Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Frau und der Krieg

Ich komme mit diesen Ausführungen einer Anregung der geschätzten Redaktion nach, die mir als Thema »Die Frau und der Krieg« vorgeschlagen hat. Wenn man in dieser generalisierenden Fassung von der Stellung des weiblichen Geschlechtes gegenüber einem so ungeheuren Lebensproblem, wie es der Krieg ist, sprechen will, begegnet man vor allem der Schwierigkeit, welche die Generalisation immer bereitet: der Vergewaltigung der Minorität durch ein Mehrheitsschema. Was aber die Stellung des weiblichen Geschlechtes in der Gegenwart vor allen früheren Epochen auszeichnet, ist gerade das entscheidende Auftreten einer Minorität, die sich von der herkömmlichen Auffassung über Wesen und Aufgabe der Frau losgesagt hat und in jahrzehntelangen Kämpfen zu einer höchst beachtenswerten, erfolgreichen, immer breitere Schichten der Bevölkerung erobernden sozialen Erscheinung geworden ist. Man faßt diese Minorität unter dem Namen der Frauenbewegung zusammen. Zwar ist sie – wie dies von dem allgemein menschlichen Wesen unzertrennlich zu sein scheint – noch ehe sich alle ihre Forderungen verwirklicht haben, schon in eine Anzahl auseinanderstrebender Gruppen gespalten; doch darf man sie wohl als Ganzes der Majorität des weiblichen Geschlechtes gegenüberstellen, die auf den hergebrachen Platz im Hause und die damit verbundenen Aufgaben beschränkt bleiben will und die Forderungen der Emanzipation ablehnt. Man kann also in den sozialen Fragen nicht mehr von der Frau schlechtweg sprechen, sondern allenfalls von der progressiven und der konservativen Frau, obgleich ja auch damit wieder eine Generalisation geschaffen ist, die keineswegs auf alle beteiligten Individuen und deren Wesensart zutrifft. Nur die prinzipielle Auffassung, bestimmte logische Forderungen müssen natürlich allen gemeinsam sein, die sich zur Frauenbewegung bekennen.

Für die konservative Frau bedeutet auch der Krieg die kritiklose Unterordnung unter den Willen und die Bedürfnisse des Mannes, wie sie ihrer Stellung auf dem zweiten Platz in der herrschenden Ordnung entspricht. Sie kann im Kriege wie im Frieden nichts höheres tun, als die Pflichten erfüllen, die ihr durch diesen Platz angewiesen werden, ohne jeden Versuch, sich den Ereignissen von ihrer besondern weiblichen Weltstellung aus zu widersetzen. Allerdings – während die ungeheuere Tatsache des Krieges im Völkerleben sich abwickelt, kann auch die progressive Frau, wenn sie ihre persönliche Kraft in den Dienst der Gemeinschaft stellen will, kaum etwas anderes tun als die konservative. Sie teilt auf diese Weise das Schicksal derjenigen unter den Männern, die dem Krieg theoretisch ablehnend gegenüberstehen, ohne sich doch den Forderungen, welche die allgemeine Wehrpflicht an sie stellt, entziehen zu können, weil sie durch die Macht der Umstände überwältigt werden.

Prinzipiell aber kann weder Zweifel noch Meinungsverschiedenheit über die Stellung der progressiven Frau gegenüber dem Krieg als sozialem Problem herrschen, sofern alle Konsequenzen der Weltanschauung, von denen die Frauenbewegung ausgeht, gezogen werden. Vielleicht wird ein Versuch, das Wesen des Krieges von der psychologischen Seite zu beleuchten, diesen prinzipiellen Standpunkt am deutlichsten zeigen – so weit eben in währendem Kriege eine objektive Analyse möglich ist.

Der Krieg als eine von der Machtkonkurrenz unter den Völkern untrennbare Erscheinung stellt zugleich, von seinen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen abgesehen, die Äußerste Ausgeburt des Mannwesens dar, die letzte und furchtbarste Konsequenz der absoluten männlichen Aktivität. Neben dieser höchsten Steigerung der Männlichkeit nach außen hin kann das spezifisch Weibliche sich nicht als etwas Gleichberechtigtes behaupten; es muß notwendigerweise auf die zweite Stufe sinken, wenngleich die seelische Leistung, zu welcher der Krieg die Frauen verurteilt – die Passivität, mit der sie das Schicksal der ihrem Herzen teueren Männer abwartend aus der Ferne miterleben müssen – gewiss auch eine Art Heroismus fordert.

Aber wie anders sind die Wirkungen dieses passiven weiblichen Heroismus in der Psyche, als die des aktiven männlichen Heldentums! Der Mann, der sein Leben im Kampf aufs Spiel setzt, erlebt seelische Sensationen, die eine Art Rausch, eine besondere Entfaltung und Anspannung dessen mit sich bringen, was man als somatisches Persönlichkeitsgefühl bezeichnen könnte. Wenn auch die edlen Motive der Hingebung an die gemeinsame Sache, an das Vaterland im Vordergrund des Bewußtseins stehen, so gewähren sie doch wegen ihres ideellen Charakters keine erschöpfende Erklärung des physischen Mutes und seiner seelischen Begleiterscheinungen. Wahrscheinlich wirkt dabei die Wiedererweckung von Urinstinkten mit, die bei sehr vielen durch das Kulturleben in Friedenszeiten unterdrückt und gehemmt sind, so dass für sie in der Tat die kriegerische Lebensweise, trotz aller mit ihr verbundenen Gefahren und Strapazen, etwas Befreiendes hat. Es fehlen natürlich alle Anhaltspunkte über den Prozentsatz, in dem die Tapferkeit bei den einzelnen aus der primitiven, elementaren Kampflust entspringt; jedenfalls genießt diese in der militärischen Bewertung als »Offensivgeist« die höchste Anerkennung und bedeutet im Krieg für ihre Träger die größten inneren und äußeren Vorteile.

Nichts ähnliches begleitet das passive Heldentum der Frauen, das rein ethischer Art ist. Ihnen bietet der Krieg – wohlverstanden: der Krieg als solcher – keines der Äquivalente, die er unter Umständen der männlichen Natur gewährt. Selbst dann nicht, wenn sie über den passiven Heroismus der Entsagung hinaus eine Tätigkeit wie die Pflege der verwundeten und kriegsuntauglich gewordenen Männer übernehmen, mit der sie eine sehr hoch einzuschätzende, aktive Leistung vollbringen, oder andere, mit dem Krieg einhergehende Aufgaben sozialer und wirtschaftlicher Art, die das Maß der bloß passiven Duldung und Ergebung überschreiten.

Schon die Mission der Lebenserhaltung an sich, die den Frauen durch diese Hilfeleistungen zufällt, offenbart den tiefen Gegensatz, der zwischen dem Weibe und dem Krieg besteht. Das Gesetz des Krieges, sein innerstes Wesen, ist Eroberung durch Zerstörung, indeß das Gesetz des weiblichen Wesens, nach seiner ursprünglichsten und allgemeinsten Funktion, Lebenserhaltung ist. Dem Weibe muss geborenes Leben teurer sein als dem Mann, weil die Natur nur das Weib mit den Leiden und Schwierigkeiten, die seine Entstehung kostet, beladen hat. Dass in allen Jahrtausenden menschlicher Geschichte das Weib nicht imstande war, dieser wesenhaften Gegnerschaft gegenüber dem Kriege Geltung zu schaffen, erklärt sich aus seiner sekundären Stelle, von wo es das Gesetz seiner besonderen geschlechtlichen Natur nicht durchsetzen konnte.

Und das ist der Wille und das Ziel der progressiven Bewegung unter den Frauen: das Weib von dieser zweiten Stelle zu erheben, um es als gleichberechtigtes Wesen an die Seite des Mannes zu setzen. Was aber kann der letzte und tiefste Sinn dieser Bestrebung sein? Ihre Gegner haben sie immer dahin mißverstanden, als wollte sie aus dem Weib einen Mann machen. Und in der Tat würde, falls die Frauenbewegung nicht von einer wesentlichen Änderung der bestehenden Ordnung begleitet wäre, diese Gefahr in mancher Hinsicht drohen; zum Mindesten aber müsste sich das weibliche Geschlecht in die Lebensformen und Anforderungen pressen lassen, die vom Manne für den Mann geschaffen wurden. Deshalb ist Änderung der bestehenden Ordnung im Sinne des weiblichen Lebens eine unerläßliche Voraussetzung der Frauenbewegung.

Dass es sich dabei nicht um eine Utopie handelt, lässt sich unschwer aus dem Gang der Entwicklung zeigen, den das soziale Leben der Kulturvölker genommen hat. Erst als der Gewaltstaat sich in einen Rechtsstaat verwandelt hatte, das heisst, als das Recht des Stärkeren dem Rechte durch Übereinkommen wich, trat allmählich für das weibliche Geschlecht die Möglichkeit ein, aus der Vormundschaft des Stärkeren zur selbständigen Behauptung überzugehen, aus einem Mittel zum Zweck, zur eigenberechtigten Person zu werden, so weit als die staatliche Ordnung auch dem Manne das Recht dazu einräumt. Eine immer wachsende Ausgestaltung des Rechtsstaates auf der Linie der individuellen Freiheit ist jene Voraussetzung, mit welcher die Frauenbewegung steht und fällt. Sobald der Rechtsstaat suspendiert wird, wie dies im Krieg durch die Vorherrschaft der Militärgewalt der Fall ist, verliert die Frauenbewegung schon von dieser Seite den Boden. Sie tritt unter solchen Umständen, wenn sie da nicht den Standpunkt der Verneinung einnimmt, mit sich selbst in Widerspruch, sie hebt sich selbst auf. Nur unter einer Bedingung könnte sie dann noch ihre Forderung der Gleichberechtigung aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechtes aufrecht erhalten; wenn auch das weibliche Geschlecht in die allgemeine Wehrpflicht einbezogen würde.

Sollte sie aber diese Konsequenz ziehen – eine Konsequenz, die allerdings bisher nur von ihren Gegnern unter Mißachtung der Mutterschaftsleistung aufgezeigt wurde, um die Forderung der Gleichberechtigung ad absurdum zu führen – so würde sie damit erst recht den schwersten Mißgriff gegen sich selbst begehen, eine völlige Verkennung der tieferen psychischen Zusammenhänge, die das Leben der Geschlechter in der Mehrheit bestimmen.

Ehe ich fortfahre, ist es vielleicht notwendig, daß ich meinen Standpunkt gegenüber dem Geschlechterproblem wieder bekräftige, indem ich daran erinnere, dass ich eine unbedingte Bindung seelischer und geistiger Leistungen durch das Geschlecht nicht anerkenne. Nach meiner Anschauung bildet die geschlechtliche Differenzierung keine generelle Schranke der persönlichen Begabung und Eigenart – eine Tatsache, die für den unvoreingenommenen Beobachter durch einzelne Fälle hinlänglich bewiesen ist. Aber das bedeutet nicht, dass es auch für die grosse Mehrzahl der Geschlechtsindividuen gilt. Im Gegenteil: die grosse Mehrzahl zeigt ebenso deutlich, dass die geschlechtliche Differenzierung gewöhnlich einen Unterschied in den Neigungen und Instinkten der Individuen mit sich bringt. So verstehe ich, wenn ich von der Besonderheit der weiblichen oder männlichen Natur spreche, darunter nicht eine essentielle, etwa gar ins Metaphysische reichende Wesensverschiedenheit, sondern vielmehr ein Mehrzahlsphänomen, das sich am ehesten als Anpassungserscheinung erklären lässt. Als solche ist die geschlechtliche Differenzierung, soweit sie psychische Eigenschaften betrifft, wahrscheinlich in hohem Grade abänderungsfähig; deshalb kann in einer Epoche, in der die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen des weiblichen Geschlechtes eine tiefgreifende Wandlung erfahren, das Wesen der Weiblichkeit nicht sorgfältig genug geprüft werden. Besonders eine weltumspannende Organisation wie die Frauenbewegung, deren Inhalt die höheren Interessen der Weiblichkeit auf neuer Grundlage sind, muss ihre Direktiven aus einer entschiedenen Wertung dessen schöpfen, was sie in der weiblichen Natur als Vorteil und als Nachteil ansprechen, was sie beschützen und was sie bekämpfen will.

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die höchste und schönste Begleiterscheinung der typisch weiblichen Natur die Mütterlichkeit und deren psychische Ausstrahlungen sind. Wenn man Duldsamkeit, Weichherzigkeit, Mitleid und Friedfertigkeit dazu zählt, so schliesst man zugleich daraus, dass die aggressiven Impulse, die beim Mann die Neigung zu kriegerischen Handlungen mit sich bringen, in der psychophysischen Konstitution des Weibes fehlen. Die Ausnahmen, die auch während des gegenwärtigen Krieges in einzelnen, an der Front kämpfenden Frauen hervorgetreten sind, bestätigen nur, dass die Geschlechtsdifferenzierung in der Tat keine Schranke der individuellen Beschaffenheit bildet. Und nichts hindert uns, diese Einzelnen sowohl um dieser Bestätigung, wie um ihrer persönlichen Tapferkeit willen zu bewundern. Nur als nachahmenswertes Beispiel, als Vorbild für die grosse Mehrheit der Frauen können sie nicht betrachtet werden.

Denn auch die größte Wertschätzung des physischen Mutes, der Tapferkeit, der Todesverachtung und aller anderen hohen seelischen Leistungen, die mit der kriegerischen Disposition der männlichen Natur im günstigen Falle einhergehen, vermag an der Tatsache nichts zu ändern, dass der Krieg das furchtbarste Übel ist, das die menschliche Gesellschaft durch die Jahrtausende mit sich schleppt. Wie weit immer die Kriegsleidenschaft unter dem Druck eines äussersten Notstandes, der nationalen Verteidigung auf Sein und Nichtsein, wie hoch die Bewunderung für die heroischen Leistungen der Soldaten gestiegen ist – niemand kann vor den Gräueln des Krieges die Augen schließen und dem organisierten Massenmord, zu dem durch die Mittel der modernen Technik der Krieg obendrein entartet ist, das Wort reden. Beweis dafür das Bemühen aller an dieser grauenvollen Katastrophe beteiligten Völker, die Schuld daran von sich abzuwälzen und sich als die Angegriffenen hinzustellen. Wäre der Krieg an sich auch in den Augen derjenigen, die ihn für eine unvermeidliche Begleiterscheinung der menschlichen Zustände halten, ein Triumph und Gipfel des Lebens, so müsste es ebenfalls Ehre und Triumph sein, ihn herbei geführt zu haben. Der Zwiespalt, der in dieser Hinsicht zwischen dem Kulturfortschritt und der Kriegsmachenschaft allenthalben besteht, tritt nirgends deutlicher hervor, als hier; denn aufrichtig kriegerische Völker haben sich immer als die Angreifer gefühlt und hätten die Rolle der Herausforderung dem Feinde nie gegönnt.

*

So weit aber der Krieg nicht Machenschaft, sondern Instinktsache ist – und könnte denn eine so ungeheuerliche Einrichtung sich dauernd behaupten, wenn sie nur durch eine kleine Gruppe von Machthabern den Völkern aufgezwungen wäre, ohne durch deren Instinktleben gefördert zu sein? – so weit ist er vollends unvereinbar mit den weiblichen Interessen. Denn es besteht unleugbar ein Zusammenhang der kriegerischen Impulse mit einer bestimmten Art der männlichen Geschlechtsimpulse; schon im Tierreich erscheint er in den Kämpfen der männlichen Tiere untereinander, wenn auch diese Kämpfe nur ein Analogon des Duells, nicht aber des Krieges bilden. Solange diese Art der männlichen Geschlechtsimpulse die Herrschaft führt, bleibt für die Frau als eigenberechtigtes, dem Manne gleichgestelltes Wesen kein Raum. Die kriegerische Leistung des Mannes ist ein Äquivalent für seine geschlechtliche Eigenart; alles, was an dieser Eigenart mit den Ansprüchen einer veredelten und beseelten Sexualität unvereinbar ist, erscheint durch die unterirdischen Zusammenhänge mit der Kampftüchtigkeit und kriegerischen Angriffslust von einem anderen Gesichtspunkt aus in einem anderen Licht. Allerdings entstammt die militärische Bewertung der Mannhaftigkeit einer Zeit urweltlicher Zustände und Empfindungen. Die ganze Welt des Krieges, ihre Herkunft von einer Stufe des Denkens, auf der an der Grenze des Stammes der Mensch aufhört und der Feind nicht als wesensgleiches Geschöpf gilt, steht in einem tragischen Gegensatz zu dem intellektuellen Niveau des modernen Menschen. Aber die Greueltat, die über das gesetzmäßig geordnete gegenseitige Morden hinaus auch unter den vermeintlich so hochzivilisierten europäischen Nationen der Gegenwart begangen werden, zeigen doch, welche Gewalt die Instinkte des Urmenschen in der modernen Psyche erreichen können, sobald die Hemmungen des Kulturlebens wegfallen – wie sie auch zugleich das Gesetz bestätigen, welches zwischen Spannung und Entspannung nach Grad und Art herrscht. Im Krieg wird ein atavistischer Zustand des Mannestums über die Kultureinflüsse und Kulturbildungen jüngeren Datums Herr. Es ist keine zufällige, sondern eine gesetzmäßige, mit der kriegerischen Disposition eng verknüpfte Erscheinung, dass in jedem Krieg Vergewaltigung an feindlichen Frauen geübt wird: das sadistische Element in der männlichen Geschlechtsnatur zeigt hier seine nahe Verwandtschaft mit den seelischen Erregungen, die den Kampf und Mord begleiten.

Aber gesetzt, diese äußerste Entfesselung der Brutalität sei auch im Kriege nur als Ausnahme zu betrachten – schon allein die Zerstörung des Familienlebens, die Aufhebung jeder gewohnten Ordnung in geschlechtlicher Hinsicht muss die schlimmsten Übelstände nach sich ziehen. Zu der Verrohung und Verwilderung durch Haß und Rachegefühle, durch Gewöhnung an eine von allen kulturellen Erhöhungen entblößte Lebensweise gesellt sich als dunkelster Schatten, den der Krieg bis weit in den Frieden hinein wirft, die sexuelle Fessellosigkeit – für das weibliche Geschlecht vielleicht die folgenschwerste Schädigung, die es durch den Krieg erfährt.

In der Frauenbewegung gibt es keinen Zweifel darüber, dass die Bekämpfung der Prostitution von ihren wichtigsten Zielen untrennbar ist. Die Auffassung des Weibes als Sache, wie sie der Prostitution zugrunde liegt, verträgt sich so wenig mit der Auffassung des Weibes, von der die Frauenbewegung ausgeht, dass man sich keiner Übertreibung schuldig macht, wenn man sagt: Alles, was die Prostitution in irgendeiner Art fördert, beschränkt zugleich die Möglichkeiten, auf denen Forderungen der Frauenbewegung ruhen. Welche Zustände in dieser Hinsicht aber besonders ein langdauernder Krieg, der Millionen Männer in die Fremde führt, im Gefolge hat, bedarf keines Nachweises.

Ganz unvereinbar ist vollends der Krieg in seiner Eigenschaft als Massenmord mit der Stellung, welche die Frauenbewegung dem Bevölkerungsproblem gegenüber einnehmen muss. Solange die Vergeudung von Menschenleben, wie sie im Kriege geschieht, die Frauen verpflichtet, ihre ganze Gebärfähigkeit aufzuwenden, um Ersatz für den Massenverbrauch zu schaffen, sind sie dazu verurteilt, sich gänzlich ihrer generativen Aufgabe zu widmen – aber jener schweren, alle physische und geistige Lebenskraft konsumierenden Überbeanspruchung, der es zuzuschreiben ist, dass die Frau bisher in allen Leistungen hinter dem Mann zurückblieb. Es versteht sich von selbst, dass eine Frau, die ein Dutzend Kinder geboren und auferzogen hat, weder in der Lage ist, ihr Interesse und ihre Tätigkeit allgemeinen Fragen zuzuwenden, noch auch sich aus der geistigen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von dem Manne zu befreien, auf den sie zur eigenen Erhaltung wie zu der ihrer Nachkommenschaft angewiesen ist. Dass aber diese alte Form der Familie sich nicht bloß mit den Idealen der Frauenbewegung nicht verträgt, sondern ebensowenig mit den Bedingungen des modernen Wirtschaftslebens, wissen auch jene, die dennoch – unaufrichtig oder einsichtlos – den Frauen die Steigerung ihrer generativen Leistung als patriotische Pflicht predigen. Zudem hatte Deutschland schon vor dem Kriege zwei Millionen überzählige Frauen, die, sofern sie sich nicht mit der gesellschaftlichen Moral verfeinden wollten, ihre generative Aufgabe überhaupt nicht erfüllen konnten – ein Mißverhältnis, das sich nach dem Kriege noch weit verschärfen wird.

*

Wenn die Frauenbewegung ihre Voraussetzungen verwirklichen will, so kann sie es nur als internationale Organisation. Vor allem ihre Stellung gegenüber dem Kriegsproblem wäre ohne das internationale Prinzip eine völlig utopistische. Das Bewußtsein dieser Notwendigkeit ist auch immer in der Frauenbewegung der ganzen Erde lebendig gewesen. Dass sie in einer Epoche, zu deren verhängnisvollsten Fehlerquellen im Sinne einer höheren Kultur die Vorherrschaft des Nationalitätsprinzips gehört, sich die Freiheit der internationalen Gesinnung bewahrte, bildete eine Gewähr für ihre Unabhängigkeit von den herrschenden Männerwerten, wie für ihre Fähigkeit, bei einer Neugestaltung des Kulturlebens nach dieser Richtung entscheidend mitzuwirken.

Man kann den Frauen-Weltbund, der in einer erfinderisch gegliederten Organisation die meisten von Frauen für Fraueninteressen geleiteten Vereine aller Länder umfaßt, als den ersten Schritt zur Verwirklichung des internationalen Gedankens in der Frauenbewegung betrachten. Ja man durfte die Hoffnung hegen, dass diese weltumspannende Organisation in dem Augenblick, als der Krieg die Beziehungen der Kulturvölker zerriß, das Band der Gemeinsamkeit, wenigstens zwischen den Frauen, die in die Kriegsleidenschaft naturgemäß nicht in dem Masse wie die Männer verstrickt sind, werktätig aufrechterhalten werde.

Diese Hoffnung hat sich allerdings nicht bewährt. Die latente Feindschaft zwischen den Nationen, die im Krieg plötzlich mit aller Wut hervorbrach, ist auch an den Kreisen der progressiven Frauen nicht spurlos vorübergegangen und hat sie namentlich in der patriotischen Maske, in der sie als Pflicht der Selbsterhaltung gegenüber dem Vernichtungswillen der Gegner auftritt, ebenso sehr verblendet wie den überwiegenden Teil der Männerschaft. Dass jede der beteiligten Nationen sich von diesem Vernichtungswillen freispricht, um ihn dem Feinde zuzuschreiben – vielleicht diejenige Tatsache, die den nicht von der Kriegspsychose Ergriffenen am meisten mißtrauisch gegen die öffentlich eingestandenen Kriegsgründe machen muss – konnte die Haltung der progressiven Frauen in keinem der kriegführenden Staaten vor dem Widerspruch bewahren, in den sie durch ihre vermeintlichen patriotischen Pflichten mit dem Prinzip ihrer internationalen Organisation gerieten.

Am stärksten trat dieser Widerspruch anläßlich des Haager Frauenkongresses vom April 1915 hervor, mittelst dessen Frauen neutraler Staaten den Versuch machten, die progressiven Frauen aller Länder zur Abwehr des Krieges zu versammeln. Trotz mancher Unzulänglichkeit in den Details seines Programmes wurde durch ihn ein rühmliches Beispiel strenger Prinzipientreue über die stärksten Gegenwirkungen hinaus, eine Manifestation jener Unabhängigkeit und internationalen Solidarität gegeben, die für die Ziele der Frauenbewegung von unvergleichlicher Bedeutung ist. Dennoch hat sich der internationale Weltbund der Frauen als Organisation daran nicht beteiligt und ausdrücklich erklärt, dass die Teilnahme daran nur eine Privatangelegenheit weniger einzelner gewesen sei.

Dieser Majorität schien es mit ihren vaterländischen Pflichten unvereinbar, gegen den Krieg im Sinne der internationalen Verständigung aufzutreten, solange die höchste Anspannung aller Kräfte für die Interessen des Krieges, Gebot aller Staatsangehörigen ist. Aber wenn die internationale Organisation der Frauenbewegung im entscheidenden Augenblick versagte, so beweist das nur, dass auch unter den progressiven Frauen die alten Gefühle und Instinkte zum Teil stärker sind als die neuen Erkenntnisse. Sie machen eben der Mehrzahl nach keine Ausnahme von dem in der Gegenwart vorherrschenden Menschheitstypus, dessen charakteristisches Merkmal dieser Konflikt bildet. Aus allen Ländern aber haben einzelne Frauen die internationale Grundlage ihres Bekenntnisses unbeugsam verteidigt, über die Einflüsse des Augenblicks hinweg bestärkt durch die Gewißheit, dass die Kraft grosser zukunftsmächtiger Ideen den Zeitströmungen nicht unterliegen wird.

Es mag dahingestellt bleiben, ob in der Realität der Dinge dem prinzipiellen Kampf gegen den Krieg als solchen ein praktischer Erfolg beschieden sein kann. Dafür sind im letzten Grunde nicht Erfahrungen und aus Erfahrungen abgeleitete Urteile maßgebend, sondern ganz andere seelische Kräfte. Hier wie überall ist das Neue, das sich ereignen soll, an die innere Macht bestimmter Personen geknüpft, deren Wille ihre Überzeugung in die Aussenwelt überträgt. Ob die Menschheit künftig vermag, solche Träger einer progressiven Weltgestaltung in genügender Anzahl hervorzubringen – wer könnte das heute sagen?

*

Der Reichtum eines Landes besteht in seinen Männern und Frauen; in nichts anderem.

John Ruskin.

aus: Internationale Rundschau, 1. Jg., Heft 10 und 11, Dez. 1915


 << zurück weiter >>