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»Ei ku guli dichaze,
istiriyahn ssi lahzime bechaze!«
Wenn ein Schriftsteller von seinen Lesern aufgefordert wird, »doch auch einmal etwas über sich selber zu schreiben«, so geht er nur mit Zittern und Zagen an die Erfüllung dieses Wunsches; denn er stürzt sich dabei kopfüber in die unvermeidliche Gefahr, ein Abu el Botlahn »Vater der Eitelkeit« oder Dschidd el Intifahch »Großvater des Eigendünkels«, wie der Araber sich auszudrücken pflegt, genannt zu werden.
Daß ich indes kein Abu el Botlahn, sondern im Gegenteil ein bescheidener, im übrigen allerdings höchst beneidenswerter Schriftsteller bin, davon werde ich den Leser mit Leichtigkeit überzeugen; ich lasse einfach die Tatsachen sprechen, indem ich einen Tag, allerdings einen der schwierigsten aus dem laufenden Jahr (1896) schildere.
Es ist Mittwoch morgen sieben Uhr. Mein Verleger Fehsenfeld bestürmt mich aus Freiburg i. Br. mit Briefen und drahtlichen Mahnungen um neue Arbeiten. Deshalb habe ich seit drei Uhr vorgestern nachmittag vierzig Stunden lang am Schreibtisch gesessen und kann, auch wenn ich nicht gestört werde, vor abends acht Uhr nicht fertig werden. Die Nacht, oft zwei, drei Nächte hintereinander, ist überhaupt meine Arbeitszeit, da ich am Tag nur selten schreiben kann, der vielen Besucher wegen, die täglich kommen, um »ihren« Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi Effendi persönlich kennenzulernen. Es ist auch ganz gut, daß sie am Tag erscheinen, denn bei Nacht habe ich zu arbeiten, sie aber haben zu schlafen, während es mir gar nichts ausmacht, wenn ich gelegentlich vierzehn Tage lang nicht zum Ausschlafen komme. Wozu ist man denn ein abgehärteter Westmann?
Es klingelt unten am Eingang, und trotz der frühen Stunde wird mir ein Gymnasiast gemeldet, der so zeitig aus Dresden gekommen ist, um mich sicher zu treffen. Beim Eintritt in mein Arbeitszimmer erblickt er den mächtigen »Abu er Rad« im Hintergrund, läßt vor Schreck die Tür offenstehen, macht dann einen Sprung vorwärts und stürzt mit dem Ruf »Dunner unds Messer, das ist ja ein Löwe, ein richtiger und wirklicher Löwe!« auf das ausgestopfte Raubtier zu, wobei er aber am Kopf des Grislybären hängenbleibt. »Allerdings«, bestätige ich lächelnd. Das macht ihn darauf aufmerksam, daß ich auch da bin, und er wendet sich mir mit einer Verbeugung aus der Obersekunda zu, um mir den Zweck seines Besuches zu erklären. Er will nämlich folgendes von mir erbitten: eine Locke von Winnetou, ein Straußenei, ein Viertelpfund von dem echten Dschebelitabak, den ich in meinen Werken so gepriesen habe, und meinen Henrystutzen. Auf meinen Bärentöter wollte er verzichten, weil er ihn wegen seiner Schwere nicht gebrauchen könne. Ich machte ihm höflich begreiflich, daß ich einige seiner Bitten nicht erfüllen könne, erlaube ihm aber, sich einen Tschibuk mit Dschebeli zu stopfen, und während er, auf dem Diwan sitzend, ihn mit der Miene eines Pascha von zwanzig Roßschweifen raucht, versuche ich, weiterzuschreiben, komme aber vor den hundert Fragen, die ich ihm beantworten muß, nicht dazu. Zu meiner Freude bittet er mich, meinen Garten und besonders »das künstliche Gehege« mit dem chinesischen Gartenhäuschen ansehen zu dürfen. Ich gestatte es; er geht mit einer rätselhaften Verbeugung zur noch immer offenen Tür hinaus, wirft sie mit Riesenkraft ins Schloß, und ich kann wieder weiterschreiben.
Es klingelt abermals. Man bringt mir eine Drahtnachricht folgenden Inhalts: »Heute mittag zwölf Uhr Hotel Europäischer Hof, Dresden – – Herbig.« Weil das Telegramm aus Leipzig kommt und Fehsenfelds dortiger Kommissionär Herbig heißt, nehme ich mir vor, nach Dresden zu fahren, obgleich es mich befremdet, daß dieser Herr, anstatt mich in Radebeul aufzusuchen, mir meine kostbare Zeit verkürzt.
Acht Uhr! Die erste Post wird abgegeben; dreißig Briefe von Lesern, darunter zehn mit zusammen zwei Mark Strafporto. Bald darauf bringt der Postwagen drei Pakete und ein Kistchen. Das Kistchen enthält zwei Flaschen Wein, die mir ein von meinen Werken entzückter Franzose schickt. Ich prüfe die Aufschrift, nach dem ich zwei Mark fünfundneunzig Pfennig für unterlassene Freimachung und Verzollung bezahlt habe. Als Kenner wittere ich, daß es ein Landwein für einen Frank die Flasche ist. Ich bin natürlich, wie mir der Leser wohl nachfühlen wird, von diesem Werk des Absenders nicht so entzückt, wie er von dem meinigen, fühlte mich aber verpflichtet, ihm einen mit zwanzig Pfennig freigemachten Dankesbrief zu schreiben. Zwei Pakete enthalten Manuskripte jener Art Schriftsteller, die keinen Verleger finden; ich soll sie verbessern und dann an Schriftleitungen senden, die gut bezahlen. Das dritte Paket enthält eine Schachtel, in der sich ein länglicher eingewickelter Gegenstand befindet, und als ich die Umhüllung löse, entpuppt sich der Inhalt zu meinem Staunen als ein aus Pappe gefertigter winziger schwarzer – – Sarg. Was soll das bedeuten? Und was ist darin enthalten? Ich denke an die zahlreichen Feinde, denen ich gegenübertreten mußte und die mich sicher vernichten würden, wenn das in ihrer Macht stünde. Bedeutete der Sarg vielleicht eine derartige Kampfansage, wie sie bei gut ausgebauten Verbrechergesellschaften nicht selten üblich sind? Oder war vielleicht gar eine der Höllenmaschinen darin verborgen, die neuestens aufgetaucht sind? Bedenklich betrachte ich eine Weile den verfänglichen Gegenstand, bis ich mich endlich entschließe, den Sarg zu öffnen – allerdings unter Anwendung aller nur erdenklichen Vorsichtsmaßregeln. Im Sarg liegt – ich atme überaus erleichtert auf – eine rote verwelkte Rose und ein Brief, der mich über das sonderbare Geschenk aufklärt. Ihre Liebesentsagung hatte die Absenderin in sinnbildlicher Weise zum Ausdruck gebracht.
In den bis vor kurzem geschriebenen Werken, deren Geschehnisse in eine verhältnismäßig frühe Zeit fallen, hatte sich der Leser, wie aus mancherlei Bemerkungen hervorgeht, den furchtbaren Krieger Old Shatterhand – Kara Ben Nemsi zugleich auch als unnahbaren Junggesellen zu denken. Die Folge war, daß sich zahlreiche meiner Leserinnen so ausgiebig und nachhaltig mit diesem ihr Mitleid erregenden Gedanken beschäftigten, daß sie alle Angst vor dem furchtbaren Krieger vergaßen und ihn mit einem Haufen verblümter und unverblümter – – – Heiratsanträge überschütteten. Die Menge dieser sicherlich äußerst gutgemeinten, im übrigen aber höchst überflüssigen Anträge häufte sich in so beunruhigender Weise, daß sie dem oben genannten furchtbaren Krieger allmählich auf die Nerven gingen, nicht nur seiner ihm schon seit Jahren angetrauten Ehegattin. Er setzte sich also hin und schrieb eine neue Reiseerzählung Siehe Gesammelte Werke, Band 27, »Bei den Trümmern von Babylon«, in der er geschickt die Neuigkeit unterbrachte, daß die Stimme seines Herzens schon gesprochen habe, wodurch er nicht nur seinen Hadschi Halef, sondern auch seine Leserwelt, besonders jenen Teil, der es auf seine Person abgesehen hatte, in maßloses Staunen versetzte. Ich erreichte denn auch damit, was ich bezweckte – die Heiratsanträge und Liebesbriefe blieben aus. Höchstens daß manchmal noch, wie heute, wo es sich offenbar um ein Herz handelt, das nicht vergessen konnte, ein Hauch schmerzlicher Entsagung durch mein Zimmer weht.
Ich unterdrücke tapfer eine aufsteigende wehmutsvolle Träne und greife nach den eingelaufenen Briefen. Der erste enthält den humorvollen Erguß eines edlen Musensohnes:
»Lieber Old Shatterhand,
ich bin ganz abgebrannt;
lös' ich den Ehrenschein
nicht in fünf Tagen ein,
muß ich Schmul Veit verführn,
ihn mir zu prolongiern.
Ungefähr achtzig Mark
macht nur der ganze Quark.
Schick' sie mir mit Verstand
F.G.R poste restant'!«
Der Fassung dieser Zeilen nach vermute ich, daß mich der Bittsteller persönlich kennt; auch seine Handschrift kommt mir bekannt vor. Ich suche und finde dieselbe Schrift auf dem noch nicht eingelösten Schuldschein, den mir der Sohn eines Freundes als Primaner ausgestellt hatte. Er war ein leichtlebiger, aber sonst braver junger Mann und wollte sich damals dem reichen Vater nicht entdecken. Ich nehme mir vor, dies jetzt an seiner Stelle zu tun, und will auch gleich den Erfolg meines Vermittlungsversuches berichten. Der Vater bezahlte mich und die neuen Schulden, und ich erhielt nach einigen Tagen folgende Epistel:
»Mein lieber Shatterhand,
Du warst bisher bekannt
mir als verschwiegner Mann,
dem man vertrauen kann.
Doch dieser Illusion
spricht Dein Verhalten Hohn,
denn Du hast mich zwar heut
von dem Schmul Veit befreit,
jedoch auf eine Art,
die nicht korrekt und zart.
Dich, der nicht schweigen kann,
pump' ich nie wieder an!«
Man sieht, seine Reime besitzen ganz dieselbe Eigenschaft, wie er selbst: sie sind nicht ganz schlecht, und ich will zur allgemeinen Beruhigung hinzufügen, daß er mich trotz seines fürchterlichen Racheschwurs doch wieder angepumpt hat.
»Da wir aber«, so lautet der Inhalt eines anderen Briefes, »nicht die Mittel besitzen, ihn aufs Gymnasium zu tun, bin ich mit meiner Frau übereingekommen, Ihnen folgenden Vorschlag zu machen: Sie nehmen unseren Emil ganz zu sich, in Wohnung, Kost, Wäsche und Kleidung, geben ihm Unterricht in allem, was man auf dem Gymnasium lernt, ganz besonders aber in allen Sprachen, die Sie selbst können, und wenn er dann nach vier Jahren neunzehn Jahre alt geworden ist, so dürfen Sie ihn dafür drei Jahre lang als Ihren Begleiter umsonst mit auf Reisen nehmen.« Als ich den Brief zu Ende gelesen habe, weiß ich vor Freude kaum zu fassen. Ich bin entzückt, ja begeistert über diesen Vorschlag und die glänzenden Aussichten, die sich mir für die nächsten Jahre bieten. Ich springe vom Stuhl auf und renne wie toll vor Freude im Zimmer umher. Als sich mein Jubel ein wenig gelegt hat, nehme ich einen Briefbogen zur Hand: »Mein lieber, sehr verehrter Herr! Schicken Sie mir Ihren Jungen sofort! Ich werde ihn mit offenen Armen – – –« Da kommt mir ein Gedanke. Halt! Nicht so schnell! Was wird mein Hadschi Halef zu dem neuen Reisebegleiter sagen? Ist es so gewiß, daß er meine Begeisterung teilen wird? Hm! Er wird leicht eifersüchtig! Und ich könnte es für immer mit ihm verderben, wenn er es so auslegen würde, als genüge mir seine Gesellschaft nicht mehr. Es wird also doch wohl besser sein, wenn ich vorerst noch nicht antworte und ich in meinem nächsten Brief an meinen Halef vorsichtig auf den Gegenstand zu sprechen komme. Es ist besser, ihm die Entscheidung zu überlassen.
Ein anderer Brief lautet: »– – Wie gesagt, es genügen zu dieser Vergrößerung meines Geschäftes dreitausend Mark, die bei Ihnen nichts ausmachen, mich aber, Ihren größten Verehrer und Bewunderer, glücklich machen würden, falls ich sie bald bekäme.« Ich finde, daß der Mann nicht unbescheiden ist, bin aber augenblicklich leider nicht in der Lage, seine Bitte zu erfüllen. Aber der Mann muß zu dem Geld kommen! Was tun? Ich besinne mich nicht lang, sondern versehe den Brief des Bittstellers, der der edlen Bäckergilde angehört, mit dem Vermerk: »Für Lord Raffley!« Meinem reichen Freund wird es geradezu eine Wonne sein, meinem Verehrer und dadurch auch mir diesen kleinen Gefallen zu erweisen. So machte ich es immer, wenn ich selber nicht die Mittel habe, um Bitten um Geld zu befriedigen. Die Briefe wandern abwechslungsweise zu Lord Raffley, Sir David Lindsay und Emery Bothwell, die sich jedesmal ein Vergnügen daraus machen, für mich in den Beutel greifen zu dürfen. Der gute Bäcker muß allerdings einige Zeit warten, bis von Raffley die Antwort und das Geld kommt, aber ich kann das leider nicht ändern.
So ackere ich mich langsam und mühevoll durch die dreißig Briefe hindurch. Einer enthält auch ein Angebot: »Ich habe von meinen Eltern und Großeltern eine reichhaltige Sammlung von alten Kalendern, Bibeln, Erbauungsschriften usw. geerbt. Da ich dafür keine Verwendung habe, biete ich sie Ihnen zum Kauf an, da Sie zweifelsohne die Sachen brauchen können. Ich verlange die runde Summe von tausend Mark, was Sie sicher billig finden werden.« Ich finde diese Summe allerdings sowohl rund als billig, bin aber trotzdem augenblicklich in Verlegenheit, was mit den Sachen anfangen. Doch da fällt mir mein Freund Lindsay ein, von dem ich ja noch von früher her weiß, daß er ein Liebhaber von »Altertümern« ist. Allerdings ist mir nicht bekannt, daß er alte Kalender sammelt, aber man könnte ja den Versuch machen. Ich lege also den Brief für meinen Freund beiseite, der sich gegenwärtig auf einer Entdeckungsreise in Australien befindet, wo, weiß ich nicht; aber die Sache wird nicht so eilen.
Ein anderer Leser, der aber merkwürdigerweise eine Leserin ist, scheint eine besondere Teilnahme für meine Gepflogenheiten zu hegen: »Wie ist die Farbe Ihres Haares und Ihres Bartes? Was für einen Bart tragen Sie überhaupt? Welche Augen haben Sie? Singen Sie Tenor, Bariton oder Baß? Von welcher Gestalt sind Sie? Wieviel Kilo wiegen Sie? Rauchen Sie? Spielen Sie Billard, Schach, Skat? Sind Sie musikalisch? Welches ist Ihr Lieblingstanz? Wie gehen Sie am liebsten gekleidet, dunkel oder hell? Welches ist Ihre Leibspeise, Ihr Leibgetränk? Was ziehen Sie vor, die Oper oder das Drama? Schlafen Sie lange? Welcher Klasse fahren Sie?«
Ich nehme einen Briefbogen zur Hand und schreibe:
»Ich trage Schnurrbart und Fliege; beide waren, wie auch das Kopfhaar, sehr dunkelblond; jetzt beginnt eine zwar ehrwürdige, mir aber ›gräuliche‹ Färbung überhandzunehmen, denn ich zähle sechsundfünfzig Lenze, sehe aber zehn Jahre jünger aus. Meine Augen sind graublau. Ich singe ersten und auch zweiten Baß, je nachdem, wohin mich der Herr Direktor stellt. Meine Gestalt ist schlank: ich bin 170 Zentimeter hoch und wiege fünfundsiebzig Kilo. Ich rauche gern und spiele alles, finde aber keinen Genuß dabei. Auch bin ich musikalisch und blase und streiche die meisten Instrumente, keines aber mir zur Genüge. Ich tanze alle Tänze, doch mir, wenn ich muß; lieber bin ich Mauerblümchen. Dunkelblau ist in Beziehung auf meinen Anzug meine Lieblingsfarbe. Frack und Zylinder können mich zur Verzweiflung bringen. Die Handschuhe sind bei mir stets zu finden, nämlich in der Tasche. Den Regenschirm nehme ich bei verdächtigem Wetter zwar mit, lasse ihn aber nicht naß werden. Jetzt liegt er in Regensburg, und ich wohne in Radebeul bei Dresden. Meine Lieblingsspeise ist Brathuhn mit Reis, mein liebstes Getränk Magermilch. Ich gedenke jetzt selber eine Oper zu vertonen, stelle aber ein gutes Drama gleich hoch. Ich schlafe sehr wenig und fahre zweiter Klasse.«
Trotz dieser ausführlichen Auskunft hat die wißbegierige und schreiblustige Dame postwendend nach weiteren Einzelheiten gefragt.
Aber der letzte Brief setzt mich wirklich in Verlegenheit. »– – Wir benötigen dringend eine neue Kirche, da sich die bisherige längst als zu klein erweist. Es fehlen uns aber noch vierzigtausend Mark, die Sie uns sicher zur Verfügung stellen werden. Die Gemeinde kann das Geld nicht aufbringen; sie ist zu arm.« Hm! vierzigtausend Mark. Das ist ein wenig viel, und ich bin im Zweifel, ob mein Einkommen in diesem Jahr ausreichen wird, um den fehlenden Betrag zu decken. Das ist mißlich! Und ich weiß auch nicht, ob ich mich mit einer so großen Summe an meine reichen englischen Freunde wenden darf. Was tun? Die Gemeinde muß selbstverständlich ihre Kirche haben! Ich verfalle in tiefes Nachdenken – – – Heureka! Ich hab's! In der nächsten Zeit muß ich ohnehin nach Amerika hinüber, wo ich mich seit dem Tod Winnetous selten habe sehen lassen. Und dort drüben im Felsengebirge weiß ich genug Löcher, in die ich nur die Hand zu stecken habe, um sie mit Nuggets gefüllt wieder herauszuziehen. Ja, so wird's gemacht, und damit ist beiden geholfen, meinen Apatschen, die nach mir Sehnsucht haben, und der Gemeinde, die nur durch mich zu einer Kirche kommen kann.
Ich bin mit der Durchsicht der Briefe fertig und mache mich mit Feuereifer wieder über meine Arbeit her. Eine halbe Seite habe ich geschrieben, da höre ich auf der Straße wiederholt meinen Namen nennen. Ich trete auf den Balkon und blicke, hinter Blumenranken versteckt, hinab. Da stehen vier junge Burschen, nehmen die Villa in liebreichen Augenschein und werfen sich ihre leise sein sollenden, aber sehr vernehmbar ausfallenden Bemerkungen zu:
»Es ist richtig, ganz richtig! Mer ham uns nich verloofen! Siehste denn nich die großen goldenen Buchschtaben da droben, du Dummkopp, du? Das heeßt ›Villa Schschschatterhand‹. Mer sin also an Ort und Schtelle! Jetzt kannste klingeln!«
»Nee, ich nich!«
»Warum denn nich?«
»Ich fürcht mich so!«
»Unsinn! Er wird dich nich beißen! Hast's doch gelesen, was für een guter Kerl er is!«
»Wenn er aber grad heut schlechte Laune hat –!«
»Warum denn grad heute? Klingele nur; drück nur immer offn Knopp! Du wirscht gleich sehn, daß das elektrisch is!«
»Nee, ich drücke nich!«
»Na, da drück du, August!«
»Ich ooch nich! Höre, wenn er böse wird! Mer wolln lieber wieder heemegehn!«
»Emil, du?«
»Nee, ich hab ooch solche Angst!«
»Na, wißt ihr, was mer machen? Mer losen, und wen's trifft, der drückt offn Knopp, aber feste, daß mer's ooch hört!«
Sie losen mit Streichhölzern, und dann schieben sie den Betreffenden an den »Knopp«. Die Glocke tönt, und sie fahren erschrocken auseinander. Ich trete ins Zimmer zurück, und bald werden mir die vier angemeldet. Es sind chemische Arbeiter. Ihr Brotherr feiert heute seinen Geburtstag; da wird nicht geschafft, und die dadurch hervorgerufene feierliche frohe Stimmung hat ihnen den Mut gemacht, den Verfasser ihrer Lieblingsbücher aufzusuchen. Ich lasse sie natürlich kommen. Sie stellen sich wie Orgelpfeifen nebeneinander an der Tür auf, starren mit weit offenen Augen meine Sammlung ausländischer Gegenstände an und wagen vor Angst nicht zu sprechen. Meine Freundlichkeit verfehlt aber ihre Wirkung nicht, und bald erklärt mir der Beherzteste von ihnen:
»Eegentlich sin wir viere als Abordnung abgeschickt. Sie werdn nämlich von der ganzen Fabrik gelesen, wenn ooch bloß nur aus der Leihbücherei. Aber mer ham Sie alle liebgewonnen, und ooch die Großen halten sich lieber Ihre Bücher, als daß sie ins Wirtshaus gehen.«
Ich zeige ihnen alles Sehenswerte, beglücke sie mit einem Glas Wein, weil Geburtstag ist, und entlasse sie mit einem Gruß an den Brotherrn und ihre Mitarbeiter. Sie gehen stolz wie Spanier ab, und als sich unten das Tor hinter ihnen geschlossen hat, höre ich die Urteile, die sie über mich fällen:
»Na, is er nich ganz gemütlich gewesen? Gradso wie unsereener! Schtolz scheint er nich zu sein, gar nich!«
»Nee, er hat grad so mit uns geredet, als ob mer ooch mit in Amerika und in Ägypten gewesen wären. Er hat mir sehr gefallen, sehr; das muß ich sagen!«
»Und die vielen großartigen Sachen, die er hat, Allabonnöhr! Es ist mir ganz angst und bange geworden, als mich der wilde Büffel so anguckte, und der Koyote und der Leopard! Und der Löwe erscht! Und sogar Wein ham mer gekriegt! Na, kommt, mer wolln machen, daß mer heeme kommen und erzählen können, sonst vergessen mer alles wieder! Die andern wern sich aber ärgern, daß sie nich ooch mitgewesen sin. So ist es aber, wenn mer keenen Mut besitzt; nu ham se nischt gesehn!«
Nachdem sie fort sind, begebe ich mich von neuem an meine Arbeit, in der angenehmen Hoffnung, nun bis zum Abend nicht mehr gestört zu werden, und ich bin gerade daran, in guten Fluß zu kommen, da klingelt es schon wieder. Das geht mich nichts an, und doch lege ich die Feder weg, um zu horchen. Ein lebhafter Wortwechsel klingt vom Tor zu mir herauf. Ich höre jemand, der nicht hereingelassen werden soll, von »Wichtigkeit« und »Unaufschiebbarkeit« sprechen, und dann bringt mir das Mädchen eine Karte. Der Herr sei nicht abzuweisen; er wolle mich unbedingt sprechen, da die Sache heute erledigt werden müsse. Der Einlaßbegehrende ist auf seiner Karte als Gerichtssekretär bezeichnet, und für die Behörde muß man jederzeit verfügbar sein; ich lasse ihn also zu mir herein.
Er tritt in sehr höflicher Weise ein; ich biete ihm einen Stuhl und bemerke bei dieser Gelegenheit, daß seine Stiefel etwas offenherzig sind und seine übrige Körperbedeckung sich in einem außergerichtlich-fadenscheinigen Zustand befindet. Auch riecht man deutlich den Fusel, dem er schon zu früher Morgenstunde gehuldigt hat.
Der Aufforderung, die in meinem Blick liegen mag, kommt er mit außerordentlicher Zungenfertigkeit nach, indem er mir erzählt, die »Liebe zur Feder« habe ihn veranlaßt, auf seine vielverheißende gerichtliche Laufbahn zu verzichten und Journalist zu werden. Sein innerer, unwiderstehlicher Drang bestimme ihn zur Kritik, und so sei er für dieses Fach Mitarbeiter der bedeutendsten deutschen Zeitungen geworden. Leider werde aber gerade die Kritik unter aller Kritik bezahlt, auch sei es ganz unvermeidlich dabei, sich einflußreiche Feinde zu erwerben; diese beiden Umstände, vereint mit dem dritten, daß gerade das Genie am meisten verkannt und am meisten verfolgt werde, haben ihn nach und nach um alle Stellungen gebracht und mit Verlaub zu melden, ein so großes Loch in seinen Beutel gebohrt, daß vor einigen Tagen der letzte seiner Pfennige hindurchgeschlüpft sei. Er befinde sich auf der Reise von Berlin nach Wien, und seine Frau sitze mit zwei Kindern im Gasthof zu Dresden, von den Kellnern bewacht, weil eine dreitägige Rechnung zu bezahlen sei. Ein Rundgang bei den Journalisten Dresdens habe nichts gefruchtet, und nun sei Karl May der einzige Rettungsanker, den es für ihn gebe.
»Wieviel brauchen Sie?« frage ich in der Absicht, die Sache kurz zu machen.
»Rund hundertfünfzig Mark.«
»Das muß ich allerdings auch rund nennen! Sie hatten freilich recht, wenn Sie diese Angelegenheit meinem Mädchen als wichtig und unaufschiebbar bezeichneten; sie ist aber wichtig und unaufschiebbar nur für Sie, während sie es für mich nicht ist. Einem Genie, als das Sie sich bezeichnen, darf ich kein Almosen anbieten, aber ich gebe Ihnen Gelegenheit, die genannte Summe in kürzester Zeit bei mir zu verdienen, indem Sie einen neuen Katalog meiner Bibliothek anfertigen.«
»Katalog?« fragte er erstaunt, »Ich bin Kunstkritiker, aber kein Bibliograph!«
»Das ist im allgemeinen kein Fehler, denn ein Kritiker kann auch einmal das Geschick besitzen, einen brauchbaren Katalog auszuarbeiten.«
»Sie scheinen spöttisch zu werden!«
»Kein Gedanke! Ich bin bereit, Ihnen auf eine anständige Weise, durch die Sie sich nicht erniedrigen, zu helfen; Sie aber scheinen sich über mein Entgegenkommen zu wundern.«
»Dazu bin ich doch berechtigt, denn ich brauche bares Geld, nicht aber Arbeit.«
»Wenn ich Geld brauche, so arbeite ich. Da Sie nicht arbeiten wollen und doch Geld verlangen, so scheinen Sie anzunehmen, daß die Arbeit für den einen, das Geld aber für den anderen sei.«
»Was ich annehme, geht Sie gar nichts an! Ich verzichte auf Ihre Arbeit und auch auf Ihr Geld. Wahrscheinlich haben Sie selber nichts als Schulden. Ein Schriftsteller, der nicht lumpige hundertfünfzig Mark für einen Kollegen übrig hat, der ist in meinen Augen nichts; das merken Sie sich! Servus!«
Er geht mit einer höhnischen, verachtungsvollen Gebärde zur Tür hinaus und hält sich für zu vornehm, sie hinter sich zu schließen. Ich aber bleibe im bedrückenden Gefühl meines »Nichts« zurück. Ein Blick auf die Uhr belehrt mich, daß es höchste Zeit ist, nach Dresden zu fahren, wenn ich Fehsenfelds Kommissionär nicht verfehlen will.
Bevor ich das Haus verlasse, fällt mein Blick in den Garten, wo meine erste Heimsuchung vom heutigen Tag, der Gymnasiast, lustwandelt. Wahrscheinlich aus Rache, weil ich ihm die gewünschte Locke Winnetous nicht verehrte, hat er sich über meine Himbeeren gemacht. Damit die Sträucher nicht ganz leer werden, verabschiede ich ihn schleunigst mit dem Hinweis, er solle nicht sein Mittagessen in Dresden versäumen.
Unterwegs zur Bahn begegnet mir eine Dame in Trauer, die mich nach der Wohnung von Herrn May fragt. Ich beschreibe ihr den Weg, ohne ihr zu sagen, daß ich der Genannte selber bin, denn ich bin überzeugt, daß ich, wenn ich dies täte, den Zug versäumen würde. Am Bahnhof faßt mich ein hiesiger Herr ab, um mich zu fragen, wann ich heute zu sprechen sei; er habe Besuch aus Breslau, einen Herrn und eine Dame, die nicht hier gewesen sein wollen, ohne daheim sagen zu können, daß sie »ihn« gesehen haben; morgen seien sie nicht mehr da. Ich gebe vier Uhr an, denn ich weiß jetzt, daß ich meine Handschrift nun ohnehin nicht bis abends acht Uhr fertigbringe, sondern auch die nächste Nacht daran zu schreiben habe. In Dresden angekommen, fahre ich, um ja nicht verspätet zu kommen, im Wagen nach dem »Europäischen Hof«.
Da der Kommissionär Herbig dort nicht zu sehen ist, muß ich warten und bestelle Wein, weil es hier kein Bier gibt. An einem Tisch frühstücken drei Herren. Nach einiger Zeit gesellt sich ein vierter hinzu, der Herbig genannt wird. Ich gehe hin, nenne meinen Namen und frage ihn, ob er vielleicht heute früh von Leipzig aus an mich gedrahtet habe. Er springt erfreut auf, streckt mir die Hand entgegen und ruft:
»Ja, das habe ich, das habe ich! Ich bin aus Nürnberg, Reisender in Spielwaren. Sie besitzen dort viele Freunde und Leser, und ich bin beauftragt, Sie aufzusuchen, um genau beschreiben zu können, wie Sie eigentlich ausschauen. Geben Sie mir Ihre Hand!«
Ich bin natürlich ebenso erfreut, Herrn Herbig kennenzulernen, wie er, mich anzutreffen, und streckte ihm in wirklich ganz harmloser Art meine Hand entgegen, habe aber kaum die seinige ergriffen, da brüllt er:
»O weh, o weh! Halten Sie ein; lassen Sie mich los! Sie sind nicht gescheit!«
Die Anwesenden sind bei seinem Schmerzensschrei alle aufgesprungen; er hält die Rechte mit der Linken und hüpft von einem Bein auf das andere. Ich bezahle den Wein und gehe, mit mir selbst nicht ganz zufrieden, daß ich ihm die Hand nicht fester gedrückt habe; er hätte da für einige Zeit das Schreiben von Drahtnachrichten, und nicht nur dies allein, unterlassen müssen.
Es ist gegen zwei Uhr, als ich wieder nach Haus komme. Die Dame in Trauer sitzt im Empfangszimmer; sie will mich unbedingt sprechen und hat sich durch nichts bewegen lassen, fortzugehen, selbst nicht durch die Erklärung meiner Frau, daß sie in der Küche beschäftigt sei und sie allein lassen müsse. Erstaunt über eine solche Beharrlichkeit, begebe ich mich zu der Wartenden. Sie erkennt mich und macht mir Vorwürfe, daß ich ihr nicht gesagt habe, wer ich bin; ihre Angelegenheit sei so wichtig, daß ich sicher nicht nach Dresden, sondern mit ihr zu mir zurückgegangen wäre. Dann fährt sie fort:
»Mein Mann war Grenzaufseher und nebenbei ein hochbegabter Kunstmaler. In seiner letzten langwierigen Krankheit schenkten Sie ihm infolge einer Bitte unseres Pfarrers einige Ihrer Bände. In seiner Begeisterung über den Inhalt hat er zu ihnen Bilder entworfen, und nun komme ich nach seinem Tod, um Ihnen die Kunstwerke zu verkaufen. Ich bekomme dadurch die Mittel zu meinem Unterhalt, Sie aber werden noch viel berühmter werden, als Sie schon sind, und die großartigsten Geschäfte machen, denn wenn Ihre Werke mit solchen Bildern erscheinen, muß sich ihr Absatz schon in einem Jahr auf Hunderttausende belaufen.«
»Was war Ihr Mann, bevor er Grenzbeamter wurde?«
»Unteroffizier. Er hat in Frankreich einen Säbelhieb über den Kopf erhalten; das hing ihm in der letzten Zeit so an, daß er beurlaubt werden mußte.«
Sie zieht ein Papierpaket aus der Tasche und gibt es mir. Es enthält die Bilder. Ich öffne es und lasse Blatt um Blatt durch meine Hände gleiten. Sie gleichen den Bleistiftversuchen eines Tertianers. Die Unterschriften beziehen sich auf Namen und Gelegenheiten, die in meinen Reiseerzählungen vorkommen; wäre das nicht, so wüßte man gar nicht, was diese »Kunstwerke« vorstellen sollen. Arme Frau! Ich muß ein herzliches Mitleid mit ihr fühlen. Der Säbelhieb hatte nicht nur den Kopf, sondern auch den Geist ihres Mannes getroffen, wenngleich diese Verletzung erst später zu bemerken war. Und sie, die Kenntnislose, hat an diese Befähigung geglaubt! Während ich darüber nachsinne, wie ihr die Wahrheit ohne Kränkung und allzugroße Enttäuschung mitzuteilen ist, richtet sie ihr Auge mit ruhelosem, fast fieberhaftem Blick auf mich und zieht, wohl um mein günstiges Urteil zu beschleunigen, einen Brief hervor, den ihr Pfarrer an mich geschrieben hat. Ich lese ihn. Es ist so, wie ich dachte. Sie ist durch Leiden geistesschwach geworden und hält jeden, der behauptet, daß die Zeichnungen nichts taugen, für einen Feind; sie war durch nichts davon abzubringen, zu mir zu fahren, um mir die Bilder zu einem hohen Preis anzubieten. Ich muß sehr vorsichtig verfahren und lade sie ein, einige Tage bei mir zu wohnen, bis ich mir die Angelegenheit überlegt habe. Sie geht vergnügt darauf ein, und ich begebe mich in die Küche, um meiner Frau die nötigen Weisungen zu geben.
Es wird gedeckt, und wir setzen uns mit der neuen Bewohnerin unseres Hauses zu Tisch. Kaum habe ich die Suppe gekostet, so muß ich den Löffel wieder weglegen, weil bereits der hiesige Bekannte mit seinem Breslauer Besuch eintrifft. Die guten Leute stellen sich zwei Stunden früher ein, weil sie gerade jetzt zufällig hier vorbeigegangen sind. Der Breslauer Herr ist ein dicker, gemütlicher Mann mit einem Vollmondgesicht; ich kann ihm wirklich nicht zürnen, daß er gerade die Essenszeit für seinen Besuch gewählt hat, und erlaube mir nur eine sehr bescheidene und versuchsweise Hindeutung darauf, daß meine Frau bei Tisch sitze und auf mich warte. Da erklärt er mir, gemütlich lachend:
»Mein Herr, der Mensch soll sich mehr auf das Trinken als auf das Essen verlegen; ich verstehe das gründlich, denn ich bin Bierbrauer! Jetzt sehen wir uns bei Ihnen um, und dann gehen Sie mit uns, ein Glas Pilsner zu trinken. Wer soviel gedürstet hat wie Sie in der Sahara und auch anderwärts, der muß trinken, trinken, trinken!«
»Vorausgesetzt, daß er Zeit und Lust dazu hat; ich aber habe weder das eine noch das andere. Besonders heute ist mir meine Zeit so karg zugemessen, daß – –«
Er läßt mich nicht ausreden, sondern fällt mir schnell in die Rede:
»Wie meinen Sie? Sie haben keine Zeit? Ich sage Ihnen, ein Verfasser, dem soviel Liebe und Anerkennung entgegengebracht wird wie Ihnen, muß stets Zeit für seine Leser haben. Ich bin mit meiner Frau eigens von Breslau nach Dresden gefahren, um Sie zu sehen, und Sie quasseln etwas daher von ›keine Zeit und Lust haben‹! Schämen Sie sich!«
Wenn ich mir die Sache recht überlege, kann ich ihm nicht so unrecht geben. Ich schäme mich also, während er sich heiteren Mutes über die unschätzbaren Freuden verbreitet, die mir die schriftliche und persönliche Anhänglichkeit so vieler Menschen bereiten müsse, und mir bis zur Unwiderleglichkeit beweist, daß ich dafür verpflichtet sei, die dabei unvermeidlichen kleinen Leiden in Kauf zu nehmen. Vor Hunger und um seinen Redestrom einzudämmen, rufe ich, in Ergebenheit die Hände faltend:
»Sie haben recht, nur zu recht! – Ei ku guli dichaze, istiriyahn ssi lahzime bechaze!«
»Wie heißt das, und aus welcher Sprache ist es?«
»Es ist Kurmandschikurdisch und heißt: Wer sich die Rose wünscht, muß auch die Dornen wünschen!«
»Das ist richtig, sehr richtig! Nehmen Sie meine Frau hier als Rose und mich als Dorn, so haben Sie beides, und alle Ihre Wünsche sind erfüllt! Horch! Hat das nicht unten geklingelt?«
»Ja«, antworte ich, sogleich von einer schlimmen Ahnung wie von einem feindlichen Indianer beschlichen.
»Hoffentlich wieder ein Besuch! Sollte mich sehr freuen!«
Wie gern würde ich dem holdselig lächelnden Bierbrauer meinen Jagdhieb zu fühlen geben; aber wir befinden uns nicht im Wilden Westen, sondern in meinem Arbeitszimmer, und er reibt sich mit so aufrichtigem Vergnügen, bei mir einen meiner Leser kennenlernen zu dürfen, die Hände, daß ich ihm nicht bös sein kann. Meine Ahnung hat mich nicht betrogen, denn das Zimmermädchen kommt, zu fragen, ob mein Weinhändler eintreten dürfe. Er ist ein eifriger Leser meiner Werke und fühlt sich als solcher verpflichtet, in meinem Keller nur unverfälschte Tropfen zu dulden. Ein heiterer Lebemann, macht er, wie jeder seiner Kollegen, sehr gern Geschäfte, und es ist wohl selten einem Sterblichen geglückt, mit ihm eine halbe Stunde beisammenzusitzen, ohne eine Bestellung aufzugeben. Ich begrüße ihn in zuvorkommender Weise, denn es ist mir ein teuflischer Gedanke aufgetaucht; dieser Jünger des Bacchus aus Frankfurt am Main soll mich, ohne daß beide es ahnen, von dem klebrigen Jünger des Gambrinus aus Breslau befreien! Ich stelle die Herrschaften einander vor und werfe ihnen einige Millionen Gärungspilze in das beginnende Gespräch. Das ist die Brücke, auf der sie sich schnell nähern und Wohlgefallen aneinander finden. Dann führe ich den Weinhändler in die nebenanliegende Bücherei, um ihm seine Rechnung zu bezahlen, und werfe die hinterlistige Bemerkung hin:
»Dieser Herr würde wahrscheinlich ein Faß Niersteiner oder Josephshöfer bestellen.«
»Wirklich?« erklang die schnelle, eifrige Frage. »Da will ich Sie nicht lange belästigen. Was hat der Mann für jetzt vor?«
»Er wollte gehen, ein Glas Pilsner zu trinken!«
»Bier? Fällt mir nicht ein! Ich schleppe ihn mit in Scheidings Weinstube, und zwar unverweilt. Bitte, gehen Sie nicht mit! Ich möchte nicht, daß er durch Ihre Gegenwart abgelenkt wird. Nehmen Sie mir das nicht übel, und leben Sie für heute wohl!«
Zwei Minuten später sehe ich die Überlisteten unten aus dem Tor treten und Arm in Arm den Weg zu Scheiding einschlagen. Ich bin der Ueberzeugung, daß beide morgen wieder zu mir kommen werden, um mir mitzuteilen, daß der Gambrinus noch nicht abgereist sei, weil ihm der Bacchus so gut gefallen habe. Ich aber habe meinen heimtückischen Zweck erreicht und kann nun wieder nach dem Speisezimmer gehen.
Nicht jedesmal gelingt es mir, mich meiner Besucher so rasch und nachhaltig zu entledigen. Neulich besucht mich ein ungarischer Professor – nur für zwei Stunden. Er verweilt aber neun Tage in Radebeul. Ein Leser aus Amerika will mir die Hand drücken, nichts weiter; auch seine Frau will drüben sagen können, daß sie die Hand Old Shatterhands in der ihrigen gehabt habe. Ich tue ihnen den Gefallen, und so drücken wir uns zwei Wochen lang die Hände – denn so lange sind sie in Radebeul geblieben. Ein sehr hochstehender Herr besucht mich, als ich schwer an der Grippe liege; aus Rücksicht auf seinen Stand stehe ich auf und habe ihm nun bei neununddreißig Grad Fieber alle möglichen und unmöglichen Fragen zu beantworten – sechs Stunden lang. Das hat mich so zermürbt, daß ich noch heute, wenn ich ihn sehe, in eine Art von Fieber gerate. Es ist mir unmöglich, mich ihm in der Ruhe zu zeigen, die sonst Old Shatterhand eigentümlich ist. Bevor ich noch einmal etwas Ähnliches durchmache, würde ich mich lieber von dem grausamsten Indianerstamm an den Marterpfahl binden lassen.
Da war doch folgender kleiner Vorgang weniger gefährlich:
Ich will mit meiner Frau ein Nachmittagskonzert besuchen und habe schon seit einer Stunde drei Realschüler bemerkt, die draußen auf- und abschreiten, ohne sich an die Klingel zu wagen. Als wir auf die Straße treten, werde ich von sechs Augen verschlungen und höre die Worte:
»Das ist er; ja, er ist's! Und das ist seine Frau! Kommt, wir machen hinterher! Ich muß wissen, wo er hingeht!«
Sie folgen uns, bald mehr und bald weniger nahe hinter uns her wandernd, und wir hören nun folgende Urteile:
»Hört, sie ist nicht übel, seine Frau! Beinahe majestätisch! Er hat etwas krumme Beine; in dunklen Hosen sähe man es nicht so deutlich. Wahrscheinlich vom vielen Reiten; das drückt die Knochen rund!«
»Ich bin mit dem Schnurrbart nicht zufrieden; er müßte eigentlich größer sein.«
»Dafür ist der Gang um so schneidiger; der reine Apatsche! Schaut, jetzt hängt sie gar bei ihm ein! Herr und Squaw Old Shatterhand! Ob sie nach dem Jägerhof gehen? Da ist Konzert. Wer da mit hinein könnte! Dazu fehlen aber die Moneten!«
Wir betreten den genannten Konzertgarten, und die drei Kritiker meiner Beine stellen sich draußen am Zaun auf und lassen mich so wenig aus den Augen, daß ich hingehe und sie frage:
»Sie fixieren mich! Kennen Sie die Folgen davon? Was wählen Sie, Pistolen oder Säbel?«
Sie starren mich mit hochroten Gesichtern erschrocken an, bis der älteste mir erklärt:
»Wir haben nicht fixiert, sondern nur so hingeguckt.«
»Das bleibt sich gleich! Kennen Sie mich?«
»Ja.«
»So kommen Sie herein! Wir müssen die Angelegenheit besprechen!«
»Wir können nicht hinein; uns fehlt der Nervus rerum!«
»Das tut nichts. Kommen Sie an die Kasse!«
Sie kommen dieser Aufforderung mit sorgenvollem Herzen nach und sitzen dann höchst niedergedrückt beim Kulmbacher, das ich ihnen geben lasse. Aber als ich kein Wort von Fixieren, Duell und Sekundanten erwähne, heitern sich ihre Mienen auf; sie bekommen den Mut, mir ihre »Blumen« zuzutrinken, und bald sitze ich als Prüfling vor ihnen und werde so gründlich über meine Reisen ausgefragt, daß ich, als das Konzert zu Ende geht, beim besten Willen nicht sagen kann, was geblasen worden ist. Sie aber trennen sich mit der Versicherung von uns, daß sie zwar gehörig erschrocken seien, bald aber bemerkt hätten, daß ich nur gescherzt habe; nun bitten sie mich mit dankbarem Herzen, ja nicht zu vergessen, daß die zwei seligen Stunden hier im Garten der schönste Tag in ihrem Leben sein und bleiben werden. –
Nach dieser Abschweifung führe ich den Leser in mein Speisezimmer zurück, wo er beobachten kann, wie ich in wenigen Minuten die gestörte Mahlzeit beende. Dann flüchte ich mich wieder in mein Arbeitszimmer und gehe die Umschläge der zweiten Post durch. Zum öffnen und Lesen habe ich heute keine Zeit mehr. Ein Brief ist kurz gerichtet an: »Mr. Shatterhand, Dresden«; die pfiffige Post hat ihn nach Radebeul weitergeleitet. Ein Brief aus Köln am Rhein ist mit der Aufschrift versehen: »Herrn Schriftsteller Karl May.« Der Schreiber hat vergessen, den Bestimmungsort hinzuzufügen; die postalische Ergänzung lautet: »Wahrscheinlich Radebeul bei Dresden, Villa Shatterhand.« Der findige Postbeamte ist jedenfalls ein Leser meiner Werke. Ein anderer Brief kommt aus dem Kaukasus, anscheinend eine Einladung zur Auerochsenjagd. Ich lege das alles weg und beginne zu schreiben. Von jetzt an bringe ich ungestört neun oder zehn Seiten fertig; ich höre klingeln und wieder klingeln, achte aber nicht darauf, weil ich ja gar nicht zu Hause bin. Da kommt meine Frau und teilt mir mit, zehn Gymnasialschüler wollten mich sehen.
»Aber, liebe Frau, ich habe jetzt wirklich keine Zeit. Führe sie doch ins Empfangszimmer!«
»Das geht nicht. Im Salon sitzt schon ein Besuch, die Gräfin X mit ihren beiden Söhnen, die deine Gewehre sehen wollen.«
»So sollen sie einstweilen in der Bücherei Platz nehmen.«
»Die ist auch schon besetzt. Von unserem Weinreisenden und dem Besuch aus Breslau.«
»Aber die sind doch in Scheidings Weinstube!«
»Schon lange nicht mehr! Die sitzen bereits seit einer Stunde in deiner Bücherei und brechen einer Flasche Wein nach der anderen den Hals. Und es scheint ihnen so gut zu gefallen, daß sie an ein Fortgehen nicht denken.«
Himmel! Sämtliche verfügbaren Räume meines Hauses sind belegt! Ich bekomme einen gelinden Tobsuchtsanfall.
»Aber warum hast du nicht wenigstens die Jungen fortgeschickt? «
»Ich wollte wohl, aber sie wollten nicht. Sie sagten, sie würden dich nicht im geringsten in deiner Arbeit stören.«
Ich bin besiegt. »So sollen sie in Gottes Namen kommen!«
Und sie kommen! An ihrer Spitze der Gymnasiast von heute morgen, dessen begeisterte Schilderung seines Besuches bei mir die anderen angeregt hat. Ich bedeute Ihnen in der sanftmütigsten Weise, daß ich notwendig zu arbeiten habe. Der Gymnasialschüler von heute früh, der sich wegen unserer »alten Bekanntschaft« nicht wenig zugute tut, gibt zur Antwort:
»Oh, das macht nichts! Sie stören uns nicht im geringsten!«
»Das beruhigt mich!«
»Ja, wir wollen nur Sie und die Gegenstände in diesem Zimmer sehen, sonst nichts. Schreiben Sie nur weiter und tun Sie, als wenn Sie allein wären!«
Ich folge diesem guten Rat und bemühe mich in der nächsten halben Stunde, »so zu tun, als wenn ich allein wäre«. Als mir das bei dem Lärm, den die zehn jungen Leute verursachen, nicht gelingen will, hole ich mir Watte und stopfe mir in jedes Ohr ein halbes Pfund. Aber die Jungens besitzen so ausgiebige Sprachwerkzeuge, daß ich nach einer weiteren halben Stunde zur Überzeugung von der Unzulänglichkeit dieser Maßregel gelange. Und dem unbesiegten Old Shatterhand bleibt kein anderer Ausweg als die Flucht. Er öffnet die auf den Balkon führende Tür, zieht seinen Schreibtisch nebst Stuhl hinaus und schließt dann die Tür schalldicht hinter sich ab! So! Jetzt bin ich endlich allein und kann ungestört schaffen. Zwar dringt das Geräusch der Straße zu mir herauf, aber es ist wie ein leises Säuseln des Windes im Vergleich zu dem brausenden Sturm, der da drinnen tobt. Von jetzt an komme ich mit Riesenschritten vorwärts. Ich schreibe gegenwärtig an meinem Band »Weihnacht« und beginne gerade mit der Schilderung der Szene, wie wir von den Blutindianern überfallen und niedergeschlagen werden. Während ich schreibe, treten die damaligen Erlebnisse in so lebendiger und greifbarer Gestalt vor mein geistiges Auge, daß ich alles um mich her vergesse. Ich glaube mich in den Felsenbergen zu befinden und mit Winnetou die feindlichen Blutindianer zu beschleichen. Wir liegen hinter den Büschen und suchen aus ihren Reden zu erfahren, welchem Stamm sie angehören. Gerade berührt Winnetou leise meinen Arm, da – – –
»Iwiwiwiwiwiwiwiwi!« tönt das fürchterliche Kriegsgeheul der Blutindianer, in den höchsten Fisteltönen ausgestoßen, in meine Ohren. Himmel! Wir sind überfallen! Die Blutindianer sind da! Ich springe auf und greife unwillkürlich in meinen Gürtel, um den Revolver zu ziehen. Aber was ist das? Wo ist denn mein Gürtel, und wohin habe ich meine Waffen gelegt? Infolge meiner bewundernswerten Geistesgegenwart kommt es mir indes bald zum Bewußtsein, daß ich mich nicht im Wilden Westen, sondern in Radebeul auf dem Balkon meines Hauses befinde. Aber ich habe doch das Kriegsgeschrei der Indianer in meinen Ohren gehört! Ich könnte hundert Eide darauf schwören! Es war zwerchfellerschütternd und nervenzerrüttend! Mit einem Wort: echt indianisch! Ich kann nicht glauben, daß es nur Sinnestäuschung war, eine Folge der Versunkenheit in meine Arbeit. Ich stoße die Tür in mein Arbeitszimmer auf und mache sofort eine Beobachtung, die meinen Verdacht erweckt. Meine Gewehre fehlen; auch Winnetous Silberbüchse, die Liddy Sam Hawkens, das Schießeisen Sansears und sämtliche Revolver und Tomahawks, die sonst an der Wand hinter meinem Schreibtisch hängen, glänzen durch Abwesenheit. Dieser Umstand sowie die Beobachtung, daß die Gymnasiasten ebenfalls verschwunden sind, erwecken in mir den Argwohn, daß die Unsichtbarkeit der Gymnasiasten und meiner Waffen wahrscheinlich in ursächlicher Beziehung zueinander stehen. Mein Blick fällt auf die Wand neben der Tür, die auf den Flur führt. Richtig! Auch mein hirschlederner Jagdrock, ein vollständiges indianisches Kostüm und ein indianischer, aus den Federn des Kriegsadlers bestehender Häuptlingsschmuck haben sich unsichtbar gemacht. Dieser Anblick bringt mein Blut in Wallung! Die verruchten Diebe haben Old Shatterhand vollständig ausgeplündert! Aber sie sollen ihres Raubes nicht froh werden! Ich muß meine Waffen wiederhaben, ich werde alles, selbst mein Leben daransetzen, sie zu bekommen. Der Westmann in mir erwacht.
Das erste ist, daß ich nach den Spuren der Diebe suche. Der Flur und das Treppenhaus sind leer. Ich werfe einen Blick ins Empfangszimmer – ebenfalls leer. Aber ich gebe die Hoffnung noch lange nicht auf. Ein unbestimmter, verworrener Lärm, der aus dem Garten zu kommen scheint, lenkt meine Schritte dorthin. Die Gartentür steht offen, und als ich hinaustrete, enthüllt sich meinen Augen ein Bild, das mich mit einem Schlag in den Wilden Westen versetzt. Ich fühle, wie sich meine Haare langsam sträuben, denn es ist wirklich entsetzlich, was ich mit einem einzigen Blick erfasse.
In einer Entfernung von zwanzig Schritt stehen zwei Gestalten in würdevoller Haltung. In der ersten erkenne ich bei näherem Zusehen meinen Gymnasiasten von heute morgen. Er ist mit meinem Jagdrock angetan; auf dem Rücken hat er meinen Bärentöter, und in den Händen hält er den Henrystutzen. Neben ihm steht ein anderer, der meine indianischen Gewandstücke trägt; vom Haupte wallt majestätisch der Häuptlingsschmuck, und in seiner Hand erblicke ich die Silberbüchse. Sie verfolgen mit Spannung die Szene, die sich vor ihnen abspielt. An einem Bäum lehnt, mit Händen und Füßen an ihn gebunden, meine Frau, während die übrigen acht Räuber, die gestohlenen Revolver und Tomahawks schwingend, um den Baum den Kriegstanz aufführen und einen Lärm vollbringen, daß mir die Ohren tönen. Mein Plan ist sofort gefaßt. Die beiden »Anführer« stehen mit dem Gesicht von mir abgewendet, haben mich also nicht nahen sehen, und ihre »Krieger« sind so in den Tanz vertieft, daß sie für nichts anderes Auge und Ohr haben. Ich lasse midi lang auf den Boden nieder und schleiche mich auf Händen und Fußspitzen an. Es gelingt mir auch, von allen unbemerkt hinter die beiden zu kommen. Hinter »Old Shatterhand« und »Winnetou« richte ich mich langsam auf – ein Griff mit beiden Händen nach den Hälsen der Überraschten – und ich bin Herr der Lage. Mein Griff muß nicht ganz sanft gewesen sein, denn die beiden knickten unter meinen Händen vor Schreck zusammen und lassen die Waffen fallen. Als die feindlichen Krieger bemerken, daß ihre Anführer gefangen sind, halten sie die Sache für verloren; sie werfen ihre Waffen weg und laufen heulend und schreiend davon. Ich gebe den beiden Anführern, die sich unter meiner Faust krümmen, noch meinen Jagdhieb hinter die Ohren, allerdings mit einer Abschwächung von fünfzig Prozent, und lasse sie dann ebenfalls laufen; denn ich dürste nicht nach dem Blut meiner Feinde, und mein Zweck, die Befreiung meiner Frau, ist ja geglückt. Also sollen sie in Gottes Namen entwischen! Mit eigenen Händen löse ich dann die Fesseln der Gefangenen und führe sie siegreich in mein Wigwam zurück.
Nachdem ich meine vollkommen erschöpfte Frau in die Küche gebracht habe, begebe ich mich wieder an meine Arbeit zurück – zum zwanzigstenmal im Laufe des heutigen Tages. Als ich oben an der Bücherei vorbeikomme, wandelt mich die Neugier an, zu sehen, was aus meinem Weinreisenden und aus dem Breslauer Besuch geworden ist. Ich öffne die Tür, bleibe aber überrascht stehen. Wenn Goethe an meiner Stelle gewesen wäre, hätte er nicht mehr nach einem Vorbild für seine Szene in Auerbachs Keller zu suchen brauchen, denn meine Gäste sind in einer Stimmung, daß sie getrost singen könnten:
»Uns ist so kannibalisch wohl
als wie fünfhundert Säuen.«
Der dicke Bierbrauer sitzt mit untergeschlagenen Beinen wie ein Türke auf meinem Diwan und pafft aus meinem Tschibuk dicke Wolken in die Luft – natürlich von meinem Dschebelitabak, das Pfund für dreißig Mark. Den rechten Arm hat er um den Hals meines Frankfurter Bacchusapostels gelegt, der sich vergeblich bemüht, die gleiche malerische Stellung wie sein neuer Freund zu behaupten, diesen Mangel aber dadurch gutzumachen sucht, daß er wie ein Kaminschlot mächtige Rauchwolken aus meiner persischen Hukah Wasserpfeife qualmt. Vor ihnen steht auf dem Tisch ein ganzer Satz geleerter Weinflaschen, der Beweis, daß es ihnen bei mir gut gefällt. Natürlich nicht den Weinflaschen, sondern meinen Besuchern! Denn der Wein ist fort, aber meine Gäste sind noch da. Der Herr von hier, der den Breslauer Besuch eingeführt hat, ruht halb liegend in meinem Lehnstuhl und ist, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, in eine selige Welt hinübergeschlummert, und auch die Mienen der beiden auf dem Diwan strahlen mit einem Lächeln von mindestens sechzig Grad Celsius. Die einzige, die noch auf den Gefilden dieser traurigen Erde wandelt, ist die »Rose« des Bierbrauers, deren Blicke verlegen ängstlich zwischen mir und den Männern hin und her wandern und die offenbar nicht recht weiß, wie sie die Lage retten soll.
Ich wende mich an die beiden Rauchenden auf dem Diwan.
»Die Herrschaften werden entschuldigen, daß ich mich so lang nicht sehn ließ. Es ist zwar eine Unhöflichkeit von mir, aber ich bin – – –«
»O bitte«, unterbricht mich der Bierbrauer fröhlich. »Sie haben uns wirklich gar nicht gefehlt. Ich muß sagen, wir haben uns köstlich unterhalten.«
»Es gefällt Ihnen also bei mir?«
»Ausgezeichnet!«
»Das freut mich. Und wie ich sehe, findet auch mein Dschebelitabak Ihren Beifall. Wenn Sie wünschen, können Sie zehn Pfund davon haben. Ich habe zwar augenblicklich nicht soviel im Hause, aber ich brauche nur eine Zeile an meinen Freund Maflei in Konstantinopel, den Großkaufmann, zu schreiben, so kann ich Ihnen – –«
»O danke, danke! Wir wollen Sie nicht berauben, wir sind schon mit fünf Pfund zufriedengestellt.«
»Schön! Ich werde Ihrem Wunsch mit Vergnügen nachkommen. Jetzt will ich nicht weiter stören. Unterhalten Sie sich auch fernerhin recht gut!« – – –
*
Es ist zehn Uhr abends, und ich bin allein. Meine Besuche haben sich verabschiedet und sind gegangen. Alles im Haus ist ruhig. Nur ich bin noch wach und werde auch die ganze Nacht wach bleiben. Denn ich habe an meinem Manuskript zu arbeiten. Wenn es gut geht, kann ich bis morgen früh sieben Uhr fertig werden. Und sollte mir doch die Schlaflust kommen, so habe ich ein sicher wirkendes Mittel dagegen. Auf meinem Schreibtisch prangt eine mächtige Kaffeemaschine, end daneben steht in einladender Nähe, so daß ich es mit der Hand erreichen kann, ein Kistchen Zigarren.
Und ich schreibe – schreibe von Winnetou, dem großen Häuptling der Apatschen, und meinem Freund Carpio, schreibe von Peteh, dem grausamen Führer der Blutindianer, und den freundlichen Schoschonen, und indem in mir das Bild des kleinen Rost mit seinem »Kapuzenmuskel« aufsteigt, sagt mir eine »innere Stimme«, daß der Old Shatterhand von damals doch ein ganz anderer beneidenswerterer Kerl gewesen sei als der von heute. Aber diese innere Stimme wird gar bald übertönt von einer anderen, die mir hundertmal in dieser Nacht ins Ohr flüstert: »Der Verleger wartet auf deinen Roman! Darum schreibe – schreibe – –!«