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»Mutter Dodd in Hoboken,« welch einen prächtigen, anheimelnden Klang hat doch dieser Name für die seefahrenden Angehörigen aller Nationen, die einmal in New York vor Anker gegangen sind! Eine zweite Mutter Dodd ist nicht zu finden, so weit die Winde gehen und die Wogen rauschen, und wer nur ein einziges Mal bei ihr gewesen ist, der weiß von ihren Eigentümlichkeiten zu erzählen, von ihrer Liebenswürdigkeit zu rühmen und sehnt sich, wieder einmal bei ihr an Bord gehen zu dürfen.
Aber freilich ein braver Maat muß er sein, sonst mag sie nichts von ihm wissen, und er ist schneller wieder draußen vor ihrer Tür, als er hineingekommen ist. Sie hat einen gar strengen Begriff von Anstand und wahrt den Ruf ihres Hauses eigenhändig und in so kräftiger Weise, daß schon mancher alte widerhaarige Seemann die Kraft ihrer dicken Fäuste und die Unwiderstehlichkeit ihrer fetten Arme aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat. Wen sie nicht bei sich leiden mag, den winkt sie einfach hinaus, und geht er nicht sofort, so nimmt sie ihn bei der Parabel und bringt ihn mit der Schnelligkeit einer Lokomotive auf die Straße. Wem es aber einmal geglückt ist, sich ihr Vertrauen zu erwerben, der darf auf ihren Schutz und Beistand in jeder Beziehung rechnen und wird sicher in keiner Not von ihr verlassen.
Das Haus zur »Mutter Dodd« ist zwar bloß einstöckig, aber lang und tief. Durch den breiten Flur tritt man in eine sehr geräumige Gaststube, deren verräucherte Decke von hölzernen Säulen getragen wird. Vorn sind die Plätze für »Allerlei«, an den weiter zurückstehenden Tischen dürfen nur diejenigen Platz nehmen, die von der Wirtin besonders ins Herz geschlossen sind, und durch die hintere Wand führt eine Tür in ein Zimmer, wo die Steuerleute und Kapitäne verkehren und wohl auch einmal einen gewöhnlichen Swalker mit leiden müssen, den Mutter Dodd mit ganz seltenem Wohlwollen auszeichnet.
Solche Bevorzugte bedient sie selbst, während die anderen sich an das Dienstpersonal zu halten haben.
Heut waren mehrere Segler und Dampfer vor Anker gegangen, und das niedrige Haus hatte infolgedessen viele Gäste aufzuweisen. Mutter Dodd lehnte am Schenktisch, hatte die Arme in die breiten Hüften gestemmt und lenkte ihr Personal wie ein Feldherr mit Blicken und Winken, wohl auch mit einem kurzen, scharfen Wort hierhin und dorthin.
An einem der vorderen Tische saß eine Gesellschaft von Männern, die der Kenner sofort als Runners, Loafers oder Rowdies Strolche. bezeichnet hätte. Sie führten ihr Wort so laut, daß ihre Stimmen jedes andere Gespräch überschallten, und trugen eine politische Ansicht zur Schau, die in jener Zeit, kurz vor Ende des Bürgerkrieges, für New York etwas gewagt erscheinen mochte.
»Hast recht, Tommy,« rief einer von ihnen. »Die Nigger sind keine richtigen Menschen; sie sind halb Mensch halb Tier und passen nur zur Peitsche. Der Teufel hole den Norden, der aus ihnen Gentlemen machen will!«
»Gentlemen? Das soll ihm so leicht nicht werden! Der Süden hat seine Rechte, die er nicht hergibt, und wenn ich zu befehlen hätte, so kämen alle Niggerfreunde an den Strick. Mutter Dodd, alte Hexe, noch ein Glas!«
Es wurde sofort ruhig im ganzen Raum, denn jeder, der die Wirtin kannte, wußte, was nun folgen werde.
Diese verließ langsam ihren bisherigen Standort und schob sich durch die Gäste auf den Sprecher zu.
»Will, stoß die Tür ein wenig auf!« gebot sie dem Hausknecht, der soeben ein Faß Bier aufs Gestell gehoben hatte. Als der Befehl ausgeführt war, nahm sie den Schreier bei den Schultern.
»Höre, mein Junge, hier im Norden segelst du mit deiner Hexe gegen den Schwall; ich werde dich nach dem Süden bringen, und die Zeche schenke ich dir!«
Wie im Sturmwind wurde er aus der Stube und durch den Flur hinaus auf die Straße gefegt. Als die tapfere Frau wieder eintrat, hatten sich die Genossen des an die Luft Beförderten erhoben und schlossen einen drohenden Kreis um sie. Doch mit einigen kraftvollen Stößen ihrer Arme machte sie sich Platz und rief zu den Umstehenden gewendet:
»Kinder, wer hilft mir von diesen Männern?«
Alle ohne Ausnahme sprangen auf, und im nächsten Augenblick war das Zimmer gesäubert. Mutter Dodd wußte genau, daß sie sich niemals umsonst an die Bereitwilligkeit ihrer Gäste wandte.
Längst schon hatte sie ihren gewöhnlichen Platz wieder eingenommen, da öffnete sich die Tür und ein junger Mann trat ein. Trotz seines etwas fadenscheinigen Anzugs machte er den Eindruck, als gehöre er eigentlich nicht in eine Wirtschaft, in der Matrosen und dergleichen ihren Verkehr suchen. Er sah sehr angegriffen aus, als sei er krank gewesen oder habe mit schweren Sorgen zu kämpfen. Er machte Miene, sich unweit der Tür niederzulassen, da ertönte die Stimme der Wirtin:
» Good evening, Master Thieme! Wollt ihr nicht in die Stube kommen?«
Sie schritt ihm voran und er folgte ihr durch die Reihen der Gäste in das hintere Zimmer, wo sich noch niemand befand.
»Eine Flasche Porter, nicht, Sir?«
Selbst wenn er etwas anderes, billigeres gewünscht hätte, es wäre zu spät gewesen, denn schon war sie fort und brachte ihm dann den bezeichneten Trunk.
»Seht heute schon besser aus, Sir. Werdet wohl jetzt bald soweit sein, daß Ihr Eure Reise antreten könnt!«
»Habe arbeiten müssen, sehr arbeiten, Mutter Dodd, und wollte nicht eher wiederkommen, als bis ich meine Schuld bezahlen konnte!«
Er griff in die Tasche; sie aber hielt seinen Arm zurück.
»Wollt Ihr einmal aufrichtig sein, Master Thieme? Habt Ihr in den paar Tagen so viel verdient, daß Euch das Geld drückt?«
»Hm, das nun grad nicht, doch möchte ich ...«
»Weiß schon, weiß schon! Ihr seid mir gewiß und werdet mich bezahlen; jetzt aber mag ich das Geld nicht haben, jetzt nicht, später; ich werde Euch schon selbst daran erinnern. Aber wollt Ihr denn nun nicht nach dem Westen fahren?«
»Doch ... aber ...«
»Aber?«
»Ja, Mutter Dodd, wenn ich meinen Onkel dort im fernen Westen aufsuchen könnte, dann hätte alle Not ein Ende. Aber ich kann's ja nicht – –!«
»Warum könnt Ihr das nicht, he?«
»Der teuren Fahrt wegen.«
»Wieviel werdet Ihr alles in allem brauchen?«
»Fünfzig Dollars.«
»Master Thieme, seid Ihr wieder stark genug, die Reise unternehmen zu können? Denn das ist die Hauptsache.«
»Ja.«
» Well, Sir, so sollt Ihr das Geld haben, nämlich von mir und heute abend noch!«
»Mutter Dodd! – Ich habe Euch das nicht erzählt, um ...«
»Weiß schon, weiß schon, Sir! Kenne ja Eure Vergangenheit und Euch ganz genau. Aber der Herrgott verläßt keinen, der sich Mühe gibt; merkt Euch das! Nun aber trinkt und laßt mich einmal nach vorne sehen!«
Sie trat in die große Gaststube zurück und kam grad zur rechten Zeit, um den Eintritt eines Mannes zu bemerken, bei dessen Anblick ihr die Freude aus allen Zügen lachte.
Von hoher, breiter und außerordentlich muskulöser Gestalt, trug er einen Hut auf dem glattgeschorenen Kopf, dessen ungeheure Krempe hinten weit über den Nacken herunterschlappte, während ihr vorderer Teil über dem Gesicht einfach weggeschnitten war. Den Leib bedeckte ein kurzer, weiter Sackrock, dessen Aermel kaum bis über die Ellbogen reichten und erst die Aermelteile eines sauber gewaschenen Hemdes, dann die braungebrannten Vorderarme und endlich zwei Hände sehen ließen, die einem vorsintflutlichen Riesentier anzugehören schienen. Die Beine steckten in einem Paar ebenso weiter Hosen von leichtem Zeug; unter ihnen wurden zwei Stiefel sichtbar, deren Leder aus dem Rücken eines Elefanten herausgeschnitten sein mußte.
Der Mann sah in dem alten Hut, dem moosgrünen Rock und den gelben Hosen einer Maskenballfigur ähnlich, die sich vom Tanzsaal verirrt hat. Mit weitausgespreizten Beinen schritt er zwischen Tischen und Stühlen hindurch, als befinde er sich in einem Boot, das von den Wogen auf und niedergeworfen wird.
»Mutter Dodd!« rief er, die Arme nach der Wirtin ausstreckend. » Halte-là – heigh-day – heda, Ihr Leute, laßt mich doch einmal hindurch! Good evening, Mutter Dodd, da bin ich wieder! Wie geht's, mon bijou?«
»Peter! Wahrhaftig, das ist der Peter Polter, der mir ...«
»Natürlich, der Peter Polter aus Langendorf, früher Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiff ›Nelson‹, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹ und jetzt – hallo, Mutter Dodd, komm an meine Weste und laß dich küssen!«
Er nahm sie, zog sie an sich und drückte ihr einen schallenden Kuß, den sie auch ruhig litt, auf die Lippen.
»Bist doch immer noch der Alte, Peter! Immer gut vorm Wind und ...«
»Und durstig vorm Glas! Bring einige Schlucke von meiner Sorte heraus, denn ehe ich dir erzählen kann, muß ich erst die Luke waschen.«
Er trat in die hintere Stube, und nun erst sah die Wirtin, daß er nicht allein gekommen war. Es folgte ihm ein junger Mann, dem man den Gentleman auf tausend Schritte ansehen konnte, und es war eigentlich zu verwundern, wie der alte Südwester in eine so vornehme Gesellschaft hatte kommen können.
Mutter Dodd war schnell wieder bei der Hand. Sie brachte das Verlangte und stellte zugleich drei Gläser auf den Tisch.
»Eins für mich!« meinte sie. »Denn es versteht sich ja ganz von selbst, daß ich mit meinem liebsten Gast den › Welcome‹ trinke.«
»Natürlich, du alte, liebe Fregatte du! Aber höre, zuvor muß ich gentlemanlike sein und dir hier den Master Treskow vorstellen, der ein verteufelt guter Freund von mir ist.«
Sie machte ihren besten Knix und Peter fuhr fort:
»Wir haben uns da drüben bei meinem Bruder getroffen, der bei einem Juwelier Thieme vor Anker lag. Aber ...«
»Thieme? Juwelier? Wäre das möglich?«
»Was möglich?« beteiligte sich hier Treskow zum erstenmal am Gespräch.
»Nun, Herr, seht Ihr den jungen Mann dort?« Mutter Dodd neigte sich zu Treskow hinüber und fuhr leiser fort: »Er ist ein sehr ordentlicher Junge, hat aber Unglück gehabt. Sein Vater hatte ein großes Geschäft da drüben, wurde aber ermordet und ausgeraubt. Er hatte seinen Sohn kurz vorher über den großen Teich geschickt; ein Bruder des Alten lebt im Westen als Trapper und hat dort viel Gold gefunden. Da dieser nun selbst damit nichts anzufangen weiß, wollte er es seinem Bruder schenken, den er schon früher oft unterstützt hat. Das alles erzählte mir Thieme selbst.«
»Hat er denn seinen Onkel aufgesucht?«
»Nein, noch nicht. Er war noch nicht lange hier in Amerika, als er die Nachricht von dem Ueberfall durch zwei Landsleute erhielt, die frisch von Germany hier eintrafen. Vertrauensvoll erzählte er den beiden seine Geschichte und zum Dank dafür schlugen sie ihn nieder und gingen mit seinen Papieren und seinem letzten Geld durch. Jetzt ist er nun wieder genesen und ... doch, Mesch'schurs, vielleicht stellt Ihr Euch ihm selbst vor, Ihr scheint ja in seiner Heimat nicht unbekannt zu sein!«
Treskow erhob sich sogleich und trat zu dem Tisch, an dem der junge Thieme saß.
»Sie verzeihen, mein Herr,« redete er ihn deutsch an, »wenn ich mir gestatte, Sie anzureden!«
»Sie wünschen?« fragte Thieme, sich ebenfalls von seinem Stuhl erhebend.
»Nichts mehr und nichts weniger als Ihre Gesellschaft. Wollen Sie die Güte haben, hier bei uns Platz zu nehmen!«
»Welchem Umstand verdanke ich das Vergnügen, diese Einladung zu erhalten?«
»Einer Angelegenheit, die Ihnen sehr nahe zu gehen scheint. Mein Name ist Treskow, ich bin Detektiv und ... doch bitte wollen wir nicht zunächst übersiedeln!«
Thieme folgte mit gespannter Erwartung.
»Herr Thieme, Sie wissen bereits von jenem Raubüberfall auf Ihren Herrn Vater? – Noch keine Einzelheiten? Nun ich bin als Polizist gerade in jener Angelegenheit hier. Hören Sie!«
Gespannt lauschte Thieme den Ausführungen des Beamten; zum ersten Male vernahm er hier aus zuverlässiger Quelle die Einzelheiten jener Untat. Damals hatte Peter Polter nach Jahren wieder einmal seinen Bruder, der bei dem Juwelier angestellt war, besucht. Der weltbefahrene Mann hatte sich Treskow sogleich angeschlossen, als gewiß war, daß die Verbrecher nach Amerika geflüchtet waren.
Als der Detektiv am Schluß eine Beschreibung der vermutlichen Täter gab, sprang der junge Thieme vor Erregung auf und rief:
»Noch einmal, Sir, beschreibt sie mir noch einmal!«
»Gern, ich kann Euch sogar eine Photographie des Vicomte de Brétigny zeigen,« sagte Treskow.
Er zog eine Brieftasche hervor und entnahm ihr ein Bild, nach dem Thieme hastig griff.
»Er ist es, ja, er ist es! Das Bild ist sehr gut gelungen.« Er zog ein Taschentuch hervor, um sich den Schweiß von der Stirn zu trocknen. »Hätte ich das geahnt! Mutter Dodd, erkennt Ihr ihn auch?«
»Ja, er ist's, Sir!«
Jetzt sprang auch der Detektiv auf: »Ihr kennt ihn? War er hier bei Euch?«
»Ja, hier bei mir, Sir!« bekräftigte die Wirtin.
»Erzählt, Mister Thieme, erzählt!«
»Nun, ich war einige Wochen in New York, hatte von Mutter Dodd gehört und verkehrte viel bei ihr. Ich wollte grad nach dem Westen abreisen, um den Onkel aufzusuchen, da lernte ich hier zwei Landsleute kennen, die sich Heinrich Mertens und Peter Wolf nannten. Sie waren frisch aus Europa gekommen und wußten allerhand Neues aus der alten Heimat. Als sie meinen Namen hörten, da berichteten sie mir als erstes von jener Untat an meinem Vater. Hätte ich gewußt, was ich nun weiß! Mertens war kein anderer, als jener Vicomte de Brétigny, und Peter Wolf wird wohl der Chevalier de Saccard gewesen sein oder sein Diener ... Ihr nanntet mir dessen Namen noch nicht?!«
»Marc Letrier.«
»Marc Letrier!« rief da die Wirtin. »Der ›giftige Marc‹, der mit dem Kapitän Kaiman gesegelt ist, wie sich die Maaten erzählen, die bei mir verkehren?«
» Thunderstorm, Mutter Dodd, alte Seejungfer!« fuhr nun auch Peter Polter auf. »So wahr ich Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiff ›Nelson‹ und dann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹ gewesen bin, daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber das ist er!«
»Wer?« fragten Treskow und Thieme gleichzeitig.
»Habt Ihr einmal vom Kapitän Kaiman gehört?« erwiderte die Wirtin. »Und von seinem Segelmeister, der Miß Admiral? Marc Letrier, der ›giftige Marc‹, war des Kapitäns Vertrauter. Es ist schon einige Zeit her, daß es gelang, den Piraten zu entern und sein Schiff nach hartem Kampf zu nehmen. Aber von diesen dreien wurde niemand erwischt, sie sind seitdem spurlos verschwunden. Wollt Ihr hören, was ich vom Kapitän Kaiman durch meine Maaten weiß?«
Alle nickten.
»Nun so hört! Er ist ein Franzose und soll eigentlich Camain heißen, woraus durch Umstellung der Buchstaben ›Caïman‹ Französische Bezeichnung für Krokodil. entstand. Kapitän Kaiman – so nannten ihn zuerst seine Leute – wurde bald überall bekannt und gefürchtet. Er muß schon jung ein trefflicher Seemann gewesen sein; er soll nicht viel über dreißig Jahre zählen und hat doch schon lange Zeit die belebtesten Seekurse unsicher gemacht. Er war ein Sklavenhändler, wie es kaum einen zweiten gegeben hat, holte die Negerware von Afrika herüber und brachte sie hier stets glücklich an den Mann. Kein anderer Kapitän nahm es mit ihm auf, woran allerdings auch sein vortreffliches Fahrzeug, die ›l'Horrible‹, mit schuld war. Das soll eine Schunerbrigg oder ein Dreimast-Marssegelschuner gewesen sein. Der Kapitän Kaiman hat sich selbst vor Dampfern nicht gefürchtet, solange nur eine Handvoll Wind in seinen Segeln steckte. Sein Segelmeister war die Miß Admiral, ein Frauenzimmer, aber ein Teufel in Menschengestalt. Sie war das einzige Kind eines alten Seemanns, der die Schrulle hatte, sich nicht von ihr trennen zu wollen. Er steckte sie in Knabenkleider und nahm sie auf allen seinen Reisen mit an Bord. Da lernte sie den Dienst von unten bis nach oben genau und vollständig kennen; sie machte nach und nach alle Stufen vom Schiffsjungen bis zum Offizier durch; sie hatte nicht bloß Begabung, sondern auch Talent für die See und brachte es durch die Praxis und durch den Unterricht, den ihr der Vater gab, so weit, ein Schiff bei jedem Wind und Wetter führen zu können. Aber darüber wollten sich die Mannen, die mit ihrem Vater fuhren, nicht freuen. Sie war schon als Kind eine wilde Katze, und je größer und älter sie wurde, destomehr entwickelte sie sich zu einem Teufel. Ihr könnt euch denken, wie dann der ›Stecken schwimmt‹, wenn zwei solche Personen zusammen sind, wie diese Miß Admiral und der Kapitän Kaiman. Die beiden haben nämlich nicht nur Neger gejagt und verkauft, sondern jedes Fahrzeug, dem sie begegneten, als gute Prise betrachtet, wenn es zu bewältigen war. Wieviel Schiffe da ausgeraubt und mit der ganzen Bemannung versenkt worden sind, das wird wohl niemals an den Tag kommen. Erfahren möchte ich nur, wie die beiden zusammengekommen sind.«
»Das kann ich dir sagen, Mutter Dodd, du neugierige Schiffslaterne!« sagte Peter Polter. »Als ich Steuermann auf der ›Swallow‹ war, erzählten sich die alten Swalkers davon. Hätte es auf gutem Wege sehr weit bringen können, der Kapitän Kaiman! Aber wie die Miß Admiral eine Katze, so war er schon als Junge ein durchtriebener und unbändiger Fuchs. Die Seefahrt war sein Element, in dem er sich mit fünfzehn Jahren besser auskannte als mancher vielbefahrene Orlogoffizier. Auch in ihm gab es einen Teufel, der ihn nicht auf dem rechten Kurs litt. Er machte Dummheiten über Dummheiten, die ihm solange nachgesehen wurden, bis es nicht mehr ging; er trieb es zu arg. Trotz seiner sonstigen unvergleichlichen Brauchbarkeit wurde er mit Schande fortgejagt. Nun trieb er sich längere Zeit herum, von einem Bord zum andern; immer auf Schiffen zweifelhaften Rufs. Hierbei lernte er die Miß Admiral kennen. Ihr Vater war kürzlich gestorben, und sie hatte von ihm einen ganzen Sack voll Geld geerbt. Die beiden sahen bald ein, daß sie vortrefflich zueinander paßten und sie beschlossen, zusammen ein Schiff zu kaufen, um mit Ebenholz zu handeln und nebenbei zu nehmen, was sich bieten würde. Der Satan führte ihnen die ›l'Horrible‹ in den Weg, die nachher so berüchtigt wurde. Das Geschäft entwickelte sich sehr bald zu einem einträglichen Unternehmen. In der ersten Zeit hatte das Piratenschiff zwei Kapitäne, weil die Miß Admiral sich als gleichstehend mit ihrem sauberen Kompagnon betrachtete. Aber er bekam sie nach und nach unter; sie sah ein, daß er ihr als studierter Seefahrer doch über war, und mußte sich mit der zweiten Stelle als Segelmeister begnügen. Diese Herabsetzung, wie sie es nannte, ließ sie an ihren Untergebenen aus, gegen die sie ein Unmensch war. Die neunschwänzige Katze bekam die Herrschaft an Bord, und wer es wagte, einen Befehl zu mißachten, wurde sofort niedergeschlagen und in die See geworfen. Ein alter Swalker der ›Swallow‹ will sogar eine Zeitlang auf der ›l'Horrible‹ gewesen sein; der hat uns hundertmal so erzählt und er mußte es doch wissen.«
»Und gerade die drei, der Kapitän Kaiman, die Miß Admiral und der ›giftige Marc‹, sind damals nicht mit gefangen worden ...!« sagte Treskow nachdenklich. »Die Miß liebt es, als Mann verkleidet zu gehen ...! Immerhin merkwürdig. – Stimmen könnte es, aber es sind doch nur Vermutungen. – Mister Thieme, wir haben Euch vorhin unterbrochen, bitte fahrt in Eurer Erzählung fort!«
»Gern. Also ich schloß mich ahnungslos an meine vermeintlichen Landsleute an und berichtete ihnen von der beabsichtigten Reise zu meinem Onkel. Ich legte Mertens meine und meines Vaters Verhältnisse vertrauensvoll dar und ...«
»Verzeihung!« unterbrach ihn der Polizist. »Darf man Näheres über diese Verhältnisse erfahren?«
»Selbstverständlich! Sie sollen und müssen sogar alles erfahren. Mein Vater ist nicht stets der wohlhabende Mann gewesen, der er in den letzten Jahren vor dem Raubmord war. Er stammte von sehr armen Eltern, die ihre zwei Söhne nur während der Lehrzeit unterstützen konnten. Vater wurde nach seiner Neigung Goldarbeiter, sein Bruder widmete sich dem Forstwesen und erhielt auch eine Försterstelle. Da kam die Zeit der Gärung da drüben, die manchen als Flüchtling über die See gejagt hat. Mein Onkel wurde mit in den Strudel gerissen, verlor Heimat und Stellung und verschwand. Erst nach einigen Jahren durfte er wagen, uns zu schreiben. Er war nach Amerika gegangen und hatte sich als ausgezeichneter Schütze einer Gesellschaft von Pelzjägern angeschlossen. Den Ertrag seiner Mühen sandte er stets den Eltern, und als diese gestorben waren, dem Bruder, dem diese Spende geschäftlich sehr zustatten kam. Immer größere Summen wurden uns ausgezahlt, seine Briefe erklärten uns das Nähere. Er hatte die Bekanntschaft eines Indianerhäuptlings, namens Intschu tschuna, gemacht, auf welche Weise ...«
»Intschu tschuna?« rief Peter Polter. » Mille tonnère, sacré de Trekschuit, das ist ja der Apatschenhäuptling, den ich bei Deadly-gun getroffen habe, als ich damals nach dem Westen segelte, um in der alten Prärie, von der ich soviel gehört hatte, einmal gehörig Ausguck zu halten!«
»Deadly-gun?« fragte Thieme überrascht. »Ihr kennt ihn?«
»Ob ich ihn kenne! Versteht sich! Ihn und Dick Hammerdull und Pitt Holbers und Ben Cunning und alle, die da drin im Hide-spot stecken, wie der Schiffsmaat in seiner Koje!«
»Welch ein Zusammentreffen! Deadly-gun, diesen Namen hat mein Onkel wegen der tödlichen Sicherheit erhalten, mit der er seine Büchse zu führen versteht.«
»Euer Onkel? Cheer up, junger Mann, gebt mir doch einmal Eure zehn Finger herüber; ich muß sie ein wenig drücken! Mutter Dodd, hol noch einige Tropfen von diesem braunen Wasser da, denn wenn sich Peter Polter freut, so muß er trinken!«
»Was meintet Ihr vorhin mit dem Hide-spot?«
»Das ist ein Versteck, das sich die alten Swalkers ausgesucht haben, damit sie von den roten Männern nicht gebissen werden, ein Versteck sage ich Euch, in dem man ebenso sicher liegt, wie in Abrahams Schoß!«
»Und wißt Ihr, wo es zu suchen ist?«
»Hm, das ist ein böses Ding! Beschreiben läßt sich so ein Weg nicht, aber wenn man den richtigen Kurs zu steuern weiß, so kann man schon dort vor Anker gehen.«
»Gut, wir werden noch weiter darüber sprechen. Welch ein Glück, Euch hier getroffen zu haben! Jedoch wieder zu meinem Bericht! Dieser Intschu tschuna also hat dem Onkel einen Platz im Gebirge gezeigt, wo viel Gold zu finden sein muß, denn die Beträge, die er uns schickte, wurden immer höher. Unser Geschäft erhielt dadurch einen riesigen Aufschwung. Kurz vor der Mordtat kam nun ein Brief meines Onkels, in dem er mich einlud, ihn zu besuchen. Er sehne sich, einmal einen Verwandten bei sich zu sehen, er selbst sei zu sehr an den Westen gewöhnt, als daß er sich entschließen könne, ihn zu verlassen. Ich sei jetzt alt genug für eine solche Reise; ich solle dann persönlich eine große Summe Geldes mitbekommen. Der Weg zu ihm führe den Arkansas hinauf bis hinter Fort Gibson, wo ich bei einem gewissen Winklay ...«
»Master Winklay, der Irishman? Hallo, den kenne ich auch! Ist eine verteufelt langweilige Seele, der Kerl, und hat den schlechtesten Kautabak, den ich zu Wasser und zu Lande getroffen habe,« bemerkte der Steuermann.
»Also richtig! Dort sollte ich nach Deadly-gun fragen.«
»Master Thieme, warum sitzt Ihr denn da noch hier am Kai und seid nicht abgesegelt nach dem alten Arkansas?«
»Weil ... ja, da komme ich eben wieder auf den Vicomte de Brétigny. Dieser fragte mich, ob der Onkel mich persönlich kenne oder ob ich mich genügend bei ihm auszuweisen vermöge. Ich wies auf meine polizeilichen Papiere und auf des Onkels Briefe hin, die ich bei mir führte. Erst später ist mir aufgefallen, daß er das Gespräch auf unsere Familie lenkte, natürlich nur um sich gehörig zu unterrichten und aus dem Gehörten Nutzen zu ziehen. Am anderen Tage auf einem Spaziergang schlugen die beiden Schufte mich dann hinterrücks nieder und raubten mir alle Papiere, mein Geld und alle Habseligkeiten von irgendeinem Wert. Und der Herr Vicomte und Diener waren verschwunden. Ich habe lange mit meinen Wunden gelegen und bin erst jetzt wieder soweit, meine Reisepläne ins Auge fassen zu können.«
»Ihr habt doch Anzeige gemacht?« warf hier Treskow ein.
»Allerdings, aber erst nach einigen Tagen und vergeblich. Da ich mein ganzes Geld bei dem Ueberfall in der Tasche geführt hatte, war und bin ich nun völlig mittellos, und wenn unsere gute Mutter Dodd nicht gewesen ...«
» Stop, Mister Thieme!« unterbrach ihn die Wirtin. »Ihr wißt: was Ihr braucht, sollt Ihr haben. Laßt Euch das keine Sorge sein!«
»Es steht also fest,« sagte Treskow, »daß der angebliche Vicomte sich Ihrer Papiere bemächtigt hat. Folglich hat er auch die Absicht, nach dem Westen zu gehen, um sich Ihrem Onkel als Neffe vorzustellen. Dieses und der Umstand, daß die Schurken nur zu zweien und nicht mehr zu dreien hier auftraten, gibt mir einiges zu denken. Wo ist der Raub hin, die ungeheure Summe, die er Ihrem Vater damals abgenommen hat? Ausgegeben, verschwendet und verpraßt ist ein solches Vermögen in so kurzer Zeit nicht. Verloren –? Sehr unwahrscheinlich. Versteckt –? Kaum. Aber wo ist der dritte Kumpan, sei es der Chevalier de Saccard oder auch Marc Letrier? Einer von beiden muß sich von den zwei andern getrennt haben; dabei hat er vielleicht das Geld mitgehen heißen. Aber wie dem auch sei, unser nächster Weg ist den Arkansas hinauf nach dem Hide-spot, von dem der Steuermann uns erzählte. Ich bin überzeugt, zwei der Verbrecher dort zu finden. Mister Thieme, Ihr seid doch mit dabei?«
»Von ganzem Herzen!« antwortete der Gefragte freudig aufatmend. »Besser konnte ich es ja gar nicht treffen. Mutter Dodd, welches ist denn die schnellste Gelegenheit nach dem Westen? Meint Ihr, wir sollen die Bahn oder ein Schiff benützen?«
» Yes, my dear, mit der Bahn kämt Ihr früher an, als mit dem Schiff. Aber es fährt sich jetzt in den Unionstaaten recht unbequem, wegen der vielen Truppentransporte nach dem Süden. Zur See nach New Orleans habt Ihr keine Störungen zu befürchten. Noch heut in der Nacht geht der Uniondampfer ›Leviathan‹ in See; der Kapitän hat noch an Land zu tun und kommt ganz sicher hierher, um der Mutter Dodd fare-well zu sagen. Er ist ein tüchtiger Offizier und das Schiff scharf auf den Kiel gebaut. Ein Orlogschiff ist ja eigentlich nicht für Fahrgäste, aber mein Wort gilt etwas bei ihm; ich werde mal mit ihm reden.«
»Tut das, Mutter Dodd!«
»Gern. Wenn ich Euch auch lieber noch bei mir behalten hätte. Doch ich hoffe, Ihr laßt mich nicht back- oder steuerbord liegen, wenn Ihr zurückkehrt. Ich möchte genau erfahren, wie der Faden von hier weitergelaufen ist.«
» Silence, Mutter Neugier!« meinte Peter. »Ich werde Euch das Tau Zoll für Zoll abwickeln, wenn wir wiederkommen, denn ich weiß ...«
»Ihr Peter? Ihr wollt auch mit?«
Der alte Steuermann riß den Mund auf und starrte sie an.
»' sdeath, alte Schaluppe, was soll ich denn? Etwa mich hier aufstapeln und ruhig warten, bis mein lieber Herr Policeman mitsamt dem Master Thieme von den Haien gefressen oder von den Indsmen gespießt worden ist? Wer will ihnen denn den Weg zu Master Winklay und zum Hide-spot zeigen, wenn es der Steuermann Peter Polter aus Langendorf nicht tut? Nein, nein, ich segle mit an Bord!«
Die brave Frau war wirklich tiefbetrübt, ihn so rasch wieder zu verlieren; doch mußte sie sich darein finden.
Die Unterhaltung wandte sich jetzt mehr den Einzelheiten und Nebensächlichkeiten der Ereignisse zu, welche die drei Männer zusammengeführt hatten. Nach und nach fanden sich Gäste in ihrem Zimmer ein, und auch der Kapitän des ›Leviathan‹ kam. Mutter Dodd hielt Wort und sprach mit ihm, und auf ihre Verwendung hin ließ er sich bereit finden, entgegen dem Gebrauch die drei mit nach New Orleans zu nehmen.
Sie mußten sich sofort reisefertig machen, da keine Zeit zu verlieren war, und begleiteten ihn nach herzlichem Abschied von der Wirtin an Bord. Noch vor Tagesgrauen verließ der Dampfer den Hafen und stach in See.