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4. Beim Grafen Hernano

Ein steifer Nordost wehte und schwellte die Segel der Vereinigten Staaten-Brigg ›Union‹, daß sie anmutig zur Seite geneigt vor dem Winde über die Wogen dahinflog; großflockiger Gischt beschäumte den scharfen Bug.

Sie war nach Vera Cruz bestimmt, um Farbhölzer nach Galveston zu bringen, und hatte nur zwei Fahrgäste an Bord, die eben jetzt an der Reeling standen und einer Tintorera Haifisch. zuschauten, die seit kurzem dem Schiffe folgte.

Der eine der Reisenden war in ein bequemes Grau gekleidet und trug den in diesen Breiten gebräuchlichen Panamahut. Der andre steckte in einem ausgefransten Rock von Büffelhaut und trug auf dem Kopf eine Mütze, die während der ganzen Fahrt die Aufmerksamkeit der Matrosen erregt hatte.

»Ich will froh sein,« meinte der im Büffelrock, »wenn ich einige Quadratschuh festen Boden unter mir habe!«

»Das wird noch vor Abend der Fall sein, Tom, wie mir der Käpt'n sagte. Und wenn es mit der Postverbindung trifft, so sind wir morgen schon in Mexiko.«

»Das soll mich freuen! Aber ungeheuer ärgerlich würde es sein, wenn wir uns auf falscher Fährte befänden und umsonst über diese böse Pfütze herübergeschwommen wären.«

»Man darf diese Möglichkeit nicht außer Rechnung lassen. Doch glaube ich richtig zu vermuten, wenn ich meine, daß wir diesen reichen Plantagenbesitzer aus Texas bei seinem Bruder, dem ehrenwerten Alkalden Don Antonio Molez finden werden.«

»Wenn es so ist, Sir, so jage ich ihm gleich im ersten Augenblick mein Messer in den Leib für den Diebstahl, den er an Euch verübt hat.«

»Ich hoffe sehr, daß wir beide, Olbers und ich, wieder zu dem Unsrigen kommen. Sarah sagte, sie habe eine ganze Menge Goldstaub und Nuggets bei ihm gesehen, und dieser Wert wird mehr als hinlänglich gewesen sein, die Kosten seiner Reise zu decken. Die Papiere des Bankiers hat er sicher gegen andere vertauscht.«

Jetzt trat der Kapitän hinzu. Klausen hatte zu seiner Freude einen Bekannten in ihm gefunden und ihm daher die Veranlassung zu seiner Reise in kurzen Worten mitgeteilt.

»Wie lange fahren wir noch, Williams?«

»In zwei Stunden sind wir am Hafen. Hier hast du das Rohr. Gestern schnitten wir den Wendekreis und umfuhren dann die Höhe von Tampico. Der Streifen vor uns ist die Küste vom ›wahren Kreuz‹.«

Wirklich erkannte Klausen einen dunklen Streifen, der den Horizont abschloß.

»Kennst du den Fahrplan der Post?«

»Nein. Jedenfalls aber wirst du nicht lange zu warten brauchen. Du glaubst also wirklich, den Kerl in Morelia zu finden?«

»Wahrscheinlich! Behaupten kann ich es nicht.«

»Ich möchte annehmen, daß er in Texas ist. Er muß dort bekannt sein, sonst hätte er nicht so viel von dem Lande gesprochen. Bei dessen Ausdehnung vermag er dort trotz der Sorge um eine etwaige Verfolgung seine Spekulation ins Werk zu setzen. Denk nur daran, daß es kein Vereinigten-Staaten-Territorium, sondern eine mexikanische Provinz ist und seine Auslieferung langwierige Unterhandlungen voraussetzen würde. Inzwischen könnte ihm eine Flucht zehnmal gelingen.«

»Deine Ansicht in Ehren, aber ich kann mich ihr nicht anschließen. Sein ganzes Aeußere deutet auf spanische Abkunft, und Mexiko ist ihm jedenfalls bekannter als Texas; sein Bruder lebt dort, den ich keinesfalls für seinen Stiefbruder halte. Mister Wilson wird wohl ursprünglich ein Sennor Molez gewesen sein. Zwar glaube ich wie du, daß er auf die Ausführung seiner Spekulation nicht verzichten wird; aber die Grants sind in Texas nur mit Mühe und durch langwierige Vermittlung, in Mexiko aber aus erster Hand und viel billiger zu haben. Vielleicht steht er in Beziehung zu einer bei der Verwaltung der Staatsländereien beteiligten Persönlichkeit oder hofft, durch den Alkalden in eine solche Beziehung zu treten. Gelingt ihm sein Vorhaben, so wird er keineswegs nach Texas ziehen, sondern die Grants sofort mit Gewinn zu verkaufen suchen und sich dann für immer unsichtbar machen.«

» Well, Sir, so ist's richtig,« meinte Summerland; »aber wir werden dafür sorgen, daß er ein wenig mehr als ehrliche Leute sichtbar wird, nämlich fünf Ellen hoch am Strick, wenn ihn mein Messer nicht vorher schon gekitzelt hat!«

»Wie lange bleibt die ›Union‹ im Hafen liegen?«

»Das ist unbestimmt,« antwortete der Kapitän Williams; »je nach der Möglichkeit, die ich vorfinde, die Ladung zusammenzubringen. Willst du wieder mit zurück?«

»Ich würde mit niemandem lieber fahren, als mit dir.«

»So spute dich, deinen Mann zu fangen, und bringe ihn gleich mit, damit ich seine Bekanntschaft mache!«

»Wenn ich dies könnte! Zwar bin ich mit polizeilichen Vollmachten versehen. Aber auf diese hin stehen mir leider nur die Behörden der Vereinigten Staaten zu Diensten. In Mexiko gelten sie gleich Null.« –

Die Voraussetzung des Kapitäns ging in Erfüllung. Nach nicht viel mehr als zwei Stunden warf die ›Union‹ zwischen der Felsenfeste San-Juan de Ullao und der alten Stadt Vera Cruz die Anker. Die beiden Fahrgäste nahmen vom Kapitän Abschied, ließen sich nach der breiten Hafentreppe rudern und schritten über den mit Menschen angefüllten Platz dem Zollgebäude zu.

Nachdem sie hier ihre Obliegenheiten erfüllt hatten, erfuhren sie, daß die Post schon in kurzer Zeit abging, und verließen mit ihr die ungesunde, baumlose Sandebene der Küste, um sich nach der alten Kaiserstadt Mexiko zu begeben. Schon am Nachmittag des folgenden Tages warfen sie den ersten Blick von den Bergen, die das Tal und den Prächtigen See von Tenochtitlan umschließen, auf die schöne Stadt, rollten zu ihr hinunter und wurden von dem Rosselenker vor einem der ersten Gasthöfe abgesetzt, dessen Wirt sich über die absonderliche Kopfhaut Summerlands zwar zu verwundern schien, aber die Reisenden mit großer Höflichkeit empfing.

Sie mußten für heut hier bleiben, um sich von der Fahrt auszuruhen und eine Gelegenheit nach Morelia abwarten. Es nahte die Dämmerung, jene Zeit, in der die Bevölkerung der Hauptstadt sich auf dem beliebtesten Vergnügungsort Mexikos, die Alameda, zu ergehen pflegt.

Es war immerhin möglich, daß Wilson noch in Mexiko sein konnte. Er hatte einen Vorsprung von nur einem Tag, und es war anzunehmen, daß er diesen Ort auch besuchen werde. Sie beschlossen daher, sich getrennt dahin zu begeben, um nach ihm zu forschen.

Summerland ging zuerst. Klausen wußte, daß er der vornehmen und schönen Welt der Stadt begegnen werde, und kleidete sich sorgfältig um. Er hatte vom Gasthof nicht weit bis zu dem Gittertor dieser öffentlichen mit Parkanlagen, Springbrunnen und Ruheplätzen versehenen Promenade, und war gleich beim Eintritt überrascht von dem prächtigen Schauspiel, das sich ihm bot.

Die Großen und Reichen Mexikos durchschritten lustwandelnd die sauberen Wege der Alameda, und die strahlende Kleidung der Damen zeugte genugsam von dem Luxus, an den sich die Nachkommen der spanischen Eroberer gewöhnt hatten. In Seide rauschend, von luftigen Spitzengewändern umwogt, mit der reizenden, malerischen Basquina baskischer Frauenmantel. angetan und mit Diamanten und Perlen geschmückt, gingen die schönen Frauen und Mädchen spazieren, teils nach altem Brauche verhüllt, teils auch mit offenem Gesicht, und dann enthüllten die zurückgeworfenen Mantillen den ganzen Zauber ihres reichsten Schmuckes, ihrer funkensprühenden schwarzen Augen. Elastisch und leicht wiegten sie sich auf ihren zierlichen Füßen, geschmeidig war jede Bewegung ihres schönen Körpers, und das Fächerspiel, das diese Damen meisterhaft verstehen, entfaltete seine Beredsamkeit. Wie ein Gewinde von Blumen des sonnendurchglühten Tropenlandes schwebte der Strom dieser reizenden Neuspanierinnen durch den Park, und zwischen ihnen hervor prunkten die reichen Uniformen des Militärs und die bunte Tracht der übrigen Stände. Je mehr die Sonne sich zu den westlichen Gebirgen herniedersenkte, je feuriger im Süden die eisigen Spitzen der beiden Vulkane erglühten, desto größer und zahlreicher wurde die Menge, die sich hier hin und her bewegte oder auf den Ruheplätzen niedergelassen hatte.

Klausen wanderte langsam unter ihnen dahin und musterte jeden Begegnenden. Er mußte bemerken, welches Aufsehen seine kräftige, in vornehmer Nachlässigkeit dahinschreitende Gestalt hervorrief. Hunderte von Augen blieben an ihm hängen, und ebenso viele Fächer versuchten, ihre Sprache an ihn zu richten. Er mußte an Marga denken und glitt mit gleichgültigem Blick über diese Aufmerksamkeiten hinweg.

Eine auffallend reich und vornehm gekleidete Dame begegnete ihm am Arm eines viel älteren Herrn. Sie war eine Schönheit, wie man sie nur selten findet, und warf im Vorüberschreiten einen langen, sprechenden Blick auf ihn. Eine Minute später kehrte er am Ende des Wegs um und hatte erst einen kleinen Teil der Promenade wieder zurückgelegt, so erblickte er sie wieder. Auch sie hatte sich gewandt. In seiner Nähe hielt sie den Fächer, von ihrem Begleiter unbemerkt, küssend an die Lippen und traf ihn mit der ganzen Glut ihres großen, wie aus verborgenen Tiefen hervorleuchtenden Auges.

Scheinbar durch Zufall entfiel der Fächer ihrer Hand. Klausen hob ihn auf und überreichte ihn ihr. Er war von ungewöhnlich feiner Arbeit und reich mit kostbaren Steinen geschmückt. Sie nahm ihn und berührte dabei seine Hand.

»Dank, Sennor! Seid Ihr ein Fremder, da Ihr allein spazieren geht?«

Er verbeugte sich zustimmend gegen sie und ihren Begleiter, der diese Bewegung mit vornehmer Zurückhaltung erwiderte. »So ist es, Donna,« antwortete er im reinsten Spanisch.

»Und wie findet Ihr Mexiko?«

»Es ist die Heimat der Feen, das Land, von dem die Dichter erzählen, daß keiner von da zurückkehre und jeder verloren sei, der seine Grenzen einmal überschritt.«

»So seid auch Ihr verloren?«

»Ich bin gefeit von einer mächtigen Zauberin!« lächelte er, sich tief verneigend und trat zurück. Ein unbeschreiblicher Blick traf ihn, in der die Bewunderung mit dem Zorn über den Formfehler rang, den er durch den Abbruch des durch List herbeigeführten Gesprächs begangen hatte. Dann rauschte sie davon.

Er verließ den Platz nicht eher, als bis dieser sich beinahe völlig geleert hatte. Er war nun sicher, daß der Gesuchte nicht hier gewesen sei. Um einige Straßen der Stadt im Licht des Abends zu betrachten, kehrte er nicht geradewegs nach dem Gasthof zurück, sondern machte einen Umweg, der ihn nach dem Innern des Häusermeeres führte. Schon war er einige Straßen vorwärts gekommen, als sein Blick ein schmales Gebäude streifte und an einem der oberen Fenster haften blieb. Es war geöffnet, und ein unverhüllter Frauenkopf blickte daraus auf die Straße herab. Er zog sich unter das Tor, an dem er eben vorüberschreiten wollte, zurück und verwandte kein Auge von dem Gesicht, das er deutlich erkannte.

»Welch ein Glück! Sarah, die Terzerone! Wo die ist, muß auch Wilson sein!«

Er wartete, bis Sarah sich zurückgezogen hatte und trat dann in das Haus. Seinem Aeußeren nach konnte es nur von gewöhnlichen Leuten bewohnt sein. Er trat sofort in den einzigen Raum, den das Erdgeschoß enthielt. Er war zwar sehr ärmlich, aber sauber ausgestattet. Eine alte Frau erhob sich aus dem Sessel, in dem sie halb schlummernd geruht hatte.

»Verzeiht, Matrina, daß ich Euch störe. Nicht wahr, hier über Euch wohnt Don Carlo Piscaldo, den ich suche?«

Er hatte den ersten besten Namen gewählt, der ihm eingefallen war.

»Don Carlo Piscaldo, Sennor? Nein, der wohnt nicht hier, hat auch nie bei mir gewohnt. Meine Zimmer gehören einem Don Tomasio, der mit seinem Weibchen erst gestern hier angekommen ist und Mexiko auch gleich wieder auf einige Tage verlassen hat.«

»Das stimmt; es muß also nur eine Namensverwechslung vorliegen. Dank, Matrina, ich muß die Donna sprechen!«

Er verließ die Stube, stieg die schmale Treppe empor und klopfte. Ein leiser Ruf erklang, und er trat ein.

Sie war's! Das Auge auf die Tür gerichtet, erkannte sie ihn sofort; das zeigte der Schreck, der ihr Gesicht trotz seiner dunklen Hautfarbe erbleichen ließ.

»Mylord Klausen!« rief sie, mit den Händen den Tisch erfassend, an dem sie stand.

»Ich bin es, Sarah! Warum erschrickst du?«

»Ich – ich – erschrak nicht. Es – es war nur die Freude!«

»Wirklich? So erlaube, daß ich mich setze! Wo ist Mister Wilson, der sich hier Tomasio nennt?«

»Nach Morelia zu seinem Bruder.«

»Wann kommt er zurück?«

Ihr Blick suchte in seinem Gesicht zu lesen.

»Sarah, die Wahrheit!« gebot er ernst.

»In vier oder fünf Tagen.«

»Was tut er dort?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo hat er sein Gepäck?«

»Hier.«

»Briefe und sonstige Schreibereien?«

»Auch hier.«

»Zeig' einmal her!«

»Das darf ich nicht, Sir. Er hat sie eingeschlossen. Auch ich darf sie nicht sehen.«

»Wo sind sie?«

»Hier in der Kommode.«

»Schön; so helfe ich mir selbst.«

Er ergriff den Kaminhaken, stemmte ihn in die Fuge des Kastens und sprengte das Schloß auf. Sie wagte nicht, Widerstand zu leisten und versuchte auch kein Wort der Einwendung. Tief unter der Wäsche versteckt, fand er eine Brieftasche und ein zusammengebundenes Paket mit allerlei Schriftsachen. Er öffnete die Brieftasche; ein triumphierendes Lächeln flog über sein Gesicht. Sie enthielt seinen Depositenschein, die gestohlenen Schecks und Olbers' sämtliche Anweisungen im Werte von fünfzigtausend Dollars. Wilson hatte sich doch nicht sicher gewußt und die Verwertung bis später aufgeschoben. Er nahm die Brieftasche an sich und öffnete dann das Paket.

Es enthielt Schriftübungen und eine kleine Monogramm- und Stempelsammlung, den sicheren Beweis, daß der Besitzer sich sehr eingehend mit Fälschungen beschäftigt habe. Auch einige Briefe waren dabei. Er öffnete die Bogen und überflog ihren Inhalt. Der letzte zeigte ein neueres Datum und schien Klausens ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.

Als er ihn gelesen hatte, legte er die übrigen Papiere wieder an ihre Stelle zurück und fragte, den Brief in die Tasche schiebend:

»Hat er zu dir von dem Grafen Hernano gesprochen?«

»Kein Wort.«

»Du sagtest mir in Stenton, daß er viel Goldstaub und Nuggets besitze?«

»Er hat in New-Orleans einiges davon verkauft; das andere befindet sich im unteren Kasten.«

Auch dieser wurde aufgesprengt. Er enthielt mehrere schwere Beutel, die einen nicht geringen Wert darstellten. »Alles geraubt. Er soll auch nicht ein Körnchen davon behalten!«

»Geraubt?« fragte sie erschrocken. »Nein, das hat Fred nicht getan!«

»Er hat es getan, Sarah: Master Olbers fünfzigtausend Dollars, mir mehrere Tausend und dieses Gold den Goldgräbern, die er ermordet hat.«

»Ermordet? Mein Gott, Sir, ich höre wohl nicht recht!«

»Du hörst sehr recht. Er ist ein Mörder, ein Räuber und Fälscher und aus Stenton bei Nacht und Nebel entflohen, weil die Polizei ihn suchte. Die Narbe hat er nicht von einem Indianer, sondern von mir. Ich traf ihn in der wilden Prärie mitten unter Mördern und gab ihm den Hieb, von dem die Narbe stammt.«

»Nein, nein, das ist nicht möglich, Mylord Klausen!«

Sie warf sich auf das Sofa und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er beschloß den höchsten Trumpf auszuspielen.

»Nicht bloß das! Auch dich hat er betrogen!«

»Mich? Niemals!«

»Er hat, während er zu dir ging, um die Hand von Miß Marga angehalten. Ich selbst habe dabeigestanden; es war am Tag seiner Flucht.«

Sie sprang empor. Ihr Auge blitzte. »Ist's wahr, Sir? Könnt Ihr das beschwören?«

»Ja, Sarah! Er hat dich nur mitgenommen, um dich später treulos zu verlassen.«

»Der Bube!« Ihre südliche Gemütsart begann sich im Zorn zu offenbaren.

»Er hat keine Plantage, keinen Fußbreit Land in Texas; er lebt nur vom Verbrechen und wird auch dich ins Verderben führen.«

»Mich, Mylord Klausen? Nein, das wird er nicht!« Sie ballte die kleinen Fäuste. »Ich habe ihn lieb gehabt wie mein Leben; aber ich glaube Euch; er hat Miß Marga gewollt, und nun ist meine Liebe tot. Sobald er zurückkehrt, werde ich – – –«

»Er kehrt nicht zurück zu dir, Sarah, denn du wirst sofort mit mir das Haus verlassen.«

»Das darf ich nicht, Sir, denn er hat mir streng befohlen, daheimzubleiben, bis er kommt.«

Er lächelte.

»Du scheinst deine Lage nicht zu begreifen! Daß du Mutter Smolly ohne ihre Erlaubnis verlassen hast, will ich nicht erwähnen; es war Undank, aber kein Verbrechen. Aber, Sarah, du bist mit einem Raubmörder und Fälscher geflohen und hast ihn in seinem Tun unterstützt, bist also vor dem Gesetz seine Mitschuldige. Verstehst du nun, weshalb du mit mir gehen mußt? Als meine Gefangene!«

»Gefangene?« schrie sie. »Ich habe nicht das Geringste verbrochen!«

»Und mein Geld, das er mir raubte, ehe er Stenton verließ? Ich traf ihn in meinem Zimmer; er wollte mich mit dem Messer töten, brachte mir aber nur zwei Wunden bei und entkam.«

»Ist das wahr? Er verlangte Euern Schlüssel, weil er von Eurem Zimmer aus etwas in Olbers' Haus beobachten wollte.«

»Der Schlüssel war dir anvertraut und gehörte nicht in seine Hände. Er hat mich beraubt und verwundet.« Er streifte den Aermel seines Rocks empor. »Sieh hier den Schnitt und den Stich; du bist Mitschuldige an dem Raub und Mordversuch.«

Sie erbleichte so tief, wie es bei der Farbe ihrer Haut möglich war, und starrte ihn wie geistesabwesend an. Erst nach einer langen Pause vermochte sie Worte zu finden.

»Das ist ja entsetzlich, Sir, das ist doch fürchterlich! O Gott, hätte ich ihm doch nie geglaubt, hätte ich doch Mutter Smolly nie verlassen! Gibt es keine Rettung für mich, Sir?«

»Vielleicht, wenn du mir alles aufrichtig mitteilst.«

»Ich werde es tun, Mylord Klausen! Fragt, ich will auf alles Antwort geben!«

Er stellte ein eingehendes Verhör an und erfuhr, was zu wissen nötig war. Er fühlte inniges Mitleid mit der Verführten, die keine andre Schuld trug als ihre Liebe.

»Willst du mir gehorchen, Sarah, so kann noch alles gut werden!«

»Befehlt nur, Sir! Ihr werdet sehen, daß ich auch das Schwerste tue.«

»So packe ein, was dir gehört. Du gehst mit mir!«

Mit zitternder Hast suchte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Er nahm alle Wertsachen Wilsons an sich und verließ heimlich mit ihr das Haus. Die Wirtin durfte nicht in den Stand gesetzt werden, irgend welche Auskunft zu erteilen. Der Gasthof war bald erreicht, und der schon längst zurückgekehrte Summerland staunte nicht wenig, als er das Mädchen bemerkte. Klausen erzählte ihm alles, nachdem er für ein Zimmer gesorgt hatte, in das Sarah sich zurückziehen mußte.

»Alle Wetter, Sir, das ist ja ein wunderbarer Fang! Und der Brief, was steht darin?«

»Das will ich Euch erklären. Schon in den ältesten Zeiten der spanischen Herrschaft in Mexiko pflegte die Regierung große Länderstrecken an Privatpersonen zu geben. Dies geschah entweder unter der Bedingung, binnen gewisser Jahre eine bestimmte Anzahl Menschen darauf anzusiedeln, oder sie verkaufte sie ihnen für eine sehr geringe Summe, die mit dem Wert des Landes in gar keinem Verhältnis stand und gewöhnlich in die Privattasche des höheren Beamten floß. Hier nennt man solche Stücke Landes Empressarios, bei uns im Norden aber Grants. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß man noch jetzt, wo man die Empressarios aus Geldnot billig vergibt, eine Legua von viertausendfünfhundert Acres 1 Acre = 40,5 Ar. für den Preis von noch lange nicht tausend Dollars verkauft, und daß ein einziger Mann oft zehn bis fünfzehn Leguas in dieser Weise von der Regierung ersteht. Der Verkauf dieser Grants liegt in den Händen des Grafen Don Ventura Hernano, und der brave Alkalde von Morelia schlägt in diesem Brief seinem Bruder, zwar nicht in deutlichen Worten, aber doch so, daß man die Andeutungen zu verstehen vermag, einen Streich vor, der den Grafen zur willigen Abtretung eines größeren Landstrichs führen soll. Der Graf begibt sich, wie hier steht, wöchentlich einmal auf eines seiner Güter, das in der Nähe von Morelia liegt; die Gräfin begleitet ihn gewöhnlich, und bei einer solchen Gelegenheit sollen beide überfallen und gefangen werden. Dabei erscheint Wilson als Retter und befreit den Grafen, während die Gräfin zurückbehalten wird, um ein Lösegeld zu erzielen, das den Anteil der Helfershelfer bildet.«

»Ein verteufelt sauberer Plan, Sir, den man nur so einem Schuft zutrauen kann. Warum aber hat Wilson diesen Brief nicht vernichtet?«

»Das frage ich auch. Bei jeder schlimmen Tat gibt es einen Fehler, der sie an das Tageslicht bringen kann. Wir sind vollständig geborgen, denn wir haben den Raub wieder und noch mehr dazu; ich konnte unter den hiesigen Verhältnissen nicht anders handeln. Eigentlich könnten wir also sofort zurückkehren; aber ich muß diesem Wilson das Handwerk legen und werde morgen in aller Frühe zum Grafen gehen, um ihm die Angelegenheit vorzutragen.«

» Allright! Wir begleiten ihn und nehmen die Schufte samt dem Retter beim Skalp, das ist so sicher wie meine Mütze! Aber das Mädchen?«

»Bleibt hier bis zu unserer Rückkehr. Ich bin überzeugt, daß wir ihr von jetzt an trauen können.«

»So legt Euch schlafen, damit wir morgen nicht etwa den Spaß versäumen!«

Sie gingen zur Ruhe mit dem glücklichen Bewußtsein, gleich in den ersten Stunden mehr erreicht zu haben, als sie jemals gehofft hatten.

Am anderen Morgen erkundigte sich Klausen nach dem Palast des Grafen. Dort hörte er, dieser sei bereits vor einer Stunde mit der Gräfin abgereist. Sofort begab er sich zu einem Pferdehändler, sorgte für drei gute, ausdauernde Reittiere und einen Führer, und hielt mit ihnen schon nach kurzer Zeit vor dem Gasthof.

Tom Summerland war sofort bereit. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Anschlag des Alkalden konnte möglicherweise schon heut ausgeführt werden. Sarah schwor, zu bleiben und bis zu ihrer Rückkehr nicht einmal an das Fenster zu treten; dann ging es fort.

Der Führer war ein junger und, wie es schien, recht zuverlässiger Bursche, der auch ganz gut zu reiten verstand.

»Nach Morelia hin will ich Euch dienen, Sennor,« meinte er, als sie die Stadt im Rücken hatten; »aber nach Queretaro und Guanajuato zu wäre ich wohl nicht gleich mitgegangen.«

»Warum?«

»Diese Gegend ist seit einiger Zeit verrufen durch die Braveros, Räuber. die dort herumlungern und niemanden ungeschoren vorüberlassen. Erst vor acht Tagen haben sie eine ganze Mula Maultierkarawane. überfallen und die Reisenden niedergemacht. Santa Maria, was half es, daß man Reiter gegen sie schickte! Sie haben sich zurückgezogen und werden es in kurzem schlimmer treiben, als vorher.«

Klausen wurde bedenklich. Er mußte unwillkürlich diese Braveros mit dem Unternehmen Wilsons in Verbindung bringen und gab seinem Tier die Sporen.

Bald erreichten sie das schäumende Wasser von St. Jago, über das eine alte, halb eingestürzte Brücke führte. Die Gegend wurde öder, der Weg immer weniger betreten und verlor sich endlich ganz in sandiges Geröll. Mitten im Jagen hielt Klausen die Augen auf den Boden gerichtet, auf dem sich die Hufspuren dreier Pferde zeigten. Hier war jedenfalls der Graf mit seiner Dame und einem Diener geritten.

Nach und nach zeigten sich wieder Büsche und immergrüne Nadelhölzer, und dann nahm ein Wald sie auf, unter dessen weit auseinanderstehenden Riesenbäumen sie ihre Eile nicht zu mindern brauchten. Da war es Klausen als vernehme er den Hilferuf einer weiblichen Stimme. Auch Summerland hatte ihn gehört.

» Go on!« rief er. »Sie haben den Grafen, und wir haben sie. Vorwärts, Sir!«

Die Pferde bekamen die Sporen und flogen pfeilschnell über den weichen Boden, der ihre Hufschläge beinahe unhörbar machte. Da, nach kaum einer Minute, sahen sie eine Dame in den Händen mehrerer im Gesicht geschwärzter Männer, während zwei männliche Gestalten sich gegen eine beträchliche Uebermacht verteidigten.

Klausen zog den Revolver. Auf dem Kampfplatze angekommen, warf er sich vom Pferd, sprang an die Seite der Dame und drückte los. Zwei der Männer fielen, der dritte entsprang. Jetzt wandte er sich gegen die übrigen und riß das Messer heraus. Summerland arbeitete schon mitten unter ihnen, und auch der Führer tat seine Schuldigkeit. Der Mut der beiden hatte den seinen angefeuert. Die Banditen waren von dem nachdrücklichen Angriff so überrascht, daß ihr Widerstand schnell erlahmte. Sie flohen in den schützenden Wald.

Jetzt erst warf Klausen einen schärferen Blick auf die Geretteten und erkannte mit Verwunderung den Herrn und die Dame, mit denen er gestern auf der Alameda gesprochen hatte. Der Graf war leicht verwundet, die Gräfin aber bereits wieder wohlauf.

»Ihr seid es, Sennor?« fragte sie. »Dann hat Euch Eure mächtige Zauberin herbeigeführt!«

Auch der Graf trat herbei. Er zeigte keine Spur seiner gestrigen vornehmen Zurückhaltung.

»Nehmt meinen besten Dank, Sennores, für die rechtzeitige Hilfe, die ihr uns brachtet! Ohne euch, das ist sicher, wären wir verloren gewesen.«

»Wir müssen den Dank zurückweisen, Don Hernano. Es drohte Eurem Leben keine Gefahr; man wollte sich mit einem Lösegeld begnügen.«

»Woher wißt Ihr das, und wie kommt Ihr als Fremder zu meinem Namen?«

»Das erlaubt, Euch später zu erklären! Jetzt müssen wir vor allen Dingen trachten, aus der Nähe dieses Ortes zu kommen. Wo sind die Pferde?«

Die beiden Tiere des Grafen und der Gräfin lagen erschossen am Boden; das Pferd des Dieners hatte, wie auch die andern drei, das Weite gesucht. Summerland machte sich sofort mit dem Diener und dem Führer auf, sie einzufangen, während die Gräfin nach der Wunde ihres Gemahls sah und Klausen sich damit beschäftigte, die Sättel von den gefallenen Pferden zu schnallen. Die Verletzung des Grafen zeigte sich als ganz ungefährlich; die Pferde wurden nach einiger Mühe herbeigeschafft. Auf eines wurde der Damensitz befestigt, und dann verließ man, der Diener und der Führer zu Fuß, die Stätte.

Die Besitzung des Grafen lag nicht allzuweit entfernt; man erreichte sie nach kaum einer halben Stunde und konnte nun in voller Ruhe das Geschehene besprechen.

In dem geschmackvoll ausgestatteten Empfangszimmer saßen Klausen und Summerland mit den beiden Gatten zusammen. Die Gräfin, eine starke, furchtlose Natur, bewirtete die Gäste, als sei sie eben von dem Besuch einer Freundin zurückgekehrt, und nur der Graf, dessen Alter eine größere Empfänglichkeit für dergleichen gewaltsame Eindrücke bedingte, hatte sich noch nicht vollständig erholt und dachte mit Schaudern an die Gefahr, in der er geschwebt hatte.

»Vor allen Dingen, Sennores, laßt mich eure Namen kennen lernen,« bat er.

»Der meinige ist Richard Klausen, Frankfort, Kentucky, Vereinigte Staaten.«

»Und Euer Beruf, Sennor Klausen?«

»Ich – – – schreibe Bücher, Sennor, eine Beschäftigung, die mich oft zwingt, mir auf Reisen den notwendigen Stoff zu holen.«

»So wollt Ihr über Mexiko schreiben?«

»Nein. Für dieses Mal folge ich einer andern Absicht, die mit dem heutigen Vorfall in sehr enger Verbindung steht. Gestattet, sie Euch mitzuteilen!«

Er erzählte nun in Kürze, was dem Grafen zu wissen nötig war, und schloß mit der Bemerkung:

»Damit habe ich den Beweis geliefert, daß Ihr Euch in keiner Lebensgefahr befandet, daß wir Euch nur zu unserem eigensten Vorteil folgten. Wir müssen also von Euch jede Verpflichtung uns gegenüber zurückweisen.«

»Nein, Sennores,« widersprach der Graf lebhaft, »das dürft ihr nicht! Ich befand mich in Lebensgefahr, dafür zeugt meine Verwundung, und ihr hättet recht gut zurückkehren und eure Ausgabe für gelöst betrachten können, wenn ihr nicht erfahren hättet, was mir drohte.«

»Mein Gemahl hat vollständig recht,« schloß sich auch die Gräfin an. »Was hätte ich nicht in der Gefangenschaft Schreckliches zu erdulden gehabt, alle unberechenbaren Umstände, die mein Leben in Gefahr bringen konnten, abgerechnet. Ich fühle mich Euch, Sennor Klausen, verbunden, wie noch keinem anderen und werde mir eine so heilige Verpflichtung nicht rauben lassen! Wir müssen Euch sehr dringend ersuchen, während Eures Verweilens in Mexiko unsere Gastfreundschaft nicht zurückzuweisen!«

»Das versteht sich von selbst, Sennores, und ich hoffe, hier ganz bestimmt keine Fehlbitte zu tun.«

»Und dennoch müssen wir danken! Unser Weg geht unverweilt nach Morelia, wo wir bestimmt unseren Mann treffen, der verhindert war, den Retter zu spielen. Er hat es jedenfalls hinter einem Busch hervor vollbringen wollen und ist durch die entflohenen Braveros vom Mißlingen des Unternehmens benachrichtigt worden. Er wird schleunigst den Alkalden aufsuchen und dort müssen wir mit ihm Abrechnung halten.«

»Verzeiht, Sennor Klausen! Er hat hier im Land einen Raubanfall verursacht und verfällt also unter Herbeiziehung der Vereinigten-Staaten-Gesandtschaft unseren Gesetzen. Diese sind in einem solchen Punkt streng, aber mit dem, was sie von ihm übrig lassen, mögt Ihr immer Abrechnung halten. Auf diese Weise versichere ich mich zweier Gäste, deren seltene Eigenschaft ich von ganzem Herzen anerkenne.«

»Aber,« warf Klausen ein, »er entkommt, wenn nicht sofort gehandelt wird!«

»Die Verfolgung ist bereits im Gange. Ich habe gleich nach unserer Ankunft einen zuverlässigen Boten nach Morelia geschickt und werde jetzt, da ich den Zusammenhang besser kenne, einen zweiten abreiten lassen, der alles ebenso besorgen wird, als ob wir selbst an Ort und Stelle wären. Zugleich sind einige Arbeiter in den Wald gegangen, um sich der Gefallenen zu versichern. Ich habe begründete Ursache, zu glauben, daß wir es mit denselben Männern zu tun haben, von denen die Gegend um Queretaro heimgesucht wurde.«

Er erhob sich und ging, um bald darauf wiederzukommen.

»Die Stafette ist fort, und nun könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß die Polizei der ganzen Umgegend in Alarm gesetzt und ihre Schuldigkeit tun wird. Ihr dürft also getrost hier verbleiben.«

»Ich für meine Person, Don Hernano, will zusagen, mein Begleiter aber muß unbedingt noch heute nach Mexiko zurück.«

»Gibt es hierfür einen Grund?«

»Einen sehr triftigen. Die Wohnung, die Wilson mietete, muß bewacht werden, und zwar von jemand, der ihn persönlich genau kennt. Er kehrt auf alle Fälle dorthin zurück, wenn wir nicht schon hier seiner habhaft werden.«

»So muß ich allerdings meine Zustimmung geben. Sennor Summerland soll von mir einige Zeilen an die Polizei erhalten, die ihm dann mit allen Kräften zu Gebote stehen wird. Jetzt aber laßt Euch Euer Zimmer anweisen, Don Klausen, damit Ihr Euch ausruhen könnt!«

Klausen lächelte über den Gedanken, daß er nach dem kurzen Ritt Erholung nötig habe; die Gräfin erhob sich.

»Folgt mir, Sennor, und erlaubt, daß ich selbst Euch geleite!«

»Gestattet zuvor einen kurzen Augenblick!«

Er trat unter die Tür zur Veranda.

Summerland hatte es in dem fein ausgestatteten Raum unmöglich länger aushalten können und war ins Freie hinausgetreten.

»Tom, Ihr müßt sofort nach Mexiko zurück!«

» Well, Sir, das ist mir äußerst angenehm; ich bin verteufelt wenig auf gräfliche Weise einstudiert!«

»Unser Führer mag Euch begleiten. Ihr erhaltet von Don Hernano ein Schreiben an die Polizei, das Ihr übergebt, dann bewacht Ihr das Haus, wo Wilson sein Zimmer hat. Ich kenne den Namen der Straße nicht, doch könnt Ihr bei Sarah alles erfahren. Ich kann nicht sagen, wann ich Euch folgen werde; wenn Ihr ihn seht, so laßt ihn nicht wieder aus den Augen!«

» Allright! Tragt keine Sorge um mich.« – –

Nachdem Klausen sein Zimmer besehen hatte, begab er sich in den Garten. Von hier aus bemerkte er, daß man die im Wald liegen gebliebenen Braveros brachte. Er eilte zu der Gruppe, die um die geschwärzten Gestalten stand, und erfuhr, daß man nur die Toten angetroffen hatte, während die Verwundeten verschwunden waren.

Auch der Graf trat hinzu.

»Wascht ihnen die Gesichter! Vielleicht finden wir ein bekanntes unter ihnen.«

Man leistete dem Befehl Folge, und kaum hatten die Züge der ersten fünf Leichen ihre ursprüngliche Farbe erhalten, so rief einer der Arbeiter:

» Per Dios, der Alkalde von Morelia!«

»Ja er ist's, ich kenne ihn,« bestätigte der Graf. »Wie kommt ein solcher Beamter unter die Banditen?«

Klausen bog sich nieder, um die Kleidung des Mannes, dem eine Kugel in die Brust gedrungen war, zu untersuchen. Er öffnete die Knöpfe und bemerkte, daß das Leben noch nicht völlig entwichen war.

»Habt Ihr nicht bemerkt, daß er noch atmet? Schafft Wasser herbei!«

Die Brustwunde war tödlich. Die Kugel mußte in die unmittelbare Nähe des Herzens gedrungen sein. Bei der Untersuchung des kleinen Loches, das ihren Weg bezeichnete, zuckte der Verwundete schmerzhaft zusammen. Klausen ließ sich dadurch nicht stören. Gerade dieser Schmerz war am besten geeignet, das geschwundene Bewußtsein, wenn auch nur auf kurze Augenblicke, zurückzurufen. Wirklich öffneten sich auch die geschlossenen Lider, sanken schwer wieder nieder und erhoben sich dann langsam zum zweitenmal.

Der Graf beugte sich zu ihm nieder.

»Antonio Molez, der Tod hat Euch ergriffen. Wollt Ihr ohne Bekenntnis sterben?«

Der Gefragte schwieg. Er mußte sich erst auf das Geschehene besinnen. Dann hauchte er:

»Vergebt!«

Klausen zog den Brief aus der Tasche, und hielt ihm diesen vor die erstarrenden Augen. »Habt Ihr das geschrieben?«

»Ja«

»Wo ist Euer Bruder?«

»Im Walde. Er wollte – – den Grafen – – befreien.«

»Ihr seht, Don Hernano, daß ich Euch die Wahrheit mitteilte.« Dann wandte er sich wieder zu dem Sterbenden: »Wohin kehrt er aus dem Walde zurück?«

»Ich weiß es nicht. Santa Madonna – – bitte für mich – – ich sterbe. Ich wollte – – reich werden – – mein Amt schützte mich – – ich bin der Anführer der – – –«

Sein Oberkörper erhob sich unter einer zuckenden Bewegung; ein Blutstrom entquoll seinem Munde; er sank tot zurück.

»Gott sei seiner Seele gnädig! Er war der Anführer der Braveros und hatte seinen schlimmsten Streich gegen mich gerichtet. Ich vergebe ihm!« flüsterte der Graf.

Die anderen Vier waren ohne Leben; die fünf Leichen wurden bis auf weiteres beiseite gebracht.

Während die Drei dann beim Mittagessen saßen, erschallten eilige Huftritte vom Tor her. Die beiden nach Morelia gesandten Boten kehrten zurück und traten bald darauf in den Speisesaal.

»Nun?« fragte der Graf. Er las in ihren Gesichtern eine wichtige Botschaft.

»Wir haben ihn!«

»Ah! Das ist ja über alles Erwarten schnell gegangen.«

»Er traf eben ein, als die Polizei das Haus des Alkalden besetzt hatte.«

»Leistete er Widerstand?«

»Ganz wütend. Er war vorzüglich bewaffnet und hat einige der Leute verwundet.«

»Und wo befindet er sich jetzt?«

»Im Gefängnis, von wo er morgen nach dem vorläufigen Verhör nach Mexiko gebracht werden soll.«

»Gut, Ihr könnt abtreten!« Dann wandte der Graf sich zu der Gräfin und Klausen. »Ich muß den Menschen sehen; nach aufgehobener Tafel reite ich nach Morelia. Wollt Ihr mit, Don Klausen?«

»Auf jeden Fall.«

»Man wird unsere Ankunft willkommen heißen. Er ist nicht persönlich bekannt, und Ihr könnt also seine Person feststellen. Uebrigens sind wir ja bei der Untersuchung gegen ihn sehr beteiligt, so daß es die Arbeit des Beamten erleichtert, wenn wir zugegen sind.« –

Nach einer Viertelstunde saßen der Graf und Klausen zu Pferde. Es war keine weite Entfernung zurückzulegen, und in kurzer Zeit hatten sie Morelia erreicht.

Der Ort war voll Aufregung über das Geschehene, und vor dem Gerichtsgebäude, das zugleich als Gefängnis diente, hatte sich eine Menge Volks versammelt. Kaum vermochten die beiden Männer sich hindurchzudrängen. Der Beamte hatte bereits ein Verhör angestellt und empfing den Besuch mit der größten Zuvorkommenheit.

»Soeben war ich im Begriff, Euch aufzusuchen, Exzellenza, um die nötigen Erkundigungen einzuziehen; ein Vorhaben, dessen mich Eure Anwesenheit überhebt.«

»Spracht Ihr bereits mit dem Gefangenen?«

»Ja. Ich erkannte in ihm einen äußerst schlauen und dabei gewalttätigen Menschen, dem alles zuzutrauen ist. Er hat nicht das Geringste gestanden, und ich glaube sehr, daß nur der geladene Revolver, der hier neben mir lag, ihn von Dummheiten abhielt. Darf ich um einen möglichst genauen Bericht des Geschehenen ersuchen?«

»Zunächst stelle ich Euch hier meinen Retter, Don Klausen, Frankfort in Kentucky, vor. Er ist imstande, Euch über den Angeklagten genauere Auskunft zu geben als ich.«

Die beiden Herren ließen sich nieder; der Beamte hörte ihrer Erzählung aufmerksam zu und schrieb sich das Notwendige auf.

»Habt Ihr den Brief bei Euch, Don Klausen?«

»Ja, hier ist er!«

Der Beamte las ihn. »Wollt Ihr mir das Schreiben überlassen?«

»Ich bitte, es mit größtem Nutzen zu verwenden.«

»Wilson hat es von Stenton aus beantwortet; ich fand seinen Brief unter den Privatpapieren des Alkalden, hielt es aber für richtiger, ihm beim ersten Zusammentreffen nichts davon zu sagen. Jetzt freilich steht es anders; ich werde ihn sofort wieder vorführen lassen, um ihn Euch gegenüberzustellen, und bitte, sich einstweilen in dies Zimmer zu verfügen!«

Er geleitete sie in einen anstoßenden Raum, dessen Tür angelehnt blieb, und gab dann den Befehl, Wilson zu holen. Dieser wurde gebracht. Er war gefesselt, stand aber aufrecht und mit einer Miene da, in der sich die höchste Entrüstung spiegeln sollte.

»Was soll's schon wieder? Ich denke, wir sind fertig und ich werde entlassen!«

»Entlassen sollt Ihr werden, aber vielleicht nicht in der von Euch vorausgesetzten Weise. Zuvor muß ich nur noch einige Fragen an Euch richten, die Euer Vorleben betreffen. Wollt Ihr mir noch einmal Euern Namen sagen?«

»Tomasio Molez; Ihr scheint an Gedächtnisschwäche zu leiden!«

»Möglich! Ihr vielleicht nicht weniger, da Ihr vollständig vergessen zu haben scheint, wo Eure früheren Aufenthaltsorte waren. Ihr seid geboren in St. Juan Bautista und befandet Euch seit 12 Jahren in Brasilien?«

»So ist's. Ich setzte während dieser Zeit keinen Fuß aus dem Kaiserreich, bin dort Bürger und werde mich an das brasilianische Konsulat wenden, wenn Ihr mich länger meiner Freiheit beraubt. Dann mögt Ihr sehen, wie Ihr mit den Folgen fertig werdet!«

»Wollt Ihr Euch nicht an den Konsul der Vereinigten Staaten wenden?«

»Warum?«

»Weil Fred Wilson bei ihm mehr Erfolg haben dürfte, als Tomasio Molez bei der von Euch genannten Vertretung.«

»Fred Wilson? Wer ist das?« Der Gefangene war bei Nennung dieses Namens zusammengefahren, hatte sich aber schnell wieder gefaßt.

»Ein Pfahlmann, Raubmörder, Fälscher, Einbrecher, kurz eine sehr anrüchige Persönlichkeit. Ihr habt wohl noch nie von ihm gehört?«

»Was habe ich mit einem solchen Menschen zu tun?«

»Vielleicht noch mehr als Euer Bruder, der mit ihm in einem höchst merkwürdigen Briefwechsel stand.« Er ergriff das Schreiben des Alkalden und ließ ihn einen Blick darauf werfen. »Kennt Ihr diesen Brief?«

»Nein.«

»Das ist eigentümlich! Er wurde doch in Eurer Wohnung gefunden?«

Jetzt erbleichte Wilson. »Meine Wohnung wollte ich bei meinem Bruder nehmen. Ich hatte sonst keine und bin erst gestern hier angekommen.«

»Ihr mietetet also in Mexiko wirklich kein Zimmer für Euch und eine Person, die als Knabe anlangte, jetzt aber Damenkleider trägt?«

»Nein.«

»So habt Ihr also auch keinerlei Anspruch auf das, was dort vorgefunden wurde?«

»Was?«

»Diesen Brief, eine Sammlung Schriftübungen, die viel zu denken gibt, mehrere Beutel voll Goldstaub und Nuggets und endlich eine Brieftasche mit Wertpapieren, die plötzlich und unter eigentümlichen Umständen aus Stenton, Arkansas, verschwunden sind? Wollt Ihr sie wieder haben?«

»Sie gehen mich nichts an!« Man hörte es den mühsam hervorgestoßenen Worten an, welche Ueberwindung sie Wilson kosteten.

»Auch das Mädchen nicht?«

»Nein.«

»Aber dann vielleicht dieser Brief, der in Stenton aufgegeben wurde?« Er hielt ihm sein eigenes, an den Bruder gerichtetes Schreiben vor.

»Auch nicht. Ich kann überhaupt nicht begreifen, was Ihr von mir wollt. Ich komme gestern zu meinem Bruder, gehe heut mit ihm spazieren und werde bei meiner Rückkehr trotz seines amtlichen Charakters festgenommen!«

»Das hat wohl seine Gründe. Der Spaziergang war ein außerordentlich bewaffneter; der Alkalde kehrte nicht zurück – –«

»Was geht das mich an? Er wird wohl noch kommen. Wir trennten uns, weil er einen Amtsbesuch zu machen hatte.«

»Zum Grafen Don Hernano, dem er erzählte, welch reizendes Abenteuer er mit Euch erlebt habe. Er befindet sich noch dort, und ich werde ihn heut noch aufsuchen.«

Wilson konnte die Wirkung dieser Worte trotz aller Selbstbeherrschung nicht verbergen. Dennoch antwortete er trotzig: »Ich habe nicht das Geringste dagegen!«

»Auch nicht gegen die Gesellschaft, in der ich diesen Besuch vornehmen werde?«

»Sie ist mir höchst gleichgültig.«

»Das dürfte erst zu beweisen sein. Da, blickt Euch einmal um!«

Wilson machte eine Wendung nach dem Zimmer, unter dessen Tür der Graf und Klausen erschienen. Der Anblick des letzteren warf Wilson um einige Schritte zurück; dann machte er eine Bewegung, wie um sich auf ihn zu stürzen, besann sich aber noch, und meinte so kaltblütig wie möglich: »Wer sind die Sennores?«

»Verstellt Euch nicht, Master Wilson,« meinte Klausen. »Ihr habt ausgespielt! Oder wollt Ihr wirklich behaupten, daß Ihr mich nicht kennt?«

»Behauptet Ihr etwa mich zu kennen?«

»Leider habe ich das Unglück.« Und zum Richter gewandt, fuhr er fort: »Ich erkenne in diesem Mann denjenigen, über den ich meine Aussage vorhin zu Protokoll gab, Sennor!«

»Und ich,« sprach Wilson mit scheinbarer Kälte, »erkenne in diesem Menschen den abgefeimtesten Lügner, der mir vorgekommen ist.«

»Schon gut,« fiel der Beamte ein; »ich bin nun sehr im Klaren über Eure Persönlichkeit. Hätte ich noch den leisesten Zweifel, was aber nach den Worten Sennor Klausens nicht möglich ist, so würde ich Euch einem Sennor Summerland und einer gewissen Sarah gegenüberstellen, die beide bereit sind, über Euch die gewünschte Auskunft zu geben. Ich habe mit Euch nichts mehr zu schaffen und werde Euch morgen unter sicherer Bedeckung nach Mexiko einliefern, wo Euch das weitere erwartet. Ihr könnt abtreten!« – – –

Am andern Tage öffnete sich die Tür des Gefängnisses. Wilson wurde in den Hof geführt und auf ein Pferd gebunden. Ein Unteroffizier mit einigen Kavalleristen übernahm seine Bedeckung. Der erstere schnallte die Auslieferungspapiere in die Satteltasche, dann ging es fort nach Mexiko, den Gefangenen in der Mitte.

Wilson hatte keine Gewalt über sein Pferd, das von einem der Reiter am Zügel geführt wurde; auch erlaubten ihm seine Fesseln nicht die geringste Bewegung, und so sehr er auch all seinen Scharfsinn anstrengte, so fleißig er sein Auge suchend umherschweifen ließ, es wollte sich keine Möglichkeit der Rettung für ihn bieten.

Die Kavalleristen verhielten sich schweigsam, und nur als man den Wald erreicht hatte und an die Stelle gelangte, wo der Graf überfallen worden war, meinte der Anführer: »Wirst's wohl nicht wieder tun, Bursche. Die heilige Gerechtigkeit läßt nicht mit sich spaßen!«

» Quien sabe, wer weiß es!« erklang die trotzige Antwort.

Als sei sie eine Losung gewesen, krachten in demselben Augenblick von beiden Seiten mehrere Schüsse. Der Unteroffizier mit zweien der Reiter stürzte vom Pferde. Die übrigen wollten sich gegen die zwischen den Bäumen herbeispringenden Angreifer verteidigen, erkannten aber, daß auf deren Seite die Uebermacht sei, und jagten unter Zurücklassung des Gefangenen davon.

»Unerwartete Hilfe in der Not, nicht wahr, Sennor?« fragte einer der geschwärzten Männer, indem er das Messer zog und die Fesseln Wilsons durchschnitt.

»Bei allen Teufeln, ja. An Euch hätte ich nicht gedacht und glaubte mich auf mich selbst angewiesen.«

»Hm, wir mußten wohl! Ihr hattet einige von unseren Namen gehört, und da mußten wir Euch um die Gelegenheit bringen, sie den Herren vom Gerichte auszuplaudern.«

»Da zeigt Ihr Euch heut klüger als gestern, wo Ihr es vergaßt, meinen verwundeten Bruder in Sicherheit zu bringen.«

»Verwundet? Per dios, er war tot, Sennor!«

»Euer eigenes Wohl hätte dennoch erfordert, seine Leiche zu beseitigen; aber er war nicht tot, sondern ist zum Grafen Hernano geschafft worden, wo er alles gestanden hat. Ob er dann an seiner Verwundung gestorben ist, ob er noch lebt und sich in Gefangenschaft befindet, weiß ich nicht. Ich könnte mich seiner auch nicht annehmen, denn ich muß schleunigst fort. Habt Dank für die Schüsse; sie kamen zur rechten Zeit!«

»Wo wollt Ihr hin?«

»Fort aus dem Lande!«

»Jedenfalls zunächst nach Vera Cruz? Geht nicht geradewegs, Sennor, sondern über Jalapa, das ist sicherer. Und wenn Ihr hinkommt, so sucht meinen Vetter Saldano auf, er hat eine Wirtschaft am Hafen, kennt unser Handwerk und wird Euch alle Hilfe leisten.«

»Ich werde ihn aufsuchen.«

Wilson war zu dem Pferde des Unteroffiziers getreten und öffnete die Satteltasche. Sie enthielt neben dem Aktenheft seine Börse und alle Gegenstände, die man ihm abgenommen hatte.

»So, jetzt komme ich wieder zu dem Meinigen. Als Reisegeld wird es ausreichen. – Diese hübschen Bogen müssen wir verschwinden lassen.«

Einer der Braveros reichte ihm ein Feuerzeug. Die Akten gingen in Flammen auf; dann bestieg er das Pferd des Unteroffiziers.

»Lebt Wohl, Sennores, und macht auch fernerhin gute Geschäfte! Mich aber bekommt ihr nicht wieder zu sehen!«

Er nahm die Zügel aus, setzte die Sporen ein und flog davon. Er kannte die Gegend von früheren Zeiten her und kam also nicht in Gefahr, seinen Weg zu verfehlen. –


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