissenhafteste Denkzurückhaltung bewahren. Diese Sicherheit zeigt, daß sie ohne weiteres das empirische Weib mit dem immanenten verwechseln. Das empirische Weib, das reale Einzelwesen weiblichen Geschlechtes, ist eine vielfältige und in seiner Vielfältigkeit eben so inkommensurable Erscheinung wie der Mann; das immanente Weib hingegen, das Geschöpf der Einbildungskraft, ist jedem bekannt und vertraut wie sein eigenes Ich, weil es ja aus diesem Ich hervorgegangen und organisch mit ihm verwachsen ist.
Allen Generalurteilen eines Mannes über das Weib kommt in erster Linie eine Bedeutung als Symptom seiner eigenen psychosexuellen Anlage zu; sie haben mehr einen biographischen als einen normativen Wert. Was er vom Weibe hofft und fürchtet, wünscht und voraussetzt, seine Meinung über das, was das Weib sein »soll«, gestattet einen ziemlich untrüglichen Schluß auf seine eigene Wesensbeschaffenheit.
Es ist ein Bedürfnis nach Ergänzung, welches als oberstes Gesetz das psychische Verhältnis der Geschlechter beherrscht. Diesem Bedürfnis gemäß trägt das Idol, das die Phantasie jedes einzelnen von den Personen des anderen Geschlechtes schafft, jene Züge, die eine Ergänzung, in gewisser Hinsicht sogar eine Umkehrung seines eigenen Wesens bilden; es entsteht in der Psyche wie die komplementäre Farbe im Auge.
Richard Wagner, dessen theoretische Schriften so viele Beiträge zur Dichter- und Musikerpsychologie enthalten, gewährt einen bemerkenswerten Einblick in die Entstehung eines subjektiven Geschlechtsidoles in der »Mitteilung an meine Freunde«, wo er seine Dichtung zu Lohengrin als Symbolisierung eines innerlichen Erlebnisses schildert. Den tieferen Sinn dieser Dichtung bezeichnet er, indem er sein eigenes Empfinden in der Gestalt des Lohengrin verkörpert, als die Sehnsucht aus der einsamen Höhe der Künstlerschaft nach der Tiefe des allgemeinsamen menschlichen Lebens. Und von dieser Höhe gewahrt sein verlangender Blick – das Weib. »In Elsa ersah ich von Anfang herein den von mir ersehnten Gegensatz Lohengrins – natürlich jedoch nicht den diesem Wesen fern abliegenden, absoluten Gegensatz, sondern vielmehr das andere Teil seines eigenen Wesens, den Gegensatz, der in seiner Natur überhaupt mit enthalten und nur die notwendig von ihm zu ersehnende Ergänzung seines männlichen besonderen Wesens ist. Elsa ist das Unbewußte, Unwillkürliche, in welchem das bewußte, willkürliche Wesen Lohengrins sich zu erlösen sehnt.«
Wie charakteristisch ist es für die Individualität Richard Wagners, dessen Gefahr als Künstler eben in der doktrinären Bewußtheit lag, daß er das »wahrhaft Weibliche«, dem er in Elsa »mit Sicherheit auf die Spur zu kommen« glaubte, im Unbewußten, Unwillkürlichen erblickt! Das Überwiegen der Verstandestätigkeit, die für den künstlerisch produktiven Menschen ein so störendes, belästigendes, hinderndes Element ist, erscheint ihm als das, wovon er »erlöst« werden möchte. Da aber eine so mächtige Einwirkung – wenn sie überhaupt denkbar sein soll – nur durch eine psychosexuelle Verschmelzung herbeigeführt werden kann, projiziert er das, was er sich ersehnt, in die Gestalt eines Weibes, »des Weibes«, des »wahrhaft Weiblichen«. Allerdings ist er ferne davon gewesen, die Verkörperung dieses wahrhaft Weiblichen ausschließlich in weiblichen Individuen zu suchen, oder gar, es als Norm zu betrachten, nach welcher in der Realität die »echten« von den »unechten« zu scheiden wären.
Darin ist sein Empfinden viel tiefer und reicher, oder wenn man will, gerechter gewesen, als das seines späteren Gegners Nietzsche. Daß sich aber auch hinter dem Idol Nietzsches ein Wesensgegensatz, das Bedürfnis nach »Erlösung« verbirgt, bestätigt er, dessen schicksalsvoll entscheidende Eigenschaft der Drang nach unbedingter Wahrhaftigkeit und Redlichkeit des Denkens war, durch die Vorstellung: »Nichts ist von Anbeginn dem Weibe fremder, widriger, feindlicher als Wahrheit – seine große Kunst ist die Lüge, seine höchste Angelegenheit ist der Schein und die Schönheit. Gestehen wir es, wir Männer: wir ehren und lieben gerade diese Kunst und diesen Instinkt am Weibe: wir, die wir es schwer haben und uns gerne zu unserer Erleichterung zu Wesen gesellen, unter deren Händen, Blicken, zarten Torheiten uns unser Ernst, unsere Schwere und Tiefe beinahe wie eine Torheit erscheint.«
Diese Verherrlichung der weiblichen Lügenhaftigkeit und Oberflächlichkeit gehört zu den seltsamsten Beispielen der Geschlechtsidolatrie. Man vergleiche damit den Grimm und Abscheu, mit dem die Männer des Mißtrauens und der Unehrlichkeit – insbesondere jene, die an ihrem eigenen mißtrauischen und unehrlichen Wesen leiden, die sich gerne darüber erheben möchten – von den gleichen weiblichen Eigenschaften reden, wie hoch sie die Einfalt und Gefühlstiefe am »echten« Weibe preisen. Nicht anders die Unmäßigen, die Zügellosen, die Lasterhaften unter den Männern, die das Weib als Idol des schönen Maßes, der Züchtigkeit, der Reinheit anzubeten pflegen.
Die Herrschaft, die das subjektive Phantasiebild im Seelenleben der Einzelnen ausübt, erreicht zuweilen die Gewalt einer fixen Idee; aber auch wo es nicht diesen wahnhaften Charakter annimmt, bleibt es eine der stärksten und unüberwindlichsten Illusionen. Steht es doch in inniger Beziehung zu der wichtigsten Angelegenheit, die das menschliche Triebleben außer der Selbsterhaltung kennt: zur geschlechtlichen Auswahl. In den Liebesbeziehungen gewinnt das subjektive Geschlechtsidol seine größte Bedeutung; da ist auch die Verblendung, die es bewirkt, am leichtesten zu beobachten.
Nichts anderes als diese Herrschaft des immanenten Weibes in der Liebe meint Maeterlinck, wenn er sagt: »Vergebens werden wir rechts oder links, in den Höhen oder Niederungen wählen, vergebens werden wir, um aus dem Zauberkreis herauszukommen, den wir um alle unsere Lebensäußerungen gezogen fühlen, unseren Instinkt vergewaltigen und eine Wahl gegen die unseres Sternes zu treffen versuchen – wir werden doch immer die vom unsichtbaren Gestirn herabgestiegene Frau erküren. Und wenn wir gleich Don Juan eintausenddrei Frauen küssen, werden wir (zuletzt) einsehen, daß immer dieselbe Frau vor uns ist, die gute oder die böse, die zärtliche oder die grausame, die liebende oder die ungetreue.«
D'Annunzio läßt in seinem Roman »Der Triumph des Todes« den Helden beim Anblick der Geliebten denken: »Sie ist, wie sie mir in jedem Augenblick erscheint, nichts als die Wirkung meiner fortwährenden inneren Schöpferkraft. Sie existiert nicht außer in mir selbst ...«
In seiner schwülstig-ekstatischen Manier spricht Prybiszewski davon: »Bevor ich dich sah, warst du in mir ... lagst du so in unbefleckter Reinheit als ein Urbild keusch in meinem Gehirn, eine rein angeschaute Idee ... und in einem Nu hattest du die Fäden zwischen meinem schaffenden Gehirn und der schlummernd brütenden Tierseele des Geschlechtes gesponnen ... und du, Geschlechtstier, bist mit dir, dem Urbild meines Hirnes, zusammengeflossen und wurdest eine große Einheit.« (Vigilien.)
Hier läßt sich zugleich ein unheilverkündender Ton vernehmen; denn es kann nichts Gutes bevorstehen, wenn ein »Geschlechtstier« und eine »rein angeschaute Idee« zusammenfließen.
Das subjektive Phantasiebild bestimmt das individuelle Verhältnis zwischen dem einzelnen Mann und dem Weibe seiner Wahl: zum Glücke der Beteiligten, wenn die reale Person des Weibes dem Idole entspricht – als Verhängnis, wenn sich das Idol mit der unrechten Person verknüpft. An den Irrtümern, die den mißglückten Liebesverhältnissen zugrunde liegen, hat die Herrschaft des subjektiven Phantasiebildes einen großen Anteil. Der Kampf zwischen dem immanenten und dem empirischen Weibe wird oft in seiner ganzen Gewalt aus den leidenschaftlichen Anklagen und Vorwürfen sichtbar, aus dem verzweiflungsvollen Schwanken zwischen Haß und Liebe, welches den Auflösungsprozeß solcher Verhältnisse begleitet.
Bis zum äußersten gesteigert, mit seiner abstoßend pathologischen Note, aber großer künstlerischer Aufrichtigkeit, erscheint dieser Kampf in Strindbergs »Beichte eines Toren«. Aus der Verworrenheit, Inkonsequenz und Launenhaftigkeit der Leidenschaft, die da bald mit Wutausbrüchen, bald in ohnmächtiger Ratlosigkeit an das Urteil des »aufgeklärten Lesers« apelliert, tritt bald das Idol, bald die reale Person des Weibes hervor, je nach den Umständen, in welchen der Autor lebt. Wenn er mit seiner Geliebten dauernd beisammen ist, verdrängt die reale Person das Idol und erfüllt ihn mit argwöhnischer Unruhe; wenn er sich von ihr entfernt, »steigt das Phantom des bleichen, jungen Weibes, das Spiegelbild der Jungfrau Mutter« vor ihm auf; »das Bild der zügellosen Komödiantin« ist aus seinem Gedächtnis weggewischt. Man kann erraten, daß diese Frau sich unter dem suggestiven Einfluß seines Idoles anders gibt als sie ist; sobald sie aus der Rolle fällt, wird sie für ihn ein Gegenstand des Abscheus und der Verachtung. Er vermag absolut nicht, sich irgend eine klare und zutreffende Vorstellung von ihrer wirklichen Beschaffenheit zu machen; schon allein der Gedanke, daß sie sexueller Regungen fähig sein könnte, bringt ihn außer Rand und Band: »sollte diese kalte und wollüstige Madonna zur Klasse der geborenen Dirnen gehören?« – Es gibt keine Unwürdigkeit, die er ihr, während er mit ihr vereinigt ist, nicht nachsagte; er schäumt vor Bosheit und Tücke wider sie, vergleicht sie mit der Spinne, die ihren Mann auffrißt – und kaum ist er von ihr getrennt, wiederholt sich dasselbe Spiel: »die Madonna meiner ersten Liebesträume taucht empor, und das geht so weit, daß ich bei einem Zusammentreffen mit einem alten Kollegen von der Journalistik gestehe, daß ich durch ein edles Weib demütiger und reiner geworden bin.«
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Alle die unendlich verschiedenen Frauencharakteristiken, die als Aussage über »das Weib« in der Literatur aller Zeiten niedergelegt sind, sie geben auch Zeugnis für die Mannigfaltigkeit der Idole, welche die männliche Phantasie hervorbringt. Man kann diese Idole nach dem Rangverhältnis gruppieren, das sich in ihnen ausspricht, jenem Rangverhältnis, in das sich der Mann als Person zu dem Weibe als Person setzt. Da das männliche Geschlecht gemäß der äußeren Ordnung der Dinge das erste und herrschende ist, wird gerade das geschlechtliche Rangverhältnis, wie es sich in der Vorstellung des einzelnen Mannes vollzieht, zu einem individuellen Kennzeichen von besonderem Gewicht. Gemäß der äußeren Ordnung der Dinge kann der Mann das Weib nur unter sich stellen. In dieser Ordnung herrscht das Idol der Leibeigenen. Trotzdem spielt in der Kulturgeschichte das Idol, das der Mann über sich stellt, das Idol des »höheren Wesens« oder der Gebieterin, eine nicht zu unterschätzende Rolle, ebenso wie das Idol, das der Mann neben sich stellt, die Gefährtin. In diesen drei Gestalten sind allerdings nur die allgemeinsten Umrisse des Verhältnisses gegeben, aber jenen drei Gruppen entsprechend, in welche Männer nach ihrer Geschlechtsnatur scheiden, und die sich als die herrische, die ritterliche und die kameradschaftliche bezeichnen lassen.
Da der Rang und Wert der einzelnen männlichen und weiblichen Individuen ein völlig relativer ist, könnte jeder Mann, sofern er in der Tat objektiv wäre, unter den Frauen der Wirklichkeit nach Belieben solche finden, die über ihm, wie solche, die neben oder unter ihm stehen. Der gewöhnliche, unbedeutende Mann müßte also am ehesten dazu kommen, das Weib über sich zu stellen; während nur die Männer auf den höchsten Gipfeln der menschlichen Vollendung, wie sie von Frauen bisher nie erreicht worden ist, unbedingt das Weib unter sich erblicken dürften. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Die niedrigsten und erbärmlichsten Wichte fühlen sich in der Regel dem Weibe überlegen und genießen ihr herrisches Selbstgefühl in brutalen oder boshaften Akten; indes viele der edelsten und vornehmsten Repräsentanten der Männlichkeit das Weib als Gebieterin oder als Gefährtin dachten, also ein Idol über die Wirklichkeit hinaus schufen.
So tief und reich die erotische Seite in einer Persönlichkeit entwickelt ist, so reich und individualisiert wird auch das Phantasiebild sein, das sie von dem anderen Geschlechte hervorzubringen vermag. Eine dürftige, spröde, einseitige Erotik kann weder ein inhaltsvolles noch ein harmonisches Bild des Weibes entwerfen; im besten Fall wird es mit ganz allgemeinen, ganz oberflächlichen Geschlechtsqualitäten ausgestattet sein, im schlimmsten gemein oder nichtig, ohne jede eigene Wesenheit, ein leeres Blatt, auf das erst der Mann seinen Willen schreibt.
Das Bild der Leibeigenen, das subjektive Geschlechtsidol des herrischen Erotikers, ist das älteste, das verbreitetste und vulgärste, es bestimmt auch die Stellung, die dem weiblichen Geschlecht, wenn schon nicht in der Gesellschaft, so doch vor dem Gesetze eingeräumt ist.
Wenn die Leibeigene ihr völliges Gegenteil in der Vorstellung der Gebieterin, dem Idol der ritterlichen Erotik, findet, so vollzieht sich dabei, wie merkwürdig immer diese Umkehrung sein mag, doch an dem Grade der Fremdheit im Verhältnis der Geschlechter keine wesentliche Änderung. Die Vorstellung der weiblichen Schwäche, die bei dem herrischen Mann dominiert, gibt auch für das ritterliche Idol den Ausschlag; nur ist sie hier mit der Vorstellung der sittlichen Überlegenheit des Weibes gepaart, und bewirkt, daß der Herr und Meister zum Diener und Beschützer wird, der sich in freiwilliger Unterordnung gefällt, soweit er sich als Beschützer fühlen kann.
Aber die Vorstellung eines weitgehenden, ja unüberbrückbaren Unterschiedes liegt tief im Wesen des ritterlichen Idoles; es wurzelt in dem Bedürfnis nach Abstand wie das herrische Idol, nur die Richtung, nach welcher es zielt, ist eine andere. Ohne die Bewahrung einer gewissen Entfernung zwischen seinem Träger und der Person, an die es sich heftet, kann es nicht bestehen – weshalb Nietzsche sagte: »Der Zauber und die mächtigste Wirkung der Frauen ist ... eine Wirkung in die Ferne, eine actio in distans; dazu gehört aber, zuerst und vor allem – Distanz.«
Die ruhmvollsten Gestalten, die das ritterliche Idol je angenommen hat, Dantes Beatrice und Petrarcas Laura, verleugnen diese Distanz nicht; wie denn als die eigentliche Domäne des ritterlichen Idoles, das Berührungen mit der Realität am schlechtesten verträgt, die Poesie erscheint: indes der herrische Erotiker, der, bar aller Romantik, seine Vorstellungen aus dem Lehm des täglichen Lebens knetet, sich das Weib ganz für den Hausgebrauch zurechtgemacht hat.
Vielleicht das einzige, das in sich selbst die Bedingungen eines wirklichen Verständnisses, eines wirklichen Naheseins zwischen Mann und Weib enthält, ist das Idol der Gefährtin, die subjektive Vorstellung, daß das Weib nicht über, noch unter dem Mann, sondern neben ihm steht, in einer menschlichen Gemeinschaft, deren sexuelle Differenzierung ebensowenig aus seiner intellektuellen wie aus seiner physischen Überlegenheit entspringt. Dieses Idol wird öfters, und namentlich von den Rigoristen unter den herrischen Erotikern, für eine schwächliche Erfindung des modernen weiblichen Denkens ausgegeben, oder auch für ein Verfallsprodukt, weil es erst seit den Tagen der großen französischen Revolution existiert. In Wahrheit ist es aber von weit älterer Abkunft; einige der herrlichsten Geister des Altertumes, wie Plato und Plutarch, haben es gekannt; und wenn man der Erzählung von Maria und Martha eine symptomatische Bedeutung beimessen darf, so hat auch Jesus den Willen zur geistigen Gemeinsamkeit am Weibe dem Willen zum Dienen vorgezogen: »Maria hat das bessere Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.«
Diese drei Typen treten in Wirklichkeit weder so streng gesondert, noch so deutlich ausgesprochen hervor; auch erschöpfen sie keineswegs die Mannigfaltigkeit der subjektiven Idole. Von anderen Kennzeichen ausgehend, hat Ria Claaßen in einem der geistreichsten und – für jene angemerkt, die dem weiblichen Geiste die Originalität absprechen – eigenartigsten unter den Beiträgen zur Geschlechtspsychologie (das Frauenphantom des Mannes, Zürcher Diskussionen IV) drei andere Typen gezeichnet; die sich nach ihrer Meinung immer gleich bleiben und zu allen Zeiten wiederholen: das Phantom vom Weibe des Sündenfalls, das Phantom der Jungfrau-Mutter, und als »abscheulichstes Phantom, das je in Menschenhirnen umging«, das des nur geschlechtlichen Weibes – »bequemstes Objekt für den Sultan Geschlechtstrieb« ...
Die Rachsucht, die Schwärmerei und die platte Gemeinheit, die jeweils den Geschlechtstrieb des Mannes begleiten, sind in diesen drei Gestalten glänzend wiedergegeben; nur die freundlichen, zärtlichen, kameradschaftlichen Vorstellungen, die doch aus dem Verkehr der Geschlechter nicht wegzuleugnen sind, gehen bei Ria Claaßen leer aus. Daher gipfelt ihre Auffassung des Geschlechtsverhältnisses in der düsteren Prognose: »Das Schopenhauer-Strindbergsche Phantom, das Phantom von dem Weibe des Sündenfalls überhaupt, ist wie das älteste, so auch das modernste, das Zukunftsphantom. Denn nicht größtmögliche Intimität der Geschlechter ist die Losung der nächsten Zeit, sondern größtmögliche Fremdheit, wenigstens in ihren höher entwickelten Exemplaren.«
Es ist wahr, die moderne Literatur bietet Anzeichen genug, die darauf schließen lassen, daß die Wahnvorstellungen über das Weib in den Köpfen der herrischen Erotiker nichts von der alten Schärfe des Gegensatzes eingebüßt haben. Sollte aber das Frauenphantom, wie es aus dem Kopfe John Stuart Mills oder Bebels oder Björnsons oder Walt Whitmans hervorging, an sozialer Bedeutung dem Schopenhauer-Strindbergschen nicht gleichkommen? Und er, der vollendetste Repräsentant der erotischen Genialität, Goethe, sollte für kommende Geschlechter nicht mehr vorbildlich sein? Mißverständlicherweise – und vielleicht war es ein williges Mißverstehen, mit dessen Hilfe sich das deutsche Philistertum der Autorität Goethes bemächtigte! – gilt ganz allgemein das Wort: »Dienen lerne beizeiten das Weib,« als das für Goethes Stellung zum weiblichen Geschlecht bezeichnende, während er es doch einem heroischen Mädchen als Ausdruck freiwilliger Selbstbescheidung in den Mund legte – jener Dorothea, an der Humboldt tadelte, daß sie unweiblich genug war, im Augenblick der Gefahr gleich einem Manne zu den Waffen zu greifen. Wie Goethes subjektives Idol aussah, erhellt unzweideutig aus seiner Anschauung: wenn die Frau »ihre übrigen Vorzüge durch Energie erheben kann, entsteht ein Wesen, das sich nicht vollkommener denken läßt ... Der Ausspruch ›er soll dein Herr sein‹, ist die Formel einer barbarischen Zeit, die lange vorüber ist; die Männer konnten sich nicht völlig ausbilden ohne den Frauen gleiche Rechte zuzugestehen«; und seine Werke geben reichlich Zeugnis davon, daß er es verstand, »mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes« zu tragen.
Und so wäre »das Weib« nur ein Produkt des männlichen Gehirnes, eine ewige Täuschung, ein Schemen, das alle Gestalten annehmen kann, ohne doch jemals eine davon wirklich zu besitzen?
Das Weib als Abstraktion, als Objekt des Denkens existiert nur im Kopfe des denkenden Subjektes und ist so abhängig von diesem, wie es in der Natur des Denkens liegt; das Weib als Individuum besteht für sich, und ist so edel oder so gemein, so begabt oder so dumm, so schwach oder so stark, so gut oder so böse, so ähnlich dem Manne oder ihm so entgegengesetzt, kurz so verschiedenartig, als es in der Natur der menschlichen Gattung liegt. Erstaunlich genug – diese einfache Beobachtung, die tausendfältig durch das Leben wie durch die Darstellung des Lebens bestätigt wird, kann sich nur in den seltensten Fällen gegen die Macht des subjektiven Idoles durchsetzen!
Nichts muß den Frauen so angelegen sein, als gegen die Abstraktion zu kämpfen, in die sie beständig durch das männliche Denken verwandelt werden. Gegen das Weib als Idol müssen sie kämpfen, wenn sie als reale Personen ihr Recht in der Welt erobern wollen. Das bedeutet, aus der Passivität hervorzutreten und das Schweigen über sich zu brechen, selbst auf die Gefahr hin, daß fürs erste wenig Erbauliches dabei herauskommt. Viele Männer halten es für die große Schamlosigkeit der modernen Frauen oder auch für ihre große Torheit, daß sie mit Enthüllungen und Bekenntnissen den Schleier zerreißen, den die männliche Phantasie um sie gewoben hat. Das Schweigen mag seine Vorteile haben; aber alle Vorteile der Welt werden ein Wesen, das sich selbst als Person zu fühlen beginnt, nicht damit aussöhnen, für etwas anderes gehalten zu werden, als es ist.
Und wenn es auch eine Sache der Wesensbeschaffenheit, nicht der besseren Erkenntnis ist, ob Mann und Weib einander als freie Gefährten oder als Herr und Untertan gegenüberstehen, so sollte es eine Sache der besseren Erkenntnis werden, die Macht des subjektiven Idoles in dem Verhältnis von Mann und Weib zu durchschauen und einzugestehen, daß die Subjektivität hier das Unüberwindliche ist.