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Die Aussagen der Männer über die Weiblichkeit leiden an dem Nachteil, daß sie nur eine Kenntnis aus zweiter Hand zur Grundlage haben und keine Unterstützung durch die Selbstbeobachtung erfahren. Frauen von überlegener Urteilskraft können aus ihrer eigenen Psyche Tatsachenmaterial schöpfen, sie können sich selbst als Vergleich, als Beweis, als Bürgschaft benützen. Dieses subjektive Verfahren verleiht ihren Aussagen besonderes Gewicht. Wie »das Weib« sich im Bewußtsein solcher Frauen spiegelt, ist als Beitrag zur Psychologie des Weibes auf alle Fälle maßgebend. Freilich nur theoretisch genommen. Einen praktischen Wert, etwa als Richtschnur und Erziehungskanon, haben diese Aussagen schon deshalb nicht, weil die Vertreterinnen der spezifischen Weiblichkeit unter sich nicht einig sind, was man eigentlich darunter zu verstehen hat.
Versucht man die Anschauungen zweier hervorragender und feiner Beobachterinnen, wie Lou Andreas-Salomé und Laura Marholm in diesem Punkte zu vergleichen, so wird man auf völlig entgegengesetzte Eigenheiten als Grundwesen des Weibes stoßen, obwohl beide bei ihrer Auffassung der weiblichen Psyche von physiologischen Voraussetzungen, also von scheinbar zuverlässigen und untrüglichen Grundlagen ausgehen.
Während Laura Marholm einer sehr verbreiteten Auffassung folgend, das Weib als ein Wesen darstellt, das in sich kein Zentrum, keinen eigenen Inhalt hat, das nicht für sich bestehen kann, faßt Lou Andreas-Salomé das Weib auf, in dessen ursprünglichem Sein schon Selbstgenügsamkeit und Selbstherrlichkeit enthalten sind, und das im Vergleich zum männlichen Wesen »wie ein Stück uralter, im ältesten Sinn vornehmster Aristokratie auf eigenem Schloß und Heimatsbesitz« erscheint. Das Marholmsche Weib hat seinen Schwerpunkt nicht in sich, es ist mit seiner ganzen geistigen Existenz auf den Mann angewiesen: »Des Weibes Inhalt ist der Mann«. Noch mehr: es empfängt außer seinem Inhalt auch seine Form von ihm: »Das, was das Weib über sich geschrieben liest, ist Richtschnur für das Weib, zu werden, wie der Mann es sich denkt. Es ist des Weibes Natur, sich in eine Form zu prägen und nach einer Form zu verlangen, in die es sich prägen kann«.
Das Salomésche Weib, Repräsentantin einer gleichfalls sehr verbreiteten Auffassung, will hingegen »mit allen möglichen geistigen Entwicklungsbestrebungen im Grunde nur sich selbst zu breiterer, reicherer Seinsentfaltung bringen«; es besitzt »jene Sattheit der schöpferischen Wiederholung von sich selbst, des Zusammenhaltens aller Kräfte innerhalb der eigenen Produktion, wie es für alles Weibliche charakteristisch ist«; es bildet eine Welt für sich, gemäß der Eigenart der weiblichen Eizelle, die »einen Kreis um sich geschlossen hält, über den sie nicht hinausgreift. Aber eben deshalb liegt auch im Weiblichen schon so elementar und primitiv angedeutet die intaktere Harmonie, die sichere Rundung, die in sich ruhende vorläufige Vollendung und Lückenlosigkeit«.
Durch die Abhängigkeit und Unselbständigkeit, die mit dem Empfangen von außen zusammenhängt, wird das Marholmsche Weib charakterisiert; es kann daher auch »mit der Konvenienz nicht brechen, denn diese ist seine einzige Stütze«. Und die Konvenienz ist nicht bloß außer ihm, sie ist auch in ihm. Sie ist zugleich »seine intimste weibliche Scham, sie ist die Richtschnur seines Empfindens«. Das Salomésche Weib aber »hat eine viel tiefer verborgene Verachtung vor dem traditionell Geltenden als der Mann ... Nicht das weiblichste Weib ist es, das am meisten des Hauses, der Sitte, des festgezogenen Kreises bedarf, um sich als Weib zu fühlen, vielmehr ist es sein schöpferisches Vermögen, all dieses aus sich selbst aufzurichten. So paradox es klingt, so kann man doch sagen: das Haus, die Sitte, die Schranke müssen viel mehr für den Mann da sein«. Bloß der Umstand, daß über dem Weibe so viele äußerliche Nötigungen regieren, erzeugt den Anschein des Gegenteils. Und ausdrücklich verwahrt sich Lou Andreas-Salomé gegen das verbreitete Mißverständnis, die beiden Geschlechter als bloße Hälften aufzufassen, wie »es in der populären Redewendung vom Weiblichen als dem passiv empfangenden Gefäß und dem männlichen als dem aktiv schöpferischen Inhalt« geschieht.
»Der Mensch als Weib« im Saloméschen Lichte ist eine Zusammenstellung aller Eigenschaften, die sich aus den physiologischen Bedingungen der weiblichen Korporisation ableiten lassen, eine modernisierte Auslegung dessen, was von alters her als spezifisch weiblich gegolten hat. Daher auch die Salomésche Anschauung, daß jene alten Beziehungen für das Wesen des Weibes, »als da sind: Häuslichkeit, am-Herde-walten, Religion, Selbstbescheidung, Unterordnung, Reinheit, Sittigkeit u.a.m.«, keineswegs Zufallsbezeichnungen sind, sondern, wenn auch grob und kompakt gefaßt, Symbole und Illustrationen für die wahre Wesensveranlagung des Weibes. Nach Lou Andreas-Salomé gestattet diese Wesensveranlagung keine völlige Individualisierung; das Weib hat immer vom Gattungsmäßigen viel mehr an sich als der Mann. »Denn das ist das Eigentümliche, daß das Weib dem Weibe gleicher ist, als der Mann dem Manne. In irgend einer geheimnisvollen und höchsten Bedeutung wird es wahr, was die schamlose Brutalität der Sinnlichkeit vom wahllos aufgegriffenen Weibe ausspricht, daß Weib oder Weib dasselbe gelte.« Das Weib ist das minder individualisierte Wesen, weil es »noch unmittelbar Anteil hat an dem Alleben selbst und wie dessen persönlich gewordenes Sprachrohr wirken kann«. Daher kommt es, daß es in seiner selbsteigenen Welt als dauernden Seelenzustand das besitzt, was das friedlose, sich ins Grenzenlose verlierende und spezialisierende Manneswesen nur in seinen höchsten Augenblicken erreicht.
Die Salomésche Art der Darstellung, die das Konventionelle verklärt, um aus ihm die Anhaltspunkte für »ein Bild im Umriß« der allgemein gültigen Weiblichkeit zu gewinnen, schließt so völlig die Zeichnung des Individuellen aus, daß es hier sogar aus dem Wesen des Weibes heraus grundsätzlich abgelehnt wird. Sie ist zugleich die Voraussetzung, unter der die generalisierende Methode sich rechtfertigt.
In der Marholmschen Darstellung hingegen führt sich die generalisierende Methode selbst ad absurdum, gerade weil »das Weib« der Laura Marholm ein individuelleres Gepräge trägt, weil es ein reales Wesen und nicht ein aus dem Gattungsmäßigen konstruiertes Schemen ist. Was für Widersprüche vereinigt dieses Weib in sich, aus was für wunderlich uneinheitlichen Bestandteilen ist es zusammengesetzt!
Vorerst das »Zentrale« des Weibes, »die heiße Quelle ... die des Weibes ein und alles, sein Mittelpunkt, sein Genie und sein Inhalt ist – die durchseelte, verinnerlichte Geschlechtlichkeit«. Deshalb ist es auch nicht der Mann, »für den die Wahl die wichtigste Angelegenheit ist, sondern das Weib«. Und diese Wahl mit feinfühliger Unfehlbarkeit zu treffen, »nachtwandlerisch sicher den einen organisch-sympathischen Geliebten unter tausend gleichgültigen oder abstoßenden Menschen herauszufühlen«, wird als Ausdruck der intakten, hochkultivierten Weibnatur gerühmt.
Aber mit Staunen hören wir alsbald: »es kommt für das Weib in erster Linie nicht so sehr darauf an, wen es liebt, sondern daß es liebt.« Ja wir erfahren, daß der Mann, je braver, wärmer, besser er ist, desto pathetischer die große Liebe verlangt, bei der man vollen Ernst bezeugt – und das Weib »macht sich doch nur was aus der kleinen Liebe, bei der man spielt!«
Die merkwürdigste Bewandtnis scheint es aber mit der berühmten »Wildheit« des Weibes zu haben. Diese Wildheit ist es angeblich, durch die das Weib enger mit der Natur zusammenhängt als der Mann, und die daher um jeden Preis erhalten bleiben muß. »Das beste und schlechteste Weibmaterial ist nicht ziehbar und erziehbar, kultivierbar und zivilisierbar wie der Mann – das ist nur das weibliche Mittelgut – es ist Unregierlichkeit, Respektlosigkeit, Instinkt, nichts als weiblicher Instinkt.«
An anderer Stelle aber spricht Laura Marholm doch von der »unbegrenzten Akkommodationsfähigkeit« und »schrankenlosen Suggestibilität« des Weibes; sie sagt: »Überall, wo das Weib eine Leitung findet, also ein Vertrauen empfindet, ist es folgsam. Nicht nur das gute, sondern auch das böse Weib«; und sie räumt den Männern ein: »Ihr könnt ja alles aus uns machen, Hetären und Amazonen, Vernunftmenschen und Heilige, Gelehrte und Blödsinnige, Frauen und Jungfrauen; denn wir fügen uns jedem Druck eurer Finger, und unsere Natur ist, uns nach euch zu wandeln.« Allerdings hebt sie diese Konzession in einem dritten Buch wieder auf, indem sie findet, »daß es das Weib ist, das das Gemütsleben des Mannes formt und mißformt, verzerrt oder entfaltet. Die Seele seiner Mutter oder die Seele seiner Schwester drücken auf die empfänglichen Seiten des Mannes ihren unverlöschlichen Stempel. Die Frage ist also doch schließlich in der Mehrzahl der Fälle nicht: wie ist der Mann? sondern: wie ist das Weib?« Und endlich behauptet sie: »Durch das Kind entscheidet sich das innerste Wesen im Weibe. Ihr verborgenster Fond kommt zum Vorschein ... sie wird etwas Bestimmtes, während sie vorher etwas Unbestimmtes war.«
Trotz aller umständlichen Bemühungen, für »das Weib« einen einheitlichen und allgemein gültigen Typus zu schaffen, vermag Laura Marholm doch nichts zu geben als ein Konglomerat einzelner Charaktere, die in den wesentlichsten Punkten kaum verwandt, geschweige denn identisch sind.
Freilich enthält schon die Marholmsche Grundvoraussetzung einen groben Lapsus. Laut dieser ist das Weib seelisch und körperlich »eine Kapsel über einer Leere, die erst der Mann kommen muß zu füllen«.
Nun kann aber das Weib, physiologisch betrachtet, durchaus nicht als eine Kapsel über einer Leere bezeichnet werden. Diese Kapsel hat einen höchst respektablen Inhalt; sie bringt einen Organismus hervor, der im Tierreich auf den ersten Stufen des Lebens so selbständig schöpferisch veranlagt ist, daß er aus eigener Machtvollkommenheit, ohne Zutun eines männlichen Elementes, das Leben weitergeben und vervielfältigen kann. Laura Marholm hat nur gleich das wichtigste am weiblichen Organismus übergangen, die Hervorbringung der Keimzelle, durch die das Weib morphologisch den gleichen Rang und Wert mit dem Manne erhält. – Nebenbei bemerkt: der Marholmsche Mann, der zu seiner Frau sagt, daß er sie erst aus seiner Rippe geschaffen habe, begeht einen ähnlichen Irrtum. Denn auch nach der biblischen Genesis, der er seinen Vergleich entlehnt, hat nicht Adam das Weib aus seiner Rippe erschaffen, sondern – Gott. Mit so weitgehenden Vollmachten stattet selbst die patriarchalische Vorstellung vom Weibe den Mann nicht aus!
Noch von einer anderen Seite sehen wir die spezifische Weiblichkeit bei Ellen Key. Sie sucht im Gegensatz zur Saloméschen Auffassung für die Frauen eine »unbegrenzte Freiheit der Individualität« trotz der durch ihre Physis bedingten Gebundenheit zu retten. Dieses Bemühen, den individuellen Unterschieden gerecht zu werden, durchkreuzt bei ihr beständig die generalisierenden Schlüsse, die sie für ihre Beweisführung doch nicht entbehren kann. Unter ihren Händen verwandelt sich die Weiblichkeit so unaufhörlich, daß man endlich nicht mehr weiß, warum denn von etwas so Unbestimmbarem oder von etwas so Nebensächlichem weiter die Rede sein soll.
Ellen Key bekennt zwar, daß ein einziger Ausnahmefall weiblicher Überlegenheit eine unabweisliche Stütze für die Forderung auf volle Freiheit der Selbstbestimmung für jede Frau bildet – aber der Zweck ihrer Ausführungen ist trotzdem, durch Nachweise über das, was das wahre Wesen des Weibes ist, diese Freiheit einzuschränken. Wenn die Gesellschaft, wie Ellen Key fordert, keiner Frau Hindernisse in den Weg legen darf, zu zeigen, was die Natur gerade mit ihr beabsichtigt hat, müßten dann nicht zu allererst die normativen Bestimmungen über das Weibliche und Unweibliche aufhören? Wozu soll es dann dienen, dem einzelnen Individuum vorzuhalten, wie die große Menge seiner Geschlechtsgenossen beschaffen ist, und ihm Richtungslinien anzuweisen, die aus Untersuchungen über das Durchschnittliche gewonnen sind?
Vielleicht ist es gegenüber den extremen Standpunkten in der Frauenbewegung angezeigt, durch solche Darstellungen des allgemeinen Geschlechtscharakters daran zu erinnern, daß nicht alle Frauen für eine andere Lebensführung als die überlieferte geeignet sind. Vielleicht – denn es wäre ja möglich, daß die Frauenbewegung durch übereilte Verallgemeinerungen hie und da urteilslose Personen auf einen falschen Weg locken, sie mit dem äußerlichen Ehrgeiz erfüllen könnte, etwas anzustreben, wozu sie doch nicht taugen. Diese Bestimmungen nach dem Durchschnittlichen tragen aber gleichzeitig dazu bei, die normative Gewalt zu verstärken, welche die staatliche und gesellschaftliche Tradition ohnedies über das einzelne Individuum ausübt – wie sehr auf Kosten der persönlichen Freiheit, das wissen eben nur diejenigen, die nicht in die herrschende Norm passen.
Nach dem Erfahrungssatze, daß auf geistigem Gebiete dieselben Verhältnisse herrschen müssen wie auf dem des Körpers, sucht Ellen Key die fundamentale Ungleichheit dort, wo der wichtigste funktionelle Unterschied im natürlichen Leben der Geschlechter liegt. Wie bei Laura Marholm durch die Wildheit, ist bei Ellen Key das Weib durch die Mütterlichkeit »enger mit der Natur verwandt«, mit dem Mystischen, das hinter der Wirklichkeit steht; und »wenn die Kraft der Mütterlichkeit einst auf Erden in ihrer vollen Selbstherrlichkeit hervortritt, dann wird sie, in einer tieferen Bedeutung als bisher, der Welt die Erlösung gebären –« nämlich, wenn die Frauen erst gelernt haben werden, ihre Mütterlichkeit, die sie bisher nur in der Hingebung an private und persönliche Verhältnisse betätigten, auf die öffentliche und allgemeine Sphäre zu übertragen.
Diese Sphäre war freilich nach Ellen Keys eigener Angabe immer diejenige des Mannes; und es ist nicht einzusehen, wie die historische Entwicklung der spezifisch weiblichen Kraft aus sich heraus plötzlich eine andere Richtung nehmen und eine wesentlich andere Kulturform hervorbringen sollte.
Gestützt auf das Kriterium der Mütterlichkeit teilt Ellen Key die Frauen, vom geistigen Standpunkt aus gesehen, in zwei Rassen: in Frauen, die lieben, und in solche, die es nicht können. Dadurch vermeidet sie es, einer sehr häufigen und sehr charakteristischen Art der Weiblichkeit, der egoistisch-frigiden, die Zuständigkeit absprechen zu müssen, wie Laura Marholm, die das Kriterium der Weiblichkeit einfach in eine gesteigerte Erotik verlegt.
Unter den Frauen, die nicht lieben können, gibt es »entzückende Augenblicksmenschen oder reiche Künstlernaturen, oder große Sinneszauberinnen; zuweilen sind es klare, kalte Verstandesmenschen, zuweilen auch kleine, enge Alltagsseelen«.
Allein was sie auch seien, von ihnen hat die Menschheit keinen Zuwachs der weiblichen Lebenswerte zu erwarten. Das hat sie nur von den Frauen, die lieben können. »Für diese Frauen ist ihr Dasein als Gattin oder Mutter, Schwester oder Tochter, Freundin oder Helferin das Lebensentscheidende.« Auch unter ihnen gibt es große individuelle Ungleichheiten; für die einen ist »die erotische Liebe das Höchste; jene ergreift die Mutterliebe tiefer; andere fühlen am tiefsten die allgemein-menschliche Sympathie, die Mütterlichkeit in der weitesten Bedeutung des Wortes. Bei ihnen allen aber ist es die Stärke der persönlichen Hingebung, die das Rassezeichen ausmacht. Daran erkennen sie sich vom Nordpol bis zum Südpol.«
Es ist ein altbekanntes Merkmal der spezifischen Weiblichkeit, das hier zugrunde liegt: die persönliche Hingebung, die Aufopferungsfähigkeit, noch mehr, das Aufopferungsbedürfnis. In dem Seelenleben vieler Frauen spielt die Vorstellung der Aufopferung eine hohe Rolle; sie empfinden eine sittliche Genugtuung und innere Befriedigung über eine Handlung nur, wenn ihnen zugleich die Gelegenheit geboten war, ihr eigenes Ich und seine Ansprüche zu überwinden. Sie wollen nicht unmittelbar ihre eigene Persönlichkeit ausleben, sondern einer anderen Persönlichkeit Raum gewähren. Kann sein, daß sich in dieser Eigentümlichkeit wirklich die »Natur des Weibes« am bezeichnendsten ausdrückt – vielleicht aber ist diese Eigentümlichkeit nur ein Kulturprodukt und dem Umstande zuzuschreiben, daß die Frauen, als sekundäres Geschlecht in einem dienstbaren und abhängigen Verhältnis zum männlichen stehend, immer nach ihrer Eignung zur Abhängigkeit bewertet wurden, oder auch, daß sie vermöge ihrer Suggestibilität viel stärker die Wirkung der herrschenden religiösen Gebote empfinden. Die Ideen der Aufopferung und Selbstüberwindung werden ja in der christlich-religiösen Welt am höchsten gestellt, sie repräsentieren ihre vornehmsten moralischen Werte. Ausgegangen allerdings sind sie von Männern, als Vorschriften ohne Ansehung des Geschlechtes – eine Tatsache, die wie die ganze christliche Vorstellungswelt in ihrer symptomatischen Bedeutung von den Verfechtern der spezifischen Geschlechtspsychologie viel zu wenig beachtet wird. Und es ist zu fürchten, daß in der »allgemein-menschlichen Sympathie, der Mütterlichkeit in der weitesten Bedeutung«, die sozialen und religiösen Genies unter den Männern den Frauen längst den Rang abgelaufen haben.
Die persönliche Hingebung an sich ist nicht immer, wie Ellen Key will, eine zuverlässige Basis für eine Gemeinsamkeit jener Frauen, deren Rasseabzeichen sie bilden soll. Nicht immer bedeutet das Aufgehen in der Mutterschaft ein Symptom weiblicher »Selbstlosigkeit«. Viele Frauen der Mutterschaft gehören ihrer ganzen Wesensbeschaffenheit nach nicht dem altruistisch-sentimentalen Typus der Aufopferung Ellen Keys an, sondern eher dem egoistisch-frigiden. Die enge physische Verbindung zwischen Mutter und Kind läßt sie das Kind als einen Annex ihres eigenen Organismus empfinden, auf den sich ihre Liebe wie auf ihr eigenes Selbst erstreckt, weil es für sie noch kein von ihnen unterschiedenes Wesen ist.
Man kann mit demselben Recht behaupten, daß »das Weib« kein Zentrum in sich hat, als daß es das konzentrischste Wesen und viel mehr sein eigener Mittelpunkt ist als der Mann – es kommt nur darauf an, welche Art von Frauen man unter dem Sammelnamen »das Weib« versteht. Wer wüßte nicht, welchen Grad der Kultus der eigenen Person, die an Selbstvergötterung grenzende Selbstliebe bei vielen Frauen erreicht? In dem Typus, den Ellen Key durch das Kriterium des Nichtliebenkönnens bezeichnet, ist das Element der Hingebung, dieser vermeintlich so untrennbar mit der weiblichen Psyche verwachsenen Eigenschaft, nicht enthalten. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb! – repräsentiert er die mächtigste und gefährlichste Erscheinungsform des Weibes, diejenige des großen, wilden, durch keinerlei soziale Instinkte eingeschränkten, mit aller sinnlichen Gewalt des Ursprünglichen ausgerüsteten Egoismus. Wenn man die spezifische Weiblichkeit nach der Macht bewerten will, die sie im Getriebe des Lebens besitzt, dann ist weder der erotisch-exzentrische Typus – da ja die innerliche Abhängigkeit vom Manne für das Weib nicht Macht bedeuten kann – noch der altruistisch-sentimentale – der nur eine gemäßigte, teilweise durch sozialreformatorische Ideen beeinflußte Variante der erotisch abhängigen Weiblichkeit ist – sondern der egoistisch-frigide Typus an die erste Stelle zu setzen.
Diese Frauen treten gewöhnlich nicht aus dem Rahmen des Konventionellen heraus; denn viele der wohlakkreditierten Merkmale des »echten Weibes« stimmen mit ihren Neigungen und Bedürfnissen ganz überein. Die züchtige Sittigkeit bildet für ihre erotische Unempfindlichkeit eine angemessene Form, wie die Religiosität für ihre Abneigung gegen das männlich-plebejische Denken; das Walten am häuslichen Herde gewährt ihrer satten Selbstgenügsamkeit, die gesellschaftliche Stellung der Dame ihrem inneren Überlegenheits- und Herrschaftsbedürfnis Befriedigung. Gerade die Lebensform des Weibes als Dame hat zur Voraussetzung und, soweit sie nicht ein Werk des männlichen Geschlechtes ist, auch zum Schöpfer den egoistisch-frigiden Typus. Daher ist die Keysche Behauptung kaum aufrecht zu erhalten, daß von den Frauen, die nicht lieben können, keine Bereicherung der weiblichen Lebenswerte herrührt.
Hebt man den schönen, blumigen Schleier auf, den die Kunst der Darstellung über das Salomésche Weib breitet, dann wird man wohl Spuren dieser Art Weiblichkeit darunter wahrnehmen, ein und dasselbe Urbild, gesehen das eine Mal in warmer, idealistischer Beleuchtung, das andere Mal mit einem kälteren Auge. Diese Gestalt verleugnet ihre Verwandtschaft mit jener unzugänglichen, uneinnehmbaren Weiblichkeit nicht, die eine Welt für sich bildet – eine Welt, der gegenüber der Mann der ewig Ohnmächtige und ewig Fremde ist, der friedlos Schweifende ohne Heim und Eigenbesitz.
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So lassen sich die einzelnen weiblichen Individualitäten nach verschiedenen Typen gruppieren, ohne daß man andere Hilfsquellen braucht als die miteinander unvereinbaren Behauptungen über »die wahre Natur des Weibes«, die von Frauen selbst aufgestellt werden. Das Seltsame daran ist, daß ihre Urheberinnen nicht bemerken oder nicht bemerken wollen, welche Unterschiede in der Grundauffassung sie voneinander trennen. Daß Weib und Weib als das Gleiche gelten könne, wie Lou Andreas-Salomé sagt, erscheint im Munde einer ungewöhnlichen Frau einfach unbegreiflich.
Besteht doch eine so große Verschiedenheit unter den Frauen, daß das Verständnis, das aus der bloßen Geschlechtsgemeinschaft entspringt, in vielen Fällen völlig aufgehoben wird. Jener Freimaurerblick, von dem Laura Marholm spricht, der Blick, mit dem die Frauen angeblich untereinander die »Geheimschrift ihrer inneren Erlebnisse« lesen, er bewährt sich nur unter Mitgliedern desselben Grades, aber er versagt, wo es sich um größere Abstände handelt, um Unterschiede in dem, was ein Mensch als den Kern seiner Persönlichkeit, als das Mysterium seines besonderen Wesens empfindet.
Jeder Mensch von Eigenart weiß, daß es eine Art von Personen gibt, die zu ihm gehören, denen er sich verständlich machen kann, mit denen er etwas gemeinsam hat, und eine andere Art, die ungeheuere Mehrzahl, zu der er keinen Zugang besitzt, die seine Sprache nicht versteht, wie deutlich er auch rede, für die er in alle Ewigkeit ein verschlossenes Buch bleiben wird. Die Trennungslinie läuft keineswegs immer mit dem Geschlechte parallel. Namentlich geistig hervorragende Frauen finden ihre Wahlverwandten eher unter Männern. Und nicht allein intellektueller Momente wegen; sie haben in viel tieferen Dingen mehr Berührungspunkte mit ihnen als mit den Angehörigen ihres eigenen Geschlechts.
Jener innerste Kern, der die Menschen scheidet oder nähert, ist wahrscheinlich in der erotischen Eigenart zu suchen. Alle Abstände, die durch das Temperament, durch die intellektuelle Stufe, durch die Willensrichtung, kurz durch alle unbegrenzbaren Variationen in der Zusammensetzung der Persönlichkeit zwischen den einzelnen Individuen geschaffen werden, reichen weniger tief hinab. Ja, selbst der Unterschied des Geschlechtes nicht!
Bourget, der in seiner »Physiologie der modernen Liebe« ein Buch der vorurteilslosesten Beobachtung geschrieben hat, nennt unter den Lügen, welche die Frauen den Männern auftischen, diejenigen der sexuellen Erweckung durch die Liebe als die gewöhnlichste. Die Veranlassung zu dieser Lüge liegt wohl in gewissen Vorstellungen, die der Weiblichkeit eben diese Erweckung als sittliche Forderung vorschreiben. Beim Manne darf das geschlechtliche Moment unverblümt auftreten, als nackter Trieb, der sich für seine vorübergehende Befriedigung mit dem Gattungsmäßigen an einem Individuum des anderen Geschlechtes begnügt – im weiblichen Bewußtsein will er nur unter der Gestalt der Liebe erscheinen, das heißt, erst durch eine bestimmte Person geweckt werden. Über die wahre Bewandtnis täuschen die Frauen gewöhnlich nicht bloß die Männer, sondern auch sich selbst. Die Macht sittlicher Vorurteile und die Vergewaltigung der Natur durch sie ist nach dieser Richtung so groß, daß kaum jemand, selbst unter den Ärzten, in dieser dunkelsten Tiefe der weiblichen Psyche wirklich Bescheid weiß. Und wenn Bourget von Frauen spricht, die in allem, was die Liebe angeht, die Natur des Mannes haben, von Frauen nämlich, bei denen das Geschlecht »ein untergeordnetes, gleichsam getrenntes Leben neben dem Kopfe, außerhalb des Herzens« führt, so berührt sie damit eine Erscheinung, die weniger wegen ihrer Seltenheit, sondern bloß, weil sie von der bürgerlichen Norm abweicht, als »Ausnahme« gilt. Schon allein in diesem Punkte unterscheiden sich die einzelnen weiblichen Individuen so beträchtlich voneinander, daß von Wesensgleichheit kraft des Geschlechtes keine Rede mehr sein kann.
Aber man braucht nicht bis zu den Ausnahmen der weiblichen Natur zu gehen, und man wird auf Wesensgegensätze stoßen, die gerade dort entspringen, wo das Allgemeinweibliche scheinbar auf der zuverlässigen Grundlage des teleologischen Geschlechtscharakters ruht. Auch die heterogenen Frauentypen, die wir eben kennen gelernt haben, sind im letzten Grunde durch die erotische Eigenart unvereinbar voneinander geschieden.
Ein Zug ist es vor allem, durch den das persönliche Leben wie die historische Stellung des weiblichen Geschlechtes bestimmt wird – die Abhängigkeit. Sie entspricht ohne Zweifel einem inneren Bedürfnis, das aus der Wesensbeschaffenheit einer gewissen Art Frauen hervorgeht. Und sie hat ebenso unverkennbar ihren Ursprung in dem erotischen Gebiet.
Solche Frauen bedürfen eines Haltes, einer Führung, eines Gesetzes, das ihnen ein überlegener Wille vorschreibt. Der Mann ist ihr Inhalt, ihr Oberhaupt, ihr Eigentümer; und die Vorstellung der Unterwerfung unter seine körperliche und geistige Herrschaft löst bei ihnen die erotische Lustempfindung aus. Deshalb lieben sie die starke Faust, die befehlen und verbieten, drohen und bezwingen kann. Sie sind es auch, die in dem Manne ihres Herzens die Illusion bestätigen, daß sie sein Werk und Geschöpf sind; denn sie unterliegen der suggestiven Gewalt seiner Person so weit, daß sie sich ganz der Form anschmiegen, die seinem Geschmack entspricht. An ihnen stellt sich die teleologische Geschlechtsnatur des Weibes am unbedingtesten dar; ihre ganze Persönlichkeit ist von ihr durchdrungen und geht restlos in ihr auf.
Für den Mann bildet ihre Wesensart eine gewisse Bürgschaft, wenn nicht unbedingt des Glückes, so doch der Ungestörtheit. Darin ist auch der Grund zu suchen, warum gerade diese Varietät der weiblichen Natur so hoch geschätzt wird. Das Weib selbst hat von dieser Wesensart für sich wenig Gutes zu erwarten. Es liegt eher etwas Tragisches in ihr, eine Vorherbestimmung zu unberechenbaren Leiden, zu Angst und Qual ohne Ende. In sehr vielen Fällen ist das Los solcher Frauen nichts weniger als ein geborgenes Ausruhen in der sicheren Hut einer weisen und schützenden Macht. Vermöge der Anziehung, welche die Gegensätze aufeinander ausüben, fallen sie nur zu oft gewalttätigen, unbändigen, leidenschaftlichen Männern anheim, denen sie durch ihre Abhängigkeit auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind. Wer kennt nicht solch schwache, duldsame, sanftmütige, zärtliche Gattinnen, die vor ihrem Manne wie vor einem Elementarereignis zittern, wehrlos gegenüber seiner Eifersucht, seinem Mißtrauen, seiner schlechten Laune, seinem Jähzorn?
Am besten kommen dabei noch die Frauen mit sanguinischem Temperament weg, die leichtherzigen, oberflächlichen, zu Spielereien und Tändeleien, Listen und Finten geneigten, die Vogel- und Puppennaturen, die Meisterinnen der Hintertüren- und Alkoventaktik, die Klugen und Gewandten, die sich aufs Schmeicheln verstehen und die »schwache Stunde« zu benützen wissen. Sie alle sind ja gleichfalls zur Genüge als »das Weib« bekannt und beschrieben, wiewohl sie außer der Erotik der Unterordnung wenig oder nichts Gemeinsames haben. Viele von ihnen sind große Schweigerinnen, die nie Auskunft über die Heimlichkeiten und dunklen Verstecke ihres Seelenlebens geben – nicht einmal sich selbst; andere sind große Schwätzerinnen, die alles ausplaudern, ohne Scheu, sich und den Mann ihres Vertrauens bloßzustellen. Dann verrät sichs manchmal, daß die subjektive Illusion, die aus der erotischen Anlage entspringt, stärker ist als die Erkenntnis der wirklichen Verhältnisse. Der Mann ist nicht immer der strenge Herr und Gebieter, als den ihn seine Frau empfindet; allein sie liebt die starke Faust – und folglich muß er sie besitzen.
Diese Frauen fordern geradezu Unterdrückung, auch wenn sie darunter leiden müssen. So wie sie Eifersucht als einen Beweis der Liebe ansehen – und wohl deshalb, weil ihnen die Eifersucht des Mannes jene Furcht einflößt, die ihnen Widerstandsfähigkeit gegenüber der Versuchung gibt und als Ersatz für die mangelnde persönliche Willenskraft dient – so finden sie auch an stärkeren Gewaltausbrüchen noch Wohlgefallen, da sie als Ausdruck der wehrhaften Mannheit das Sicherheitsgefühl in ihnen bestärken. Wo die Sitten primitiv sind, wie in der bäuerlichen Bevölkerung, gelten sogar Schläge als ein Beweis echter Zuneigung des Mannes; sehr bekannt ist ja die Anekdote von jener weinenden Frau, die auf die Frage, warum sie so untröstlich sei, die Antwort gab, ihr Mann liebe sie nicht mehr, denn er habe sie schon seit einer Woche nicht geschlagen.
Etwas von dieser Empfindungsweise der primitiven Weiblichkeit hat Jacobsen in der Gestalt der Marie Grubbe dargestellt, in der Frau, die aus den Höhen der Gesellschaft in deren tiefste Niederungen herabsteigt, um dem Manne ihres Herzens anzugehören. Als er, der ehemalige Knecht, sie eines Tages prügelt, ist sie selbst erstaunt über sich, daß kein Gefühl rasenden Hasses in ihr entsteht; und sie fährt fort, ihn über Alles zu lieben, weil er eben ein Mann ist, der vor nichts in der Welt zurückschreckt, um seinen Willen durchzusetzen.
Überdies wird der Typus der erotischen Unterordnung – der Marholmsche, wenn man aus den zahlreichen Widersprüchen desselben die einheitlichen Bestandteile aneinander gliedert – in unzähligen Gestalten der Literatur verkörpert und gefeiert, vielleicht in der bekanntesten und gesteigertsten als Käthchen von Heilbronn. Er kann als der durchschnittliche, als der landläufige betrachtet werden, als derjenige, der gewöhnlich gemeint ist, wenn gesagt wird: »das Weib«.
Und dennoch gibt es Anzeichen, daß er nicht der allgemeinste, nicht der »normale«, nicht das eigentliche Weib sei.
Ebenso häufig wie die Voraussetzung, daß das Empfindungsleben bei dem weiblichen Geschlecht durch die Persönlichkeit des Mannes bestimmt wird, ist die Auffassung, daß das Weib im Manne nicht so sehr die Persönlichkeit, als vielmehr den Vater ihres Kindes sucht. Viele sagen, der Trieb der Mutterschaft erfülle die Seele des Weibes so ganz, daß für den Mann selbst nur ein Platz an zweiter Stelle übrig bleibt. Zum Beispiel Krafft-Ebing: »Während der Mann zunächst das Weib und in zweiter Linie die Mutter seiner Kinder liebt, findet sich im Bewußtsein der Frau im Vordergrunde der Vater ihres Kindes und dann erst der Mann als Gatte.« Oder Lombroso: »Die Liebe des Weibes (zum Manne) ist im Grunde nichts als ein sekundärer Charakter der Mutterschaft.« Oder Arne Garborg: »Das Weib liebt nicht wie wir. Ihre Neigung bedeutet, daß ihr Kind nun einmal einen Vater braucht; es ist nicht so übermäßig wichtig, ob es der oder jener ist.« Und noch andere mehr.
Soweit die Frauen der Mutterschaft zur altruistisch-sentimentalen Variante ihrer Gattung gehören, stehen sie in ihrer Erotik den Frauen der Unterordnung nahe; soweit sie aber der egoistisch-frigiden Art angehören, ist der Unterschied in dem Verhältnis gegenüber dem Manne sehr groß, und damit zugleich der Abstand, der sie von ihren Geschlechtsgenossinnen trennt. Wenn eine Frau in ihrer erotischen Hingebung an den Mann das Lebensentscheidende findet, wird sie vergeblich erwarten, in diesem Punkte von einer Frau, deren Lebensinteresse sich in der Mutterschaft konzentriert, verstanden zu werden. Der Grund, warum der Gegensatz, der hier herrscht, nicht auffälliger zur Erscheinung kommt, liegt nur in dem Mangel an reflektivem Erkennungsvermögen unter den gewöhnlichen Frauen und in der Ähnlichkeit der Lebensbedingungen, durch die gemeinsame Interessensphären hergestellt werden.
Die Frauen der Mutterschaft mit egoistisch-frigider Grundnote fühlen sich nicht abhängig wie die Frauen der erotischen Unterordnung; sie haben eine viel geringere Assimilierungsfähigkeit und mehr Selbständigkeit gegenüber dem Manne, weil ihr Schwerpunkt nicht mit seiner Person zusammenfällt. Bisweilen geraten sie wohl durch den überlegenen Willen eines Mannes in schmerzliche oder leidenschaftliche Konflikte, viel öfter aber unterjochen sie vermittelst der Mutterschaft einen willens- und instinktschwächeren Mann. Zu ihren Kennzeichen gehört die Anschauung, daß die Kinder der Hauptsache nach Eigentum der Mutter sind, Fleisch von ihrem Fleisch, Blut von ihrem Blut, durch sie hervorgebracht in tausend Schmerzen und Opfern, und daß dem Manne nur der verschwindende Anteil an ihnen gebührt, den er bei ihrer Erzeugung hatte. Ihre Interessen und ihre Instinkte liegen weitab von denen des Mannes; sie haben meistens kein Bedürfnis nach einer wirklich intimen Lebensgemeinschaft mit ihm, und teilen auch trotz der Intimität der Ehe nur ganz äußerlich sein Leben.
Was diese Frauen als elementare Kraft dem Manne überlegen macht, ist die Verbindung von individuellem Egoismus mit dem Gattungstriebe; sie fühlen sich so unmittelbar eins mit ihrem Kinde, daß sie dadurch an dem »Alleben der Natur« mehr Anteil zu haben scheinen. Das Überwiegen des Instinktlebens in ihnen erweckt den Anschein, daß das Weib der Natur näher steht als der Mann, und übt gerade auf Männer, die an ihrer übermäßigen Verstandeskultur leiden, einen hohen erotischen Zauber aus.
Ihrem »sittlichen« Range nach dürfte diese Art Frauen nicht so hoch zu setzen sein wie in der männlichen Vorstellung. Sonst hätte die Voraussetzung keine Berechtigung, daß dem weiblichen Geschlecht ein wesentlicher Anteil bei jener Differenzierung des Trieblebens zukommt, die sich in der Liebe kundgibt. Denn daß sie ausschließlich auf eine bestimmte Person um ihrer selbst willen gerichtet ist, das erst zeichnet die Liebesbeziehung vor einer bloßen Verbindung zum Zwecke der Fortpflanzung aus.
Dem Manne könnte diese Wesensart des Weibes sogar eine gewisse Gefahr bringen, wenigstens soweit es sich um seine Vaterschafts-Vorrechte handelt. Es wäre nicht unmöglich, daß in dem Augenblick, als das weibliche Geschlecht soziale Gewalt erlangte, diese Art Frauen den Mann als Vater stark in den Hintergrund drängen würde. Zum Glück für den Mann ist das Aufgehen in der Mutterschaft meistens doch mit jener Passivität gepaart, die zum primitiven Geschlechtscharakter des Weibes gehört und selbständiges Handeln nach allgemeinen Gesichtspunkten ausschließt.
Erst der extreme Typus der egoistisch-frigiden Weiblichkeit überschreitet diesen primitiven Geschlechtscharakter. Wird nicht auch eine »unersättliche Herrschsucht« als Lebenselement des Weibes bezeichnet? Ist nicht das Salomésche Weib das ganz auf sich beruhende, und also vom Manne unabhängige Wesen? Ist nicht für Mrs. Egerton jene Frau die vorbildliche, die durch keine Mannesliebe jemals innerlich ganz befriedigt wird? Die sich selbst für »die Menschenblume, die Krone der Schöpfung« und den Mann nur für das »zufällige Beiwerk« hält –? Solchen Frauen erscheint der Mann im mildesten Fall als ein »komisches, großes Kind«, über das sie in stiller Überlegenheit lächeln, im schlimmeren aber als ein »Tier mit primitiven Instinkten« oder gar schlechtweg als »Mannbestie«. Und ihre Lehre lautet: »Halte deine Seele fest in der Hand und verpfände sie an keinen Mann«.
Bei diesem Typus tritt etwas auf, was man dem Herrschafts- und Überlegenheitsgefühl an die Seite stellen kann, das in der männlichen Psyche als Prärogative der Männlichkeit erscheint. In ihrer schroffsten Form ist diese Weiblichkeit nicht fern von Männerverachtung; das Verhältnis, das zwischen ihr und der ihr adäquaten Männlichkeit besteht, erinnert an jene Art der Liebe, von welcher Nietzsche sagt, daß sie »in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhaß der Geschlechter ist«.
Dieser paradoxe Ausspruch beleuchtet zwar nicht das Wesen der Liebe, aber doch das Wesen der Geschlechtsbeziehungen, wie sie sich in den Untergründen des Bewußtseins abspielen. Für die Frauen hat der Genuß an der Ausübung persönlicher Macht nicht weniger Reiz als für den Mann; und das verbreitetste Geschlechtslaster der Weiblichkeit, die Gefallsucht, entspringt diesem Verlangen nach Macht. Die Natur hat dem Manne die physische Gewalt der Sexualität verliehen, aus der er sein Überlegenheitsbewußtsein schöpft. Aber die große Kunst der Weiblichkeit besteht darin, mit den Mitteln einer raffinierten sinnlichen Kultur diese elementare Gewalt zu entwaffnen und das primitive sexuelle Verhältnis zwischen Eroberer und Beute umzukehren. Jenes buhlerische Element, das ein so fragwürdiger Zug an der gewöhnlichen Weiblichkeit ist, erscheint als ein Produkt des latenten Kampfes, in dem das Weib seine sexuelle Macht derjenigen des Mannes entgegensetzt, um den Bezwinger zu bezwingen.
An der erotisch abhängigen Weiblichkeit ist das buhlerische Element eine relativ harmlose Eigenschaft, weil es nur den Ausdruck der Eitelkeit bildet, die sich an dem Gefallen genügen läßt, ohne herrschen zu wollen; aber gepaart mit einer egoistisch-frigiden Wesensart verleiht es dem Weibe, das überdies den erforderlichen sinnlichen Zauber besitzt, eine Macht, die jede andere menschliche Macht überragt.
Das Besondere und Bedeutsame an jenem Typus der weiblichen Prärogative hingegen ist, daß er die Überlegenheit des Weibes nicht auf die Geschlechtsmacht des buhlerischen Elementes gründen will, sondern auf die Unabhängigkeit vom Manne, die das Weib aus seiner sexuellen Kälte gewinnen kann, und die seiner geistigen Entfaltung Raum gewähren soll.
Keineswegs aber gehören zu dieser Art alle geistig überlegenen Erscheinungen des weiblichen Geschlechtes. Bei diesen tritt uns zuweilen ein ganz anderer Typus entgegen – das sind die Frauen, von denen Laura Marholm, allerdings mit einer Verwechslung von Ursache und Wirkung, sagt, sie seien »krank an einer inneren Spaltung, die erst mit der Frauenbewegung in die Welt gekommen ist«. Es ist zwar eine schwache Seite der Frauenbewegung, daß sie das Unterordnungsbedürfnis der weiblichen Psyche bloß aus Erziehungseinflüssen herleiten und seine erotische Basis nicht bemerken will – aber die Wurzeln des Konfliktes, unter dem jene Frauen leiden, reichen tiefer in die seelische Konstitution hinab als die Macht theoretischer Anschauungen. Die Entwicklung zur selbständigen Persönlichkeit, deren Ausdruck die modernen Frauenbestrebungen sind, bringt in manchen Fällen eine Dyskrasie des Wesens mit sich, eine schlechte Mischung zwischen den Tendenzen der weiblichen Sexualität, die nach Unterordnung, und den Tendenzen der Persönlichkeit, die nach Unabhängigkeit strebt. Solche Frauen suchen vermöge ihrer erotischen Eigenart gerade diejenigen Eigenschaften an dem Manne ihrer Wahl, die sie doch in ihrem außergeschlechtlichen Leben nicht ertragen können. Als Weib begehren sie nach dem, was sie als Persönlichkeit verabscheuen. Ihre Geschlechtsnatur fordert die herrische Überlegenheit des Mannes, weil nur durch Vorstellungen des Unterworfenseins, des Beherrschtseins ihre Erotik geweckt wird; aber ihr Wille zur Selbstbestimmung lehnt sich gegen die Unterwerfung auf, sobald deren Konsequenzen außerhalb der erotischen Sphäre fühlbar werden. Für sie gibt es keinen Weg zu einem harmonischen Verhältnis auf sexueller Grundlage. Sie sind zum Unglück verdammt wie alle Menschen des inneren Zwiespaltes.
Die Spuren dieser Dyskrasie, die noch so wenig beachtet worden ist, obwohl sie so oft das Verhängnis mißglückter Liebesbeziehungen bildet, lassen sich an dem Schicksal vieler hervorragender Frauen verfolgen, bei Mary Wollstonecraft, bei Marie Baschkirtzew und vielleicht am deutlichsten bei Sonja Kowalewska.
Man hat dieses Schicksal aus dem Mißverhältnis erklären wollen, das sich angeblich mit Notwendigkeit aus den geistigen Bestrebungen und der natürlichen Bestimmung des Weibes ergeben soll. Ist dabei aber nicht eine Verkennung der tieferen Ursachen unterlaufen? Das Glück der Liebe wird im wesentlichen, soweit es eben nicht von äußeren Umständen abhängt, durch ein innerliches Gleichgewicht bedingt, durch die Übereinstimmung der erotischen Eigenart mit den übrigen lebensentscheidenden Impulsen des Individuums. Daß in der weiblichen Natur die Liebe notwendigerweise als ein Bedürfnis der Unterordnung auftreten muß, ist eine willkürliche Voraussetzung und trifft nur bei jener Art Frauen zu, die sich mit ihrer Erotik nicht über die primitive teleologische Geschlechtsnatur erhebt.
Denn es gibt – und gewiß nicht so selten – Frauen, denen die Liebe durchaus keine Aufgebung der persönlichen Freiheit bedeutet. Die Vorstellung der starken Faust wirkt auf sie ebenso abschreckend, als sie auf andere verlockend wirkt – aber nicht, weil sie keiner innigen persönlichen Hingebung fähig sind. Nicht der Grad, sondern die Art der Hingebung ist das Bezeichnende. Man pflegt den Unterschied zwischen der männlichen und der weiblichen Art zu lieben darin zu suchen, daß das Weib unter völliger Selbstaufgebung, der Mann unter Selbstbehauptung liebt. Diese Unterscheidung fällt hier in nichts zusammen. An die Stelle der Unterordnung tritt die Gemeinsamkeit auf Grundlage einer Wesensergänzung, in der das Gattungsmäßige von rein individuellen Momenten überwogen wird. Das subjektive Ideal, in dem sich die individuelle erotische Anlage jedes Menschen spiegelt, nimmt bei diesen Frauen die Gestalt der Freiheit an; die lustbetonte Vorstellung ist nicht mehr diejenige des Dienens auf der einen Seite und des Herrschens auf der anderen, sondern die Vorstellung der Gleichheit. Von ihnen gilt das schöne Wort Richard Wagners, das die Liebe der starken Naturen als »freie Hingebung an den, der uns nicht zu zwingen vermag« feiert.
Solche Frauen werden, wenn ihnen die Ungunst des Zufalls nur herrische Männer in den Weg führt, leicht Männerhasserinnen. Die landläufigen Redensarten über den Mann als den Herrn des Weibes, über die Pflicht des Weibes zur Unterwerfung und zum Dienen, verwirren und verstören sie namentlich im frühen Jugendalter oft bis zu einem asketischen Widerwillen vor aller Männerliebe. Erst wenn ihre Persönlichkeit sich unabhängig von den herrschenden Normen ausbildet und sie erkennen, daß jeder freie Mensch sein Leben nach dem Gesetze seines inneren Wesens gestaltet, oder wenn eine glückliche Begegnung ihnen offenbart, daß die individuelle Differenzierung aus dem einzelnen Mann ein ganz anderes Wesen macht, als wozu die Durchschnittsmethode ihn stempelt, gewinnen sie die Harmonie zwischen sich und der Welt zurück.
Sie sind es, die sich am meisten von dem teleologischen Geschlechtscharakter der Weiblichkeit entfernen. Die oberflächliche Beobachtung pflegt sie mit dem Typus der Prärogative zu verwechseln, weil auch bei ihnen der atypische Teil ihrer Natur die Stellung bestimmt, die sie den herkömmlichen Einrichtungen gegenüber einnehmen müssen. Und da das Bestehende auf eine andere Sorte zugeschnitten und bemessen ist, geschieht es wohl, daß das revolutionäre und polemische Element mehr an ihnen hervortritt, als es in der inneren Notwendigkeit ihres Wesens gelegen wäre. Dieses polemische Element wirkt an der Erscheinung der »Emanzipierten« auf die Unbeteiligten so unangenehm; und die Feindseligkeit jener Art Mann, die allein den Typus der erotischen Unterordnung als »das Weib« gelten lassen will, hat sie unterschiedslos mit dem mißliebigen Namen »Mannweib« gebrandmarkt. Daß eine Verwandtschaft zwischen ihrer Wesensart und der männlichen besteht, ist allerdings nicht zu leugnen; um dieser Verwandtschaft willen, die aber unter einem nicht einseitig sexuellen Gesichtspunkt möglicherweise einen Vorzug bedeutet, kann man sie als den progressiven Typus der Weiblichkeit den anderen gegenüberstellen.
Ein Punkt verdient besonders hervorgehoben zu werden, in dem ihre Empfindungsweise auffällig von der gewöhnlichen weiblichen absticht: die Art und Weise, wie sie sich gegenüber den polygamen Sitten des männlichen Geschlechtes verhalten. Für die meisten Frauen steht die Anzahl der Eroberungen und Abenteuer, die ein Mann gehabt hat, im gleichen Verhältnis zu der Anziehung, die er auf sie ausübt; sie erblicken eher darin einen Vorzug. Die Vorstellung der Jungfräulichkeit an einem Mann hat keinen Zauber für sie. Wenn sie ihnen nicht geradezu abstoßend erscheint, so läßt sie sie doch gleichgültig. Sie betrachten die männliche Polygamie als etwas Selbstverständliches und Unabänderliches. Es ist aber kein ganz seltener Fall, daß junge Mädchen, sobald sie von dem Manne, den sie lieben, diese Dinge erfahren, in die tiefste Verzweiflung geraten, obwohl nach den herrschenden gesellschaftlichen Anschauungen daraus kein sittlicher Makel für den Mann erwächst. Sie kommen darüber, ihrer innersten Empfindung nach, kaum weniger schwer hinweg als im umgekehrten Fall die meisten Männer; nur eben die herrschenden Anschauungen bewirken es, daß der Konflikt in den schweigenden Tiefen der Seele verborgen bleibt, unter jenen scheuen und stummen Schmerzen, für die es kein Echo in der Außenwelt gibt.
Es wäre keine unmögliche Aufgabe, in den Geisteswerken einzelner hervorragender Frauen Andeutungen dafür zu finden. Sofern man die Werke eines Autors als Dokumente seiner Persönlichkeit betrachten und in den wechselnden Gestalten seiner Einbildung die Form erblicken kann, in der er sein Verhältnis zur Welt darstellt, gibt beispielsweise der Roman »Mauprat«, der eine Verherrlichung der männlichen Jungfräulichkeit enthält, ein nicht mißzuverstehendes Zeugnis, wohin die erotische Eigenart George Sands, dieser ebenso zärtlichen als unabhängig gesinnten Frau, neigte.
Von symptomatischer Bedeutung ist es auch, daß diese Empfindungsweise in den Tendenzen der Frauenbewegung Ausdruck gefunden hat. Nur leider verquickt mit moralisierenden Verallgemeinerungen. Alles Moralisieren jedoch verdunkelt das eigentliche Phänomen; denn nicht um ein sittliches Urteil, sondern um eine subjektive Empfindung, die Äußerung einer bestimmten Wesensbeschaffenheit, handelt es sich im Grunde.
Die bekannteste Darstellung eines solchen Mädchens ist jene Svava in Björnsons »Handschuh«, die mit ihrem Bräutigam bricht, als sie sein Vorleben erfährt. Aber auch hier ist das Gewicht nicht auf das psychologische Problem, sondern auf eine moralisierende Tendenz gelegt. Den äußersten Gegensatz zur Auffassung Svavas hat bezeichnenderweise Laura Marholm geliefert. In ihrer Erzählung »Was war es?« sagt der Liebhaber zur Heldin: »Die käufliche Liebe war mir immer widerlich. Ich habe noch nie ein Weib angerührt.« Da – wendet sich das Mädchen entsetzt von ihm ab: »es war ihr, als ginge ein kalter Schauder durch die Natur, etwas wie eine fröstelnde Enttäuschung.«
Wollte man schließlich nach Analogie der primitiven und der differenzierten Männlichkeit die Typen der Weiblichkeit gruppieren, so müßte man das Kriterium gleichfalls in der individuellen erotischen Anlage und nicht in äußeren sozialen Unterschieden suchen. Ein durchgebildeter Gegensatz der Lebensaufgaben wie bei dem männlichen Geschlecht existiert bei dem weiblichen nicht; und die naheliegende Gegenüberstellung der Dirne und der ehrbaren Frau wäre schon deshalb unzulänglich, weil die Prostitution eine sozial nicht approbierte Lebensform und die angeborene Disposition dazu eher einen atavistischen Defekt des Individuums darstellt. Was man als primitive Weiblichkeit ansprechen kann, ist die Unfähigkeit, sich selbständig zu behaupten, die in dem weiblichen Unterordnungsbedürfnis ihren Ausdruck findet, der Mangel an Persönlichkeit, der das Weib als Geschlechtswesen einem fremden Willen anheimgibt, entweder, indem dieser Wille als elterliche oder verwandtschaftliche Autorität ihre Wahl bestimmt, oder als eheherrliche Gewalt über ihre Person gebietet. Das Weib aber, das aus eigener Machtvollkommenheit über sich als Geschlechtswesen verfügen will und dieses Recht der Persönlichkeit kraft innerer Notwendigkeit zum obersten Gesetze seines Lebens macht, das Weib, das arbeitet, um unabhängig zu sein, das eher ganz auf die Liebe als auf die freie Wahl verzichtet, wird als Typus der differenzierten Weiblichkeit gelten können, was für eine soziale Stellung es auch einnehmen mag. Denn das entscheidende Merkmal ist die Entwicklung des Persönlichkeitsbewußtseins, das die primitive teleologische Geschlechtsnatur aufhebt – am umfassendsten dann, wenn es auch die erotische Eigenart des Individuums durchdringt.
Übrigens sollte man sich hüten, die Qualität des Geschlechtswesens an sich als Wertmesser der Persönlichkeit zu benützen. In Dingen der Weiblichkeit werden Geschmacksfragen zu Prinzipienfragen gemacht. Es ist ganz müßig, darüber zu debattieren, welche Art der Weiblichkeit die echte und rechte sei. »Was soll man von einem Weibe denken, die nur vollkommen Weib sein wollte?« hat Max Stirner gesagt. »Das ist nicht jeder gegeben und manche würde sich damit ein unerreichbares Ziel setzen. Weiblich dagegen ist sie ohnehin, von Natur, die Weiblichkeit ist ihre Eigenschaft, und sie braucht der ›echten‹ Weiblichkeit nicht.« Für das Leben jedes Individuums ist die erotische Anziehung, die es ausübt, und die Instinktsicherheit, mit der es seine Wahl trifft, das Ausschlaggebende. Dabei kommt das allgemein Weibliche nicht in Betracht. Regiert hier nicht ein ganz persönlicher und privater Maßstab? Nicht ein Gesetz, das sich in jedem Fall einzig und allein auf die individuelle Natur der beiden Beteiligten gründet? Hineingebrannt in die Schranken einer bestimmten Individualität, können wir die geheimnisvolle Basis, auf der unser Fühlen und Wollen sich schicksalsmächtig erhebt, nicht wählen und nicht ändern. Und vergeblich wäre es, eine Übereinstimmung und Gemeinschaft dort herstellen zu wollen, wo das Trennende und Gegensätzliche in den Urgrund unseres Wesens hinabreicht. Weib und Weib ist nicht das gleiche, so wie Mann und Mann nicht das gleiche ist – ohne diese Fundamentalerkenntnis wird die Geschlechtspsychologie immer ein Labyrinth unlösbarer Widersprüche bleiben.