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Viele berufene und unberufene Menschen haben sich Mühe gegeben, das Rätsel zu lösen, das ich heute erzähle: doch stets vergeblich. Keiner brachte es fertig, die ganze unsaubere Bande zu durchschauen, die aus fünf Personen bestand, aber insgesamt nur drei Namen hatte, nämlich zwei Achmed Agha, zwei Selim Agha und Abdahn Effendi, der eigentliche Gebieter.
Die vier Agha waren Offiziere; der Effendi aber war Nichtsoldat und zugleich ein so dicker Mensch, wie ich nicht oft einen gesehen habe. Er betrieb die Viehzucht, die Landwirtschaft, die Bäckerei, die Fleischerei, die Fischerei, die Jagd, die Gastwirtschaft, den Binnen- und Außenhandel und war zu gleicher Zeit der Schech el Beled, der Kadi und der Imam – Schultheiß, Richter und Geistlicher – der weit ausgedehnten Landschaft Dschan, durch die sich die türkisch-persische Grenze zieht.
Daher der Titel Effendi, den er von jedermann verlangte und auch wirklich zugesprochen erhielt.
Dschan liegt sehr hoch, im Süden des kurdischen Gebirges. Dort ragen die Berge von Uluhm empor, zwei Reihen zum Teil scharf abgegrenzter, zum Teil auch ineinander fließender Höhen, die immer nebeneinander, von Nordwest nach Südost, verlaufen und zwischen sich ein langes, vielgewundenes, tief und steil eingeschnittenes Tal bilden, auf dessen Sohle ein fischreiches Wasser fließt. Die Fische gehörten dem Effendi. Er behauptete das und hatte gedroht, einen jeden niederzuschießen, der sich an einer einzigen Flosse zu vergreifen wage. Die Berge von Uluhm sind, ebenso wie das zwischen ihnen liegende Tal, sehr dicht mit Busch und Wald bestanden, worin es Wild in Menge gibt. Der Effendi behauptete, daß auch dies ihm gehöre und daß er einen jeden aufhängen werde, der sich erdreiste, auch nur eine einzige Maus anzutasten.
Wer die Türkei und Persien kennt, der weiß, daß an der Grenze beider Länder allzeit ein ebenso reger wie einträglicher Schmuggel betrieben worden ist. Und nie hat es eine Stelle gegeben, die die Aufmerksamkeit der beiderseitigen Zoll- und Steuerbehörden in der Weise auf sich gezogen hat, wie die Landschaft Dschan, die mit ihren Bergen, Schluchten und Wäldern die Pascher geradezu herausforderte, sich hier zusammenzuziehen.
Ein breiter Karawanenzug führt, Persien mit der Türkei verbindend, quer durch Dschan und also ebenso quer zwischen den Bergen von Uluhm hindurch. Das ist der öffentliche, der befohlene Weg, den alle Personen und Güter zu nehmen haben. Jeder andere Weg wird als Schleichweg angesehen, und wer ihn geht, setzt sich der Gefahr aus, als Schmuggler behandelt zu werden, vielleicht gar als Dieb und Räuber von Fisch und Wild. Da, wo diese Karawanenstraße auf der östlichen Seite ins Tal hinuntersteigt, befindet sich die Hauptwache der persischen Zollbeamten. Da, wo sie auf der westlichen Seite von der Höhe herunterführt, stehen die Gebäude der türkischen Zollstelle. Beide also hoch oben auf den beiden Rändern des Tales, während unten, zwischen ihnen, die Besitzung des Effendi an der über das Wasser führenden Brücke liegt. Er behauptete, daß diese Brücke ihm auch gehöre, und drohte, einen jeden einzusperren, der hinüber- oder herübergehe, ohne ihm den Brückenzoll zu entrichten. Sein Anwesen bestand aus einer nicht unbedeutenden Anzahl von Häusern, Hütten, Stallungen, Schuppen, Tennen, Winkeln und Löchern, die alle dem Betrieb der obenerwähnten Tätigkeiten und Berufe zu dienen hatten. Die beiden geräumigsten unter diesen Baulichkeiten waren zwei Karawansereien, rechts an der Straße eine für die, die von rechts her, also von Persien, kamen und nach der Türkei wollten, links an der Straße eine für die, die von links her, also von der Türkei, kamen und nach Persien reisten. Da war den von beiden Seiten Kommenden Gelegenheit gegeben, mit ihren Tieren und Waren Unterkunft zu finden und sich auszuruhen oder auch zu übernachten. Im Hauptgebäude, worin Abdahn Effendi selbst hauste, war auch vornehmeren Leuten Gelegenheit geboten, zu wohnen: nämlich zwei Zimmer über dem Erdgeschoß und noch zwei Stuben, die über diesen beiden lagen. Es gab also eine Art erstes und zweites Stockwerk, die aber beim Bau der Schenke nicht mit geplant worden waren, Sie bildeten vielmehr einen einfachen Würfel von Bretterwänden, die man erst später auf das platte Dach gesetzt hatte, um diese vier Unterkunftsräume zu gewinnen.
Ich war mit meinem drolligen Hadschi Halef Omar von Bagdad hier heraufgekommen, um nach Teheran zu reiten. Wir kehrten nicht in einer der beiden Sereien, sondern im Hauptgebäude ein, wo es auch eine Gaststube gab. Man hielt uns für vornehme Leute, weil man uns nach unseren Pferden einschätzte, die Araber von reinstem Blut und in jener kostbaren Weise aufgeschirrt waren, die man in Persien mit dem Namen Reschma bezeichnet. Im Gastzimmer saßen fünf Personen, drei ältere und zwei jüngere. Einer von den Alten war ungeheuer dick. Er hockte auf einem Sitz, der ganz augenscheinlich für ihn besonders stark angefertigt worden war. Sich in orientalischer Weise niederzusetzen, durfte er nicht wagen, weil es ihm in diesem Fall unmöglich war, wieder aufzustehen, Halef sagte, als er ihn erblickte, leise zu mir:
»Maschallah – Wunder Gottes, was für ein Mensch! Wer dreimal um ihn herumgeht, muß unterwegs viermal ausruhen.«
Dieser Mann war Abdahn Effendi, der Wirt. Seine Wangen standen wie Halbkugeln hervor, und seine Äuglein verschwanden fast hinter dem Fettpolster, das sie umgab. Den Mund sah man kaum, und der Schnurrbart war unter der dicken Rindstalgnase vor Fett verdünnt, erstickt und verkümmert. Aber der Zug von Gutmütigkeit, der wohlbeleibten Leuten eigen zu sein pflegt, war diesem Gesicht fremd. Die Augen schielten, und wenn der »Effendi« sprach, so hatte seine Stimme einen hochmütigen, rücksichtslosen Klang. Eben als wir in die Stube traten, aß er. Wie ich bald bemerkte, war das seine Lieblingsbeschäftigung.
Von den beiden anderen Alten hatte der eine ein langes schmales Vogel-, der andere aber ein. kurzes, recht breites Bulldoggengesicht, doch beide echt orientalisch geschnitten und in lange, dichte Vollbärte gehüllt.
Die zwei jüngeren Männer sahen einander ähnlicher. Der eine lächelte immerfort wie ein Fuchs, der einer Gans die Ehe verspricht, und der andere saß, ging und stand ohne Unterlaß geduckt wie ein Marder, der einen Hühnerstall beschleicht.
Man sieht, anziehend waren die Leute eben nicht, aber überaus seltsam. Man fühlte gleich beim ersten Blick, daß man nicht mit ihnen anbinden durfte, außer man wünschte, daß einem irgend etwas mehr oder weniger Unangenehmes zustoße. Nach altem orientalischem Brauch sagte mir der Effendi, daß er der Wirt sei, und nannte mir die Namen und die Berufsstellungen der vier anderen Männer. Sie betitelten sich gegenseitig Agha, was soviel wie »Herr« bedeutet und stets hinter den Namen gesetzt wird. Diese vier hatten nur zwei Namen. Die beiden älteren hießen Achmed Agha und die beiden jüngeren Selim Agha. Hinzu kam, daß zu dem gleichen Namen sich der gleiche Rang gesellte. Die beiden Achmeds standen im Oberstenrang, die beiden Selims waren Leutnants, alle vier also Offiziere. Ich fragte mich, welche Gründe man in Konstantinopel und Teheran wohl gehabt haben könne, zwei so hohe und verdiente Offiziere, wie ein Oberst doch wohl ist, in diese abgelegene Gegend zu versetzen; aber die Herren zeigten sich außerordentlich mitteilsam; sie freuten sich sichtlich, wieder einmal mit einem gebildeten Menschen sprechen zu können, und als sie gar hörten, daß ich Europäer sei, schien ihnen sehr daran zu liegen, sich vor mir in gutes Licht zu stellen.
Darum erzählten sie mir unaufgefordert, weshalb sie von Bagdad und Teheran hierher gekommen und dann hier geblieben seien.
Es war, wie sie versicherten, mit der Schmuggelei hier nicht mehr auszuhalten gewesen. Die Zölle hatten fast nichts mehr eingebracht, und so waren die beiden Regierungen darin übereingekommen, die Bewachung der Grenze der bisherigen liederlichen Aufsicht zu entziehen und in feste militärische Hände zu legen. Dies konnte aber nicht geschehen, ohne daß die betreffenden militärischen Personen vorher bei der jetzigen Zollwache eine Lehrzeit durchgemacht hatten, um ihre Pflichten kennenzulernen und sich in ihren Beruf einzuleben. Darum wurde von beiden Seiten je ein Hauptmann, ein Oberleutnant und ein Leutnant, nebst drei gewöhnlichen Soldaten zu ihrer Bedienung, herauf nach Dschan geschickt. Der Erfolg zeigte sich überraschend schnell. Die beiden Hauptleute und die beiden Oberleutnants wurden mit ihren Soldaten von den Paschern schnell weggeputzt. Man begrub ihre Leichen, wo man sie fand. Die beiden Leutnants aber bewährten sich. Sie hielten sich mit ihren zwei Soldaten. Sie schafften Wandel und wiesen nach, daß die bisherigen Befehlshaber mit den Schmugglern gemeinschaftliche Sache gemacht und die Behörden um ungeheure Summen betrogen hatten. Die Verbrecher wurden abgesetzt und in Ketten nach Teheran und Bagdad gebracht; ganz selbstverständlich bekamen die Leutnants die freigewordenen Stellen. Sie blieben für immer, doch nur aus Pflichtgefühl und Aufopferung, denn wenn sie gegangen wären, hätte die mühsam unterdrückte Schmuggelei sofort ihr Haupt von neuem erhoben, und alle bisherige Mühe wäre vergeblich gewesen. Aber die vorgesetzten Behörden waren dankbar für eine so beispiellose Uneigennützigkeit und Treue. Sie ließen die Leutnants und Soldaten entsprechend befördern. Die Leutnants hatten es, als ich nach Dschan kam, schon bis zum Obersten gebracht, und die Soldaten standen bereits im Leutnantsrang. Weil die ersteren beide Achmed und die letzteren Selim hießen, alle vier aber Agha waren, konnte man sie nur dadurch auseinanderscheiden, daß der Rang der beiden türkischen Offiziere nach türkischem Gebrauch, der der beiden persischen Offiziere aber in persischer Weise bezeichnet wurde. Oberst heißt türkisch MirAlai, persisch aber Särtix. Leutnant heißt türkisch Mülasim, persisch aber Naib. Darum hieß der Alte mit dem Vogelgesicht Mir Alai Achmed Agha, der Alte mit dem Bulldoggengesicht Särtix Adimed Agha, der Junge mit dem Fuchsgesicht Mülasim Selim Agha, und der Junge mit dem Mardergesicht Naib Selim Agha.
Wir, Halef und ich, hatten gar nicht hier bleiben, sondern nur einen Imbiß nehmen und unsere Pferde ausruhen lassen wollen, aber der Anblick dieser fünf Männer erweckte den Wunsch in mir, sie kennenzulernen. Wir aßen etwas; dann verließ ich die Stube, um einen kurzen Gang durch die Umgebung zu machen. Als ich nach vielleicht zwei Stunden zurückkehrte, saß Halef nicht mehr an seinem Platz, sondern bei den fünf Männern. Sie hatten gewünscht, daß er zu ihnen komme, und ihn dann ausgefragt. Wer meinen kleinen Hadschi Halef kennt, der weiß, welche Schleusen von Beredsamkeit da von ihm geöffnet worden waren, um unsere Erlebnisse und alle tausend Vorzüge, die er uns andichtete, ins hellste Licht zu stellen. Ich wurde zu meinem großen Erstaunen mit lautem Jubel begrüßt. Sämtliche Agha taten, als ob sie mich schon längst gekannt und geliebt hätten, und der kleine dicke Abdahn Effendi bat mich inständigst, so lange sein Gast zu sein, wie es mir beliebe, und ohne etwas zu bezahlen; nur müsse ich ihm den Gefallen tun, ihm möglichst viel Wild zu schießen. Wir gingen darauf ein, weil es uns den Vorteil brachte, ungehindert den Wald durchstreifen zu dürfen. Ich stellte nur die Bedingung, daß uns gute Unterkunft und kräftiges, gesundes Futter für unsere Pferde geboten werde. Dieser Bescheid erregte allgemeine Freude. Die Tiere bekamen einen schnell gesäuberten Stall für sich allein angewiesen und so viel Gerste, gequollenen Mais und gequetschte Bohnen, daß sie sich gütlich tun konnten. Was uns selbst betraf, bedeutete der überdicke Effendi, daß er uns in eigener Person die Zimmer anweisen werde, die wir bewohnen sollten. Er bekümmere sich um seine Gäste nie, denn er habe keine Zeit dazu. Daß er sich mit uns jetzt diese Mühe gebe, sei eine Auszeichnung, die wir dankbar anzuerkennen hätten.
Er führte uns hinaus und hinter das Haus, wo eine Holztreppe auf das platte Dach mündete. Er stieg uns da voran, ächzend und stöhnend, in der Minute einen Schritt. Wir, die wir hinter ihm gingen, hatten das Glück, den Anblick seiner unförmlichen Fleischmasse mit Demut und Ergebenheit zu genießen. Das Dach war lang und breit. Es bestand aus festgeschlagenem Lehm. Man konnte mit großen Schritten darauf umhergehen. Es büßte durch den schon erwähnten Bretterwürfel, der die vier Stuben enthielt und auf der Mitte des vorderen Randes stand, nur den vierten Teil seiner Oberfläche ein. Wir bekamen die zwei Stuben, die unmittelbar auf dem flachen Dach standen. Man trat von ihm durch eine Tür hinein. Zu den beiden oberen Stuben führte ein schwankes, hölzernes Mittelding zwischen Treppe und Leiter hinauf. Sie waren schon bewohnt, und zwar auch von zwei Fremden. Der eine von ihnen sei aus dem Sumpfland von Basra, also ein Türke, der andere aus dem Fieberland von Luristan, also ein Perse. Das Sumpffieber habe sie an den Rand des Todes gebracht und sie gezwungen, für einige Monate hier herauf nach Dschan zu gehen, um in der stärkenden Höhenluft zu gesunden. Sie seien schon zwei volle Wochen hier und würden uns nicht belästigen, da sie sich während des ganzen Tages im Wald aufhielten.
Unsere Zimmer gefielen uns sehr, weil sie uns einen freien Ausblick nach allen vier Himmelsrichtungen boten, und weil wir nur aus der Tür zu treten brauchten, um im Freien sein zu können, ohne zu den anderen Leuten hinuntersteigen zu müssen. Leider waren wir aber nicht die einzigen Bewohner dieser mit Kissen, Decken und Teppichen reichlich ausgestatteten Räume. Es lebte da eine Unmenge jener kleinen, lieblich duftenden und zutraulichen Wesen, die der Araber Bakka, der Perser aber Sas oder Milä – Wanze – nennt. Diese Sorte ist übrigens nicht ungefährlich, da ihr Biß unter Umständen giftig wirkt. Der Effendi hatte davon gesprochen, daß er keine Bezahlung von uns nehmen wolle. Mir ahnte aber, daß unser Gehen nicht so friedlich wie unser Kommen verlaufen werde, und so hielt ich es für ausgeschlossen, irgend etwas ohne Gegenleistung von ihm anzunehmen. Deshalb eröffnete ich ihm jetzt, als ich mich bereit erklärte, die Zimmer anzunehmen, daß ich sie und alles andere bezahlen würde, obwohl er darauf verzichtet habe. Da gestand er mir mit überraschender Aufrichtigkeit, daß er sich das genauso gedacht habe, wie ich es ihm jetzt sage. Ein anständiger Mensch lasse sich nichts schenken, sondern er bezahle um so mehr, je weniger man von ihm verlange. Da er aber gar nichts von mir verlangt habe, so rechne er auf den höchsten Preis, den es hier oben gebe. Als ich ihn aufforderte, diesen Preis zu bestimmen, schüttelte er den Kopf und antwortete, das überlasse er mir. Dann ließ er uns oben stehen und stieg wieder vom platten Dach hinab, daß alle Stufen der Treppe krachten. Halef lachte:
»So dick und ungeschlacht er ist, so unförmlich ist auch seine Geldschneiderei! Wir werden ihn bezahlen, nicht wahr, Effendi? Nicht zu viel und nicht zu wenig!«
Er zog dabei seine geliebte Nilpferdpeitsche aus dem Gürtel um mit einigen kräftigen Bewegungen des Armes die Münze anzudeuten, in der er sich diese Bezahlung dachte. Dann folgten wir dem Effendi hinab, um das uns aufgetragene Werk sofort zu beginnen. Bevor wir aufbrachen, erhielten wir von Abdahn Effendi folgende Verhaltungsmaßregeln:
»Der ganze Wald ist mein, und die ganze Gegend ist mein. Ihr könnt also überall hin, wohin ihr wollt. Nur vor dem Sägemüller Ben Adl habt ihr euch zu hüten. Der ist mein Feind. Ich warne euch, seine Besitzung zu betreten oder mit ihm zu reden. Er schießt nämlich jeden nieder, der es wagt, sich ihm zu nähern. Nehmt euch also in acht!«
»Wo ist die Mühle?« erkundigte ich mich.
»Wenn ihr hier am Wasser aufwärts geht, kommt erst ein Bach von rechts, dann einer von links, dann wieder einer von rechts. An diesem Bach hat Ben Adl, der Schurke, sich festgesetzt, um unser schönes Dschan zu verschandeln. Sein Vater war der hiesige Befehlshaber der persischen Zollwache. Er ist jetzt Kettengefangener. Der Vater seines Weibes war der hiesige Befehlshaber der türkischen Zollwache, der ebenfalls in Ketten liegt. Beide wurden abgesetzt und bestraft, weil sie große Unterschleife und Betrügereien begangen hatten. Sie mußten alles hergeben, was sie besaßen. Nur eins konnte man ihnen nicht nehmen, nämlich das Land, das sie für ihre Kinder gekauft hatten. Sie haben ihnen ein Haus darauf gebaut und sie dann miteinander vermählt. Aus diesem Haus ist eine Schneidemühle geworden, in der diese Kinder nun als Mann und Weib wohnen, um mir meine Bäume wegzufällen und mich totzuärgern. Sie machen aus diesen Bäumen Bretter, die sie über das ganze Hochland bis nach Kurdasir und Feridan, sogar bis Teheran und Ispahan versenden, wo Pilgersärge aus ihnen gezimmert werden. Dieses viele Geld könnte ich mir selbst verdienen. Sie nehmen es mir weg. Sie bestehlen und berauben mich! Darum verbiete ich euch, mit ihnen zu verkehren. Wenn ihr es dennoch tätet, würde meine Rache euch vernichten.«
»Die meine auch!« rief Achmed Agha, das Vogelgesicht.
»Die meine auch!« rief Achmed Agha, das Bulldoggenantlitz.
»Die unsere auch!« warnten die beiden Selim, Fuchs und Marder, zusammen.
Nachdem sie ihre Pflicht hiermit getan zu haben glaubten, nahmen ihre Gesichter sofort wieder die freundlichsten Züge an, und wir wurden mit strahlendem Wohlwollen entlassen.
Schweigend wanderten wir am Wasser hinauf, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Wir befanden uns kaum erst drei Stunden bei diesen Leuten und wußten trotz dieser kurzen Zeit doch schon, wie tief sie standen. Sie zu durchschauen war freilich noch nicht möglich, aber wir hegten beide die Überzeugung, daß es uns wahrscheinlich beschieden sei, nur Schlimmes aufzudecken. Nachdem wir lange Zeit still nebeneinander hingegangen waren, fragte Halef:
»Sihdi, soll ich dir sagen, was wir beide jetzt denken?«
»Wir denken beide«, antwortete ich, »daß wir nun erst recht zu Ben Adl, dem Sägemüller, gehen. Der wird wahrscheinlich ein braver Mensch sein!«
»Ganz meine Ansicht. Ich habe ihn jetzt schon lieb. Wen so ein dicker, schielender, habsüchtiger Abdahn haßt, der verdient gewiß, daß man ihm Achtung und Vertrauen schenkt. Hast du gerochen, wie der Effendi stank, als er vor uns die Treppe emporstieg?«
Ich nickte nur. Da fuhr er fort:
»Er stank nach allen möglichen schlechten Düften, besonders aber nach Geist- und Seelenlosigkeit. Lauf, Effendi, damit wir schneller vorwärtskommen!«
Er verdoppelte die Schritte seiner kurzen Beine und zwang mich dadurch, auch meinerseits schneller auszuschreiten. Nach einer halben Stunde erreichten wir den ersten, von rechts herbeirauschenden Bach, nach einer zweiten halben Stunde den, der von der linken Seite her sich, gleich dem ersten, in das Hauptwasser ergoß. Das Tal, dem wir folgten, war oft sehr breit, zuweilen aber auch ebenso schmal, immer aber von dichtem Unterholz besetzt, aus dem die Kronen hoher Bäume ragten. Es gab hier einen Holzreichtum, der für Persien beinahe als Wunder zu betrachten war. Es mochte wieder fast eine halbe Stunde vergangen sein, so daß wir nun anderthalb Stunden lang gewandert waren, da erreichten wir den dritten Bach, den zweiten, der von rechts her mündete. Wir bogen in diese Richtung ein, um seinem Lauf entgegenzugehen. Der Weg wurde hier gangbarer. Er verließ sogar zuweilen den Bach, um in gerader Richtung eine Windung abzuschneiden. Während wir ihm aufwärts folgten, hatten wir diese Windungen bald zur rechten, bald zur linken Seite neben und unter uns liegen. Es galt, kleine Brücken zu übersteigen. Das Plätschern und Murmeln des Wassers erklang bald hüben, bald drüben. Bei einer dieser Gelegenheiten hörten wir auch menschliche Stimmen. Es schienen weibliche zu sein. Wir blieben stehen und lauschten. Der Weg lag an dieser Stelle über dem Bach. Zwei Riesenbuchen standen in einiger Entfernung von ihm, und zwar genau am Rand, der sich zum Bach niedersenkte. Die Hälfte ihrer Wurzeln verlief nach unserer Seite in die Erde. Die andere Hälfte stieg auf der Gegenseite im Freien abwärts, bis sie unten den Boden erreichten und in ihm verschwanden. Diese freiliegenden Wurzeln bildeten eine Art von Nische, in der zwei Bänke standen, eine niedrige und eine höhere, aus Stein und Moos gebaut.
Man sah, das war zum Beten.
Um zu erkunden, wer da sprach, waren wir an die Buchenstämme getreten, ließen uns leise nieder und schauten heimlich hinab. Auf der niedrigen Bank knieten zwei Kinder nebeneinander, ein Knabe und ein Mädchen. Sie hatten die Hände gefaltet auf den Schoß einer Frau gelegt, die vor ihnen auf der höheren Bank saß. Alle drei beteten, und zwar mit vereinten Stimmen. Und was sie beteten, das war nicht aus dem Koran, sondern aus der Bibel, nämlich das Vaterunser, natürlich in arabischer Sprache.
Sie beteten in einer unendlich rührenden, gläubigen Weise. Die Augen der Kinder waren voll Liebe auf das Gesicht der Mutter gerichtet; diese hatte den Blick zum Himmel erhoben, und ihre Augen erglänzten in heiligem Feuer. Man sah und hörte, daß hier drei Herzen beteten, die wirklich an die Macht und an die Güte dessen glaubten, an den sie sich wendeten. Als wir zu horchen begannen, waren sie mit den ersten Bitten schon vorüber. Nun fuhren sie fort:
»Unser tägliches Brot gib uns heute! Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel! Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! Erlöse den Vater unseres Vaters und den Vater unserer Mutter von den Ketten, in die sie unschuldig gefallen sind! Du kannst sie retten, wenn du willst! Amen!«
Als sie geendet hatten, drückte die Mutter die Köpfchen der Kinder ans Herz und gab jedem einen Kuß. Mich faßte tiefe Rührung; ich stand auf und trat von den Bäumen zurück. Daß wir hier lauschten, kam mir wie eine Entheiligung des Gebetes vor. Halef schien dasselbe zu fühlen. Er zog mich noch weiter fort und sagte:
»Komm, wir gehen!«
Erst als wir uns weit genug entfernt hatten und rings von Gebüsch umgeben waren, hielt Halef die Schritte wieder an. Dann fragte er:
»Für wen hältst du diese drei Personen, Effendi?«
»Für die Frau und Kinder des Sägemüllers Ben Adl«, antwortete ich.
»Ich auch. Die Mühle scheint nicht mehr fern von hier zu sein, denn dieser Platz war doch der Gebetsplatz, und den legt man sich so nahe wie möglich ans Haus. Gehen wir geradewegs in die Mühle?«
»Nein. Wenigstens nicht gleich. Wir umkreisen sie erst einmal, ohne daß man uns sieht. Es ist immer vorteilhaft, ein sicheres Bild von der Wohnung zu haben, bevor man zu den Leuten geht, die sich darin befinden.«
»Du meinst, daß es geraten ist, sich erst um den Körper zu bekümmern, ehe man sich an die Erforschung des Geistes macht?«
»Ja. Nun komm!«
Wir schritten weiter. Wie Halef vermutet hatte, so war es: die Mühle lag in der Nähe. Wir waren noch nicht weit gegangen, so blieb ich überrascht stehen; denn ich sah ein reizendes Landschaftsbild vor mir liegen, das von einem Künstler nicht lieblicher und traulicher hätte angelegt werden können und mich fast heimatlich anmutete. Die bisher schmale Schlucht des Baches erweiterte sich plötzlich zu einem nicht unbedeutenden Talkessel, der von hier gegen Morgen lag und uns gleich beim ersten Blick verriet, daß sein Besitzer ein fleißiger, umsichtiger und überhaupt befähigter Mann sei. Der Kreis, den der Boden des Kessels bildete, war mit Feldern, Wiesen und Weiden, die vom Bach bewässert wurden, ausgelegt. Uns gegenüber sah ich einen Steinbruch, in dem man arbeitete. Hüben zogen sich zwei große, wohlgepflegte Gärten am Abhang des Berges hinauf. Zwischen ihnen lag die Mühle, deren Rad aber nicht durch den Bach, sondern mit Hilfe eines von weiter oben herbeigeleiteten Wassergrabens in Bewegung gesetzt wurde. Ihre innere Einrichtung war uns unbekannt, doch stand zu vermuten, daß sie einer einfachen deutschen Sägemühle ähnlich sei. Vor ihr waren große Haufen von Stämmen, Klötzen und Brettern aufgestapelt. Seitwärts stand ein zwar niedriges, aber sehr geräumiges Gebäude, das jedenfalls als Unterkunftshaus diente. Daneben gab es eine Hürde, in der fremde Kamele, Maultiere und Maulesel standen, die für das Fortschaffen der Bretter bestimmt waren. Überall sah man arbeitende Menschen. Auf den Weiden grasten Pferde, Kühe, Schafe und Ziegen, und rund um dieses schöne, erfreuliche Bild zog der Hochwald seinen dichten schützenden Rahmen. Man konnte es verstehen, daß der dicke Abdahn Effendi sich über diesen Besitz, über diesen Fleiß und über diesen unverkennbaren Wohlstand reichlich ärgerte.
Wir hielten am Rand des Waldes und brauchten, um ins Freie zu gelangen, nur noch einige Schritte zu tun. Das Unterholz wurde aus dichten Jasmin- und wilden Weichselbüschen gebildet, die in Blüten leuchteten und einen Duft verbreiteten, den diese Sträucher in Deutschland nie erreichen. Eben wollte ich für einen Augenblick den Schutz der Bäume verlassen, um mich zu vergewissern, wohin wir uns zu wenden hätten, da trat ich rasch wieder zurück, weil aus dem einen naheliegenden Garten drei Männer kamen, die ihre Richtung nach der Stelle nahmen, wo wir uns befanden. Da mündete ja der Weg, der wahrscheinlich nicht nur der unsrige, sondern auch der ihrige war. Sie wollten vermutlich da hinunter, wo wir heraufgekommen waren. Wir verbargen uns hinter dem hellen Grün und duftenden Weiß der Jasmine, um sie an uns vorübergehen zu lassen, doch kam es etwas anders, als wir dachten.
Zwei von ihnen waren bejahrte Männer, aber noch rüstig. Ihre Bewegungen waren würdevoll, ihre Haltung stolz und fest, beinahe militärisch. Sie hatten Vollbärte. Der dritte war bedeutend jünger als sie, stark und kräftig gebaut, mit einem ungewöhnlich offenen, klugen Gesicht. Er trug nur einen Schnurrbart. Sein Anzug zeigte die Spuren der Arbeit, doch sah man ihm an, daß er nicht als Untergebener tätig war. Er behandelte die beiden älteren Männer mit sichtbarer Hochachtung.
»Ob das etwa Ben Adl, der Müller, ist?« fragte Halef.
»Sehr wahrscheinlich«, sagte ich.
»Die beiden anderen sind nicht von hier«, fuhr er fort. »Das sind zwei vornehme Herren. Und sie lenken nach dem Weg, der hinunter ins Haupttal und dann nach Abdahn Effendis Haus führt. Weißt du, mir erscheint der Gedanke annehmbar, daß es die beiden Fremden sind, die in den Zimmern über uns wohnen, obwohl ich gar keine Anhaltspunkte dafür habe. Wenn Abdahn Effendi uns verboten hat, hierher zu gehen, so ist wohl anzunehmen, daß er es auch den beiden anderen Gästen untersagte.«
»Die aber ganz so wie wir der Meinung waren, daß sie nicht verpflichtet sind, ihm zu gehorchen! Doch still! Sie sind schon da.«
Wir waren der Ansicht gewesen, daß diese Leute an uns vorüberschreiten würden. Das taten sie aber nicht, sondern sie blieben an der Stelle, wo der Steg aus dem Wald mündete, stehen. Bald sahen und hörten wir, warum. Wir hatten uns nicht geirrt. Sie waren die, für die wir sie gehalten hatten, nämlich der Sägemüller und die beiden Fremden aus Basra und Luristan, die gerade über unseren beiden Zimmern wohnten. Sie hatten im Garten ein wichtiges Gespräch gehabt, und der Müller begleitete seinen Besuch nun bis hierher, wo ihr Heimweg durch den Wald begann.
Da verweilten sie einige Augenblicke, um sich voneinander zu verabschieden.
»Hierbei hat es also zu bleiben«, sagte einer der beiden älteren Herren auf arabisch, doch hielt ich ihn infolge seiner Aussprache für einen Perser. »Es bleibt uns leider kein anderes Mittel mehr übrig. Ist auch das ohne Erfolg, so geben wir diese Forschungen auf und gehen in unsere Standorte zurück.«
»Das verhüte Gott!« seufzte der Müller und faltete die Hände.
»Weiter bleibt uns dann allerdings nichts übrig«, bestätigte der andere ältere Herr, der unbedingt ein Türke war. »Wir geben zu, daß diese drei Personen im höchsten Grad verdächtig sind; aber wir können ihnen nichts beweisen. Der Zoll bringt nichts mehr ein, und doch wissen wir, daß bedeutende Mengen von Waren gerade hier durch Dschan nach beiden Richtungen gehen. Wir hofften auf dich. Du lebst ja hier und kennst die Verhältnisse. Du behauptest, daß dein Vater und der Vater deiner Frau unschuldig bestraft worden seien. Also hast du allen Grund, uns nachweisen zu helfen, was für Schurken die drei Kerle sind. Was aber haben wir entdeckt?«
»Nichts, gar nichts!« antwortete der Perser schnell. »Nur eins haben wir gefunden, nämlich, daß die beiden Achmed Agha sich als Obersten und die beiden Selim Agha sich als Leutnants bezeichnen, obwohl kein Mensch daran gedacht hat, sie zu befördern. Die Achmeds sind heute noch Leutnants und die Selims heute noch gewöhnliche Soldaten. Aber das gibt keinen Grund, sie zu bestrafen. Sie würden einfach sagen, daß es ein Scherz sei, oder daß sie diese Täuschung wegen der Schmuggler für notwendig gehalten haben, um Eindruck zu machen und sie vom Verbrechen abzuschrecken. Sie haben sich in ihren Berichten niemals als etwas Höheres bezeichnet, als sie sind, und darum könnte auf diese falsche Rangbezeichnung der Bevölkerung gegenüber höchstens ein Verweis erfolgen, zumal sie niemals Uniform getragen haben, am allerwenigsten die eines Ranges, den sie nicht bekleiden. Diese drei Männer sind entweder grundehrliche Leute oder so abgefeimte Schurken, daß wir nicht die geringste Waffe gegen sie in die Hand bekommen werden. Trotz deiner Hilfe, und obwohl wir schon zwei Wochen lang, von ihnen unerkannt, bei ihnen wohnen und sie so scharf beobachten, daß uns sicherlich nichts entgangen ist, haben wir nichts erreicht. Nun müssen wir nur noch die Wirkung unseres neuen Plans abwarten. Der von mir in Teheran bestellte Bote wird von heute an in vier Tagen eintreffen – –«
»Der, den ich in Bagdad bestellt habe, ungefähr an demselben Tag«, bestätigte der Türke, indem er ihm in die Rede fiel.
»Sie kommen also wohl an einem und demselben Tag nach Dschan«, sagte der Sägemüller, »und die beiden sogenannten Obersten werden daher zu gleicher Zeit die Meldung erhalten, daß ein persischer und ein türkischer, hochstehender Geheimbote als Beauftragte und Bevollmächtigte ihrer Regierungen kommen werden, um eine Untersuchung gegen sie einzuleiten. Daß diese beiden Sendlinge schon da sind, das wissen und ahnen sie nicht. Durch diese Botschaft werden sie in eine gewaltige Aufregung versetzt werden. Sie werden hin und her rennen, werden Tag und Nacht arbeiten und alles mögliche aufbieten, die Spuren ihrer verbrecherischen Tätigkeit zu verwischen. Sie werden ihre Ruhe verlieren und weniger vorsichtig sein. Wir aber werden unsere Aufmerksamkeit verdoppeln und es bemerken, wenn sie sich durch irgend etwas verraten.
»Das ist es, was wir hoffen«, gestand der Perser. »Daß dann auch dein Vater und der Vater deines Weibes unterwegs sind, wird den Obersten nicht mitgeteilt. Sie werden fürchterlich erschrecken, wenn sie beide sehen, und der Augenblick dieses Schreckens wird, so hoffe ich, sie so betroffen machen, daß sie alle ihre Geheimnisse verraten.«
»Und dann werden unsere Väter freigelassen?« erkundigte sich der Müller.
»Nur für den Fall, daß erwiesen wird, daß sie damals unschuldig waren. Denn was die drei Schurken nachher taten, kann eure Väter nicht befreien.«
»Wir bitten Gott täglich um Hilfe.«
»Das ist umsonst.«
»Warum? Wohl, weil ich Christ bin?«
»O nein!« lächelte der Perser. »Nicht deshalb. Ich bin Schiit; mein Kamerad hier ist Sunnit, und du bist Christ. Wir sind das nur, weil unsere Väter das waren, was wir sind. Das gewöhnliche Volk aber rechnet sich das als Verdienst an. Es verlangt für dieses Verdienst, daß Allah stets bereit sei, ihm zu dienen. Es betet; das heißt, es belästigt ihn; es fordert von ihm Dinge, zu denen er nicht verpflichtet ist. Mein Kamerad hier ist zwar Sunnit, er leugnet aber Allah ganz. Ich, der Schiit, will ihn zwar nicht leugnen, aber ich mute ihm auch nicht zu, unser Packträger und Wunscherhörer zu sein, sooft wir es von ihm verlangen. Wenn du glaubst, daß er etwas auf das Plappern und Beten der anderthalbtausend Millionen Menschen, die es gibt, achtet, so bist du unheilbar irr im Kopf.«
»Nein, ihr seid irr!«
»Beweise es!«
»Das kann ich nicht. Das kann nur Gott!«
»So mag er es beweisen!«
»Ja, das ist die Art der Ungläubigen«, nickte der Müller. »Erst sagen und behaupten sie, daß es keinen Gott gebe, und dann verlangen sie, daß er sie dennoch höre und sich ihnen offenbare. Es sind also sehr schwache Füße, auf denen euer Unglaube steht.«
»Spotte nicht!« gebot ihm der Türke. »Du bist Müller, nichts weiter. Du sägst dein Holz und staubst deine Gebete wie Sägemehl in die Luft. Sie fallen ganz von selbst wieder nieder. Wir aber wissen das besser. Du beteuerst, es walte ein Gott, kannst es aber nicht beweisen. Ich aber glaube, daß es keinen Gott gibt, und mein Kamerad, der Schiit, behauptet, daß ein Gott, selbst wenn es einen gäbe, unmöglich auf dein Lallen hören kann. Wir werden dir das beweisen. Du, dein Weib und deine Kinder, ihr betet täglich, daß der Gott der Christen euch von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden erlösen möge?«
»Ja.«
»Und ihr glaubt, daß er es erhört? Dann muß er euch erhören, muß, muß! Sonst ist er ja noch schlimmer als dieser Abdahn Effendi nebst allen seinen Schmugglern, Dieben und Betrügern! Sag das deinem Gott! Laß es ihm auch durch deine Frau und deine Kinder sagen! Und füge noch folgendes hinzu: Wenn es wirklich einen Gott gibt, der die Gebete der Christen hört, so verlangen wir von ihm, da er das eurige erfüllt, und zwar nicht durch uns, sondern eben auch durch einen Christen und – –«
»Und«, fiel ihm der Perser in die Rede, »und wir verlangen ferner von ihm, daß Abdahn Effendi selbst zu ihm beten soll: Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! Hast du das verstanden, Ben Adl?«
Der Gefragte war vor Schreck einige Schritte zurückgetreten. Er entgegnete:
»Verstanden habe ich es. Aber das ist ja Gotteslästerung!«
»O nein! Wir geben dem Gott der Christen nur Gelegenheit zu zeigen, daß er wirklich vorhanden, und daß seine Ohren offen stehen, zu hören, was man betet.«
»Aber das ist es ja eben, was ich als Gotteslästerung bezeichne!«
»So mag er ihn hören, diesen Frevel!«
»Das heißt soviel, wie euch bestrafen!« rief der Müller entsetzt.
»Laß es so heißen; wir fürchten uns nicht!« erwiderte ihm der ungläubige Türke. »Wenn es einen Gott der Christen gibt, ist er noch lange nicht ein Gott der Mohammedaner.«
»Er ist beides! Er ist der Gott aller Menschen, der Herr und Vater der ganzen erschaffenen Welt.«
»Der meine nicht! Er lasse mich in Ruhe! Doch nun leb wohl, Ben Adl; wir gehen.«
Er reichte ihm die Hand und entfernte sich. Auch der Perser gab ihm die Hand und sprach:
»Leb wohl! Ich verwerfe Allah nicht ganz. Nur behaupte ich, daß er viel zu hoch steht, als daß er sich um uns bekümmern kann. Laß dich von ihm behüten – wenn er will!«
Er folgte dem Türken. Dieser war schon einige Schritte in die Waldung hineingegangen. Da drehte er sich noch einmal um, und nickte dem Müller zu:
»Also laß es ihn wissen, was wir von ihm verlangen! Er soll jemand senden, der uns das beweist. Wenn er das tut, werde ich an ihn glauben.«
Da blieb auch der Perser wieder halten und fügte hinzu:
»Und Abdahn Effendi hat ihn in eigener Person und mit seinem eigenen Mund zu bitten, daß er euch von ihm erlöse.«
»Und die Strafe für diese eure Lästerung?« fragte der Müller mit einer Stimme, die man zittern hörte.
»Die gibt es nicht«, – beteuerte der Türke.
»Und wenn es sie doch gibt?«
»So mag sie kommen«, erwiderte der Perser. »Wir fürchten uns nicht.«
Dann gingen sie. Der Müller blieb noch eine kurze Weile stehen. Er schaute in die Richtung, die sie genommen hatten.
»Gott hat es gehört!« sagte er, indem er seine Hände zusammenschlug. »Er wende es zu unserem Heil und Segen!«
Nach diesen Worten schritt er fort, der Mühle zu. Wir warteten noch einige Zeit, bevor wir unser duftendes Jasminversteck verließen. Dann schauten wir hinter ihm drein, bis er in der Mühle verschwand.
»Sihdi, was sagst du hierzu?« fragte Halef.
»Nichts. Wir gehen«, entgegnete ich. »Für heute haben wir genug gehört und gesehen.«
Unterwegs verhielt sich Halef zunächst gegen seine Gewohnheit schweigsam. Er schien an die Mühle zu denken und an das, was wir erfahren hatten. Auch ich grübelte nach. Aber er konnte das nicht lange aushalten; er mußte reden.
»Sihdi«, meinte er, »du glaubst an keinen Zufall?«
»Nein«, antwortete ich.
»So wurden wir hierhergeführt, und du hältst dich also für den Christen, der retten und helfen soll?«
»Ja.«
Hierauf schwieg er eine Weile, dann fuhr er fort:
»Du weißt, daß ich dich in der ersten Zeit, nachdem wir uns kennengelernt hatten, immer zum Islam bekehren wollte. Nun aber hast du beinahe gesiegt. Ich bin fast Christ geworden, ohne daß du den geringsten Versuch, mich zu überzeugen, nötig hattest. Das ist die Macht des Glaubens, der nur in Taten lehrt. Aber heute bist du doch zu kühn. Heute ist dein Glaube gar zu groß! Auch ich bin überzeugt, daß wir bald entdecken werden, was diese beiden geheimen Sendlinge nicht herausbekommen haben. Wenn uns das gelingt, so ist die Bedingung, die der Türke stellt, erfüllt. Jedoch die Bedingung des Persers! Abdahn Effendi soll selbst beten, daß Gott die Menschen von ihm erlöse! Hältst du das überhaupt für möglich?«
»Es ist in fast jeder Beziehung eine Unmöglichkeit, nur nicht in Beziehung auf meinen Glauben. Noch vor einer Woche wollten wir nach Mossul. Wir hätten es für unmöglich gehalten, heute hier in Dschan zu sein. Jetzt sind wir dennoch hier! Aus welchem Grund? Nur allein, weil mir der Gedanke kam, nach Teheran zu gehen, obgleich es nichts zu diesem Entschluß Treibendes gegeben hat. So gibt es auch für Abdahn Effendi jetzt keinen Grund, ein solches Gebet gegen sich selbst zu tun. Aber wenn es hoch über ihm beschlossen ist, daß es geschehe, so hat er zu gehorchen. Zerbrechen wir uns nicht den Kopf, sondern warten wir es ab!«
»Gut, warten wir es ab! Aber wenn sich deine Zuversicht bewähren sollte, so bin ich besiegt und muß für immer schweigen.«
Hiermit hatte er seinem Herzen Luft gemacht und war nun wieder still.
Als wir daheim eintrafen, sah ich den türkischen Achmed Agha, der von der Anhöhe herabgestiegen war, um das Abendbrot bei Abdahn Effendi zu essen. Die vier Agha waren nämlich alle unverheiratet und pflegten ihre Mahlzeiten bei ihrem dicken Freund einzunehmen. Als der »Mir Alai« mich sah, grüßte er mich schon von weitem. Das veranlaßte mich, halten zu bleiben, und das Gewehr, das ich mitgenommen hatte, Halef mit der Bitte zu geben, es mit dem seinigen hinauf zu uns zu tragen. Ich ging dem »Obersten« die kurze Strecke, die uns trennte, entgegen. Er verbeugte sich höflich, reichte mir die Hand und fragte mit wohlwollendem Lächeln:
»Schon zurück? Es ist Essenszeit. Speist ihr, du und dein Hadschi Halef Omar, mit?«
»Gewiß!«
»Das freut mich. Ich habe ihn schnell liebgewonnen, er mich aber auch. Und das ist kein Wunder, denn weißt du, ich bin eine Seele von einem Menschen, und was ich anderen Leuten an den Augen ablesen kann, das tue ich. Auch dein Herz wird mir bald gehören. Also komm!«
Er schritt der Tür des Hauses zu. Da erscholl von der anderen Seite her eine rufende Stimme. Ich sah den persischen Achmed Agha nahen. Auch er grüßte schon von weitem, und ich ging ihm entgegen. Er verneigte sich tief, drückte mir die Hand und sprach:
»Ich freue mich außerordentlich, daß ihr schon zur Essenszeit wieder heim seid. Ihr speist doch mit? Wenn ja, so erlaube mir, mich neben dich zu setzen! Ich habe dich nämlich schnell liebgewonnen, denn ich bin wirklich eine Seele von einem Menschen, wie du wohl schon bemerkt haben wirst. Wenn es mir gelänge, auch deine Teilnahme zu finden, so wäre ich sehr glücklich!«
Soeben kam Halef wieder von oben herab. Wir traten in dieselbe Stube, in der wir schon gewesen waren. Da saß Abdahn Effendi schon bei seiner Mahlzeit.
Wir begrüßten ihn und nahmen bei ihm Platz.
Zu essen gab es genug: Fleisch, Reis, anderes Gemüse, auch Mehlgebackenes. Als Halef um Wasser bat, sahen die drei einander fragend an: dann erkundigte sich der Dicke:
»Trinkt ihr nur Wasser?«
»Nein, sondern auch alles andere, was nicht giftig ist«, lachte Halef.
»Auch Wein?«
»Ja. Warum sollten wir nicht?«
»Weil er dem Moslem verboten ist!«
»Da irrst du dich! Der Koran verbietet alles, was betrunken macht. Also darf man von allem trinken, bis man bemerkt, daß sich der Rausch einstellt; dann aber hört man auf.«
»Hamdulillah, bist ein kluger Kerl!« rief der Effendi und die beiden anderen stimmten in dieses Lob mit ein. Man hatte nur gewartet, was wir sagen würden; nun man unsere Ansicht kannte, wurde sofort nach Wein gerufen, den man in einem Krug brachte und der aus irdenen Bechern getrunken wurde. Es war jene orientalische schwere Sorte, die man jahrelang auf Harz oder Tannenzapfen liegen läßt, um sie haltbar zu machen. Wir beide waren vorsichtig und nippten nur. Die anderen aber genossen dieses starke Getränk wie Wasser. Wir wurden wegen unserer Mäßigkeit ausgelacht. Man sprach von allen möglichen Getränken und ihren Wirkungen. Das Allerherrlichste, was sie kennengelernt hatten, war ein heißer Trank mit sehr viel Zucker gewesen, aber nicht aus Wein, sondern aus etwas anderem; auch Zitrone sei dabei. Ein Engländer, der mit einer großen Dienerschaft nach Ispahan wollte, hatte hier übernachtet und seinen eigenen Koch und seine eigenen Getränke mitgehabt. Dieser Koch hatte dieses Getränk in der Küche zubereitet und dem Wirt und den beiden Obersten je ein Glas davon gegeben.
»Haben sie nicht gesagt, wie der Name dieses Trankes lautet?« fragte Halef. »Mein Sihdi weiß alles. Wenn er den Namen hört, kann er das ebensogut machen, wie dieser englische Koch.«
»Wirklich?« fragte da der Dicke, und: »Wirklich, wirklich?« riefen auch die beiden Achmeds, denen dieser Gesprächsstoff ebenso willkommen zu sein schien wie dem Effendi.
»Ja, wirklich!« versicherte Halef.
Da stand der Türke von seinem Sitz auf, sah mir erwartungsvoll ins Gesicht und sagte, indem er jedes einzelne Wort betonte:
»Dieser – Wundertrank – heißt – – Plöntsch!«
»Plöntsch?« fragte Halef, sich besinnend, »Das kenne ich nicht. Plöntsch habe ich noch nie getrunken. Du wohl auch nicht, Effendi?«
»O doch!« antwortete ich. »Und auch du hast schon von ihm getrunken. Nur heißt der Name nicht Plöntsch, sondern Pöntsch. Wir Deutschen sagen Punsch.«
»Ja, Pöntsch, Pöntsch!« rief der Oberst mit dem Vogelgesicht.
»Pöntsch, Pöntsch!« stimmte der Oberst mit dem Bulldoggengesicht bei.
»Pöntsch, Pöntsch!« fiel der Dicke in seinem seligsten Ton ein. »Pöntsch ist richtig, Pöntsch! Du weißst es ja noch viel besser als ich! Doch sag: Kannst du das machen, Sihdi?«
»Ja. Aber nur dann, wenn ich alles habe, was dazu gehört.«
»Hast du Rum oder Arrak?«
»Beides!« erwiderte er leise, indem er beide Hände in Form einer sich heimlich öffnenden Doppelklappe vor den Mund legte.
»Dann ist es ja gut! Der Zoll, die Steuer und solche Dinge gehen mich ja nichts an. Also, wer Pöntsch machen will, muß haben Rum, Arrak, Zucker, Zitronen, Zwiebeln, Knoblauch, heißes Wasser und – und – – und etwas, was dir leider fehlen wird.«
»Was mir fehlen wird? Was ist das?« fragte er in höchster Spannung.
»Aloe!« antwortete ich.
»Aloe! Die hab' ich!« jubelte er auf.
»Er hat sie!« rief der eine Achmed.
»Er hat sie!« schrie der andere Achmed.
»Ja, ich habe sie!« brüllte er selbst. »Wie mich das freut! Weißt du, Sihdi, ich bin ein Gemütsmensch! Ich habe immer alles, was andere Leute brauchen. Es sollte mal ein ganzer, großer Korb voll hier durchgepascht werden; der wurde von der Behörde beschlagnahmt. Nun habe ich ihn! Du kannst ihn bekommen. Den ganzen Korb voll, wenn du ihn brauchst.«
»Wieviel enthält der Korb?«
»Eine halbe Maultierlast.«
»Das ist mir fast zuviel für einen einzigen Pöntsch«, lachte ich. »Gib mir ein Stück, so groß wie eine Pflaume, dazu acht große Zwiebeln, sechs Knollen Knoblauch, zwölf Zitronen, eine Flasche Rum, eine Flasche Arrak und den nötigen Zucker, so sollst du einen Pöntsch bekommen, der auf alle Fälle noch weit besser als der des Engländers ist. Aber ich stelle die Bedingung, daß ich ihn selbst in der Küche machen darf und daß es keinem Menschen erlaubt ist, mich dabei zu stören.«
»Das wird alles geschafft. Und niemand soll es wagen, dir dabei zu nahe zu kommen«, versicherte der Dicke. »Allah segne dich, Effendi, Allah segne dich! Du bist ein von ihm begnadeter Mann. Erstens, weil du die Zutaten so genau weißt, und zweitens, weil du es unterwegs nicht vergessen hast. Man darf zwar keinem Menschen wissen lassen, daß man Rum und Arrak hat, weil nämlich ein entsetzlich hoher Zoll darauf liegt. Zu dir aber haben wir Vertrauen; dir darf man alles sagen. Ich werde also selber gehen, um dir diese Dinge zu besorgen. Dann führe ich dich in die Küche!«
Er rannte fort, so schnell sein Körperbau es ihm gestattete. Halef machte ein Gesicht wie ein Kaninchen, dessen Bau verregnet ist. Die Aloe, der Knoblauch und die Zwiebeln wollten ihm nicht in den Kopf; ich aber blieb ernst und tat, als ob ich von den Gewissensschlägen, die er fühlte, keine Ahnung hätte. Wir aßen weiter, bis der Wirt mich nach einiger Zeit in die Küche holte. Das war ein großer, auf der anderen Seite des Hauses liegender, nur von brennenden Spänen erleuchteter Raum, in dem mehrere weibliche Gestalten unter der Anleitung einer ewig langen und unendlich dürren Frau beschäftigt waren, fürs leibliche Wohl der Gäste zu sorgen. Der Effendi sagte mir, daß dies seine Gattin sei, daß er keine Töchter habe, und daß seine beiden Söhne sich in Bagdad und Teheran als Kaufleute niedergelassen hätten. Er schnippste dabei mit den Fingern, um mir anzudeuten, wie vorzüglich sie sich in ihren Geschäften ständen. Ich vermutete, daß ihre einträgliche kaufmännische Tätigkeit sehr nahe mit dem hiesigen Schmuggel zusammenhing. Dann führte er mich an einen einzeln stehenden Tisch, auf dem ich alles liegen sah, was ich für nötig befunden hatte.
»Darf ich zusehen, wie du das machst?« fragte er.
»Leider nein«, antwortete ich. »Du würdest mich in meiner Andacht stören. Man hat bei der Bereitung dieses Trankes gewisse geheimnisvolle Verse herzusagen. Paßt man da nicht auf, so schmeckt er bitter und derart widerwärtig, daß man ihn nicht genießen kann.«
Er ging. Nun gab ich der Frau das Stückchen Aloe, um es im Mörser zu Mehl zu stoßen, die Zitronen, um sie zu schälen, und die Zwiebeln und den Knoblauch, um sie auf dem Reibeisen klein zu machen. Das hatte den Erfolg, daß die Frauenzimmer alle zu niesen begannen. Inzwischen sah ich mich nach einem Gefäß um, das sich dazu eignete, als Punschschüssel benützt zu werden. Zwei alte große Krüge erschienen mir am besten geeignet.
Ich spülte sie in dem frischen Wasser aus, das in sehr praktischer Weise vom Bach her durch die Küche geleitet war und gerade an meinem Tisch vorüberfloß. Als mir dann die Zutaten in verfeinerter Form zurückgegeben wurden und auf dem Herd das Wasser zu sieden begann, machte ich mich an die Arbeit. Aloe, Zwiebeln, Knoblauch und so viel von den Zitronen, wie ich zuviel genommen hatte, ließ ich heimlich in das Wasser fallen; alles verschwand, ohne daß man es bemerkte. Der Rum und Arrak gaben gerade und genau die zwei Krüge voll Punsch, dessen Duft durch die ganze Küche ging. Ich winkte die Frau herbei und gab ihr zu kosten. So lang und schmal sie war, so verschüchtert sah sie aus. Sie hatte große Augen und einen so traurigen Blick, daß ich mich herabließ, freundlich mit ihr zu sein. Das machte sie so verlegen, daß sie kein Wort zu sprechen wagte. Aber während sie kostete, sagte mir ihr Gesicht, daß ihr das Getränk überaus lecker vorkam. Ich sagte ihr, daß der eine Krug für uns sei, der andere aber für sie und ihre Dienerinnen und Schützlinge unter den armen Gästen der Karawanserei. Da griff sie schnell nach meiner Hand, um sie zu küssen, und faßte dann strahlenden Auges nach ihrem Krug. Ich trug den meinen ins Speisezimmer, das eigentlich das Wohnzimmer des Effendi war und nicht von jedermann betreten werden durfte. Man versuchte. Man schnalzte mit den Zungen. Man war entzückt; man trank! Man war des Lobes voll! Man versicherte, daß der Pöntsch des Engländers nicht halb so gut gewesen sei wie der meinige! Ich trank wenig; Halef auch. Um so fleißiger waren die drei anderen. Der Inhalt des Kruges reichte gerade aus, sie in jene Stimmung zu versetzen, in der man mit der Seligkeit keines anderen Menschen tauscht; um sie aber betrunken zu machen, war er zu wenig. Wir bekamen eine Menge Lobeserhebungen und Liebeserklärungen anzuhören, denn die beiden »Obersten« erhielten durch den Punsch eine Redseligkeit sondergleichen. Wenn der eine soeben zum zehntenmal versichert hatte, daß er eine wahre Seele von einem Menschen sei, so behauptete der andere bereits zum dreizehntenmal, daß er das von sich gar nicht erst zu sagen brauche, denn das wisse doch schon alle Welt. Der Effendi aber wurde still. Nur in den Augenblicken, in denen es ihm gar zu gut schmeckte, schlug er mit der Faust auf den Tisch und schrie:
»Ich bin ein Gemütsmensch! Daß ihr es wißt! Und wer es nicht glaubt, den schmeiße ich hinaus.«
Als der Krug leer war, überkam den persischen Achmed eine Schläfrigkeit, der er nicht widerstehen konnte. Nach einiger Zeit folgte ihm der Wirt. Beide schliefen. Der türkische Achmed lachte über sie, fühlte sich aber auch ermüdet und sagte, daß er heimgehen werde, ohne die Schläfer aufzuwecken; das werde sie ärgern. Ich begleitete ihn hinaus. Draußen gestand er:
»Sihdi, ich habe dich unendlich lieb. Willst du mir eine Bitte erfüllen?«
»Gern, wenn ich kann«, versicherte ich.
»Ihr geht doch morgen wieder in den Wald. Besucht mich vorher. Ich habe euch etwas Hochwichtiges mitzuteilen, das euch große Freude bereiten wird. Werdet ihr kommen?«
»Ja.«
»Ich danke dir! Ihr werdet es nicht bereuen. Es ist immer verdienstvoll, so eine Seele von einem Menschen, wie ich bin, zu besuchen, und ich werde es euch königlich lohnen.«
Er hob den Arm bei dieser ernsthaften Beteuerung wie zum Schwur und ging davon, ohne einen Gruß zu sagen. Als ich wieder in die Stube trat, wachte der Perser soeben auf. Er entdeckte, daß sein Kamerad gegangen war. Da entfernte er sich auch, ohne den Effendi zu wecken. Wir gingen mit ihm hinaus.
Draußen sagte er, indem er sich Mühe gab, nicht hin- und herzuschwanken:
»Sihdi, ich bin dein Freund, dein bester Freund! Glaubst du das?«
»Wünschst du, daß ich daran zweifle?« entgegnete ich vorsichtig.
»Nein, wahrhaftig nein! Ich liebe dich. Ich liebe euch alle beide. Und ihr liebt mich wieder, denn ihr habt gesehen, daß ich eine Seele von einem Menschen bin. Ich muß auch beweisen, wie nahe ihr meinem Herzen getreten seid. Darum würde ich euch bitten, mich gleich morgen früh zu besuchen, doch befürchte ich, daß ich noch schlafe. Deshalb lade ich euch ein, zu Mittag zu mir zu kommen. Willst du mir diese Liebe erweisen?«
»Mit Vergnügen!«
»Ich danke dir! Allah sende euch einen recht dicken, fetten Schlaf! Gute Nacht!«
»Gute Nacht.«
Er ging. Ich bemerkte, daß Halef etwas sagen wollte, und verhinderte ihn daran.
»Pst, still! Die beiden Geheimboten schauen oben heraus. Ich hörte, daß sich ein Laden bewegte. Sie haben alles vernommen, denn der Perser sprach überlaut.«
»So werden sie uns für Freunde dieser Verbrecherbande halten. Treten wir wieder ein?«
»Nein. Wir gehen schlafen. Komm!«
Wir begaben uns nach der Rückseite des Hauses und stiegen die Treppen nach dem platten Dach empor, um unsere Wohnung aufzusuchen. Die beiden über uns hausenden Männer hörten uns jedenfalls kommen; sehen konnten sie uns nicht, denn die Nacht war stockdunkel. Ohne vorher unsere kleinen Sesamöllämpchen angebrannt zu haben, legten wir uns zur Ruhe und schlummerten bald ein. Doch dauerte der Schlaf wohl keine Viertelstunde lang, so wurden wir geweckt. Nun machten wir Licht und sahen jetzt die lieben Tierchen laufen, die sich aus allen Rissen und Ritzen des Holzes auf uns gestürzt hatten. Wie die beiden Männer über uns die Angriffe dieser Menge von Insekten auszuhalten vermochten, das war mir unbegreiflich.
Wir ergriffen die Flucht. Draußen auf dem Dach, möglichst weit von unseren Zimmern entfernt, richteten wir uns mit Hilfe unserer eigenen Decken so gut es ging, ein Lager her, das uns eine längere Ruhe versprach. Aber auch da gab es eine Störung, wenn auch keine so häßliche. Wir hatten uns kaum eingerichtet und lagen nun still, den Schlummer zu erwarten, da hörten wir eine laute Stimme unter uns, die so nahe klang, als ob der Sprechende seinen Mund von unten herauf an das Dach halte. Er schien sehr aufgeregt zu sein. Man konnte ihn gut hören, sogar die Worte unterscheiden, nur war es unmöglich, sie zu verstehen. Das klang zwischen Halef und mir, von einer bestimmten Stelle. Wir tasteten beide zu gleicher Zeit hin. Da war ein Loch gewesen, ungefähr vom Durchmesser eines gewöhnlichen Ofenrohrs. Das hatte man mit Lappen zugestopft und diese Lappen dann oben mit dem Fuß geebnet.
»Du, Effendi, weißt du, wo wir sind?« fragte Halef leise. »Ich glaube, wir liegen gerade über der Stube, in der wir gesessen haben!«
Er hatte recht. In dieser Stube stand ein Herd, oder vielmehr, er lag zu ebener Erde. Einen Herdmantel gab es nicht, sondern hüben und drüben einen vorstehenden Mauerpfeiler, zwischen denen der Rauch emporgeleitet wurde. Und oben ging ein rundes Loch durchs Dach, in das im Winter jedenfalls ein Rohr gesteckt wurde, um als Schornstein zu dienen. Jetzt, im Anfang des Sommers, wo man nicht heizte, hatte man es herausgenommen. Wir zogen die Lappen so vorsichtig heraus, daß nichts davon hinunter in die Stube fiel. Als ich nun durch die Öffnung schaute, konnte ich fast den ganzen Raum überblicken und jedes Wort deutlich verstehen. Nachdem wir den Effendi verlassen hatten, war ein Mann zu ihm gekommen, den Abdahn uns nachschickt hatte, um uns zu beobachten, ob wir nach der Mühle gehen würden. Er hatte sich hart hinter uns gehalten und alles belauscht. Nun hatte er gewartet, bis wir schlafen gingen, und stand jetzt vor dem Effendi, um ihm Bericht zu erstatten. Der Dicke war sehr aufgeregt. Er schritt auf und ab, bewegte aufgeregt beide Arme und sprach in lautem, zornigem Ton. Er war eben jetzt mitten in einem angefangenen Satz:
»– – der Frau und den Kindern solche Schlechtigkeit zu lehren! Oder hast du etwa falsch verstanden?«
»Nein«, versicherte der Mann. »Die beiden Fremden hatten sich unter den Bäumen niedergelegt; ich aber war über den Bach hinübergesprungen und konnte von drüben aus die Betenden viel deutlicher sehen und hören als sie.«
»Und du hast wirklich verstanden, was du behauptest?«
»Ja. Sie beteten das Vaterunser der Christen. Sie sagten alle drei: ›Erlöse uns von dem Übel! Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden‹! Dann später rief der Perser, der bei uns wohnt, dem Müller die Worte zu: ›Und Abdahn Effendi hat in eigener Person und mit seinem eignen Mund zu bitten, daß er euch von ihm erlöse!‹ Auch das habe ich deutlich vernommen.«
»Wer ist das, den ich bitten soll?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was hast du sonst noch erkundet?«
»Weiter nichts. Der Deutsche stand mit dem kleinen Scheik, der so gern erzählt, im Gebüsch und lauschte. Diese beiden haben jedes Wort gehört. Ich aber konnte nur verstehen, was zu allerletzt so laut gerufen wurde. Später folgte ich unseren neuen Gästen dann weiter durch den Wald, kam ihnen aber nie so nahe, daß ich vernahm, was sie miteinander sprachen.«
»Das ist sehr schlimm. Es wäre gut, zu erfahren, was sie erlauscht haben. Der Türke ist nicht aus Basra und der Perser nicht aus Luristan. Beide sind Offiziere. Man hat Verdacht gegen uns geschöpft. Sie sind gekommen, eine Untersuchung einzuleiten. Das haben die beiden ›Seelen‹, sowohl der türkische als auch der persische Achmed Agha, sofort durchschaut. Bei uns hier hat man Wohnung genommen, um uns aus erster Hand beobachten zu können, und den Müller besucht man heimlich, um sich mit ihm zu verschwören. Sie ahnen nicht, daß du sie schon so lange beobachtest, wie sie sich hier befinden. Sobald sie anfangen es zu arg zu treiben, stechen wir sie einfach nieder und schießen den Deutschen mit seinem kleinen Hanswurst als ihre Mörder über den Haufen.«
»Das ist zu gefährlich«, fiel der Berichterstatter ein. »Ich schlage das Mittel vor, das uns schon einmal gerettet hat: Pulver in die Schlafstatt und eine Zündschnur daran, die draußen am Stamm des Pfirsichs herunterführt. Dann fliegen alle vier, die verkappten Offiziere, der Deutsche und der kleine Hadschi mit einemmal in die Luft, und alle Welt glaubt, daß sie selbst schuld sind, weil sie mit Pulver und Patronen gespielt haben.«
»Ja, das ist besser und kürzer«, stimmte der Dicke bei. »Würdest du die Sache wohl wieder wie damals ausführen?«
»Gegen den damaligen Lohn, tausend Yäk quirahn Tausend Franken, sehr gern.«
»Die gebe ich, wenn es wieder so gelingt wie mit den beiden Schnüfflern, die ausfindig machen sollten, von wem damals die zwei Hauptleute und die zwei Oberleutnants mit ihren vier Soldaten ermordet worden seien.«
»Das haben die beiden Leutnants gut besorgt. Daß ich ihren Führer machte, brachte mir zweitausend Yäk quirahn von ihnen ein.« Und mit einem grausamen Lachen fügte er hinzu: »Sie bluten noch heute manches Gold- und Silberstück, weil die Beweise von ihrer Schuld noch immer in meinem – Bein stecken.« Bei diesem Nachsatz war seine Stimme in gedankenverlorenes Murmeln übergeglitten.
»In welchem Bein? Du sprichst nur immer von Schuldbeweisen in deinem Bein! Das ist doch wohl Unsinn?«
»Nein, es ist Wahrheit, geht aber dich nichts an. Es genügt, wenn ich dir sage, daß es mir jetzt nicht schlechter gelingen wird als damals. Die tausend Yäk quirahn sind mir sicher. Soll ich den Deutschen mit seinem kleinen Scheik auch morgen wieder beobachten?«
»Ja, Ich muß unbedingt wissen, ob das heute nur Zufall war, oder ob er die wirkliche Absicht hat, den Müller aufzusuchen.«
»So will ich schlafen gehen, sonst bricht er morgen auf, noch bevor ich aufgestanden bin.«
Er entfernte sich. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, hob Abdahn Effendi die geballte Faust und schüttelte sie ihm drohend nach:
»Lauf heute noch hin, Bursche! Auch deine Zeit ist nahe! Du spielst dein letztes Pulver aus; dann fliegst du hinterdrein.«
Er ging noch einigemal hin und her, dann schob er den Innenriegel der Tür vor und trat zum Herd. Da lag ein Borstenbesen. Mit dem kehrte er den aufgehäuften Schmutz von der steinernen Platte, die in gleicher Linie mit dem Boden lag, und richtete sie nach einer Seite in die Höhe. Jetzt wurde eine große, tiefe, viereckige Grube sichtbar. Er griff hinein, zog ein Korbgeflecht, das genau hineinpaßte, in die Höhe und setzte es auf den Fußboden. Das geschah gerade senkrecht unter meinen Augen. Es war nicht möglich, alles deutlicher zu sehen. Als der Korb nun stand, glich er einer Kommode mit fünf übereinanderliegenden Fächern, nur daß es keine Kästen zum Herausziehen und Hineinschieben gab. Die Böden waren unbeweglich und die Fächer mit geflochtenen kleinen Türen verschlossen. Der Effendi öffnete eine und entnahm dem Fach ein dickes Geschäftsbuch. Damit begab er sich an den Tisch, an dem wir gesessen hatten, und rechnete irgend etwas nach. Dann schlug er das Buch wieder zu, legte es in das Fach und verschloß es. Endlich versenkte er den Korb wieder in das Loch und ließ die Platte darauf nieder, um sie von neuem mit Schmutz und Asche zu bedecken. Diese Arbeit fiel ihm bei seiner Wohlbeleibtheit überaus schwer. Als er sich wieder aufrichtete, holte er tief Atem und sprach halblaut, für mich aber doch vernehmlich, vor sich hin:
»Alle Geheimnisse liegen hier vergraben. Niemand kann es finden! Sie sind zu dumm dazu, zu dumm!«
Er blies die Öllampe aus und verließ die Stube. Es gab keine Lagerstatt darin; er schlief also an einem anderen Ort.
Welch eine unendlich wichtige Entdeckung hatte ich da gemacht; Halef hatte nicht mit lauschen können. Ich erzählte ihm alles. Er war nicht sehr erstaunt. Daß wir in die Luft gesprengt werden sollten, überraschte ihn am meisten. Und sein größer Ärger war, daß der Effendi gewagt hatte, ihn einen kleinen Hanswurst zu nennen.
»Der soll den Hanswurst kennenlernen!« drohte er. »Hast du bemerkt, daß man die zwei Obersten die ›beiden Seelen‹ nennt?«
»Ja. Wegen ihrer ständigen Redensart!«
»Und daß der Dicke nun auch schon das vom Vaterunser weiß?«
»Das ist mir das Wichtigste! Das ist Fügung! Das ist die Einleitung zur Erfüllung der zweiten Bedingung. Es wird in ihm solange wirken und arbeiten, bis er plötzlich platzt. Doch, nun haben wir auch nach dem Schlaf zu trachten! Gute Nacht, Halef!«
Lange wollte uns der Schlaf nicht kommen. Halef hatte noch eine Menge von Fragen, und fast hätten wir vergessen, das Kaminloch wieder zu verstopfen. Endlich kam doch der Schlummer und ging nicht eher wieder fort, bis die Sonne aufgegangen war. Da badeten wir im Bach, tranken unseren Morgenkaffee, sorgten für Mundvorrat, nahmen unsere Gewehre und begannen unser Tagewerk. Der Dicke schlief noch. Er mochte annehmen, daß wir uns auf die Jagd begeben hätten, in Wahrheit aber stiegen wir zu Achmed Agha, dem Mann mit dem Vogelgesicht, hinauf.
Die Karawanenstraße zog sich in mehreren Windungen zur Höhe und war zu beiden Seiten von Büschen eingesäumt. Nach der ersten Windung blieben wir hinter diesen Sträuchern stehen, um zurückzuschauen. Wirklich! Der Berichterstatter, den ich gestern abend mit dem Effendi belauscht hatte, folgte uns. Er hatte uns abgelauert.
»Wer mag er sein?« fragte Halef.
»Das werden wir vom türkischen Achmed Agha erfahren, der ihn ja vorübergehen sieht«, entgegnete ich.
Hierauf eilten wir weiter, um den Spion nicht merken zu lassen, daß er von uns durchschaut worden sei. Es hat keinen Wert, die Gebäude der türkischen Zollwache zu beschreiben; es genügt, zu sagen, daß der Befehlshaber schon munter war und uns von weitem kommen sah. Er trat heraus, um uns zu empfangen. Kaum war dies geschehen, so erschien auch der Spion. Ich hatte angenommen, daß er, sich gleichgültig stellend, vorübergehen werde. Zu meiner Verwunderung aber tat er das nicht, sondern als er uns stehen sah, kam er geradewegs auf uns zu. Achmed Agha winkte nach ihm hin:
»Da kommt Omar, mein Basch Tschausch Feldwebel. Er ist ein tüchtiger Mann. Erlaubst du, daß er bei uns bleibt?«
»Du bist der Herr; dein Wille geschieht. Er ist also auch Militär?«
»Eigentlich nicht. Er stammt von hier. Ich nehme meine Mannschaften nicht vom Militär, sondern aus der hiesigen Gegend; das ist vorteilhafter. Tretet ein! Möge es euch bei mir gefallen!«
Er führte uns nicht in den Dienstraum, sondern in sein Privatgemach, wo er wohnte, rauchte und schlief. Der Feldwebel stellte sich außerordentlich untertänig, glückselig, sich uns zugesellen zu können, und wir behandelten ihn so freundlich, als ob wir gar nichts wüßten. Sobald wir Platz genommen hatten, zögerte Achmed Agha nicht, uns mitzuteilen, welchen Grund seine Einladung hatte. Er hielt eine lange Rede über seine Liebe zu uns und über meine Geschicklichkeit, Pöntsch zu machen. Dieser Pöntsch sei der höchste aller irdischen Genüsse, und er hoffe, daß ich das, was ich gestern für Abdahn Effendi getan habe, heute auch für ihn tun werde. Er sei eine Seele von einem Menschen und werde mir gewiß sehr dankbar sein. Er habe alles besorgt: Zitronen, Zwiebeln, Knoblauch, Arrak und Rum sei trotz der hohen Zölle immer da. Nur Aloe habe er nicht. Ob es nicht vielleicht auch einmal ohne diese gehe? Ich könne ja die Verse, die ich dabei zu singen habe, auf das Fehlen der Aloe einrichten. Es sei heute ein so schöner, sonniger Morgen; da müsse ein Pöntsch oder zwei gedeihlich sein. Wenn der Pöntsch ohne Zeugen gemacht werden müsse, so solle ich ihn drüben in der Stube zubereiten, wo der Basch Tschausch wohne, da dessen Zimmer ja jetzt frei sei. Dort gebe es auch einen Herd.
Man kann sich denken, wie gerne ich auf die Wünsche Achmed Aghas einging. Welch eine vortreffliche Gelegenheit, nach dem »Bein« des Feldwebels zu suchen, in dem die Schuldbeweise versteckt sein sollten!
Als ich mich bereit erklärt hatte, wurde ich hinübergeführt. Was ich brauchte, wurde beschafft, und zwar genausoviel wie gestern, obwohl heute weniger Personen waren. In Beziehung auf die fehlende Aloe gab ich den Trost, daß der Pöntsch hierdurch zwar weniger glühend, aber um so wärmer werde. Achmed Agha machte in eigener Person Feuer; dann entfernte man sich. Ich war allein und schob den Riegel vor, damit mich niemand überraschen könne. Während der Zeit, die das Wasser brauchte, um ins Kochen zu kommen, forschte ich. Es verstand sich von selbst, daß der Feldwebel das Bein irgendeines Möbels gemeint hatte. Es war aber kein anderes Möbel mit Beinen zu sehen als das niedrige, orientalische Bettgestell in der einen Ecke. Vielleicht war eins der vier Beine hohl! Ich hob das Gerät erst auf der einen, dann auf der anderen Seite empor, um nachzuschauen. Wirklich! Von dem im äußersten Winkel stehenden Bein war unten ein dünnes Scheibchen quer herüber abgesägt und dann mit kleinen, kurzen Holzstiften wieder angenagelt worden. Mit Hilfe meiner Messerklinge gelang es mir leicht, diese Scheibe mitsamt den Stiften zu entfernen. Als dies geschehen war, sah ich, daß der Basch Tschausch das Bein etwas über fingerstark ausgebohrt hatte. In dem so entstandenen, röhrenartigen Loch steckten Papiere, die ich herauszog. Sie waren zusammengerollt; ich entfaltete sie und las. Es waren zwei Berichte, der eine in türkischer und der andere in persischer Sprache geschrieben. In dem türkischen wies der türkische Achmed Agha nach, daß der persische Achmed Agha damals den persischen Hauptmann, den persischen Oberleutnant und die ihnen beigegebenen Soldaten nach und nach erschossen habe, um selbst Befehlshaber zu werden, und in dem persischen brachte der persische Achmed Agha die Beweise, daß der türkische Achmed Agha damals den türkischen Hauptmann, den türkischen Oberleutnant und ihre beiden Soldaten nacheinander weggeknallt habe, um die oberste Stelle hier zu erhalten. Dabei lagen einige Bemerkungen von des Feldwebels Hand, aus denen hervorging, daß diese Berichte von den beiden Achmed Agha verfaßt worden waren, um einander gelegentlich zu vernichten, und daß der Basch Tschausch sie ihnen gestohlen hatte, um Erpressungen auszuüben. Ich wußte genug, rollte die Papiere zusammen und steckte sie wieder in das hohle Bein. Die Holzscheibe, deren Stifte genau in die kleinen Löcher paßten, wurde wieder festgeklopft und das Bett sodann an seine vorige Stelle gerückt.
Nach diesem Erfolg machte ich mich an meine eigentliche Aufgabe, nämlich an den Pöntsch. Die guten Leute hatten mir ein Feuer angezündet, an dem ich ein Kalb hätte braten können. Ich warf die Zwiebel, den Knoblauch und die überflüssigen Zitronen hinein, und es dauerte nur kurze Zeit, bis ich sie in Asche verwandelt sah. Dann goß ich Arrak und Rum zusammen und verteilte beides derart in die zwei Krüge, daß der Punsch in dem einen recht mild und lieblich, in dem anderen aber zehnfach stark geriet. Jetzt löschte ich das Feuer aus und trug das Getränk zu den sehnsuchtsvoll Wartenden hinüber. Natürlich stellte ich die Krüge so, daß die milde Sorte auf Halef und mich, die starke aber auf die beiden anderen kam.
Wollte ich berichten, was während des Trinkens alles gesprochen wurde, so würde diese Erzählung zu einem Schwank werden. Doch darf ich nicht verschweigen, daß wir nach einem kleinen Stündchen den Basch Tschausch hinüber auf sein Bett schaffen mußten, weil er sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Ich war froh, als er fort war; denn da nun Achmed Agha sich allein mit uns befand, konnte er freier reden als vorher. Auch er hatte bereits einen Rausch, doch befand er sich noch im Zustand des Prahlens, aus dem man dann in den der Aufrichtigkeit tritt. Ich übergehe alles nicht hierher Gehörige. Wir erfuhren, daß die beiden Zollwachen gleich gebaut seien; ein großes Haus für den Obersten und ein kleines für den Leutnant; hierzu die nötigen Diensträume. Aber die Leutnants waren so verteilt, daß der türkische Leutnant drüben auf der persischen Zollwache und der persische Leutnant hüben auf der türkischen wohnte, weil auf der türkischen Seite auch persisch und auf der persischen Seite auch türkisch befördert werden mußte. Als er uns dies erklärte, war er mit seinem Rausch bereits so weit gekommen, daß er die beiden Achmeds, die beiden Selims, die beiden Zollwachen und das Türkische und Persische schon nicht mehr auseinanderhalten konnte. Er verwechselte alles. Er kam nach und nach ins Lallen. Als ich ihn fragte, warum der persische Leutnant hier hüben und sein eigener Leutnant drüben beim Perser sei, sah er mich erst ganz verständnislos an und antwortete dann:
»Wie sollte ich denn sonst die Durchlaßmarken erhalten?«
Diese Worte verstand ich nicht. Während er sie sagte, ließ er den rechten Arm sinken und machte mit der Hand jene von vorn nach hinten gehende, schraubende Bewegung, die soviel wie verschwinden lassen oder stehlen bedeutet. Ich fragte nicht weiter, denn solche Dinge darf man nicht erzwingen wollen, sondern man muß sie an sich kommen lassen. Als sich seine Betrunkenheit so vergrößert hatte, daß sie übermächtig wurde, war das Letzte, was wir von ihm erfuhren, sein unüberwindlicher Abscheu vor den schiitischen Perserleichen, die hier sehr häufig, oft sogar in ganzen Karawanen vorübergeschafft wurden, um drunten in den heiligen Städten des Irak Arabi begraben zu werden. Er konnte diesen Gestank nicht vertragen und ergriff die Flucht, sooft sich so etwas nahte. Eben, als er das erzählte, kam ein Mann herein, der sehr vertraut mit ihm zu verkehren schien. Der meldete, daß der persische Leutnant jetzt nicht aufpasse und daß die drei Maultiere also jetzt abgehen könnten. Er bitte um drei Marken.
»Ich komme gleich«, erwiderte der Befehlshaber.
Der Mann entfernte sich, und Achmed Agha wollte sich von seinem Sitz erheben, fiel aber, sooft er es versuchte, immer wieder nieder. Da zog er unter der Weste ein kleines Täschchen hervor, reichte es mir hin und lallte:
»Nimm drei heraus, und geh hinaus! Klebe sie auf!«
»Wohin?« fragte ich.
»Den Ma–ma–maultieren a–a–auf den Sti–ti–tirnriemen. Da kl–le–lebt sie der Pe–pe–perser immer hi–hi–hin!«
Ich öffnete.
Das Täschchen enthielt Durchlaßmarken.
»Aber das sind ja persische!« sagte ich erstaunt. »Du darfst nur türkische aufkleben!«
»Ich dda–darf, was ich will!« schnaubte er mich an, »Du hast zu geho – ho – horchen! Packe dich!«
Ich gehorchte in guter Absicht, nahm drei Marken heraus, gab ihm das Täschchen zurück und ging hinaus. Da hielt der Mann mit den drei Maultieren. Ich klebte jedem eine Durchlaßmarke auf den Stirnriemen. Der Mann bedankte sich und zog dann mit seinen Tieren davon. Er hielt mich für eingeweiht, und ich war es nun allerdings. Der türkische Achmed Agha stahl sich von dem persischen Selim Agha persische Durchlaßmarken, um auf eigene Hand Schmuggel zu treiben. Infolge dieser Marken unterließ es der persische Befehlshaber, das Gepäck zu untersuchen, weil er annahm, daß es schon von seinem Leutnant untersucht worden sei. Als ich wieder hinkam, lag der Türke auf seinem Kissen und schnarchte. Wir gingen fort, ohne den Versuch zu machen, ihn aufzuwecken.
Eben als wir aus dem Hause traten, sahen wir drei halbnackte Kerle eintreffen, die die persische Grenze hier überschritten hatten und an der türkischen Maut sich und ihr Gepäck untersuchen lassen mußten. Jeder von ihnen führte ein abgetriebenes Maultier, und jedes Maultier trug zwei geradezu pestartig stinkende Särge, in denen sich die faulenden Überreste verstorbener Perser befanden. Die Schiiten glauben bekanntlich, daß man geradewegs in den Himmel komme, wenn man sich nach dem Tod nach Meschhed Ali oder Kerbela schaffen läßt, um dort begraben zu werden. Der Gestank war so groß, daß wir uns die Nasen zuhalten mußten. Da kein Beamter sich blicken ließ, gingen die drei Menschen langsam vorüber und lächelten einander dabei so frohlockend zu, daß es auffällig war.
»Sihdi, denen schleichen wir nach! Die haben etwas!« flüsterte Halef.
Ich war einverstanden. Wir ließen sie erst um die nächste Wegbiegung verschwinden und huschten ihnen dann nach. Die Hochebene war noch auf eine große Entfernung hin, soweit die Feuchtigkeit des Tals reichte, mit Busch und Baum besetzt. Das bot uns gute Deckung. Die drei Maultiertreiber sahen nicht, daß wir ihnen folgten. Es verging eine Viertelstunde und noch eine, ohne daß irgend etwas geschah. Dann aber blieben sie plötzlich stehen, schauten sich lange und vorsichtig um und drangen, als sie sich unbemerkt glaubten, von der Straße ab in die Büsche ein. Wir folgten ihnen nicht, sondern warteten. Nach einiger Zeit erschienen sie an derselben Stelle wieder, um den unterbrochenen Weg fortzusetzen. Als sie in der Ferne verschwunden waren, gingen wir bis an die betreffende Stelle und ließen uns von der sehr deutlichen Spur ins Gebüsch führen. Schon nach wenigen Schritten rochen wir, daß sie ihre stinkenden Lasten hier zurückgelassen hatten. Je weiter wir kamen, desto fürchterlicher wurde der Gestank, bis wir eine tief eingesunkene Bodenstelle erreichten, wo der duftende Inhalt ihrer Särge lag, gräßlich faules, höllische Pestdünste aushauchendes Fleisch. Und zwar war es Wild, nur Wild.
»Also keine menschliche Leiche«, staunte Halef. »Man füllt die Särge halb mit stinkendem Fleisch und halb mit Schmuggelware! Hat man die Zollwache hinter sich, so wirft man das Fleisch weg und lacht Achmed Agha, den Türken aus, der den Gestank nicht vertragen kann und also keinen Sarg untersucht. Wer mag der Pfiffikus sein, der sich das ausgedacht hat?«
»Ich vermute, daß wir das bald erfahren werden. Für jetzt wissen wir genug und können gehen.«
Wir kehrten nach dem Tal zurück, durchquerten es aber nicht auf der Karawanenstraße, weil wir da von Abdahn Effendi oder seinen Leuten gesehen worden wären, sondern auf einer im Wald liegenden Stelle, wo der Bach schmal genug zum Überspringen war. Dann stiegen wir jenseits unter den Bäumen nach dem hohen Rand hinauf, um nun den persischen Achmed Agha aufzusuchen, denn der Mittag war inzwischen nahe herangerückt. Als wir die Zollwache, die genau wie die türkische gebaut war, vor uns liegen sahen, blieb Halef stehen und sagte:
»Effendi, es überkommt mich der Verdacht, daß du auch hier wieder Pöntsch kochen sollst. Was meinst du dazu?«
»Ich glaube, daß du höchstwahrscheinlich recht vermutest.«
»Ich bin überzeugt, daß auch der persische Achmed Agha Zitronen, Zwiebeln und Knoblauch besorgt hat!«
»Vielleicht sogar auch Aloe!« fügte ich hinzu.
»Was wirst du machen, wenn man das von dir verlangt?«
»Pöntsch werde ich machen, Pöntsch, Pöntsch! Diese Leute wollen ihn ja haben, und du wirst sehen, daß heute abend auch der Dicke mit demselben Wunsch kommen wird, wenn er sich inzwischen nicht selbst geholfen hat.«
»Allah verhüte es!« rief er aus. »Der täte ja wirklich hinein, was du nur scheinbar hineingegeben hast! Wie soll das schmecken und wirken?«
»Hoffentlich sehr gut, nämlich uns. Für einen Mann, der uns in die Luft sprengen will, kann der Pöntsch gar nicht genug Zwiebeln und Knoblauch haben. Vorwärts!«
Wir traten aus dem Wald und schritten auf die Rückseite der Zollwache zu. Dennoch wurden wir erblickt, denn als wir um das Hauptgebäude herumgegangen waren und uns dem Eingang näherten, kam der Befehlshaber heraus, um uns schon an der Tür zu empfangen.
»Welche Freude! Welches Glück!« rief er aus. »Kommt schnell, schnell! Es liegt schon alles bereit!«
»Was liegt bereit?« fragte Halef.
»Der Rum, der Arrak, die Aloe und alles andere, was dazu gehört.«
»Woher hast du die Aloe?«
»Von Abdahn Effendi. Ich ließ ihm sagen, daß ich das bittere Zeug zum Beizen des Holzes brauche. Du weißt doch wohl, daß man es auch hierzu verwenden kann? Also tretet ein! Ich habe dafür gesorgt, daß kein Mensch uns stört. Wir sind vollständig allein.«
Er führte uns in das Haus, und zwar zunächst in den Raum, wo sich der Herd befand. Dort lagen auch die Zutaten. Sogar das Feuerholz hatte er bereits so angeschichtet, daß man es nur anzuzünden brauchte.
»Siehst du, wie liebreich ich das alles eingeleitet habe?« sagte er. »Ja, ich bin eine Seele von einem Menschen. Und darum wirst du mir den Pöntsch so gut und so stark wie möglich machen. Wir verlassen dich, der Verse wegen, die du zu sagen hast. Wenn du fertig bist, so komm in die Stube gegenüber; da warten wir auf dich.«
Er führte Halef fort, und ich konnte mein Werk beginnen. Ich will Begebenheiten, die ich schon beschrieben habe, nicht wiederholen; es sei nur kurz erwähnt, daß der Mann mit dem Bulldoggengesicht durch den Punsch wenigstens ebenso unvorsichtig und plauderhaft gemacht wurde, wie drüben der Mann mit dem Vogelantlitz. Ich erfuhr ziemlich viel. Beide waren Geschöpfe des dicken Effendi, überragten ihn an Schlauheit aber ganz bedeutend. Beide haßten ihn und betrogen ihn. Beide haßten und betrogen auch einander. Der persische Selim Agha lachte über den Abscheu, den sein türkischer Kamerad und Namensbruder gegen den Geruch der Leichen hatte, und der höhnische Klang dieses Lachens ließ vermuten, daß der erwähnte Abscheu auf der anderen Seite eine ganz befriedigende Wirkung habe. Schließlich schlief der diesseitige Befehlshaber ebenso lallend ein, wie der jenseitige. Wir betteten ihn bequem auf seine Kissen und gingen dann fort, ohne uns um weiteres zu bekümmern.
Es war erst zwei Stunden nach Mittag. Also beschlossen wir, wieder nach der Schneidemühle zu gehen, und suchten von der anderen Seite an sie heranzukommen. Wir stiegen nicht wieder ins Tal hinab, sondern wir blieben auf der Höhe, um an deren Rand hinzuschreiten. Während wir dieses taten, bemerkten wir, daß Spuren von Stiefeln und Hufen in das Gebüsch hinunterführten. Wir folgten ihnen und kamen an eine Stelle, an der es fürchterlich stank. Wir untersuchen sie.
Hier waren nach unserer Meinung unbedingt die drei Särge gefüllt und die Maultiere beladen worden. Die beiden Achmed Agha betrieben im Verein mit Abdahn Effendi eine sehr einträgliche Schmuggelei. Sie betrogen sich aber auch gegenseitig, der eine mit Hilfe gestohlener Durchlaßmarken, die er seinen Waren aufklebte, und der andere brachte das Schmuggelgut als »Leichen« über die Grenze. Das hierzu nötige Wild schoß er sich wahrscheinlich selbst. Nach dem Ort zu suchen, wo er es aufbewahre, bis es stank, war heute nicht nötig. Wir stiegen also wieder zur Höhe hinauf und wanderten der Mühle entgegen.
Bald kamen wir über den Oberlauf des ersten Baches und dann eine Stunde später an den dritten, an dem die Mühle lag. Wir folgten diesem. Als wir sie erreichten, befanden wir uns schräg gegenüber der Stelle, an der wir uns gestern hinter die Jasmine versteckt hatten. Die Müllerin war mit den Kindern im Garten. Sie schnitt Rosen. Auch den Müller sahen wir. Er band junge Obstbäume an die Pfähle. Wir schritten über die Weiden hinüber, gerade auf sie zu. Sie sahen es und kamen an den Zaun. Der Müller auch. Als wir sie erreichten, grüßten wir und äußerten unsere Freude über die prachtvollen Rosen. Sofort griffen die Kinder mit allen vier Händchen in den Korb, um mir eine ganze Menge zu bringen. Ich aber bat nur um zwei, für mich eine und für Halef eine. Hierauf suchte die Müllerin die zwei schönsten aus und reichte sie uns. Ich nahm die meine und dankte mit den Worten:
»Weißt du schon, o Müllerin, daß die Engel des Gebetes am liebsten auf Blumendüften auf- und niedersteigen?«
»Ich hörte es«, antwortete sie.
»Du betest mit deinen Kindern: ›Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden!‹ In diesem Gebet steigen deine Engel zum Himmel auf. Und auf dem Duft dieser Rosen kehrten sie zu dir zurück, um dir zu sagen: Euer Gebet ist erhört. Nur noch wenige Tage, so seid ihr erlöst.«
Und mich an ihren Mann, den Müller, wendend, fuhr ich fort:
»Die Bedingung des türkischen Geheimboten ist bereits erfüllt: Gott hat den Christen gesandt! Nun warte getrost, was weiter geschieht! Lebt wohl! Und Dank für eure Rose!«
Ich ging schnell fort. Halef dankte auch und folgte ebenso rasch. Ihre Stimmen klangen hinter uns her. Wir sahen aber nicht zurück, sondern beeilten uns, im Wald zu verschwinden. Hierauf machten wir eine gemütliche Wanderung durch den herrlichen Forst, wobei wir einen großen Wildstand wahrnahmen.
Dann gingen wir heim.
Als wir dort ankamen, war es bereits dunkel. Das Eßzimmer war leer. Man sagte uns, daß Abdahn Effendi sehr krank sei und mich bitten lasse, zu ihm zu kommen. Ich wurde nach seiner Schlafstube geführt. Da lag er in einem eigenartigen Zustand. Seine Frau wußte weder aus noch ein mit ihm. Er hatte schon gleich am Vormittag »Pöntsch« gemacht, er selbst, mit Aloe, Knoblauch und Zwiebeln. Das war nichts Wunderbares; das hatte ich sogar erwartet. Aber er hatte ihn auch getrunken, und das war eine Leistung, die ich mir als keine menschliche denken konnte. Dann hatte er wie ein Klotz gelegen und geschlafen. Am Nachmittag war Bewegung über ihn gekommen. Er hatte sich hin und her geworfen und allerlei dummes Zeug gesprochen, besonders einige eigentümliche Worte über sich selbst, die sie nicht begreifen könne. Ich erkundigte mich, welche Worte das seien; da gab er mir die Antwort ungefragt. Er richtete sich halb auf, starrte wie in die Ferne und rief:
»Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! Das soll ich sagen! Ich will nicht, ich will nicht! Aber ich fühle, daß ich muß, ich muß, ich muß.«
Dann fiel er wieder um. Er war ohne Besinnung. Er hatte uns gar nicht beachtet. War das nur der Rausch? Oder wirkte auch noch etwas anderes mit?
»Das sind die Worte, die ich meine«, sagte die Frau.
»Und was hat er außerdem noch alles gesprochen?« forschte ich.
Das brachte sie in große Verlegenheit. Sie schwieg. Antworten konnte sie nicht; sie hätte ja alles verraten. Sie wollte die ganze Nacht hier sitzen bleiben und keinen Menschen zu ihm lassen. Mich habe sie nur fragen wollen, ob diese Krankheit schlimm und langwierig sei. Ich gab ihr den Bescheid, daß sich das erst morgen zeigen werde, und ging fort, um Abendbrot zu essen und mich dann zur Ruhe zu legen. Die zweimalige Trinkerei hatte auch uns ermüdet.
Heute versuchten wir gar nicht erst, in unserem Wanzenzimmer zu schlafen. Wir machten es uns gleich auf dem Dach bequem und zwar auf derselben Stelle wie gestern. Die zwei Achmed Agha hatten wir nicht zu erwarten, denn es war die Botschaft von beiden gekommen, daß sie am Abend amtlich ungemein beschäftigt seien. Die verkappten Bevollmächtigten waren daheim. Es brannte Licht in den beiden Stuben. Am anderen Morgen waren sie so zeitig wach wie wir, nämlich schon beim Tagesgrauen. Sie gingen an uns vorüber, als wir unseren Pferden einige Bewegung machten. Wir grüßten. Sie taten, als ob wir gar nicht vorhanden seien.
Dann brachen wir auf zu einem Pirschgang. Nach unserer Rückkehr trafen wir auf Abdahn Effendi. Er hatte sich heute von seiner gestrigen Niederlage wenigstens körperlich erholt. Man sah deutlich, es ging ihm irgend etwas im Kopf herum, und er bewegte sehr oft die Lippen, als ob er heimlich mit sich selbst zu sprechen habe. Davon, daß er Pöntsch gekocht und getrunken hatte, sagte er kein Wort. Auch die beiden Befehlshaber, die heute wieder mit zu Abend aßen, schwiegen über ihre Gastereien und ihre Bombenräusche. Als sie später heimgingen und auch ich mich mit Halef entfernen wollte, bat Abdahn Effendi uns, noch einige Minuten zu warten; er habe uns eine Frage vorzulegen. Wir blieben also.
Zunächst warnte er uns vor dem Türken und dem Perser, die über uns wohnten. Die hatten ihm gesagt, er solle sich vor uns hüten, weil wir sicher weiter nichts als nur Pferdediebe seien. Solche Pferde und solche Menschen könnten höchstens nur durch Diebstahl zusammenkommen. Sodann fragte er mich insbesondere, ob ich, der ich ja ein Gelehrter sei, etwas von den Krankheiten des Geistes wisse.
Ich nickte.
Da fuhr er fort:
»Ich komme mir seit gestern vor, als ob ich wahnsinnig werden sollte. Es steckt ein fremder Kerl in mir, der mich zwingen will, etwas zu sagen, was die größte Dummheit ist, die es geben kann.«
»Was ist das, was du sagen sollst?« fragte ich.
»Das sage ich ja eben nicht. Es ist ein bestimmter Satz, mit dem ich innerlich geladen bin, wie eine Flinte mit der Kugel. Und immerwährend greift eine Hand nach dem Drücker, um diesen Satz, diese Kugel abzuschießen. Das ist eine entsetzliche Qual! Ich habe nur immer auf diese Hand aufzupassen, daß sie den Drücker nicht erwischt. Kennst du das, Sihdi? Hast du schon einmal von so etwas gehört?«
»Ja; oft sogar.«
»Und gibt es ein Mittel dagegen?«
»Nein!«
»So muß ich es sagen?«
»Unbedingt! Es gibt keine andere Hilfe!«
»Aber ich will doch nicht!«
»Du mußt! Du wirst gezwungen.«
»Es schadet mir.«
»Das ist nicht wahr! Es schadet dir nur, wenn du es darin behältst. Wenn du es nicht vor Menschen sagen willst, weil es dir schaden würde, so knie nieder und sage es Gott! Die Hand, die nach dem Drücker greift, ist die Hand deines Gewissens. Dieses Gewissen will dich retten. Du sollst bekennen; du sollst beten. Du sollst ein anderes, ein neues Leben beginnen. Wenn du das nicht tust, so wirst du entweder verrückt, oder du stirbst.«
Da stand er von seinem Sitz auf und richtete sich stolz in die Höhe:
»Bekennen? Beten! Ein neues Leben? Ich glaube, nicht mir droht der Wahnsinn, sondern du wirst verrückt. Hältst du mich für einen Verbrecher, der sich zu bessern hat?«
»Wofür ich dich halte, kommt gar nicht in Betracht. Du hast mich nach Geisteskrankheiten gefragt, und ich gebe dir Auskunft. Das ist eine Gefälligkeit von mir, die dich zu Dank verpflichtet, weiter nichts. Was dein Gewissen mit dir zu sprechen hat, kann ich nicht wissen. Und ob du das, was es dir befiehlt, den Menschen beichtest oder Gott, das ist mir einerlei. Aber ich kenne das und weiß, daß es kein Entrinnen gibt. Ist das Gewissen noch so sehr durch Arrak, Rum, Zucker und heißes Wasser betäubt, und schläft es noch so fest in diesem Rausch, die Aloe, der Knoblauch und die Zwiebeln, die sich der Mensch so toll ins Leben mischt, sie wirken doch. Ein einziges Wort, das dir zu Ohren kommt, steigt in die Tiefe deiner Seele, weckt dein Gewissen aus dem Schlaf und läßt dir nicht eher wieder Ruhe, bis du dich entschieden hast, ob du gehorchen willst oder nicht. Du hast dich zu entscheiden! Gute Nacht!«
Wir gingen und ließen ihn stehen. Rasch stiegen wir nach oben. Sobald wir das platte Dach erreichten, öffneten wir das Kaminloch. Als ich hinunter in die Stube schaute, öffnete sich soeben die Tür, und der Basch Tschausch trat ein. Dieser Mensch schien sonach den Befehl zu haben, allabendlich auf unser Gehen zu warten und dann Bericht zu erstatten. Er hatte ausgekundschaftet, daß wir gestern in der Mühle gewesen waren und mit Ben Adl gesprochen hatten. Das erzählte er.
»Also daher die zwei Rosen, die sie oben bei sich im Wasser stehen haben«, sagte der Effendi. »Sie verkehren mit dem Müller. Sie sind vertraut mit ihm. Sie bekommen sogar Rosen geschenkt. Von jetzt an werde ich dafür sorgen, daß immer einer der beiden Leutnants bei ihnen ist, damit sie nicht weiter schnüffeln können. Waren sie vielleicht schon in einer der Zollwachen?«
»Ja, gestern; sogar in beiden«, erwiderte der Feldwebel.
»Und das erfahre ich erst jetzt; Hütet euch! Wenn ich einmal aufhöre, Gemütsmensch zu sein, so schlage ich euch alle tot und schmeiße euch außerdem alle hinaus. Nehmt euch in acht, daß sie nichts von den Schmuggelkellern erfahren, die wir damals von den Regierungsgeldern heimlich mit in die Zollwachen bauten!«
»Und daß man durch die Brunnen zu ihnen hinuntersteigt«, fügte der Basch Tschausch lachend hinzu. »Das war der pfiffigste Streich, den wir jemals ausgesonnen haben. Die Regierungen haben die Keller selber gebaut und bezahlt, in denen wir unsere Schleichwaren verbergen. Sie sorgen also, ohne daß sie es ahnen, für unsere Unterkunft und daß wir nie entdeckt werden können.«
»Ja, nie entdeckt! Das ist richtig!« stimmte der Dicke bei. »Mag man hier bei mir suchen, soviel man will, es ist nichts zu finden. Und wenn ja das Unmögliche geschähe, daß die Keller entdeckt werden, so findet man dort nicht ein einziges Haar, durch das bewiesen werden könnte, daß du oder ich zu den Paschern gehören. Wir beide sind auf alle Fälle sicher. Sollten aber einmal die vier Aghas erwischt werden, so mache ich mir nichts daraus, ja, es wäre mir sogar lieb, denn sie betrügen mich doch, wenn ich auch noch nicht habe entdecken können, wie.«
Was noch gesprochen wurde, bezog sich auf andere Dinge, die mir gleichgültig waren; ich stopfte also das Loch wieder zu; dann legten wir uns schlafen. Mochte man uns von nun an immerhin strenger bewachen als bisher, wir konnten uns das gefallen lassen; wir wußten mehr als genug!
Am Montag waren wir gekommen. Nun war Mittwoch. Schon am anderen Morgen gesellte sich, als wir pirschen gingen, der türkische Leutnant zu uns. Er tat das in möglichst zufällig erscheinender Weise, und wir hüteten uns, ihn merken zu lassen, daß wir es besser wußten. Er blieb den ganzen Tag um uns. Am Freitag trat der persische Selim Agha an seine Stelle. Es war ekelhaft, wie böse es diese Menschen meinten und wie freundlich sie doch taten.
Man weiß, daß der Freitag der Wochenfeiertag der Mohammedaner ist. Abdahn Effendi nannte sich Imam, war aber höchstens nur Vorleser. In seinen Bereich gehörten alle Bewohner der kleinen, ärmlichen Hütten, die einzeln, weit zerstreut, im Umkreis lagen. Ein Bethaus befand sich inmitten dieses Bezirks, einsam auf einem kahlen Hügel. Der Dicke lud uns ein, mit ihm zu gehen und dem Gottesdienst beizuwohnen. Wir taten es. Hieran schloß sich eine öffentliche Gerichtssitzung, die an jedem Freitag hier abgehalten wurde. Er war ja Schultheiß und Richter; Kadi nannte er sich. Auch das war nichts als ein Narrenspiel. Ich hatte den Eindruck, daß alle die versammelten Leute doch nur Schmuggler seien, die unter dem Deckmantel der Religion und der Rechtsprechung ihre verwerflichen Geschäfte besorgten. Als wir dann heimkehrten, erfuhren wir, daß inzwischen der Blitz, von dem wir an der Mühle gehört hatten, pünktlich niedergefahren war. Heute, am vierten Tag, waren an den beiden Zollwachen zwei Boten eingetroffen, die die Ankunft eines persischen und türkischen Bevollmächtigten gemeldet und sich dann wieder entfernt hatten. Das einzige, worüber sie sich noch geäußert hatten, war, daß eine Untersuchung wegen Schmuggelei eingeleitet werden solle.
Daß dieser Blitz getroffen hatte, war den »zwei Seelen«, dem türkischen und dem persischen Achmed Agha, deutlich anzusehen, als sie zum Mittagessen kamen. Sie rührten das Essen fast gar nicht an und tranken auch nur Wasser. Gegen Ende der Mahlzeit sagte der türkische Achmed Agha zu mir:
»Sihdi, ich glaube, daß du mich für einen Mir Alai (Obersten) hältst; ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß ich nur Kaimakam (Oberstleutnant) bin.«
Da fiel der persische Achmed Agha gleich auch ein:
»Derselbe Irrtum geschieht dir auch mit mir. Aus deinen Reden vermute ich, daß du glaubst, ich sei Särtix (Oberst); ich bin aber nur Särhang (Oberstleutnant).«
Und beim Abendessen desselben Tages veränderten sich diese Dienstgrade schon in der Weise, daß der Türke die vertrauliche Frage an mich stellte:
»Sihdi, ich habe dir heute mittag gesagt, daß ich nur Bimbaschi (Major) bin. Halte mich nicht etwa für einen Kaimakam!«
Und der Perser sprach:
»Ich muß es dir in dein Gedächtnis zurückrufen, daß ich Yawär (Major) bin, keineswegs Särhang, wie du zu denken scheinst.«
Nach diesem Abendessen machten die zwei Befehlshaber keine Anstalt, nach Hause zu gehen. Sie hatten augenscheinlich die Absicht, zu bleiben, bis wir uns entfernt hatten. Deshalb gingen wir, beeilten uns aber, auf unseren Horchposten zu kommen. Während ich da lauschte, stand Halef Wache, um zu verhüten, daß die beiden Geheimboten mich überraschten. Sie verließen aber des Abends ihre Stube für keinen Augenblick.
Nun wir nicht mehr dabei waren, ging es unten sehr lebhaft zu, aber verraten wurde nichts. Ein jeder hielt den anderen für einen Betrüger; darum ging keiner aus sich heraus. Man kam während des Gespräches auf den Gedanken, daß die beiden Bevollmächtigten gar nicht mehr unterwegs, sondern schon hier seien, doch unerkannt, um so leichter forschen zu können. Man hielt mich für den türkischen Adjutanten und Halef für meinen Schreiber; der persische Adjutant aber wohne nun schon über zwei Wochen hier, auch mit einem Schreiber. Beide Paare in den vier Stuben auf dem platten Dach. Wie bequem, uns in die Luft zu sprengen. Dieser Ansicht war besonders der Effendi. Die Achmeds aber zweifelten. Sie forderten, daß unbedingt noch einige Tage gewartet werde. Stelle sich dann weiter niemand mehr ein, so möge das Pulver sprechen, eher aber nicht.
Als wir am anderen Morgen zum Kaffee hinunterkamen, saß der türkische Selim Agha bereits da, um zu fragen, ob er uns wieder begleiten dürfe. Wir erlaubten es mit Vergnügen. Da fuhr er fort:
»Effendi, du hast mich immer Mülasim (Leutnant) genannt; ich muß dich daran erinnern, daß ich nur Tschausch (Sergeant) bin. Genauso verhält es sich bei meinem Freund, dem Perser Selim Agha: er ist nicht Naib (Leutnant), sondern nur Bingsadeh (Sergeant).«
Ich nahm sein nicht unerwartetes Geständnis schweigend entgegen und fragte ihn kurz, wo er sein Pferd habe; wir würden heute nicht gehen, sondern reiten. Da wurde er sehr betroffen und erklärte, daß er weder ein Pferd besitze noch reiten könne. Bevor er sich über diesen unvorhergesehenen Fall bei Abdahn Effendi Rat holen konnte, waren wir fort.
Wir ritten heute, am Samstag, absichtlich in die Irre, ohne festen Plan und bestimmtes Wohin; im stillen aber fühlte sowohl ich als auch Halef, daß es uns nach der Mühle trieb. Wir kamen dort an, nachdem wir bis zum späten Nachmittag die weite Umgebung durchstrichen hatten. Auf den geschälten Stämmen vor dem Haus, die geschnitten werden sollten, saßen der Müller, die Müllerin und die beiden Geheimboten. Sie hatten uns eher gesehen als wir sie. Wir ritten hin und stiegen von den Pferden. Da standen die beiden Sendlinge auf und verabschiedeten sich. Sie sahen uns gar nicht an. Das wurmte den kleinen Halef. Er trat ihnen in den Weg, gerade vor sie hin und sagte:
»Ihr scheint blind zu sein: darum sollt ihr wenigstens hören! Wer Schmuggler fangen und Abdahn Effendi übertölpeln will, der muß es klüger anfangen als ihr. Er läßt euch schon über zwei Wochen lang auf euren Gängen nach der Mühle belauschen und ahnt schon längst, wer ihr seid.«
Die beiden sahen ihn auch jetzt noch nicht an.
»Was wollte der Knirps?« fragte der Perser mit unendlicher Verachtung.
»Mag Abdahn Effendi es wissen! Pferdediebe sind wir nicht. Des Abends betrunken sind wir nicht. Und an Engel glauben wir nicht«, ließ sich der Türke in demselben Ton hören.
Halef wollte den »Knirps« zurückgeben; ich aber winkte streng ab. Da trat er ihnen aus dem Weg. Sie gingen. Die Müllersleute befanden sich in Verlegenheit.
»Laßt euch das nicht quälen«, forderte ich sie auf. »Ihr habt mit diesen Männern von uns gesprochen und dabei erfahren, daß sie uns für Pferdediebe halten. Wie klug das von ihnen ist, magst du sehen.«
Wir zogen unsere türkischen und persischen Pässe aus den Taschen und gaben sie ihnen hin.
»Das ist gar nicht nötig«, rief die Müllerin. »Wir glauben euch.«
»Dein Mann soll sie aber lesen«, entgegnete ich. »Es ist mein Wunsch.«
Er tat es. Als er sie überflogen hatte, verbeugte er sich tief:
»Ja, es war nicht nötig. Aber ich kann doch nun diesen beiden Ungläubigen beweisen, daß wir recht hatten, als wir mit Hochachtung von euch sprachen. Ihr scheint viel mehr zu wissen als wir selbst. Wir werden aber nicht wagen, euch mit Fragen zu belästigen. Unser Haus ist das eure. Tretet ein, wenn es euch beliebt!«
»Wir bleiben hier im Freien. Laßt eure Kinder kommen und uns holt einen Schluck Milch! Zu sagen haben wir euch für heute noch nichts. Eure behördlichen Berater sind nicht wir, sondern die beiden Bevollmächtigten. Wir treten nur dann für euch ein, wenn sie sich als unbrauchbar erweisen.«
Wie ich da gesagt hatte, so geschah es. Wir tranken Milch. Halef setzte die beiden Kinder auf unsere Pferde, die von den Eltern hoch bewundert wurden, und tummelte sich mit ihnen herum. Ich unterhielt mich indessen mit dem Mann und der Frau, die zwar erst in der Mitte der Dreißiger standen, aber doch schon so viel Lebensernst und Lebenserfahrung besaßen, daß sie mir in hohem Grade vertrauenswürdig erschienen. Ich fragte nach nichts. Dieser Besuch hatte nicht den Zweck, sie auszuforschen, sondern nur, sie überhaupt kennenzulernen, um gegebenenfalls zu wissen, wie weit man für sie eintreten durfte. Doch erfuhr ich immerhin einiges, was mir wichtig war. Hierzu gehörte vor allen Dingen die Neuigkeit, daß die Frau Abdahn Effendis heimlich hier gewesen war, um zu fragen, ob sie sich in den Schutz des Müllers flüchten dürfe. Sie könne es als Sklavin ihres Mannes und seiner Bekannten unmöglich mehr aushalten. Sie war stets eine heimliche Freundin der Müllersleute gewesen, und darum hatten diese ihr den nachgesuchten Schutz zugesagt. Wo man sie unterzubringen gedenke, ob hier in der Mühle oder anderswo, danach erkundigte ich mich nicht. Aber ebensowenig verriet ich, woher wir wußten, was Mutter und Kinder gebetet hatten. Ich kann sagen, wir gewannen uns gegenseitig aufrichtig lieb.
Als wir dann am Abend nach Hause kamen, versorgten wir zunächst unsere Pferde und gingen hierauf zum Abendessen. Da saßen alle vier Agha mit dem Effendi beisammen, der natürlich schon aß, bevor noch die anderen angefangen hatten.
Es war das eine ausgebildete Gefräßigkeit, vor der ich schon während der ganzen Woche gewarnt hatte und nun auch weiter warnte. Dieser dicke, fette, kurz- und starkhalsige Mann, der oft kaum atmen konnte, besaß alle Zeichen der gefährlichsten Schlagfälligkeit in so hohem Grade, daß es einem angst wurde, wenn er sich einmal aufzuregen begann. Dann färbte sich sein Gesicht blau; er zitterte am ganzen Körper, und alles deutete darauf hin, daß er ersticken wolle, und doch tat er gerade das, was diese Schlagfälligkeit erhöhte. Seine Freßbegier war entschieden widerlich, und leider durfte das, was ich dagegen vorbrachte, nicht deutlich sein, weil es ihn sonst beleidigt hätte. Ich konnte nur im allgemeinen sprechen, und da war er weit davon entfernt, es auf sich zu beziehen.
Unser Kommen wurde mit einem Jubel begrüßt, der zu laut war, als daß er hätte aufrichtig sein können. Da gab es lauter »Gemütsmenschen«, lauter »Seelen von Menschen«, lauter »Freunde«! Besonders mit diesem Wort warf man in einer Weise um sich, die beinahe beleidigend war. Wir nahmen das ruhig hin und taten, als ob wir es glaubten.
Abdahn Effendi war sehr zerstreut. Er gab sich zwar Mühe, dies nicht merken zu lassen, doch vergeblich. Man sah zu deutlich, wie er von Zeit zu Zeit sich zusammenraffte. Es drückte ihn etwas schwer, und sein Auge kehrte immer unwillkürlich mit einem Ausdruck zu mir zurück, als ob er bei mir Hilfe suchen wolle und doch nicht dürfe. Er blieb nach dem Essen nicht sitzen. Es trieb ihn hinaus. Wir hörten seine zornige, scheltende Stimme bald von hier, bald von dort erschallen. Er brachte alles in Aufruhr. Dann legte er sich schlafen. So blieben auch die anderen nicht; sie gingen fort. Wir ebenso.
Anderntags war Sonntag. Wir blieben am Morgen daheim und bemerkten, wie sehr wir die verkappten Sendlinge störten. Nun die erwartete Botschaft aus Teheran und Bagdad eingetroffen war, wollten sie alles, was noch geschah, vom platten Dach herab heimlich beobachten, und da standen wir ihnen überall im Weg. Sie haßten uns. Einige Zeit vor Mittag sahen wir, daß Abdahn Effendi umherlief, überall eifrig fragend und suchend. Seine Frau war verschwunden. Er hatte sich gestern abend mit ihr gezankt, hatte sie sogar geschlagen. Gleich heute früh hatte er sich wieder mit ihr geärgert. Da war sie unbemerkt geflüchtet, ohne es ihm vorher mitzuteilen. Das brachte ihn um alles Gleichgewicht. Er hatte nicht gewußt, daß diese knechtisch gehorchende, niemals klagende Frau eigentlich seine einzige seelische Stütze gewesen war. Nun, da er sie vergeblich suchte, fiel sein Inneres langsam zusammen. Als wir zum Mittagessen hinunterkamen, saß er am leeren Tisch, das bläuliche Gesicht in beide Fäuste gestemmt.
»Wir essen in zwei Stunden. Es muß erst gekocht werden«, sagte er. »Meine Frau ist fort.«
Wir waren still. Da stand er langsam auf, kam auf uns zu, blieb vor uns stehen, stierte uns mit irrem Blick an und wimmerte:
»Nun werde ich es doch wohl sagen müssen!«
Dann aber gab er sich einen Ruck. Es war, als ob er aus einer Ohnmacht wieder zu sich komme. Er schaute uns zunächst überrascht an, zog dann die Stirne zusammen und fragte:
»Habt ihr es schon gehört? Sie ist fort!«
»Wer?« fragte ich.
»Meine Frau, das – – Weib! Sie ist eine heimliche Christin. Während der letzten Nächte hat sie an meinem Bett gesessen, von abends bis früh, und auf das Wort und den Schuß gewartet. Sie betete. Ich sagte das Wort nicht. Da ist sie verrückt geworden und verschwunden. Ich weiß, sie kommt nicht wieder. Wir essen in zwei Stunden. Die Mägde werden kochen.«
Wir gingen. Als die zwei Stunden vorüber waren, stand der Tisch gedeckt. Er aß häßlich, wie ein Wahnsinniger. Als er nicht mehr konnte, sprang er, ohne ein Wort zu sagen, von seinem Platz auf und rannte hinaus. Wohin, das wußte niemand. Kein Mensch bekam ihn an diesem Abend wieder zu Gesicht.
Am Montag früh schien alles wieder in Ordnung zu sein. Als wir zum Morgenkaffee hinunterkamen, saß der Dicke an seinem Platz und aß. Am Mittag tat er dasselbe, am Abend auch. Nichts schien ihm seinen Appetit verdorben zu haben. Er unterhielt sich auch, doch nicht wie früher. Man fühlte, der Bogen war gespannt, das Gewehr geladen. Er ging schon vor uns zur Ruhe. Aber er sah am anderen Morgen so elend und übernächtig aus, wie einer, der sich die ganze Nacht zwischen Wachen und schlechten Träumen herumgeworfen hat.
Um die Mittagszeit gab es einen großen Lärm. Es kamen zwanzig Mann türkische Soldaten unter dem Befehl eines Leutnants und eines Sergeanten. Sie nahmen in der türkischen Karawanserei Wohnung. Gegen Abend wiederholte sich der Lärm. Es kamen persische Soldaten, zwanzig Mann, auch unter dem Befehl eines Leutnants und eines Sergeanten. Sie bezogen die persische Karawanserei. Keiner der beiden Leutnants meldete sich und seine Truppe dem Befehlshaber der betreffenden Zollwache. Und keiner der beiden Leutnants betrat Abdahn Effendis Haus.
Das ließ nichts Gutes ahnen. Sie wohnten bei ihren Mannschaften in der Serei.
Halef und ich machten am Nachmittag einen Ausflug, bei dem uns der persische Selim Agha begleitete. Unterwegs nahm er Gelegenheit, mich zu fragen:
»Sihdi, hat mein türkischer Kamerad den Irrtum berichtet, in dem du dich über uns befindest?«
»Ja«, antwortete ich.
»Was sagte er?«
»Daß er nicht Leutnant, sondern Sergeant sei.«
»Das mußt du falsch verstanden haben. Er ist nicht Tschausch (Sergeant), und ich bin nicht Bings Sadeh (Sergeant), sondern er ist Onbaschi (Korporal), und ich bin Deh-Baschi (Korporal). Ich bitte, dir dies zu merken.«
Und als wir dann zum Abendessen kamen, saßen die beiden Achmed Agha schon bereit. Der türkische fragte:
»Weißt du noch, daß ich nicht Bimbaschi (Major), sondern nur Jüs-Baschi (Hauptmann) bin?«
»Und ich nicht Yawär (Major), sondern Sultan (Hauptmann)?« fügte der persische hinzu.
Ich nickte nur und winkte ab. Halef aber besaß diese Selbstbeherrschung nicht. Er lachte laut auf. Es klang auch wirklich komisch, wie diese vorgetäuschten Dienstgrade immer tiefer herunterstiegen. Dieses Rückwärtsschreiten erreichte am nächsten Morgen seinen niedrigsten Grad, also seinen ursprünglichen Stand. Da kamen die vier Agha zum Kaffee gelaufen, um einander und dem Effendi zu berichten, daß die Soldaten gesagt hätten, heute sei noch Ruhe, morgen aber gehe die Untersuchung los. Die Bevollmächtigten seien schon längst hier. Hierauf herrschte zunächst allgemeine Stille. Dann nahm mich der Dicke in die Augen, als ob er mich vor Haß verschlingen wolle, denn er hielt mich ja für den türkischen Geheimboten. Der türkische Achmed Agha aber sprach:
»Sihdi, du wirst dich auf das besinnen, was ich dir gestern abend offen sagte, nämlich, daß ich nicht Jüs-Baschi (Hauptmann), sondern Mülasim (Leutnant) bin?«
»Und ich nicht Sultan (Hauptmann), sondern Naib (Leutnant)!« gestand der persische.
Diese Gelegenheit nahm der türkische Selim Agha schleunigst wahr, indem er mich fragte:
»Weißt du noch, daß ich nicht Onbaschi (Korporal), sondern Nefer (Gemeiner) bin?«
»Und ich nicht Deh-Baschi (Korporal), sondern Särbahs (Gemeiner)?« folgte der persische Selim Agha seinem Beispiel.
Da lachte Halef wieder auf und rief:
»Hörst du, Sihdi, wie sie müssen, obgleich sie nicht wollen. Es drängt doch jede Lüge mit Gewalt nach der Wahrheit zurück. Sie kann keinen Augenblick länger bestehen, als Allah will.«
Die vier ›abgedankten‹ Würdenträger waren mäuschenstill; die Stimme Abdahn Effendis aber klang scharf zu uns herüber:
»Sihdi, ich habe eine Bitte. Der Perser und der Türke, die über euch wohnen, behaupten, daß sich Ungeziefer bei ihnen eingenistet habe. Sie können nicht schlafen. Ich will heute oben säubern und reinlichere Möbel hineinsetzen lassen. Auch bei euch; ist dir das recht?«
»Sehr recht«, antwortete ich. »Ich bin sogar überzeugt, daß du noch weit gefährlicheres Ungeziefer vernichten wirst, als du jetzt denkst. Ich werde dich heute abend hieran erinnern. Für jetzt lebt wohl! Sobald unsere Stuben bereit sind, kehren wir zurück.«
Wir gingen und eilten auf das Dach zu unserem Beobachtungsloch. Da erfuhr ich alles, ohne selbst entdeckt zu werden, denn die beiden Sendlinge waren schon fort, und von unten aus konnte man uns nicht bemerken, da wir platt niederlagen. Es war beschlossene Sache, daß wir heute in die Luft gesprengt werden sollten. Nach dem Abendessen sollte es geschehen, und der Basch Tschausch war es wieder, der sich an den Pfirsichbaum zu schleichen und der Zündschnur Feuer zu geben hatte. Man lachte schon jetzt über das Entsetzen, mit dem die gestern angekommenen Soldaten sich beeilen würden, wieder zu verschwinden. Abdahn Effendi schloß die Beratung mit den Worten:
»Man hat gesagt, heute gehe die Untersuchung los. Sie mag beginnen! Das Urteil aber ist schon gesprochen und wird auch heute noch ausgeführt! Ihr wißt, daß ich ein Gemütsmensch bin; wenn es sich aber um Sein oder Nichtsein handelt, dann wehre ich mich bis aufs Messer. Mit den vier Kerlen ist es aus! Und wenn die Soldaten nicht verduften wollen, so helfen wir mit unserem Heer von Paschern nach.«
Länger zu horchen, wäre unnütz gewesen. Wir gingen, geradewegs nach der Mühle, weil ich als sicher annahm, daß die Geheimboten dort zu finden seien. Diese Vermutung erwies sich als richtig; aber die Mühle war rings von Soldaten umstellt, die uns nicht durchlassen wollten. Ich machte es kurz, gebärdete mich als Vorgesetzter und schob den Doppelposten einfach beiseite. Die Müllersleute freuten sich, als sie uns sahen. Die Sendlinge verhielten sich einsilbig. Sie hatten von unseren Pässen erfahren und befanden sich nun in einer Verlegenheit, die sie nur unter der Maske der Zurückhaltung verstecken konnten. Halef wollte Gleiches mit Gleichem vergelten und nun seinerseits sich stellen, als ob er sie nicht sähe; ich sagte ihm aber, daß dies nicht edel sei, und da er mit Eifer darnach trachtete, für einen guten Menschen gehalten zu werden, so verzichtete er gern auf diese Rache und befand sich bald in angelegentlichem Gespräch mit ihnen.
Die Soldaten hatten die beiden Väter des Müllerpaars gebracht, die einstigen Befehlshaber der hiesigen Zollwachen, die seinerzeit in Ketten abgeführt und dann verurteilt worden waren. Sie galten noch heute als Gefangene, aber es stand im Belieben der Geheimboten, sie sofort freizulassen, sobald ein Zeichen ihrer Unschuld zu finden sei. Die Steuern hatten in den letzten Jahren keine Einnahmen mehr ergeben, und man war auf das unvorsichtige prahlerische Gebaren der Söhne des dicken Effendi aufmerksam geworden. Es entstand der Verdacht, daß diese Geldquelle des Staates auf eine bisher unerhörte Weise in Privattaschen abgeleitet werde. Zwei Bevollmächtigte wurden abgesandt, hier heimlich zu forschen. Sie konnten nichts entdecken. Sie baten um Soldaten und um Zusendung der abgesetzten früheren Befehlshaber, weil diese die Verhältnisse kannten und die Tücke ihrer einstigen Ankläger und Widersacher wohl durchschauen würden. Nun waren sie gestern eingetroffen. Wir bekamen sie und ihre beiden Frauen zu sehen, die bei ihren Kindern hier auf der Mühle lebten, uns aber noch nicht vor die Augen getreten waren.
Diese guten, alten unschuldigen Leute! Man sah es den beiden Frauen an, wie sehr sie sich gegrämt und nach ihren Männern gesehnt hatten. Und die Männer trugen noch heute die von Handring zu Handring gehende Kette, durch die sie an der Flucht verhindert werden sollten. Ich sagte ihnen schon gleich während der ersten fünf Minuten, daß sie diese Ketten morgen nicht mehr tragen würden. Da fielen mir aber die beiden Geheimboten sofort in die Rede, indem sie mich aufforderten, mich nicht in ihre Obliegenheiten zu mischen; sie hätten nichts erfahren, und es könnten noch Wochen vergehen, bis man etwas entdecke.
»Bis dahin seid ihr längst in die Luft gesprengt!« antwortete ich.
»In die Luft gesprengt?« fragte der Perser verwundert. »Wieso?«
»Wo schlaft ihr heute abend?« fragte ich dagegen,
»Natürlich da, wo wir immer geschlafen haben, in unseren beiden Stuben.«
»Wißt ihr, daß schon einmal zwei Beamte von der persischen und türkischen Regierung hier gewesen sind, um eine Untersuchung anzustellen?«
»Wir wissen es. Sie fanden ebensowenig wie wir, und sie gingen unvorsichtig mit ihrem Pulver und ihren Patronen um. Sie waren starke Raucher und machten oft Feuer; sie flogen in die Luft.«
»So? Ich weiß das anders. Es ist mit ihnen dasselbe geschehen, was sich heute mit euch und uns zutragen soll. Man hält euch beide für den persischen Geheimboten und seinen Schreiber. Weißt du, was zur Zeit mit unseren Wohnungen geschieht?«
»Sie werden gesäubert.«
»Fällt keinem Menschen ein! Man gibt nur andere Möbel hinein, um die es nicht schade ist, in die Luft zu fliegen. Man schafft aber auch Pulver oder einen anderen Sprengstoff in unsere Stuben. Eine Zündschnur wird gelegt, die vom Dach an dem Pfirsichbaum niederläuft, der an der Ecke des Hauses steht. Diese Schnur wird nach dem Abendessen von dem Bäsch Tschausch des türkischen Befehlshabers angezündet. Wir werden getötet, und dann wird es wieder heißen, daß die Beauftragten zu dumm gewesen sind, etwas zu entdecken, und daß sie unvorsichtig mit Feuer, Pulver und Patronen gespielt haben.«
Die Wirkung dieser Worte war groß. Eine tiefe Stille, dann hundert drängende Fragen von allen Seiten. Die Sendlinge forderten Beweise.
»Holt sie euch«, sagte ich. »Heute abend! Ich habe gelauscht. Ich erzähle nur, was ich gehört habe. Was ihr tun wollt, ist eure Sache. Ihr habt uns ja verboten, uns um eure Angelegenheiten zu kümmern.«
Nun stand ich von meinem Sitz auf und entfernte mich, um weiteren Fragen zu entgehen. Halef folgte mir. Ich verbot ihm, diesen beiden Männern auch nur das geringste anzudeuten. Wir gingen wohl gegen zwei Stunden lang spazieren. Als wir zurückkehrten, wurde uns mitgeteilt, es sei beschlossen worden, die Wahrheit unserer Behauptungen zu prüfen. Man werde unsere vier Stuben genau durchforschen und, falls das, was ich sagte, richtig sei, die ganze Bande gefangennehmen und mit der Untersuchung sofort beginnen. Es stehe zu erwarten, daß es infolge der gewaltigen Überraschung und des Schuldgefühls zu einem schnellen, allgemeinen Geständnisse komme, zumal, wenn man plötzlich die früheren Befehlshaber in Ketten vorführe und den Verbrechern in dieser Weise ihr eigenes Schicksal zeige. Es fiel mir nicht ein, mich über diesen Plan zu äußern. Ich deutete nach dem Steinbruch hinüber und fragte den Müller kurz:
»Gehören die Arbeiter da drüben zu dir?«
»Ja«, entgegnete er.
»Da wird zuweilen gesprengt?«
»Ja.«
»So hast du Zündschnur?«
»Einen Vorrat für lange Zeit«, nickte er.
»So bring mir ein Stück, vielleicht vier Meter lang. Wir brauchen es heute abend.«
»Wozu?« fragte der türkische Bevollmächtigte.
»Um den Basch Tschausch auf der Tat zu ertappen, so daß kein Leugnen möglich ist. Man wird mit dem angeblichen Säubern erst fertig sein, wenn es dunkel ist, damit wir nichts entdecken können. Wir brauchen die Stuben nicht zu untersuchen. Es genügt vollständig, wenn wir finden, daß die Zündschnur am Pfirsichbaum niederhängt, Sie führt nach unseren Wohnungen. Wir entfernen sie und bringen an ihre Stelle eine andere, die nur bis auf das Dach führt, aber nicht weiter. Ihr Funke erlischt, wo sie aufhört; sie ist ungefährlich. Dann warten wir, bis nach dem Essen der Basch Tschausch kommt. Sobald er sie angezündet hat, wird er ergriffen. Es ist bewiesen. Er kann nicht leugnen.«
Dieser Vorschlag fand allseitigen Beifall. Es wurde beschlossen, ihn auszuführen, und Ben Adl lud uns ein, bis zum Abend hierzubleiben. Wir taten dies gern, hüteten uns aber, während der ganzen Zeit noch weiteres mitzuteilen.
Als die Zeit gekommen war, brach ich mit Halef zuerst auf. Wir beide hatten es übernommen, den Pfirsichbaum zu untersuchen und die zweite Zündschnur zu befestigen. Es war so eingerichtet, daß keiner von uns vor Nacht eintraf. Die beiden früheren Befehlshaber, mit denen man die Täter überraschen wollte, sollten den hierzu geeigneten Augenblick heimlich in der Karawanserei erwarten. Der Müller bat, mit dabei sein zu dürfen. Es wurde ihm erlaubt.
Wir kamen an, als es schon völlig dunkel war, und schlichen uns durch das Gebüsch, das nahe an die betreffende Ecke des Hauses heranreichte. Kein Mensch war in der Nähe. Wir huschten zum Baum hin. Ja, da hing die Zündschnur herab. Wir fühlten sie. Man hatte sie nicht an dem Baum befestigt, sondern sie nur lose herabgelassen, und zwar so, daß sie am Stamm niederging. Das machte uns die Sache leicht. Ich wickelte die mitgebrachte Schnur, die von derselben Sorte war, auseinander und verband sie durch einen Knoten mit der ersteren, um sie an dieser emporzuziehen. Dann schlich ich mich ungesehen hinauf auf das Dach. Halef blieb unten, um aufzupassen. Er ließ, als ich oben zog, die Schnur so lange nach oben gleiten, bis die mitgebrachte genauso weit herniederhing, wie die vorherige. Dann gab er mir das Zeichen und entfernte sich, um nicht doch noch entdeckt zu werden. Ich aber knüpfte den Knoten wieder auf und befestigte das Ende der neuen, kurzen Schnur an dem hervorstehenden Nagel, bis zu dem der Funke also laufen konnte, weiter aber nicht. Die alte, lange aber wickelte ich zu einem Knäuel zusammen, den ich eben, ohne die Leitung zu zerreißen, durch den geöffneten Laden hinein in meine Stube legen wollte, als die beiden Sendlinge eintrafen und nach ihrer Wohnung kamen. Das gab mir gute Gelegenheit, ihnen den Befund zu melden. Nun war der zerschmetternde Stein im Rollen; er konnte nicht mehr aufgehalten werden. Ich schlich mich wieder hinab, wo Halef unten an der Treppe auf mich wartete. Hierauf stellten wir uns, indem wir taten, als ob wir erst jetzt einträfen, beim Abendessen ein.
Da ging es sehr ruhig zu. Es wollte heute kein Gespräch zustande kommen, obgleich sie alle da waren, der Effendi, die beiden Achmed Agha, die zwei Sei im Agha und sogar der Feldwebel, der den tödlichen Funken in Gestalt eines Zündholzes in der Tasche trug.
Abdahn Effendi stand mehreremal vom Essen auf und ging hinaus und wieder herein.
Er befand sich in großer Aufregung. Seine Hände zitterten. Sein Gesicht hatte fast einen blaugrauen Schein. Er holte oft tief und röchelnd Atem und trank aber wohl gerade wegen dieser Aufregung den schweren Wein wie reines Wasser.
Als wir beide fertig waren, erhob ich mich und sagte:
»Wir gehen schlafen. Allah schenke euch allen eine gute Nacht und freundlichere Gedanken, als die sind, die jetzt hier in diesem Zimmer wohnen!«
Da sprang der Dicke auf und schrie mich, scheinbar ohne alle Ursache, zornig an:
»Meinst du etwa, daß ich es sage?«
»Was?« fragte ich.
»Das Wort! Den Aufschrei, der mir die Brust zu zersprengen droht«, antwortete er, wobei er sich mit der Hand an die Brust schlug.
»Ja, auch das meine ich. Du wirst es sagen.«
»Nein! Nein! Nein!«
»Und doch! Du sollst und mußt es sagen! Wir alle, die hier versammelt sind, wir werden es hören! Noch heute! Noch vor Mitternacht!«
Da sank er in seinen Sitz zurück, stemmte das Gesicht in die Hände und jammerte:
»Dieser Mensch! Dieser Mensch! Hinaus mit ihm, hinaus!«
Wir gingen. Auf dem Dach bemerkten wir, daß die beiden Geheimboten auf uns warteten. Sie schlichen sich hinab, um den Feldwebel zu ergreifen. Während wir aßen, hatten sie ihre Maßregeln getroffen. Die Soldaten standen bereit. Ihre Lampen brannten, damit man denken sollte, daß sie daheim seien. Ich riet ihnen, auf mich zu achten, weil ich ihnen wahrscheinlich sagen könne, wann der Feldwebel komme. Als sie fort waren, brannten auch wir unsere Lampen an. Dann legte sich Halef an das Kaminloch, um zu lauschen. Ich setzte mich in seine Nähe, meine beiden Revolver griffbereit.
Die Entscheidung nahte schnell. Man war da unten über das, was ich gesagt hatte, in höchstem Grade aufgebracht. Man beschloß, mit der Antwort auf meine Frechheit keinen Augenblick zu warten. Der Bäsch Tschausch sollte gehen und, falls Licht in allen Stuben sei, die Schnur anzünden.
»Sihdi er erscheint!« meldete Halef, in dem er das Beobachtungsloch wieder schloß.
»So komm! Wir schauen zu«, entgegnete ich.
Wir huschten über das Dach an die Ecke hinüber, wo der Baum stand.
»Pst! Seid ihr schon da?« rannte ich hinunter.
»Ja«, tönte es zurück.
»Paßt auf!«
Wir kauerten uns nieder und blickten hinab. Wir hörten ihn. Er trat an den Baum. Das Zündholz brannte auf. Als er es ausblies, sahen wir, daß etwas langsam, wie ein Leuchtkäferchen, am Baum in die Höhe lief. Er wollte sich entfernen.
Da aber wurde er gepackt. Er schrie vor Schreck laut auf.
»Herbei!« befahlen die beiden Lauscher.
Da riß er sich von ihnen los. Aber wohin er sich wendete, sah er die Gestalten der Soldaten, die sich näherten. Es blieb ihm nur die Flucht in das Haus; er rannte hinein. Wir eilten an das Kaminloch. Ich öffnete es wieder und schaute hinab, ich sah sie, die alle von ihren Sitzen aufgesprungen waren und nun Zetermordio heulten. Ich sah auch den Basch Tschausch. Er hatte das scharfe Vorlegemesser vom Tisch gerissen und stürzte sich damit auf die Sendlinge, die soeben eintraten, um ihn wieder festzunehmen. Das konnte schlimm werden. Wir eilten hinab. Der Hausgang und die vordere gewöhnliche Stube standen voller Soldaten. Jeder schrie, so weit er den Mund nur aufsperren konnte. Wir bahnten uns mit den Ellbogen einen Weg nach dem Eßzimmer. Als wir es erreichten, war das kurze Handgemenge bereits vorüber. Der wütende Feldwebel hatte dem türkischen Bevollmächtigten vier Finger der rechten Hand abgeschnitten; nur der Daumen war geblieben. Und der persische Beauftragte hatte einen Schnitt quer über die Nase bekommen; sie war für immer entstellt. Außerdem hatte es einige Messerstiche für die Soldaten gegeben, die nun auf dem am Boden liegenden Menschen knieten, um ihn derart zu fesseln, daß er sich nicht mehr bewegen konnte. Seine Mitschuldigen hatten sich gehütet, ihm beizustehen.
Sie saßen jetzt wieder auf ihren Plätzen und stellten sich wie Kinder, die keine Ahnung haben. Ich versuchte zunächst, den Lärm zu stillen. Es gelang. Dann galt es, nach den Wunden zu sehen. Die Soldaten verbanden einander selbst. Sie hatten Verbandstoffe in ihren Taschen. Auch die Hand des einen Bevollmächtigten machte wenig Mühe. Das Gesicht des anderen aber setzte mehr Kenntnisse und Übung voraus, als hier vorhanden waren. Dennoch hatten wir nach einer Stunde die Blutung gestillt und den klaffenden Schnitt soviel wie möglich wieder zu schließen versucht. Beide Herren waren nun für das Leben gezeichnet, und zwar so, daß sie nicht weiterdienen konnten. Man kann sich denken, in welcher Stimmung sie sich befanden. Sie bestanden trotz ihrer Verletzungen darauf, die Sache gleich ein für allemal zu Ende zu bringen, und so sehr ich sie aufforderte, sich zu schonen, sie führten es aus. Die Speisestube wurde zum Verhörzimmer, und die draußen in der vorderen Stube aufgestellten Soldaten hatten die Aufgabe, dem, was die beiden Geheimboten befahlen, Nachdruck zu geben.
Zunächst wurde der Basch Tschausch vernommen. Er wußte von nichts. Er sagte, er habe sich dort an der Ecke des Hauses eine kleine Sighara – Zigarette – anbrennen wollen, und da habe man ihn plötzlich gepackt, er wisse nicht, warum. Natürlich habe er sich gewehrt. Kein Mann aus Basra und kein Mann aus Luristan habe ihm etwas zu befehlen. Er sei Basch Tschausch und gehorche nur Offizieren.
Jetzt begannen die Bevollmächtigten einzusehen, wie fehlerhaft sie verfahren waren. Die anderen Überrumpelten verhielten sich wie der Gefesselte. Sie behaupteten, nichts zu wissen. Da griffen die beiden Beauftragten zu dem Mittel, auf dessen Wirkung sie sich so sehr verlassen hatten: sie ließen die zwei früheren Befehlshaber kommen. Der Müller begleitete sie. Aber auch das war vergeblich. Die Bande war nicht einmal überrascht, geschweige denn über das Erscheinen dieser Ihrer alten Bekannten erschrocken. Das Ergebnis der ganzen Untersuchung war, die Angeklagten heute einzeln einzusperren und sie morgen zu vernehmen. Nachdem die Geheimboten die hierzu nötigen Befehle erteilt hatten, wollten sie sich entfernen. Abdahn Effendi rief mir höhnisch zu:
»Nun Sihdi, wo bleibt mein Wort, und wo bleibt deine Drohung? Bevollmächtigter der Regierung bist du nicht; das sehen wir nun. Also bleibt es beim Pferdedieb.«
Da wendete Ich mich an die beiden Befehlenden:
»Geht hinauf nach den beiden Zollwachen und steigt in die Brunnen! Da werdet ihr die Keller finden, die vom Geld der Regierungen heimlich erbaut worden sind und nun voller Schmuggelwaren stecken.«
Die beiden Achmed Agha und die beiden Selim Agha schrien vor Schreck laut auf. Abdahn Effendi ließ ein röchelndes Stöhnen hören.
Ich fuhr fort:
»Und geht auf der türkischen Wache in die hintere, kleine Stube links, wo ein Herd zu finden ist. Da wohnt der Basch Tschausch. Ein Bein seiner Bettstelle ist hohl und mit einer dünnen Holzscheibe vernagelt, die man aber mit dem Messer leicht losmachen kann. Darin stecken die Beweise, daß diese Kerle hier ihre damaligen Vorgesetzten ermordet haben.«
Zunächst klang ein vereinter, großer Schrei durch das Zimmer. Dann brüllte Abdahn Effendi den am Boden liegenden Feldwebel an:
»Das Bein, das Bein! Das also ist das Bein, von dem du immer gesprochen hast! Mensch, ich erwürge dich!«
Er wollte sich auf ihn stürzen, wurde aber von der Wache daran gehindert.
»Sihdi, woher weißt du das alles?« fragte der persische Sendling erstaunt.
»Pah!« lächelte ich. »Tut erst das! Dann werdet ihr noch mehr erfahren.«
»Noch mehr?« schrie der Dicke, indem sich sein Gesicht dunkel färbte. »Mensch, ich schlage dich tot, ich –«
»Schweig!« unterbrach ich ihn, denn nicht nur er wollte zu mir her, sondern auch die vier Agha machten Miene, aufzuspringen. Darum nahm ich meine Revolver heraus und legte sie vor mich hin. Halef zeigte sofort auch die seinen. Dann fuhr ich fort:
»Die beiden Befehlshaber tun jetzt, was ich gesagt habe! Inzwischen werden diese Leute hier alle gefesselt! Einem jeden, der sich wehrt, schieße ich eine Kugel durch den Kopf.«
So geschah es. Die Kerle hatten Angst vor den Revolvern; sie ließen sich binden. Abdahn Effendi war so fürchterlich erregt, daß ich einen Schlaganfall erwartete. Seine Brust bebte, und seine Augen füllten sich mit Blut. Einmal stand er auf, öffnete den Mund, als ob er reden wolle; dann setzte er sich nieder und stöhnte:
»Nein, nein! Ich sage es nicht! Lieber sterbe ich – sterbe ich!«
Es dauerte lange Zeit, wohl bis eine Stunde vor Mitternacht, da kehrten die Bevollmächtigten von ihrer Suche zurück. Sie jubelten.
»Wir haben alles gefunden«, rief der türkische, und der persische fuhr ganz begeistert fort: »Die Beweise in dem hohlen Bein des Bettgestells! Die Keller! Zwei vollständige Buchführungen! Und eine Menge von Pascherwaren im Werte vielen Hunderttausenden!«
»Aber ich bin unschuldig!« brüllte der Dicke. »Auf mich bringt ihr nichts!«
Da ging ich langsam nach dem Herd, nahm den Besen und kehrte den Schmutz hinweg. Im Zimmer herrschte tiefe Stille. Jeder wußte, es komme etwas Unerwartetes. Ich hob die Herdplatte zur Seite. Da tat es hinter mir einen entsetzlichen Schrei und einen schweren Fall. Der Schrei kam von Abdahn Effendi; denn er war vom Stuhl gestürzt. Ein krampfhaftes Zittern ging über seinen Körper. Seine Augen standen offen. Sein Blick folgte meinen Bewegungen.
»Hebt – – mich auf!« lallte er. »Hal – haltet mich!«
Vier Soldaten gehörten dazu, den schweren Körper aufzurichten und festzuhalten. Der Schweiß stand ihm in dicken Tropfen auf der Stirn. Eine entsetzlichere Angst als die, die sich jetzt in diesem unförmlichen Fleischklumpen offenbarte, ist nicht zu denken. Da griff ich in das Loch, zog den hohen Korb heraus und stellte ihn, weil der Platz das so erforderte, gerade vor den Effendi hin.
»Du siehst, das Ungeziefer wird ausgerottet!« sagte ich zu ihm. »Ich halte Wort. Ich gab dir Zeit bis Mitternacht. Nur noch wenige Minuten, dann ist es vorbei.«
Da öffnete es ihm den Mund, und erst leise, dann immer stärker preßte es sich heraus:
»Führe uns nicht in Versuchung – sondern erlöse uns von dem Übel – – erlöse uns von Abdahn Effendi und von seinen Freunden!«
Die vier Soldaten hatten, als der Effendi sprach, ihre Hände von ihm genommen; er stand allein. Plötzlich war es, als ob ihn eine fremde, außer ihm liegende Kraft einmal um seine eigene Achse drehe; er sank in beide Knie und brach dann langsam in sich selbst zusammen, wie ein lockerer Haufen von Erde oder Asche, der sich in nichts verlieren will. Ich untersuchte ihn. Er war tot. Da wendete ich mich an die beiden Bevollmächtigten:
»Hier steht der Christ, den ihr von Gott verlangtet. Und das Wort, das Abdahn Effendi sprechen sollte, ist erklungen – –«
»Aber ich, ich warnte euch vor dieser Lästerung«, fiel mir der Müller in die Rede. »Ich wollte euch bewahren vor den Folgen – –«
»Die kamen allerdings«, unterbrach ihn der Türke, indem er den Stummel seiner Hand hob. »Ich muß den Abschied nehmen. Vorher aber sollen mir diese Halunken an Gott glauben lernen, so wie er mich durch dich gezwungen hat, an ihn zu glauben!«
»Solche Menschen«, fiel der Perser ein, »können ihn nicht in seiner Liebe, sondern nur in seiner Gerechtigkeit kennenlernen, und die soll ihnen werden, Buchstabe für Buchstabe, Silbe für Silbe, Wort für Wort! Sihdi, du hast uns besiegt. Aber ich danke dir dennoch.«
»Ich auch«, fügte der Türke hinzu.
Beide reichten mir die Hände. Da bat ich sie:
»Nicht Dank will ich, sondern nur Gerechtigkeit für diese hier.« Ich zeigte auf die früheren Befehlshaber. »Könnt ihr ihre Ketten öffnen?«
»Ja; wir haben die Schlüssel zu den Spangen.«
»So laßt sie frei; denn ihre Unschuld ist erwiesen.«
Die Fesseln wurden den Gefangenen abgenommen. Beide waren so tief ergriffen, daß sie nicht wünschten, der Gerichtssitzung weiter beiwohnen zu müssen. Mir ging es genau so wie ihnen. Sie wollten sich nach der türkischen Karawanserei zurückziehen, und ich versprach, ihnen bald dorthin zu folgen. Da ich als Zeuge gebraucht wurde und Halef auch, so hatten wir nur noch Bericht zu erstatten über die Art und Weise, wie wir zu so genauer Kenntnis der Tatsachen gekommen waren. Dann wurden wir entlassen, mußten aber versprechen, in der Nähe zu bleiben, bis die Angelegenheit für heute erledigt sei. In der türkischen Karawanserei trafen wir die beiden alten Frauen und auch die junge Frau aus der Mühle an. Sie waren trotz der Dunkelheit durch den weiten Wald gekommen, um mit teilzunehmen. Welche Liebe und Dankbarkeit uns da. von allen Seiten entgegengebracht wurde, ist nicht zu beschreiben. Nach einer Stunde erhielten wir die Botschaft, daß man im Korb des toten Effendi die Lösung aller Rätsel und die Beseitigung aller Zweifel gefunden habe. Es sei jeder Wunsch erfüllt. Nach wieder einer Stunde kam einer der Leutnants mit mehreren Soldaten, die unsere sämtlichen Gegenstände brachten, die sich in unseren zwei Stuben befunden hatten. Wir sollten sagen, ob noch etwas fehle; es fehlte aber nichts. Auf die Frage, warum man uns das sende, erhielt ich den Bescheid, daß wir heute woanders schlafen würden. Und nach einer halben Stunde kamen die Bevollmächtigten selbst. Sie waren sehr ernst und verkündeten, daß die Untersuchung des Falles vorüber sei; die Aufklärung über den Umfang der Unterschlagungen erfordere längere Zeit, Die werde man wohl den Händen des Müllers anvertrauen können; der mit Hilfe der beiden alten, braven Befehlshaber, die nun aber wieder die neuen seien, gewiß Recht und Ordnung schaffen werde. Für heute handle es sich nur noch um den richtigen Schluß, und da seien sie auf einen Gedanken gekommen: wenn wir nämlich nicht klüger gewesen wären als sie, so wären wir zusammen in die Luft geflogen. Wie ein solches In-die-Luft-Fliegen ausgesehen haben würde, das möchte man gern wissen. Darum habe man jetzt alles, was nicht mitfliegen solle, fortgeschafft und die alte Zündschnur wieder heruntergelegt. Es bedürfe nur noch des Anzündens, so erfolge die Sprengung. Man werde den Befehl hierzu sofort erteilen. Auf keinen Fall sei es um das stinkende Ungeziefer schade, das jetzt darin vorhanden sei.
Dieser Gedanke war allerdings überraschend. Uns konnte die Sprengung nichts anhaben, denn wir saßen geschützt in der Serei. Am allermeisten darauf gespannt, wie es ausgesehen hätte, zeigte sich mein kleiner Halef. Er erbot sich selbst, die Schnur anzuzünden, leider aber war bereits ein Soldat hierzu bestimmt. Der stand schon dort am Pfirsichbaum und wartete auf das Zeichen. Es wurde gegeben. Das Hölzchen flammte auf. Wir sahen das Glühwürmchen am Stamm entlang emporsteigen, quer durch die Äste, bis auf das Dach, wo es verschwand, um nach den vier Stuben zu laufen. Meine Gedanken folgten ihm dorthin, und da wurde es plötzlich hell in mir. Ich wußte mit einmal, was die beiden Beauftragten mit dieser Sprengung eigentlich wollten. Sie war kein Feuerwerk, sondern eine Hinrichtung. In den Räumen, die wir bewohnt hatten, steckten jetzt die Verbrecher. Sie sollten genauso in die Luft fliegen, wie es für uns bestimmt gewesen und früher schon einmal auch wirklich geschehen war. Sobald mir die Erkenntnis kam, verlangte es mich, das Entsetzliche zu verhüten. Aber es war zu spät. Der Funke hatte sein Ziel erreicht. Es erfolgte ein mächtiger Schlag, ein Krach, ein brausendes Pfeifen; eine Feuergarbe stieg auf, verbreitete und zerteilte sich hoch oben, und dann hörten wir rundum das Prallen, Schlagen und Klatschen der Trümmer, die auf die Erde niederfielen. Uns schützte das Dach. Es wurde überhaupt kein Mensch getroffen, weil jedermann vorher gewarnt worden war.
»Prächtig! Herrlich! Köstlich!« rief Halef. »Dieses Schauspiel ist – –«
»Schweig!« fiel ich ihm in die Rede. »Geh hinaus! Sieh dir die Trümmer, die Knochenstücke und Fleischfetzen an!«
»Ah! Du ahnst, Sihdi?« fragte der türkische Sendling.
»Ja, ich ahne!« erwiderte ich.
»Und hältst du es für richtig?«
»Was ist richtig? Richtig auf Erden ist alles, und richtig auf Erden ist nichts. Aber mir graut vor euch. Ich gehe fort. Was ich hier tun sollte, habe ich getan. Ich wäre wohl länger geblieben, denn ich habe hier gute Menschen gefunden, über die Ich mich freue, aber der Anblick eurer gräßlich nackten Rache treibt mich fort. Komm Halef, komm!«
Da griffen die beiden Sendlinge nach mir, um mich festzuhalten, und der persische sprach:
»Bleib hier! Auch wir haben dich liebgewonnen. Bedenke, was diese Menschen taten! Zwei Bevollmächtigte umgebracht! Zwei Hauptleute und zwei Oberleutnants umgebracht! Vier Offiziersdiener umgebracht! Zwei Befehlshaber unschuldig in Ketten gelegt! Heute wieder im Begriff, vier Personen umzubringen! Allezeit bereit, sich untereinander abzuschlachten! Den Staat um Millionen beraubt. Dazu ein Heer von vergangenen Missetaten, die wir nicht kennen, und eine Unsumme Verbrechen, die noch geschehen wären, wenn wir sie nicht verhütet hätten. Bedenke auch, daß ich nicht dein Gott der Christen bin, an den zu glauben du uns gezwungen hast, sondern nur ein Mensch, ein Beamter, der verpflichtet Ist, seine Nebenmenschen vor solchen Bestien zu schützen! Denke auch an mein Gesicht und an den blutigen Armstummel meines Kameraden!«
»Ich denke an alles!« antwortete ich. »Bei mir wiegt es sogar noch schwerer als bei euch. Ich gebe euch ebensowenig unrecht, wie der Soldat dem Fleischer oder Schinder unrecht gibt. Aber mich treibt es fort. Halef, hole die Pferde! Wir reiten!«
Kaum war er zur Tür hinaus, so hörten wir einen Schrei aus seinem Mund. Er war auf etwas getreten, hatte es aufgehoben und brachte es herein, um es bei Licht zu betrachten. Es war ein menschlicher Oberarm! Aus den Schultern herausgerissen! Die zerfetzten Muskeln hingen noch daran. Die Frauen schrien auf. Halef erschrak.
»Was habt ihr getan?« fragte er die beiden Beauftragten.
»Gerichtet haben wir!« entgegnete der türkische. »Erst ließen wir die Leiche des Effendi hinaufschaffen, dann auch die Gefangenen, so fest gebunden, daß sie sich nicht rühren konnten.«
»Wußten sie, was mit ihnen geschehen sollte?«
»Natürlich! Sonst wäre es ja keine Strafe für sie gewesen.«
»Aber man hörte sie doch nicht schreien?«
»Weil sie nicht konnten. Sie waren geknebelt. Die Gerechtigkeit erforderte es.«
»Die Gerechtigkeit!« lachte der Hadschi. »Und Gnade gab es nicht?«
»Gnade? Wofür?«
»Wofür? Als ob der Mensch auch noch die Gnade eigens zu bezahlen hätte!«
Er warf ihnen die gräßlichen Überreste vor die Füße und trat nahe an die Bevollmächtigten heran:
»Wer hat diese Leute in eure Hand gegeben? Wir! Wer hat alle ihre Taten entdeckt? Nur wir! Wem aber war es drei Wochen lang unmöglich, die geringste Spur von Geist und Befähigung zu zeigen? Euch! Und trotz dieses geradezu lächerlichen Unvermögens haltet ihr euch für berufen, über Strafe und Gnade, über Leben und Tod, über Seligkeit oder Verdammnis zu entscheiden? Ihr armen Teufel ihr, die ihr nur immer von Gerechtigkeit redet und doch nur selbst Gnade und Mitleid braucht!«
Er ging. Auch die anderen entfernten sich, ohne ein Wort zu sagen. Nur die Müllerin blieb am Ausgang stehen und richtete an mich die Worte:
»Verzeih, Effendi! Das Entsetzen treibt uns fort. Wir gehen heim; dort ist die Erde rein! Ist es wahr, daß du dieses Tal verläßt?«
»Ja, sofort!«
Da faltete sie die Hände, bog das Knie und sah in rührender Bitte zu mir auf. Ich verstand sie.
»Ja, ich komme!« lächelte ich ihr dankbar zu. Da stieß sie einen Jubelruf aus und eilte den anderen nach.
»So siegst du auch hier«, sagte der persische Sendling, der mit dem türkischen noch dastand, wie zuvor. »Leb wohl!«
»Leb wohl!« sagte auch der türkische. Dann gingen sie hinaus. Ich war allein.
Halef brachte die Pferde, die er in fliegender Eile gesattelt hatte. Er versicherte, er ersticke fast in der hiesigen Luft. Wir ritten davon, den Weg, den wir am vorigen Montag gekommen waren, an der türkischen Maut vorüber, ein Stück zurück und dann nach rechts in die köstliche, staub- und schmutzfreie Luft der Hochebene hinein.
Das war schon über drei Stunden nach Mitternacht. Es galt nicht zu reisen, sondern nur zu reiten. Die Pferde brauchten es nach so langer Ruhe, und wir hatten uns die Dünste des Tales aus der Seele zu atmen. Da unten hatte Finsternis geherrscht. Hier oben grüßten uns die Sterne, und die zarte Sichel des zunehmenden Mondes stand am Himmel. Wir sprachen nicht. Jeder folgte seinen eigenen Gedanken. Wir schlugen einen großen, weiten Bogen, nach West, über Nord, dann nach Ost zurück, um nicht vor Tag bei der Mühle anzukommen. Wir kannten die Gegend nicht, doch war uns das gerade recht, denn es lenkte unsere Aufmerksamkeit von den letzten Stunden ab. Als der Tag zu grauen begann, ritten wir langsamer, denn wir näherten uns dem Ziel. Da konnte Halef das lange Schweigen nicht mehr ertragen. Er begann, das Erlebte zu besprechen, und ich hielt es für meine Pflicht, hierauf einzugehen, um ihm das Herz zu erleichtern.
Die Sonne ging auf, gerade als wir die Mühle vor uns liegen sahen. Sie erschien uns nach den dunklen, häßlichen irdischen Ereignissen der vergangenen Nacht wie ein Bild aus dem Garten Eden, vom reinen, heiligen Glanz des Himmels überflutet. Das Wasser rauschte; schalkhaft knarrte das Rad; laut pries die Säge ihren eigenen Fleiß. Auf dem Hof brüsteten sich die Pfauen. Tauben badeten ihr lichtes Gefieder in der Morgenglut. Zwei Hunde sprangen uns schweifwedelnd entgegen. Da öffnete sich die Tür, und aus ihr quollen voran die jubelnden Kinder, mit großen Rosenbuschen in den kleinen Händen, dann Vater und Mutter, die Großeltern, hinterdrein ein junges Kätzchen, das noch nicht ausgeschlafen hatte und sich draußen sofort hinsetzte und sich die staunenden Augen auswischte. Und um alle Ecken lugten die Köpfe des Gesindes, der Arbeiter und anderer Leute, die zufällig anwesend waren.
»Welch eine Menge!« rief ich fröhlich aus. »Ist da denn Platz für uns?«
»Ob Platz ist, hat er gesagt!« meldete das kleine Mädchen in besorgtem Ton zur Mutter empor.
»Mehr als genug!« antwortete diese. »Für solche liebe Gäste stets. Sag ihm das, und gib ihm deinen Buschen!«
Da hielt das Kind mir die Rosen entgegen und sprach:
»Für solche liebe Buschen stets! Hier hast du deinen Gast! Mehr als genug!«
Alles lachte. Wir stiegen ah und worden mit Frohlocken in das Haus geführt, zur hinteren Tür wieder hinaus und in den Garten. Dort stand unter schattigen Bäumen ein kleines weißglänzendes Häuschen. Man bat uns, es anzusehen, ob es uns als Wohnung gefalle, und dann zurückzukommen; das Frühstück sei bereit. Das Häuschen bestand aus zwei kleinen, netten Stuben. In der einen fanden wir einen Zettel, darauf stand: »Für den Scheik der Haddedihn.«
Halef steckte seinen Rosenbusch in einen Wasserkrug und frohlockte: »Hier wohne also ich; du kannst gehen.«
In der anderen sah ich einen zweiten Zettel, darauf stand: »Für ihn.« Kein Titel und kein Name. Auch ich tat meine Rosen in das Wasser.
Da kam Halef mir nach und fragte: »Hast du schon zum Fenster hinausgeblickt? Wenn nicht, so schau!«
Er deutete in die Richtung, die er meinte. Mein Blick fiel zwischen den Stämmen hoher Zapfenbäume hinüber in das Tal des Baches, gerade auf die Stelle, wo die zwei Bänke standen, auf denen die Mutter mit den Kindern gebetet hatte. Auch jetzt saß jemand da, nämlich eine sehr lange, sehr dünne und sehr vergrämt aussehende Frau. Sie hielt den Kopf gesenkt und schien gebetet zu haben; ihre Hände waren gefaltet. Es war – – Abdahn Effendis gerettete Seele.
»Sie ist also hier«, sagte er. »Man hat sie aufgenommen. Bleiben auch wir?«
»Ja, wir bleiben.«
»Allah sei Dank! Wie mich das freut! Als wir den Müller mit den beiden Adjutanten belauschten, hörten wir ihn auf ihre Lästerungen sagen: ›Gott hat es gehört! Gott hat es gehört. Er wende es zu unserem Heil und Segen!‹ Er hat es getan. Und darum wiederhole ich: Ihm sei Lob gesagt, Lob und Ruhm und Preis und Dank!«
Zum näheren Verständnis dieser Erzählung mögen die notwendigsten Erläuterungen folgen.
Der Dichter führt uns in die Landschaft »Dschan«, auf deutsch »Seele«. Er will damit darlegen, daß alles, was erzählt wird, sich auf seelischem Gebiet ereignet. »Uluhm« ist die Mehrzahl von »Ilm«, »Wissenschaft«: dieser Bergzug bedeutet die innerliche Erhebung, dargeboten durch die Erziehung und den Unterricht der Seele.
Des Bergmüllers Name »Ben Adl« bezeichnet der »Sohn der Gerechtigkeit«, die nur auf den Höhen, nicht aber in den Niederungen des Lebens zu finden ist. Be: Ben Adl finden sich alle die zusammen, die dazu beitragen, daß Abdahn Effendi dem Fluch seiner Täter anheimfällt.
»Abdahn« ist die Mehrzahl von »Beden«, d. i. »Leib« Er versinnbildlicht also den Leibesmenschen, der nur Wert auf das körperliche Eigen wohl legt, während es seine Seele, dargestellt durch seine Frau, vollkommen vernachlässigt und verkümmern läßt. Seine Karawanserei bildet den Inbegriff des Genußlebens, das keine höheren Ziele kennt. Ja, auch die Güter höherer Ordnung, die nicht ohne persönliche Opfer (Zoll) erworben werden können, versteht er, sich mühelos anzueignen Deshalb ist er der Anführer der Schmuggler, die mit inneren Werten Handel treiben, und wird unterstützt von den zwei Achmed Aghas, die sich beide als die »Seele« eines Menschen zu geben wissen, während sie doch nur die Rücksichtslosigkeit (Bulldoggengesicht) und Habsucht (Vogelgesicht) verkörpern, sowie von den beiden Selim Aghas, die als Untergebene jener beiden die Hinterlist (Fuchs) und den Betrug (Marder) darstellen. Zur Erreichung ihrer niedrigen Zwecke schrecken sie nicht davor zurück, sich unter Umständen des Basch Tschausch, der Freveltat (Mord), zu bedienen. Es ist klar, daß eine derartige Welt- und Lebensanschauung einer strengen Untersuchung (durch die beiden geheimen Sendlinge) nicht standhält. Ein angemaßter Titel nach dem anderen bröckelt von den erhabenen »Aghas« ab, und sie erscheinen schließlich in ihrer wahren Gestalt, als auf der niedrigsten Rangstufe stehende Triebe. Abdahn Effendi bricht zusammen, indem er zur Erkenntnis und zum Bekenntnis der Gemeingefährlichkeit seiner Lebensanschauung gezwungen wird, dargestellt in der Bitte: Erlöse uns von Abdahn Effendi und von seinen Freunden!