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Im Staat Arkansas an dem gleichnamigen Fluß liegt einige Stunden oberhalb Little Rock die Stadt Stenton. Sie bildet durch ihre Lage an der Einmündung zweier Seitenflüsse den Knotenpunkt eines überaus regen Land- und Wasserverkehrs. Mit echt amerikanischer Schnelligkeit ist Haus an Haus, Straße an Straße gewachsen, und wo vor kurzer Zeit noch der wilde Sohn der Prärie sein Roß im Wasser des Stromes tränkte, dehnt sich jetzt sein »weißer Bruder« im behaglichen Bett und freut sich des Segens – es könnte auch ein Fluch sein – der Zivilisation.
Da, wo einige englische Meilen vor der Stadt die Berge zur Ebene niedersteigen, tummelte eine Gesellschaft junger Herren und Damen ihre Pferde in dem biegsamen, von gelben Helianthusblüten durchschossenen Grase. Der einzige ältere Mann, der sich bei der Gesellschaft befand, zeichnete sich zugleich auch durch sein Aeußeres vor allen übrigen aus. Er war ungemein dick und saß auf einem Schimmel, der ihm an Körperumfang ebenbürtig war. Die Bewegung der beiden hatte etwas Dickhäuterähnliches an sich, zu dem die grellen Farben, in die sich der Reiter gekleidet hatte, recht possierlich aussahen. Er trug ein gelbes Beinkleid, rotkarrierte Weste, lichtblauen Rock und einen breitkrempigen, in Schwarz und Weiß geflochtenen Pferdehaarhut. Unter dem umgelegten, steif gestärkten Hemdkragen war ein grün und lila gestreiftes Tuch in einen mächtigen Knoten geschlungen und schickte seine wohlgefalteten Zipfel bis auf die kostbaren Anhängsel herab, die klingend an der dicken Uhrkette baumelten. Das jetzt vom Ritt gerötete Gesicht des Mannes hatte einen höchst gutmütigen Ausdruck. Nur deutete der eigentümlich scharfe Zug um den Mund auf eine bittere Beimischung, und der kurze, dicke Nacken schien ein Zeichen hartnäckiger Ausdauer zu sein.
Eben machten er und sein Schimmel eine keuchende Anstrengung, einer der Damen zu folgen, die, als die Gewandteste von allen, in tollen Kapriolen und Zickzackwendungen umherfegte, während ihr langer, blauer Schleier hoch in den Lüften flatterte.
»Halt ein, halt ein, Marga!« stöhnte der Bunte. Der Schimmel hatte eine fürchterliche Anstrengung gemacht und wirklich einen Satz fertig gebracht, der seinen Reiter vollständig aus der Haltung warf. »Du brichst den Hals, und ich, ich brech' – brrr, stopp, ohohoho, du höllische Bestie!«
Einer der Herren eilte herbei und half ihm wieder in eine sattelfeste Stellung.
»Der Schimmel hat zu gute Pflege, Master Olbers. Laßt ihm etwas weniger Hafer geben, dann wird er nicht so unmäßig in die Welt hineinspringen.«
»Der Hafer ist nicht schuld, sondern das böse Beispiel, das selbst die besten Sitten verdirbt. Ich bitte Euch dringend, Sir, reitet hin zu meiner Tochter und sagt ihr, daß ich sofort in Ohnmacht falle, wenn sie noch ein einziges ventre-à-terre wagt!«
»Laßt ihr das Vergnügen! Es hebt den Mut, stärkt die Gesundheit, macht gewandt und läßt, ganz unter uns gesagt, Miß Marga in einem Licht erscheinen, dem kein wahrer Gentleman zu widerstehen vermag.«
»Licht hin, Licht her; ich lobe mir die Sicherheit meiner gesunden Glieder, Mister Wilson. Da seht einmal den Mann, der dort herüberkommt. Sein Pferd geht Schritt um Schritt, als hätte es die Blüten zu zählen, die es niedertritt, und wahrhaftig, es nimmt sich sogar hier und da ein Maul voll davon auf. Er läßt das geduldig geschehen, hängt dabei vornüber im Sattel, als wolle er in die Mähne beißen, und scheint es ganz gleich zu nehmen, ob er heute nach Stenton kommt oder morgen. Der ist kein solcher Wagehals wie Ihr und Marga, und für die erste Rippe, die er bricht, will ich Euch getrost bare fünfzigtausend Dollars versprechen.«
»Meint Ihr?« fragte der andre mit einem forschenden Blick auf den noch fernen fremden Reiter. »Ich fürchte sehr, daß Ihr die Dollars gar bald verliert, denn der Mann hat jedenfalls schon mehr als eine Rippe gewagt.«
» Hoëh! Er sieht ganz und gar nicht danach aus.«
»Das meint Ihr, weil Ihr noch nie die Prärie betreten habt. Ich wette ganz dieselbe Summe, daß es ein richtiger Westmann ist, der noch andre Ritte, als Ihr gesehen habt, unternommen und dem Tod täglich ins Auge geschaut hat. Ich kenne das, denn meine Besitzungen in Texas grenzen an die Savanne, und ich habe oft Gelegenheit, diese Leute zu beobachten. Gerade seine gebeugte Haltung kennzeichnet ihn als Jäger; so sitzen sie alle zu Pferde; anders wäre ja das ewige Reiten gar nicht auszuhalten.«
»Ein Präriejäger? Ein Halbwilder? Den müssen wir anreden! Eine Unterhaltung mit ihm wird unsern Damen sicher viel Spaß machen.«
»Ich denke auch. Laßt mich nur machen!«
Der Sprecher war ein noch ziemlich junger und schöner Mann, dessen dunkelsprühende Augen ganz prächtig zu dem tiefschwarzen, wohlgepflegten Vollbart standen. Er war beinah übermäßig vornehm gekleidet und saß mit ungewöhnlicher Leichtigkeit zu Pferd. Der breite Panamahut war ihm ein wenig aus der Stirn in den Nacken gerutscht und ließ eine dunkelrote Narbe sehen, die sich von der Nasenwurzel an bis unter die Haare zog. Einige laut gerufene Worte brachten die Gesellschaft zusammen.
»Meine Ladies und Gent's, ein Vergnügen erwartet uns. Dort kommt ein Biberhauthaggler, den wir ein wenig ins Gebet nehmen wollen. Der Mann hat wohl noch nie eine wirkliche Lady gesehen und wird in schauderhafte Verlegenheit geraten über die Zumutung, uns Rede und Antwort stehen zu sollen.«
Der Vorschlag wurde von der übermütigen Versammlung mit Freuden angenommen, nur die Tochter des Bunten widersprach: »Laßt ihn ruhig vorüber, Gentlemen! Der Mann hat Euch nichts getan, und könnte sich verletzt fühlen!«
»Verletzt?« lachte Wilson. »Er soll es für eine Ehre halten, von so feinen Leuten angesprochen zu werden. Ich werde ihm das begreiflich machen!«
Er wandte sein Pferd dem Reiter entgegen; die andern folgten, Marga war also gezwungen, sich ihnen anzuschließen, doch hielt sie sich zurück.
Der Fremde war jetzt bis in Hörweite herangekommen, ohne die Gesellschaft zu beachten.
» Good day, Mann,« rief Wilson. »Schlaft und träumt Ihr oder sind Euch Eure letzten zwei Sinne abhanden gekommen?«
Der Gefragte richtete sich blitzschnell in gerade Stellung empor, und es war eigentümlich, mit welchem Blick sich die beiden begegneten. Das tiefblaue Auge des Jägers bohrte sich stechend in das Gesicht des reichen Plantagenbesitzers und dessen dunkles Auge leuchtete wie unter einem plötzlichen Erkennen auf.
» Good day, Ladies und Mesch'schurs«, grüßte der Jäger mit voller, sonorer Stimme. »Ich träumte vom Llano estakado und von abhanden gekommenen Stangen und Nuggets. Good bye!«
Er machte Miene, seinen Weg fortzusetzen; Wilson aber stellte sich ihm entgegen.
»Halt, nicht weiter, bis Ihr erklärt, was diese Antwort zu bedeuten hat!« Der Schwarzbärtige war blaß geworden, aber sein Auge funkelte, und die Narbe auf seiner Stirn schwoll brennend rot an.
»Halt?« fragte der andre mit einem überlegenen Lächeln. »Wer will es wagen, einem freien Mann unter freiem Himmel Halt zu gebieten? Wer will ihm das Wort befehlen, das er nur freiwillig gibt?«
»Ich will es, Bursche! Was soll Eure Rede bedeuten? Sprecht sofort oder – –«
Wilson erhob drohend die Reitpeitsche, ehe noch einer der Anwesenden Zeit fand, ihn daran zu hindern.
»Oder – –?« donnerte der Jäger und schüttelte die langen, blonden Locken. Er nahm mit der Linken die Zügel empor, und in demselben Augenblick schien dreifaches Leben sein scheinbar träges Pferd zu durchströmen. »Weg mit der Peitsche!«
»Heraus mit der Antwort!« drohte es ihm entgegen.
»Hier ist sie!«
Ein leichter Schenkeldruck und der Mustang schnellte bis dicht an Wilson heran; im nächsten Augenblick sank dieser, von einem fürchterlichen Faustschlag getroffen, aus dem Sattel ins Gras. Der Mann, der jetzt so plötzlich von Geist und Feuer sprühte, riß sein Pferd wieder herum und blitzte die andern mit zornigem Auge an.
»Will noch einer von den Gentlemen Antwort haben?«
Niemand regte sich.
»Keiner? Well, so sind wir eigentlich fertig. Doch will ich Euch warnen vor dem Wagnis, je wieder einen braven Westmann für den passenden Gegenstand eines Possenspiels zu halten: sein kleiner Finger ist mehr wert als ihr alle; er sieht schon in der Ferne, was ihr wollt, und weiß genau, wer lachen wird.«
Schon stand der Jäger im Begriff fortzureiten, da zügelte er sein Tier bis vor Marga heran. Sein Gesicht nahm einen andern Ausdruck an; seine Hand zog ehrerbietigst den Hut vom Kopf; bewundernd glitt sein Blick über die Erscheinung des Mädchens, und seine Stimme klang weich, als er sagte:
»Dank, Mylady! Ihr wart die Einzige, die nicht spotten wollte, und seid einer besseren Gesellschaft wert. Good bye!«
Mit dem vollen Anstand eines vollendeten Ladiesman bedeckte er sich wieder, zog den gelockerten Büchsenriemen fester an und ritt in kurzem, anmutigem Galopp davon.
Nicht ein einziges Mal sah er sich um, trotzdem es seinen Blick mit Gewalt nach rückwärts zog. Er hatte hier zum ersten Mal in ein Mädchenangesicht geblickt, von dem er sich gestand, daß er es nie vergessen werde.
Als er die Stadt erreichte, stieg er in dem Gasthof ab, dessen Schild ihm zuerst entgegenglänzte, übergab sein Pferd dem Stallkeeper und trat in den Trinkraum, wo er die allgemeine Aufmerksamkeit durch die Hast erregte, mit der er nach den ausliegenden Zeitungen griff. Ein Trapper, der zu lesen versteht, kann beinahe als ein Wunder betrachtet werden. Nach einiger Zeit winkte er den Boardkeeper zu sich heran.
»Wer ist Mutter Smolly?«
»Kennt Ihr Mutter Smolly nicht, Master? Dann müßt Ihr noch niemals hier gewesen sein! Sie war das schönste Mulattenmädchen weit und breit, wurde freigegeben und heiratete einen reichen Mississippihändler, dessen Witwe sie nun ist. Sie ist die ehrbarste Frau der ganzen Stadt und überall als der Engel der Notleidenden bekannt; darum wird sie von jedermann nicht anders als Mutter Smolly genannt.«
Der Jäger dankte für die Auskunft und las noch einmal die Anzeige, die ihn zu seiner Frage veranlaßt hatte:
»Ein wahrer Gentleman kann bei Mutter Smolly vornehme Wohnung mit Benützung der Bibliothek und guter Kost erhalten.«
Dies Angebot hatte, vielleicht gerade wegen seiner sonderbaren Fassung, etwas Anziehendes für ihn. Er erkundigte sich noch nach der Wohnung der Mulattin und beschloß, sie aufzusuchen.
Das Haus, das ihm bezeichnet wurde, lag in einer der schönsten und ruhigsten Straßen Stentons. Er klingelte am Eingang des Erdgeschosses; aus einer Türlücke sah ein allerliebstes, dunkles Gesicht hervor.
»Ist Mutter Smolly daheim, mein Kind?«
»Ja. Ich will sie rufen!«
»Nein, melde mich an,« lächelte er über das Mißtrauen, das seine Kleidung hervorgerufen hatte. »Ich habe mit ihr zu sprechen.«
Nach längerer Zeit und jedenfalls erst nachdem die Dienerin der Herrin den Besuch bis in alle Einzelheiten beschrieben hatte, wurde er eingelassen, aber auch nur bis in den Vorsaal, wo ihn eine dralle, sauber gekleidete Frau empfing, die vielleicht vierzig Jahre zählen mochte, und deren Gesichtsfarbe ihre Abstammung von einer hübschen Coloured-Lady verriet.
»Verzeihung, Mylady, wenn – – –«
»Mutter Smolly, nicht anders, wenn ich bitten darf!« fiel sie ihm schnell in die Rede.
»Gut also, Mutter Smolly! Ich las da eine Anzeige, daß Ihr eine vornehme Wohnung mit guter Kost zu vergeben habt.«
»Allerdings. Aber habt Ihr auch gelesen an wen?«
»An einen wahren Gentleman.«
»Also nicht an einen von den vielen, die sich so nennen, ohne es zu sein, sondern an einen, den ich mit Recht so nennen darf.«
»Diese Sorte ist hier im Südwesten außerordentlich selten, Mutter Smolly.«
»Dann bleibt meine Wohnung unvermietet. Ich nehme in mein Haus nur Leute, denen ich außer einer strengen Wirtin auch eine gute Mutter Smolly sein darf. Hat Euch jemand geschickt?«
»Nein. Ich selbst beabsichtigte, bei Euch zu wohnen, wenn meine Person Euch, und Eure Räumlichkeiten mir gefallen.«
Sie konnte ein leises Lachen nicht zurückhalten.
»Meine Wohnung würde Euch sicher gefallen; aber sagt mir doch einmal, wer und was Ihr seid! Ich vermute, ein Jäger oder Fallensteller.«
»Meinem gegenwärtigen Aeußern nach, ja. Ich komme vom Felsengebirge und habe seit dort weder Kleidung noch Wäsche wechseln können. Ich wollte das erst tun, wenn ich hier eine Heimat gefunden habe.«
»Weshalb hier in Stenton?«
»Weil sich hier die Druckerei befindet, in der ich einiges veröffentlichen will.«
Sie blickte ihn erstaunt an.
»So seid Ihr eigentlich ein Gelehrter oder wohl gar ein Dichter?«
»Vielleicht. Ich unternehme meine Reisen nur der Wissenschaft halber. Mein Name ist Richard Klausen.«
»Rich – – Klaus – – bitte, bitte, Sir, tretet doch hier herein!«
Sie riß eine Tür auf, schob ihn mehr, als er ging, in ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer, zog von einem Gestell unter mehreren Büchern einen in Sammet gebundenen Band heraus und hielt ihm das Titelblatt vor.
»›Herzensklänge‹, Sir; habt Ihr diese Lieder gedichtet?«
»Sie sind von mir.«
»Ist's möglich! Mein Mann war ein Deutscher; er hat eine wertvolle Bücherei hinterlassen, und seine liebsten Bücher waren ihm die Eurigen. Ich kann sie nicht lesen; aber ich kenne ihre Titel und habe sie als Heiligtum hier in meinem Zimmer aufbewahrt. Ihr sollt die Wohnung haben; Ihr müßt sie nehmen. Kommt; ich will sie Euch zeigen!«
Es war auf einmal eine große Lebhaftigkeit über sie gekommen. Sie sprang voraus, eine Treppe empor, und öffnete ihm drei Räume, die alle Ansprüche eines gebildeten Mannes zu befriedigen vermochten.
»Hier das Schlafzimmer; hier das Wohnzimmer mit Balkon und hier die Bibliothek, in der Ihr arbeiten könnt. Ich vertraue die Bücher keinem Menschen lieber an als Euch!«
»Gut; ich wohne hier, und der Preis?«
»Jetzt nicht; später davon. Seht nur erst, ob es Euch auch wirklich bei mir gefällt! Ich lasse Euch nicht wieder fort, und was Ihr braucht, werde ich Euch sogleich besorgen.«
»Was die Wäsche und Aehnliches betrifft, ja; da muß ich wohl um Eure Hilfe bitten, meine gute Mutter Smolly; das andre aber werde ich selbst übernehmen müssen. Auch mein Pferd, das im Gasthof steht, erfordert meine Anwesenheit.«
»Das lassen wir holen. Ich habe im Hinterhause eine prächtige Stallung, die Euch sicher zufriedenstellen wird.« –
Bis der Abend hereinbrach, war mit Hilfe des Konfektioners, Kleiderhändlers und Haarkünstlers ein ganz andrer Mensch aus Klausen geworden, und die Wirtin schlug verwundert die Hände zusammen, als er kam, um sich ihr in dieser neuen Verfassung vorzustellen.
Dann begab er sich zum Buchhändler und Druckereibesitzer, der zugleich Herausgeber der ›Morgen- und Abendpost von Stenton‹ war und ihn mit Auszeichnung empfing. Hier erkundigte er sich nach der Wohnung des Advokaten Summerland. Er hatte sich in Preston am Red River von dem braven Tom getrennt, um noch einen Ausflug in das Indianerterritorium zu machen, und wollte den ersten Tag nicht vorübergehen lassen, ohne ihn aufgesucht zu haben. Leider aber fand er ihn nicht daheim; er war, wie das Mädchen berichtete, mit den Seinen für den Abend zum Bankier Olbers geladen.
Klausen kehrte nach Hause zurück und beschäftigte sich dort mit der Bücherei des verstorbenen Mississippihändlers. Dabei bemerkte er, daß das zweite Stockwerk des gegenüberliegenden großen Hauses hell erleuchtet war. Man konnte von dort aus recht wohl seine Zimmer übersehen; er schloß deshalb die Gardinen. –
Drüben war eine zahlreiche Gesellschaft um die Tafel, an der Marga den Vorsitz führte, versammelt. Unter den Anwesenden befanden sich, Wilson abgerechnet, sämtliche Teilnehmer des heutigen Reitausflugs; auch Bill Summerland mit Frau und Bruder. Dieser hatte aus Rücksicht für die Seinen heute auf die gewohnte Trapperkleidung verzichtet. Doch war ihm recht gut anzusehen, daß er sich in dem Gesellschaftsanzug äußerst unbehaglich fühlte.
Er war eigentlich die Hauptperson des Abends und wurde nicht müde, von seinen Abenteuern zu erzählen.
Er schilderte grad die Todessteppe und seine Rettung durch Klausen.
»Und wißt Ihr, wem ich es verdanke, daß ich nicht von den Geiern zerrissen worden bin?« fragte er. »Einem Dichter! Ja, schaut mich nur verwundert an, einem Dichter, aber nicht einem solchen, der zwischen Himmel und Erde hängt und hilflos mit den Beinen zappelt, sondern einem echten businessman, der es auf jedem Fleck, wo man ihn hinstellt, mit dem Besten aufzunehmen versteht.«
»Wie heißt er?« fragte der dicke Bankier, der ein großer Literaturfreund war und nicht gern eine Gelegenheit, seine Belesenheit zu bekunden, ungenützt vorübergehen ließ.
»Klausen, Richard Klausen, wenn es Euch recht ist. Seine Reime sind weich wie Butter, seine Fäuste aber hart wie Stahl. Er ist ein Kerl wie ein Riese und hat dabei ein Herz wie ein Kind; darauf kann ich schwören wie auf meine Mütze!«
»Klausen, der Deutsche? Dort sitzt seine größte Verehrerin,« meinte der Bankier, auf seine Tochter zeigend. »Sie hat seine Gedichte bei Mutter Smolly kennen gelernt. Er ist wirklich bedeutend in seiner Art; groß aber könnte er nur im Englischen werden.«
»Im Englischen?« fragte Tom Summerland. »Ich weiß nicht, ob er deutsch oder englisch zugeschlagen hat, aber gut waren seine Hiebe, das könnt Ihr glauben. Ich habe es gesehen, als wir meine Nuggets wiederholten. Diese Geschichte müßt Ihr noch hören!«
Er fuhr in seinem Bericht fort und schloß ihn endlich mit der Bemerkung:
»Und wenn Ihr ihn sehen wollt, so kann dies vielleicht bald geschehen. Als wir am Roten Fluß voneinander gingen, hat er mir versprochen, nach Stenton zu kommen. Er war nur in die Prärie gezogen, um ein Buch voll Reime über sie zu machen. Das will er hier drucken lassen.«
Die Tafel wurde aufgehoben, und die Gäste zerstreuten sich in die verschiedenen Zimmer. Marga war der Erzählung des Trappers aufmerksam gefolgt. Ihr waren die verschwundenen Stangen und geraubten Nuggets aufgefallen, und unwillkürlich brachte sie beides mit der Antwort des Jägers in Verbindung, der heute dem mutwilligen Wilson eine so derbe Lehre gegeben hatte. Was hatten die überraschten Blicke zu bedeuten, mit denen sich die Gegner gemessen hatten? Sie konnte die hohe, stolze Gestalt des Fremden nicht aus dem Sinn bringen. Und wie weich und warm war seine Stimme ihr entgegengeklungen! Sie suchte einige Augenblicke unbelauschten Zusammenseins mit Tom Summerland zu ermöglichen.
»Sagtet Ihr nicht, daß Klausen nach Stenton kommen will?«
» Yes; das habe ich gesagt, Miß.«
»Könnt Ihr mir seine Person beschreiben?«
»Sehr genau. Die Gestalt lang, breit und kräftig, Haare blond und lang, Bart ebenso, Augen blau, Mund klein, Zähne gut. Kleidung: ein Jagdrock, ausgefranst und zerrissen. Leggins: ausgefranst und zerfetzt. Mokassins: ausgefranst und zersprungen. Hut: ein Stück Filz ohne Gestalt und Farbe. Pferd: ein Brauner mit weißem Stern. Waffen: eine Doppelbüchse, ein Stutzen, Messer, Tomahawk und Lariat. Besondere Kennzeichen: macht Lieder und schlägt Pfahlmänner tot. So, nun könnt Ihr ihn steckbrieflich verfolgen lassen, so genau ist die Beschreibung.«
Das Mädchen wußte genug; die seltsame Kennzeichnung paßte genau auf den fremden Jäger.
»Werdet Ihr ihn uns einmal zuführen, wenn er da ist, Master Summerland?«
»Wenn Ihr es wünscht, Miß, so bringe ich ihn so gewiß wie meine Mütze.«
»Ich halte Euch beim Wort!« – –
Richard Klausen dachte erst zu ungewöhnlich später Stunde daran, die Ruhe aufzusuchen.
Als er das dunkle Wohnzimmer betrat, bemerkte er, daß drüben im gegenüberliegenden Hause die Lichter des zweiten Stockes erloschen waren. Jetzt waren einige Fenster des ersten Stocks erleuchtet; die Vorhänge waren zurückgezogen; die Altantür stand offen. Dahinter glänzte die große Kuppel einer Lampe, die auf dem Sofatisch stand. Eine weibliche Gestalt in weißem, luftigem Gewande trat an den Tisch; das blendend helle Licht fiel auf ihre hohe, volle Gestalt. Doch da sie von Klausen abgewandt stand, so konnte er von ihrem Gesicht nichts sehen. Unbeweglich hielt er seinen Blick auf sie gerichtet. Jetzt erhob sie ein Buch, schlug es auf und hielt es dem Licht näher.
Schnell holte er sein Glas herbei, eilte hinaus auf den Balkon, wo er in der Dunkelheit nicht bemerkt werden konnte und hielt es vor sein Auge. Da stand die Unbekannte nun klar und deutlich vor ihm. Und als sie sich halb zu ihm umdrehte, erblickte er staunend dasselbe wunderbar schöne Gesicht, das heute nachmittag einen so tiefen Eindruck aus ihn gemacht hatte.
»Sie ist's; ich hab' es geahnt!«
Heiße Wogen drängten sich nach seinem Herzen. Ein Taumel wollte ihn erfassen. Er kannte die Macht weiblicher Schönheit, aber er hatte sie noch nicht an sich selbst erfahren; jetzt zitterte ihr Einfluß ihm durch das tiefste Leben.
Da nahm sie die Lampe und trat in das Nebengemach. Die weißen, neidischen Gardinen, von denen dort die Fenster verhüllt wurden, ließen nur noch ihren Schatten sehen; auch dieser verschwand bald, als sie das Licht verlöschte. Sie war schlafen gegangen.
Mit übervollem Herzen trat Klausen wieder in die Bibliothek zurück. Es trieb ihn hin zum Schreibtisch, seine Hand griff zur Feder, und bald flossen glühende Strophen auf das Papier, so glockentönig und farbenprächtig, wie sie nur die erste Liebe zu erwecken vermag. Er nahm das Blatt und überlas es.
»Meine beste Arbeit! – Was tue ich? Darf ich oder nicht? Noch ist die Schriftleitung mit der Zusammensetzung des Morgenblatts beschäftigt. – Ja, es wird gewagt!«
Er griff zum Hut und verließ trotz der späten Nachtstunde das Haus, um sich zur Druckerei zu begeben.
Sein Beitrag wurde dort willkommen geheißen, und befriedigt kehrte er zurück.
In der dunklen Tornische standen zwei Personen, mit denen er in der Eile nicht allzuzart zusammenstieß, eine hohe männliche und eine zierliche weibliche.
»Wer da?«
»Ich bin's. Sarah.«
»Welche Sarah?«
»Das Mädchen von Mutter Smolly.«
»Ach so. Gute Nacht!«
Die kleine, niedliche Terzerone hatte also einen Anbeter. Klausen meinte in den undeutlichen Umrissen der männlichen Gestalt etwas Bekanntes zu finden, mochte aber die beiden Leute nicht belästigen. Er stieg zu seiner Wohnung empor und schlief nach langer Zeit zum ersten Male wieder in weichen Federn.