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Friedrich II. hatte Preußens Thron bestiegen. Seine Politik führte er nach den Satzungen des heute noch geheimnisvollen »Testaments des Großen Kurfürsten«. Zunächst richtete er sein Augenmerk auf einen Neutralitätsvertrag mit Frankreich. Zu diesem Zweck sandte er 1755 den Baron von Langenau nach Versailles, um Ludwig XV. für seine Pläne günstig zu stimmen.
Der Baron war zwar noch jung, besaß aber das vollste Vertrauen seines Königs und sah auch seine Bemühungen von einem solchen Erfolg gekrönt, daß eine baldige Unterzeichnung des Vertrages in Aussicht stand. Heute war er wieder zu einem Empfang nach Versailles befohlen und deshalb zu Wagen von Paris herbeigekommen, um womöglich seine Aufgabe mit einer letzten Entscheidung zu Ende zu bringen.
Er fuhr nicht bis an das Schloß selbst heran, sondern ließ bereits in ziemlicher Entfernung davon halten und stieg aus. Darauf begab er sich zu Fuß unbemerkt nach der Umzäunung des Parks und schritt an ihr entlang bis zu einer Pforte. Dort räusperte er sich halblaut. Sofort klirrte ein Schlüssel im Schloß; die Tür wurde von innen geöffnet, und er sah sich einer Dame gegenüber, deren Schönheit geeignet erschien, einen so außergewöhnlichen Schritt zu erklären.
»Amély!«
»Charles!«
Er nahm ihre kleine Hand, bückte sich auf diese nieder und küßte zart die Fingerspitzen ihrer seidenen Handschuhe.
»Tausend Dank, ma belle amie, daß Sie so gütig sind meine Bitte zu erfüllen! Schließen wir die Pforte?«
»Ja, wir schließen sie, mon ami. Sie können unmöglich ohne Wagen an der Auffahrt erscheinen und müssen also durch den Park kommen. Freilich begebe ich mich durch die Erfüllung Ihres Wunsches in große Gefahr, denn der König lustwandelt soeben dortselbst. Doch schien es mir nötig, Ihnen vor Ihrer Unterredung mit dem Herrscher Nachricht über die Erfolge meiner Tätigkeit zu geben.«
»So haben Sie wirklich Erfolge zu verzeichnen, Amély?« fragte er, während er ihren Arm nahm und in einen schmalen Seitenpfad einbog.
»Jawohl, wenn auch nicht nach der Seite hin, auf die Sie mein Augenmerk zu richten strebten. Zwar ist meine Tante als Freundin und erste Hofdame der Marquise de Pompadour nicht ohne Einfluß auf diese, und ma chère tante hat mich zu lieb, als daß sie mir einen erfüllbaren Wunsch abschlagen könnte, doch – doch – – –«
»Nun, meine Teure, doch – doch – – –?«
»Tante kann nichts für Sie tun, weil die allmächtige Marquise eine Abneigung zu hegen scheint, deren Gegenstand –«
»Deren Gegenstand ich bin: ist es nicht so?«
»Gewiß, mein Freund! Sie haben das Unglück gehabt, die Hand der Marquise beim Empfangskuß mit drei statt nur mit zwei Fingern zu berühren, und für solche Dinge hat sie ein Gedächtnis, das nur selten zum Vergeben geneigt ist.«
»Bien! Ich werde also auf Ihre Zuneigung verzichten müssen. Aber, sprachen Sie nicht von einer anderen Seite?«
»Von einer Seite, die einen Einfluß auf den König zugunsten Ihres Auftrags geltend zu machen sucht – – – gegen die Ansicht der Marquise. – Sie verstehen mich?«
Der Baron machte eine zustimmende Gebärde, und die Dame sprach leise weiter: »Freilich hat sich der König so sehr von der Marquise abhängig gemacht, daß schließlich ihre Stimme doch siegen könnte. Schlagen wir nun eine andere Richtung ein, mein Lieber. Dieser Pfad führt nach dem großen Springbrunnen, und wenn wir ihm weiter folgen, so laufen wir Gefahr, der Majestät mit sämtlichen Herren und Damen des Hofes zu begegnen.«
Sie hatte mit diesen Worten recht, denn von dem berühmten Bosquet de Fosan aus bewegte sich eine lange Reihe einzelner Gruppen nach dem großen Springbrunnen zu, voran der König, neben ihm die Marquise de Pompadour und zunächst hinter ihm in der Mitte einiger hervorragender Hofdamen die erste Dame der Marquise, Madame d'Hausset. Ihr zur Seite ging die durch ihre weiten Reisen und ihre diplomatische Vergangenheit wohlbekannte Gräfin von Gergy.
Die Marquise ging am Arm des Königs. Sie war in eine Robe von schwarzer Soie de Lyon gekleidet, trug ein rundes Jagdmützchen auf dem Kopf und stützte sich mit der Hand auf einen massiv elfenbeinernen Stock, dessen Griff reich mit Brillanten und Rubinen verziert war. Ihr Gespräch mit Louis Quinze schien einen Gegenstand zu betreffen, der die volle Teilnahme der beiden hochgestellten Personen in Anspruch nahm.
»Kennen Sie seine Abstammung, Madame?« fragte der König.
»Sie ist ein Geheimnis, Sire, über das er tiefste Verschwiegenheit beobachtet, und ich glaube, daß selbst Eurer Majestät Fragen hier ohne Erfolg sein würden«, entgegnete die berüchtigte Frau, die ihren Einfluß auf einen minderwertigen und genußsüchtigen Herrscher so klug zu verwenden verstand, daß sie die eigentliche Gebieterin Frankreichs war.
»Dann hat er sicherlich Gründe, seine Vergangenheit zu verbergen. Er ist aber trotzdem ein sehenswerter Abenteurer.«
»Der dem Staat von unendlichem Nutzen sein kann«, fügte die Pompadour angelegentlich hinzu. »Es scheint sicher zu sein, daß er edle Steine und Metalle anzufertigen weiß. Er hat während der kurzen Zeit seines Hierseins die bewundernswertesten Kuren vollbracht und besitzt ein Mittel, das die Einwirkungen des Alters aufhebt.«
»Also ein Wunderdoktor?«
»Mehr, viel mehr als dies, Sire! Er zeichnet und malt großartig, ist Künstler auf verschiedenen musikalischen Instrumenten, singt zum Entzücken, modelliert gleich einem Künstler und spricht außer Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch und den sämtlichen alten Sprachen auch Arabisch, Türkisch, Persisch und Chinesisch. Der Mann ist auf alle Fälle ein Rätsel.«
»Und zwar eins von denen, deren Bewunderung dann schließlich in Enttäuschung übergeht.«
Die Marquise schüttelte den Kopf; sie war sichtlich bemüht, die Zweifel des Königs zu beseitigen. »Dann müßte die Enttäuschung längst eingetreten sein, Sire, denn der Graf von Saint-Germain ist eine Berühmtheit, die nicht erst seit zwanzig oder dreißig Jahren von sich reden macht.«
»Ah! Dann besitzt er ein hohes Alter?«
»Nein, denn er wird nie alt. Ich hatte bereits die Ehre, sein Mittel zu erwähnen, das ewige Jugend und Gesundheit verleiht. Man berichtet von ihm, daß er bereits vor mehreren hundert Jahren, ja vielleicht schon vor tausend Jahren gelebt habe.«
»Madame!« rief Ludwig in verweisendem Ton. »Hat er selbst es gewagt, Ihnen diese Unwahrheiten zu erzählen?«
»Unwahrheiten, Sire? Der Graf gibt niemals irgendwie Auskunft über sich und seine Verhältnisse; alles, was man von ihm weiß, ist erst durch andere, und zwar durch vollgültige Zeugen bekanntgeworden.«
»Nach dem, was ich von Ihnen hörte, Madame, dürfen sich diese Zeugen wohl keiner allzugroßen Zuverlässigkeit rühmen.«
»Doch, doch, Sire! Mir wenigstens gilt zum Beispiel das Wort der Gräfin von Gergy als höchst vertrauenswert.«
»Gräfin Gergy?«
»Deren verstorbener Gemahl vor nun bereits fünfzig Jahren Gesandter in Venedig war.«
»Sie ist mir gewissermaßen selbst ein Rätsel. Ich kenne sie seit beinahe zwei Jahrzehnten und sehe nicht, daß sie in dieser langen Zeit nur einen Tag gealtert hätte.«
»Gestatten Eure Majestät, die Gräfin zu rufen!«
Sie wandte sich zu dem Gefolge zurück und winkte. Die Witwe des einstigen venezianischen Gesandten beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten, und trat mit einer tiefen Verneigung an die linke Seite des Königs.
»Seine Majestät wollen Näheres über Ihr Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain in Venedig erfahren, meine Liebe«, erklärte die Marquise.
Die Gräfin verbeugte sich zustimmend. »Darf ich fragen, wie alt mich Eure Majestät schätzen?« begann sie ihren Bericht.
Der König lächelte über diese Frage, die eine Dame nur in der sicheren Erwartung einer Schmeichelei auszusprechen pflegt. Er befand sich bei gnädiger Laune und beschloß, die Gräfin durch eine möglichst hohe Ziffer zu necken. Er schätzte sie fünfzig und hielt es für unmöglich, daß ihr Gemahl vor eben dieser Zeit in Venedig gewesen sein könnte, antwortete aber schnell und kurz:
»Sechzig!«
Jetzt war es Frau von Gergy, die lächelte. »Sire, mein erstes Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain fällt um volle fünfzig Jahre zurück«, erklärte sie, »und damals zählte ich einige Jahre über dreißig.«
»Nicht möglich!« rief Ludwig. »Dann wären Sie ja über achtzig Jahre alt!«
»Das bin ich auch, Sire. Ich habe in bezug auf mein Äußeres jenes Alter von dreißig Jahren ein volles Vierteljahrhundert hindurch unverändert behalten, und zwar infolge eines Tranks, den mir der Graf von St. Germain damals gab. Selbst als der letzte Tropfen dieses köstlichen Mittels verbraucht war, hat sich seine Wirkung bis auf den heutigen Tag erstreckt. Ich bin langsamer alt geworden als andere, habe niemals die leiseste Kränklichkeit gespürt und hege die feste Überzeugung, daß ich auch heute nur dreißig Jahre alt erscheinen würde, wenn mir jener Wundertrank nicht leider ausgegangen wäre.«
»Und der Graf? Er selbst braucht natürlich auch dieses Zaubermittel?«
»Augenscheinlich, denn er ist seit jener Stunde, wo ich ihn vor fünfzig Jahren zum erstenmal sah, nicht um einen Augenblick gealtert.«
»Erzählen Sie uns von Ihrer zweiten Begegnung! Sie muß voller Überraschung gewesen sein.«
»Ich traf ihn unerwartet bei Madame«, berichtete die Gräfin mit einer Verneigung gegen die Marquise de Pompadour, »und glaubte, einen dem Vater außerordentlich ähnlichen Sohn vor mir zu sehen. Ich trat auf ihn zu und bat ihn, mir zu sagen, ob nicht sein Vater um das Jahr 1700 in Venedig gewesen sei.«
»Was erwiderte er?«
»›Nein, Madame‹, antwortete er gelassen; ›es ist schon viel länger her, daß ich meinen Vater verlor; aber ich selbst wohnte zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts in Venedig. Ich hatte die Ehre, Ihnen dort etwas Teilnahme einzuflößen, und Sie waren gütig genug, einige Barkarolen meiner eigenen Kompositionen, die wir zusammen sangen, hübsch zu finden.‹ – ›Verzeihen Sie, aber das ist unmöglich‹, warf ich ein; ›denn der Graf von St. Germain, den ich damals kannte, war wenigstens fünfundvierzig Jahre alt, und Sie haben jetzt höchstens erst das gleiche Alter!‹ – ›Madame‹, sagte der Graf lächelnd, ›ich bin schon sehr alt, so alt vielleicht, daß ich den Tag meiner Geburt längst vergessen habe.‹ – ›Aber dann müssen Sie ja nahe an die hundert Jahre zählen!‹ – ›Finden Sie das unmöglich?‹ Und nun erzählte er mir eine Menge kleiner, näherer Umstände, die sich auf unseren gemeinschaftlichen Aufenthalt in Venedig bezogen, und von denen nur ich und St. Germain wissen konnten. Sein außerordentliches Gedächtnis erinnerte sich nicht nur der unbedeutendsten Einzelheiten, sondern jedes Wortes, das damals zwischen uns gesprochen wurde. Und um mich gänzlich zu überzeugen, zeigte er mir eine kleine Narbe an der Hand, die dadurch entstanden war, daß er sich einst an meiner Sticknadel blutig riß.«
»Hat er Sie hier besucht?« fragte der König.
»Nein, Sire; seine Zeit ist allzusehr in Anspruch genommen. Alles, was ich erreichte, war die Erlaubnis, auf einige wenige Miauten bei ihm vorsprechen zu dürfen.«
»Und Sie taten es?«
»Gewiß. Ich durfte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den berühmten Mann chez soi-même zu sehen.«
»Wie fanden Sie es bei ihm?«
»Wenn ich erwartet hatte, einen Einblick in die ganze Reihe seiner Wohnräume zu gewinnen, so fand ich mich getäuscht, denn ich durfte nur ein einziges Zimmer betreten, und dieses zeigte nicht die geringste Merkwürdigkeit. Doch brachte er aus den Nebenräumen manches, was mich in Erstaunen versetzte, zum Beispiel seine Diamantensammlung, die mich geradezu an Aladins Wunderlampe erinnerte. Sie ist viele Millionen wert.«
»So ist er reich?«
»Ich bin davon überzeugt, obgleich man sich seinen Reichtum auf keinerlei Weise zu erklären vermag. Er hat keine Güter, keine Renten, keine Bankiers, keine feste Einnahme irgendeiner Art; Karten und Würfel berührt er nie, und dennoch führt er einen großen Haushalt, hat Bediente, Pferde und Wagen und eine ungeheure Menge von Edelsteinen in allen Größen, Gattungen und Farben. Man weiß wahrhaftig nicht, was man von alledem denken soll!«
»Er ist jedenfalls ein geschickter Schwindler; man wird ihm vielleicht einmal begegnen«, meinte Ludwig.
Er wollte nicht zugeben, daß er schon längst von dem Grafen gehört hätte und mehr an das Erzählte glaubte, als er sich merken ließ. War es denn nicht möglich, daß er bei dem ›geschickten Schwindler‹ Hilfe gegen die immerwährende Ebbe in seinen Kassen finden konnte? Dieser Gedanke hatte ihn bereits viel beschäftigt, und deshalb hatte er es über sich gewonnen, dem Grafen just für die jetzige Stunde ein scheinbar zufälliges Stelldichein andeuten zu lassen.
Diese Andeutung war verstanden und befolgt worden. Eben als man um die Ecke bog, war ein Mann zu erblicken, der eine Rose in der Hand hielt und sie so sorgfältig betrachtete, daß er das Nahen des Hofes nicht zu bemerken schien. Das Auge des Königs glitt forschend über die Gestalt des Fremden und leuchtete dann mit zufriedenem Blick auf.
Er hatte den Erwartenden erkannt. Gleichwohl aber fragte er mit zorniger Miene:
»Wer ist dieser Mann? Es ist doch bekannt, daß während Unserer Anwesenheit niemand Zutritt finden soll!«
Die Gräfin von Gergy hatte die Lage sofort begriffen.
»Sire«, erwiderte sie, »es ist der Graf von St. Germain. Er ist gewohnt, mehr als andere wagen zu dürfen. Gestatten Eure Majestät, ihn vorzustellen?«
Der König nickte zurückhaltend. »Wir wollen Uns geneigt finden lassen, Uns einige Minuten mit ihm zu unterhalten.«
Frau von Gergy trat zu dem wunderbaren Mann, begrüßte ihn und führte ihn dann dem König zu.
Der Fremde war von mittlerer Größe und feinem Benehmen, hatte regelmäßige Züge, eine tiefbraune Gesichtsfarbe und schwarzes Haar. Seine Kleidung war einfach, aber geschmackvoll. Der einzige Prunk, den er zeigte, allerdings auch ein außerordentlicher, ungewöhnlicher, bestand in einer großen Menge von Diamanten, die er an allen Fingern, an der Uhrkette und statt der Knöpfe trug. Die Schuhschnallen allein würde jeder Kenner auf mindestens 200 000 Frank geschätzt haben.
Ludwig nahm seinen ehrerbietigen Gruß mit freundlichem Kopfnicken entgegen und begann, wie er es fast stets zu tun pflegte, die Unterredung ohne alle Einleitung:
»Man sagt, Sie seien mehrere Jahrhunderte alt. Ist das wahr?«
»Sire«, entgegnete St. Germain mit einem Ausdruck in Stimme und Gesicht, wie es nur Leuten von Geist eigen ist, »ich belustige mich zuweilen damit, nicht glauben zu machen, sondern glauben zu lassen, daß ich schon in ältesten Zeiten gelebt habe.«
»Doch die Wahrheit, Graf, ist – – –«
»Die Wahrheit ist häufig unergründlich«, war die ausweichende Antwort.
»Nach der Versicherung mehrerer Personen, denen Sie schon unter der Regierung meines Großvaters bekannt waren, scheint es, als ob Sie über hundert Jahre zählen.«
»Das wäre ja nicht einmal ein sehr überraschendes Alter. Im Norden von Europa habe ich Menschen gesehen, die 160 Jahre und darüber erreichten.«
»Ich weiß, daß es Dinge gibt, die alle Forschung der Gelehrten über den Haufen werfen. Ich würde mich freuen, den Beweis zu erhalten, daß Sie schon im vorigen Jahrhundert lebten.«
»Das wird sehr leicht sein, Sire!« Er zog ein in gotischer Art gebundenes Merkbuch aus der Tasche, öffnete es und nahm eines der zahlreichen Blätter, die es enthielt, heraus.
»Wird ein Zeugnis des großen Montaigne genügen, Majestät?«
»Wie?« fragte der König erstaunt; »Sie wollen Montaigne persönlich gekannt haben, der im Jahre 1592 gestorben ist?«
»Ich stelle diese Behauptung auf und bitte, sie beweisen zu dürfen!«
»Geben Sie das Blatt der Marquise!«
Der Graf folgte diesem Befehl, und Frau von Pompadour las die Zeilen des damals für unübertroffen geltenden Philosophen vor:
»Il n'est homme de bien qui mette à l'examen des lois toutes ses actions et pensées, qui ne soit pendable six fois en sa vie; voire tel qu'il serait dommage et très injuste de punir.
A son ami, le comte de Saint-Germain.
M. Eyquem de Montaigne
»Es gibt keinen Menschen, der bei gesetzlicher Prüfung seiner Handlungen und Gedanken sich nicht wenigstens sechsmal hängenswert fände: es ist daher schade und sehr ungerecht, zu strafen.
Seinem Freunde, dem Grafen von St. Germain
M. Eyquem de Montaigne.««
Der erstaunte Monarch griff nach dem Zettel und überzeugte sich, daß Montaigne ihn im Jahre 1580 mit eigener Hand geschrieben hatte.
»Das ist höchst merkwürdig!« rief er und wandte sich zu seinem Gefolge: »Kommen Sie her, meine Herren, und sehen Sie hier den Grafen von St. Germain, der so alt ist, daß er Montaigne persönlich kannte!«
Der Herzog von Brancas, der Herr von Gontout, der Abbé Bernis und andere traten näher, nahmen Einsicht in die Zeilen und vermochten nicht, ihre Verwunderung zurückzuhalten. Ihr Erstaunen wurde noch größer, als sie die Edelsteine sahen, die der Graf an sich trug. Der König bemerkte es und fragte:
»Sie scheinen ein großer Freund von Steinen zu sein?«
»Ich pflege mich viel mit ihnen zu beschäftigen, Sire. Besonders ist es ihre Entstehung und ihr Wachstum, das mich lebhaft fesselt.«
»Das heißt, Sie halten es für möglich, daß ein Mensch so tiefen Einfluß in diese Entstehung gewinnen kann, daß es ihm gelingt, solche Steine beliebig hervorzubringen?«
»Der Wissenschaft ist alles möglich, Majestät, nur daß sie an die Entwicklung unseres Wissens gebunden ist und selten einen ihrer Jünger in der Weise bevorzugt, daß sie ihm einen deutlichen Einblick in die Schöpfungswerkstätten der Natur gestattet.«
»Vielleicht sind Sie selbst ein solcher bevorzugter Liebling der Wissenschaft. Vermögen Sie aus kleinen Diamanten große zu machen?«
»Wer dieses vermöchte, Sire, der würde sicher mit seiner Kunst zurückhaltend sein«, lautete die ausweichende Antwort. »Eher darf man davon sprechen, Perlen wachsen zu lassen.«
»Ist Ihnen das möglich?«
»Ja. Ich gebe ihnen die fünf-, ja zehnfache Größe und verleihe ihnen dabei denjenigen Grad von Wasser, der mir beliebt.«
»Das ist viel. Haben Sie schon davon gehört, daß es fleckige Diamanten gibt?«
Über die geistreichen Züge des Grafen glitt ein feines, fast schonendes Lächeln. »Ich habe deren oft selbst gehabt. Wer seine Aufmerksamkeit so wie ich den Steinen widmet, kennt jede einzelne ihrer Sonderheiten. Die Flecken lassen sich fast stets entfernen.«
»Wie, Sie hätten wirklich das Geheimnis entdeckt, nach dessen Enthüllung die Kunst bisher vergebens strebte?«
»Die Lösung ist nicht schwer, Sire. Gelang sie anderen nicht, so lag es nicht an der Kunst, sondern an den Künstlern.«
»Wenn ich nun die Wahrheit Ihrer Behauptung einer Prüfung unterwerfe?«
»Ich werde sie bestehen.«
Diese Antwort klang so stolz und zuverlässig, als handle es sich um die Entfernung eines Weinfleckens aus einem Stück Seidenzeug. Auf den König schien dieses Selbstvertrauen Eindruck zu machen. Er zog einen Diamanten hervor und bewies damit augenscheinlich, daß er auf das Zusammentreffen mit St. Germain vorbereitet war.
»Sehen Sie diesen Stein! Er würde 4000 Frank mehr wert sein, wenn er rein wäre.«
Der Graf betrachtete den Stein aufmerksam. »Der Fleck ist etwas groß, aber ich werde ihn dennoch beseitigen können. Wollen Eure Majestät mir den Stein anvertrauen?«
»Sie dürfen ihn mitnehmen. Mein Juwelier, der ihn jetzt auf 6000 Frank schätzt, versichert, 10 000 dafür zahlen zu können, wenn der Fleck nicht wäre.«
»In vierzehn Tagen gebe ich mir die Ehre, ihn vollständig rein zurückzubringen.«
»Man wird dann Grund haben, Ihre Geschicklichkeit anzuerkennen. Aber nun sagen Sie mir noch etwas, Graf; man spricht von einem Mittel, von einem Aqua benedetta, das Sie zu bereiten verstehen, und durch das man Schutz vor den Einwirkungen des Alters gefunden haben soll.«
»Die Natur ist ewig jung, Sire. Wer ihre Lebenskraft zu gewinnen und in den menschlichen Körper überzuführen versteht, kennt kein Alter und keinen Tod. Er kann Tausende von Jahren gelebt haben, ohne davon zu sprechen.«
»Sie weichen mir aus und geben dennoch Ihr Einverständnis. Sie selbst danken ihre immerwährende Jugend jedenfalls nur der Wirkung dieses Zauberwassers.«
»Krankheit und Tod lassen sich nicht durch einen bloßen Wunsch, sondern nur durch Waffen besiegen, Majestät.«
»Und stehen diese Waffen nur Ihren besonderen Freunden zu Gebot?«
»Nur. Das Aqua benedetta wird unter einer Stellung der Gestirne bereitet, die für die rechte Wirkung des Tranks eine innige Zuneigung zwischen dem Verfertiger und demjenigen, der sich des Mittels bedient, voraussetzt.«
»So sind für die Zubereitung dieses Lebenswassers auch astrologische Kenntnisse vonnöten?«
»Ich leugne es nicht und gestehe, daß diese Kenntnisse nicht schülerhaft sein dürfen. Die Gestirne werden von derselben Kraft gehalten, die wir, solange sie im Leib des Menschen tätig wirkt, das Leben nennen. Aus dem Lauf der Sonnen und Sterne ist sie besser zu berechnen als aus den Bewegungen unserer Glieder. So schwer diese Berechnungen sind: es ist notwendig, sie zu Rat zu ziehen, wenn man das kühne Unternehmen wagt, die ewige Kraft in den vergänglichen flüssigen Tropfen zu bannen.«
»Sichert dieser Trank auch gegen die Folgen äußerlicher Verletzungen?«
»Nein, Sire. Das Leben, das mit ihm in den Körper strömt, kann durch gewaltsame Angriffe vernichtet werden. Die Aufgabe, ein Wunderwasser zu bereiten, das selbst den Streich einer tödlichen Waffe unschädlich macht, ist noch keinem Sterblichen zu lösen gelungen, doch hoffe ich« – und dabei ging ein siegesbewußtes Lächeln über seine Züge – »auch diese Schwierigkeit noch zu überwinden.«
»Sie sind kühn in Ihren Hoffnungen, Graf!«
»Ein Mann, der nicht genau weiß, was er zu leisten vermag, ist kein Mann, Sire; er wird nie zur vollständigen Entwicklung der Gaben gelangen, die ihm von dem gütigen Schöpfer verliehen sind.«
»Sie mögen recht haben, Graf. Wir finden überhaupt Wohlgefallen an Ihrer Unterhaltung. Lassen Sie sich wieder sehen! Man wird Ihre Gegenwart nicht ungern bemerken.«
»Dann ersuche ich Eure Majestät, mir gütigst die Stunde bestimmen zu lassen, in der ich erscheinen darf.«
»Man wird dies in der Voraussicht tun, daß Uns durch ihre Kenntnis der Naturgeheimnisse nach den Anstrengungen Unseres schweren Berufs eine Stunde besserer Erholung bereitet werde.«
Mit einem huldvollen Neigen des königlichen Hauptes wurde der Graf entlassen. Er entfernte sich und schritt einer entlegenen Gegend des Parkes zu. Eben stand er im Begriff, um eine künstliche Felsengruppe zu biegen, als hinter dieser der Baron von Langenau hervorkam. Dieser hatte seine Unterredung mit Fräulein d'Hausset beendet und wollte sich nach dem Schloß verfügen, als ihn die unerwartete Begegnung mit einer Überraschung erfüllte, die sein offenes Gesicht nicht sofort zu verbergen vermochte. Auch über das Gesicht des Grafen glitt ein Zug, der fast die Folge eines Schrecks genannt werden konnte, doch hatte sich der seltene Mann so in der Gewalt, daß seine Miene schon im nächsten Augenblick einen ruhigen Ausdruck annahm.
»Ah, der Herr Baron von Langenau, wenn ich mich nicht irre!« meinte er mit einem gnädigen Nicken seines stolz erhobenen Kopfes.
»In der Tat, Sie irren sich nicht, Herr Ritter von Schöning, Graf Tzarogy oder wie Ihr eigentlicher Name lauten mag. Sagen Sie einmal aufrichtig, mein Herr, mit welcher Magie kommt man in Versailles weiter, mit der schwarzen oder mit der weißen?«
Es klang eine unendliche Bitterkeit aus seinem Ton. Der Graf blickte ihm jetzt kalt und starr in das Angesicht und entgegnete:
»Je nach dem Erfolg, den man zu erzielen beabsichtigt, mein Herr. Und dieser Erfolg ist immer ein sicherer, wenn man sich nicht Leuten anvertraut, die zu schwach sind, Großes ertragen zu können. Wie befindet sich Ihr Herr Vater, Herr Baron?«
»Ich danke; sehr wohl!«
»Das heißt?«
»Das heißt, daß er keine Gelegenheit mehr hat, sich schlecht zu befinden. An dem Tage, an dem Sie die Güte hatten, uns ohne Abschied zu verlassen, bemerkte er, daß er sich an den Bettelstab gebracht hatte. Ihre bewundernswerte Kunst hatte ihn von sämtlichem Gold befreit und ihm nichts gelassen, als ein Stück armseliges Blei in Kugelform. Leider verstand er mit diesem besser umzugehen als mit Gaunern und Betrügern. Statt dem Schwindler, der mit unserer sämtlichen Habe von dannen zog, auch dieses Blei noch anzubieten, behielt er es für sich selbst. Der Schuß gelang, mein Herr, und es lebt nun ein Zeuge Ihres Talents weniger.«
»Das tut mir leid, obgleich es vorauszusehen war, da Ihr Vater meinen wohlgemeinten Ratschlägen niemals Gehör schenkte. Er war ein Schüler, der unbedingt nach der Mahnung seines Meisters hätte handeln sollen. Wer aus seinem physischen Dasein heraustritt, um mit den Geistern zu verkehren, muß den Mut haben, sie sich untertan zu machen, sonst überwältigen sie ihn, und er ist verloren. Der Fall tut mir nun Ihretwegen leid. Kann ich Ihnen hier in irgendeiner Weise dienlich sein?«
»Ich muß auf Ihre Gefälligkeit verzichten, da ich nichts besitze, um Sie mit meinem Ruin bezahlen zu können!«
»Ich bin sehr nachsichtig, mein Herr, aber wahren Sie dennoch Ihre Zunge! Der Graf von St. Germain, der soeben eine vertrauliche Unterredung mit dem König hatte, fühlt sich keineswegs gezwungen, die grundlosen Sticheleien des Barons von Langenau ruhig anzuhören.«
»Graf von St. Germain? Lassen Sie mich Sie zu diesem neuen Titel beglückwünschen! Auch ich habe heute einiges mit dem König zu besprechen und werde nicht versäumen, ihm den Herrn Grafen zur Regelung seiner Finanzen zu empfehlen.«
»Das heißt, Sie wollen sich mir als Feind gegenüberstellen? Welcher vorsichtige Mann wünscht sich einen überlegenen Gegner! Erlauben Sie mir, Ihnen eine höchst wertvolle Lehre zu geben: Ein kluger Diplomat – und dieser Laufbahn scheinen Sie sich doch zugewandt zu haben – bekämpft seinen Feind nur im stillen und aus wohlgedeckter Stellung; er verrät deshalb um keinen Preis seine innere Gesinnung, denn diese Unvorsichtigkeit kann ihm seine Ziele leicht in unerreichbare Ferne rücken.«
»Ich habe Ihre wertvolle Lehre angehört, um ganz in die Tiefe Ihres menschenfreundlichen Herzens blicken zu können, habe aber leider nicht die Absicht, sie zu beherzigen. Wir Deutschen sind ein ungelecktes Volk, das gewohnt ist, auf starken Sohlen seinen geraden Weg zu wandeln und sich auch dem überlegenen Feind Auge in Auge zu stellen. Herr Graf von St. Germain, ich verachte Sie und werde dafür sorgen, daß Ihre Künste hier keine Opfer finden!«
Mit einer verächtlichen Handbewegung wandte er sich ab und schritt von dannen.
Der Graf blieb stehen. Trotz seiner braunen Gesichtsfarbe war deutlich die Blässe zu bemerken, die sein Antlitz überzog. Nach kurzem Besinnen kehrte er in den Park, den zu verlassen er im Begriff gestanden hatte, wieder zurück und schritt nach dem Schloß. Hier erfuhr er, daß die Marquise de Pompadour ihre Gemächer bereits wieder betreten hatte.
Er war schon öfters bei ihr gewesen, hatte die Erlaubnis zum beliebigen Zutritt erhalten und ließ sich anmelden.
Die Marquise, bei der Frau d'Hausset, Ihre erste Dame, weilte, empfing ihn mit großer Liebenswürdigkeit.
»Willkommen, mein lieber Graf! Ich vermutete nicht, Sie so schnell wieder bei mir zu erblicken.«
»Durfte ich Versailles verlassen und nach Paris gehen, Madame, ohne Ihrer Güte zu danken, die mir gestattete, den größten Herrscher unseres Jahrhunderts zu sehen und zu sprechen?«
»Diese Güte ist nicht ohne Selbstsucht. Man hat dabei Nutzen gezogen durch Ihren Unterricht über Vorgänge, die bisher für unmöglich galten. Werden Sie den Diamanten des Königs wirklich von seinen Flecken zu befreien vermögen?«
»Es wird sicher geschehen; ich werde Ihnen das beweisen, Madame. Sehen Sie diese Steine!«
Er zog eine Schachtel aus der Tasche und öffnete sie. Es befanden sich Topase, Smaragde, Saphire und Rubine von ganz bedeutendem Wert darin. Frau von Pompadour vergaß die Würde, die sie sich sonst zu eigen zu machen bestrebte, und schlug in heller Verwunderung die Hände zusammen.
»Welch ein Reichtum in solch kleinem Behältnis! Graf, Sie sind ein Phänomen!«
Er nahm diese Bewunderung sehr gleichgültig hin und antwortete mit leichtem Achselzucken:
»Die Schachtel enthält nur die geheilten Patienten aus meiner Sammlung. Diese alle hatten Flecken, die ich ihnen jedoch genommen habe; sie besitzen dadurch einen doppelten Wert. Hier ein Beweis!«
Er legte ein massiv goldenes Kreuz mit grünen und weißen Steinen auf den Tisch. Es war von vorzüglicher Arbeit, und ein Schmuckhändler hätte wenigstens eintausendfünfhundert Frank dafür geboten. Die Marquise nahm den Schmuck und zeigte ihn, nachdem sie ihn betrachtet hatte, ihrer Hofdame.
»Hausset, treten Sie näher und sehen Sie dieses prachtvolle Kreuz! Müssen Sie nicht den Glanz der Steine und die Feinheit der Fassung bewundern?«
Die Dame nahm das Kreuz und hielt es, einen Blick in den Spiegel werfend, unwillkürlich zur Probe um den Hals.
»Prachtvoll, Madame, wirklich ein Meisterstück!« erwiderte sie.
»Ich bitte, Frau d'Hausset, es als ein Geschenk von mir anzunehmen!« bat der Graf.
Die Hofdame erglühte vor freudigem Schreck. »Das kann Ihr Ernst doch nicht sein, Graf. Ein solch kostbares Stück verschenkt man nicht so pour passer le temps.«
»Warum nicht? Es ist ja nur eine Kleinigkeit!«
»Nehmen Sie es immerhin, meine Liebe«, redete die Marquise ihr zu. »Der Graf will es, und Sie hören aus seinem eigenen Mund, daß er damit kein Opfer bringt.«
Trotz des Entzückens, das eine jede Frau bei einem solchen Geschenk empfinden wird, machte Frau d'Hausset doch eine Bewegung, als wolle sie das Kreuz seinem früheren Besitzer wieder aushändigen, aber ein eigentümlicher Blick des Grafen bewog sie, den bereits ausgestreckten Arm zurückzuziehen.
»Ich nehme Ihr Geschenk an«, meinte sie, »als eine Erinnerung an den Tag, an dem der Fürst von Frankreich dem Fürsten der Diamanten begegnete.«
»Alle Steine dieses Kreuzes hatten Flecken«, erklärte St. Germain, »und ebenso wie sie wird auch der Diamant des Königs von seiner Trübung geheilt werden. Fragen Sie den Grafen de Lancy! Er hatte mir einen Smaragd übergeben, der einen bedeutenden dunklen Punkt besaß und sich jetzt wieder fehlerfrei in seiner Hand befindet.«
»Graf de Lancy? Übrigens, bei seinem Namen fällt mir ein, daß die kleine zehnjährige Komtesse Lancy eine Probe von Ihrem wunderbaren Aqua benedetta bekommen haben soll. Hat man mir recht berichtet?«
»Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Ich begleitete einige italienische Arien, die die Komtesse sang, und war von ihr so entzückt, daß ich beschloß, ihr das glückliche Los der Schönheit, die sie besitzen wird, durch meinen Trank zu verlängern.«
»Sie wissen, daß auch der König von Ihrem Aqua benedetta gehört hat. Er wünscht, daß ihm der gegenwärtige Zustand seiner Gesundheit so lange wie möglich erhalten bleibe.«
»Das soll geschehen, soweit es in meiner Macht liegt, Madame«, antwortete der Graf.
Er brachte zwei geschliffene Fläschchen zum Vorschein, die mit einer kristallhellen Flüssigkeit gefüllt waren, und reichte sie der Marquise dar.
»An der Erfüllung dieses Verlangens hängt das Glück und die Wohlfahrt eines ganzen Volkes. Dieses Aqua benedetta wird Frankreich seinen Herrscher und Ihnen Madame, Ihre Schönheit und Jugend erhalten.«
Die Marquise griff mit sichtlicher Begier zu und rief freudig:
»Ich danke Ihnen, mein lieber Freund! Allerdings darf man einen Grafen von St. Germain nicht nach dem Preis dieses unbezahlbaren Mittels fragen, doch bitte, bestimmen Sie selbst, was ich für Sie tun kann!«
»Ich begehre als einzigen Lohn nur Ihr dauerndes Wohlwollen, Madame, und die Erlaubnis, mit Hilfe der Sterne über Ihnen und dem Wohl des Königs wachen zu dürfen.«
»Der Schutz Ihres Genius ist uns hochwillkommen. Ich bat Sie ja schon, die Sterne über mich zu befragen. Ist Ihnen noch keine Antwort geworden?«
»Ich erhielt sie heute in der Mitternacht.«
»Und wie lautet sie?«
»Sie war so klar und offen, daß ich die Geister der Weltgegenden gar nicht erst zu Rat zu ziehen brauchte. Ich darf sie darum wohl auch ebenso offen mitteilen?«
»Nun?«
»Ich stand um Mitternacht unter den Sternen und sah den Himmel Deutschlands erglänzen. Ein großer Stern stieg strahlend in die Höhe; eine kleine Schnuppe flog von ihm ab, schoß über die Grenze herüber und stieß an den Stern von Frankreich. Da triefte Blut herab vom Himmelsgewölbe. Es wurde Nacht in den Lüften, und die Erde erzitterte unter dem Gestampf kämpfender Kohorten. Ich sah keine Person, ich bemerkte keinen Namen, Madame; ich erblickte nur Tatsachen. Die Sterne haben mich noch niemals getäuscht. Die Lösung ist mir nicht gegeben; ich muß sie Ihnen überlassen.«
Die Marquise war unter der Schminke leichenblaß geworden, während Frau d'Hausset seitwärts eine Miene machte, als ob sie sich auf den Grafen stürzen wolle, der sie vorher so fürstlich beschenkt hatte.
»Oh, ich weiß, wer dieser Stern Deutschlands ist«, meinte endlich die Marquise. »Dieser König von Sanssouci glaubt ja schon längst, daß er unter die Himmlischen zu rechnen sei. Aber die Sternschnuppe, Graf, hatte sie nicht eine Farbe, eine Gestalt, aus der sich etwas Sicheres schließen ließe?«
»Ich glaube, die Gestalt eines L erkannt zu haben, doch steht mir der Eintritt zu den chambres diplomatiques nicht offen, und ich kenne also auch keine Persönlichkeit, auf die ich eine Hindeutung aussprechen möchte. Nur das muß ich bemerken, daß die große, drohende Gefahr keine zukünftige ist, sondern schon morgen oder heute hereinbrechen kann; es sind also schleunige Maßregeln erforderlich, sie abzuwenden.«
»Meine Ahnung hat mich nicht betrogen!« rief die erregte Marquise. »Ein L –? Dieser preußische Baron von Langenau ist mit einer Sendung betraut, deren Zweck mich unangenehm berührt. Frankreich soll sich dem noch sehr neuen Königshof in Brandenburg gefällig zeigen. Die Züge dieses Barons haben mir gleich vom ersten Augenblick an einen unbesiegbaren Widerwillen eingeflößt. Er will mit dem König sprechen? Ich werde dafür sorgen, daß diese Unterredung nicht stattfindet. Ich vertraue Ihren Sternen, Graf. Der Preuße soll noch heute nach seiner barbarischen Heimat zurückgeschickt werden!«
Als sich nach einer Viertelstunde der Baron von Langenau zum Empfang meldete, wurde er nicht vorgelassen, sondern an den Minister des Äußeren gewiesen, von dem er eine versiegelte Schrift mit der Bemerkung empfing, daß diese eine ausführliche Erklärung des Königs auf seinen Antrag enthalte und schleunigst nach Berlin zu befördern sei, weshalb man bereits Befehl erteilt habe, für Pferdewechsel bis an die Grenze zu sorgen.
Damit war deutlich genug gesagt, daß seine Sendung gescheitert sei. Er verließ das Schloß und schritt der Stelle zu, wo sein Wagen auf ihn wartete. Noch bevor er diesen erreichte, hörte er das Rollen von Rädern hinter sich und trat zur Seite, um die Kutsche an sich vorüber zu lassen. Er erkannte sie samt den sechs Schimmeln, die vorgespannt waren; es war das Geschirr der Marquise von Pompadour, mit dem sie die Entfernung zwischen Paris und Versailles zurückzulegen pflegte. Aber diesmal saß nicht sie in den rotseidenen Kissen, sondern eine männliche Gestalt, bei deren Anblick ihm das Blut in den Adern zu sieden begann – der Graf von Saint-Germain, den die Marquise nach der Hauptstadt fahren ließ.
Auch der Graf erkannte seinen Gegner. Was kein Mann von adeliger Gesinnung getan hätte, er gab dem Kutscher ein Zeichen und ließ just an der Stelle, wo Langenau stand, halten.
»Ah«, fragte er mit ironischem Erstaunen, »der Stellvertreter Seiner Majestät von Preußen zu Fuß auf der Landstraße?«
Der Baron gab keine Antwort und setzte seinen Weg fort.
»Herr Baron!« klang es da mit einer Stimme, deren Ton Langenau bewog, sich nochmals umzuwenden.
»Nur eins, bevor Sie gehen, mein ungeleckter Preuße!« Der Graf bog sich, um von Kutscher und Bediensteten nicht gehört zu werden, weit über den Wagenschlag herüber und raunte dem Baron zu; »Abgeblitzt wie ein Schulbube, nicht wahr? Ein ›Stück Blei in Kugelform‹ wäre wohl auch für Sie das beste.«
Das Gesicht Langenaus erglühte vor Zorn; er erhob den Arm zum Schlag, ließ ihn aber, sich beherrschend, wieder sinken und trat näher an den Wagen heran.
»Herr Graf von St. Germain, das Blei, das meinen Vater traf, befindet sich in meiner sorglichsten Verwahrung, denn es hat einem gerechten Zweck zu dienen: auch Sie werden daran sterben!«
Er wandte sich und schritt vorwärts, den Wagen nicht weiter beachtend, der jetzt an ihm vorüberrollte. Alsbald bestieg er den seinen und fuhr langsam nach. Noch aber war er nicht weit gekommen, so hörte er abermals Rossegetrappel hinter sich und erblickte, sich zurückwendend, Amély zu Pferd, gefolgt von einem berittenen Diener.
»Herr Baron«, meinte sie errötend, als sie ihn erreicht hatte, »meine Isabella ist heut so wenig artig, daß ich Sie fragen muß, ob Sie einen Platz für mich übrig haben. Mein Weg ist auf eine Strecke hin der Ihrige.«
Im Nu stand er auf der Erde, hob sie vom Pferd, dessen Zügel der Diener ergriff, und half ihr in den Wagen steigen. Dieser setzte sich in Bewegung, und der Diener folgte mit dem Reittier.
»Sie werden fortgeschickt, mein Freund?«
»So ist es!« knirschte er.
»Und wissen Sie, was schuld ist?«
»Meine Offenheit – – –!«
»O nein, ein wenig Aqua benedetta. Lassen Sie sich erzählen, was ich soeben von meiner Tante erfuhr!«
Als die junge Dame nach kurzer Zeit den Wagen verließ, um ihr Pferd wieder zu besteigen, trennten sich die beiden mit einem innigen Händedruck und einem herzlichen Blick, der verriet, daß sie sich wiedersehen würden.
Herr Calcoen, der Sekretär »Ihrer Hochmögenden der Generalstaaten«, saß allein in seinem Arbeitszimmer und forschte eifrig in wichtigen Aktenstößen, die sich auf ein Neutralitätsbündnis zwischen den Niederlanden und Frankreich gegen das britische Inselreich bezogen. Seine Aufmerksamkeit war von den Schriftsachen so ausschließlich in Anspruch genommen, daß er den Eintritt seiner Frau überhörte, die ihre wohlbeleibte Figur an den Eingang stellte und mit ruhig-ernstem Gesicht auf einen Augenblick zu warten schien, wo es dem Herrn Sekretär belieben würde, einmal von seiner schwierigen Arbeit aufzublicken.
Es muß nämlich gesagt werden, daß Mynheer Calcoen trotz seiner hohen und einflußreichen Stellung die Einfachheit liebte und vielleicht auch aus Sparsamkeitsrücksichten keine Dienstboten hielt, sondern es vorzog, sich von den Gliedern seiner Familie bedienen zu lassen. Diese wußten genau, daß nichts seinen Zorn so sehr erregen könne, als wenn man es unternahm, ihn während des Schreibens oder Lesens wichtiger Dinge zu stören, und so wartete denn auch jetzt die Meffrouw Sekretärin mit gutmütigem Lächeln auf den geeigneten Augenblick, ihre Angelegenheit vorzubringen.
Da schlug er das eine Heft zusammen und griff nach einem anderen. Meffrouw hustete leise. Er vernahm es und drehte sich um.
»Was willst du, Katje?«
»Ich muß dich fragen, ob du zum Tee herunterkommst oder ob du ihn hier nehmen willst.«
»Hier, Katje, hier! Ich habe so dringende Arbeit, daß ich keine Sekunde verlieren darf.«
»Willst du ihn blank oder mit Rostbrötchen?«
»Brot, viel Brot, Katje! Die Kopfarbeit strengt den Körper an, und so muß der Sekretär essen, wenn es um die Staaten gut stehen soll.«
»Du hast also sehr dringende Arbeit? Und doch steht draußen ein Mann, der dich zu sprechen verlangt.«
»Wer ist es? Ich habe wirklich keine Zeit, Katje.«
»Es ist ein Fremder. Wie er heißt, weiß ich nicht, da er seinen Namen nur dir allein nennen will.«
»Ich brauche seinen Namen nicht zu hören; er mag ihn einem anderen nennen. Er kann gehen!«
»Höre, er bat mich, dir nur zu sagen, daß es sich um Millionen handle.«
»Um Millionen? Ah! Sieht der Mensch danach aus?«
»Ja; er ist ein feiner Herr, und ich erblickte an seinem Finger einen Brillanten, der heller als die Sonne leuchtete.«
»So, hm, dann mag er eintreten; und du bringst den Tee erst, wenn er sich wieder entfernt hat!«
Meffrouw nickte zustimmend und verließ das Zimmer. Durch die offengelassene Tür trat der Angemeldete ein. Bei seinem Anblick erhob sich der Sekretär unwillkürlich. Der Fremde machte allerdings den Eindruck, als sei er gewohnt, mit hochgestellten Leuten zu verkehren.
»Wer sind Sie?« fragte Calcoen.
»Mein Name wird Ihnen nicht unbekannt sein; ich bin der Graf von St. Germain!«
»Der Graf von St. Germain? Ah, ist es möglich? Bitte, nehmen Sie Platz!«
»Ich höre, daß Ihre Zeit sehr in Anspruch genommen ist«, bemerkte der Graf, indem er der Aufforderung Folge leistete und sich auf einen der anspruchslosen Sessel niederließ.
»Das ist zwar der Fall, doch glaube ich, so viel Zeit erübrigen zu können, um zu erfahren, welche Angelegenheit Sie zu mir führt.«
»Ich ließ Ihnen bereits melden, daß ich nicht beabsichtige, Sie mit einer Kleinigkeit zu belästigen. Sie kennen wohl meine nahe Beziehung zum König von Frankreich?«
»Ich hörte davon sprechen. Wie es scheint, besitzen Sie das Wohlwollen und Vertrauen des Herrschers.«
Der Graf verneigte sich zustimmend und zog ein versiegeltes Schreiben aus der Tasche, das er dem Sekretär überreichte. »Ich bitte, Einsicht in dieses Mandat zu nehmen!«
Calcoen nahm den Bogen, entsiegelte und öffnete ihn und überflog den Inhalt.
Seine Miene verriet Spannung und lebhafte Teilnahme, als er den Grafen fragte: »Sie kennen den Wortlaut dieses Schreibens?«
»Den Inhalt, wenn auch nicht den Wortlaut.«
»Seine Majestät ermächtigte Sie zu dem Abschluß eines sehr wichtigen Geschäfts mit den Generalstaaten. Darf ich Ihre Mitteilung erwarten?«
»Sicher! Bemerken muß ich vorher, daß meine Mitteilungen sich nur auf die hierbei nicht entbehrlichen Personen zu beschränken haben, und da es Majestät beliebt, den Minister des Äußeren, Herzog von Choiseul, von der Mitwissenschaft unserer Angelegenheit auszuschließen, so ist es mir auch verboten, unseren hiesigen Gesandten, den Grafen d'Affri, in die Angelegenheit einzuweihen.«
»Ihre Wünsche werden streng berücksichtigt werden, wie ich Ihnen im Namen der Hochmögenden versichern kann. Jetzt also weiter, Herr Graf!«
»Ohne Einleitung, Mynheer: der König beabsichtigt, bei den Generalstaaten eine Anleihe zu machen.«
»Ah? Wieder? Hm! In welcher Höhe?«
»Zu einer nicht ganz gewöhnlichen: hundert Millionen.«
»Hundert – freilich bedeutend!«
»Aber keineswegs zu hoch für die Mittel, die den Generalstaaten zur Verfügung stehen.«
»Mag sein! Doch muß ich erwähnen, daß wir schlechte Ernten in den Kolonien hatten und unsere Ausgaben in den letzten zwei Jahren die Einnahmen so bedeutend übersteigen, daß wir selbst vor einer leeren Kasse stehen und die Hilfe unserer Bankiers in Anspruch nehmen müssen.«
»Dabei kann es kein Bedenken geben; die Hilfsquellen der Generalstaaten sind unerschöpflich, und ihr Kredit ist grenzenlos.«
»Er wurde bereits in der Weise verwertet, daß die hochmögenden Herren wohl schwerlich zu bestimmen sein werden, ihn für fremde Vorteile anzustrengen.«
»Dürften hierbei nicht die Zugeständnisse zu berücksichtigen sein, die man Ihnen zu machen bereit ist?«
»Möglich. Welches ist der Zinsfuß, zu dem Sie ermächtigt sind?«
»Seine Höhe hängt von der Schnelligkeit ab, mit der die Zahlung des Darlehens erfolgt.«
»Begreiflich. Und welche Unterlagen bieten Sie?«
»Eine höchst ungewöhnliche, nämlich ein Faustpfand, das mehr als den doppelten Betrag des Darlehens ergibt. Es besteht in den sämtlichen Kronjuwelen Frankreichs.«
»Ah!« machte der Sekretär erstaunt.
»Sie geben zu«, meinte der Graf gleichmütig, »daß ein solches Pfand Sie vollständig sicherstellt. Ich bin darauf angewiesen, Ihnen mitzuteilen, daß unsererseits nur der König, die Marquise de Pompadour und ich von der Hinterlegung wissen dürfen.«
»Die Sicherheit ist mehr als genügend; haben Sie jedoch auch die Schwierigkeiten bedacht, die sich eben jetzt einer solchen Anleihe gegenüberstellen?«
»Sie denken an die vermeintliche Erschöpfung Frankreichs durch den Krieg und die Aussichtslosigkeit auf eine baldige Lösung der politischen Verwicklungen? Pah! Ich bin in dieser Beziehung besser unterrichtet als andere und darf Ihnen versichern, daß der Krieg seinem Ende naht. Und auch wenn Ihre Befürchtungen begründet wären, so sprachen Sie ja selbst die Überzeugung aus, daß Sie für alle Fälle gedeckt sind. Ich komme zunächst zu Ihnen, weil ich weiß, wie schwer Ihr Wort in wichtigen Angelegenheiten wiegt, und ersuche Sie, mir die Namen derjenigen Herren zu nennen, an die ich mich nach Ihnen zu wenden habe.«
»Es ist mir jetzt leider unmöglich, diese Auskunft zu erteilen. Geben Sie mir die Erlaubnis, Ihre Angelegenheit zunächst den Generalstaaten vorzutragen, und dann wird sich ja zeigen, wer zur Verhandlung mit Ihnen beauftragt wird.«
»Sie haben diese Erlaubnis, natürlich unter der Voraussetzung der strengsten Verschwiegenheit. Wann darf ich mir Bescheid holen?«
»Auch das ist noch unbestimmt. Wo wohnen Sie?«
»Im ›Prinzen von Oranien‹.«
»Ich werde mir erlauben, Sie dort aufzusuchen, sobald eine Entscheidung gefällt ist.«
»Dann gestatte ich mir nur noch eine Zufügung.« Er zog ein kleines Kästchen hervor und überreichte es dem Sekretär. »Wollen Sie die Güte haben, den Inhalt zu prüfen?«
Calcoen öffnete und stieß einen Ruf der Verwunderung aus. Das Behältnis enthielt einen Diamanten von solcher Größe und Reinheit, wie er noch niemals einen gesehen hatte. »Prachtvoll, herrlich!« rief er.
»Wie hoch schätzen Sie den Stein?«
»Ich bin zu wenig Kenner, um seinen Wert abwägen zu können, doch glaube ich gern, daß dieser nach Millionen zählt.«
»Sicher! Der König hat mir aufgetragen, ihn gegen eine Anzahlung von hunderttausend Gulden schon vor Abschluß des Hauptgeschäfts und zur Probe bei Ihnen zu hinterlassen.«
»Wollen Sie mir den Stein anvertrauen, damit ich ihn den hochmögenden Herren zu zeigen vermag?«
»Gewiß, wenn Sie die Güte haben wollen, den Empfang des Diamanten durch Unterschrift und Siegel zu bescheinigen.«
»Gern!«
Er schloß das Kästchen und das Mandat des Grafen sorgfältig ein und stellte dann den verlangten Hinterlegungsschein aus, nach dessen Empfang sich der Graf entfernte. Draußen auf dem Hausflur stieß er fast mit einem Mann zusammen, bei dessen Anblick er unwillkürlich einen Schritt zurückfuhr.
»Der Baron von Langenau!« rief er bestürzt.
Auch der Baron war überrascht, doch ließ er kein Wort vernehmen, sondern schritt mit einem verächtlichen Blick an dem Grafen vorüber und verschwand im Arbeitszimmer des Sekretärs. Der Mißerfolg seiner Sendung nach Versailles hatte ihm in Beziehung auf das Vertrauen seines Königs keinerlei Schaden gebracht. Er befand sich jetzt hier im Haag in derselben Eigenschaft als Gesandter, hatte sich die Freundschaft des Sekretärs erworben und besaß die Erlaubnis, zu jeder Zeit unangemeldet Zutritt zu nehmen. Er fand Calcoen noch nicht wieder in seine Arbeit vertieft. Die Unterredung mit dem Grafen hatte den Sekretär trotz seiner sonstigen Ruhe in eine gewisse Aufregung versetzt, so daß er bei dem Eintritt des Barons mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit im Zimmer auf und nieder ging.
»Willkommen, Herr von Langenau! Ah, Sie finden mich einigermaßen erregt. Ist Ihnen jemand begegnet?«
»Ein Herr, draußen auf dem Flur.«
»Der Graf von St. Germain.«
»Was! Sie kennen diesen Mann?«
»Leider!«
»Leider? Sie scheinen also keine guten Gefühle für diesen berühmten Mann zu hegen?«
Der Baron machte eine verneinende Handbewegung. Der Sekretär faßte ihn am Arm und zog ihn neben sich in einen Stuhl nieder.
»Herr Baron, Sie wissen, daß Sie meine Freundschaft besitzen!«
»Die mir von hohem Wert ist.«
»Und mit ihr mein Vertrauen!«
»Das mich zum größten Dank verpflichtet.«
»Dieser Dank hätte naturgemäßerweise nur in Gegenvertrauen zu bestehen. Der Graf von St. Germain war in einer höchst wichtigen Angelegenheit bei mir; er ist mir weniger als Ihnen bekannt, und da mir sehr daranliegt, etwas Genaues über ihn zu hören, so muß ich Sie ersuchen, aus Ihrer diplomatischen Verschlossenheit herauszutreten und mir zu Gefallen etwas offenherzig zu sein!«
»Darf ich fragen, von welcher wichtigen Angelegenheit Sie sprechen?«
»Sie ist ein Geheimnis, Herr Baron. Ich habe mich zur tiefsten Verschwiegenheit verpflichtet.«
»Auch mir gegenüber?«
»Jawohl.«
»Selbst wenn ich über die Angelegenheit ebenso unterrichtet wäre, wie der Graf selbst?«
»Das ist unmöglich!«
»Hm. Ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen. Der Graf von St. Germain weilt im Haag behufs einer Anleihe von hundert Millionen unter Verpfändung der Kronjuwelen Frankreichs.«
Der Sekretär machte ein erstauntes Gesicht. »Wahrhaftig! Sie sind genau unterrichtet. Aber der Graf versicherte doch, daß nur er allein das Geheimnis mit dem König und der Marquise de Pompadour teile.«
»Er irrt, wie Sie selbst sehen. Wird es ihm gelingen, sich seines Auftrages glücklich zu entledigen?«
»Möglich ist es. Wenigstens wird er die hunderttausend Gulden erhalten, die er für den König sofort unter Verpfändung des wertvollsten Krondiamanten begehrt.«
»Hunderttausend Gulden? Davon ist mir nichts bekannt. Sein Auftrag lautet nur auf hundert Millionen, und ich glaube nicht, daß er ermächtigt ist, eine Vorauszahlung zu fordern.«
»Das müßte gewissermaßen Mißtrauen erregen, wenn ich annehmen dürfte, daß Sie wirklich genau unterrichtet sind. Können Sie mir Ihre Quelle bezeichnen?«
»Nur als ein Freund dem anderen. Ich habe eine Braut in Versailles, durch die ich Einsicht gewinne in sämtliche Geheimnisse des Hofes.«
»Ist eine junge Dame, vielleicht ohne offizielle Stellung, nicht eine etwas unsichere Vermittlerin für dergleichen Wichtigkeiten?«
»Das Beispiel hat Ihnen ja bewiesen, daß meine Vermittlerin vollständig zuverlässig ist. Meine Braut besitzt eine sehr nahe Verwandte, die stets um die Person der Marquise ist und von ihr mit dem unbeschränktesten Vertrauen beehrt wird.«
»So ist es ja leicht erklärlich, daß Sie von den hunderttausend Gulden nichts wissen; die Marquise hat von dem einen, aber nicht auch von dem anderen gesprochen. Übrigens deckt der Stein die Summe um mehr als das Zehnfache.«
»Darf man ihn sehen?«
»Da Sie bereits so weit unterrichtet sind, halte ich es für keinen Wortbruch, wenn ich Ihnen den Diamanten zeige.«
Er öffnete das Fach, worin er ihn verborgen hatte, und gab Langenau das Kästchen. Dieser betrachtete den Stein mit der größten Aufmerksamkeit und meint dann:
»Kenner bin ich nicht; aber allem Anschein nach ist der Diamant wirklich echt; nur fällt mir ein Umstand auf – – –«
»Welcher?«
»Ich hatte Gelegenheit, die französischen Krondiamanten sehr eingehend mustern zu können, und kann mich nicht entsinnen, diesen hier unter ihnen gesehen zu haben.«
»Hierfür wäre mehr als eine Erklärung zu finden. Warum sollen wir den Vorschuß nicht leisten, wenn der Stein echt ist? Sie, lieben den Grafen nicht und mögen Ihre Gründe dazu haben, doch in geschäftlichen Angelegenheiten ist man oft genötigt, persönliche Meinungen zurückzustellen. Trafen Sie den Grafen in Paris?«
»In Versailles. Ich hatte ihm eine schwere diplomatische Niederlage zu verdanken, nachdem ich des Sieges bereits sicher war.«
»Ah, Sie sind rachsüchtig!«
»In des Wortes strengster Bedeutung nicht. Ich kannte den Schwindler bereits früher.«
»Sie nennen ihn einen Schwindler? Ein außergewöhnlicher Charakter pflegt auch außergewöhnlich zu handeln und kommt daher leicht in die Lage, falsch beurteilt zu werden. Wo lernten Sie ihn kennen?«
»Auf Langenau.«
»Auf Ihrem Stammsitz? Wann war das?«
»Vor nunmehr vier Jahren. Mein Vater war ein Freund der abstrakten Wissenschaften und verbrachte die größte Zeit mit dem Studium metaphysischer Fragen zuletzt warf er sich auf die Magie, Astrologie und Alchimie. Obwohl sich sein Wesen dabei verdüsterte und er die Abgeschiedenheit dem Kreis seiner Familie vorzuziehen begann, konnten wir ihn doch unbesorgt seiner Lieblingsbeschäftigung überlassen, da wir aus ihr keinen weiteren Schaden für uns ersahen. Da plötzlich erschien der Graf von St. Germain unter dem Namen eines Ritters von Schöning auf Langenau; mein Vater hatte als Alchimist einigen Ruf erlangt, was den gewandten Abenteurer angezogen haben mochte. Mit seinem Erscheinen trat das Unglück bei uns ein. Ich will mich nicht wieder in jene traurige Zeit versenken und Ihnen nur sagen, daß der Graf meinen Vater in den Tod trieb, nachdem er alle unsere Habe mit Hilfe mir unbekannter Schliche an sich gerissen hatte. Die Mutter starb kurze Zeit darauf, und die Schwester verlor den Bräutigam, der als armer Offizier nun nicht daran denken konnte, sich den längst beabsichtigten Herd zu gründen.«
»Traurig, sehr traurig! Aber sind Sie wirklich überzeugt, daß der Graf an diesem allen die Schuld trägt?«
»Ich bin so überzeugt, daß ich dieses Blei hier für ihn aufhebe.« Er griff unter die Weste und zog eine Kugel hervor, die er an einer Schnur auf der Brust verwahrt hatte. »Vater hat hierdurch den Tod gefunden; es wird dafür das Herz des Schurken treffen.« Er verbarg die Kugel wieder und strich sich mit der Hand über das Gesicht, als könne er mit dieser Bewegung die bösen Gedanken verscheuchen, die in seinem Inneren aufgetaucht waren. Dann warf er den Kopf zurück und fragte: »Wissen Sie, daß morgen beim Grafen d'Affri große Abendgesellschaft sein wird?«
»Ich bin bereits eingeladen.«
»Ich auch. Sie werden doch erscheinen?«
»Das ist noch unbestimmt. Vielleicht nimmt die Anleihe meine Zeit so in Anspruch, daß ich verhindert bin, zu erscheinen.«
»Was ich lebhaft bedauern würde. Die abgeschlossene Lage, in der sich mein König gegenwärtig befindet, hat zur naturgemäßen Folge, daß auch seine Vertreter zurückgezogen erscheinen, und so werde ich, wenn Sie fehlen, auf mich selbst angewiesen sein.«
»Ich bin überzeugt, daß Sie dieses Unglück ebenso siegreich ertragen werden wie Ihr Heldenkönig, und – ah, hier kommt Katje und bringt mir den Tee. Sie nehmen natürlich auch eine Tasse? Eigentlich sollte ich Sie mitleidslos fortjagen, da ich ursprünglich angestrengt arbeiten wollte; doch ist die Millionenanleihe so gewaltig über mich hereingebrochen, daß ich für meine Akten keine Aufmerksamkeit mehr habe. Katje, noch eine Tasse, einige Brötchen und zwei Pfeifen mit dem neu angekommenen Sumatraknaster!« –
Am anderen Abend bewegte sich in den prachtvollen und glänzend erleuchteten Räumen des französischen Botschafters außer den hohen Würdenträgern der Generalstaaten und den Vertretern aller europäischen Regierungen eine zahlreiche Menge berühmter oder einflußreicher Privatpersonen, deren Anwesenheit der Versammlung einen weniger diplomatischen Anstrich gab, als sie sonst besessen hätte.
Die Tafel war aufgehoben, an der man mehrere Stunden lang den leiblichen Freuden des Lebens gehuldigt hatte. In einzelnen Gruppen aufgelöst und in die verschiedenen Zimmer verteilt, suchten die Anwesenden ihren persönlichen oder staatlichen Vorteilen mittels einer regen Unterhaltung gerecht zu werden.
Der Sekretär der »hochmögenden Generalstaaten« fehlte wirklich. Der Baron von Langenau durchschritt in einem einfachen schwarzen Anzug scheinbar teilnahmslos die Reihen der plaudernden Herren- und Damengruppen und gelangte schließlich in ein leeres Zimmer, das die Flucht der Gemächer abschloß. Es war nur spärlich erleuchtet. Er trat an eines der Fenster und blickte, von den weit herabgehenden Vorhängen verhüllt, hinaus in die abendliche Winterlandschaft.
Da hörte er nahende Schritte.
Zwei Männer traten ein und nahmen auf dem Samtpolster einer Wandnische Platz. Ganz sicher hatten sie sich zurückgezogen, um irgendeinen Gegenstand, der nicht für jedermanns Ohr war, zu besprechen. Langenau stand schon im Begriff, aus seinem unabsichtlichen Versteck hervorzutreten, als er einen Namen nennen hörte, bei dessen Klang er zu bleiben beschloß. Er vernahm, daß einer der beiden Männer der Graf d'Affri selbst war.
Der andere war der berühmte Casanova, der sich durch seine Flucht aus den Bleikammern Venedigs einen weithin klingenden Namen erworben hatte und jetzt von Frankreich hierhergekommen war, um im Auftrag des Herzogs von Choiseul eine wichtige Geldangelegenheit zu betreiben.
»Ich sage Ihnen, mein lieber Casanova, daß Sie sich mit der Hoffnung, gute Geschäfte zu machen, sicher täuschen werden, falls nicht plötzlich und unvorhergesehen günstigere Umstände eintreten«, meinte der Graf. »Ich hege viel Teilnahme für Sie und wünsche Ihnen das beste Gelingen, aber der König wird schlecht bedient. Die Unternehmungen des Generalkontrolleurs haben die Nation in schiefes Licht gebracht, und man ist auf einen unvermeidlichen Bankrott gefaßt, wie ich Ihnen offen sagen will.«
»Das weiß ich alles genau, aber ich möchte dennoch nicht völlig am Erfolg meiner Sendung verzweifeln. Es mangelt der Regierung an Geld. Ich bin beauftragt, französische Staatspapiere, die ziffernmäßig den Wert von zwanzig Millionen darstellen, mit einem möglichst geringen Verlust gegen besser stehende ausländische Papiere umzutauschen; eine Maßnahme, deren Gelingen mir nicht unmöglich erscheint, da der Minister mir versichert hat, daß der Krieg, der unsere Schuldscheine drückt, seinem Ende naht. Die geheimen Friedensverhandlungen sind im vollsten Gang, wie mir von bestunterrichteter Seite versichert wurde.«
»Ich will diese erfreuliche Tatsache nicht in Abrede stellen, doch geben Sie sicherlich zu, daß ich als Gesandter über unsere politischen Hoffnungen und Befürchtungen vollständiger unterrichtet bin als Sie. Die Staatskasse ist geleert, die Flotte vernichtet, und unsere Heere sind geschlagen. Der Friede wird infolgedessen nicht vorteilhaft für uns sein. Wer jetzt unsere Papiere kauft, muß lange warten, bevor er hoffen darf, sie ohne Verlust verwerten zu können, und Herr von Bernis hat mich beauftragt, Ihnen die zwanzig Millionen nur mit acht Prozent Nachlaß zu überlassen. Ich bin sehr geneigt, zu glauben, daß bei einem solchen Angebot niemand kaufen wird.«
»Ich halte trotzdem meine Hoffnung fest. Wenn der König sieht, daß seine Forderung zu hoch ist, wird er sich zu einer Ermäßigung entschließen. Ich hatte heute eine Zusammenkunft mit Herrn Peels und sechs anderen Kompaniechefs. Sie boten mir zehn Millionen bar, sieben Millionen in fünfprozentigen Papieren und verzichteten außerdem auf zwölfmalhunderttausend Gulden, die die französisch-indische Gesellschaft der holländischen schuldet; das sind neun Prozent Verlust für uns. Dieses Gebot scheint mir unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr annehmbar.«
»Sie täuschen sich, zu glauben, daß der König zu diesem Handel in irgendeiner Beziehung stehe. Die Politik des »Oeil de boeuf« befindet sich sehr oft und eben auch jetzt in der Lage, sich der Berechnung ihrer beglaubigten Vertreter zu entziehen.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Das ist möglich. Der König und der Herzog von Choiseul pflegen in Geldangelegenheiten selten Hand in Hand zu gehen; man zieht unabhängig voneinander Gelder ein, nur mit dem einen Unterschied, daß der eine verantwortlich ist, während man einer Majestät von Gottes Gnaden unmöglich nachrechnen darf. Kennen Sie vielleicht den Grafen von St. Germain?«
»Ich habe ihn in Paris einigemal bei Frau d'Orfé gesehen.«
»Das glaube ich. Frau d'Orfé ist eine halbe Zauberin und gibt für Magie und dergleichen Summen aus, von denen jede einzelne einem ganzen Vermögen gleichkommt. Der Graf ist ihr ein Phänomen gewesen, in dessen Glanz sie um jeden Preis hat wandeln müssen. Was denken Sie von ihm?«
»Er besitzt das Ansehen eines außergewöhnlichen Mannes. Der König schenkt ihm sein ganzes Vertrauen und hat ihm sogar eine prachtvolle Wohnung in Chambord eingerichtet.«
»Ah!« rief d'Affri erstaunt. »Dieser Abenteurer scheint vom Glück mehr bevorzugt zu werden als mancher Mann von großen Verdiensten. Wissen Sie, daß er sich hier befindet?«
»Nein.«
»Er ist im ›Prinzen von Oranien‹ abgestiegen und gibt sich mit diplomatischer Miene, ohne mich eines Besuches zu würdigen. Ich habe die Art und den Zweck seiner Sendung nicht zu enträtseln vermocht, werde mich aber auch nicht in die Gefahr begeben, mich durch eine Empfehlung bloßzustellen, wenn man sich bei mir nach ihm erkundigen sollte.«
»Im ›Prinzen von Oranien‹? Das ist ja der Gasthof, in dem auch ich wohne!«
»Dann läßt sich vermuten, daß Sie einmal mit ihm ins Gespräch kommen werden.«
»Auf alle Fälle, Graf.«
»Darf ich Ihnen die Geschicklichkeit zutrauen, den Zweck seines Hierseins zu erfahren?«
»Ich kann nicht sagen, ob ich sie besitze, doch ist ja eine Probe immerhin erlaubt.«
Die beiden Männer entfernten sich; der Lauscher verließ sein Versteck und kehrte nach ihnen in die vorderen Gemächer zurück. Es war seine Absicht, Casanova aufzusuchen. Dieser hatte sich ganz allein an einem Pfeilertischchen niedergelassen. Er war ein Mann, der sich durch eine seltene, eigenartige Schönheit auszeichnete, und schien mit seinen großen dunklen Augen die ganze Versammlung zu beherrschen. Langenau näherte sich ihm und begann, sich verbeugend:
»Habe ich die Ehre, Herrn Casanova zu begrüßen?«
»Ja.«
»Werden Sie mir verzeihen, daß ich eine Unterredung mit Ihnen suche, ohne daß wir uns vorher vorgestellt wurden?«
»Meine Vergangenheit wird Ihnen beweisen, daß ich ein Feind jeden Zwangs bin. Nehmen Sie hier Platz, mein Herr!«
Der Baron setzte sich an der anderen Seite des Tischchens nieder und erläuterte: »Mein Name ist von Langenau – –«
»Ah, der Vertreter des Königs von Preußen im Haag?«
»Ja.«
»Darf ich Sie meiner aufrichtigsten Zuneigung versichern?«
»Ihre Teilnahme ist mir um so angenehmer, als ich Sie nur aufsuchte, weil mich der Wunsch trieb, Ihnen nützlich zu sein.«
»Verfolgen Sie bei diesem Wunsch eine besondere Richtung?«
»Gewiß! Sie sind von dem Herzog von Choiseul mit der Ordnung einer gewissen Angelegenheit betraut?«
»So ist es! Ich habe keine Veranlassung, diese Angelegenheit heimlich zu betreiben.«
»Man sagt Ihnen, daß Sie auf Schwierigkeiten stoßen werden?«
»Auch hier vermuten Sie recht, doch denke ich, daß es mir gelingen wird, die Hindernisse glücklich zu überwinden.«
»Ich möchte gern das Meinige dazu beitragen, Ihnen die Lösung Ihrer nicht leichten Aufgabe zu ermöglichen.«
»Sie würden mich dadurch zu lebhaftem Dank verpflichten«, meinte der berühmte Verbannte Venedigs. »Sollte wirklich eine ernste Unterstützung in Ihrer Macht liegen, Herr Baron?«
»Ich hoffe, daß sie keine ganz und gar geringfügige sein wird. Denn ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen ein bedeutendes Hindernis, das sich Ihnen entgegenstellt und von dem Sie keine Nachricht zu haben scheinen, namhaft machen zu können. Wer seine Feinde kennt, ist auf dem besten Weg, sie zu besiegen.«
»Ein Hindernis? Darf ich fragen, worin es besteht, Herr Baron?« fragte Casanova.
»Es heißt St. Germain.«
»St. Germain? Kennen Sie diesen Mann?«
»Ein wenig, doch würde ich einem anderen gegenüber wohl schwerlich Lust haben, dies einzugestehen. Wissen Sie von der Angelegenheit, die ihn nach dem Haag geführt hat?«
»Nein«, entgegnete Casanova und fragte dann schnell: »Ist sie Ihnen bekannt?«
»Vollständig.«
»Dürfen Sie davon sprechen?«
»Eigentlich nicht; da ich aber vermute, daß ich Sie in die Lage versetzte, dem Grafen d'Affri einen Dienst zu erweisen, so sollen Sie alles wissen; Ihre Angelegenheit müßte eigentlich scheitern, weil ohne Ihr Wissen eine ähnliche vom König selbst betrieben wird.«
»Nicht möglich! Sprechen Sie, Herr Baron!«
»Es handelt sich um nichts Geringeres als um eine Anleihe von hundert Millionen gegen Verpfändung der französischen Kronjuwelen. Der König möchte dieses Geschäft ohne Einmischung seiner Minister machen, und selbst ohne daß sie etwas erfahren. Der Graf von St. Germain hält sich für den Mann, es glücklich zustande zu bringen, und läßt sich infolge dieses Selbstvertrauens nicht herbei, dem Grafen d'Affri den schuldigen Besuch abzustatten. Vielleicht hat er hierzu noch andere Gründe, die ich aber einstweilen nur vermuten möchte, ohne sie näher zu bezeichnen.«
»Sind Sie überzeugt, mir die Wahrheit zu sagen?«
»Ich würde ohne diese Überzeugung nicht zu Ihnen sprechen.«
»Seit wann ist der Graf in dieser Angelegenheit hier tätig?«
»Seit gestern.«
»Wissen Sie etwas Ausführlicheres?«
»Ich kannte den Zweck seiner Reise bereits, bevor er hier anlangte, und muß – – –«
»So scheint es, daß man in Deutschland genau von den geheimen Verhältnissen und Vorgängen des französischen Hofes unterrichtet ist?«
»Selbstverständlich! Herr Calcoen, Sekretär Ihrer Hochmögenden, hat dann mit mir über die Angelegenheit gesprochen und mir auch mitgeteilt, daß der Graf bereits den wertvollsten der Krondiamanten verpfändet hat.«
»Sind Sie davon überzeugt?«
»Ich habe ihn selbst gesehen. Der Stein ist wirklich prachtvoll und vom reinsten Wasser. Wie ich heute erfuhr, ist man nicht abgeneigt, auf das Geschäft einzugehen, und Sie sehen ein, mein bester Casanova, daß Sie darunter leiden müßten. Wenn man dem König hundert Millionen borgt, wird man schwerlich geneigt sein, Ihnen für den Minister zwanzig Millionen umzuwechseln.«
»Sie haben recht, und ich schulde Ihnen großen Dank, Herr Baron. Ich verstehe vollkommen den Wink, den Sie mir geben wollen, und will Ihnen auch offen bemerken, daß mir die hundert Millionen des Königs nicht so sehr am Herzen liegen als meine zwanzig; der Mensch ist ja selbstsüchtig!«
»Und ich also auch. Frankreich steht uns feindlich gegenüber, und es kann meinem König nicht gleichgültig sein, ob Ludwig eine solche Summe erhält oder nicht. Man wird sich im stillen wehren müssen.«
»Sie scheinen bereits über die Sache nachgedacht zu haben. Können Sie mir einen guten Rat erteilen?«
»Ein Mann von Ihren Fähigkeiten bedarf des Rates nicht, aber ich werde Sie dem Bankier Adrian Hope vorstellen, der die entscheidende Stimme in den St. Germains dien Angelegenheiten hat und Ihnen in der Ihrigen auf meine Empfehlung hin gern nützlich sein wird. Sodann habe ich einen Gedanken, den ich Ihnen nicht verschweigen will. Ich kenne die französischen Krondiamanten und habe den hinterlegten Stein nicht darunter gesehen; St. Germain verlangt für ihn eine Anzahlung von hunderttausend Gulden, wovon in seiner Unterweisung nichts steht – –«
»Ah – –«
»Nehmen Sie dazu, daß er ein geschickter Chemiker ist, so wird es Ihnen nicht schwer werden, einen Verdacht zu hegen, den ich nicht besiegen kann.«
»Sie denken beinahe Unmögliches!«
»Von meinem Standpunkt aus ist das, was Sie unmöglich nennen, sogar sehr wahrscheinlich. Ich kenne hier einen ausgezeichneten Chemiker, der ein armer, aber ehrlicher Mann ist und sich von den Anmaßungen des Grafen nicht blenden lassen wird. Sie verstehen mich?«
»Sehr gut! Er wird den Krondiamanten untersuchen. Wollen Sie auch mich mit ihm bekanntmachen?«
»Sobald Sie es wünschen. Er heißt van Holmen und wohnt hier in der Nähe. Für Vertraute ist er auch während der Nacht zu sprechen, und ich beabsichtige, ihn nach der Abendgesellschaft aufzusuchen.«
»Darf ich Sie begleiten?«
»Sehr gern!« Dann setzte er mit feinem Lächeln hinzu: »Ich glaube nicht, daß der Graf d'Affri Veranlassung oder Neigung hat, St. Germain Vorschub zu leisten. Wüßte ich, daß Sie die Zuneigung des Gesandten besitzen, so würde ich darauf hindeuten, daß ein Brief von ihm an den Minister die Anleihe über den Haufen werfen dürfte.«
»Lassen Sie mich machen, Herr Baron! Der Graf befindet sich über die Sendung St. Germains im unklaren; indem Sie mir es möglich machen, ihn zu unterrichten, erweisen wir ihm einen Dienst, der ihn veranlassen wird, sich mir gefällig zu bezeigen. Verzeihen Sie, daß ich Sie verlasse! Ich werde sogleich mit ihm sprechen.«
Er erhob sich, um den ausgesprochenen Vorsatz zur Ausführung zu bringen. Der Baron von Langenau blieb mit dem Bewußtsein zurück, dem Grafen von St. Germain die erste Rate für das Andenken an den Park zu Versailles zurückzahlen zu können. Sobald es später tunlich war, winkte er Casanova und verließ mit ihm den Palast des Gesandten.
»Nun?« fragte er, während sie nebeneinander die Straße dahinschritten.
»D'Affri war im höchsten Grad überrascht.«
»Nannten Sie ihm meinen Namen?«
»Sie hatten mir keine Erlaubnis dazu gegeben.«
»Sie haben recht gehandelt. Will er schreiben?«
»Er hat es bereits getan. Er hielt die Angelegenheit für so wichtig, daß er sich auf einige Minuten von der Gesellschaft zurückzog, um den Bericht abzufassen und einen Eilboten sofort damit abzusenden.«
»Prächtig! Sehen Sie dieses kleine Haus? Hier wohnt van Holmen.«
Sie befanden sich vor einem unscheinbaren Gebäude, aus dessen Schornstein sie trotz der späten Nachtstunde einen dichten, dunklen Rauch aufsteigen sahen, in den sich zuweilen rot und blau glühende Funken mischten, Sie schritten um zwei Ecken und gelangten an die Hintertür, an die Langenau auf eine eigentümliche Art pochte, worauf sie sich von selbst öffnete und sich ebenso hinter ihnen ohne bemerkbare Hilfe wieder schloß.
Nachdem sie einen kurzen, engen Flur durchschritten hatten, kamen sie in einen verräucherten, niedrigen Raum, dessen Ausstattung ihn als Laboratorium kennzeichnete. Unter einer Menge von Gläsern, Retorten, Tiegeln und allerlei seltsam geformten Gefäßen kauerte ein dürftiges Männchen, das sich um die Eintretenden nicht zu kümmern schien, sondern mit großer Aufmerksamkeit dem Erkalten einer metallischen. Flüssigkeit zusah, die in eine Sandform ausgegossen war. Erst als sie sich im Zustand der Erstarrung befand, erhob er sich, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Dies geschah einfach und mit Herzlichkeit; er hatte nichts von dem Wesen eines Quacksalbers an sich.
»Herr Baron«, fragte er, »wie kommt es, daß ich Sie heute noch so spät bei mir sehe?«
»Ich wollte Ihnen hier Herrn Casanova vorstellen, der vielleicht nächstens Gelegenheit haben wird, Ihre Kunst in Anspruch zu nehmen.«
»Herr Casanova aus Venedig?«
»Ja«, entgegnete dieser.
»Dann wird Ihre Teilnahme nicht erst nächstens wach werden; denn Sie sind mir bereits Ihrem Ruf nach als ein guter Chemiker bekannt.«
»Es ist wahr, daß ich mich einst viel mit Chemie beschäftigte, doch brachte ich es nicht weit.«
»Sie sind bescheiden. Ich weiß genau, daß Sie recht gute Kenntnisse besitzen. Schade nur, daß Ihre Lehrer sich mehr mit Alchimie anstatt mit der eigentlichen Scheidekunst beschäftigten.«
»Sie kennen mich, den Schüler, während ich von Ihnen, dem Meister, noch nichts gehört habe. Wie kommt das?«
Das kleine Männchen lächelte leise vor sich hin. »Die wahre Kunst genügt sich selbst und macht kein Geschrei. Dennoch bin ich nicht so unbekannt, wie Sie meinen. Ich verkehre sogar mit Personen, die sich auf dem Gebiet der Alchimie einen bedeutenden Namen erworben haben. Sie kennen die Frau d'Orfé in Paris?«
»Ich nenne mich sogar ihren Freund.«
»Das weiß ich, denn sie hat mir öfters von Ihnen geschrieben, und dort auf dem Tisch liegt noch ihr letzter Brief, worin sie Ihrer gedenkt. Ich erwarte soeben einen Mann, den Sie vor einigen Wochen bei ihr gesehen haben.«
»Darf ich fragen, wer dieser Mann ist?«
»Der Graf von St. Germain.«
»Ah!« rief Casanova erstaunt. »Zählen Sie den Grafen auch zu Ihren Freunden?«
»Ich? Hm!« Der Chemiker schüttelte stolz den Kopf »Es gibt Hunderte, die ihn fast wie einen Gott verehren, ich aber halte ihn für einen klugen Quacksalber, der es versteht, aus den Dukaten anderer Leute sechzehnkarätiges Gold für sich zu machen. Er ist jetzt hier und benachrichtigte mich durch seinen Diener, daß er mir in der gegenwärtigen Stunde einen Besuch machen werde. Ich bin wirklich neugierig zu erfahren, was ihn zu mir führt.«
»Das ist ein glücklicher Zufall«, meinte der Baron von Langenau. »Eben der Graf ist es, dessentwegen wir zu Ihnen kommen. Er ist beauftragt, oder gibt wenigstens so an, die französischen Kronjuwelen gegen die Summe von hundert Millionen zu versetzen, und hat mit der Bitte um sofortige Auszahlung von hunderttausend Gulden den größten der Diamanten zur Sicherung gestellt. Ich sage Ihnen dies, weil ich weiß, daß Sie verschwiegen sind. Die Freundschaft zwischen diesem Grafen und dem König von Frankreich muß sehr innig und vertrauensvoll sein.«
»Ja«, versetzte van Holmen, »oder es ist das Vertrauen des Grafen auf die Harmlosigkeit anderer Leute ein ebenso großes. Ich errate den Wunsch, den Sie mir vorzutragen beabsichtigen, und Sie brauchen ihn also nicht auszusprechen. Hören Sie diesen Ton? Es hat geklopft. Ich werde von hier aus öffnen. Treten Sie in dieses Gelaß! Er soll von Ihrer Anwesenheit nichts merken.«
Er öffnete eine hinter dem Rauchfang verborgene Tür und wies die beiden Männer in ein Kämmerchen, das von dem Laboratorium nur durch eine dünne Wand geschieden wurde, so daß man jedes Wort vernehmen konnte, das hier gesprochen wurde. Sie hörten das Geräusch einer auf- und zugehenden Tür und waren dann Zeugen eines für sie sehr wichtigen Gesprächs.
»Sie sind van Holmen?«
»Ja.«
»Ich bin der Graf von St. Germain.«
»So!«
Der Graf hatte jedenfalls erwartet, Eindruck zu machen. Das einfache »So« des Chemikers schien ihn zu ärgern. »Sie kennen mich?«
»Nein.«
»Aber mich kennt doch alle Welt, und Fürsten bemühen sich um meine Gunst.«
»So!«
»Sie scheinen wenig oder gar nicht mit der Welt zu verkehren?«
»Ja.«
»Eben deshalb komme ich zu Ihnen, um Trinen ein sehr gutes Geschäft in Vorschlag zu bringen.«
»So!«
»Haben Sie Kenntnis von meinem berühmten Aqua benedetta?«
»Nein.«
»Dieser Wundertrank ist der größte Sieg des Menschengeistes; wer ihn gebraucht, wird nie alt und stirbt nicht.«
»So!«
»Ich habe dem König von Frankreich und der Marquise de Pompadour davon geben müssen; der Vorrat geht zur Neige, und der König bittet mich um Erneuerung. Ich bedarf zur Herstellung des Wassers ein vollständig eingerichtetes Laboratorium, und da ich meine Apparate nicht bei mir führe, so ersuche ich Sie, mir das Ihrige auf eine Stunde abzutreten. Ich werde dessen gegenwärtigen Zustand unversehrt lassen und biete Ihnen als Lohn für Ihre Gefälligkeit diesen Diamanten an. Gehen Sie auf meinen Vorschlag ein?«
»Ja.«
»Ich erhielt den Stein in Wien von dem Grafen Zobor als Geschenk; er ist seine zwölfhundert Gulden wert.«
»So!«
»Sind Sie eben jetzt beschäftigt?«
»Nein.«
»So werde ich sofort beginnen. Von Ihren Vorräten brauche ich nichts, da ich die Bestandteile zu meinem Aqua benedetta hier in dieser Manteltasche bei mir führe.«
»So!«
»Geht dieser Glockenzug nach Ihrem Wohnraum?«
»Ja.«
»So werde ich Sie durch die Glocke benachrichtigen, wenn ich fertig bin. Hier ist der Diamant. Ich werde binnen einer Stunde fertig sein. Sie können gehen!«
»So!«
Eine Tür ging und ward hörbar von innen verschlossen. Nach kurzer Zeit öffnete sich unvermutet eine in dem Boden der Kammer angebrachte Fallklappe, deren Dasein die beiden Männer nicht bemerkt hatten, und aus ihr stieg der Chemiker empor, der lächelnd den beiden anderen Schweigen zuwinkte.
»Ein geistreiches Gespräch, nicht wahr?« flüsterte er. »Jetzt stellt er sein Universal-Lebenswasser her. Ich werde ihn dabei belauschen.«
Er stellte vorsichtig einen Stuhl an die Scheidewand, stieg hinauf und öffnete geräuschlos eine unterhalb der Decke angebrachte Luftklappe. Durch die entstandene Öffnung war es möglich, alles, was im Laboratorium vorging, zu beobachten.
Er stand eine ziemliche Weile auf seinem Posten, ehe er herunterstieg.
»Nun?« fragte der Baron.
»Nichts, gar nichts! Er beguckt sich die Töpfe und Tiegel. Ich bin fest überzeugt, daß sein Aqua benedetta nichts ist als eine ganz harmlose Mischung von destilliertem Wasser mit irgendeiner wohlriechenden Flüssigkeit. Sein Besuch bei mir hat jedenfalls nur den Zweck der Reklame; aber es ist sehr leicht möglich, daß sein Aqua benedetta für ihn zu einem Aqua maledetta wird. Ich meine sehr, daß er einen großen Fehler begangen hat, mir den angeblichen Diamanten des Grafen Zobor zu schenken, denn ich werde diesen einer genauen Untersuchung unterwerfen, und hoffe, daß Sie mich bis dahin nicht verlassen, um ihr Ergebnis zu vernehmen.«
»Wir bleiben gern, denn es liegt ja in unserem Vorteil, so bald wie möglich zu wissen, woran wir sind.«
Auch Casanova und Langenau bestiegen nacheinander den Stuhl und bemerkten, daß es dem Grafen nicht einfiel, eine chemische Mischung vorzunehmen. Erst nach Verlauf einer Stunde zog er ein Pulver hervor, das er verbrannte. Ein lieblicher und feiner Duft verbreitete sich hierauf in der Nebenkammer.
»Jetzt wird er klingeln«, meinte van Holmen. »Der Duft soll mich glauben machen, daß er wirklich gearbeitet hat.«
Er hatte recht; die Glocke ertönte, und auf dieses Zeichen verschwand er in der Fallklappe und erschien darauf in dem durch den Grafen von innen wieder geöffneten Arbeitsraum.
»Riechen Sie etwas?« fragte dieser.
»Ja.«
»Das ist der bei der Zubereitung des Wunderwassers entflohene Lebensduft. Sein bloßes Einatmen wird Ihr Dasein auf ein ganzes Jahrzehnt verlängern.«
»So!«
»Sind Sie auch sternenkundig?«
»Nein.«
»Das ist eine unverzeihliche Unterlassungssünde von Ihnen. Wer die Stoffe beherrschen will, aus denen unsere Erde zusammengesetzt ist, muß vor allen Dingen den unendlichen und allgegenwärtigen Stoff zu beherrschen trachten, der den Ursprung und die Urbedingung des gesamten Lebens bildet.«
»So!«
»Ich bin fertig, und Ihre Bezahlung haben Sie. Darf ich wiederkommen?«
»Ich habe einige wichtige und verzwickte Mischungen vorzunehmen, die eine längere Zeit erfordern als heute. Doch wird meine Anwesenheit Ihnen zwar wohl eine kleine Unterbrechung Ihrer eigenen Arbeiten, aber keineswegs irgendeinen Nachteil bringen. Sie haben wohl bereits bemerkt, daß ich gewohnt bin, königlich zu bezahlen; die Berühmtheit gar nicht gerechnet, die Ihr Arbeitsraum dadurch erlangen wird, daß ich darin meine Zaubermittel zubereitet habe.«
»So!«
Das ununterbrochene »Ja« und »So« schien den Grafen doch stutzig zu machen. Er warf einen forschenden Blick in das unbewegliche Antlitz des kleinen Chemikers und meinte dann: »Warum sprechen Sie nicht? Haben Sie das Gelübde getan, nur einsilbige Worte in Anwendung zu bringen?«
»Ja.«
»Dann ist mit Ihnen keine Unterhaltung möglich. Ich gehe also. Gute Nacht! Aber ich werde noch im Laufe dieser Woche wiederkommen.«
»So!«
Der berühmte Meister des Lebenswassers entfernte sich mit einem gnädigen Neigen seines Hauptes; der Chemiker ließ nicht die mindeste Lust zu einer Verbeugung spüren und begleitete ihn bis an die Tür, die er sorgfältig hinter ihm verschloß. Dann kehrte er in das Laboratorium zurück und befreite Casanova und den Baron aus der Kammer.
»Das also war der hochberühmte Graf von St. Germain, der Abgott aller Astrologen, Magier und Alchimisten!«
»Ja, das war er«, meinte Langenau. »Es ist Ihre Pflicht, sich hochbeglückt über diesen ehrenvollen Besuch zu fühlen.«
»Hm, der Vorwand des Aqua benedetta diente natürlich nur als Einleitung. Wer weiß, welche chemischen Prozesse er vorzunehmen hat, die mit seinen hundert Millionen und den Krondiamanten in Beziehung stehen. Jetzt aber werde ich vor allen Dingen den Stein des Grafen Zobor einer Prüfung unterwerfen.«
Das Feuer war bereits ausgegangen. Er schürte es wieder an, füllte verschiedene Flaschen, Tiegel und andere Gefäße mit ebenso verschiedenen Stoffen und unterwarf den Stein einem Verfahren, zu dem selbst Casanova das Verständnis fehlte. Die Probe nahm eine lange Zeit in Anspruch, und der Morgen war längst angebrochen, als sie zu Ende ging.
Die zwei Zuschauer befanden sich in einer großen Spannung, denn das Ergebnis dieser streng wissenschaftlichen Untersuchung mußte auf ihr Vorhaben von bedeutendem Einfluß sein.
»Endlich bin ich fertig!« entschied mit siegesbewußter Miene van Holmen.
»Und Ihre Entscheidung lautet?« forschte der Baron.
»Sie wissen, woraus der Diamant besteht?« fügte Casanova bei.
»Jawohl. Er besteht aus reinem Kohlenstoff.«
»Und muß daher in der Glühhitze unter Hinzutritt des Sauerstoffs der Luft zu Kohlensäure verbrennen«, fügte Casanova hinzu.
»Richtig. Sie haben bemerkt, daß ich mit diesem Diamanten den mir von dem Grafen angegebenen Wert von zwölfhundert Gulden gewagt habe; ich wollte ihn verbrennen, aber es ist mir nicht geglückt. Ich habe ihn dann mit anderen Stoffen behandelt und jetzt dieses feine, grauweiße Pulver erhalten, von dem sich ein dünner, durchsichtiger und äußerst harter Niederschlag geschieden hat. Ich will in diesem Augenblick sterben, wenn der Stein ein Diamant gewesen ist. Welche Zusammensetzung er eigentlich hatte, kann ich jetzt nicht sagen, denn um dies zu bestimmen, müßte ich sowohl das Pulver als auch den Niederschlag einem sehr verwickelten Verfahren unterwerfen; doch hege ich schon jetzt die Überzeugung, daß wir es mit einer meisterhaft hergestellten glasartigen Zusammensetzung zu tun haben.«
»Zieht der Versuch, einen Diamanten in Sauerstoff zu verbrennen, unbedingt den Verlust des ganzen Steines nach sich?«
»Nein, denn man kann den Prozeß des Verbrennens unterbrechen, obgleich dies seine Schwierigkeiten hat, denen nicht jeder Chemiker gewachsen sein dürfte.«
»Getrauen Sie sich, den Krondiamanten, den der Graf hinterlegt hat, einer Prüfung zu unterwerfen, ohne daß sein Wert, wenn der Stein echt sein sollte, bedeutend angegriffen wird?«
»Ich getraue es mir.«
»So nehmen Sie einstweilen unseren Dank für Ihre heutige Bemühung; sobald die Angelegenheit sich entschieden hat, wird –«
»O bitte«, fiel van Holmen ein; »Sie sind mir weder Dank noch Bezahlung schuldig! Für unsere herrliche Wissenschaft muß jeder ihrer echten Jünger bestrebt sein, jedem Schwindel mit allen Kräften entgegenzuarbeiten. Ich bin reichlich belohnt, wenn meine Arbeit dazu beitragen kann, einen Schelm zu entlarven, dem es bei seiner ungewöhnlichen Begabung mehr als anderen gelang, Unheil zu säen und dafür Reichtum und Ehren zu ernten.«
Sie verließen den braven, kenntnisvollen Mann mit dem Gefühl der Bewunderung. Auf der Straße blieb der Baron stehen.
»Wir haben unser Werk erst begonnen«, meinte er. »Wollen wir das Eisen nicht schmieden, solange es noch warm ist?«
»Das versteht sich, Herr Baron«, antwortete Casanova. »Es ist zwar noch ziemlich früh am Morgen, aber einen Freund, wie es der Sekretär Calcoen Ihnen ist, darf man auch schon zu dieser Stunde aufsuchen.«
Sie schritten nach der Wohnung des Sekretärs und trafen Frau Katje im Flur, die, mit weißer Nachthaube auf dem Kopf, emsig beschäftigt war, die roten und weißen Klinkerplatten des Fußbodens zu säubern. Sie begrüßte die beiden Männer, ein wenig erstaunt über den frühen Besuch.
»Ist Mynheer Calcoen bereits munter?« fragte der Baron.
»Bereits munter?« meinte sie halb erstaunt und halb beleidigt. »Mynheer ist stets mit den Hühnern auf.«
»So können wir ihn wohl sprechen?«
»Da der Herr Baron dabei ist, ja, sonst aber nicht. Morgenstunde hat Gold im Munde; das ist eine gute Arbeitsregel.«
Sie stiegen die Treppe empor und gingen nach dem Arbeitszimmer des Sekretärs. Er hatte die Füße auf dem Kohlenbecken, die Zeitung in der Linken und die langrohrige Tonpfeife in der Rechten.
»Welch eine Überraschung!« rief er aus einer dichten Tabakwolke heraus. »Sie bringen mir sicher etwas höchst Wichtiges, Herr von Langenau.«
»Zunächst den Herrn Casanova hier, von dem Sie jedenfalls – – –«
»Gehört haben, nicht wahr? Wir haben uns sogar bereits gesprochen, und es sind also Höflichkeitsreden zwischen uns nicht nötig. Setzt euch, Mynheers, und sagt, was ihr mir bringt!«
»Wir kommen in der bekannten Krondiamantenangelegenheit.«
»Was? In dieser – –. Aber ich denke, diese Angelegenheit ist tiefstes Geheimnis, und da stellen Sie mir auch Herrn Casanova als Eingeweihten vor.«
»Sie wissen, welch wichtige Aufgabe ihn hierhergeführt hat. Die hochmögenden Herren machen ihm deren Lösung sehr schwer und sind, wie ich beinahe glaube, eher geneigt, einem Betrüger hundert Millionen umzuwechseln. Ich habe keinem Grafen von St. Germain Verschwiegenheit gelobt und kann also über mein Geheimnis sprechen, zu wem es mir beliebt. Ich hatte triftige Gründe, Herrn Casanova in das Vertrauen zu ziehen. Das geschah gestern abend beim Grafen d'Affri, und jetzt sind wir bereits in der Lage, Ihnen mit einem Ergebnis dienen zu können.«
»Wirklich? Ich bin ganz Ohr!«
»Der hinterlegte Krondiamant befindet sich wohl noch in Ihrer Hand?«
»Nein. Ich habe ihn zur Verfügung der hochmögenden Herren gestellt, und er wurde dem Bankier Hope zur Aufbewahrung übergeben.«
»Ist er geprüft worden?«
»Von drei Kennern, die ein untrügliches Auge besitzen.«
»Und wie lautete ihr Urteil?«
»Er ist echt.«
»Ah! Wirklich?«
»Ja. Die Herren Generalstaaten sind sehr geneigt, auf das Angebot des Grafen von St. Germain einzugehen.«
»Dann muß ich Ihnen sagen, daß sich die drei Sachverständigen wohl dennoch geirrt haben. Wir haben heute nacht einen Diamanten des Grafen, den wohl mancher feine Kenner für echt gehalten hätte, chemisch untersuchen lassen.«
»Bei wem?«
»Bei van Holmen.«
»Der ist sicher. Wie fand er den Stein?«
»Er war unecht, obwohl der Graf ihn als Geschenk von dem Grafen Zobor erhalten haben wollte und seinen Wert auf zwölfhundert Gulden angab.«
»Ich bin erstaunt!«
»Wir nicht, denn wir hatten es nicht anders erwartet. Die zwölfhundert Gulden bestehen jetzt nur noch in einem winzigen Häufchen Pulver, für das kein Mensch die kleinste Münze bezahlt.«
»Erzählen Sie, erzählen Sie, wenn ich es glauben soll!«
Der Baron gab einen ausführlichen Bericht über die Erlebnisse bei dem kleinen Chemiker. Als er zu Ende war, starrte ihn der Sekretär mit offenem Mund an. Die Pfeife war dem guten Mann längst ausgegangen. Er legte sie weg und erhob sich.
»Das ist höchst merkwürdig und muß beherzigt werden. Wollen Sie beide mich zu Adrian Hope begleiten?«
In kurzer Zeit befanden sich die drei auf dem Weg zum Bankier. Dort kamen Langenau und Casanova lange nicht zu Wort, denn der eifrige Mynheer Sekretär ließ es sich nicht nehmen, den Bericht selbst abzustatten. Hope hörte ihn mit der gespanntesten Aufmerksamkeit bis zu Ende. Dann erfolgte eine längere und sehr lebhafte Unterredung, nach deren Schluß die drei den Bankier mit dem Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit verließen. Noch unter der Tür reichte er Langenau und Casanova die Hand.
»Leben Sie wohl, meine Herren! Wenn sich Ihre Vermutung bestätigt, so werden wir einen geriebenen Betrüger entlarven, und Sie haben sich die Dankbarkeit der Hochmögenden erworben. In diesem Fall hege ich keinen Zweifel, daß die Umwechslung der zwanzig Millionen keinen Anstand finden wird, Mynheer Casanova. Mir würde es nur leid tun, daß wir dann gegen den Schwindler nicht nach den Gesetzen vorgehen könnten, weil wir Rücksicht auf Seine Majestät den König von Frankreich zu nehmen hätten.«
Als sich Casanova mit dem Baron allein befand, meinte er:
»Ich bin überzeugt, daß wir einem Sieg entgegengehen, und werde Ihnen immer größeren Dank schuldig.«
»Sie haben keine Veranlassung, von Dank zu sprechen, denn ich handle nur aus Selbstsucht«, lautete die Antwort. »Ich bin ihm ein Entgelt schuldig und glaube nun auch, daß es, um den Grafen zu entlarven, des Boten nicht bedurft hätte, den d'Affri gestern an den Herzog schickte.«
*
Er hatte mit dieser Meinung recht, denn bereits am zweiten Tag erhielt der Graf von St. Germain durch einen unbekannten Boten folgenden Brief:
»Graf d'Affri hier, Gesandter des Königs von Frankreich, hat von den Herren Generalstaaten Ihre Auslieferung verlangt. Der von Ihnen hinterlegte Krondiamant wurde untersucht und als unecht erkannt. Er bleibt hier in Verwahrung, bis ihn der König selbst zurückfordert. Zwei Stunden nach Empfang dieser Zeilen wird man kommen, um Sie zu verhaften.«
*
Wirklich kam nach zwei Stunden ein Polizeiwachtmeister in die Wohnung des Grafen, fand ihn aber bereits abgereist. Die Verfolgung wurde natürlich nur lässig betrieben, und so erfuhr man bald, daß er sich in England in Sicherheit befinde. Man hatte ihn aus Rücksicht auf Ludwig XV. entkommen lassen. – –
Es war zu Anfang des Jahres 1784. Auf der Straße von Kiel nach Eckernförde bewegte sich ein Schlitten, in dem zwei Herren und zwei Damen saßen. Diese waren der kroatische Prinz Paranow mit seiner Gemahlin und der Baron von Langenau mit seiner Frau, dem früheren Hoffräulein Amély d'Hausset.
Die beiden Herren hatten sich in Wien kennengelernt und waren innige Freunde geworden. Kürzlich hatte der Prinz den Baron in Berlin besucht, und da v. Langenau in einer wichtigen Sache nach Eckernförde gehen sollte, so beschloß Paranow, ihn zu begleiten, um die Gelegenheit, eine geistvolle Bekanntschaft zu machen, nicht vorübergehen zu lassen.
In Eckernförde nämlich wohnte der Landgraf Karl von Hessen-Kassel, dänischer Feldmarschall und Statthalter der Provinzen Schleswig und Holstein, nachmaliger Verfasser des Buches: »Mémoires sur la campagne de 1788 en Suède«. Als eifriger Freimaurer tat er sich besonders durch sein Streben hervor, die »strikte Observanz« wiederherzustellen, und als ein Freund der »geheimen Künste und Wissenschaften« verwandte er große Summen auf Dinge, die man heute als vollständig wertlos erkannt hat. Er war ein Spielball von Magiern, Zauberern, Goldmachern und Wunderkünstlern, denen er das größte Vertrauen schenkte und die ihn für ihre Zwecke ausbeuteten. Die in religiösen Dingen Glaubenslosen sind ja meistens für Aberglauben am besten empfänglich.
Auch Prinz Paranow hatte sich früher, wie es so in den Bestrebungen der Zeit lag, viel mit der Magie und Scheidekunst beschäftigt, war aber, nachdem er ihnen eine ganze Reihe von vergeblichen Opfern gebracht hatte, klug geworden und von ihnen zurückgetreten. Dennoch hegte er noch jetzt eine lebhafte Teilnahme für alles, was sich auf diese Dinge bezog, und fühlte ein unwiderstehliches Wohlwollen für jeden, der sich in den Banden befand, die abzustreifen ihm nur nach großen Kämpfen und vieler Selbstüberwindung gelungen war. Daher wollte er auch den Marschall Karl von Hessen-Kassel kennenlernen und hatte sich dem Baron von Langenau nur deshalb angeschlossen, um jetzt persönlich diese Bekanntschaft zu machen.
Die Unterhaltung drehte sich natürlich um den Feldmarschall, auf den die Herren wie auch die Damen neugierig waren.
»Fahren wir geradewegs zu ihm?« fragte Amély, der man es ansah, daß sie sich als Gemahlin Langenaus recht glücklich fühlte.
»Nein«, erwiderte der Baron. »Meine Aufgabe weist mich an, erst das Gelände gehörig zu erkunden. Der Marschall ist in manchen Dingen höchst unberechenbar; er kennt mich jedenfalls und weiß, daß ich als nüchterner Verstandesmensch mit manchen seiner abenteuerlichen Anschauungen nicht übereinstimme. Daher steht zu erwarten, daß er mir nicht viel Zuneigung entgegenbringen wird. Ich machte das in Berlin bemerklich und gab zu verstehen, daß es besser sei, einen Geeigneteren mit meiner Aufgabe zu betrauen; doch zog man es vor, meine Vorstellung nicht zu beachten.«
»An wen werden Sie sich wenden?« fragte der Prinz.
»An den Grafen von Lamberg, der bereits angewiesen wurde, die vorbereitenden Schritte zu tun. Er ist ein gewandter Diplomat und hat es fertiggebracht, den dänischen Legationsrat Morin, der jetzt in Eckernförde anwesend und ein Vertrauter des Marschalls ist, für unsere Absichten zu gewinnen. Gelingt es mir, die Teilnahme des Marschalls für meine Person zu erregen, so zweifle ich keinen Augenblick an dem glücklichen Verlauf meiner Sendung.«
»Die sich natürlich auf das Verhältnis Preußens mit Schweden bezieht?« fragte der Prinz.
»Es gibt Beziehungen«, antwortete Langenau lächelnd, »für die auch die engste Freundschaft keine Worte haben darf.«
»Schön! Und ebenso gibt es Freundschaften, für die die Politik kein Verständnis hat.«
»Ich möchte nicht beistimmen. Doch verirren wir uns damit auf ein Gebiet, das unserem vorigen Gesprächsstoff so fernliegt, daß wir schleunigst zurückkehren wollen. Wissen Sie, wer sich gegenwärtig bei dem Marschall befindet.«
»Nun?«
»Ein alter Bekannter von mir und auch von Ihnen. Der berühmte Graf von St. Germain.«
»Ich weiß es und will Ihnen offen gestehen, daß seine Anwesenheit mehr ein Grund für mich war, mich Ihnen anzuschließen. Ich bin sehr begierig, eine kleine Abrechnung mit ihm zu halten.«
»Ah!«
»Er hatte die Güte, mir in Wien einen Diamanten, den er selbst auf zehntausend Dukaten schätzte, für die Hälfte dieser Summe zu verkaufen. Der Stein stammte, wie ich später erfuhr, aus seiner mit dem Grafen Zobor gegründeten Werkstätte und erwies sich als unecht. Ich habe ihn bei mir und werde den Fälscher ersuchen, ihn gegen die fünftausend Dukaten unverzüglich zurückzunehmen.«
»Er wird es nicht tun.«
»Er wird es!«
»Dann müßte er im Besitz der betreffenden Summe sein, was ich aber nicht vermute.«
»Es würde ihm nicht schwerfallen, eine Anweisung auf die Kasse des Marschalls zu erhalten.«
»Auch diese Kasse ist leer; er hat dafür gesorgt.«
»Dann mag er sehen, wie er die Summe sonst auftreibt, wenn er es vermeiden will, daß ich mit der Waffe mit ihm spreche!«
»Mit der Waffe? Das wirst du nicht tun«, bat die Prinzessin ängstlich.
»Keine Sorge, mein Herz! Meinen guten Degen besudle ich nicht mit seinem Blut, und du weißt ja, daß ich kein schlechter Schütze bin. Ein Mann von seiner Art besitzt wohl die nötige Hinterlist, die zum feigen Betrug erforderlich ist, aber nicht den Mut, sich einem furchtlosen Gegner Aug' in Aug' gegenüberzustellen. Er wird das Geld aufbringen, um jeden Kampf zu vermeiden, denn er selbst weiß am allerbesten, welche Wirkung sein Aqua benedetta eigentlich hat.«
»Das wissen andere außer ihm ja ebensogut«, meinte Amély lächelnd. »Die Marquise Pompadour hat die Flüssigkeit getrunken, bis sie – starb, und daß auch Louis Quinze trotz des Aqua tot ist, hat alle Welt erfahren. Man muß sich wundern, daß es noch Menschen gibt, die einem solchen Betrüger Glauben schenken!«
»Ich werde ihm das Handwerk legen, Baron, und erbitte mir von Ihnen eine Gefälligkeit. Sie erzählten mir, daß Sie die Kugel, die dem Leben Ihres Vaters ein Ende setzte, stets bei sich tragen. Ich ersuche Sie, mir diese Kugel so lange zu leihen, als mein Aufenthalt in Eckernförde währt.«
Langenau sah ihm kurz und tief ins Auge, dann löste er die Kugel aus ihrem Behälter und übergab sie ihm schweigend.
Man hatte jetzt die Stadt erreicht. Paranow stieg mit der Prinzessin am Gasthof ab, während der Baron von Langenau mit seiner Gemahlin zum Grafen von Lamberg fuhr, wo eine Wohnung für beide bereitet war. Der Baron hatte sich als Diplomat ausgezeichnet und wurde vom Grafen sehr freundlich empfangen.
Beide hatten vor allen Dingen eine Unterredung, die sich auf die Aufgabe Langenaus bezog, und begaben sich dann zu dem Legationsrat Morin, um ihn zu bitten, den Baron bei dem Feldmarschall einzuführen.
Letzterer saß um die gleiche Stunde auf seinem Polsterstuhl, auf den ihn das leidige Zipperlein bannte, und blätterte in alten, vergilbten Handschriften herum. Er blickte von Zeit zu Zeit unruhig nach der Uhr; er schien jemand ungeduldig zu erwarten. Da endlich trat der Kammerdiener ein und meldete:
»Der Herr Graf von St. Germain!«
»Eintreten!«
Der Graf, der jetzt unter der Tür erschien, hatte noch das gleiche Aussehen wie damals, als er Zutritt bei Ludwig von Frankreich hatte. Er schien wirklich nicht zu altern, doch bei einer genaueren Untersuchung hätte es sich wohl herausgestellt, daß er es ausgezeichnet verstand, sein Äußeres durch Verschönerungsmittel längere Zeit zu erhalten. Er verbeugte sich leicht vor dem Marschall und nahm nach dessen Wink auf einem Stuhl in der Nähe seines Freundes Platz.
Das Gesicht des Marschalls zeigte in diesem Augenblick nicht die freundliche Miene eines Gönners, sondern einen Unmut, der durch die Schmerzen, die ihm die Fußgicht verursachte, noch erhöht wurde. »Ich ließ Sie bereits vor einer Stunde zu mir bitten, Graf!«
»Exzellenz entschuldigen, daß ich Ihrer Aufforderung nicht sofort Folge leisten konnte! Eine wichtige Schmelzung, die ich im Laboratorium begonnen habe, hielt mich fest.«
»Eine wichtige Schmelzung? Wissen Sie, mein Herr, welche Schmelzung mich in neuester Zeit wieder ganz außerordentlich beschäftigt?«
»Das Schmelzen des Inhalts meiner Kasse. Über fünf Jahre lang wohnen Sie bereits bei mir; über fünf Jahre lang stelle ich Ihnen selbst für meine Mittel ganz ungeheure Summen zur Verfügung, um Sie in den Stand zu setzen, die Versprechungen zu halten, die Sie mir gegeben haben. Über fünf Jahre lang warte ich darauf, daß Sie Wort halten, und sehe keinen anderen Erfolg, als daß mein Vermögen zur Neige geht und ich mich mit meinen Gläubigern herumschlagen muß. Über fünf Jahre lang bin ich ein Muster von Geduld gewesen, aber mit den Mitteln geht auch meine Nachsicht zu Ende.«
»Exzellenz erschrecken mich! Meine Unternehmungen führen sicher zum Ziel; sie befinden sich in einem solchen Gang, daß – – –«
»Daß ich endlich selbst auch gehen muß!« fiel ihm der Marschall in die Rede. »Und doch fällt mir das Gehen schwer. Sie beabsichtigen, einen Lebenstrank herzustellen, der den Menschen ewig jung macht, und vermögen mir nicht einmal ein Mittel zu geben, das mir die Fußgicht vertreibt.«
»Gestatten Exzellenz die Bemerkung, daß die Krankheit längst behoben wäre, wenn nicht Ihre rasche, heiße Eigenart – – –«
»Bah, die alte Einrede! Was hat meine Eigenart mit dem Zipperlein zu schaffen? Beweise ich Ihnen etwa durch eine mehr als fünfjährige Nachsicht, daß meine Art so übermäßig schnell und hitzig ist? Ich habe heute wieder zweitausend Dukaten zu bezahlen und weiß wahrhaftig nicht, woher ich sie nehmen soll. Ich habe mich schon öfters auf Morin verlassen müssen, doch machte er mir erst kürzlich eine nichts weniger als eindeutige Äußerung, daß er mir nicht mehr zur Verfügung stehen könne. Was nun?«
Man sah es dem Grafen an, daß er sich in einer ungewöhnlichen Verlegenheit befand. Er schien mit einem Entschluß zu ringen.
»Sollten Eurer Exzellenz Verhältnisse wirklich in der Weise gefährdet sein, wie ich vernehmen muß?«
»Gefährdet, das ist noch viel zu wenig! Alle geworden sind sie, vollständig alle; ich habe gar keine Verhältnisse mehr. Es gibt niemand, an den ich mich wenden könnte, als Sie, Graf. Können Sie mir fünfzigtausend Friedrichsdor borgen?«
Der Graf neigte den Kopf und blieb eine volle Minute still. Wer vermochte zu sagen, was in ihm vorging? Dann blickte er wieder auf und sah dem Marschall mit einem siegesbewußten Lächeln ins Gesicht.
»Borgen? Nein, schenken werde ich Ihnen diese fünfzigtausend Friedrichsdor, auch hunderttausend oder eine Million, wenn Sie wollen!«
»Ah! Ist's möglich!« rief der Marschall.
Er dachte nicht an seine Fußgicht; es war augenblicklich verschwunden, und als hätte er diese schmerzvolle Krankheit niemals kennengelernt, sprang er empor und trat heftig auf den Grafen zu.
Dieser blickte ihm siegessicher entgegen. »Sehen nun Exzellenz, daß ich wirklich ein Mittel gegen Ihre Krankheit habe? Nur eines Wortes hat es bedurft, und sie ist verschwunden.«
»Und die Krankheit meiner Kasse?«
»Diese auch!«
»Erklären Sie sich deutlicher!«
»Sie wissen, daß ich fünf Jahre lang vergeblich auf eine günstige Stellung der Gestirne gewartet habe.«
»Leider!«
»Heute genau um Mitternacht wird sie eintreten.«
»Wirklich?« fragte der Marschall mit einem tiefen Atemzug der Erleichterung.
»Ganz zuverlässig. Meine Berechnungen werden mich nicht täuschen.«
»Gut! So haben wir endlich eine günstige Stellung der Gestirne, aber das andere – –?«
»Es ist alles fertig; ich bin vorbereitet.«
»Was können Sie mir versprechen?«
»Ewiges Leben und unendliche Reichtümer heute gerade um Mitternacht, Exzellenz.«
»Graf, ist das wirklich wahr?«
Der Marschall befand sich in größter Begeisterung. Alle Opfer, aller Zorn waren vergessen; er umarmte den Grafen und drückte ihn dann wieder auf den Stuhl nieder, von dem sich der »Wundermann« vorhin in seiner Verlegenheit erhoben hatte.
»So gewiß ich hier sitze«, klang die feste Antwort. »Nur unter geeigneten Sternen ist der Trunk zu bereiten, und es können Jahrhunderte vergehen, ehe sich die heutige günstige Stellung wiederholt. Ich fertigte das Wunderwasser zum erstenmal an dem Tag, nach dem Moses die Finsternis über Ägypten verhängt hatte; zum zweitenmal am Begräbnistag Samuels, des Hohenpriesters, und zum drittenmal in der Nacht, als Christus seine Bergpredigt beendet hatte.«
»Sie haben Christus gekannt?«
Das Gesicht des Grafen zeigte ein eigentümliches Lächeln. »Ich habe alles und alle gekannt, Exzellenz. Könnten Sie Petrus, den Apostel fragen, so würde er Ihnen gestehen, daß ich ihm sehr oft den guten Rat gegeben habe, seine Heftigkeit zu mäßigen. Und wie ich bereits vor dreitausend Jahren lebte, so werden Sie mich auch nach dreitausend Jahren wiedersehen, denn Sie werden heute um Mitternacht mit mir den Tropfen des ewigen Lebens trinken und den Tod nie kennenlernen.«
Der Marschall erstarrte beinahe vor Hoffnung und Verwunderung. Der Graf hatte allerdings hier und da eine leise Andeutung fallen lassen, aber so offen wie jetzt hatte er noch nie von seiner dreitausendjährigen Vergangenheit gesprochen.
»Graf, ich zweifle nicht, daß Sie die Wahrheit sagen; aber wenn Sie Ihr Versprechen wirklich erfüllen, so werde ich Sie belohnen, wie noch nie ein Mensch be – – –«
»Lohn? Pah, Exzellenz, wer könnte mich belohnen! Bin ich es nicht, von dem Sie alles empfangen? Was können Sie mir schenken, der ich Ihnen ewige Jugend und unendlichen Reichtum verleihe! Doch jetzt muß ich fort, denn ich darf keinen einzigen der glücklichen Augenblicke versäumen. Aber heute um Mitternacht werde ich Ihnen Glück und Leben bringen. Lassen Sie den Saal in der Weise bereiten, wie es stets bei unseren Beschwörungen geschah!«
Er ging und ließ den Marschall in einer unbeschreiblichen Aufregung zurück. Dieser wäre am liebsten mit seinen Gedanken und seinem Jubel allein geblieben, doch war ihm dieses nicht beschieden, denn nach einiger Zeit trat der Diener ein und machte eine Meldung, die der Marschall in seiner Erregung aber nicht beachtete.
Die Tür öffnete sich wieder, und es trat ein kleines schmächtiges Männchen ein, dessen völlig weiße Haare auf ein bedeutendes Alter schließen ließen. Es dauerte lange, bevor der Marschall den Eingetretenen gewahrte.
»Wer sind Sie, und wer erlaubt Ihnen, hier Zutritt zu nehmen?« fragte er mit zornig klingender Stimme.
»Ich wurde angemeldet, Exzellenz!« erklang die ruhige Antwort.
»Ah so! Also wer sind Sie?«
»Mein Name ist van Holmen.«
»Van Holmen? Aus Den Haag?«
»Ja.«
»Ah! Nehmen Sie Platz!«
Es war augenscheinlich, daß die Ankunft des Chemikers dem Marschall etwas ungelegen kam; doch sammelte er sich schnell und erklärte:
»Sie wurden mir – und zwar nicht erst heute oder gestern – als ein Mann der Wissenschaft geschildert, zu dem man das unbeschränkteste Vertrauen hegen dürfe.«
»Casanova!« schaltete van Holmen mit einer höflichen Verbeugung ein.
»Wie? Sie wissen, mit wem ich von Ihnen sprach?«
»Der berühmte Verbannte schrieb es mir.«
»So! Ich erinnere mich seiner Worte, als ich in die Lage kam, das unparteiische Urteil eines Chemikers zu hören, der sich von abenteuerlichen Anschauungen nicht beeinflussen läßt, und sandte nach Haag in Holland, um Sie auffordern zu lassen, auf eine Woche zu mir zu kommen.«
»Wie Exzellenz sehen, bin ich dieser ehrenvollen Aufforderung gefolgt, obgleich ich mir eine große Vernachlässigung meiner eigenen Arbeiten zuschulden kommen lasse.«
»Sie sollen für alles entschädigt werden. Natürlich wohnen Sie hier bei mir, doch mache ich die Bedingung, daß Sie sich bis morgen nur auf Ihr Zimmer beschränken.«
»Darf ich nach der Angelegenheit fragen, Exzellenz, die dem an mich ergangenen Ruf zugrunde liegt?«
»Wir werden heute nicht darüber sprechen, da Sie sich vor allen Dingen ausruhen müssen; doch verspreche ich Ihnen, daß Sie morgen früh völlig unterrichtet sein werden.«
Der kleine Chemiker neigte den Kopf mit einem leichten Lächeln auf die Seite. »Darf ich es wagen, mich bereits für unterrichtet zu halten?«
»Wieso?«
»Exzellenz, ich bin kein Quacksalber«, antwortete er jetzt in ernstem Ton; »und liebe es stets zu wissen, was ich einmal wissen soll. Ich bin Ihrem Ruf gehorsam gefolgt, aber ich habe keine Zeit, morgen etwas in die Hand zu nehmen, was ich bereits heute beginnen kann.«
»Ich werde Sie entschädigen!«
»Das können Sie nicht. Sie können mir wohl einen Ausgleich geben für den Geldverlust, den mir der versäumte Tag gebracht hätte, aber Sie können mir die verlorene Zeit nicht wiederbringen und auch den geistigen Ertrag, der mir entgeht, nicht ersetzen. Der Graf von St. Germain ist nicht der Mann, dem zuliebe ich nur eine Stunde meiner köstlichen Zeit verschwenden möchte. Er kann fünf Jahre auf das Gelingen eines Versuches warten, denn er hat ein Aqua benedetta, das ihn unsterblich macht; ich aber bin ein sterbliches Menschenkind und muß daher soviel als möglich mit den Stunden geizen.«
Der letzte Satz war mit einem versteckten Hohn gesprochen, der dem Marschall nicht entgehen konnte.
»Sie ahnen, weshalb ich Sie rief?« fragte er.
»Ich ahne es nicht bloß, sondern ich weiß es. Sie verlangten mich nach Eckernförde, weil sich in Ihnen ein sehr gerechtfertigtes Mißtrauen regte gegen den Mann, der Ihnen so viel versprochen und nichts gehalten hat. Ich sollte seine Arbeit untersuchen, und mein Urteil sollte Ihnen die Richtschnur Ihres Verhaltens gegen ihn sein.«
»So ist es«, gestand der Marschall, der sich überrumpelt sah.
»Dann bitte ich um den Grund, weshalb ich nicht sofort beginnen soll.«
»Ich will aufrichtig sein, mein Lieber! Ich habe vielleicht etwas zu schnell gehandelt, wenigstens gestehe ich, daß mein Vertrauen zu dem Grafen nicht im geringsten erschüttert ist, denn – denn – – –«
Es fiel dem alten, ehrlichen Haudegen schwer, eine Unwahrheit zu sagen.
Van Holmen war gewandt genug, alles sofort zu begreifen; darum fiel er ein:
»Denn er hat Ihnen ein neues Versprechen gegeben, das so unendlich verheißungsvoll und glänzend ist, daß dadurch alle Ihre Bedenken wieder in die Flucht geschlagen wurden. So ist es, und da also mein Gutachten nicht mehr verlangt wird, so erlaube ich mir, ohne Verzug wieder in die Heimat zurückzukehren.«
Noch ehe der Marschall ihn zu halten vermochte, hatte er die Tür geöffnet und das Gemach verlassen. Zu gleicher Zeit öffnete sich die Tür des Vorzimmers, und es traten zwei Männer ein, von denen der eine den Chemiker mit erst zweifelnder und dann freudiger Überraschung betrachtete.
»Van Holmen! Ist's möglich?«
»Herr Baron von Langenau! Sie auch hier in Eckernförde?«
»Wie Sie sehen! Was taten Sie beim Marschall?«
»Etwas sehr Wichtiges. Ich überzeugte ihn, daß irgend jemand lebt, der van Holmen heißt, und ging dann wieder.«
»Was heißt das?«
»Das heißt: der Marschall ließ mich kommen, um dem Grafen St. Germain auf die Finger zu sehen, hat aber wieder neues Vertrauen gewonnen, so daß ich als personne inutile die Pflicht habe, mich zu entfernen.«
»Gehen Sie jetzt nicht, sondern warten Sie, bis ich zurückkehre! Sie begleiten mich dann in meine Wohnung!«
»Melden Sie mich!« befahl der andere der beiden jetzt dem Kammerdiener.
Dieser öffnete die Tür. »Der Herr Legationsrat Morin!«
»Eintreten.«
Morin folgte mit dem Baron dem Ruf. Der Marschall war noch so begeistert von seiner Unterredung mit dem Grafen, daß er, ohne Langenau zu beachten, auf Morin zustürmte und ihn bei beiden Händen ergriff.
»Willkommen, Herr Rat, willkommen! Sie sehen mich außerordentlich freudig erregt infolge einer glückverheißenden Nachricht, die mir zugegangen ist.«
»Gestatten Sie mir, Exzellenz, mich an Ihrer Freude zu beteiligen, Ihnen aber vorher den Baron von Langenau vorzustellen, der Berlin verlassen hat, um Eure Exzellenz von der freundlichen Gesinnung und Hochachtung seines Königs zu überzeugen!«
»Ah! Recht so, Herr Baron! Zwar haben wir uns noch nicht gesehen, aber Sie sind mir aus Ihrem Wirken als ein Mann bekannt, auf den sein König sich verlassen kann. Nehmen Sie Platz, meine Herren, und hören Sie, Herr Rat, was ich Ihnen Erfreuliches mitzuteilen habe! Auch Sie, Herr Baron, werden meiner Neuigkeit Ihre Teilnahme nicht versagen. Ich weiß sogar, daß Sie erstaunen und eingestehen werden, daß Sie einst dem großen Mann Unrecht taten.«
»Darf ich fragen, wem Exzellenz die Ehre erweisen, ihn einen großen Mann zu nennen?« fragte Langenau höflich.
»Den Grafen St. Germain.«
»Ah so! Ich nenne ihn gleichfalls groß, doch ist er jedenfalls eine schlimme Größe.«
»Ich bin in der glücklichen Lage, Sie vom Gegenteil überzeugen zu können. Sie haben doch gehört, daß er sich bei mir befindet?«
»Ich weiß schon längst, daß er bei Ihnen einen Schlupfwinkel vor der Rache und den Verfolgungen derer gefunden hat, die von ihm betrogen worden sind, weil sie ihm glaubten!«
»Das ist nicht nur streng, sondern sogar ungerecht und zugleich eine Beleidigung für mich«, entgegnete der Marschall mit finsterer Miene. »Doch sind Sie ein Mann, der meine Achtung besitzt, und ich werde sicher die Genugtuung haben, daß Sie Ihre Meinung aufrichtig widerrufen. Ich muß Sie entschuldigen, denn auch ich begann bereits wankelmütig zu werden. Ich weiß recht wohl, daß man über mein Vertrauen und über die Opfer, die ich dem Grafen gebracht habe, gelächelt hat; heute aber müssen die Spötter zuschanden werden, und ich stehe im Begriff, mir eine Rechtfertigung zu verschaffen, die nicht glänzender genannt werden kann.«
»Es soll mich um Exzellenz willen freuen, wenn ich mein Urteil über den Grafen als falsch erkenne. In diesem Fall bin ich bereit, ihm alles zu vergeben, was er an mir und den Meinen verbrochen hat«, erwiderte der Baron.
»Ich verstehe! Ich traf Casanova, der mir einiges von Ihnen und dem Grafen erzählte. Ich bin überzeugt, daß dem großen Magier damals im Haag Unrecht getan wurde. Er ist der berühmteste Mann des Jahrhunderts und befindet sich gegenwärtig entweder im Laboratorium oder in meiner Bibliothek. Er wird heute nacht Punkt zwölf Uhr zwei Aufgaben lösen, an denen die Magie und Scheidekunst schon seit Jahrtausenden vergebens gearbeitet hat. Sie kommen zur guten Stunde, und ich lade Sie beide ein, Zeugen unseres Sieges zu sein.«
Morin verneigte sich dankend und meinte: »Der Graf, den ich als Herrn von Bellamare kennenzulernen die Ehre hatte, ist ein außergewöhnlicher Mann, eine Erscheinung, die sich aller unserer Berechnung entzieht.«
»Wo trafen Sie ihn zum erstenmal?« fragte Langenau.
»In Venedig, wo ich Zeuge war, daß ein einfaches Papierschnitzel, das er einem Bekannten schenkte, von einem Bankier mit zweihundert Dukaten eingelöst wurde. Er ließ eine Perle im Werte von fünf Dukaten binnen acht Tagen so wachsen, daß man ihm sechzig dafür bot, und der Baron Stosch versicherte, ihn vor vielen Jahren in Bayonne gesehen zu haben, wo er eine viele Pfund schwere Bleitafel in reines Silber verwandelte. Und seit jener Zeit ist er nicht im geringsten gealtert.«
»Haben Sie ihn musizieren hören?« fragte der Marschall.
»Ja, auf dem Klavier. Er spielt großartig.«
»Sie werden ihn heute noch mehr bewundern. Ohne daß ich ihm davon sage, lade ich für heute eine Gesellschaft auserlesener Herren und Damen zu mir, um mein bisheriges Vertrauen öffentlich durch den Erfolg zu rechtfertigen. Er wird sich bei dieser Veranlassung auf meine Bitte hin als Violinist zeigen. Seine Meisterschaft ist hier ganz ohnegleichen. Fürst Smirnoff, der ihn vor neunundvierzig Jahren auf der Violine spielen hörte, versicherte mir, daß seit dieser langen Zeit weder seine Fertigkeit noch sein Aussehen sich verändert haben. Auch werde ich Ihnen eine höchst merkwürdige Handschrift zeigen.«
»Darf man nach dem Namen dieser Handschrift fragen?«
»Es ist ein Kommentar von Raimundus Lullus und erklärt alle Dunkelheiten des Heber, Roger Bacon und Arnauld de Villeneuve. Der Band kostet mich beinahe viertausend Taler.
»Von wem kauften Sie ihn?«
»Von St. Germain.«
»Ist er echt?« forschte Langenau unwillkürlich.
»Warum fragen Sie?«
»Weil, soviel ich weiß, Raimundus Lullus sich nicht mit Magie beschäftigt hat, sondern erst von seinen Anhängern für einen Magier ausgegeben wurde.«
»Sie erlauben mir hier eine andere Meinung. Übrigens hat der Graf seinerzeit wohl fünfzehntausend Taler für diese Handschrift bezahlt.«
»Welches sind die beiden Aufgaben, die er heute abend lösen wird?«
»Er wird ein Projektionspulver mischen, das alle Metalle bei der bloßen Berührung in das reinste Gold verwandelt.«
»Das wäre eine weltumstürzende Erfindung. Und die andere?«
»Ein Aqua benedetta, das nicht nur, wie bisher, den Einfluß des Alters hebt, sondern auch den durch äußere Einwirkung erfolgenden Tod zur glatten Unmöglichkeit macht.«
»Sie meinen beispielsweise den Tod durch Verwundung?«
»Ja.«
»Dann bin ich begierig, ob es ihm gelingen wird«, meinte Morin.
»Ich bin davon überzeugt. Das Pulver steht schon seit fünf Jahren über dem Feuer. Ich mußte immer von einer Zeit auf die andere warten, da die geheimen Stunden niemals mit der Stellung der Gestirne übereinstimmen wollten, und schon verlor ich die Geduld, als mir der Graf vorhin die Versicherung gab, daß heute um Mitternacht alle magischen und astronomischen Voraussetzungen vorhanden seien. Sie kommen doch, meine Herren?«
Morin sagte zu; Langenau überlegte. »Ich würde erscheinen, Exzellenz, aber ich habe schon anderweit zugesagt.«
»So sagen Sie wieder ab! Bei wem?«
»Beim Grafen von Lamberg, bei dem ich mit meiner Frau wohne. Auch Prinz Paranow und seine Gemahlin, die mit mir hier ankamen, sind eingeladen.«
»Wer sonst noch?«
»Weiter niemand.«
»So kommen Sie alle um elf Uhr zu mir! Prinz Paranow ist mir nicht unbekannt. Ich traf ihn in Wien und Warschau; er und die Prinzessin werden mir willkommen sein. Der Graf von Lamberg ist öfters bei mir und wird sich nicht weigern, Sie zu begleiten. Und Ihre Frau Gemahlin – ah, hörte ich nicht einmal, daß es Amély d'Hausset sei, die wunderschöne Nichte der Frau d'Hausset, die erste Dame bei der Marquise von Pompadour war?«
»Es ist so, Exzellenz.«
»Dann muß ich sie begrüßen dürfen, Herr Baron!«
»Sie wird erscheinen, denn auch sie wird gespannt sein, zu sehen, ob die Versuche des Grafen gelingen. Sie erbte nämlich von ihrer Tante ein Kreuz, das diese einst in Gegenwart der Marquise vom Grafen St. Germain zum Geschenk erhalten hat. Ich ließ es untersuchen; es war unecht.«
»Oder es wurde von einem Juwelier untersucht, der nicht Kenner war! Es gibt der Diamanten gar verschiedene; sie sind zuweilen farblos und wasserhell, oft aber gefärbt: grau, braungelb, rosa, blau, grün oder schwarz, und da ist irgendein Irrtum doch sehr leicht möglich.«
»Zugegeben, Exzellenz. Aber auch Prinz Paranow kaufte einst von dem Grafen einen Diamanten für fünftausend Dukaten, dessen spezifisches Gewicht nur zweiundeinhalb war, während dasjenige des Diamanten drei und fünf bis sechs Zehntel beträgt. Und die beiden Diamanten, die ich in Haag durch van Holmen untersuchen ließ, phosphoreszierten weder im Finstern, noch ließen sie sich im Sauerstoffgas verbrennen. Der größere von ihnen sollte zu den französischen Krondiamanten gehören; später stellte es sich heraus, daß es nur darauf abgesehen war, die Generalstaaten durch eine wertlose Zusammensetzung um hunderttausend Gulden zu betrügen. Fragen Sie bei dem Bankier Adrian Hope an; er wird meine Aussage bestätigen, denn in seiner Verwahrung befindet sich noch heute der Stein, der angeblich viele Millionen wert sein sollte und doch bis jetzt von keinem Menschen zurückgefordert wurde.«
»Wenn Sie mit dem allen die Wahrheit erzählen, so hätte ich Ursache genug, vorsichtig zu sein; doch bin ich überzeugt, daß Sie sich täuschen. Noch vorhin erst hat mir der Graf gesagt, daß er bereits vor mehreren tausend Jahren gelebt habe.«
»Infolge seines Aqua benedetta?«
»Ja.«
»Ludwig der Fünfzehnte, die Pompadour und die Gräfin Gergy haben davon getrunken und sind dennoch gestorben; sollte es seine Wirkung nur allein beim Grafen äußern? Er scheint ein fähiger Kosmetiker zu sein; das ist alles.«
»Ja, aber gerade die Gräfin Gergy wollte ihn doch schon fünfzig Jahre vor seinem Pariser Auftreten in Venedig kennengelernt haben, und zwar sei sein Äußeres in dieser langen Zeit unverändert geblieben. Wie erklären Sie diese verbürgte Behauptung?«
»Entweder spielte der Abenteurer ein mit der Gergy abgekartetes Spiel, so daß sie also seine Vertraute und Partnerin war. Oder aber, die Dame stand unter krankhafter Selbsttäuschung, vielleicht auch unter seiner dämonischen Willensbeeinflussung.«
»Hm. Und was halten Sie von jener handschriftlichen Widmung Montaignes, die er Ludwig dem Fünfzehnten damals vorlegte?«
»Möglicherweise war es eine geschickte Fälschung, wahrscheinlich aber eine echte Urkunde, die Montaigne 1580 einem echten Grafen von St. Germain ausgestellt hatte. Durch irgendeinen Umstand kam die Widmung dann später in die Hände des Abenteurers, der sich vielleicht nur ihretwegen in Frankreich den Namen St. Germain beilegte.«
»Ich wundere mich über Ihre scharfsinnigen Schlußfolgerungen und werde darüber nachdenken.«
»Ihre Worte sind mir eine hohe Ehre. Übrigens bitte ich um die Erlaubnis, heute das Kreuz meiner Frau mitbringen zu dürfen. Der Prinz wird Ihnen seinen Diamanten zeigen. Wird ein Kenner bei der Gesellschaft sein?«
»Bankier Larßen aus Stockholm ist einer der bedeutendsten Kenner von edlen Steinen. Er kam heute an, um eine nicht ganz geringfügige Summe zu erheben, die ich ihm leider verweigern muß, weil durch die fünfjährigen Versuche meine Mittel erschöpft worden sind. Ich muß ihm Gelegenheit geben, sich heute abend zu überzeugen, daß ich mehr als ein Krösus sein werde.«
Langenau mußte über das blinde Vertrauen des Marschalls lächeln. Um sich aber den Statthalter zu verpflichten, sagte er:
»Haben Sie die Güte, immerhin damit zu rechnen, daß diese Hoffnung sich als trügerisch erweisen dürfte! Ich werde von hier nach Stockholm gehen und stand aus diesem Grund im Begriff, einige verfügbare Summen bei Larßen niederzulegen. Es ist mir sehr lieb, ihn in dieser Beziehung schon hier sprechen zu können, und ich bitte um die Erlaubnis, mich ihm als Ihren Vertreter bezeichnen zu dürfen, Exzellenz.«
Der Marschall sah ihn freudig überrascht an. Ein von den Gläubigern belagerter Mann pflegt bei einem solchen Anerbieten auf alle Zurückhaltung zu verzichten.
»Mein Vertreter? Mit Vergnügen, Herr Baron! Aber die Summe beträgt zweitausend Dukaten.«
»Ich halte dennoch an meiner Bitte fest.«
Der Marschall reichte ihm die Hand. »Angenommen! Und ich hoffe, daß die Stunde kommen wird, in der es mir vergönnt ist, ebenso aufmerksam gegen Sie zu sein. Und nun darf ich doch die Überzeugung hegen, daß Sie heute abend mit Graf Lamberg, Prinz Paranow und Ihren Damen erscheinen werden?«
»Wir werden Sie nicht warten lassen, Exzellenz! Doch eine Frage! Würde es nicht vielleicht geraten sein, den Chemiker van Holmen, dem wir im Vorzimmer begegneten, mit gegenwärtig sein zu lassen?«
»Hm! Wenn Sie es wünschen, ja. Aber er ist bereits fort, und ich weiß ihn leider nicht zu finden.«
»Er wartet im Vorzimmer auf mich. Der Mann genießt meine vollste Hochachtung; er wird für die Zeit seines Aufenthalts hier mein Gast sein.«
Die beiden Männer erhoben sich und nahmen Abschied von dem Marschall, der nun sicher eine freundliche Gesinnung gegen Langenau hegte, obgleich er in dem Urteil über St. Germain nicht mit ihm übereinstimmen wollte. – –
Es war am Abend, und bereits hatte es elf Uhr geschlagen. Alle hervorragenden Mitglieder des kleinen Hofes des Statthalters waren in dem Saal versammelt, den der Graf von St. Germain als den Schauplatz seiner Vornahmen bestimmt hatte.
Die Fenster waren dicht verhüllt und die Wände schwarz bekleidet. An dem von der Mitte der Decke herabhängenden Kronleuchter brannten nur einige Kerzen, so daß in dem Raum nur ein geheimnisvolles Halblicht herrschte, das verhinderte, die Züge der Anwesenden genau zu erkennen. Über den Hintergrund des Saales war ein Vorhang gezogen; jedenfalls verdeckte er die Bühne, auf der der Graf erscheinen wollte. Ganz vorn am Eingang des Saals, um von der Bühne aus nicht sofort bemerkt zu werden, hatten Langenau und Paranow nebst ihren Gemahlinnen sowie van Holmen Platz genommen.
Der Marschall hatte seine Gäste begrüßt und sich dann entfernt. Jetzt trat er wieder ein und wandte sich zu dem Baron:
»Ich war beim Grafen«, flüsterte er. »Er hat bisher geglaubt, nur mich anwesend zu finden, und war außerordentlich erzürnt, als ich ihm meldete, daß eine zahlreiche Versammlung seinen Sieg mitzufeiern beabsichtige.«
»Hat er nicht behauptet, daß nun die Aufgabe nicht gelöst werden könne?«
»Er hatte jedenfalls die Absicht, dies zu sagen; ich ließ ihn aber nicht dazukommen. Ich bemerkte ihm, daß mein Vertrauen verlacht werde und ich es deshalb meiner Ehre schuldig sei, daß er öffentlich beweise, er sei kein Betrüger und werde nur deshalb verkannt, weil der Verstand der Uneingeweihten seine Macht und Größe nicht zu würdigen verstehe.«
Langenau konnte sich eines befriedigten Lächelns nicht enthalten. Der Same des Mißtrauens, den er in das Herz des Statthalters gestreut hatte, war also doch aufgegangen und hatte bereits eine Frucht angesetzt.
»Weiß er von unserer Anwesenheit?«
»Nein.«
»Wollen Sie mir und sich selbst einen Gefallen erweisen?«
»Sprechen Sie!«
»Lassen Sie alle Ausgänge besetzen und stellen Sie auch Posten unter diejenigen Fenster, die dem Grafen erreichbar sind.«
»Herr Baron, das würde ein Mißtrauen verraten, zu dem ich nicht fähig bin.«
»Aber ich, Exzellenz! Ich kenne den Grafen und kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß er seine Lage erkennt und versuchen wird, sich ihr zu entziehen. Ich habe keineswegs die Absicht, mich von ihm veralbern zu lassen, und gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich gehen werde, wenn ich nicht die Überzeugung habe, daß er nicht entwischen kann, sondern gezwungen ist, seine Rolle bis zu diesem oder jenem Ende fortzuspielen.«
Diese Worte klangen so nachdrücklich, daß sie ihren Eindruck auf den Statthalter nicht verfehlten.
»Nun wohl! Wenn Sie mich in dieser Weise zwingen, so werde ich Ihren Wunsch erfüllen.«
»Gebieten Sie Ihren Leuten, dem Grafen bei einem etwaigen Fluchtversuch zu sagen, daß er die Wahl habe zwischen einem Zweikampf und der Bühne dort.«
Der Marschall entfernte sich, und es dauerte lange Zeit, bevor er wieder zurückkehrte. Es war bereits ein Viertel über zwölf, als es geschah, und trotz der unzulänglichen Beleuchtung des Saals war die Blässe zu erkennen, die auf seinem Gesicht lag.
»Es ist etwas geschehen?« fragte Langenau.
»Ja. Ihre Voraussicht hat sich bereits erfüllt, Herr Baron. Ich selbst ertappte den Grafen, als er im Begriff stand, sich heimlich davonzuschleichen.«
»Ah!«
»Ich zwang ihn, zurückzukehren.«
»Wird er erscheinen?«
»Er muß«, knirschte der alte Haudegen. »Jetzt glaube ich, daß er ein Betrüger ist. Wenn er sich weigert, ist er verloren.«
»Er ist auf alle Fälle verloren!« meinte Paranow kaltblütig.
Noch während er sprach, durchzuckte ein greller Blitz den Raum, der hinter dem Vorhang lag, und der Vorhang ging in die Höhe. Mitten auf der Bühne stand der Graf, in ein langes persisches Gewand gehüllt und begleitet von mehreren Bedienten, die verschiedene Geräte und eigentümlich geformte Gefäße trugen. Er hatte das Aussehen eines rüstigen Fünfzigers. Nachdem er die Gegenstände aufgestellt und geordnet hatte, schickte er die Dienstboten fort und begann mit tiefer, monotoner Stimme:
»Ich begrüße euch mit dem Spruch der Weisen, mit dem Gruß der Magier, mit dem Abrakadabra des unsterblichen Serenus Sammonicus!«
Es trat eine atemlose Pause ein, während der er sein Auge über die Versammlung gleiten ließ, um die Anwesenden zu erkennen. Wegen des im Saal herrschenden Halbdunkels gelang ihm dies nur unvollständig. Dann fuhr er fort:
»Wer in die Geheimnisse des Artechius und Sandivaye eingeweiht ist, wer die Theorie der planetarischen Stunden und die Talismane des Polyphilos und des Grafen von Trier kennt, der mag seinen Genius ersuchen, mit mir zum Merkur, vom Merkur zum Mond, vom Mond zum Jupiter und vom Jupiter zur Sonne zu gehen. Es ist dies der magische Kreis des Zoroaster Zarathustra, den die Wissenden Zendascht nennen; er überspringt den Saturn und den Mars, und ich zeichne ihn mit schwarzen Charakteren hier auf diese weiße Tafel.«
Er nahm einen schwarzen Kreidestift und schrieb einige, allen unverständliche Hieroglyphen auf die bezeichnete Tafel, dann wandte er sich wieder an die Versammlung:
»Ich begrüße euch nochmals im Namen der Genien des Agrippa und umschließe euch mit dem heiligen Fünfeck des großen Salomo, dessen Kunst, den Tod zu bezwingen, ich heute von neuem erfunden habe. Er mag erscheinen, um mir zu bezeugen, daß sein Geist eins ist mit dem meinen. Man lösche die Lichter aus!«
Es geschah, wie er befohlen hatte.
»Camera obscura!« meinte van Holmen geringschätzend. »Der Blitz vorhin war Kolophonium mit Bärlappsamen. O sancta simplicitas!«
Der Schatten verschwand, und nun brannte St. Germain die Kerzen eines dreiarmigen Leuchters an, der die Bühne hell erleuchtete. Dann begann er von neuem:
»Jetzt steigt hernieder, ihr Engel aus Süd und Nord, aus Ost und West; steigt herauf, ihr Geister des Feuers und der Erde! Dem Meister der geheimen Künste ist die Macht gegeben über Fels und Stein, über alle Erden und Metalle.«
Er nahm eine Platte vom Tisch und reichte sie vom Podium herab.
»Überzeugt euch, ihr Hörer des großen Meisters der Gnomen, daß diese Platte von Silber ist!«
Die Platte ging aus einer Hand in die andere, wurde als Silber erkannt und ihm dann zurückgegeben. Er nahm eine Phiole und hielt sie empor.
»Dieses Pulver hat fünf Jahre lang über dem geheiligten Feuer gekocht; es enthält die Allmacht, die Steine und Luft in Diamanten verwandelt; es wird diese silberne Platte augenblicklich in Gold verwandeln.«
Er trat seitwärts, hielt die Platte so, daß die Lichtflammen zwischen sie und die Augen der Anwesenden kam, und schüttete ein wenig von dem Pulver aus.
»Wie klug!« meinte van Holmen. »Das Licht blendet uns; ein Tausch ist leicht vorzunehmen.«
Der Graf von St. Germain trat wieder vor und gab die Platte herab.
»Überzeugt euch, ihr Staunenden, daß sich das Silber in Gold verwandelt hat! Der Wirt dieses hochbegnadeten Hauses behalte sie!«
Das Gold erregte das Staunen aller Versammelten mit Ausnahme der Personen, die mißtrauisch im Vordergrund saßen. Die Tafel kam schließlich in die Hände des Marschalls, der sie behielt. Jetzt stellte der Graf mehrere Dreifüße auf, unter denen er Spiritusflammen entfachte.
»Jetzt naht der große Augenblick, an dem die ganze Ewigkeit in einem Tropfen Wasser gebannt wird. Man hole die Zutaten!«
Ein Diener brachte auf einem Teller mehrere Phiolen herbei; ferner trug er eine Pistole, die der Graf jedoch zurückwies.
»Was soll die Waffe?« fragte Paranow.
»Er will den Diener auf sich schießen lassen und dabei beweisen, daß das Aqua benedetta unverwundbar macht«, entgegnete der Marschall. »Er muß sich doch wenigstens in dieser Sache sicher wissen.«
»Ist der Diener, der die Phiolen brachte, ein Vertrauter des Grafen?«
»Nein. Ich habe ihn vorhin aufs Geratewohl zur Bedienung des Grafen, der sich einen Bediensteten erbat, befohlen.«
»Ist der Raum, in dem er sich befindet, von der Bühne aus zu überblicken?«
»Nein; er ist mit ihr durch eine schmale, jetzt geöffnete Tür verbunden.«
»Und wie gelangt man hin?«
»Durch die hintere Tür des Seitenflurs.«
»Ich danke.«
Er erhob sich und verließ leise den Saal. Die weichen Decken des Ganges dämpften seinen Schritt. Als er die bezeichnete Tür leise öffnete, fand er das kleine Zimmer leer. Der Diener befand sich jedenfalls zu irgendeiner Handreichung draußen auf der Bühne. Paranow sah zwei Tische stehen; der eine war leer, und auf dem anderen war die Pistole, eine Kugel und Pulver neben ihr. Mit zwei raschen, leisen Schritten stand er dort und hatte die Kugel mit der vertauscht, die solang auf dem Herzen des Barons getragen worden war; sie paßte allem Anschein nach ganz gut in den jetzt ungeladenen Lauf. Im nächsten Augenblick stand er wieder auf dem Flur und kehrte in den Saal zurück. Er war sich dessen vollständig bewußt, was er getan hatte, aber dem wilden Kroaten war in seinem kampfes- und tatenreichen Leben jene zarte Bedenklichkeit verlorengegangen, die einen anderen abgehalten hätte, das gleiche zu wagen.
»Wo waren Sie?« fragte Langenau, als er wieder Platz nahm.
»Sie werden es erfahren«, antwortete jener kurz und wandte seinen Blick auf die Bühne zu.
Es brodelte und zischte über den Flammen; der Graf trat von einer zur anderen, und der Diener harrte hinter ihm seiner Befehle. Endlich schien das Werk gelungen zu sein. Er vereinigte die Flüssigkeiten in ein Fläschchen und verlöschte die Flammen. Dann ließ er aus dem Fläschchen einen Tropfen in einen mit Wasser gefüllten goldenen Löffel fallen und erhob diesen.
»Heil dieser Stunde und Heil diesem Haus! Hier dieses Glas enthält das neue Aqua benedetta, die herrliche Kostbarkeit, von dem es genügt, alle Jahrhunderte einen einzigen Tropfen zu nehmen, um unsterblich, ewig gesund und unverwundbar zu sein. Der erste Tropfen gehört dem Erfinder.«
Er führte den Löffel zum Munde und sog den Trank langsam ein. Dann fuhr er fort:
»Der zweite Tropfen wird den Mann, bei dem wir uns befinden und der die heilige Wissenschaft durch so großmütige Opfer unterstützte, bei ewiger Jugend erhalten. Vorher aber muß ich beweisen, daß der einzige Tropfen mich wirklich gegen den Tod und jede Verwundung schützt, obgleich er erst in diesem Augenblick in meinen Körper übergegangen ist.«
Er winkte dem Diener, der die Pistole mit Zubehör herbeibrachte. Der Graf wies ihn an das Publikum. »Man untersuche Pulver, Blei und Waffe, um sich zu überzeugen, daß keine Täuschung obwalte!«
Die Prüfung wurde bald beendet; dann mußte der Diener vor den Augen aller die Waffe sorgfältig laden. Der Graf stellte ihn an die eine Seite der Bühne, er selbst lehnte sich an die gegenüberliegende Wand:
»Eins – zwei – – –«
»Halt!« rief da mit lauter Stimme Paranow, indem er auf die Bühne zuschritt. »Auf ein Wort, Herr Graf von St. Germain!«
Der Graf erkannte den Kroaten und erbleichte. »Prinz Paranow!«
»Ganz recht! Kennen Sie diesen Stein?« Er zog den Diamanten hervor.
»Ja.«
»Er ist von Ihnen?«
»Ist er echt?«
»Ja.«
»So sind Sie bereit, ihn für fünftausend Dukaten wieder zurückzunehmen?«
»Ich kaufe keine Steine!«
»Auch nicht, wenn ich Sie fordere?«
»Ich kann keine Forderung annehmen, denn ich bin unverwundbar!« entgegnete er stolz.
»Nun wohl, dann List gegen Betrug, wenn Brust gegen Brust nicht angenommen wird!«
Er trat zurück. Der Graf schien durch diesen Zwischenfall nicht im mindesten aus der Fassung gebracht worden zu sein; er wandte sich zum Diener und zählte von neuem:
»Eins – zwei – – drei!«
Der Schuß krachte; der Graf warf die Arme in die Luft und griff krampfhaft nach der Schnur, die zum Heben und Senken des Vorhangs diente. Ein einziger, vielstimmiger Schreckensruf erschallte; dann sank der Vorhang nieder.
»Folgt mir!« gebot Paranow und eilte nach der Tür und über den Flur nach der Bühne, hinter ihm der Marschall, Langenau und van Holmen.
Der Diener stand bleich und ratlos vor St. Germain, der bewußtlos an der Erde lag, umgeben von einer Lache dampfenden Bluts. Van Holmen kniete vor dem Verwundeten nieder, um ihn zu untersuchen.
»Verloren«, entschied er. »Er wird nur erwachen, um zu sterben.«
»Untersuchen Sie diese Kugel!« bat Paranow.
Der Chemiker betrachtete sie genau und erhob sich dann ganz erschrocken.
»Ach, jetzt ahne ich! Diese Kugel besteht aus Quecksilber mit einer Galmei-Mischung; sie sieht aus wie von Blei, wird sich aber beim Schuß doch hart vor dem Lauf zerteilen und unschädlich zur Erde fallen. Prinz, Sie waren hier und haben sie mit der vertauscht, die Ihnen der Herr Baron geben mußte?«
»So ist es!«
Diese einfache und ruhige Antwort versetzte die anderen in Entsetzen, doch der Prinz wehrte diesen Vorwurf mit einer gebieterischen Handbewegung ab.
»Ruhig, meine Herren! Dieser König der Betrüger und Schwindler hat mehr verdient als einen so plötzlichen, schmerzlosen Tod. Tausende fluchen ihm, der hundertmal der gerechten Strafe entging, weil man hohe Herren nicht bloßstellen wollte, während ein armer Schlucker um eines Vergehens willen, zu dem ihn der Hunger treibt, gehenkt wird oder im Kerker schmachten muß. Wir sind gerächt, meine Herren, und tiefes Dunkel mag diese Szene decken!«
»Aber die Versammlung da draußen!« stöhnte der Marschall.
»Mag an eine Ohnmacht glauben. Selbst wenn man unverwundbar ist, muß die anprallende Kugel eine Quetschung hervorbringen, an der man einige Zeit zu schaffen hat.«
Van Holmen hatte unterdessen Umschau gehalten. Er bückte sich und hob eine Papierrolle empor, um daran zu riechen.
»Hierin steckte der Blitz«, sagte er. »Und sehen Sie hier hinter der geöffneten Tür die Kamera! Sie mußten sie bedienen? Nicht?« wandte er sich an den Diener, der verlegen nickte. »Und hier liegt hinter dem Armleuchter die Silberplatte, die er in Gold verwandelt zu haben vortäuschte! Es ist Ihr Geld, Herr –«
»Marschall«, wollte er sagen; dieser aber war verschwunden. Er hatte sich jedenfalls nach dem Saal begeben, um seine Gäste zu beruhigen und sich ihrer zu entledigen.
Jetzt bewegte sich der Graf. Unter krampfhaftem Zucken der Gesichtsmuskeln öffnete er die Augen und
richtete sie starr auf die Umstehenden. Nach und nach kehrte Bewußtsein in den Blick zurück; er wandte das Auge von einem zum anderen und flüsterte:
»Paranow – – Langenau – – Holmen – – oh, Aqua – – bene – – detta!«
Van Holmen bog sich zu ihm nieder und sprach: »Sie haben das Edelste, die Wissenschaft, zum Gemeinsten benutzt, dessen der Mensch fähig ist, zum Betrug; daher erfüllt sich das, was ich Ihnen einst im Haag weissagte: Ihr Aqua benedetta ist für Sie zum Aqua maledetta Teufelswasser geworden. Wollen Sie einen Priester?«
Der Verwundete hatte jetzt die Besinnung vollständig wiedererlangt.
»Betrug –« flüsterte er; »verloren – – tot – – oh, Aqua – – male – – detta – – –!«
Ein Blutstrom quoll ihm aus Nase und Mund. Er bäumte sich empor und sank dann zurück; der Tod hatte die kalten Arme um ihn gelegt, um ihm zu beweisen, daß seiner nicht zu spotten sei.
*
Am anderen Tag erzählte man sich in Eckernförde, der Graf von St. Germain sei leicht erkrankt, weil eine Kugel von seinem Körper abgeprallt sei. Später hörte man, daß er die Stadt verlassen habe, um eine Reise um die Erde anzutreten. Seine Anhänger und Bewunderer warteten lange auf ein Lebenszeichen von ihm; es gibt Leute, die noch heute an sein Aqua benedetta glauben. Er ist bis jetzt nicht von seiner Reise zurückgekehrt. –