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5. Zur Strecke gebracht

Der brave Franzesko Saldano war ein höchst frommer Mann – nach seiner eigenen Überzeugung; er verstand so gottesfürchtig zu reden, als habe er seine Muttersprache im Monasterio Kloster. San Joseppo zu Guadalajara gelernt. Im übrigen war er in ganz Vera Cruz als ein Geizteufel bekannt, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, um die Fülle seines Säckels zu vergrößern.

Es war gegen Abend. Saldano stand in höchst mürrischer Laune am Fenster und blickte hinaus auf den Hafenplatz. Kein einziger Gast saß im Zimmer und kein Mensch ließ sich sehen.

»Heut ist ein flauer Tag für mich, wie selten einer, obgleich er für die Seeleute gerade das Gegenteil ist,« brummte er. »Die Ebbe ist da, der Wind bläst aus Südwest, und alles, was Segel hat, benutzt diese Gelegenheit, den Hafen zu verlassen. Wer hat da Zeit, zu Franzesko Saldano zu gehen, der auf Gäste lauert, wie eine hungrige Spinne auf Fliegen. Sogar die ›Union‹, die erst kürzlich hier die Anker warf, scheint in See stechen zu wollen, obgleich ich ihr für den fortgelaufenen Matrosen noch keinen Ersatzmann schaffen konnte. Sie hat schneller geladen, als der Kapitän dachte.«

Da ertönte Pferdegetrappel vor der Tür, und gleich darauf trat ein Fremder ins Zimmer. »Kommt man hier recht zu Franzesko Saldano?« fragte er.

»Der bin ich, Sennor. Aber sagt, ist Euch die schöne Sitte des Grüßens vielleicht unbekannt?«

»Der Teufel hole Eure Sitte! Ich grüße, wenn ich Zeit und Lust habe, und gerade jetzt fehlt mir beides dazu.«

»Ich muß Euch sehr mahnen, mich kein solches gotteslästerliches Wort vernehmen zu lassen. Mein Haus ist keine Lästergrube; betet lieber!«

Betet soviel Euch beliebt; mich aber laßt damit in Ruhe! Uebrigens, wenn Ihr gern gegrüßt sein wollt, so will ich es tun, und zwar von Eurem Bruder, der mich zu Euch sendet.«

»Von Miguel?« fragte der Wirt, jetzt mit halblauter Stimme. »Habt Ihr Geschäfte mit ihm?«

»Ja. Jetzt suche ich eine Gelegenheit, so schnell wie möglich von hier wegzukommen.«

»Ah – hm! Brennt es Euch auf den Nägeln? Ich glaube, Ihr seid da an den rechten Mann gekommen. Was trinkt Ihr, Sennor?«

»Mir ist alles recht. Bringt nur irgend einen Tropfen, und auch ein Glas für Euch!«

Saldano eilte nach dem Schenktisch, brachte eine volle Flasche mit zwei Gläsern und nahm seinem Gast gegenüber Platz.

»Es scheint mir gut, daß ich gerade jetzt keine Gäste habe,« begann er einschenkend. »Was für ein Geschäft hattet Ihr mit Miguel?«

»Das lassen wir unerörtert, mein Lieber. Kennt Ihr den Alkalden von Morelia?«

Saldano machte große Augen. »Ah – ist's so? Hm, dann könnt Ihr auf mich rechnen! Also Ihr wollt so schnell wie möglich fort. Nach welcher Richtung, Sennor?«

»Nach New-Orleans.«

»Gibt's heut und morgen nicht. Eine prächtige Gelegenheit nach Galveston wüßte ich. Von da aus ist's nicht schwer, ein Schiff zu bekommen.«

»Angenommen! Aber mir liegt daran, schleunigst und – versteht mich wohl, Saldano – ohne die gewöhnlichen Umständlichkeiten fortzukommen!«

»Das, Sennor, das ist schwierig, und ohne einiges von dieser Sorte« – er machte die Pantomime des Geldzählens – »wohl ganz und gar unmöglich.«

»Natürlich! Aber ich habe zufällig da in der Tasche drei außerordentlich hübsche Nuggets, die ich der Seltenheit wegen immer bei mir führe. Da, seht sie Euch an! Genügen sie?«

Der Wirt nahm die drei ungewöhnlich großen Goldbrocken in die Hand und wog sie bedächtig. »Es genügt.«

»Nun, also – –«

»Wollt Ihr ohne Umständlichkeiten fort, so dürft Ihr natürlich nicht Fahrgast sein, sondern – – hm, versteht Ihr vielleicht etwas vom Seedienst?«

»Ich bin früher viel zur See gewesen.«

»Getraut Ihr Euch auf ein paar Tage den Matrosen zu spielen?«

»Wenn's nur das ist, sehr gut!«

»So ist Euch geholfen, Sennor! Seht, da draußen liegt die ›Union‹, Vereinigte-Staaten-Brigg, Kapitän Williams, ein sehr braver Mann, dem einer seiner Leute davongegangen ist. Er sticht in einer Stunde in See. Wollt Ihr mit ihm?«

»Selbstverständlich. Wohin geht er?«

»Nach Galveston; ich sagte das wohl schon!«

»Gut! Aber diese Kleidung – und die Papiere.«

»Hm, ja; das hält schwer. Ich habe allerdings einen alten Matrosenanzug daliegen, den ich Euch aus Barmherzigkeit anbiete, wenn Ihr ihn gegen Eure Kleider umtauscht und eine Wenigkeit zulegt, Sennor.«

»Hier habt Ihr!«

Er schob ein Geldstück hin. Saldano steckte es ein und meinte:

»Es ist sehr wenig, Sennor; aber der Himmel wird mir vergelten, was ich an Euch tue. Kommt heraus!«

Er führte ihn in einen Verschlag, an dessen Wänden verschiedene Kleider und andere bei dem Geschäft Saldanos notwendige Gegenstände hingen.

»Hier sind Hemd, Hose, Jacke, Strümpfe, Stiefel und Südwester. Zieht Euch um und kommt dann in die Stube!«

Er selbst kehrte dahin zurück und setzte sich mit zufriedenem Lächeln vor die Flasche, die er in wenigen Augenblicken leerte. Dann kam Wilson herein. Der Anzug war nicht für seine Gestalt gefertigt; Gesicht und Haltung paßten wenig dazu.

»Herrlich, trefflich, wunderschön paßt er Euch, Sennor,« schmunzelte Saldano. »Der befahrenste Seemann wird meinen, daß Ihr seit Eurer Jugend nicht vom Wasser weggekommen seid!«

»Und die Papiere?«

»Hm, das ist nun allerdings eine schlimme Sache! Ich habe keine, denn ich würde sie Euch herzlich gern aus altgewohnter Mildtätigkeit schenken; ich bin einmal eine Samariterseele, die nicht leben kann ohne Wohltun. Aber da hat kürzlich ein Maate seine Zettel hier gelassen, und ich getraute es mir am Ende, sie Euch zu leihen, wenn Ihr mir versprechen könnt, sie wiederzubringen.«

»Wann sollen sie wieder hier sein?«

»In vierzehn Tagen – vielleicht auch in so vielen Jahren, wenn es Euch nicht anders möglich ist. Allerdings wird der Mann ein Leihgeld verlangen.«

»Wie viel ungefähr?«

»Ihr wollt nach dem Norden und müßt Euch also nach dem dortigen Kurs richten. Drei Pfund ist billig; daß müßt Ihr selber sagen!«

»Saldano, Ihr seid ein Schuft trotz Eurer Frömmigkeit!«

»Gut, so werde ich als ein solcher handeln und sie nur für fünf Pfund hergeben. Greift zu, Sennor, sonst steigt der Preis noch höher!«

»Ich gebe Euch drei!«

»Fünf und keinen Penny weniger!«

»Hol' Euch der Henker. Hier ist das Geld!«

»Danke, Sennor! Aber Ihr seht, die Flasche ist leer. Ich muß noch eine holen, um mit Euch auf glückliche Fahrt anstoßen zu können. Zwei Flaschen machen gerade drei Dollars!«

»Hier sind auch diese. Aber trinkt mit wem Ihr wollt, nur nicht mit mir!«

»Ist mir auch recht. Undank ist der Welt Lohn, und der Gläubige muß sich in Nachsicht üben!«

Er brachte die Papiere. Wilson sah sie durch.

»Sie werden Ihren Zweck erfüllen. Aber der Kapitän?«

»Wird Euch nur dann mieten, wenn Ihr einige Zeilen von mir bringt.«

Schreibt sie!«

»Das ist nicht so leicht, Sennor! Es hat mich Zeit, Mühe und Geld gekostet, diese Kunst zu erlernen. Wollt Ihr noch einen Dollar daran wenden?«

»Auch das noch! Hier habt Ihr ihn; aber verlangt ja nicht noch einmal Bezahlung, sonst zeige ich Euch, daß meine Faust härter ist als Euer barmherziger Schädel!«

»So dir jemand einen rechten Backenstreich gibt, von dem laß dir auch gleich einen linken geben, sagt die Bibel. Mein Gewissen gebietet mir, Euch die Schmähung zu verzeihen. Ich werde Euch die Zeilen sofort schreiben!«

Es dauerte ziemlich lange, ehe er die wenigen Buchstaben zu Papier brachte.

»So, da habt Ihr den Zettel, Sennor. Und nun macht, daß Ihr fortkommt, sonst nimmt die ›Union‹ die Segel auf und geht Euch davon.«

Wilson ging. Er ließ das Pferd vor der Tür halten, da er die kostbare Zeit nicht mit einem Handel verschwenden wollte, der ihm von dem Wirt doch nur eine Wenigkeit eingebracht hätte. Er sprang in einen Kahn und gebot dem Führer, hinaus nach der Brigg zu rudern. Dort angekommen, schwang er sich wie ein geschulter Seemann mit Hilfe eines herabhängenden Taues an Bord und schritt in ehrerbietiger Haltung auf Williams zu, der ihm als Kapitän bezeichnet wurde.

»Verzeiht, Kapt'n; ich habe dieses Papier an Euch abzugeben!«

Der Angeredete las die Zeilen und warf dann einen prüfenden Blick auf den Mann. Sein Auge traf die Narbe auf seiner Stirn, sofort stieg eine naheliegende Vermutung in ihm auf. »Eure Papiere!«

Er erhielt sie und sah sie durch.

»Frank Holborn aus Wilmington! Die Papiere sind gut, stimmen aber nicht so recht auf die Person. Doch das geht mich nichts an, wenn Ihr nur Eure Arbeit versteht. Sagen muß ich Euch freilich, daß ich streng auf Gehorsam und Verträglichkeit an Bord halte. Ihr seid wohl kein großer Freund davon.«

»Warum nicht, Kapt'n?«

»Die Narbe ist jedenfalls die Folge irgendeiner Schlägerei!«

»Erlaubt, Sir! Ich erhielt sie von einem Indianer, als es mir einmal in den Sinn kam, die See auf einige Zeit mit der Prärie zu vertauschen.«

»So, so; das ist etwas andres. Ich werde Euch an Bord behalten. Geht, sagt das dem Maate und macht mit ihm die Heuer richtig! Ich gehe noch auf eine Viertelstunde an Land; dann nehmen wir die Anker auf.«

Er wandte sich ab und begab sich in die Kajüte.

»Das ist Wilson! Die Person, die Narbe, der Indianer, der ihn verwundet haben soll, alles stimmt. Er hat die Flucht ergreifen müssen, will sich unter der jetzigen Maske in Sicherheit bringen und ist bei Saldano gewesen, der ihm mit den Papieren ausgeholfen hat. Was tue ich? Ihn der hiesigen Behörde übergeben? Nein. Es wäre doch ein prächtiger Streich, wenn er nach Stenton gebracht werden könnte! Warten kann ich allerdings nicht, bis Klausen kommt; die Ladung ist gestaut und ich muß fort. Nach Galveston darf ich den Menschen auch nicht mitnehmen, da er nur der Justiz der Vereinigten Staaten ausgeliefert werden soll. Ja, so geht es, ich setze ihn an einer der öden Mississippi-Inseln ab, und gebe Klausen Nachricht, ihn dort wegzunehmen. Ich muß zwar einen Umweg machen; aber wenn ich die westlichste Insel wähle, so ist dieser nicht bedeutend. Auch liegt sie so außer Kurs, daß er sicher von keinem Schiff aufgenommen wird und von Klausen leicht zu finden ist.«

Er setzte sich an den Tisch, brachte sein Vorhaben zu Papier und begab sich dann an Land, um den Brief eigenhändig im Zollhaus zu übergeben.

Sofort nach seiner Rückkehr an Bord ließ er die Anker lichten und das Tuch aufziehen. Die »Union« stach in See.

Das Wetter hielt sich ausgezeichnet; der Wind blieb günstig, und die Fahrt war so schnell, daß man bald die Höhe von Galveston erreichte. Da trat Williams zum Maate. »Wie gefällt Euch Holborn, der neue Mann?«

Der Gefragte warf, ehe er Antwort gab, seinen Kautabak einige Male im Mund hin und her.

»Der, Sir? Er wird früher vielleicht einmal zur See gewesen sein, ist aber aus der Uebung gekommen.«

»Das sieht man. Und sonst?«

»Und sonst? Geht mich eigentlich nichts an; aber verlieben könnte ich mich in den Kerl nicht. Er hat kein gutes Auge.«

»So haltet ein wenig mehr nach Lee. Ich werde ihn absetzen.«

»Absetzen, Sir? Wo?«

»An der westlichen Mississippibank.«

»Hm, Sir, ich darf Euch nicht fragen, warum Ihr so etwas tut, aber es scheint mir, daß es nur nach Empörungen an Bord geschehen darf.«

»Richtig. Dennoch aber habe ich einen Grund, der mich vollständig rechtfertigt. Ihr kennt Mr. Klausen und Mr. Summerland, die mit uns fuhren, um einen Raubmörder zu verfolgen?«

» Aye, aye, Ja, Ja. Sir! Warum sollte ich nicht?«

»Nun, dieser Mann ist ihnen entkommen, und nennt sich hier an Bord Frank Holborn aus Wilmington.«

»Alle Wetter, Sir, ist's wahr?«

»Ich bin meiner Sache vollständig sicher und habe Mr. Klausen aufgefordert, ihn an der Bank aufzunehmen.«

»Das ist allerdings etwas anderes. Der Mensch erhält sein Recht, und ich werde einige Linien vom Wind abfallen.«

Die »Union« warf den Bug nach Ost hinüber. Gegen Abend wurde ein langer, niedriger Streifen sichtbar. Es war die Mississippibank, die Williams gewählt hatte. Er ließ Wilson vor sich treten.

»Frank Holborn, macht Euch fertig, von Bord zu gehen!«

»Was soll ich am Land, Kapt'n?«

»Mich begleiten.«

Der Kapitän wollte die Angelegenheit ohne Aufregung zustande bringen und befahl, ein Fäßchen Wasser und einige Lebensmittel in das Boot zu nehmen, das er mit Holborn allein bestieg. Die »Union« hatte beigedreht; das Boot stieß ab und hielt auf die Bank zu.

»Es ist notwendig,« meinte Williams während des Ruderns, »ein kleines Vorratslager hier anzulegen. Ich halte das Boot, und Ihr bringt die Sachen an Land!«

Sobald man landete, trug Holborn das Fäßchen auf das Trockene und holte das Säckchen Schiffszwieback. Er hatte keine Ahnung von der Absicht des Kapitäns und wunderte sich, als er zurückkehrte, sehr, daß dieser das Ruder einstemmte und das Boot vom Lande stieß.

»Müssen wir die Sachen nicht besser bergen, Kapt'n?«

»Nein, denn das Lager ist nur für Euch, Mister Wilson. Ich brauche keinen Räuber und Mörder an Bord; darum bleibt Ihr hier zurück. God bye

Wilson taumelte bei diesen Worten zurück; er war unfähig, einen Laut hervorzubringen, und als sich der erste Hilferuf von seinen zitternden Lippen rang, befand sich das Boot bereits außer Hörweite. Da ballte er die Fäuste und erhob sie gegen das Schiff.

Seine Flüche und Verwünschungen verhallten in der weiten Oede, in der er als das einzige menschliche Wesen zurückbleiben mußte. – –

Die Post war von Mexiko in Vera Cruz angekommen; ihr entstiegen außer einigen Eingeborenen Klausen, Summerland und Sarah.

»Gott sei Dank,« meinte Summerland, »daß wir diesen elenden Kasten endlich überwunden haben. Mich bringt kein Mensch wieder in eine solche Jammerarche; das ist so sicher wie meine Mütze! Aber was nun, Sir?«

»In den Gasthof zunächst. Dann aber müssen wir uns sofort nach Wilson umsehen. Er ist auf jeden Fall hierher gegangen, um zu Schiff das Land zu verlassen. Wir müssen also jedes Fahrzeug besuchen, das sich segelfertig macht.«

»Warum soll ich da erst in den Gasthof? Ich werde die Nachforschung sofort beginnen, Sir. Sagt mir nur, wo ich Euch finde!«

»Gleich hier in diesem Hause. Es scheint allerdings ein sehr gewöhnliches zu sein, aber das ist gleichgültig. Ich führe Sarah auf ihr Zimmer und gehe dann auf das Zollamt, damit uns nichts im Weg steht, wenn wir etwa schnell abreisen müßten.«

Summerland wandte sich dem Hafen zu. Klausen sorgte zunächst für die Terzerone und begab sich dann nach dem Zollhaus. Kaum hatte er seinen Namen genannt, so fragte der Beamte: »Ist Euch vielleicht ein Kapitano Williams bekannt, Sennor?«

»Ja. Ich bin auf seinem Schiff hier angekommen.«

»So gehört Euch dieser Brief, den er vor der Abfahrt hier zurückgelassen hat.«

Klausen öffnete und las ihn. Ein Blitz der Freude zuckte über sein Gesicht. »Gibt es vielleicht ein Fahrzeug im Hafen, das bald nach New-Orleans geht?« fragte er.

»Der Dampfer ›Manhattan‹, Sennor, geht noch heute ab. Ein gutes Schiff, fast neu, ein vortrefflicher Kapitano! Er geht hinauf bis Memphis und Kairo, hält aber natürlich auch in New-Orleans.«

Nichts konnte besser passen als diese prächtige Gelegenheit, und Klausen eilte sofort auf den Kai, um sich zu dem Dampfer rudern zu lassen. Der Kapitän war zur Aufnahme der drei Passagiere bereit und willigte auch, nachdem er nur das Nötige gehört und in die polizeilichen Empfehlungen Klausens Einsicht genommen hatte, in den kleinen Umweg nach der Mississippibank ein.

Es verursachte einige Schwierigkeiten, Summerland zu finden. Als dies geschehen war, holten die beiden Männer die Terzerone, und bald verschwanden die Häuser von Vera Cruz und die Mauern von San Juan de Ulloa hinter dem Dampfer.

Da trat Summerland mit geheimnisvoller Miene zu Klausen. »Sagt einmal, Sir, ob wir jetzt auf hoher See sind?«

»Natürlich!« lächelte Klausen über die eigentümliche Einleitung.

So habe ich Euch dieses Ding zu übergeben.«

»Von wem?«

»Von der Gräfin Hernano. Als wir Abschied von ihr nahmen, zog sie mich beiseite und meinte, es sei für Eure mächtige Zauberin; ich sollte es Euch aber erst aushändigen, wenn wir uns auf hoher See befinden.«

Klausen öffnete das kleine, zierliche Paketchen. Es enthielt eine Kapsel, aus deren Innern ihm ein schmaler, feiner Goldreif entgegenblitzte, der in seiner Rosette einen großen, höchst wertvollen Diamanten umfaßte. Er hatte den Ring an der Hand der Gräfin bemerkt und das Feuer des Steines oft bewundert. Es war ein kostbares Geschenk.

»Und dann steckte mir auch der Graf etwas zu. Wollt Ihr es haben?«

»Was ist es?«

»Hier dieser große Brief.« Er gab ihm einen Umschlag, den Klausen öffnete. Staunend betrachtete dieser die inliegenden Papiere. »Ist's möglich!«

»Was denn, Sir?«

»Diese Papiere machen mich, wenn ich sie annehme, zum Millionär!«

» Bounce! Dann sage ich weiter nichts als: Nehmt sie an! Was steht denn drin?«

»Es sind die vollständigen rechtsgültigen Besitztitel über zehn Leguas besten Landes in Texas. Tom, ich bin ganz starr vor Erstaunen!«

»So nehmt Euch in acht, daß Ihr nicht gar zur Salzsäule werdet wie die Hexe von Endor, damals als Sodom und Gilead unterging! Der Graf ist ein tüchtiger Kerl, Sir; das ist so gewiß wie meine Mütze!« –

Es dauerte einige Tage, bis Klausen sich an den Gedanken, Besitzer einer solchen Länderstrecke zu sein, gewöhnen konnte. Von einer Zurückweisung des Geschenks, an die er im ersten Augenblick gedacht hatte, war natürlich keine Rede; er durfte es ruhig annehmen, da es den Grafen gewiß nicht das mindeste gekostet hatte. –

Das blaue, durchsichtige Wasser wurde gelber und trüber, ein Zeichen, daß man sich der Mississippimündung nähere. Jetzt hielt der Kapitän nach Nordwest und schickte einen Mann zum Ausguck auf den Masthead. Nach und nach bildete sich vor dem Fernrohr ein dunkler Streifen, der von Minute zu Minute näher trat.

»Das ist die westliche Insel, Sir!« meinte der Kapitän zu Klausen. »Befindet sich der Mensch wirklich dort, so werden wir ihn bald sehen.«

»Ein Mann vor dem Glase!« meldete der Matrose. »Schwenkt die Jacke!«

»Fallt ab nach West, Maate!« kommandierte der Kapitän. »Stopp, Maschinist! Dreht bei das Schiff!«

Ein Boot wurde ausgesetzt, und der zweite Deckoffizier sprang mit vier Ruderern hinein, um den Winkenden zu holen.

»Jetzt macht Euch ein wenig unsichtbar, Sir. Ich will doch einmal sehen, was der Kerl für eine Geschichte erzählen wird, um seine Lage zu erklären! Er wird sich wohl hüten, von der ›Union‹ zu sprechen, da er dann die Frage erwarten muß, warum diese ihn im Stich gelassen hat.«

Klausen und Summerland zogen sich in die Kajüte zurück. Sobald Wilson an Deck erschien, nahm das Schiff seinen vorigen Kurs wieder auf. Er wurde vor den Kapitän geführt, der ihn mit scharfem Blick musterte.

»Wer seid Ihr?«

»Ich heiße Tom Hellword; meine Heimat ist Savannah in Georgia, Sir.«

»Eure Kleidung sagt, daß Ihr Seemann seid. Wie kommt Ihr auf diese Bank?«

»Ich fuhr mit dem Klipper ›Iowa‹, bestimmt von Havanna nach Galveston. Der letzte Sturm stieß ihn auf den Grund, und ich ganz allein rettete mich auf die Insel.« »Und wer rettete das Wasserfaß und den Mundvorrat, den man bei Euch fand?«

Wilson konnte eine Verlegenheit nicht ganz verbergen. »Beides wurde vom Wasser angespült.«

»Sehr gut, mein Lieber! Ihr seid zu bedauern, daß Ihr so lange aushalten mußtet. Der letzte Sturm war vor bereits vierzehn Tagen. Wie heißt der Kapitän der ›Iowa‹?«

»Smith.«

»Irrt Ihr Euch nicht vielleicht in dem Namen? Ich meine, daß Euer Fahrzeug ›Union‹ und der Kapitän Williams geheißen hat. Nicht?«

Der Gefragte schwieg vor Schreck.

»Die ›Union‹ mochte von einem gewissen Frank Holborn aus Wilmington nichts wissen. Kennt Ihr ihn vielleicht?«

»Nein, Sir. Ich sage Euch die Wahrheit. Laßt mir einen Platz bei Euch bis New-Orleans; ich werde dafür nach Kräften arbeiten!«

»Einen Platz sollt Ihr haben, doch welchen, das wird sich finden. Geht!«

Wilson begab sich auf das Vorderdeck. War er wirklich gerettet, oder drohte ihm auf der »Manhattan« vielleicht noch mehr Gefahr als auf der einsamen Mississippibank? Eben wollte er zum Bootsmann treten, um Arbeit zu begehren, da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er wandte sich um und fuhr mit einem Schreckensruf zurück.

»Summerland!«

»Ja, Tom Summerland ist es, mein sehr ehrenwerter Mister Wilson, Molez, Holborn, Hellword, oder wie Ihr sonst heißen mögt! Warum gingt Ihr nur so rasch aus Mexiko weg? Nun haben wir an Eurer Stelle die Grants, zehn ganze Leguas, aus Dankbarkeit dafür, daß wir den Grafen retteten.«

»Zehn – – –«

Das Wort blieb Wilson im Mund stecken, denn sein Auge fiel auf Klausen, der mit dem Kapitän näher kam. Einige handfeste Matrosen folgten ihnen.

»Master Klausen, ist das Euer Mann?« fragte der Kapitän.

»Ja.«

»So nehmt ihn, Jungens!«

Die Matrosen traten hinzu. Wilson sah, daß alles verloren sei; seine Erstarrung wich. Eine am Boden liegende Handspeiche ergreifend, sprang er auf Klausen zu und holte zum Schlag aus.

»Fahre hin, Schurke! – – –?«

Die Handspeiche entsank seiner Faust; er fuhr mit der Hand nach der Brust, drehte sich mit hintenüberstrebendem Kopf einmal um seine eigene Achse und brach dann zusammen. Tom Summerland hatte das Messer gezogen und es ihm in die Seite gestoßen.

»Der hat genug, Sir! Ich werde ihn lehren, mit dem Holz hier auf Euch loszugehen!«

Klausen neigte sich über den Gestürzten.

»Ihr habt gut getroffen, Tom, gerade ins Herz! Er ist tot. Wollt Ihr Euch überzeugen, Sir?«

Auch der Kapitän untersuchte die Wunde.

»Tot. Laßt ihn liegen, bis er kalt ist, dann sollen ihn die Fische haben. Ich werde Euch den Totenschein ausstellen, Sir, damit Ihr in Stenton beweisen könnt, daß der Kerl aufgehört hat, ehrlichen Leuten gefährlich zu sein.«

Eine Stunde später wurde die Leiche ohne die sonst üblichen Förmlichkeiten über Bord geworfen. Man befand sich bereits im gelben Flußwasser, und die Krokodile schossen bei dem Geräusch des Falles herbei, um ihr Totengräberamt zu verrichten.

Die Stromfahrt ging glücklich vonstatten. An der Mündung des Arkansas verließen die drei Fahrgäste die »Manhattan« und legten den Rest ihrer Reise auf einem kleineren Steamer zurück. Es war bereits am späten Abend, als sie in Stenton anlangten.

Sarah hatte während der ganzen Zeit eine tiefe Reue gezeigt, so daß Klausen beschloß, ihren Fürsprecher bei der Mutter Smolly zu machen. Jetzt lehnte sie an der Deckeinfassung; die Tränen der Angst standen ihr im Auge.

»Wo soll ich nun hin, Mylord Klausen?« schluchzte sie. »Mistreß Smolly wird nichts mehr von mir wissen wollen.«

»Sie wird dir verzeihen, Sarah, so wie ich dir ja auch längst vergeben habe. Du gehst nicht zu ihr, bevor ich mit ihr gesprochen habe.«

Jetzt kam Tom Summerland herbei; er brachte die sämtlichen Gepäckstücke der Drei geschleppt und keuchte unter ihrer Last.

»Macht schnell, Sir, daß wir nun endlich einmal an Land kommen! Es ist schon alles hinüber, und wir tun gerade so, als ob wir noch dreimal um die ganze Erde herumdampfen wollten. Einmal zur See und nicht wieder; das ist so sicher wie meine Mütze. Ich bin halb tot von dem vielen Wasser!«

Das Haus des Advokaten befand sich in der Nähe des Flusses. Dort blieb Summerland halten.

»Wie nun, Sir, Ihr tretet doch mit herein?«

»Heut nicht, Tom. Morgen komme ich, Euch zu besuchen. Behaltet meine Sachen jetzt bei Euch; ich werde sie abholen lassen!«

Er ging mit Sarah weiter. Die Druckerei, an der der Weg vorbei führte, war erleuchtet. Er hatte sich auf eine Ueberraschung Margas vorbereitet und trat ein, um ein Gedicht für das Morgenblatt zu übergeben. Es wurde sofort angenommen.

Im Hause des Bankiers war man zur Ruhe gegangen, wie die dunklen Fenster zeigten, aber bei Mutter Smolly war noch Licht.

»Ich gehe nicht hinein, Sir; ich fürchte mich!« meinte Sarah.

»So warte im Flur, bis du gerufen wirst!«

Er klingelte. Die Wirtin selbst erschien unter der Tür.

»Wer – –? Himmel, Sir? Ist's möglich?«

Fast wäre ihr vor freudiger Ueberraschung das Licht aus der Hand gefallen.

»Es ist allerdings möglich, meine beste Mutter Smolly. Habt Ihr vielleicht meine Zimmer inzwischen anderweit vermietet?«

»Vermietet? Wo denkt Ihr hin! Ich hätte sie zehn Jahre lang für Euch freigehalten. Aber tretet ein, bitte; Ihr müßt ja von der weiten Reise sehr ermüdet sein!«

Sie führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie erwartungsvoll ihm gegenüber Platz nahm.

»Wie ist es denn gegangen, Sir? Habt Ihr ihn gefunden? Habt Ihr Sarah gesehen? Ich habe in dieser Zeit mehrere Mädchen gehabt, aber alle wieder entlassen müssen.«

»Ich habe ihn gefunden.«

»Wirklich? Euer Geld?«

»Habe ich wieder, auch die fünfzigtausend Dollars von Mister Olbers.«

Sie schlug verwundert die Hände zusammen. »Das ist ja ganz außerordentlich! Bitte, erzählt, Sir!«

Er erfüllte ihre Bitte in möglichster Kürze. Als er am Schlusse bemerkte, daß die Terzerone draußen stehe, sprang sie auf und eilte hinaus: »Sarah!«

»Ma'am!«

»Wirst du mir wieder fortgehen?«

»Nie!« rief das Mädchen weinend.

»So bleib und denke daran, daß es nirgend so gut ist wie bei Mutter Smolly!«

Zu Klausen zurückgekehrt, berichtete sie ihm von Marga, die täglich herübergekommen sei und nur von ihm gesprochen habe.

Er hörte ihr mit glücklichem Lächeln zu, bat sie, seine Ankunft morgen früh noch zu verschweigen und begab sich dann hinauf in seine Wohnung, wo er bald dem wohlverdienten Schlaf in die Arme sank.

Als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Drüben waren die Fenster und die Tür des Balkons geöffnet. Auf diesem saß Marga, mit einer Arbeit beschäftigt, und er bemerkte, wie fleißig ihre Augen zu seinen Fenstern herüberschweiften.

Da kam auch der Bankier und brachte die Zeitungen. Sie teilten sich in die Blätter und lasen.

»Wie schön sie ist, wie rein und gut!« dachte Klausen.

Er kleidete sich so schnell wie möglich an, nahm dann das Fernglas und stellte sich beobachtend hinter die Gardinen. Da zuckte sie zusammen; eine tiefe Röte glitt über ihr schönes Gesicht, die Hand fuhr nach dem Herzen und ihre Augen flogen herüber zu ihm. Im Nu stand er auf dem Balkon und grüßte.

»Papa!« rief sie laut, daß er es hörte, und erhob zeigend den Arm.

Olbers blickte herüber und sprang überrascht vom Stuhl empor. »Sir – ah, herüber, herüber, schnell, schnell!«

Klausen nickte zustimmend und verließ den Balkon. Drüben kamen ihm beide bereits auf dem Flur entgegen.

»Willkommen, Mister Klausen! Kommt nur rasch herein! Wie ist's gegangen?«

Er trat ein und zog die Brieftasche hervor: »Wollt Ihr einmal die Papiere betrachten, Mister Olbers?«

»Ja! Ah – meine Schecks und Anweisungen! Ist's möglich? Marga, nichts ist verloren, kein einziger Penny!«

»Auch ich habe mein Geld wieder. Und hier, bitte, lest einmal dies!«

Der Bankier warf einen Blick auf die Bogen, riß sie ihm dann aus der Hand und trat damit zum Fenster.

»Grants, Empressarios – – zehn Leguas! Mister Klausen, das ist unglaublich, das ist ja ein ganzer Staat, ein ganzes Territorium!«

»Und doch ist's wahr! Das Land kostet mich keinen Dollar; ich habe es geschenkt erhalten.«

»Geschenkt? Erzählt, wenn ich es glauben soll!«

Klausen mußte berichten und tat es mit der größten Ausführlichkeit. Mit atemloser Spannung hörte man ihm zu. Dann stand Olbers auf und erfaßte seine Hand.

»Master Klausen, Ihr seid nicht nur ein Dichter, sondern auch ein ganzer Mann! Marga, wer hätte das gedacht, als wir ihn zum erstenmal trafen! Wie soll ich Euch danken? Mit Geld kann ich es nicht!«

Da erhob sich Marga. Im Vollgefühl des Glücks, das die Rückkehr des Geliebten ihr bereitete, überwand sie die weibliche Scheu und trat zu Klausen.

»Papa, ich weiß, wie wir ihm danken können. Darf ich es dir zeigen?«

»Tu es, mein Kind!«

Da legte sie die Arme um den Geliebten und bot ihm die Lippen zum Kuß. »So, Papa! Darf es so sein und bleiben?«

Der Bankier war so vollständig überrascht, daß er die Antwort vergaß. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Tom Summerland trat ein.

»Wer wollte mich besuchen und ist nicht gekommen? Daheim ist er auch nicht, und da – – by god, die haben sich beim Kopf. Da ist der alte Trapper überflüssig!«

Er wollte sich schleunigst zurückziehen, wurde aber von Olbers, der mittlerweile sich in die Gegenwart gefunden hatte, noch rechtzeitig beim Arm ergriffen.

»Bleibt, Mister Summerland! Wir haben Verlobung, zunächst zwar nur unter uns, aber die Sache wird wohl auch noch festlicher begangen werden!«

»Verlobung? Na, ich gebe meinen Segen auf der Stelle dazu, denn, Mister Olbers, die zwei da passen zueinander so gut und vielleicht gar noch ein wenig besser als Jakob und Judith, um die er volle vierzehn Jahre gefreit hat, die Monate und Tage gar nicht mitgerechnet. Das ist so sicher wie meine Mütze!« – – –


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